Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
... Unser Kutscher schlief. Die beiden Maultiere beknabberten die Büsche.
»Setzen wir uns, mein Alter«, sagte Harald nachdenklich. »Ich muß bei einer Zigarette etwas Ordnung in das Chaos meiner Gedanken bringen. – Bitte, bediene dich ... Hier ist Feuer ... – Wir haben hier ja unversehens in ein nettes Wespennest hineingefaßt ... Wir wollten uns hier ausruhen, – und dann kam Pieter van Laarsen mit seinen aufreizenden Geschichten, dann kam Ali Mansur und schüttete uns sein bekümmertes Beamtenherz aus, daß er den »Wohltäter« nicht fassen könnte, dann plauderte unser alter Hausdiener von dem geheimnisvollen Blansery, wobei er sich mit dem verhunzten Namen fast die Zunge zerbrach, dann besuchten wir verschiedentlich die Bar, die mir von vornherein eine allzu glänzende Fassade hatte, – – und in der vorletzten Nacht schlich mir noch bei meinen vorsichtigen Streifzügen die gelehrte Beatrix nach, während in der Nacht vorher wieder Ismael Baruch »abgängig wurde« als einer der vielen, – und somit nahmen die Dinge jene Wendung für uns drei, die – gib acht – zunächst Wohl die Verwirrung verstärkte, dann aber urplötzlich Licht brachte, zumindest zwei kleine Lichtstrahlen.«
Er lächelte fein.
»Du wirst denken, mein Alter, ich rede jetzt ähnlich wie Beatrix Neugold, Doktor der Philosophie ...: Schwulst! – Vielleicht mit Absicht. Beatrix sollte nicht Neugold sondern Reugeld heißen ... Sie wird bitteres Reugeld bezahlen müssen für ihre Torheiten. Doch ich will nicht abschweifen. Betrachten wir das Geschehene ganz kühl kritisch ...«
Er lächelte nicht mehr.
»Es geht um sehr ernste Dinge ... Menschen verschwinden hier seit zwei Jahren, zumeist reiche Leute ohne Anhang, ohne Freunde. Im Eingeborenenviertel spukt nachts ein Wesen herum, das den Allerärmsten hilft, das großen Anhang gewinnt ... Ein Name geht flüsternd von Mund zu Mund: Blansery! Niemand weiß mit diesem Namen etwas anzufangen. Die Polizei ist besorgt und ratlos. Wir drei gehen zu Taten über. Wir klettern – ein blinder Zufall – gerade in das Lastauto, in dem auch Beatrix kauert ... Ein Teppich und ein betäubter Amerikaner fliegen in den Wagenkasten. Wir verlassen das Auto hier in nächster Nähe, Beatrix führt uns in das Gewölbe der Ruinen. Wir bringen Wendnor, den Ausgeplünderten, auf das Hausboot. Er erzählt von dem Armband, von der weißen Schlange. Und da kam der erste Lichtstrahl: Ich wußte, was Blansery heißen sollte, Blanche Serpent, die weiße Schlange, – von den Eingeborenen in üblicher Weise verhunzt, wie sie es mit allen Fremdwörtern tun – ... Wir beide kehren hierher zurück, und der nächste Mitspieler der Tragödie ist der Abgott aller entnervten Weiber: Bill Tott, der Kunstschütze! Er wird niedergeschlagen, gefesselt, geknebelt, und fünf braune Kerle enteilen gen Süden. Mein Fernrohr hält sie fest, ich sehe, wo sie verschwinden: Der zweite Lichtblick! – Bill Tott ist verdächtig schweigsam, Beatrix ist auch wieder da, – und hier beginnt das Dunkel von neuem, denn wir erinnern uns, wie Wendnor erklärte, er hätte Beatrix Stimme als die seiner eleganten geschminkten hellblonden Hochstaplerin wiedererkannt! – Was sollen wir von dem Fräulein Doktor halten. Sie ist genau zwei Jahre hier ansässig, ihre beiden Erdgeschoßzimmer erlauben ihr, nachts heimlich davonzuschlüpfen ... Sie kennt Chartum und ihre Umgebung wie ihre Tasche – wie die Tasche ihres Sportrocks. Sie spielt Theater, grob gesagt, sie tut, als ginge ihr die exakte reine Wissenschaft über alles, und – – sie schleicht mir nach, sie liegt in einem Wagenkasten, sie ist mit ihrem Motorrad abermals in der Nähe, als Bill Tott niedergeschlagen wird. – Aeußere dich, was hältst du von ihr?«
»Geschminkt und gepudert könnte sie in großer Toilette recht gut einen verführerischen Lockvogel abgeben.«
»Ist das alles? Ist sie die weiße Schlange, – ja oder nein?!«
Ich zögerte.
»... Ich möchte es bejahen, Harald.«
»Ich auch – vorläufig ... – Ich habe sie nun auf die Probe gestellt ... Ich habe ihr vorgelogen, sie würde polizeilich überwacht. Das stimmt nicht, obwohl sie einen Wächter hat, der entschieden mehr wert ist: Fred! Du kennst die Befehle, die ich ihm gab ... Ohne ihr Gepäck kann sie nicht fliehen sie wird es auch nicht wagen, etwa sofort zu entwischen, sie wird zunächst zum Pensionat zurückkehren und dann abwarten, ob die Luft rein und die Gelegenheit günstig ist ... Fred ist als Verfolger nicht abzuschütteln. Warten auch wir ab. – Und das Ergebnis des Bisherigen? Nun, der Wohltäter Blansery, der ewig dicht Vermummte, ist ein Weib ... Beatrix kann es sein. Beatrix kann zuerst im Separee des Hotels Elite den Amerikaner ausgeplündert und dann in anderem Kostüm den Abtransport Wendnors mitgemacht haben – im Wagenkasten. Wir verdarben ihr den Spaß. Wir haben festzustellen, ob Beatrix der Lockvogel aus dem Elite und ... eine gewissenlose Mörderin ist. Wir haben festzustellen, weshalb der ausgeplünderte Wendnor nicht angeben wolle, was ihm noch an Papieren entwendet ist, und weshalb Bill Tott genau so verschlossen war. Wir haben zu ermitteln, ob die Plantage dort im Süden wo ich die fünf Banditen verschwinden sah. etwa das geheime Hauptquartier der weißen Schlange ist und ob von dort dieses Massenaufgebot von Autos und Motorradlern zur Suche nach Wendnor abgeschickt wurde. – Ja, das sind unsere nächsten Aufgaben. Außerdem werde ich für alle Fälle jetzt unseren schlafenden Kutscher wachrütteln und ihn mit einem Briefe an Major Ali Mansur zur Stadt zurückschicken.«
Er begann zu schreiben. Er hatte Papier und Umschläge bei sich, und der Brief, vorsichtshalber in einer Geheimschrift abgefaßt, die der Beamte als Sachkenner unschwer entziffern konnte, wurde dem alten Araber mit einem so reichen Trinkgeld übergeben, daß wir hoffen durften, er würde seinen Auftrag genau und diskret erledigen.
Der Maultierwagen rumpelte davon.
Wir blickten ihm nach.
Harst schien trotz allem mit einer Teufelei zu rechnen und hatte wieder sein Glas an den Augen.
Plötzlich trat er einen Schritt vor und stellte sich auf einen Baumstumpf!
»Ein Auto, Schraut ...! Eine einzelne Person darin ...!! Nicht zu erkennen, – – zu weit ... Sie hält den Alten an ... Er sucht in seinem Kittel ... – Schraut, – – der Brief!! Das Auto rast davon, zur Stadt, und der Maultierwagen hat es genau so eilig ... Den Brief hat die weiße Schlange geschnappt, und wenn wir es nicht sehr schlau anfangen, gebe ich für unser Leben keinen Pfifferling mehr – – keinen!!«
– Zwei schäbige Eingeborene mit Traglasten schlichen durch Dornen und Gestrüpp und hatten ihre Waffen entsichert ...
Am Ufer des Weißen Nil lag in einer Bucht im Röhricht ein einsamer Kahn ...
Als die beiden müden Wanderer kaum fünfzig Meter gerudert hatten, zischte und pfiff es um sie her wie Hagelgeschosse ...
Lautlose Schüsse knallten aus dem Uferwalde, und der Kahn flüchtete schleunigst wieder in das Röhricht.
– Harst hatte recht behalten.
Es ging um unser Leben ...
Die Brut der weißen Schlange hatte tausend Augen.