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Schicksal

Ein Dorf in Polen. Kosaken auf der Straße. Gelächter und Fluchen. Sie fühlen sich wie in Feindesland, die Reiter. Überall sieht man sie in ihren braun-grauen Röcken, blauen Hosen mit breitem, rotem Streifen umhergehen, dies oder jenes schleppend, Plünderungsgut.

Sie sind auf dem Rückzuge – drüben, hinter den Bergen, wütet noch die Feldschlacht. Dort halten die Letzten stand: sibirische Schützen und turkestanische Infanterie. Nicht lange mehr – die Deutschen drängen nach, umgehen die Nachhut, schließen sie ein …

Die Kosaken haben Eile. Sie raffen zusammen, was zu erraffen ist, Geld, Decken, Lebensmittel, Hühner, Gänse. Drei Juden liegen erschlagen auf der Dorfstraße – man hat ihre Läden geplündert.

Wehgeschrei im ganzen Dorfe. Vergebens bittet und fleht der katholische Geistliche. Die Kosaken lachen.

Vergebens beschwört der Rabbiner die wilden Reiter mit hocherhobenen Händen. Die Reiter lachen und reißen ihm den Bart aus.

Neue Kosaken kommen, Dragoner, fliehende Artillerie. Ambulanzen mit Wunden, Sterbenden, Ärzte in leinenen Kitteln mit rotem Kreuz am Arm.

Ein alter Wachtmeister neben dem verwundeten Jessaul.

»Ihr Hundesöhne! Werdet ihr wohl das Plündern lassen?« schnauzt der Jessaul.

»Euer Hochwohlgeboren – wir haben seit vorgestern nichts im Magen«, murren die Leute.

»Lassen wir sie, Herr Rittmeister«, meint der Wachtmeister. »Hier ist doch nichts zu retten. Man hat befohlen, das Dorf in Brand zu stecken.«

Kusma treibt seinen roten Hengst an und reitet in die Menge der Plünderer: »Daß mir keiner mitnimmt, was ihn beschwert! Nur leichte Dinge! Weg da mit den Kupferkesseln! Weg da mit dem Zeug! Verfluchte Bande – wollt ihr, daß die Preußen euch spießen? Sie sind bald hier! Nur Freßzeug nehmt mit – meinethalben ein wenig Münze oder so was …«

Der Alte hat Respekt. Vor diesem roten Gesicht, vor dieser dunklen Stirnnarbe, vor diesem riesigen grauen Schnauzbart und den fünf Georgskreuzen auf der Brust scheuen sie alle zurück …

»So – jetzt zu dreien abgebrochen – ordentlich! Marsch!«

Die Kosaken bewegen sich in Reih und Glied auf der Landstraße hin. Mitten zwischen ihnen Dragoner, Husaren …

Kein Lied, kein Lachen. Leises Fluchen, Schimpfen. Leises nur …

Denn hinter den siebenundsechzig Mann reitet Kusma, der alte Wachtmeister.

Das Dorf hinten brennt lichterloh …

Ruhe auf Flucht und Rückzug. Kein Kanonendonner mehr, kein prasselndes Kleingewehrfeuer. Die Truppen werden rangiert. Rekruten werden eingestellt, Ersatzmannschaften, frische Pferde. Pferde und Leute vom Don, von Kusmas Heimat …

Es haben viele, viele gefehlt, als Kusma die Sotnja zählte. Foma Denissow, Andrei Balaschow, der Bruder Marias, Kusma Samochin, Andrei Sanin, viele, viele Leute vom Ural, fast ebenso viele vom Don.

Sie ist ganz gemischt, die Sotnja; Leute vom Don, vom Ural, vom Kuban sind darunter. Leute mit gelben, blauen und roten Hosenstreifen. Aus allerhand Truppen hat man das Regiment, die Sotnja, ja – den Zug zusammengesetzt. Das kommt vom Kriege, von den wilden Hauereien mit den »Roten Teufeln«, den ungarischen Husaren, deren Pferde schneller als die der Kosaken, deren Wut und Mut fürchterlich ist. Das kommt von den zornigen, preußischen Ulanen und der Artillerie, die die Fliehenden mit Schrapnells beschoß …

Feierabend nach schwerem Dienst. Eine Hütte im Polendorf.

Ein altes Weib am Tische – vor ihr drei Kosaken.

Auf dem Tische Karten, Schicksalskarten.

Der Herzkönig in der Mitte. Piquebube, Piquekönig – viele schwarze Karten, mehr schwarze als rote …

»Keine guten Karten, Wachtmeister«, murmelt das Weib.

Dann legt die zahnlose Alte für Kulischow das Spiel. »Viel Mühen, Unteroffizier, viel Kummer. Und fremdes Land – nicht heute, nicht morgen – erst viel später … Du trennst dich von der Herzkönigin … Eine große Änderung im Leben – später … Viel, viel Blut auf deinem Wege, viel Tränen …«

»Und ich?« fragt der Wachtmeister.

»So – ich sagte es nicht zu Ende«, antwortete die Polin mit tückischem Blick. »Du wirst viel Blut sehen auf deinem Wege. Viel Kummer.«

»Um was?«

»Um dein Land, um deinen … Lassen wir's. Es folgt dir das Verhängnis. Mord, Brand sind bei dir. Ruhm hast du, wirst du haben bis – zum Ende.«

»Das Ende?«

Die Alte träufelt einige Tropfen Tinte auf den Tisch, starrt in den schwarzen, glänzenden Spiegel.

Schweigen. Nur die Wanduhr tickt leise.

Dann die Stimme der Hexe: »Ich sehe ein Land ohne Bäume, ohne Strauch …«

Die Stimme der Polin klingt hohl, dumpf – wie aus der Ferne.

»Ich sehe einen Fluß, ein brennendes Dorf. Ich sehe Reiter. Die Reiter sind ernst, sehr ernst, sehr traurig. Ich sehe einen hohen Hügel in dem kahlen Lande. Da ist ein einzelner Reiter – die anderen sind fort.«

»Und wie sieht er aus, der Reiter?«

»Wie Ihr – Wachtmeister. Nur noch weißer ist Euer Haar, Euer Bart …«

»Weiter!«

»Ich sehe auf einem anderen Hügel ein graues Tier … Es bewegt sich, es steht oben, es starrt nach dem einzelnen Mann hinüber. Es ist ein Wolf. Ein großer Wolf …«

»Verdammte Hexe!« schreit der Wachtmeister und wirft einen halben Rubel auf den Tisch.

Die Kosaken verlassen die Hütte.

Wie stets am Sonnabend, brachte Nasar Kurmakajews Sohn die Post von der Staniza. Er brachte sie auch in das Kosakendorf, wo Maria Fedorowna, die Tochter Fedor Balaschows, seit anderthalb Jahren auf einen Brief von ihrem Gatten wartete.

Im ersten Jahre hatte er oft geschrieben, Foma Kulischow. Dann aber waren seine Briefe ausgeblieben …

Heute aber gibt Ibrahim Kurmakajew einen Brief ab. »Für Maria Fedorowna«, näselt er und geht.

Fremde Schriftzüge, steife, unbeholfene.

Maria kann nicht lesen. Man geht zu Väterchen Tschernomosgow, dem Popen. Der prüft den Poststempel, setzt seine Brille auf, öffnet den Umschlag und liest mit halblauter Stimme:

 

»Im Felde, Herbst 1916. Es grüßt alle sehr herzlich und verbeugt sich Onkel Kusma. Ich habe jetzt mein fünftes Georgskreuz, und die Medaille vom Auge des Herrn habe ich auch. Auch Foma hat das Georgskreuz bekommen. Aber er ist nicht mehr in der Sotnja und nicht mehr bei mir; denn er ist in Preußen geblieben. Er war sehr tapfer, und wir waren alle zufrieden mit ihm, und er ist gelobt worden von den Offizieren. Er hat auch nie unnötig geplündert und gebrannt; denn er war ein guter Soldat. Sein Pferd, die ›Mascha‹, hat der Kosak Iwan Kustarew bekommen, ist in guten Händen, hat drei neue Eisen bekommen gestern. Wir haben Foma nicht begraben können, denn die preußischen Ulanen waren uns auf den Hacken. Aber die Preußen werden ihn wohl beerdigt haben; denn sie sind ein christliches Volk. Wir alle grüßen euch und verneigen uns tief und wünschen allen das Beste. Maria soll nicht weinen, wir müssen doch alle sterben. Kusma Jegoritsch.«

»Nachschrift: Die ›Mascha‹ hat vier (nicht bloß drei!) neue Eisen. Macht euch keine Sorge; Kustarew reitet gut.«

 

Der Pope seufzte und sprach voller Salbung: »Gott hat dich hart geprüft, mein armes Kind.«

Maria stand auf. Sie hatte keine Tränen …

»Er fiel für sein Vaterland«, meinte Fedor Iljitsch, um etwas zu sagen.

»Was haben uns die Preußen getan, die Deutschen, die Österreicher, die Ungarn? Sie sind Menschen wie wir«, sagte der alte Iwan Kyrillowitsch.

»Wofür bluten unsere Menschen, weshalb töten sie diese Deutschen?«

»Das ist Gottes Wille«, sagte der Pope.

»Ein schöner Gott, der den Menschen befiehlt, sich gegenseitig zu schlachten«, klagte Galina Kulischowa. »Auch mein Mann ist in diesem verfluchten Kriege.«

»Die Deutschen sind ganz gute Menschen. In der Jurte, bei den Tataren, sind viele. Sie sind fleißig und anständig zu den Weibern.«

»Die Deutschen sind Kinder des Satans«, glaubte der Pope sagen zu müssen. »Das rechtgläubige Rußland führt Krieg gegen die Ungläubigen. Der Zar – Gott segne ihn – wird den wahrhaft rechten Glauben auch unter ihnen verbreiten …«

Maria floh – das Geschwätz des Priesters ekelte sie an.

In ihrem Hause warf sie sich vor dem Heiligenbilde nieder und weinte bitterlich.


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