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»Telefoniere, mein Alter ... – Nein, öffne das Fenster ... Fred muß ja in der Nähe sein.«
Fred Steen lehnte drüben in einem Hauseingang.
»Hallo, Fred ... Sofort zu Major Mansur ... Schicken Sie auch alle Beamten her, denen Sie begegnen.«
Der semmelblonde Jüngling mit der frechen Stupsnase warf seinen Zigarettenstummel weg.
»Herr Schraut, Vorsicht!« rief er zurück. » Sie ist in der Nähe ...!«
Dann trabte er davon.
Wenige Minuten später wurde Madame Clairon sowie die Zofe Celeste, übrigens Madames Tochter, verhaftet. Auch Major Mansur hatte sich eingefunden.
Als die schwarze Barmutter wieder zu sich gekommen war, hatte sich ihre wahnwitzige Angst in nervenpeinigenden Schreikrämpfen Luft gemacht.
Zwei riesige nubische Geheimpolizisten schleiften sie die Treppe hinab in das unten vor dem Hotel vorgefahrene Auto. Die Straße war abgesperrt worden, das hysterische Geheul des Weibes verstummte jedoch plötzlich, und die hohe, korpulente Gestalt sank schlaff zusammen.
Mansur sprang zu. Auch Harst war im Augenblick draußen. Das Verhängnis hatte jedoch bereits seinen Lauf genommen, und von Madame Clairon würden wir nicht eine Sterbenssilbe mehr erfahren. Ein geräuschloser Schuß hatte ihr eine Kugel mitten vor die Stirn gesetzt. Wer diesen Schuß abgegeben hatte, woher er gekommen, blieb dunkel. Es war jedenfalls kein Nahschuß, und nur eine sehr sichere Hand konnte diese Pistole bedient haben.
Unser Fred, den Harst sofort wieder zum Pensionat geschickt hatte, würde vor Major Mansur kaum erwähnt haben, daß Beatrix Neugold in der Gasse gesehen worden war. Wir beließen Mansur bei dem Glauben, den Schützen nicht zu kennen, und die Unterredung im Salon der toten Frau Clairon drehte sich um andere Fragen.
Der junge, sehr energische, sehr kluge und sehr sympathische Ali Mansur deckte erst jetzt vor uns seine Karten ehrlich auf.
»Mr. Harst«, begann er etwas verlegen, »ich bin auch Ihnen gegenüber nicht ganz offen gewesen. Die Dinge liegen so ... Ich kenne als Chef der politischen Geheimpolizei diese kleinen Papierschlangen mit den drei Emailletröpfchen längst. Ich weiß, daß sich durch große Teile des Sudan neuerdings eine Geheimorganisation erstreckt, die wohl neben verbrecherischen Zwecken – Geldbeschaffung – letzten Endes auf die Errichtung eines selbstständigen Sudanreiches abzielt ... Wer die Leiter dieser Organisation sind, war nicht zu ermitteln. An Madame Clairon, in der ich nur eine sehr geschäftstüchtige Barbesitzerin, Kupplerin und Rauschgifthändlerin sah, habe ich zu allerletzt gedacht. Nun, – sie ist tot, und mit ihr »Blansery«, die weiße Schlange.«
Harald schwieg.
»Sind Sie anderer Ansicht?«, fragte Mansur schnell.
»Ja!«
Der Chef der G.P.P. stutzte.
»Madame war nur ein Werkzeug der weißen Schlange«, sagte Harald gedämpft.
»Und wer ist die wahre Schuldige?«
»Mein lieber Major, mit Polizeimethoden ist dem Weibe nicht beizukommen. Gut, zugegeben, ich kenne sie. Würden Sie sie aber verhaften, dürfte es Ihnen schwer werden, auch nur das allergeringste Belastungsmaterial gegen sie beizubringen. Arbeiten wir also nach meiner Methode. Verhören wir erst einmal Celeste, die nebenan bewacht wird, und überzeugen wir uns davon, daß selbst sie nichts weiß oder nur sehr wenig und ... daß sie schweigen wird. – Holen Sie sie ...«
Das Mädchen erschien, setzte sich, und ein Blick traf Harst, der töten sollte.
Sie hatte sich vollkommen in der Gewalt, sie erklärte mit kaltem Hohn:
»Verschwenden Sie keine Fragen an mich ... Meine Mutter starb ... Töten Sie mich! Ich werde Sie auslachen!«
Harald saß zurückgelehnt da und drehte eine Zigarette zwischen den Fingern.
»Celeste Clairon, Sie werden uns nicht auslachen.«
Er nahm seine Taschenlampe und beleuchtete die eine untere Tischkante mit den fünf farbigen Knöpfen.
»Celeste, was geschieht, wenn ich der Reihe nach auf diese Knöpfe drücke?«
»Bitte!!«, höhnte sie.
»Ah so, – es wäre damit also eine gewisse Gefahr vorhanden ... – Major, stellen Sie drei Beamte neben diesen Tisch. Celeste, Sie kommen mit ...«
Celeste trug Handschellen.
Sie blieb sitzen. Sie war nun doch ängstlich geworden.
Ein Beamter riß sie hoch und schob sie hinter uns her ...
Wir machten im Schlafzimmer der Erschossenen halt.
Harst deckte das Bett auf.
»Unbenutzt, Major! Bluff! Frau Clairon schlief stets anderswo.«
Sein berühmter nachdenklich-durchdringender Blick ruhte auf dem Mädchen. »Celeste, wo schlief Ihre Mutter?«
Schweigen ...
Harst deutete auf das Riesengemälde des eleganten Herrn.
»Ihr Vater?«
»Ja!«
»Wo befindet er sich?«
»In ... Amerika ...«
»Amerika ist groß ... In New Orleans?«
»Vielleicht ...«
Sie wurde bereits wieder anmaßender und höhnischer.
»Oder ... auf der Hazienda, die einst Bill Tott gehörte?«
Der Hieb saß.
Celeste senkte schnell den Kopf.
»Nein ... nicht dort«, flüsterte sie scheu. »Ich kenne diese Hazienda gar nicht ...«
»Was Sie sagen!! Und dabei ist Bill Totts Gattin die Verbündete Ihrer Mutter gewesen ... und Ihre Verbündete Blanche Tott, Celeste, ist nämlich die vielgesuchte weiße Schlange.«
Jetzt taumelte das Mädchen zurück ...
»Sie ... Sie wissen?!«
»Ja, – wie Sie hören: Ich weiß! Blanche Tott hat Ihrer Mutter das Geld zur Verfügung gestellt, die Bar und dieses Hotel zu erbauen, denn diese von Machthunger zerfressene Frau wollte hoch hinaus: So etwa Kaiserin des Sudan, – – etwas Aehnliches ...! Königin der wilden Stämme hier unten am Blauen und Weißen Nil ...«
Celeste regte sich nicht. Wie eine Erstarrung hatte es sie befallen.
Es war nichts mehr aus ihr herauszuholen, nichts.
Harst stand noch immer neben dem Gemälde.
Plötzlich ließ er es hochschnellen.
Das Geräusch weckte Celeste. Sie schrie leise auf.
Das Buchstabenschloß der festen Brettertür hatte acht Buchslaben.
Acht!!
»Blansery?«, fragte Harald scharf.
Celeste ließ sich überrumpeln.
»Ja ...«, hauchte sie zitternd.
Als die Tür aufschwang, schauten wir in einen schmalen dunklen Gang.
»Mansur, geben Sie dem Mädchen einen Knebel ... Sicher ist sicher ... Lampen und Pistolen heraus!«
Celeste mußte mit.
Der Gang war bestimmt erst nach Erbauung des Hotels hergestellt worden und lief durch den Seitenflügel bis zu einer eisernen kleinen Tür, die gleichfalls ein Buchstabenschloß besaß.
Celeste weinte leise.
Inzwischen waren uns noch vier Beamte gefolgt, und als nun auch diese Eisentür geöffnet war, befanden wir uns innerhalb der alten Festungsmauer.
Eine Holztreppe lief in die Tiefe ...
Das erste Gemach hier war Frau Clairons wahres Schlafzimmer, dahinter lagen Vorratsräume für Waffen und Munition, und an diese schlossen sich sechs Zellen an, – – die vier hier vorhandenen Wächter wurden vollständig überrumpelt.
In den Zellen hausten je zu zwei ein Dutzend völlig verwahrloste, verkommene Gefangene der weißen Schlange: Die zwölf verschwundenen reichen Touristen und Kaufleute. – –
Die beiden in Chartum erscheinenden Zeitungen brachten abends folgenden Polizeibericht:
Heute in den frühen Nachmittagstunden ist es der Polizei gelungen, endlich eine Verbrecherin zu entlarven, die als »Blansery« im Eingeborenenviertel seit langem ihr Unwesen trieb.
Es handelt sich um die Eigentümerin der Bar Zum Blauen Nil. Bei ihrem Abtransport wurde die Verhaftete von unbekannter Hand erschossen. Ihre Tochter Celeste sitzt in strengster Einzelhaft, scheint jedoch an den Vergehen ihrer Mutter keine Schuld zu tragen. Das Elite-Hotel ist geschlossen worden und polizeilich besetzt.«
Dieser dürftige Bericht wurde auf Harsts Anregung herausgegeben.
Die zwölf Befreiten waren nun im Hotel Elite heimlich untergebracht worden, und von alledem, was wir sonst noch in Frau Clairons heimlichem Schlafgemach und Geschäftskontor entdeckt hatten, erfuhr niemand etwas. Major Mansur gab sich mit alledem zufrieden. Harst hatte ihm versprochen, ihm die weiße Schlange in den nächsten Tagen, nachdem sich die Erregung in der Bevölkerung gelegt hatte, in die Hände zu spielen.