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Was uns nach Chartum, der Hauptstadt des ägyptischen Sudan, geführt hatte, war glücklich erledigt. Das Geheimnis der Nilinsel war kein Geheimnis mehr, und wir hatten ein paar Tage friedlichen Ausruhens nach so zahllosen kritischen Stunden ehrlich verdient.
Harst haßt die Hotels. Wir fanden etwas außerhalb der neuen Stadtteile, die nach der Zerstörung Chartums durch die Mahdisten und nach der Wiedereroberung der Stadt entstanden sind, ein behagliches Pensionat, das von einer Bekannten unseres braven O-beinigen Pieter van Laarsen, einer Witwe namens Tompson betreut wurde.
Chartum ist bereits waschechtes Afrika mit dreißig Prozent Pariser Leichtsinn. Die unerträgliche Hitze während des Tages zwingt die Europäerkolonie, Nachtfalter zu werden, und unter den vornehmen Amüsierstätten war die Bar Zum Blauen Nil die eleganteste, besuchteste, teuerste und verworfenste.
Zum Blauen Nil ...
Es klang so poetisch ...
Der Name traf auch insofern zu, als Chartum dicht am Zusammenfluß vom Weißen und Blauen Nil am linken Ufer des letzteren liegt.
Aber hinter der Prunkfassade der Bar, die ein Kino, ein Kaffee, eine Tanzbar und den Klub International beherbergte, wohnten das Laster in Gestalt von Opiumpfeifen und nackten nubischen Tänzerinnen, wohnten zweifellos mehr dunkle Geheimnisse als selbst in den ältesten schmierigsten Eingeborenenvierteln.
In der Bar, die auch ein erlesenes Varieteeprogramm zeigte, trat damals als Hauptattraktion der Kunstschütze Bill Tott auf, genannt der bleierne Tod, ein Mann, der in Texas und Mexiko Cowboy gewesen sein wollte und nicht nur hervorragend schoß, sondern durch seine muskelstrotzende Gestalt und die kühne Brutalität seines Gesichts die entnervten Damen der Europäerkolonie unangenehme Vergleiche zu den diversen Gatten, Verlobten und sonstigen Gentlemen anstellen ließ.
Ohne Pieter van Laarsen wären wir nie auf die Bar in dem Maße aufmerksam geworden, wie dies nunmehr geschehen war.
Der Holländer, der einen Ramschladen besserer Art nebst Antiquitätenhandlung besaß, hatte in seiner behutsamen wortkargen Art darauf hingewiesen, daß seit zwei Jahren in Chartum einzelne reisende Fremde allzu häufig verschwänden, – was uns übrigens auch der ägyptische Polizeioffizier vom Geheimdienst, ein sehr hellhäutiger eleganter jüngerer Herr, bestätigt hatte, wobei er vorsichtig einflocht, daß in der Eingeborenenstadt seit langem Gerüchte von einem geheimnisvollen Manne umliefen, der sich als Wohltäter der Armen aufspielte und großen Anhang besäße.
Ich muß hier kurz etwas über die Mahdisten einflechten, jene religiöse Erhebung, die Jahrzehnte der Schrecken des Sudan war. Auch der Mahdi hatte seiner Zeit nur spärlichen Anhang gehabt, dann schwoll die Sekte an, eroberte im Januar 1885 Chartum, diesen Hauptknotenpunkt des Karawanenhandels, und konnte erst 1898 zurückgewonnen werden. Seitdem war die geheime politische Polizei allzeit scharf hinter jedem her, der nur irgendwie Verdacht erregte, ebenfalls wieder einmal »Mahdi« spielen zu wollen. Der Polizeioffizier als Chef des geheimen Ueberwachungsdienstes hegte tatsächlich die Befürchtung, daß sich neuerlich eine ähnliche Aufstandsbewegung gegen die Europäer und Aegypten vorbereite.
Er hieß Ali Mansur, bekleidete nach außen hin den Rang eines Polizeimajors, war jedoch in Wahrheit zumeist nachts in Verkleidung in der Eingeborenenstadt.
Diese Vorbemerkungen mögen genügen. –
Abends elf Uhr schlenderten drei Europäer in lichtbraunem Khaki die schöne Uferpromenade am Blauen Nil entlang und bogen kurz vor dem neuen Regierungsviertel mit seinen Prunkpalästen in eine der europäischen glänzend erleuchteten Geschäftsstraßen ein, in deren Mitte die Reklamelichtfluten der Bar Zum Blauen Nil, eines imitierten »echt türkischen« Harems von fünf Stockwerken, wie eine Orgie farbiger Raketen blitzten.
Kurz vor der Bar bog eine engere Straße ab, die vor den Resten der alten Festungsmauer Chartums endete. Teile der früheren Befestigungen hatte man stehen lassen, teils aus Pietät gegenüber Chartums blutiger Vergangenheit, teils aus Bequemlichkeit.
Die Gasse, in der wir drei uns hier befanden, enthielt zumeist Einzelhäuser mit Gärten von höheren Beamten. Sie war still und vornehm, und sie wirkte auch recht malerisch, da der Mond hinter den Ruinen der Festungsmauer stand und die Palmen lange Schatten warfen.
Harst, der zwischen Fred Steen und mir schweigend dahinschritt, hatte in den letzten zwei Nächten ohne uns nächtliche Ausflüge in passender Verkleidung unternommen und war bei diesen Nachforschungen recht erfolgreich gewesen. Er hatte zweifelsfrei festgestellt, daß im »Blauen Nil« in dem an die Festungsmauer sich anlehnenden Seitenflügel ein sehr rühriges Gehen und Kommen vermummter Gestalten geherrscht hatte. Hauptanlaß zu diesem Eifer bildete das neuerliche Verschwinden eines reichen ägyptischen Kaufmanns, der ein kleines Vermögen bei sich getragen hatte. Er hieß Ismael Baruch und hatte im Omdurman-Hotel gewohnt. Nebenanlaß war die Erzählung des alten arabischen Hausdieners unseres Pensionats, der unter dem Siegel der Verschwiegenheit den »Wohltäter«, den niemand kannte, mit »Blansery« bezeichnet hatte, – woher dieser seltsame Name, wußte er nicht.
Blansery?! – Wir hatten uns darüber umsonst den Kopf zerbrochen.
Als wir jetzt das Ende der Gasse erreicht hatten, holte Harst die Leine mit dem kleinen dreizinkigen Eisenhaken hervor, schleuderte den Haken über die Mauerkrone und kletterte als erster hinauf. Diese aus Schlammziegeln aufgeführte dicke Mauer war stark verwittert, und nachher konnten wir ganz bequem von Vorsprung zu Vorsprung bis in den kleinen Garten der Bar hineingelangen, der, mehr ein Hofraum, dicht mit Lastautos, Privatautos und anderen Gefährten angefüllt war.
Wir schlüpften sofort unter den Leinenplan eines Lastautos und hatten nun den Seitenflügel mit seinen kleinen vergitterten Fensterreihen und geschlossenen grünen Stabläden dicht vor uns.
Angeblich diente dieser Flügel als Wohnräume für die Angestellten, Artisten, Tänzerinnen und Musiker. Die Polizei hatte ihn wiederholt überraschend revidiert, jedoch nie etwas Verdächtiges entdeckt. Zur Zeit lag er tot und still da, – in der Bar herrschte Hochbetrieb, es waren heute zweihundert amerikanische Touristen eingetroffen, und Madame Claire Clairon, Besitzerin der vornehmen Neppbude, eine schwarzhaarige Walküre mit dem Benehmen einer Schmierenherzogin, würde die Globetrotter zweifellos gründlichst zur Ader lassen.
Während wir drei in dem finsteren Wageninnern noch geduldig die Mitternachtsstunde erwarteten, um dann in den verfänglichen Seitenflügel einzudringen, erschienen plötzlich vier Araber links von uns aus dem Eingang zum Eiskeller (Chartum hat längst eine Fabrik für künstliches Eis), – zwei trugen einen gerollten Teppich, und kaum hatten wir uns unter die im Wagen liegenden Bastmatten verkriechen können, als auch schon der Teppich auf uns herabpolterte, der Wagenmotor zu brummen begann und das Fahrzeug anruckte.
Das war nicht alles.
Bei unserer Flucht unter die Bastmatte war ich gegen einen menschlichen Körper gestoßen, und eine mir bekannte Stimme hatte in dem üblichen gezierten Tone geflüstert:
»Herr Schraut, ich bin's, Fräulein Doktor Neugold ... Ich habe mir gestattet, Herrn Harst in sorgfältiger Abwägung der mir durch mein Geschlecht gesetzten Grenzen bei seinen Ermittlungen, die mich natürlich nur vom rein psychologischen Standpunkt interessieren und die ...«
... Zum Glück fiel da der schwere Teppich auf mich herab, und auch diese wenig angenehme gelehrte junge Landsmännin schien gehörig eins auf den Hut bekommen zu haben. Sie verstummte plötzlich.
Stumm war sie entschieden reizvoller als bei Entfaltung ihres gelehrt klingen sollenden Kathedergeschwafels.
Zunächst kümmerte ich mich nicht weiter um sie, denn das Lastauto verließ nun surrend und knatternd den Hof und rollte mit uns und dem Teppich weiß Gott wohin.
Teppich ...!
Es war ein Teppich, aber mit Füllung, das hatte ich sofort gemerkt. Was in dem Teppich steckte, also mit eingerollt war, wog mindestens hundertdreißig Pfund und bereitete mir starkes Unbehagen. Das Verschwinden des reichen ägyptischen Kaufmanns Ismael Baruch weckte so allerlei unliebsame und ernste Gedanken bei mir, und daß Harald genau so dachte, zeigte sich jetzt bereits, während wir noch durch das Europäerviertel mit seinen großen Beleuchtungsmasten fuhren.
Plötzlich blitzte seine Taschenlampe auf.
Der geölte Leinwandplan über dem Wagenkasten erlaubte dies ohne weiteres. Harst erhob sich, beleuchtete uns kurz und sagte zu der etwas stupsnasigen gelehrten Landsmännin in mäßig gedämpftem Ton und mit noch mäßigerer Höflichkeit:
»Daß Sie mir in der verflossenen Nacht nachschlichen, war sehr unnötig. Fräulein Neugold ...«
»Bitte – Fräulein Doktor...! Ich ...«
»Machen Sie sich mit Ihrem Doktortitel nicht noch lächerlicher! Hier geht's um Menschenleben, nicht um gedrechselte Phrasen ...! Setzen sie sich dort in die Ecke und bedecken Sie sich mit einer Bastmatte, Sie sind uns gründlich im Wege.«
Das schlanke Mädel, das alles in allem, von ihrem Doktortitel abgesehen, nicht unübel war, gehorchte mit einer gereizten Kopfbewegung.
Fred Steen, unser langer Famulus, grinste schadenfroh ...
Er konnte Fräulein Doktor schon gar nicht ausstehen, und obwohl sie zuweilen so gnädig gewesen, im Pensionat Tompson ihn einer hoheitsvollen Anrede zu würdigen, nannte er sie stets nur äußerst respektlos »aufgezäumtes Kamel«, aber er meinte es damit nicht so arg und hatte ein gutes Herz.
Nun kam der bis an die Seitenwand des Wagenkastens hinabgerutschte Teppich an die Reihe.
Er war mit Stricken umschnürt, und schon die Größe und Schwere der Teppichrolle hatte bewiesen, daß – ein uralter Trick – ein Mensch darin fortgeschafft werden sollte.
Im Nu hatten wir die Stricke gelöst. – – im Nu den Teppich ausgerollt, – was fanden wir: Einen gut gekleideten Mann, der völlig bewußtlos war, einen Europäer!
Harst braucht nie lange Zeit, einen entscheidenden Entschluß zu fassen.
»Zusammenrollen!«, befahl er leise. »Ein paar Bastmatten mit einrollen! Schnell!«
Wir waren bereits in der Eingeborenenstadt, die Beleuchtung war hier mangelhafter, und Harst schaltete seine Lampe aus, damit nicht etwa der Begleiter des Schofförs, falls er sich einmal umdrehte, den Lichtschein unter dem Oelplan bemerkte
Den Bewußtlosen zogen wir bis zur Vorderwand und bedeckten ihn und uns mit Bastmatten. Harst hockte dort, wo die Seite des Wagenkastens zum bequemeren Beladen und Entladen in Bodenscharnieren nach außen herabzuklappen war. Ich saß neben ihm und stützte den Ohnmächtigen, dann kam Fred und in der Ecke Beatrix Neugold. Fred Steen befand sich also unmittelbar neben seiner »Freundin«
Harald blieb eine Meile stumm und schien feststellen zu wollen, welche Richtung wir einschlugen.
Die Stadt, selbst die ausgedehnten Vororte, lagen hinter uns.
»Ich kann nichts sehen«, raunte er mir zu. »Die Gefahr, daß wir in ein Eingeborenendorf hineingeraten, ist zu groß ... Wir müssen abspringen und den Bewußtlosen mitnehmen ... Schneide hinten den Leinwandplan auf ... Zuerst Steen, dann die Neugold. dann ich mit dem Fremden und zuletzt du, – vorwärts!«