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Aus- und Einbrecher

Der im Ambar, dem kleinen Speicher Kusmas, eingesperrte Verbrecher fühlte drei Dinge: Langeweile, Angst und Kälte. Es war ja schon November, und der Steppenwind war schon recht unangenehm, wenn er durch die Ritzen des Häuschens pfiff. Auch war die Nachbarschaft zweier knabbernder Ratten und der Geruch von Machorka, der hier in großen Bündeln von der Decke hing, von Heringen, die in einer offenen Tonne standen, von Naphtha und Petroleum, von weißgegerbten Schaffellen, von gedörrten und gesalzenen Kuhhäuten, von Birkenteer und ausgekochter, grauer Seife nicht gerade angenehm.

Das wäre aber alles wohl zu ertragen gewesen, wenn die Schnüre, mit denen ihn die Kosaken gefesselt hatten, ihm nicht arg die Handgelenke zerschnitten hätten. Ferner war die Angst peinigend, die Furcht vor dem Polizeisergeanten, der ja nun bald kommen mußte, um ihn zu verhören und nach der Staniza abzuführen. Iwan Trofimowitsch Kusnezow machte sich bittere Vorwürfe wegen seiner Dummheit: er glaubte alles gar fein gesponnen zu haben: hatte er die gutmütigen und geradsinnigen Kosaken einmal auf die Spur der flüchtigen Genossen gejagt, so war der Verdacht von seiner Person abgelenkt, und gleichzeitig hatte er sich an den betrügerischen Genossen gerächt. Ferner aber hätte sich vielleicht Gelegenheit gefunden, irgend etwas im Dorfe zu entwenden, wenn erst die Kosaken fort waren.

Nun aber waren alle Pläne zerstört: die Kosaken würden wahrscheinlich zu spät kommen und die Flüchtigen nicht mehr einholen, er selbst aber würde wieder nach der Katorga wandern und keine Gelegenheit haben, irgend etwas im Dorfe zu stehlen. Langsam dämmerte in Iwans Schädel die Erkenntnis auf, daß der lange Lette doch vielleicht nicht so ganz unrecht damit gehabt hätte, wenn er ihn immer das »Schaf« nannte, und daß er sich doch sehr in den Kosaken getäuscht hätte, indem er sie für gar zu harmlos hielt.

Bei solchen immerhin heilsamen Grübeleien war schon eine geraume Zeit vergangen. Kusnezow, der durch eine Ritze lugen konnte, sah, daß es draußen finster wurde, daß die Nacht hereinbrach.

Er wälzte sich über den Fußboden bis zu einer Bank, auf der er eine Sense gesehen hatte, brachte seine auf den Rücken gebundenen Hände mit unsäglicher Mühe an die Schneide der Sense, schnitt sich gehörig – erreichte aber nach einiger Zeit, daß seine Hände frei wurden. Dann schnitt er die Stricke an seinen Füßen durch, reckte sich, schüttelte sich und begann vorsichtig die Bretter des Fußbodens aufzubrechen und einen Ausgang zu schaffen.

Dies gelang sehr leicht, denn der Speicher war nicht fundamentiert, sondern ruhte nur auf einzelnen Steinen. Kusnezow sah sich um, erkannte, daß alles schon dunkel war, bemerkte auch keine Hunde auf dem Hofe, sah, daß die Knechte mit den Mädchen bei der Lampe in der Küche saßen und Tee tranken, begriff also, daß seiner Flucht eigentlich nichts im Wege stand.

Da er aber Hunger verspürte und ihn auch fror, beschloß er, sich ein wenig zu versehen. Er nahm einen großen Beutel von der Wand, füllte ihn mit Heringen und Rauchfleisch, einen zweiten aber mit Machorkatabak, Brot und allerlei anderen Dingen, nahm auch einen roh gegerbten Schafpelz, wie ihn die Kosaken zum Reiten tragen, und eine nagelneue Papacha mit, auch ein Paar Handschuhe, ein Paar Stiefel und ein Paar Hosen, hing seine zerfetzte Jacke und seine zerrissenen Beinkleider an ihre Stelle, hinterlegte ein seltsames und wenig appetitliches Andenken in der halbvollen Heringstonne und – suchte das Weite …

Achtundzwanzig Werst sind nicht viel für Wölfe, sagten wir.

Während Kusnezow durch die östliche Pforte schlüpfte, um sich nach dem Städtchen zu begeben und dort die Bahn zu erreichen, schlieften acht graue Gestalten durch das westliche Tor.

Der brave Hofhund »Chrabryi«, dem man das Alter und die gute Kost bei Onkel Kusma wohl ansah, hätte es sich nie träumen lassen, plötzlich vor der engen Pforte zum Jenseits zu stehen.

Das ging alles so fix vor sich, daß ihm nur Zeit blieb, einmal aufzukreischen – denn schon war er gevierteilt, geachtteilt – und in den Mägen der hungrigen Wölfe verschwunden.

Die Knechte, die den Lärm gehört hatten, rannten vor die Tür, die Weiber schrien, im Stalle brüllten die Kühe – ein Schuß knallte – acht fahlgraue Irrwische sausten über den Hof, flogen über das Pferch – verschwanden in der Steppe.

Laternen blitzten auf, verstörte Leute schrien durcheinander.

Eine Blutlache am Boden – weiter war nichts zu sehen.

Doch, doch; nämlich die Hinterbeine des tapferen »Chrabryi« und sein Stummelschwänzchen …

Als aber die Knechte entdeckten, daß auch im Ambar nicht alles seine Richtigkeit hatte, krochen sie gar ängstlich in eine Ecke zusammen.

Denn sie wußten recht gut, daß Kusmas Nagaika bitter zuhaute. Daß aber besagte Peitsche zuhauen würde, war allen klar.

Und darum schnürten die beiden Leute ihr Ränzel und entwichen bei Nacht und Nebel in der Richtung nach Uralsk.

Neben dem Dörfchen Kusmas lag das Dorf der Tataren, sagten wir.

Auch dort hatte der Lärm gewirkt – die Dorfstraße wimmelte von Menschen. Da war Dshabeiew auf den Beinen, der fromme Mullah, auch Abdullah Keremejew, Hagar, sein Weib, Abram Ischkin, Nasar Kurmakajew, Nassibulah Keremejew und Mohammed Ischkajew, Kalemulah Dshabeiew und wie sie alle hießen – rannten durcheinander.

Finster ist die Nacht. Nur drüben sind Laternenblitze zu sehen.

Bei den Kosaken ist was los – die Männer sind fortgeritten. Das wissen die Nachbarn.

Brave Nachbarn kommen zu Hilfe. Darum rannten die Tataren, nachdem sie sich, so gut es ging, bewaffnet, hin. Mitsamt ihren Kötern.

Geschrei, Schimpfen, Gekläff, Geheul.

Abram Keremejew war zu Hause geblieben. Er war alt und gebrechlich, und – draußen war es kalt. Das ist nichts mehr für alte Leute, solch Wetter und solch Abenteuer.

Abram Keremejew setzte sich an die Lampe, beim warmen Ofen, und fuhr fort, im Koran zu lesen.

Nur von ferne tönt jetzt Geschrei.

Plötzlich ist's dem Alten, als wäre Lärm im Stalle.

Ein Hund bellt – schreit auf – Hammel blöken, es rumpelt – ein Kamel brüllt …

Mit zitternden Händen nimmt Keremejew das alte Vorderladergewehr vom Nagel, öffnet das kleine Fenster und späht hinaus.

Ja – im Stalle ist Lärm …

Schwach sind die Augen des Alten. Aber er sieht doch, wie graue, flinke Gestalten über den Hof flitzen – sieht, wie sie etwas schleppen …

Er schießt seine alte Waffe aufs Geratewohl ab. – –

Zwei Hunde und zwei Hammel. Das reicht fürs erste. Acht platzendsatte Wölfe trotten langsam der Steppe zu.

»Verfluchte Bande!« schimpft der alte Kosak, als er die kläglichen Reste des überfallenen Goldgräbers sah. Es ist zweifelhaft, wen er meinte, die Mörder Sachar Winogradows oder die Wölfe – oder die einen wie die anderen. Die Kosaken scharrten die Reste des gemordeten Landstreichers ein, bekreuzten sich, beteten wohl auch ein wenig – wenigstens die jungen. Der Alte fluchte wohl mehr, als er betete.

Dann nahmen sie sorgfältig die Spuren wieder auf und fanden gegen Abend auch die zweite Mordstelle; denn scharfsinnig ist der Sohn der Natur, der Steppe, und nichts entgeht seinem spähenden Auge.

Den zweiten ließen die Kosaken liegen, wie er lag. Sie beteten auch nicht an seinem flachen Grabe.

»Schwefelbande!« brummte Kusma. »Erst schlagen sie den einen tot, dann hauen sie sich gegenseitig die Schädel ein. Gut so. Laß bleiben, laß gehen! Mögen sie sich alle untereinander totschlagen. Sie sind schlimmer, als die Wölfe, diese Kazapen …«

»Es wird zu spät sein – die anderen Lumpen sind schon längst fort mit der Bahn«, meinte Kulischow.

Kusma nickte. »Reiten wir heim«, meinte er. »Mag sich die Polizei weiter bemühen«, fuhr er fort. »Für uns ist das nichts.«

»Und herauskommen wird auch nichts«, meinte Iwan Korneiitsch.

Die Kosaken trabten heimwärts.


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