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Neue Welt mit unbegrenztem
Daseinsraum für neues Leben,
Unumwallt geborenen Städten,
Strömen ohne Burgruinen,
Säßen Meeren, d'raus gigantisch
Wasserfälle niederdonnern,
Wirke Du, vom Ozeane
Bis zum Ozean durchflogen,
Reine Tafel in der Seele
Für das wahre Bild des Alls.
Der vorige Besitzer der Herrschaft Wallingen, Fürst L…, der Mitbegründer eines deutschen Adelsvereins zur Besiedlung eines beträchtlichen Landstriches in Nordamerika, hatte schon bei diesem verfehlten Unternehmen einen Theil seines Vermögens eingebüßt, bald darauf einen noch weit beträchtlicheren durch unüberlegte Betheiligung an schwindelhaften industriellen Gründungen. Um seinen überschuldeten Fürstensitz zu retten, war er genöthigt gewesen, sein gesammtes übriges Eigenthum zu verkaufen. Das Gebot auf das Gut Wallingen hatte er nur unter der Bedingung angenommen, daß Graf Udo gegen eine Mehrzahlung von etlichen tausend Thalern auch seine zahlreichen Aktien jenes Vereins nebst den zugehörigen amerikanischen Besitztiteln übernehme. Diese Papiere schienen werthlose Makulatur. Aber Fürst L… zeigte sich auf die Rettung eines wenig mehr als nominellen Bruchtheils vom vergeudeten Kapital grillenhaft versessen. Vielleicht gedachte er so den Vorwürfen seiner Familie die Spitze abzustumpfen durch den Beweis, daß jenes Unternehmen zwar wegen unvorhergesehener Umstände einstweilen unergiebig, aber keineswegs ein so kopfloses gewesen und ohne künftige Aussichten sei. Da überdies der für Wallingen in der Bedrängniß und in Ermanglung eines andern Baarzahlers acceptirte Preis hinter dem Wirthschaftswerthe des Guts auch nach diesem Zuschlage um viele Tausende zurückblieb, so war Graf Udo schließlich auf jene Bedingung eingegangen.
Lange hatten jene Papiere vernachlässigt im Sebaldsheimer Archiv gelegen. Da erhielt der Graf von einem Odenburger Bankhause eine Anfrage, ob er geneigt sei, jene Aktien und Besitzurkunden zu verkaufen. Auf seine bedingte Zustimmung erfolgte ein Gebot, welches den ihm zu Buche stehenden Preis überstieg, wenn auch nicht sehr erheblich. Schon wollte der Graf zuschlagen; aber Hildegard hielt ihn zurück. Bald bewährte sich ihr Verdacht, daß durch jenes Bankhaus niemand Anderes als eben Fürst L...., dessen Finanzen sich inzwischen etwas gebessert, den Rückkauf beabsichtige.
Darauf hin wurde beschlossen, durch das Bankhaus Mendez und Söhne, welches die Geldgeschäfte des Grafen seit einer langen Reihe von Jahren musterhaft besorgte, unter abschriftlicher Einsendung der Besitztitel in New-York Erkundigungen einziehen zu lassen.
Die Antwort lautete dahin, daß die Aktien drüben völlig werthlos seien, auch die Mehrzahl der Besitztitel auf Menschenalter hinaus unverkäuflich bleiben dürften, da sie sich theils auf Sümpfe und Unland bezögen, theils auf Gelände, das zu weit von Strömen und Eisenbahnen abliege. Eine Anzahl dieser Urkunden sei aber vollgültig für beträchtliche Ländereien, die inzwischen werthvoll geworden durch das Nachrücken der Kulturcentra. Wenn sich der Besitzer entschließen könne, persönlich drüben zu erscheinen und einen bewährten Landagenten am Gewinn genügend zu betheiligen, so dürfte für ihn ein Erlös von vierzig- bis sechzigtausend Dollar zu realisiren sein.
Diese Mittheilung begleitete Alphons Mendez mit einer vertraulichen Zuschrift des Inhalts, daß es dem Erfolg des Unternehmens förderlich sein dürfte, wenn der Herr Graf drüben keinen Gebrauch mache von seiner Standesbezeichnung und womöglich auch einen andern Namen führe, als den sehr bekannten seines alten Geschlechtes. Unter Darlegung seiner Gründe werde er sich vom auswärtigen Amt sehr leicht unter beliebigem Inkognito einen für die deutschen Konsulate vollgültigen Paß verschaffen können, wie er für das beabsichtigte Geschäft dort unentbehrlich sei.
Auf Hildegard's Zureden hatte sich der Graf nach einigem Zögern entschlossen, in Begleitung seiner Tochter die Fahrt über den Ozean anzutreten. Der ohne Schwierigkeit erlangte Paß lautete auf Herrn Udo Wallinger, Gutsbesitzer, nebst Fräulein Tochter.
Drüben wurde das Geschäft binnen sechs Wochen abgewickelt, und über Erwarten gut. Selbst jene Besitztitel auf Unland und menschenferne Wildniß erwiesen sich als nicht völlig werthlos, wenn sie auch zu dem kläglichen Preise von fünf Cents für den Acker, den eine große Spekulantengesellschaft bewilligte, trotz ihrer Menge nur etwa die Reisekosten einbrachten. Der Erlös für die guten Ländereien, der in Wechseln an Mendez und Söhne überwiesen werden konnte, erreichte ziemlich genau die Mitte zwischen dem Maximum und Minimum des früher erwähnten Voranschlages.
Zwei fernere Monate wurden einer Vergnügungsreise durch die Union gewidmet.
Die Beiden waren den schönen Hudson hinauf gedampft, einen dem Rhein ohne seinen Ruinenschmuck ähnlichen Strom, vorüber an den Catskill Mountains, deren Umrisse sie lebhaft erinnerten an das Siebengebirge gegenüber Bonn. Dann, auf den eisernen Schienen weiter fliegend, nach dem Niagara, entlang den großen Süßwasserseen, über das Felsengebirge, nach der Mormonenstadt am Salzsee, durch die Salzwüste, die Sierra Nevada hinauf, hatten sie einen Abstecher zu Wagen gemacht an den von prachtvollen Wäldern und schneegekrönten Alpen umrahmten, tiefdurchsichtigen Lake Tahô und waren über Sakramento City nach San Franzisko gelangt.
Hier verweilten sie mehrere Tage, gefesselt von einer Fülle so neuer als eigenartiger Wahrnehmungen. Zunächst fanden sie die Anlage der Stadt recht wunderlich. Den Plan zu den meist rechtwinkeligen Straßen schien man, unbekümmert um die Bodenverhältnisse, auf dem Papier fertig entworfen und dann dem Terrain aufgetragen zu haben, ohne zu fragen nach den vorhandenen Hügeln und Thälern. Da mußte man, um in die nächste Parallelstraße zu gelangen, entweder eine Viertelstunde weit umfahren, oder aussteigen und auf schmalem belattetem Plankensteig mit Geländer eine treppensteile Quergasse emporklimmen. Aber sie sahen auch, wie man solche Anlagefehler mit einer vor keinen Kosten und keiner Arbeit zurückschreckenden Energie nachträglich ausglich durch Abtragung ansehnlicher Höhen und Einebnung langer Thäler und Schluchten, welche Millionen von Kubikmetern herbeigekarrter Erde verschlangen. Sie schauten mit eigenen Augen, was sie, nur erzählt, für märchenhafte Aufschneiderei gehalten hätten: wie man theils damit schon fertig, theils noch im Begriffe war, von einer zu eng gewordenen Hauptstraße die ganze äußere Häuserreihe nicht etwa abzubrechen und neu zu bauen, sondern unversehrt und sogar bewohnt auf Schienen um zwanzig Fuß rückwärts zu schrauben.
Sie blieben stehen vor den Auslagefenstern der Bankgeschäfte und beschauten die Fülle des Goldes. Da stand es theils aufgestapelt in fußhohen Säulchen thalergroßer Münzen, theils füllte es große gedrechselte Holzschalen bis zum Rande als feiner Glanzkies. Hier klebte es in hellgelben Plättchen auf Quarzstufen, die mit dem Namen des Bergwerks und dem Kursstand seiner Aktien bezeichnet waren, dort lag es in gediegenen faust- und selbst kopfgroßen Knollen, in der Außenfläche dem Blumenkohl vergleichbar, ebenfalls mit inschriftlicher Angabe des Fundorts.
Sie sahen die Geschäftigkeit der lang bezopften Chinesen; sie traten ein in einen der engen Ladenräume, deren Thürschild unter unentzifferbaren Hieroglyphen auch in englischer Uebersetzung kund gab, daß hier ein Tscheng Leng oder Ling Sing Washing and ironing besorge. Hildegard mußte bewundernd gestehen, das Bruststück eines Hemdes noch niemals auch nur annähernd meisterlich in eine Art blütenweißen und glänzenden Elfenbeins verwandelt gesehen zu haben, wie von diesen selbst sehr unsauber gekleideten Söhnen des Himmels. Sie besuchten, von einem Schutzmann begleitet, das Chinesenviertel und sahen schaudernd die Träumkojen für Opiumraucher; sie hörten im chinesischen Theater die dem Europäer unerträglich mißtönige und wie Tollhausgekreisch vorkommende Musik, staunten über die Verständlichkeit, welche die Schauspieler lediglich durch ihre Geberden der Handlung des Stücks auch für Den zu geben wußten, der auch nicht einer Silbe ihres Vogelgepiepses von Sprache kundig war, wurden aber auch von hier bald vertrieben durch einen nicht gerade starken, aber unsagbar widerlichen Geruch.
An einem Juninachmittag rollten sie in leichtem Wägelchen auf trefflicher Chaussee aus der Stadt westwärts, dem Gestade des Stillen Meeres zu. Rechts, in einiger Ferne, erblickten sie das »goldene Thor«, den schmalen, felsumrahmten Sund, welcher die Bucht von San Franzisko, ein Salzwasserhaff, mit dem Ozean verbindet; zur Linken zwischen dünenartigen, spärlich bewachsenen Hügeln Ackerbreiten, die man mühsam dem sterilen Boden abgewonnen, jede derselben aus einem Brunnen bewässert durch eine kleine Windmühle mit rundem Flügelrade, und überwiegend der Kultur der Erdbeere gewidmet, welche dies gesegnete Land des ewigen Lenzes das ganze Jahr hindurch in erstaunlicher Fülle auf den Frühstückstisch liefert.
Von blendendem Sonnenlicht umflutet, spürten sie dennoch keine belästigende Hitze; denn auf dieser schmalen Halbinsel zwischen der Bai und dem Ozean zeigt selbst im Hochsommer das Thermometer im Schatten selten mehr als zwanzig Grad, und im sogenannten Winter niemals weniger als vierzehn. Die Vegetation macht keine Pause und die in den Gärten nicht seltene Palme bedarf keines künstlichen Schutzes.
Angesichts der See stiegen sie aus und lustwandelten auf dem feuchtfesten, mehrentheils dunkelgrauen Sande des Gestades. Hildegard las, um sie, als Andenken mitzunehmen, einige große geriefte Muscheln und kalkig weiße Schalen eines ihr unbekannten Seethieres auf, die einen flachen Hohlraum einschlossen mit einer ebenen, um ein Loch in der Mitte blattrippig gezeichneten unteren und einer leicht gewölbten oberen Seite, auf der, an ein Stiefmütterchen erinnernd, die Umrisse einer Blume von drei langen und zwei kürzeren Blättern mit feinen Gravirstrichelchen wundersam sauber und zierlich gestochen erschienen.
So schritten sie, dem Strand entlang, wohl eine Stunde südwärts, die milde Kühlung der Seebrise wohlig empfindend und die feuchte Luft erquickt einathmend, den Blick bald suchend gerichtet auf die mit dem Tang ausgeworfenen Reste des Meergethiers, bald mit den Augen hinausschweifend nach dem Horizont der unermeßlichen Wasserfläche.
Wann eine der brandenden Wellen der mäßig bewegten Flut etwas höher hinauf züngelte und Hildegard's Schuh zu benetzen drohte, dann sprang sie, in Kinderlust aufjauchzend, landwärts empor, kehrte aber sogleich wieder zurück, um die Spur ihrer Schritte so nah als möglich dem Salzwassersaum der geglätteten, schrägen Sandfläche einzuprägen.
»Liebes Kind,« mahnte da der Vater, »Du wirst doch noch die Schuhe voll Wasser schöpfen und Dir einen Schnupfen holen. Für unsere fernere Reise könnte das recht störend werden.«
»Salzwasser,« versetzte sie, »erkältet ja niemals. Uebrigens bin ich auf alle Fälle gerüstet. Ich habe zu dieser Strandpromenade meine Morgenschuhe und ein Paar Strümpfe zum Wechseln in Deine Umhängtasche gesteckt. Mich reizt dies Neckespiel mit dem heute so friedlich tändelnden Ungeheuer von Ozean.«
So trippelte sie weiter im Zickzack, den Fuß mit Vorliebe immer auf die eben erst von der Welle verlassene und dadurch angenehm feste und glatte äußerste Kante des Gestades setzend, doch rechtzeitig links springend, wann mit niedrigem Schaumkamm die folgende heranplätscherte, um die höchst erreichte krause Linie ihrer Landung mit einem Faden emporgespülter Sandkörner zu bezeichnen.
Jetzt aber kam eine ziemlich ansehnliche Woge herangerauscht. Hildegard mußte dem ersten, ungenügenden und fast überholten Ausweichesprung einen hastigen zweiten folgen lassen. Mit diesem platschte sie mitten hinein in einen nicht rechtzeitig bemerkten flachen Tümpel, und steckte nun bis an die Waden fest im Triebsande.
»Da hast Du's!« rief ihr Vater halb lachend, halb ärgerlich, indem er hinzueilte, um ihr herauszuhelfen, da sie beim Versuch, den einen Fuß frei zu machen, mit dem anderen nur noch tiefer einsank.
Aber kaum in's Trockene gelangt, rief sie lustig kichernd:
»Doch endlich ein kleines, klimperkleines Abenteuerchen im großen Amerika, das ich mir nach Romanen wimmelnd vorgestellt hatte von allerlei Fährlichkeiten und haarsträubenden Schrecknissen, um es in Wirklichkeit so zahm zu finden. Bitte, Papa, lege Deine Tasche hieher und geh' allein ein Streckchen voran.«
Bald schritt sie hochaufgeschürzt und barfuß, im weichen Brandungsmalm knöcheltiefe Stapfen hinterlassend, an's Gestade und einen Schritt hinein in das seichte Wasser, um Schuhe und Strümpfe sauber zu spülen und letztere verpackbar auszuwinden. Dann suchte sie, am Ufer emporschreitend, droben eine Stelle, wo zwischen spärlichen Strandhaferhalmen tiefer und reiner hellgelber Sand lag, den die Sonne beträchtlich erwärmt hatte. In diesem wühlte sie mit den nackten Füßen herum, bis sie völlig trocken waren. Bald konnte sie, frisch beschuht und bestrümpft, an die Seite des Vaters zurückkehren, nur noch lustiger geworden durch den kleinen Zwischenfall.
Daß dieser doch noch bedeutsame Folgen haben sollte, konnte sie nicht ahnen. Ihrer Wahrnehmung war es entgangen, daß, gedeckt von einem niedrigen Dünenhügel, ein liegender Beobachter, durch seinen Feldstecher spähend, Zeuge gewesen sowohl ihres zweimaligen Fußbades, des unfreiwilligen in Schuhen und Strümpfen, wie des barfüßigen im seichten Randwasser des Ozeans, als der schnell entschlossenen Gewandtheit, mit der sie sich des sonnendurchglühten Sandes als Trockentuches bedient hatte.
Nunmehr bekannten einander Vater und Tochter, regen Appetit ergangen zu haben auf die durch den Kutscher bestellte Mahlzeit und kehrten um nach dem Gasthause auf der Klippe.
Bald darauf bückte sich Hildegard nochmals, um eine perlmutterglänzend abgeschliffene Muschel aufzuheben. Indem sie dabei rückwärts blickte, gewahrte sie in einer Entfernung von etwa hundertundfünfzig Schritten einen wohlgekleideten Mann, der ihrer Fährte gefolgt war.
Seltsam! Eben jetzt schien er emsig beschäftigt mit ihren Spuren. Dort gerade, wo sie in den Tümpel hineingerathen und Strümpf' und Schuhe gewechselt, hantirte er, knieend, im Sande herum mit einer Art Lineal von Knochen oder Elfenbein und schrieb dann etwas in seine Brieftasche.
Sie lief ihrem Vater nach, der inzwischen einen Vorsprung gewonnen hatte.
»Sieh' doch! Was kann das bedeuten?« frug sie, nicht ohne eine Regung von Verdacht, daß dieser Folger etwas gegen sie und ihren Vater im Schilde führe.
»Auch er,« meinte der Graf, »wird eine Muschel oder einen Stengel Seetang mit merkwürdigem Besatz von Schwimmblasen aufgelesen haben.«
Der Folger aber schien jetzt zu bemerken, daß er den Beiden ein Gegenstand der Neugier, wohl gar des Argwohns geworden. Vom Strande landeinwärts schreitend, war er bald hinter einer Bodenfalte verschwunden.