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10. Kapitel

Die Brusttaschen und die Taschentücher.

Vormittags acht Uhr ...

Soeben wird der Krankenstuhl der Frau Mildred Ganderlay durch einen Diener auf die Veranda geschoben, wo Mister Allan Ganderlay seine Tante bereits erwartet.

Die Greisin sieht heute frischer aus, und kaum hat sich der Diener entfernt, als sie in rührender Dankbarkeit stammelt:

»Allan, – das neue Pulver ist weit besser als das letzte. Aber ... ich habe nichts mehr davon. ... Gib mir ein Päckchen ...«

»Gern ... hier ist's, liebe Tante ...«

Allan Ganderlay ist zerstreut. Sein braunes Gesicht, dessen regelmäßige Züge ohne diese Sonnenbräune fast weibisch erscheinen würden, hat das Lächeln verlernt.

Sein Terrier und der Affe sind in dieser Nacht verschwunden, und das beunruhigt ihn, neben vielem anderen.

Wie zumeist trägt er eine lose Khakibluse mit aufgesteppten Brusttaschen, und in jeder Brusttasche steckt kokett ein buntseidenes Taschentuch.

Er füllt der Tante die Teetasse, schiebt ihr die Röstschnittchen hin und schlürft selbst nur ein Glas reinen Whiskys.

Durch sein rühriges Hirn flattert unausgesetzt derselbe Gedanke, der sich in dem Namen Harst konzentriert.

Nun, er hat seine Vorkehrungen getroffen ...

Seine Anhänger zählen nach Tausenden, und noch heute abend werden fünf Menschen mit Steinen an den Füßen im Nilschlamm liegen: Beatrix, Mansur und die drei Deutschen! Dann ist für ihn die Bahn frei!

Nur, – – wo sind der Hund und der Affe?!

Das macht ihn nervös ...

Er trinkt, raucht, spricht über geschäftliche Dinge, und die Greisin schnupft das glitzernde Pulver und lächelt selig. –

Der Tag ist warm, leicht windig, und der Garten, frisch gesprengt, leuchtet in wundervollen Farben.

... Wo sind der Terrier und der zahme Affe?!

Allan trinkt ...

Eine merkwürdige Unruhe macht seine Nerven zittern ...

Vorahnung?!

Hat Bill doch recht gehabt, daß ...

... Er fährt hoch ...

Ein Motorrad biegt in toller Fahrt in den Garten ein ... Hält ...

Beatrix springt ab...

Leichenblaß ...

Schweißtriefend ...

An der Treppe taumelt sie vor Schwäche ...

»Blanche, fliehe!! Harst weiß alles, – – ich wollte dich retten, du hörtest nicht auf mich ...«, – sie sinkt zusammen, ein kraftloses Bündel überreizter Nerven.

Allan Ganderlay ist fahl geworden ... Sein schwarzes, volles Haar sticht grell gegen das erdige Gesicht ab.

Die Greisin flüstert scheu:

»Beatrix, – – hier in Chartum?! Und das hast du mir verschwiegen, Allan?!«

Allan Ganderlay betupft die beperlte Stirn.

Dabei verschiebt sich die Perücke, und eine blonde Locke ringelt sich bis zur Nase – – wie eine Schlange.

Der Benzindunst des Motorrades streicht stinkend über die Veranda ...

Wieder flüstert die Greisin: »Allan, ich ...«

»Still!!«

Sie duckt sich scheu zusammen.

Allan wendet sich der Glastür zu, will ins Haus ...

Und prallt zurück ...

Auch die entnervte Greisin schreit auf ...

Drei Männer springen zu, Allan fühlt die Handschellen, und ein Blick unsäglichen Hasses trifft Harst.

Im Garten erscheinen wie hingezaubert bewaffnete Beamte, und mit einem hochmütigem Lächeln sinkt Blanche Tott wieder in ihren Sessel zurück.

Major Ali Mansur spricht die kalte Formel, die hier den Tod bedeutet: Verhaftung, Gericht, – – Strang.

Die ohnmächtig gewordene Greisin wird weggebracht, ein Protokollführer setzt sich an den Tisch, ein Arzt bemüht sich um Beatrix Neugold.

Harst schaut die große Verbrecherin still an.

»Blanche Tott, – wenn Weiber am Machtkitzel leiden, werden sie gefährlicher, skrupelloser, brutaler und heimtückischer als die vertiertesten Banditen ...«

»Schon möglich. Ist das Ihre ganze Weisheit?!«

... Im Hintergrunde erklingt das Schluchzen Beatrix Neugolds ...

Harst bleibt sachlich, kühl, überlegt.

»Sie hören Ihre Schwester weinen ... Rührt denn gar nichts mehr an Ihr Herz?«

»Nichts!«

Uns Männer überläuft ein Frösteln ...

»Blanche Tott, Ihre Lebensgeschichte ist ein tragischer Roman ... Ihre Eltern starben früh, Ihre Mutter, eine geborene Engländerin namens Ganderlay und Schwester der hiesigen Mildred Ganderlay, bat Frau Mildred auf dem Totenbett, für Sie zu sorgen.«

»Familienchronik!«, spottet Blanche belustigt.

»... Ihr ungezügeltes Temperament trieb Sie nach Amerika ... Reich werden, das war Ihr Wunsch! Und nebenher spukten wohl schon andere Pläne in Ihrem überhitzten Hirn...«

»Mein Hirn war nie überhitzt, stets eisgekühlt ...«

»Vielleicht ... Sie heirateten Tott, den Millionär, Sie bestahlen ihn. Sie gaben Frau Clairon das Geld, damit sie hier den Boden vorbereite ...«

»Ja – leider ... Sie war sehr unintelligent ...«

»Dann entflohen Sie Ihrem Gatten und veranlaßten Ihre Tante, die ohnedies Morphinistin war, aus rein praktischen Erwägungen aus Ihnen einen Neffen Allan Ganderlay zu machen, damit die Plantage durch einen Mann regiert würde ...«

»Tante hat nie etwas zu sagen gehabt ...«, bemerkte Blanche kalt.

... Im Hintergrunde weinte Beatrix Neugold ...

»... Es war schwierig, dem sagenhaften Blansery auf die Spur zu kommen ...«

»Das glaube ich, Sie haben Glück gehabt.«

»Nein, – Sie hatten Pech, denn Ihre Leute flohen hierher, nachdem sie Ihren Gatten niedergeschlagen hatten ...«

»Und dann schlichen Sie sich hier ein ...«

»... Und belauschten Sie ... Ich sah Ihre aufgesteppten Brusttaschen mit den beiden Taschentüchern. Zwei Taschentücher sind etwas viel, dachte ich mir, und da erkannte ich den Zweck: Die aufgesetzten Taschen sollten Ihre weiblichen Formen maskieren ...«

»Ah – – nicht schlecht kombiniert, Herr Harst!«

»Ich hörte die Unterhaltung mit Ihrer Tante ... Für mich steht es fest, daß Sie Frau Mildred sehr bald keine Rauschgifte mehr geliefert hätten ... Dann wäre sie gestorben ...«

Blanche schwieg.

Ein kalter, hochmütig-überlegener Zug prägte sich immer schärfer in ihrem Gesicht aus.

Ihre gefesselten Hände lagen im Schoße. Sie saß kerzengerade ...

»... Daß Sie Frau Clairon erschossen haben, sagten Sie selbst zu Bill ...«

Ich leugnete es nicht ab, – aber das ist ja einerlei, Herr Harst, wo haben Sie Minz, meinen Terrier, gelassen, – – und dessen Freund, den Affen?«

Etwas wie Sorge klang durch ihre Stimme, die sie jetzt nicht mehr verstellte.

Harald winkte ...

Im Garten erklang ein Bellen, und zwei Tiergestalten flogen auf die Veranda ...

Minz war mit einem Satz auf dem Schoße seiner Herrin, die jetzt glücklich lächelte ...

»Minz, ich danke dir ...«, sagte sie laut und klar.

»Herr Harst, Minz' Pfote erwies mir den letzten Liebesdienst ... Am meinen linken Unterarm ist das Schlangenarmband geschlungen, und – – es war frisch gefüllt, ich fühlte den Stich. Herr Harst, ich bleibe doch Siegerin ... Nehmen Sie sich meiner ... Tiere ... an ... und ...«

Ihr Körper zuckte ...

Die Sprache war nur noch ein Stammeln ... –

Die weiße Schlange starb durch eine weiße Schlange, und zu ihren Füßen kniete die schluchzende Beatrix, die alles daran gesetzt hatte, die Schwester von ihren verbrecherischen Pfaden wieder auf den schmalen Weg der Ehrbarkeit zurückzuführen ...

Auf der Veranda war's im übrigen totenstill.

... Die Fontäne plätscherte leise, die Palmen rauschten ...

Vom Nil herüber erscholl eine Dampfersirene ...

Minz, der Terrier, winselte ...

Der zahme Affe starrte wie gebannt in ein lebloses Antlitz ...

Die tote Blanche lächelte – – wie erlöst ...

Die Weiße Schlange war hinausgeschwebt über alle Eitelkeiten dieser bunten Welt ...

... Und die Palmen rauschten ...

... Und wir schwiegen ...


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