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Felix beeilte sich, mit dem Fürsten zusammenzukommen.
Er wartete nicht die Stunde der Abendbörse ab, wo er ihn ohne alle Zeremonie würde sprechen können, sondern suchte ihn in seiner Wohnung auf.
Waldemar ließ ihn nicht lange im Vorzimmer warten; auch die Finanzfürsten pflegen einer den Rang des andern mindestens äußerlich zu ehren.
Er empfing den Bankier in seinem Arbeitszimmer.
»Ah! Durchlaucht arbeiten?« sprach Kaulman mit obligater Freundlichkeit, sehr verwundert, daß ein Mann von so hohem Rang imstande ist, eigenhändig eine Broschüre aufzuschneiden und darin mit Rot- und Blaustiften Stellen zu unterstreichen, die ihm besonders gefallen.
Der Fürst legte die Broschüre aus der Hand und bot Felix einen Sitz an.
»In diesem Augenblick habe ich erfahren, daß Durchlaucht in Paris angekommen sind, und ich beeilte mich, der erste zu sein, der Sie begrüßt.«
»Auch ich beschäftige mich gerade mit Ihnen.«
Felix verstand sehr gut das eigentümliche Lächeln, womit der Fürst seine Worte begleitete.
»Ich komme derzeit unter dem Schutz der weißen Parlamentärfahne in das Hauptquartier des Feindes.«
Der Fürst dachte bei sich: Ich weiß es, die Fahne ist ein gesticktes Batisttuch mit dem Buchstaben »E« in einer Ecke.
»Selbst größere Mächte als wir sind, haben sich schon ausgesöhnt,« begann Felix, »und aus Gegnern wurden Bundesgenossen, wenn sie sich in einem gemeinsamen Interesse begegneten.«
»Und was wäre für uns ein gemeinsames Interesse?«
»Das von mir projektierte Anlehen.«
Der Fürst sagte hierauf nichts, sondern antwortete bloß mit einem verletzenden Lächeln, das den Bankier ganz aus der Fassung brachte.
»Herr!« sprach Felix, indem er sich von seinem Sitz erhob, um seine Ansichten mit größerer Emphase vorzubringen; »es handelt sich um ein zum Wohl des heiligen Stuhles abzuschließendes Anlehen! Und ich weiß wohl, daß Sie ein eifriger Katholik sind!«
»Wer mag mich verraten haben?«
»Außerdem sind Sie ein geborener Aristokrat. Sie können nicht zugeben, daß während ein bureaukratischer Minister die Kirchengüter in Ungarn einfach in die Tasche zu stecken sich anschickt, unterdessen andrerseits ein Freimaurergesindel das Patrimonium des heiligen Petrus der Sansculottecanaille als Beute hinwerfe, während wir jetzt mit einem Schlage beides verhindern können. Sie sind ein Edelmann!«
»Was bin ich noch alles?«
»Und schließlich sind Sie auch Finanzier. Es kann Ihnen unmöglich entgangen sein, daß dieses Anlehen eine der größten, rentabelsten Unternehmungen ist. Sie sind ein kluger Mann, der zu rechnen weiß.«
»Bin ich noch etwas?«
Felix ließ sich durch Waldemars kalten Sarkasmus nicht aus der Fassung bringen, und mit einer schnellen Wendung, mit dem Ausdruck der süßesten Freundlichkeit im Gesicht reichte er Waldemar seine Hand hin.
»Und der liebste Freund des Hauses Felix Kaulman.«
Er riskierte es, daß man auf dieses Wort entweder in seine Hand einschlägt und seine Freundschaft annimmt, oder ihm eine Ohrfeige gibt.
Es passierte ihm noch etwas Schlimmeres als das letztere.
Der Fürst nahm von seinem Tisch die Broschüre, in der er soeben gewisse Zeilen blau und rot unterstrichen hatte.
»Nun, mein lieber katholischer Glaubensgenosse, mein aristokratischer Standesgenosse, mein Berufsgenosse als Finanzmann und mein liebster Freund – werfen Sie einen Blick in diese kleine Broschüre, und finden Sie darin die Antwort, die ich Ihnen zugeben habe. Ich bitte, machen Sie sich es bei mir bequem.«
Während Felix die ihm in die Hand gegebene Broschüre durchlief, hatte Waldemar Zeit, sich die Nägel zu feilen.
Felix legte die Broschüre nieder.
»Das soll meine Biographie sein?«
»Wie das Titelblatt zeigt.«
»Sind Durchlaucht selbst der Verfasser?«
»Ich habe die Daten geliefert.«
»Hier sind Geschäfte aller Art aufgezählt, mit welchen ich angeblich dem Publikum Sand in die Augen gestreut hätte, bis zum Bondavárer Unternehmen, in welchem ich durch eine falsche Bilanz und eine fingierte Dividende von den Kapitalisten zehn Millionen zusammenbekommen hätte, die jetzt durch die Katastrophe verloren sind. Das ist ein grausames Pamphlet.«
»Ist es vielleicht nicht wahr?«
»Es ist wahr! Ich habe in Ew. Durchlaucht meinen getreuen Geschichtschreiber gefunden. Aber lassen Sie mich meine Biographie fortsetzen. Ich kann den gestern verursachten Schaden morgen wieder gutmachen; das schlechte Geschäft wird durch ein gutes wieder ausgeglichen. Eine kleine Niederlage wird durch einen großen Sieg gedeckt. Was bezwecken Ew. Durchlaucht mit dieser Broschüre?«
»In der Stunde, in welcher Sie Ihr Anlehen auf der Börse auflegen, verteile ich diese Broschüre im Parkett und in der Kulisse und beginne die Kontermine damit, daß ich die Streichung Ihrer Aktien aus dem Kurszettel veranlasse.«
»Das habe ich im voraus gewußt, und ebendeshalb bin ich hierher gekommen, um es zu verhindern.«
Felix Kaulman wollte mit dem häufigen Zwinkern seiner Augen seine Erbitterung ausdrücken; er steckte die Hand in seine Weste und fuhr mit gedämpfter Stimme fort: »Herr, wenn Sie wollten, daß ich vor Ihren Augen sterbe, so haben Sie Ihren Zweck erreicht.«
Waldemar brach in schallendes Gelächter aus und klopfte Kaulman auf die Schulter.
»Ich bitte Sie, spielen Sie mir keine Komödie vor. Sie sind nicht zu mir gekommen, um sich vor meinen Augen eine Kugel durch den Kopf zu jagen, sondern um mir etwas zu verkaufen. Sie sind ein ruinierter Schwindler, der noch ein letztes Kleinod besitzt: einen wunderbaren schwarzen Karfunkel, den Sie unter einem Steinkohlenhaufen gefunden, glatt geschliffen, vielfach mit Gewinn verkauft haben und der jetzt in Ihre Hände zurückgelangt ist; Sie wissen wohl, daß ich in diesen Ihren Schatz vernarrt bin, daß ich bereit bin, darauf gegen die ganze Welt zu lizitieren; deshalb sind Sie hergekommen! Nun verstehen wir einander. Ich unterhandle mit Ihnen. Was ist der Preis?«
Der Fürst warf sich in seinen Fauteuil und forderte jetzt Kaulman nicht mehr auf, sich ebenfalls zu setzen.
Auch dieser gab jetzt sein Pathos auf und nahm sein natürliches Gesicht wieder an, wenn bei ihm überhaupt von einem Gesicht gesprochen werden darf.
»Zunächst diese Broschüre!« sagte er, die Hand auf die Flugschrift legend.
»Gut! Sie sollen sie haben – tausend Exemplare samt dem Manuskript. Sie können damit einheizen, wenn Sie sie nicht zum Andenken aufbewahren wollen.«
»Zweitens,« fuhr Felix fort, »geben Sie die Kontermine auf; an den drei Tagen der Subskription des Anlehens führen Sie gegen mich und meine Geschäftsgenossen kein Manöver aus. Im Gegenteil werden Sie selbst unter den ersten Subskribenten mit einem Ihres Namens würdigen Betrag figurieren.«
»Gut!« sagte der Fürst, »wir werden uns miteinander verständigen! Doch hören Sie jetzt meine Modifikationen. Am ersten Tag der Zeichnung des Anlehens unternehme ich nichts gegen Sie, aber ich zeichne auch nichts. Am zweiten Tage tue ich Ihnen auch nichts, aber ich leiste Ihnen auch keinen Vorschub. Am dritten Tage zeichne ich eine Million, und von dann ab weiter poussiere ich Ihre Unternehmungen so, als ob ich Ihr bester Freund wäre.«
»Aber warum nicht gleich am ersten Tage?«
»Ich werde Ihnen gleich sagen, was an den ersten zwei Tagen geschieht. Noch heute setzen Sie Madame davon in Kenntnis, daß Fürst Theobald unter gerichtlichen Sequester gekommen ist und daß sie im Hotel des Fürsten Theobald nicht mehr wohnen kann. Madame war schon einmal so großherzig, Theobald sein Palais samt allem, was es enthielt, zurückzugeben, sie wird es auch zum zweitenmal tun und zu ihrem Gemahl zurückgehen. Der Gemahl feiert den Tag der Aussöhnung mit einer glänzenden Soiree, zu der er den besten Freund seines Hauses einladet.«
Der Fürst legte hier den Zeigefinger mit einer bedeutungsvollen Bewegung auf seine eigne Brust. »Der Freund wird bei dieser Gelegenheit Madame die Abbildung jenes prachtvollen Sommerpalais zeigen, das am Ufer des Comosees seiner Herrin wartet, die ein großes Bedürfnis nach Luft- und Gemütsveränderung hat.«
»Sie sind sehr zart.«
»Loben Sie mich nicht, ich bitte. Der zweite Tag dient dazu, damit Herr Felix Kaulman Madame darüber aufkläre, daß in Frankreich zur Giltigkeit einer Ehe der Zivilvertrag unerläßlich ist. Daher gehen Sie mit ihr zum Notar und lassen die Zivilverbindung vollziehen.«
»Aber, Herr!« rief Kaulman mit dem Ausdruck wahren Entsetzens im Gesicht und fuhr zurück, »warum wollen Sie das?«
»Warum!« sprach der Fürst, und jetzt stand auch er von seinem Sitz auf, um seinem Opfer besser unter die Nase reiben zu können, was er ihm zu sagen hatte, »darum, damit Sie, schlauer Spekulant, nicht tun können, worauf Sie gerechnet haben; Sie nehmen in einem Lande ein schönes Gesicht und wollen es in einem andern Lande, wo dies angeht, von sich wegwerfen. Ich will, daß Sie Madame Ihren Namen nie und nirgends wegnehmen können. Denn sonst würden Sie mir am vierten Tage ins Gesicht lachen und sagen: Was ich dir gegeben habe, das hat ja niemals mir gehört! Ich will auch die Fassung des Diamanten, ich lasse diesen nicht aus Ihrem Trauring herausbrechen, sondern ich will ihn mit diesem zusammen sehen.«
Kaulman konnte seine Verlegenheit nicht verbergen.
»Diese Laune ist mir unbegreiflich, Herr!«
»Ich verstehe Sie, und wenn Sie wollen, so können auch Sie es. Ich bin in dieses Weib wahnsinnig verliebt, und sie kann mich nicht ausstehen. Ich weiß den Grund davon, Sie aber ahnen ihn gar nicht. Ihre Gemahlin ist ein tugendhaftes Weib! Sie staunen darüber, nicht wahr? Es ist nicht Ihr Verdienst, daß sie tugendhaft blieb, sondern das Verdienst des Fürsten Theobald. Das hat mir Theobald gesagt. Er hat die Dame schwören lassen, daß sie mich niemals empfängt. Armer Alter! Er hat geglaubt, seine Tochter mit mir auszusöhnen, wenn ich auf Eveline verzichte. Er war ein schlechter Psycholog, denn damit hat er ja meine Leidenschaft nur noch mehr angefacht. Einer Gefallenen läuft man nicht von einem Land ins andre nach. Ich hätte sie längst vergessen. Aber ich verfolge sie, weil man mir das Geheimnis ihrer Reinheit verraten hat. Ich bete dieses Weib an, weil sie glänzend, weil sie rein, weil sie strahlend ist; dieser durchsichtige Glanz bedarf eines Titels, eines authentischen Stigmas, dieser Titel ist Ihr Name. Jetzt wissen Sie, was ich von Ihnen verlange!«
»Fürst! Sie haben teuflische Einfälle! Sie wollen mich an meine Schmach festbinden!«
»An Ihre Schmach! wer hat Sie denn auf den Markt gerufen, auf welchem man Schmach verkauft und kauft? Was biete ich Ihnen an? Etwa nicht, daß der Name Kaulman hoch geschätzt werden soll? O, an dem Namen Kaulman darf nicht der geringste Makel haften. Der Chef der Firma Kaulman wird ein wackerer, respektabler Mann sein – draußen in der Welt eine Notabilität, auf der Börse ein Zensor, ein solider Mann, zu Hause ein ehrsames Familienoberhaupt. Was er draußen in der Welt wirklich ist, daß wissen nur wir zwei; und was er zu Hause ist, das wissen nur wir drei.«
Kaulman wollte die Aufregung eines inneren Kampfes zur Schau tragen.
»Ei! Herr, reiben Sie nicht Ihre Augen und Ihr Gesicht!« sprach der Fürst, »ich werde Ihnen deshalb doch weder glauben, daß Sie weinen, noch daß Sie erröten. Die Zeit ist kurz, es wird besser sein, wenn Sie eilen, sie zu benützen.«
Das ist wirklich wahr. Eile ist nötig. Darum erließ sich Herr Felix die mit Haarausraufen verbundene Schlußszene des mit der Verzweiflung kämpfenden Ehrgefühls, und den günstigen Handel als vollendete Tatsache betrachtend, reichte er Waldemar die Hand.
Aber Waldemar drückte ihm die Hand doch nicht. Er dankte für die Ehre.
»Schreiben Sie's nur unter Ihre übrigen Schlüsse in Ihr Notizbuch; es ist nicht notwendig, daß wir uns die Hand geben. Die Daten setzen Sie genau hin. Wenn ich morgen bis ein Uhr mittags von Ihnen die Einladung zur Soiree bekomme, so erscheine ich übermorgen nicht auf der Börse. Wenn ich übermorgen bis ein Uhr mittags von Ihrem Notar die offizielle Mitteilung über die Ziviltrauung erhalte, so gehe ich wieder nicht auf die Börse. Und wenn am vierten Tag bis ein Uhr mittags Ihr Bevollmächtigter mir die Nachricht bringt, daß Sie in Angelegenheit des Anlehens nach Brüssel abgereist sind, und Sie mir den Schlüssel Ihrer Wohnung mit der Bitte schicken, ich möge Sie hier als Ihr Geschäftskompagnon vertreten, so erscheine ich auf der Börse und verhelfe dem Anlehen zu einem glänzenden Erfolg. Jetzt weinen oder lachen Sie nach Belieben, aber nur nicht hier in meinem Zimmer.«