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Sechstes Kapitel.

Harte Zumuthung.

 

Beruf und Pflichten
Erwäge bedächtig.
Die Lieb' ist mit nichten
Zum Glück allmächtig.

 

Am nächsten Morgen erschien der Graf im Zimmer Ulrich's.

»Verzeihen Sie, Herr Sebald,« begann er, »wenn ich als Vater nicht umhin kann, innigem Dank sogleich ein sehr befremdliches Anliegen folgen zu lassen.«

»Reden Sie ungescheut, Herr Graf. Sie sind mir um so willkommener, als ich eben im Begriffe stand, Sie um eine Abschiedsunterredung unter vier Augen ersuchen zu lassen.«

»Sie wollen fort? Obgleich ich das auszulegen wage als ein Symptom unseres Einverständnisses in der Hauptsache, muß ich Sie dennoch bitten, einige Tage länger in unserer Gesellschaft auszuhalten.«

»Zu welchem Zweck?«

»Erlauben Sie mir, meiner schwierigen Antwort Einiges zur Charakteristik meiner Tochter voranzuschicken. So lange mein Sohn Lothar als voraussichtlicher Erbe unseres Majorats lebte und man für Hildegard nur eine mäßige Mitgift aus meinem Privatvermögen in Aussicht wußte, blieb sie ganz unumworben. Kaum aber hatte ich nach Lothar's Tode zu ihrer einstigen Versorgung die bedeutende Herrschaft Wallingen gekauft, so wurde sie auch förmlich umdrängt von Freiern. Bald sah sie, und nicht ganz mit Unrecht, in jedem anklopfenden jungen Mann nur einen Angler nach Besitz. Nach der Szene in der Kirche zu Netstall regte sich dies Mißtrauen auch gegen Sie. Ich widersprach und kleidete meinen Tadel ihres zu häßlicher Schärfe ausartenden Argwohns in eine auf ihre Gemüthsverfassung berechnete religiöse Warnungsformel, ohne zu ahnen, was ich dadurch mitverschulden sollte. Diese für sie nur allzu wirksame Mahnung; mehr Ihre Hülfe in Todesgefahr und die dabei bewiesene musterhafte Diskretion; zu allermeist aber Ihre, ich bekenn' es gern, auch mir sympathische Persönlichkeit, haben dies Mißtrauen in sein Gegentheil umschlagen lassen. Hildegard's Kehlkrampf ist gewichen, ihre Stimme wieder ziemlich frei. Aber sie befindet sich in fieberhafter Aufregung und hat während der Nacht mehrmals laut phantasirt. Da haben mir denn einzelne Worte und halbe Sätze in Verbindung mit dem oft wiederholten Namen Ulrich bestätigt, was ich schon gestern in der Schutzhütte wahrzunehmen glaubte und was dort auch Ihnen nicht entgangen sein wird.

Eine andere Eigenthümlichkeit meiner Tochter läßt mich fürchten, daß diese plötzlich erwachte Zuneigung keine flüchtige sein werde. Sie hat von ihrer früh verstorbenen, leider bigott kirchlichen Mutter zwar nichts von deren intolerantem Uebereifer, wohl aber einen Glauben von so kindlicher Naivität und unantastbarer Festigkeit ererbt und anerzogen bekommen, daß ihr sonst recht heller, als Rüstzeug zu praktischer Thätigkeit sogar ausgezeichneter Verstand niemals auch nur in Versuchung kommt, Einwendungen zu erheben gegen die Unbegreiflichkeiten der Kirchenlehre. Unangefochten von meiner entgegengesetzten Auffassung betrachtet sie die menschliche Einsicht lediglich als ein Erdeninstrument, das ebenso unbefähigt als unbefugt sei, die grundverschiedene zweite Welt des Glaubens zu fassen und zu beurtheilen.

Wir beabsichtigten von hier aus erst die Wallfahrtskirche in Einsiedeln zu besuchen, um dann von dort nach Bad Stackelberg zu reisen. In ihrem unverständigen Verdacht gegen Sie bestand sie darauf, beim ersten Morgengrauen zu Fuß direkt nach Stackelberg aufzubrechen, um sich Ihrer ferneren Nachreise zu entziehen. Ich war so schwach, ihr nachzugeben, und, wie schon gesagt, so unvorsichtig, in der Sprache ihrer Denkweise, obgleich nach meiner Ueberzeugung nur allegorisch redend, zu bemerken, daß ihr die Muttergottes von Einsiedeln, wenn auch nicht die Unterlassung des Besuches, so doch den sie verschuldenden Herzensfehler sehr übel nehmen könne. Sobald sie im Gletscherspalt zur Besinnung gekommen, schlug ihr die Erinnerung an dies Wort in die Seele. Sie betrachtete ihren Sturz als eine von der Himmelskönigin verhängte Strafe. Als dann auf ihr Stoßgebet Sie erschienen, war ihr gläubiges Gemüth sofort überzeugt, daß ihr die Muttergottes von Einsiedeln im Retter zugleich den vom Himmel bestimmten Gatten gesendet habe. – Nein, unterbrechen Sie mich noch nicht; ich habe noch das Schwerste zu sagen.

Ich lege wenig Werth auf Standestitel, desto mehr auf Herkunft. Da nun Ihr Gesicht bestens beurkundet, daß Sie unseres Stammes sind, und Ihr Betragen, daß die Erziehung, deren wir uns seit mehr denn einem halben Jahrtausend erfreuen, Ihnen fest im Blute sitzt, so würde mir in diesem Punkte nichts zu wünschen übrig bleiben, wenn auch eine gewisse Vermuthung …«

Hier unterbrach Ulrich dennoch:

»Udo, der Kreuzfahrer, mein Urahn', ist auch der Ihrige. Stammvater meiner Linie ist der Odenburger Reformator Dietleib Sebald, der als erster Pastor der Sebalduskirche den Freiherrntitel ablegte. Von seinem zweitgeborenen Bruder Ludolf, dem er Sebaldsheim und den Titel cedirte, stammt Ihre jüngere, später in den Grafenstand erhobene Linie. Meine Herkunft ist eine durchweg nicht nur eheliche, sondern sogar adelige. Um ein gewisses eventuelles Erbrecht widerspruchsfrei zu erhalten, erfüllten meine Vorväter ohne Ausnahme die traditionelle Pflicht, Frauen von Adel zu heirathen, und was ich aus unserer Familienchronik weiß, läßt mich vermuthen, daß sie zugleich alle das Glück hatten, bei ihrer Wahl einer Herzensneigung folgen zu dürfen.«

»Was mir auch Ihre stattliche Erscheinung sehr glaublich macht!« warf der Graf ein, indem er sich mit verbindlichem Lächeln vor Ulrich verbeugte.

»Ich führe das nur aus,« fügte Sebald hinzu, »weil ich es vorgestern in Netstall leider versäumt habe, meine Ahnen von einem Verdacht zu reinigen, den ein spöttisches Zucken Ihrer Lippen sehr deutlich verrieth.«

»Bitte nachträglich um Vergebung. – Damit also stünd' es ja allerbestens. Auch gilt die Zuversicht, mit der ich Ihnen Hartes ansinne, dem Edelmann, der Sie sind, ohne so zu heißen. Also zur Sache. – Auch als Bürgerlicher wären Sie mir ein durchaus erwünschter Eidam, wenn ich glauben könnte, daß Hildegard mit Ihnen, Sie mit ihr glücklich sein würden. Leider halt' ich das für mehr als nur unwahrscheinlich. Zum Glück gehört noch Anderes als befriedigte Liebesleidenschaft. Auch ohne diese bleibt es möglich, wie die Erfahrung lehrt. Unmöglich aber ist es auch bei heißester Liebe, wenn die Lebensberufe unvereinbar sind. Hildegard ist gewohnt, rastlos thätig zu sein als Hausregentin auf großem Landsitz. Selbst in Wald und Feld betheiligt sie sich mehr an der Leitung und Beaufsichtigung der Wirtschaft, als Frauen das zu thun pflegen. Ohne diese Lebensfüllung, im städtischen Gelehrtenhause, ihrem Element entrissen, würde sie verdrossen hinwelken. Sie aber glauben wohl ebensowenig noch umsatteln und Landjunker werden, als Befriedigung finden zu können, wenn Sie stadtfern bei den mitgebrachten Büchern säßen als Prinzgemahl einer hoch zu Roß kommandirenden Amazone.«

»Genug, Herr Graf!« rief Ulrich,, schon etwas ungeduldig. »Brückenbau ohne Weghinderniß nenn' ich müßige Verschwendung. Der Entschlossene bedarf keiner Ueberredung. Es ist mir mißlungen, zu verbergen, daß, der Funke, der mir in's Herz schlug, als ich Ihre Tochter in der Kirche zu Netstall erblickte, gestern aufloderte zu leidenschaftlichem Verlangen, sie für mich dem Eisspalt enthoben zu haben und sie lebenslänglich in meinen Armen behalten zu dürfen. Aber nicht minder deutlich erkennen mußten Sie's aus meinem Benehmen, daß meine Mannesvernunft Gewalt behielt über diese Leidenschaft und Gehorsam fand für ihr Verbot jeglicher Hoffnung sowohl, als jedes Wortes, jeder Miene zur Ermuthigung einer Neigung, die ich mit schmerzlicher Freude und doch zugleich mit heftigem Schreck wahrgenommen. Ihre Tochter ist ja katholisch, und ich bin Protestant.«

»Je nun,« versetzte der Graf bemerkenswerth ruhig, »das wäre für mich und schließlich wohl auch für meine Tochter kein unübersteigliches Hinderniß.«

»Aber für mich!« rief Sebald entschieden. »Die Umkehr zum katholischen Bekenntniß hat Ihre jüngere Linie von unserer älteren erst feindlich, dann zu gegenseitiger Entfremdung oder doch Nichtbeachtung geschieden. Mir, dem Nachkommen jenes Reformators, würde schon die Pietät gegen meine Väter eine katholische Gemahlin verbieten, auch wenn mein Amt eine solche Verbindung nicht unmöglich machte. Ich bin – was ich vorgestern zu verschweigen die schwer verzeihliche Schwäche hatte – lutherischer Pastor.«

Erst nachdem er die Bewegung unwillkürlichen Aufspringens vom Stuhle halb ausgeführt, gehorchten die Glieder des Grafen dem Gegenbefehl. Dann klammerte er beide Hände unter den Sitz, als fühlte er sich ohne solche Verankerung nicht sicher vor der Wiederholung dieses Akts von undiplomatischer Lebhaftigkeit, und sagte mit erkünstelter, zur Schärfe des Wortes komisch unpassender Ruhe:

»Sie – ein Geistlicher? Meine Ueberraschung könnte kaum größer sein, wenn Sie sich als Kunstreiter oder Pfandleiher entpuppt hätten.«

Ulrich stutzte, einen Augenblick sich und das Ziel dieses Gespräches vergessend. Daß der Graf in einem Athem mit dem Pfandleiherstande auch den des Kunstreiters mit mehr als geringschätzigem Ton angeführt, das zwang ihn, sich den Schreck auszumalen, mit dem dieser Aristokrat die Zumuthung aufnehmen würde, den Sohn einer Kunstreiterin als Enkel und Erben anzuerkennen. Schnell jedoch raffte er sich zurück in die Gegenwart und frug:

»So ungeeignet also scheine ich Ihnen für meinen Beruf?«

»So ungeeignet scheint mir dieser Beruf für einen Mann Ihres Schlages.«

»Wollen Sie mir das erklären?«

»Ich darf es nur wagen in der Hoffnung, daß meine sehr hohe Meinung von Ihrer Person meinem desto geringschätzigeren Urtheil über Ihren Stand den kränkenden Stachel abstumpfen werde. Lassen Sie mich beginnen mit einem Bekenntniß. Sie sahen mich die Ceremonieen der Messe willig mitmachen. Das that ich nicht allein meiner Tochter zu Liebe, sondern auch um meiner selbst willen. Wie zu Netstall am dritten Jahrestage des Todes meines Lothar, ist es mir an Familien-Feier- und Gedenktagen immer auch eigenes Herzensbedürfniß gewesen, meine Empfindungen zu heiligen und zu beruhigen, indem ich auch meine und der Meinigen Erlebnisse zu erkennen bemüht bin als Fügungen der geheimnißvollen Weltlenkung. Dabei fördert mich das kirchliche Ceremoniell, indem es mich mit seinem Schaugepränge, seiner Musik und seinem Weihrauchduft einwiegt in träumerisches Sinnen. Mir fehlt jedes Glaubensorgan für die Wunder und Mysterien, welche dies Ceremoniell nach der Kirchenlehre und den Worten der Priester versinnlichen soll. Vielleicht sogar Sie, der Protestant, werden mich verstockt nennen, wenn ich offen eingestehe, die Lehre, daß Gottes Zorn auf die sündigen Menschen nicht anders zu besänftigen gewesen sei, als durch den Opfertod seines schuldlosen Sohnes, ebensosehr mit seiner Gerechtigkeit als mit seiner Allgüte schlechterdings unverträglich zu finden. Vollends nur ablehnend verhalt' ich mich gegen das Dogma von der sogenannten Transsubstantiation. Um nicht mein frommes Empfinden in ein recht unheiliges und kirchenfeindliches umschlagen zu lassen, muß ich mir die Vorstellung, vom Leibe Christi zu essen und sein Blut getrunken zu sehn, so fern halten als irgend möglich. Aber der Gedanke, daß meine Vorfahren in allen ernsten Momenten ihres Lebens diese Feier begingen, macht dieselbe auch mir ehrwürdig. Auch überkommt mich wirkliche Andacht vermöge der unbestimmten Ahnung, daß alle diese seit mehr denn anderthalb Jahrtausenden gebräuchlichen Uebungen doch wohl aus einem verborgenen Gesetz allmälig erwachsen sein und eine sowohl mir selbst als den Theologen bisher unbekannte bessere Bedeutung haben mögen als die angebliche. Mir diese Bedeutung selbst anszugrübeln, hab' ich zu wenig gelernt und in meinem Beruf zu wenig Zeit gehabt. Ich beruhige mich dabei, was ihr Abendmahl nennt, wir Messe, zu betrachten als eine Feier der dankbaren Erinnerung an Jesu letzte Lebensstunden. Denn die Gottessohnschaft, an die ich nicht glauben kann, hab' ich auch gar nicht nöthig, um den Stifter unserer Religion als rein menschlichen Heilbringer hoch zu verehren. Kurz, ich bin ein ungläubiger Thomas, bilde mir aber ein, dennoch auf meine Art fromm und kein ganz übler Christ zu sein.«

»Ihretwegen,« bemerkte Ulrich mit Selbstgefühl, »Ihretwegen, Herr Graf, bedauere ich, daß wir heut oder morgen für immer scheiden sollen. Nach dem, was Sie mir eben bekannt, bin ich der Mann, der für Sie einen Segensschatz in Verwahrung hat; – ja,« setzte er nach einigem Zögern hinzu – »vielleicht noch einen zweiten. Jene andere, von Ihnen geahnte bessere Bedeutung ist schon gefunden, und Sie sind reif für die Erkenntniß der Erfüllung.«

»Sieh' da! Regt sich im Edelmann doch wirklich etwas vom Pfäfflein?« sagte der Graf nicht ohne einige Ironie. »Sie wollen mich bekehren?«

»Nicht mehr nöthig. Sie sind schon bekehrt. – Aber nun, wenn ich bitten darf und Sie mir so viel Zeit noch gönnen wollen, Ihren Grund zur Mißachtung meines Standes.«

»Ich frage zunächst: von wannen rekrutirt sich die Geistlichkeit? – In urkatholisch gebliebenen Ländern, wo es noch reiche Abteien und Fürstensitze für Bischöfe gibt, sind allerdings auch zweite Söhne alter Adelsfamilien Inhaber der besten Pfründen, und wenigstens die gesellschaftliche Bildung solcher geistlichen Herren will ich nicht bestreiten. Ueber ihre theologische Gelehrsamkeit hab' ich kein Urtheil. Aber auch unter diesen Bevorzugten kenn' ich sehr Wenige, denen nicht die widernatürliche Ehelosigkeit und der immer niederziehende Nothbehelf zum Ersatz der Gattin die anerzogene vornehme Haltung und selbst den angeborenen Adel der Erscheinung mehr oder minder beeinträchtigt hatte. Dazu kommt dann die in ihrem abgeschlossenen Lebenskreise geflissentlich großgepflegte stolze Zuversicht, Inhaber und Spender der einzig heilvollen Wahrheit zu sein. Dieser Wahn besonders und die mit ihm fast unvermeidlich verbundene Geringschätzung aller wirklich die Würde und das Glück der Völker steigernden Kenntnisse prägen ihnen abstoßende Züge in Gestalt und Antlitz. So sind sie gekennzeichnet als verkommene Nachzügler, die sich bemühen, und leider noch immer nicht ganz vergeblich, unter hemmwüthigem Wehegeschrei die Menschheit rückwärts zu zerren von ihrer Siegesbahn. Der Stand, der weiland wirklich das Beste wußte und schaffend die Fahne der Kultur und Gesittung vorantrug, erhebt immer noch Anspruch auf die Ehren dieser Führerschaft. Er will nicht einsehen, was längst offenbar ist: daß er alle Eigenschaften dazu durch eigene Schuld verloren hat. So macht er sich nur lächerlich und verächtlich, wenn er als mumienhaft ausgetrocknetes Anhängsel die Rolle des Kopfes weiter zu spielen versucht.

Was vollends soll ich sagen von der Heeresmasse unserer niederen Geistlichkeit? Seltener als weiße Raben und außer in der Schweiz fast nur noch in Frankreich zuweilen anzutreffen sind Ausnahmen, wie der schöne, mildherzige und wahrhaft gebildete greise Pfarrer, den Sie in der Kirche zu Netstall gesehen haben. Von wannen füllt man unsere Seminare? Ueberwiegend aus den untersten Ständen mit Knaben und Jünglingen, von denen kein Widerstand zu befürchten steht gegen die Einimpfung von Dogmen, die sich weder mit dem Naturgesetz noch mit dem Einmaleins vertragen.

Steht es bei euch Protestanten besser damit? Vielleicht noch schlimmer, wenigstens nach meinen Beobachtungen der Mehrzahl eurer Pfarrer, eurer hauslehrenden Kandidaten, eurer Theologiestudenten – denn auch ich habe meine vier Semester Humaniora absolvirt, wenn auch leider weit mehr auf dem Fechtboden und in der Korpskneipe, als in den Hörsälen. Bei uns kann der geringste Seminarist Bischof werden, ja, als Kardinal Fürstenwürde erlangen. Was habt ihr dem Ehrgeiz zu bieten, um begabte Menschen anzulocken? Eine Hofpredigerstelle wenn es hoch kommt. Wer mag denn noch Theologie studiren auf euern Universitäten? Fast nur die Söhne mittelloser Leute, die in der Gesellschaft tief genug stehen, um es als eine stolze Steigerung ihrer Familienwürde zu empfinden, wenn mittelst der vormals so zahlreich gestifteten theologischen Stipendien ihre Sprößlinge geistlich werden und die unterste Stufe der sogenannten Honoratiorenschaft erklimmen. Ich weiß, daß es sich ehedem anders verhielt und daß wir eine Reihe ausgezeichneter Männer euren Pfarrerfamilien verdanken. Aber Sie werden es schwerlich leugnen wollen, daß von der Jugend, wenigstens von derjenigen der gebildeten Stände, nur der mindestbegabte Ausschuß Ihrem Berufe sich zuwendet. Verirrt sich aber ja einmal ein Talent unter die Theologen, so kommt es entweder zu der Erkenntniß, den geforderten Kirchenglauben nicht heucheln zu dürfen, und sattelt um, oder es wagt den Versuch, aufgeklärt zu predigen, und wird, wenn überhaupt zur Kanzel zugelassen, von den herrschenden Zeloten bald aus der Kirche hinausgedrängt. Daß das mit Ihnen, bei der Denkweise, die ich Ihnen zutrauen muß, nicht schon längst geschehen ist, das ist's, was mir noch jetzt unbegreiflich bleibt, auch nachdem Ihre Familiengeschichte mich errathen läßt, daß nicht Wahl, sondern Angeburt Sie behaftet mit einem Stande, für welchen Sie zwanzigfach zu schade sind.«

»Leider,« entgegnete Sebald, »muß ich Ihnen nur allzu weit Recht geben. Auch können Sie vielleicht bald erleben, daß mir geschieht, was zu Ihrer Verwunderung, bisher noch unterblieben ist. Der Wunsch meiner Vorgesetzten, mich aus der Kirche zu drängen, ist längst unzweifelhaft, ihre Macht in stetem Wachsthum begriffen. Aber besuchen Sie mich in Odenburg. Nicht nur meinetwegen, um Ihnen zu beweisen, daß ich nicht bloß aus Erbgewohnheit festhalte an meinem Amt, auch Ihretwegen bitt' ich darum, und keineswegs als Proselytenmacher. Sie finden bei mir, was Ihnen fehlt, und vielleicht sogar in doppeltem Sinne. Es wird Sie nicht hindern, katholisch zu bleiben, so weit Sie es noch sind.«

»Wenn Sie sich mir jetzt, wie ich hoffe, bewähren als ein echter Sebald, dann versprech' ich, zu kommen. Bevor ich aber mit meiner Forderung herausrücke, muß ich noch ein beschämendes Geständniß ablegen. Meine verständigen Gründe gegen eine Verbindung meiner Tochter mit Ihnen haben Sie gehört. Doch ich bekenne, daß deren Gewicht mir verdoppelt wird durch einen unverständigen, gleichwohl ununterdrückbaren. Ich bin entschieden zu kurz gekommen in Betreff meiner Anlagen zum Glauben. Aber die mir angeborene Nüchternheit, hat nicht ausgereicht, mich zu befreien von einem Aberglauben, zu dessen widerwilligem Sklaven ich gepreßt worden bin durch schlimme Erlebnisse. Wenn ich auch gar nichts einzuwenden hätte gegen Ihre Eidamschaft – unbesiegbare Angst würde mir die Zustimmung verbieten, lediglich weil Sie uns begegnet sind am fünfzehnten Juli, den wir vorgestern hatten. Dieser Tag ist für mich schon so oft verhängnißvoll gewesen, daß ich alljährlich, wann er naht, mit dem Trauerflor um den Hut in entlegene Einsamkeit flüchte, um jede Begegnung zu vermeiden mit Leuten unserer Gesellschaftskreise, denen eine irgendwie bedeutsame Rolle in meinem und der Meinigen Schicksal zufallen könnte. Auch bekenn' ich, daß Sie deßhalb die Thür der Kirche zu Netstall hinter uns verschlossen gefunden hätten, wenn ich eine Ahnung gehabt von Ihrer Absicht, einzutreten. An einem fünfzehnten Juli erlag mein Sohn Lothar seiner Verwundung. An einem fünfzehnten Juli war lange zuvor sein jüngerer Bruder als fünfjähriger Knabe am Scharlachfieber gestorben. An einem fünfzehnten Juli hatte ich mich bei der ersten Begegnung leichtsinnig verlobt mit der berückend schönen Frau, die mir zwar treffliche Kinder schenken, mich aber sehr unglücklich machen sollte mit ihrer fanatischen, dem unbelehrbaren Gemahl gegenüber zuletzt bis zur Verachtung und giftigem Haß ausgearteten Bigotterie. Von einem fünfzehnten Juli endlich haftet in meinem Gedächtniß unauslöschlich die qualvollste meiner Erinnerungen. Nach zweijährigem Universitätsbesuch war ich, wie das in unserem Hause herkömmlich, in den österreichischen Heeresdienst eingetreten und machte als Unterlieutenant unter Haynau den Feldzug gegen Ungarn mit. Ein gefangener Honvedoffizier war standrechtlich zum Galgen verurtheilt, aber, wie man sich damals ausdrückte, zu Pulver und Blei begnadigt worden. Mich hatte das traurige Loos getroffen, die Exekution zu kommandiren. Nur allzu oft seh' ich noch jetzt die Frau des Verurtheilten, meine Füße umklammernd, vor mir knieen und höre ihr Flehen um nur eine Stunde Aufschub, da man wisse, daß der Befehl schon unterwegs sei, mit den Hinrichtungen aufzuhören. Ich aber mußte natürlich dem Befehl des Generals unweigerlich gehorchen. O daß ich ihm auf Gefahr eines Jahres Festung getrotzt hätte! Noch war der Pulverdampf der Salve, die der Wink meines Taschentuchs gelöst, nicht völlig verschwebt, als in gestrecktem Galopp schon die Ordonnanz mit dem Gegenbefehl heransprengte. Nimmer los werden kann ich das Bild des angesichts des Begnadigungsboten auf dem blutigen Sandhaufen noch zuckenden armen Mojenyi.«

»Mojenyi?« schrie Ulrich aufspringend.

»Hat denn der Name Bedeutung für Sie?« fragte der Graf, nicht minder betroffen.

Ulrich lief mehrmals mit sich kämpfend im Zimmer auf und nieder, bevor er antwortete:

»Verschieben Sie den mir versprochenen Besuch nicht allzu lange. Die Pflicht des Beichtgeheimnisses bindet mir jetzt noch die Zunge. Doch Ihnen gegenüber, Herr Graf, kann sie mir binnen Kurzem gelöst sein. Was ich eben gehört, steigert für Sie den Werth eines Schatzes, dessen Hüter ich bin. Mehr darf ich heute nicht sagen. Ich bitte deßhalb, nicht weiter zu forschen, sondern mir nun unverweilt Ihr schon angekündigtes Begehren mitzutheilen.«

Der Graf gehorchte, wenn es ihm auch nicht ganz leicht wurde, seiner Neugier Schweigen zu gebieten.

»Zunächst,« begann er nach einer längeren Pause, ,»ersuche ich Sie dringend, Hildegard entweder gar nicht, oder, wenn Sie es unumgänglich finden sollten, doch erst ganz zuletzt, nach sorgsam schonender Vorbereitung, beim Abschied erfahren zu lassen, daß Sie lutherischer Pastor sind. Mit ihrem Glauben an eine unmittelbare Fügung Gottes und der heiligen Jungfrau ist das unvereinbar. Es würde wie ein Erdstoß das ganze Gebäude ihrer Ueberzeugungen umwerfen und von solcher Aufregung stünden die schlimmsten Folgen zu befürchten bei ihrem noch keineswegs unbedenklichen Zustande. Das zu verhüten sind Sie verpflichtet. Die kluge Vorsicht und Milde zur Lösung dieser schwierigen Aufgabe traue ich Ihnen zu, wenn ich auch ehrlich eingestehe, selbst nicht zu wissen, wie ich mich dabei anzustellen hätte. Ich sehe, mein sehr lieber und hochehrenwerther Herr Vetter, daß wir, wenn auch aus sehr verschiedenen Gründen, einig sind in Betreff des unerläßlichen Opfers. So wag' ich es denn, Ihnen, dem geistesstarken Manne, etwas beinahe Unerhörtes zuzumuthen.«

»Und was?«

»Sich selbst das Opfer noch zu erschweren, um es meiner Tochter zu erleichtern. Die Flucht ergreifen dürfen Sie keinenfalls. Das wäre Mangel an Tapferkeit auf Gefahr meines Kindes. Sie würde das nur für die Eingebung allzu großer Bescheidenheit oder schwermüthiger Laune halten. Fest überzeugt von Ihrer Liebe, würde sie auch Ihrer Wiederkehr gewärtig bleiben. Ich kann es ihr kaum verdenken, daß sie vorgestern und gestern ein unzweifelhaftes Wunder unter Eingriff himmlischer Mächte erlebt zu haben meint. Ueberlief doch selbst mich bei der Szene in der Kirche ein geheimnißvoller Schauer, als fühlt' ich eine unsichtbare Lenkerhand uns drei Marionetten wider einander würfeln. Ebenso abermals gestern auf dem Eise, als beinahe zugleich mit dem aus der Tiefe heraufklingenden Anruf der Muttergottes der erste Schall eurer Tritte an mein Ohr schlug. So hell und selbst nüchtern in allen weltlichen Dingen Hildegard's Verstand ist, ihre Phantasie ist von schwer zu zügelnder Flugkraft. In Dienst genommen vom Herzen, würde sie selbst eine Montblanckette von Hindernissen ihres Wunsches kühn überflattern. Mein Widerspruch, fürcht' ich, würde sie nur bestärken in der Hoffnung auf ein zweites Wunder, welches dem lutherischen Pastor die Mischehe, ihr, der ländlichen Amazone, sein enges Stadthaus genehm zu zaubern oder gar den gelehrten Theologen in einen so tüchtigen als zufriedenen Gutsherrn umzuwandeln im Stande sei. Ich schiene ihr das Band, in dem sich euere Herzen wie in einer Schlinge gefangen haben, gewaltsam zerreißen zu wollen und würde es dadurch für Hildegard nur noch fester knüpfen. Sie selbst nur können es glimpflich lösen. Das ist es, was ich verlange. Uebrigens muthe ich Ihnen keineswegs eine Komödie zu. Sie sollen sich nicht etwa anschwärzen, um sie abzukühlen durch erheuchelte Unliebenswürdigkeit. Bewahre! Ich fordere nicht einmal, daß Sie Ihre Neigung verhehlen. Nein, bleiben Sie ganz ehrlich. Um so besser werden Sie's meiner Tochter begreiflich machen können, daß zwischen euch Zweien nichts Anderes möglich ist, als vielleicht nach Jahren die brüderliche Freundschaft, zu der Ihre Aehnlichkeit mit Lothar Sie ohnehin prädestinirt hat.

Heute bleiben wir noch hier. Hildegard muß auch tagüber das Bett hüten, um sich völlig zu erholen. Für morgen laß ich zwei der landesüblichen Einspänner bestellen zur Fahrt bis Richisau, von wo wir auf Saumpferden oder zu Fuß nach Einsiedeln gelangen werden. Im ersten fahren Sie mit meiner Tochter, im zweiten ich mit Heiri. Keine Einwendungen! Sie sehen, ich setze unbegrenztes Vertrauen auf Ihre Seelengröße, Weisheit und Gewandtheit. Sie werden es rechtfertigen. Guten Morgen, lieber Freund und Vetter.«


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