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9. Kapitel

Blanche Tott, Kaiserin des Sudan.

Drei Tage vergingen, und es geschah nichts.

Vor dem Elite-Hotel wanderten Polizisten auf und ab, die Neugierigen wurden immer seltener, zumal ein zweiter Zeitungsbericht gemeldet hatte, daß die Polizei aus den umliegenden Orten Verstärkungen zusammengezogen hätte und daß Major Mansur annähme, die Helfershelfer der Madame Clairon seien längst geflüchtet.

Von den zwölf Befreiten, von der hohlen Festungsmauer und vielem anderen erfuhr die Welt nicht ein Wort.

Und wir?!

Wir drei im Pensionat Tompson taten das Möglichste, jeden Verdacht zu zerstreuen, die Polizei hielte hier mit der Wahrheit zurück.

Unser Verhältnis zu unserer Hausgenossin Fräulein Doktor Neugold blieb – sagen wir – neutral. Harst hatte dem recht anmaßenden Blaustrumpf unter vier Augen erklärt, es widerstrebe ihm, eine Landsmännin vor der Polizei anzuschwärzen. Fräulein Doktor hatte überhaupt nichts geantwortet. Wir grüßten uns, wechselten, wenn unumgänglich nötig, die üblichen nichtssagenden Höflichkeitsphrasen, und – das war alles. –

Hatte Beatrix Frau Clairon erschossen, damit diese nichts verraten könnte? – Das blieb eine offene Frage. Harald äußerte sich dazu nicht.

Fred wieder, der doch damals das Elite-Hotel beobachtet hatte, versicherte nachdrücklichst, Frau Clairon sei nicht durch die Gasse in das Hotel geschlüpft, als wir sie »wecken« ließen. Anderseits war das Bett in der fünf Meter starken Mauer unberührt gewesen. Mansur nahm an, die Clairon sei in der Bar gewesen. Von dem Haremsflügel der Bar führte ebenfalls ein geheimer Zugang in die Mauerräume. – Harst schwieg dazu. –

Celeste Clairon wieder gab nichts, gar nichts preis. Bei Vernehmungen lachte sie höhnisch und drohte nur durch ungewisse Andeutungen.

Bill Tott trat nach wie vor auf. Die Bar hatte noch stärkeren Zulauf als früher, – kein Wunder. Acht von den Angestellten waren verschwunden, und der vom Gericht eingesetzte Verwalter änderte nur weniges an dem Betriebe. Jedenfalls konnte Bill Tott nicht der Mörder der Clairon sein. Es war ermittelt worden, daß er sich zur selben Zeit in Omdurman befunden hatte.

Das Ganze war ein sehr trügerischer Frieden.

Mochte die Sonne auch genau so heiß wie sonst auf die Stadt zwischen den Nilarmen herniederbrennen, mochte auch der Karawanenstrom wie bisher von allen Oasen gen Chartum stocken und mochten auch die Straßen das gewohnte Bild darbieten, – – gleichsam hinter den Kulissen arbeiteten Kräfte, die zum Endkampf rüsteten.

In der Eingeborenenstadt standen die Männer mit finsteren Gesichtern beisammen, neue Gesichter tauchten auf, und nachts zogen Eseltreiber durch die stinkenden Gassen, deren Tiere schwere Lasten trugen und die Augen überall hatten. Weiße Papierschlangen mit Emaillepünktchen flatterten in die Hauseingänge zusammen mit englischen Pfundnoten, und der tadellos verkleidete Harst, dessen kräftiger Lastesel einen großen Lederballen schleppte, in dem ich Ströme von Schweiß vergoß, war dreimal dem vermummten ›Blansery‹, der echten weißen Schlange, dicht auf den Fersen. Ich selbst beobachtete durch einen Schlitz des Sackes, wie diese ›Blansery‹ ihre Schlangen und Geldscheine ausstreute. Aber Harst faßte nicht zu.

Die Zeit war noch nicht da.

Derweil mußte Fred, nun nachts ebenfalls ewig als schmieriger Farbiger auf den Beinen, das Fräulein Doktor bewachen.

Und auch sie schlich stets vor Mitternacht verkleidet davon und irrte durch die Eingeborenenstadt, als ob sie etwas suchte.

In der dritten Nacht konnten wir feststellen, daß sie jetzt mit Bill Tott zusammenarbeitete und daß der Kunstschütze drei Leute als Wache hinter sich hatte, auch Europäer, auch verkleidet, seine bezahlten Helfer, stramme Kerle wie er.

Im Eingeborenenviertel, in den Dörfern ringsum, bei den Nomadenstämmen gährte es.

Aber diese schwelende Glut eines Aufstandes hielt sich noch immer unter der Asche zurück und schickte keine Flamme empor in das Brennmaterial der erkauften Massenseele.

Der vierte Tag kam. Mansur wurde ungeduldig. Er fürchtete Blutvergießen.

Harst zerstreute seine Bedenken.

»Warten Sie ab, Mansur ... Sie werden zum Schluß einen hohen Orden bekommen und befördert werden.«

So nahte der vierte Abend mit bewölktem Himmel, fernen Gewittern und Sturm. Von Westen her fegte der Wind über die Wüste und trieb den feinen Staub bis in die strahlend hellen Straßen.

Im Blauen Nil war Hochbetrieb.

Gegen zehn Uhr trat Bill Tott auf.

Wir saßen im Zuschauerraum in einer dunklen Loge.

Tott schoß heute schlecht.

Seine Haupttricks mißlangen ... Der Beifall war mäßig. Tott lächelte verächtlich.

»Mansur, darauf habe ich gewartet«, flüsterte Harald. »Die Sache geht los ...!«

Bill Tott wohnte jetzt im Omdurman-Hotel im Nebengebäude, Erdgeschoß, Gartenseite.

Um elf Uhr verließ Tott sein Zimmer durch das Fenster und schritt zum Nil hinab, hinter ihm seine Wache: Drei amerikanische Detektive, wie wir bereits ermittelt hatten, immer verkleidet ...

Ein Maultierwagen, mit Säcken beladen, rumpelte ebenfalls zum Flusse und einer der Verladebrücken.

Tott traf sich mit Beatrix Neugold auf einem wracken Lastkahn.

Dann schritt er, einen Burnus über seinem gewohnten Cowboykostüm und einen bunten Turban um den Kopf, dem Gäßchen zu, in dem der Seitenflügel der Bar sich an die dicken Mauerreste lehnte.

Er blickte sich immer wieder um. Seine Leibwache war weit zurück. Es war nach Mitternacht, und die linker Hand im Staubsturm sich verbergenden Palmen der Gärten der Einzelvillen waren kaum sichtbar. Die Luft war voll feinsten Sandes.

Wir beide waren Tott vorausgeeilt. Harst ahnte wohl, wohin sich Tott wenden würde.

Wir lagen hoch droben auf der Mauerkrone zwischen Grasbüscheln, die Gesichter mit dunklen Schleiern bedeckt.

Tott kletterte unter und schräg an der Mauer hoch.

Plötzlich war er verschwunden.

Harst sprang auf. »Laufen – – Galopp!!«

Vor dem Elite-Hotel trafen wir Mansur.

»Schnell, – – die zwölf in die Zellen – – schnell, – – in Lumpen! Ist alles vorbereitet?«

»Alles. Sie sind schon dort ...«, meinte der Chef der G. P. P. stolz. –

Derweil hatte Tott sich noch behutsamer durch die uns bisher verborgen gebliebenen Räume bis in Madame Clairons Schlafgemach und Geschäftszimmer geschlichen. Seine Karbidlaterne beleuchtete die mit Brettern verkleideten Wände und die Seidenbespannung, – dann setzte er sich und starrte vor sich hin. Totenstille herrschte.

Ein gramvoller Zug lag um den brutalen Mund des Kunstschützen.

Minuten verstrichen.

Er horchte, hob den Kopf ...

Plötzlich öffnete sich die Tür nach dem Lagerraum, und in heller seidener Abendtoilette trat ein blondes Weib ein, an dessen nackten Armen zahlreiche kostbare Armbänder blinkten.

Sie lächelte ...

Ein Sphinxlächeln, – stolz, herausfordernd, lüstern, demütig, – alle Nuancen von Lächeln waren darin vertreten.

Wir, hinter der anderen durchlöcherten Tür lauernd, waren verblüfft ... Die sinnliche Schönheit dieses Weibes benahm den Atem.

Tott hatte sich erhoben.

Musterte die weiße Schlange ...

»Da bin ich«, sagte sie melodisch und neigte den Kopf in Demut. »Ich bin deinem Rufe gefolgt, Bill, obwohl ich der Polizei nicht traue ... Freilich, die Gefangenen stecken noch in ihren Löchern, und ...«

»Schweige!!«

Bill packte ihr Handgelenk ...

»Schweige, Blanche ...!! Wenn du nicht vor dem Gesetz noch immer mein Weib wärest, würde ich dich nicht schonen!!«

»Weil ... du mich noch immer liebst, Bill, – sprich doch die Wahrheit!«

Sie machte sich von ihm frei.

Er ließ es geschehen.

Er stand wie ein todwunder Stier da ...

Kampfstier in der Arena ...

Der Torero war Blanche ...

Ihr lüsternes Lächeln verstärkte sich ...

»Was verlangst du, Bill?«

»Immer dasselbe«, erwiderte er gequält. »Flucht mit mir, – – Flucht vor Harst!«

»Ah – – Harst!!«

Ein spöttisches Kichern ...

»Herr Harst, – – ah, den fürchtest du! Ich nicht.«

»Närrin!!«, rief er in jäh auflodernder Empörung. »Du bist genau wie diese eigenwillige, aufgeblasene Beatrix! Du warst immer so, nur – – machthungriger! Was hast du alles verbrochen ... Grauen müßte mich schütteln ...«

Wieder das Kichern.

»Müßte! Du liebst mich!!«

»Höre auf damit! Ich will dich retten, und du wirst gehorchen, oder – – du ... stirbst!!«

Achselzucken ... »Sterben?! Bill, das schreckt mich nicht ... Wer so viel wagte wie ich, hat den Tod stets neben sich ...«

Sie wandte sich kokett dem Spiegel zu.

»Bill, ein anderer Vorschlag ...: Kaiser des Sudan!! Lockt das, Bill?!«

Bill fühlte sich hier allzu sicher, aber sein Weib war in den letzten Jahren durch eine Schule gegangen, die ihr alle Kenntnisse der Unterwelt vermittelt hatte.

»Du bist toll!«, sagte er eisig. »Ich frage dich zum letzten Mal: Willst du sofort mit mir fliehen? Jetzt ist's noch Zeit ... Harst weiß nicht alles, obwohl er die Plantage Ganderlay besser kennt als für uns nützlich! Blanche, nimm Vernunft an. Harst war im Wohngebäude ... Ich zittere für deine Sicherheit ...«

Das traf.

Ihre Züge strafften sich ...

Unter Schminke und Puder trat gleichsam ein zweites Gesicht hervor. Trotzdem: Wer war diese Blanche?! Ich hatte sie noch nie gesehen ...

Sie überlegte ...

»Ist das wahr, Bill?«

»Ja ...!«

»Dann ... Dann allerdings«, – – und sie löste vorsichtig das weiße Armband von ihrem Handgelenk ...

»Hier, Bill ... Die weiße Schlange überreicht dir das Symbol ihrer Macht ...«

Sie hielt ihm die Schlange so hin, daß der flache Kopf mit den drei blitzenden Diamanten ihm entgegenfunkelte.

Er griff zu ...

»Ich danke dir, Blanche! Wenn du auch eine Mörderin bist, die Frau Clairon ...«

»Rede nicht über Belanglosigkeiten ...«

Plötzlich ließ er das Armband fallen ... –

Betrachtete seinen Daumen ...

... Blanche, – ich ... habe mich gestochen, und diese weiße klebrige Masse ...« – ihm versagte die Stimme, er taumelte ...

Ein Lachen gellte ...

Die Laterne erlosch ...

Wir stießen die Tür auf, stolperten über Bills Körper, rannten durch die übrigen Räume ...

Leer ...

Blanche war entkommen, obwohl alle Ausgänge besetzt gewesen. Es mußte noch einen weiteren geheimen Durchschlupf nach draußen geben ... Wir fanden ihn nicht. Mansur fluchte ... Tott war eine starre, leblose Masse, vergiftet von der Frau, die er liebte und die er hatte retten wollen.

Harst nahm Mansur und mich beiseite.

»Mansur, morgen oder besser heute vormittag werden Sie der weißen Schlange das gefährliche Armband, das mit ihr verschwunden ist, abnehmen können. Mein Wort darauf!«


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