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Die beiden braunen Halunken da vorn auf dem Fahrersitz kümmerten sich zum Glück nicht im mindesten darum, was hinter ihnen geschah. In der Stadt mochten sie vielleicht noch nach Verfolgern ausgeschaut haben, hier draußen zwischen den künstlich bewässerten und mühsam gedüngten Feldern und Dattelpalmenhainen fuhren sie ein mäßiges Tempo die durch Nilschlamm und Steinschotter mäßig gefestigte Landstraße entlang, – jedenfalls, wir wurden nicht bemerkt und befanden uns nun mit dem Bewußtlosen gut eine Meile außerhalb der Stadt. Nirgends zeigte sich ein Gehöft, nirgends auch nur ein Hirtenfeuer. Lediglich abseits auf einem dornigen Hügel erkannten wir die Ruinen eines der früheren Außenforts von Chartum.
Fräulein Doktor, die hier in Chartum seit zwei Jahren archäologische Studien trieb, erklärte uns, die Ruinen dort böten uns ein gutes Versteck. »Man wird doch zweifellos nach uns suchen, Herr Harst, und für mich steht es einwandfrei fest, daß Madame Claire Clairon, die Besitzerin der Bar, mit dem geheimnisvollen »Blansery«, von dem unser Hausdiener so viel fabelt, in Verbindung steht und daß hier in Chartum eine großaufgezogene Verbrecherorganisation ihr Unwesen treibt. Mithin wird die Suche nach uns oder doch nach dem Fremden da mit allen Mitteln betrieben werden, und ...« »Danke ... Also zu den Ruinen!«. – und Harald lud sich den Mann auf die Schultern.
Wir waren kaum von der Straße hinter einer Bodenwelle untergetaucht, als aus der Richtung, wohin das Lastauto längst entschwunden war, zwei grelle Scheinwerfer aufblitzten.
»Hinwerfen!«, befahl Harst ...
Es war ein Privatauto, ein großer dunkler Wagen ... Am Steuer saß eine vermummte Gestalt, – wie ein Blitz fegte das Auto vorüber ... Die Nummer war nicht zu erkennen. Es konnte jedoch ein Fordwagen gewesen sein.
Nun, – in Chartum gab es mindestens dreihundert Privatwagen, und ob dieser wahnwitzige Fahrer irgend etwas mit uns zu tun hatte, blieb sehr fraglich.
Anders freilich verhielt er sich mit den beiden hinter ihm auftauchenden Lastautos und sechs Motorradlern, die die Straßenränder und die Straße selbst nach Spuren absuchten.
Harst war flink genug, noch vor dem Nahen dieser Kolonne unsere Fährten gründlich zu verwischen, trotzdem warteten wir die Entscheidung, ob unsere Spuren bemerkt werden würden, nicht ab, sondern eilten hinter dürftigen Anpflanzungen den Ruinen zu, wo Beatrix Neugold dann die Führerin spielte. Sie kannte all diese Plätze, an denen vielleicht wichtige Funde für ihr Werk über das alte Chartum zu machen waren, sehr gut, und zu unserem Erstaunen geleitete sie uns in ein gut erhaltenes Gewölbe, dessen verschütteter Eingang sich leicht durch ein paar Mauertrümmer hätte verschließen lassen. Dann erbot sie sich ganz von selbst, auf Umwegen zur Stadt zurückzukehren und das Auto des Pensionats auf einen Seitenweg zu bringen, damit auch der Bewußtlose, der sich jetzt ein wenig regte, unauffällig in die Stadt geschafft werden könnte.
Wie gesagt, Beatrix Neugold war intelligent, und sie hatte Harsts Absichten und Wünsche so halb und halb erraten. Er drückte ihr denn auch zum ersten Male herzlich die Hand und meinte, er wolle den Fremden auf jeden Fall irgendwo verbergen, am besten in der Nähe der Pension Tompson, vielleicht auf einem der nicht mehr benutztem Wohnboote auf dem Nil.
»Ich werde alles ordnen«, erklärte Beatrix sehr selbstsicher und entfernte sich.
Die Kolonne der Spurensucher war längst weitergezogen.
Wir mußten uns jetzt um den Fremden kümmern, einen Mann von vielleicht vierzig Jahren, wahrscheinlich einen der amerikanischen Globetrotter, – er erwachte allmählich, blinzelte uns verständnislos an und lallte dann in unverfälschtem Newyorker Englisch:
»Wo bin ich?!«
»In Sicherheit«, beruhigte Harst ihn. »Liegen Sie ganz still ... Sie sind irgendwie betäubt worden ...«
Der recht stämmig gebaute Patient schnitt eine wütende Grimasse. »Durch ein Teufelszeug, das sich Sekt nannte ... In einem separierten Zimmer ... von einem Weibe, das fabelhaft aussah, bildschön ...«
»In der Bar Zum Blauen Nil, nicht wahr?«
»Bar?! Nein, es handelte sich um die kleine Weinkneipe neben der Bar, wo es so vorzügliches Essen gibt.«
»Ah so Restaurant Elite, – ich weiß Bescheid«, nickte Haralds harmlos, aber in Wirklichkeit war er über diese Auskunft sehr betroffen, das merkte ich ihm gleich an.
Der Amerikaner nannte jetzt auch seinen Namen, Percy Wendnor, Kaufmann, Newyork, – Leder engros.
Plötzlich schien er sich dann auf etwas Besonderes zu besinnen, riß seine Brieftasche aus der Leinenjacke, fluchte wie ein Narr, – denn die nette runde Summe, die man ihm gestohlen hatte, schaffte er dadurch nicht wieder herbei.
Er entpuppte sich als ziemlich rüder Patron, und wir glaubten es ihm ohne weiteres, daß er zwar zu der Cook'schen Reisegesellschaft gehöre, aber sich an niemanden seiner Landsleute angeschlossen und auch Privatquartier bezogen habe.
»Wo?«, erkundigte sich Harst trotzdem sehr freundlich.
»Bei Madame Clairon, Hotel Clairon ...«
»Ah so!«
Madame Claire Clairon besaß noch neben der Bar in einer Seitengasse ein winziges Hotel, allerdings mit allem Luxus ausgestattet.
Wendnor schimpfte noch immer über den Verlust seiner zehntausend Dollar. Man sagt ja, Schimpfen sei gesund, aber diese volkstümliche Redensart versteht unter Schimpfen eine mehr harmlosere Art, seinem Herzen einmal ordentlich Luft zu machen. Mr. Percy Wendnors Wortschwall erregte Widerwillen. Und damit wurde es noch schlimmer, als er nach abermaligem Ueberprüfen des Inhalts seiner Brieftasche verschiedene geschäftliche Schreiben vermißte, über deren Inhalt er sich nicht weiter äußern wollte. Er war kein angenehmer Mensch, dieser Wendnor, und daß er mancherlei zu verheimlichen hatte, war jetzt schon so gut wie erwiesen.
Harst besaß in solchen Fällen eine Engelsgeduld. Er ließ Wendnor toben, tröstete ihn, versprach ihm Wiederherbeischaffung der geraubten Werte und nannte schließlich auch unsere Namen.
Wendnor horchte auf.
»Harst? Der Privatdetektiv? – So ... so ...! Nun, einerseits kommen Sie mir sehr gelegen, anderseits liebe ich keine Schnüffler.«
»Danke«, erklärte Harald kühl. »Mir genügt es, wenn ich Ihnen »einerseits« gelegen komme. – Wer war die Frau, die Sie zu dem Sektgelage eingeladen hatten? Eine Animierschönheit etwa?«
»Nein ... Es war eine Dame, unbedingt. Ihren Namen nannte sie nicht ... Sie behauptete, nur vorübergehend in Chartum zu weilen.« – Wendnor, der nun wieder völlig Herr seiner Sinne war, wurde plötzlich sehr nachdenklich. »Mr. Harst, vorhin, als ich bereits halb erwacht war, muh noch eine Person hier in diesem Keller gewesen sein. Jetzt erinnere ich mich, – ich hörte eine Frau sprechen ... Und je klarer mir's im Kopfe wird, desto überzeugter bin ich, daß die Frau hier genau dieselbe Stimme hatte wie meine verd ... Diebin ... Es war ein angenehmes, weiches Organ, nur sehr geziert ...«
Harst, der neben Wendnor auf dem Ziegelboden hockte, richtete den Schein der kleinen Blendlaterne mehr zur Seite, damit sein Gesicht im Schatten läge. Er war über diese Aeußerung Wendnors genau so überrascht wie Fred und ich.
»War die Dame aus dem Separatzimmer stark geschminkt und hellblond?«, fragte er sichtlich gespannt.
»Ja, das stimmt. Ich lernte sie im Hotelvorraum kennen, wo sie Zeitungen las ... Ich betone nochmals: Eine Dame, – aber eine Hochstaplerin. Sie verstand sehr graziös zu plaudern. Dann schwanden mir plötzlich die Sinne, und ...«
»Danke, Mr. Wendnor. Bemerkten Sie an ihr irgend etwas Besonderes? Hatte sie etwas volle Lippen?«
»Ja. – Besonderes aber?! Sie trug sehr viele kostbare Armbänder, eins davon war aus einem fast weißen Metall hergestellt in Form einer Schlange mit zwei großen wasserklaren Diamanten als Augen und einen dritten ebensolchen Stein als Krönlein mitten auf dem Kopf ... Im übrigen war sie fabelhaft angezogen und ein Leckerbissen für jeden Mann ...«
Fred raunte mir zu: »Ein Leckerbissen, der Dollars frißt!! Dieser Dummkopf!!«
Aber Fred Steens vorlauter Mund traf in Bezug auf Wendnor sehr daneben. Der Amerikaner war kein Dummkopf. Als Harst ihm nun auseinandersetzte, daß man ihn habe verschleppen wollen, und daß es zur Klärung der Angelegenheit unbedingt notwendig sei, die Entführer Wendnors darüber im unklaren zu lassen, wo er geblieben sei, willigte der Lederhändler engros sofort ein.
Dann erschien draußen in den Ruinen Fräulein Neugold, – allerdings nicht als rankes, schlankes Fräulein Doktor, sondern erstaunlich gut verkleidet. Sie glich durchaus einem jüngeren Eingeborenen und hatte sogar einen Hängeschnurrbart angeklebt. Dazu trug sie eine Autobrille, die sie völlig unkenntlich machte. Sie winkte mir, blieb draußen, führte uns dann schweigend zu der Nebenstraße, wo das Auto hielt. Wendnor kümmerte sich nicht weiter um sie, und auch während der Fahrt zur Stadt, wo er unten am Boden sitzen mußte, um von den noch immer umherschwärmenden Motorradlern nicht gesehen zu werden, hatte er keine Gelegenheit, unseren »Schofför« zu beachten.
Gegen zwei Uhr morgens, war Wendnor in einem Hausboot unweit des Pensionats Tompson sicher untergebracht.
Beatrix Neugold fuhr das Auto in die Garage zurück, wo sie es heimlich herausgeholt hatte, und ließ sich nicht mehr sehen. In aller Stille versorgten wir den Amerikaner mit Decken, Lebensmitteln, Zigarren, Lampe und Büchern, wobei uns sehr zustatten kam, daß das Haus der Witwe Tompson so weit außerhalb der Stadt in einem bis zum Flusse sich hinabziehenden Wäldchen lag und zur Zeit wenig besetzt war. Wir selbst bewohnten drei Erdgeschoßzimmer nach dem Nil zu, vier Türen weiter wohnte Beatrix Neugold, die eifrige Archäologin.