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6. Kapitel

Bill Tott verrät etwas.

Auch er nahm Platz. Er hatte harte, unerbittliche, spöttische Augen, und er besaß die Kräfte eines Elefanten. Wir waren für ihn keine Gegner, nur unangenehme Störenfriede.

»Erzählen Sie. – was haben Sie erlauscht!«

Harst betrachtete ihn kühl.

»Mr. Tott. – und wenn ich nicht rede?«

Der Kunstschütze lachte still ...

»Dann werden Sie beide und Ihr Fred für Wochen oder Monate verschwinden ... Chartum ist Vorposten der Zivilisation ... Jenseits der Vorposten ist Feindesland.«

Harald hob die Achseln. »Mr. Tott, hüten Sie sich, daß Sie nicht verschwinden ... Die weiße Schlange ist giftig, und ihr Gift besteht nicht lediglich in Kokain und Morphium ...«

Tott wurde aufmerksam.

»Rauschgifte? Wie meinen Sie das?! Und weshalb gebrauchen Sie die Bezeichnung Weiße Schlange für ...« – er brach jäh ab.

Harst schüttelte ungläubig den Kopf. »Ihre Ermittlungen sind noch nicht sehr weit gediehen, Mr. Tott ... Ich denke, auch Ihre Fähigkeiten – verzeihen Sie – liegen auf einem anderen Gebiet ... Ein Detektiv werden Sie nie werden. Ich glaube, ich erwähnte Ihnen gegenüber bereits die weiße Schlange, und ...«

»Lassen Sie das!«

Bill Tott starrte eine Weile ins Leere.

Harst fügte hinzu: »... und von dem ›Wohltäter‹, der nachts im Eingeborenenviertel Geld ausstreut und die Leute zu blindergebenen Sklaven macht, wissen Sie auch nichts ...«

Tott schaute auf.

»Meinen Sie, Mr. Tott, die weiße Schlange wäre so töricht, etwa die Plantagenarbeiter als Hilfstruppe zu verwenden?! – Ach nein, dazu ist das Weib zu klug. Wenn Frauen mit akademischer Bildung an Machthunger leiden, ist das Wohl bedenklicher, als wenn eine mäßig intelligente Halbweltdame oder Hochstaplerin die Idee aufgreift, das von reichen Touristen überlaufene Chartum zum Schauplatz sorgfältig vorbereiteter Räubereien und Erpressungen zu wählen. Ich nehme wenigstens an, daß hier wirklich akademische Bildung vorhanden ist. Allerdings sollen auch Leute den Doktortitel erkaufen und größte Dummköpfe bleiben, – Wissen und Bildung sind ja ohnedies nur Begriffe, die sich ergänzen – oder nicht. – Mr. Tott, – weshalb arbeiten wir nicht zusammen? Das begreife ich nicht. Sie hassen die weiße Schlange ... Sie wollen sie vernichten ...«

Tott brauste auf. »Nein, das will ich nicht!! Der Tod ist keine Sühne, nur die Einsamkeit ist Sühne!«

Harst nickte nur.

Tott fuhr beherrschter fort! »Sühne muß sein, Mr. Harst ... Gut also, arbeiten wir zusammen. Helfen Sie mir, Beatrix Neugold drüben ins Gebirge zu schaffen ... Halten Sie sie dort vier Wochen fest, und ... ich gebe mich zufrieden.«

Das waren seltsame Vorschläge. Um so seltsamer, als ich in Bill Totts spöttischen, kalten Blicken einen Schimmer von Befangenheit und Hinterlist zu bemerken glaubte.

Harst, der schon vorhin eine Zigarette angezündet hatte, schnippte die Asche ab und erwiderte etwas belustigt:

»Wie denken Sie sich das?! Menschenraub?! Wir! Auf welche Beweise hin?! Wenn uns die Polizei erwischt, kommen wir in ein verwanztes Gefängnis. Und dann noch eins, Mr. Tott: Wir haben da ein neues halb ausgeplündertes Opfer auf einem Wohnboot ...«

Der Kunstschütze winkte ab.

»Ich weiß ... Mr. Percy Wendnor ist bereits nach Kairo unterwegs ...«

Harald murmelte nur: »Schade! – Sie arbeiten schnell, aber ungeschickt ...«

Tott lachte grimmig. »Sollte ich warten, bis das Fräulein Doktor den Amerikaner im Nil schwimmen ließ?!«

Harst schwieg.

Totts Augen wurden noch unruhiger.

»Also, Herr Harst« – er sprach plötzlich ein recht fließendes Deutsch – »wollen Sie Beatrix Neugold, die hier seit zwei Jahren so ... so viel Unfug anrichtet.«

»... Verzeihung, – – Unfug?! – Aber meinetwegen ... Also Unfug!«

»... anrichtet, fernerhin gewähren lassen?! Schaffen Sie sie in die Berge ... Ich will Ihnen drüben im Dschebel Mirr eine Stelle zeigen, wo man Leute jahrelang verborgen halten kann ...«

Harst ... schwieg.

Aber unter seinem Blick senkte Tott schnell den Kopf.

Eine drückende Stille trat ein. Der Kunstschütze atmete immer hastiger. Irgend etwas ging da in seiner Seele vor, das ich zunächst nicht recht begriff. Seine Züge zuckten, seine Nervosität wuchs, und urplötzlich rief er heiser:

»Sie glauben mir nicht!«

»Nein!«

Das Fieber, das Bill Tott schüttelte, packte auch mich.

Ich war ja völlig im unklaren darüber, worum es hier ging. Das Problem Weiße Schlange hatte sich immer mehr verwirrt.

»Nein, ich glaube Ihnen nicht, Tott«, sagte Harst erstaunlich milde und nachsichtig. »Ich habe Sie, ohne daß Sie etwas direkt zugaben, doch zu gewissen Eingeständnissen gezwungen. Ihr Interesse an diesem Weibe beruht auf früheren allerengsten Beziehungen. Ich weiß einiges über Ihre Vergangenheit. Heute in der Zeit der Funktelegrafie kann man selbst von Chartum schnellstens aus Amerika mit Hilfe der Polizei genaue Auskünfte erhalten. Sie sind nie Cowboy gewesen, sondern etwas ähnliches: Besitzer einer Riesenhazienda in Texas und vielfacher Millionär. Vor fünf Jahren heirateten Sie eine Erzieherin, die auf einer Nachbarplantage die Kinder des Eigentümers betreute. Ihre Frau verschwand dann nach einem Jahr, – man sagt, ihre Verschwendungssucht habe Ihre Ehe zerstört. Sie selbst verkauften bald darauf Ihren Besitz und reisten unstät durch die Welt. Kunstschütze sind Sie erst seit einem halben Jahr. – Ich behaupte nun, Ihre aus Amerika geflüchtete Frau ist mit der weißen Schlange identisch, und Sie haben Ihre Frau die ganzen letzten Jahre gesucht und endlich hier aufgestöbert ... Sie wünschen nicht, daß Ihre Gattin vor Gericht kommt und wollen selbst Richter spielen. Deshalb soll Beatrix Neugold von uns verschleppt werden.«

Tott blickte stier zu Boden.

Ein dumpfes Stöhnen entrang sich seinem mächtigen Brustkasten ...

Dieser wahrhaft herkulisch gebaute Mann preßte die Hände vor das Gesicht und rührte sich nicht. Seine Pistolen hatte er fallen lassen.

Harst beobachtete ihn.

Vielleicht tat Tott ihm leid. Er sagte leise: »Tott, Frau Mildred Ganderlay ist dem Kokain verfallen ... Ihr Neffe Allan hat mit ihr einen sehr schweren Stand, sie verlangte von ihm Kokain, sie flehte darum, aber er hat wohl seine Gründe, ihr es gerade jetzt vorzuenthalten Das war alles, was wir erlauschen konnten ... gesehen habe ich noch mehr.«

Totts Hände sanken herab. Sein verstörtes Gesicht zuckte wieder wie im Krampf.

»Was sahen Sie? Was?!«, fragte er bedrückt.

»Die Wahrheit!«, entgegnete Harst kurz ...

Tott fuhr empor ...

»Die ... Wahrheit?!«

»Ja ... Und diese Wahrheit ist eigentlich zu fantastisch. als daß man sie noch Wahrheit nennen könnte. Offenbarung wäre richtiger.«

Tott stand in schlaffer Haltung da, seine Finger betasteten seinen Pistolengurt.

»Und ... und Sie haben ... Beweise, Harst?!«

»Keine, die für das Wichtigste ausreichten ... keine.«

Bill Tott bückte sich und hob seine Waffen auf.

Mit einem Schlage war wieder der brutale, höhnisch-überlegene Zug in seinem Gesicht.

»Herr Harst«. warnte er ernst, »lassen Sie die Finger von dieser Sache weg ...!! Sie kämpfen gegen drei gleich rücksichtslose Parteien ... – Sie werden auch nie die Beweise beibringen können, die nötig wären, die weiße Schlange zu überführen, glauben Sie mir das!!«

Er wollte sich nach dem Flusse entfernen.

»Also Kampf?!«, rief Harald ihm nach ...

Tott beachtete den Zuruf nicht.

Harst nahm eine neue Zigarette.

»Armer Teufel, es kann sein Ende sein – – oder auch unser Untergang.«

Mich ließ dies alles vorläufig kalt.

»Harald, ist Beatrix Neugold die weiße Schlange?«, fragte ich eindringlich.

»Weil sie verschwinden soll?! – – Nein, sie ist es nicht. Und jetzt müssen wir schleunigst und unauffällig zur Pension Tompson zurück. Hier siegt nur und lebt nur der, der flinkere Gedanken hat und Pläne am raschesten in die Tat umsetzt.« –

Dicht vor Chartum in einer leeren Hütte verwandelten sich zwei Marabuts in zwei bei Frau Witwe Tompson wohnende bekannte Herren und lagen dann sehr bald in ihren Betten, um genau drei Stunden zu ruhen.

Unser Fred hatte uns gemeldet, daß das Fräulein Doktor noch nicht heimgekehrt sei, und erhielt neue Befehle. Er hatte inzwischen wenigstens etwas ausruhen können und bedurfte keiner Schonung.

Leider war Harald – üble Gewohnheit – nicht zu bewegen gewesen, mich über seine »Beobachtungen« auf der Plantage Ganderlay aufzuklären, – noch weniger mir endlich zu sagen, wer nun eigentlich die weiße Schlange sei. Es war ein Weib, zweifellos. Aber wer?! – Als wir um ein Uhr mittags in blendend weißen Tropenanzügen das Haus Tompson abermals verließen, war Fred noch nicht wieder da. Ein Mietauto brachte uns vor die stilvolle Fassade des kleinen ›Hotel Elite‹ unweit der weit umfangreicheren Neppbude Zum Blauen Nil.


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