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Karawanenzüge

Ein Jahr war vergangen – Eines Tages war Kusma Jegoritsch zum Markt nach einer großen Staniza im Westen geritten. Mit ihm waren Alexei Samochin und Fedor Ilitsch Balaschow, die gleichfalls Vieh und allerhand Produkte verkaufen wollten. Was machen für rüstige Kosaken ein paar hundert Werst aus? Selbst im Winter schert sich der Sohn der Steppe nicht viel um Wetter und Mühsal. Kulischow war bei seiner jungen Frau, Galja Fedorowna, zurückgeblieben und hatte die drei Pferde eigener Zucht, die er verkaufen wollte, seinem Nachbar Kusma mitgegeben.

Schon mehrere Tage waren die Kosaken unterwegs. Sie hatten einige Züge astrachanscher Bauern, mehrere Tataren und Kalmücken überholt, die gleichfalls zum Markte zogen, aber schwerere Lasten hatten oder langsam ziehende Schafherden. Die großen Trakte von Astrachan nach Nowotscherkask und von Uralsk nach Zarizyn und nach Saratow sind in dieser Zeit stark befahren: Russen, Tataren, Kosaken, Kalmücken und Kirgisen bringen ihr Vieh zum Markte und auch die Pferde, die nicht von der Remontekommission aufgekauft waren, und die sie auf den Messen an die Händler losschlagen wollen.

Auf der Steppenstraße – einer Trift von mehreren hundert Schritt Breite, die von Uralsk nach Astrachan durch die Bukejewsche Kirgisenhorde führt, durch die Salzsteppe und an riesigen Salzsümpfen vorbei, war heute besonders viel Leben. Kirgisen und Kalmücken mit ihren Kamelen – ein- und zweihöckrigen, großen Tieren, die sie teils vor Karren gespannt hatten, teils auch ritten –, mit großen Herden von Fettschwanzschafen, die zum Markt getrieben wurden, um an die Schlächter verkauft zu werden, mit Hornvieh, vom großen Kalmückenochsen bis zur kleinen Kirgisenkuh, Tataren mit hochbepackten Wagen, auf denen sie Gartenprodukte, Teppiche, Geräte, Wolle und andere Handelsware in buntem Gemisch hatten. Russische Bauern mit Vieh und Getreide, mit Ochsenfuhrwerken und Pferden, Kosaken mit Pferden und Merinoschafen – dies alles bewegte sich in bunter Folge auf dem Trakt dahin. Ein buntes Bild, grotesk und doch ernst.

Die riesigen Schattenrisse der Kamele bewegten sich am Horizont, langsam, fast feierlich – hin und wieder schallte der blökend-plärrende Zornesschrei eines Lastkamels, das Wiehern eines Pferdes, das Brüllen der Rinder und Blöken der Schafe. Hundeblaff dazwischen.

Reges Leben herrschte auch an den Steppenbrunnen, die von Zeit zu Zeit auch in der Salzsteppe gefunden werden und den Zugtieren als Tränke dienen. Dort wimmelte es von Menschen verschiedenster Art, verschiedenste Sprachen wirrten durcheinander, Rufe, Flüche, Gelächter, Brüllen der Tiere.

Der Mensch der Steppe ist hart wie sein Vieh. Schafe und Rinder weiden, wenn nicht ausnahmsweise hoher Schnee liegt, fast den ganzen Winter draußen, besonders die Schafe. Nur die feineren Merinos kommen in Pferche und Ställe, ebenso die Pferde und Schweine – für ganz kurze Zeit auch die Rinder. Die Fettschwanzschafe der Kosaken und Tataren, der Kalmücken und Russen bleiben ebenso fast den ganzen Winter in der Steppe wie die Fettsteißschafe der Kirgisen. Bei jeder Schafherde befinden sich einige Ziegen und ein Ziegenbock, ein großer, stolzer Kerl mit großen Hörnern, als Leiter in Steppenbrand- und Wolfsgefahr. Der Hirte wohnt in irgendeinem Wohnwagen oder in einem Zelt, einige Hunde sind bei ihm – das ist alles.

Ställe gibt es in der Steppe kaum – wenigstens nicht im Sinne westlich-europäischer Viehhaltung. Die Schweine weiden neun Monate und länger in der Steppe und kommen im Winter in einfache Ställe, deren Türen fast stets – wenigstens am Tage – offen stehen. Die Wände dieser Ställe sind aus »Saman« – einem Ziegelmaterial aus Löß und Stroh, das ungebrannt ist, aber sehr haltbar. Stein- oder Holzpfosten stützen die Ecken. Das Dach ist aus Schilf oder Stroh. Gefüttert wird nur draußen, auf dem Hofe, an langen Trögen. Ähnlich sind die Schaf- und Rinderställe, und auch die Pferdeställe weisen meist nicht viel mehr Bequemlichkeiten auf. Pferde und Vieh sind im Winter zottig – aber gesund; die Schafe geben die meiste und beste Wolle der Welt.

So etwa leben auch die Menschen. Sie sind hart, wie ihr Vieh; sie leben – fast wie ihr Vieh. Der russische Bauer, der Tatar, der Kosak leben am bequemsten: in Hütten, in Häusern gar, die heizbar sind und deren Ofen mit »Kisjak« – getrocknetem Mist – geheizt werden. Der beste »Kisjak« ist von Schafen, dann kommt der Kamelmist, der Kuhmist; Pferdemist taugt nichts.

Der Kalmück lebt in Erdhütten, sogenannten »Semljanki«, die gleichfalls heizbar sind, oder in Zelten aus Häuten und Filz – ähnlich wie der Kirgise, der den Erdboden noch mit Teppichen belegt.

So wächst ein starkes, an sich gesundes Volk heran; denn alles, was schwach und krank von Geburt ist, geht zugrunde – bei Mensch und Vieh. Nur die vielen Seuchen raffen jährlich Vieh und Menschen, einmal in diesem, das andere Mal in jenem Distrikt, hin, und die Kulturübel, die auch hier im wilden Steppenlande des Ostens Einzug gehalten haben – Blutkrankheiten, Alkohol und übermäßiger Genuß von Tabak –, fordern ihren Tribut.

So herrscht von Zeit zu Zeit die Rinderpest, dann kommt die Beulenpest und Lungenpest der Menschen, dann wieder Milzbrand beim Vieh, Klauenseuche, Pferde- und Schafräude, Pferderotz und Schweinepest, Rotlauf und Lungenseuche bei Rindern, Pferden, Schweinen – dann wieder Fleckfieber und Cholera bei den Menschen – alles von Zeit zu Zeit und in bunter Folge.

Dann hat der Wolf ein gutes Leben, wenn Seuchen herrschen und großes Sterben. Er findet aber auch sonst manchen Bissen; denn es dringt sich besser ein in Pferche als in feste Ställe und Viehburgen, und ein Schaf aus der Weideherde ist im Wintersturm bald geholt …

Die Steppe selbst ist ein ödes, welliges oder ebenes Grasland, das nur dort, wo Salzstellen sind, leer und unbewachsen oder nur mit Salzpflanzen bestanden ist. Bäume, Sträucher fehlen ganz – nur der hohe Burjan bringt etwas Abwechslung und die Täler – die Balki –, in denen manchmal hoher, dichter Burjan, manchmal Schilf wächst. Nur selten, sehr selten sieht man bebaute Äcker, darin Hütten und Dörfer, noch seltener ein besseres Haus und einen größeren Hof, der gute Gebäude hat: die Wirtschaft eines Pferdezüchters, eine Zuchtstation, ein Remontedepot. In großen Abständen, am großen Trakt aber liegen die Stanizen der Kosaken, große, Dörfer oder gar kleine Städtchen.

Das ist die Steppe.

Durch diese Steppe zum Markt in Astrachan ritten Kusma, Alexei und Fedor. Es lohnte sich diesmal: Kusma brachte acht Pferde zum Handel, ferner drei seines Nachbarn Kulischow; Fedor trieb sechs Rinder und zwei Pferde vor sich her und Alexei drei Rinder und vier Pferde.

Am Abend des vierten Tages lagerten die drei an Brunnen in der Steppe allein. Sie hatten sich ein kleines Feuer angemacht, saßen, in Decken und Pelze gehüllt, am Boden und aßen. Weitab war der große Trakt, auf dem Kamele und Rinder brüllten.

Kusma blickt nach dem Blutstreifen im Westen. Dort, wo der letzte Glanz der untergegangenen Sonne, zeichnet sich violett ein großer Hügel ab – ein Hünengrab, ein Kurgan. Nur in Runsen und Einschnitten liegt Schnee, der ein wenig rosa und lila flimmert oder bläulich zu phosphoreszieren scheint.

»Da – ist er wieder!« flüstert Alexei.

»Ja – da ist derselbe Wolf«, bestätigt Kusma. »Schon seit zwei Tagen folgt er uns.«

»Er ist hellgrau und riesengroß«, meint Fedor Balaschow.

»Den kenne ich lange«, sagt Kusma nachdenklich. »Das ist mein Schicksalswolf.«

»Schicksalswolf?«

»Ich meine nur so …« sagt Kusma. »Weil er mir so oft folgt.«

»Derselbe, der uns damals den Windhund zuschanden biß«, ergänzte er nach einer Weile, neuen Kisjak ins Feuer werfend.

»Woher weißt du das, Onkel Kusma?«

»Ich ahne das.«

Damit hüllte sich der alte Kosak in Pelz und Burka, drehte sich auf die Seite und schloß die Augen. Fedor tat ein gleiches – nur Alexei wachte.

Der Hügel war leer. In der Ferne aber tönte ein schauriges, tiefes Heulen.

Bei einem gefallenen Pferde, das in der Steppe liegengeblieben war, hatte Würgezahn Kameraden gefunden: Mordzahn, den rötlichen Rüden, einen echten, kleinen Steppenwolf, dessen Bruder Schneidebiß und zwei andere Artgenossen, die ihm bekannt vorkamen – einen Rüden und eine Betze. Der Rüde war grau und fast so groß wie Würgezahn und ein verträglicher Weggenosse. Die Betze war klein, rötlich, giftig, boshaft und wild.

Das aber waren Zangenbiß und Blutzunge, Würgezahns Bruder und Schwester, die sich hier eingefunden hatten.

Erst gab es eine wüste Beißerei zwischen Mordzahn und Würgezahn. Würgezahn blieb Sieger. Dann vertrug man sich, und alle ordneten sich Würgezahn unter. Erst fraß sich Würgezahn voll, dann Blutzunge. Dann kamen die anderen daran. Zwar knurrten sie sich an bei der Mahlzeit, und fletschten die Gebisse – aber Würgezahn hielt Wacht und schlichtete jeden Streit. Bei den Wölfen gibt es festes Recht und feste Sitte. Dem Anführer gehorcht alles.

Nachdem der Gaul aufgefressen war, daß nur noch starrende Rippen herumlagen, lief die Wolfsbande weiter nach Westen. Sie überfiel einen Pferch und raubte drei Schafe, fraß den Kalmücken – zehn Wegstunden weiter – ein Fohlen auf, riß bei den Kirgisen am großen Salzsee ein Schaf und zwei Hunde und würgte aus einer Karawanenherde drei Kälber ab.

An diesem Tage fanden sich noch drei weitere Wölfe bei der kleinen Rotte ein: ein kleiner, bräunlicher Rüde, der gleichfalls Würgezahn bekannt vorkam, und zwei Betzen. Sie schlugen sich ohne weiteres zu Würgezahns Schar, erkannten ihn willig als Häuptling an und trabten mit.

Das aber waren Schnappefang, Würgezahns Bruder, Schafraube und Kalbschrecke, Wölfinnen aus der Kalmückensteppe, die hierher verschlagen waren.

Acht Wölfe waren wieder beisammen. Acht Wölfe sind eine Macht.

Nun wurden die Räubereien furchtbar für Mensch und Vieh. Die größten und bösesten Hunde schützten nicht mehr, die größte Wachsamkeit half nicht. Da die Wölfe sehr vorsichtig waren, gelang es auch nicht, den einen oder anderen zu Schuß zu bekommen. Sie kamen stets bei Nacht, zeigten sich bei Tage nie. Heute überfielen sie einen Pferch bei Glinjanskaja, morgen am Salzsee, den nächsten Tag bei Udatschnaja – einige Zeit später beim See Bakuntschak oder gar beim Tschorny-Jarj. Der Winter war hart, sehr hart.

Er brachte schweren Frost, aber wenig Schnee. Dann aber kam – die Zeit, die andere Zeit.

Eines Tages hatte Schnappefang beim Kirgisenlager etwas gefunden, was ihn besonders reizte.

Es war ein Ding, das so komisch roch, dabei so aufreizend, daß er nicht widerstehen konnte. Es roch nach Fisch und doch wieder anders.

Trotzdem er satt war – noch vom Tage vorher –, nahm er das Ding auf und fraß es.

Dann trabte er den Genossen nach. Nach einer kurzen Weile fühlte er ein Unbehagen. Er erbrach, würgte den letzten Schleim hervor.

Der Schleim war sehr bitter.

Nun konnte er den andern schon nicht mehr folgen. Er taumelte, es wurde ihm schwarz vor Augen – ein furchtbarer Krampf zerrte an seinen Gliedern. Kalt kroch es an seinen Läufen herauf – sein Gang wurde steif.

Plötzlich fiel er um – starr, mit verkrümmtem Rücken.

Die anderen kümmerten sich nicht um ihn. Sie trabten weiter; denn der Morgen graute schon, und sie wollten den Burjan am Fluß erreichen.

Noch hörte Schnappefang das Brüllen der Rinder, die an der Wolga zusammengetrieben wurden – dann sauste es in seinen Ohren – die Sinne verließen ihn.

Es lebten nur noch sieben Wölfe am Nebenarm der Wolga. Im Schilf von Wetljaninskaja verbargen sie sich vor dem Tage.

Es kamen aber zwei Kalmücken des Weges am Morgen; Narankusch und Darsha, die fanden den toten Wolf und zogen ihm den Balg ab. Den Kadaver aber ließen sie den Krähen.


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