Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Halina-Verehrung.

Es ist ein sonderbares Zusammentreffen des Zufalls, daß, als Iwan bei sich sagte: »Wie lange wird dieser Spaß noch dauern?« – zur selben Zeit auch Fürst Waldemar den von Triumph strahlenden Kaulman auf der Börse fragte: »Was glauben Sie, wie lange wird diese Komödie noch dauern?«

»Es fehlt noch der dritte Aufzug!« antwortete der Bankier.

»Ja, die dritte Ratenzahlung. Dann sprenge ich sie in die Luft.«

»Ich werde auch dort sein!«

Die Kontermine konnte nicht erraten, was Kaulman noch vorhabe. Daß er etwas vorhabe, war gewiß. Was, wußte niemand sonst als der Abt Samuel und der Fürst Theobald.

Dieser dritte Aufzug war die Bondataler Eisenbahn!

Eine schwere Aufgabe! Die Staatsweisen zürnen Ungarn und wollen in ihrem Zorn keine Eisenbahnkonzession geben; selbst die Landstraßen lassen sie nicht schottern, möge das Land wüst werden wie ein Teil Asiens.

Und haben sie nicht Grund genug zum Groll? Ihre Lieblingsstaatsidee scheitert an der Hartnäckigkeit dieses unbeugsamen Stammes.

Alle, die in Ungarn Tuch tragen, demonstrieren gegen sie. Sämtliche Beamten, die Mittelklasse, die Intelligenz des Landes legten lieber einstimmig ihre Aemter nieder, ehe sie die Schimäre des Wiener Staatsweisen verwirklichen helfen. Gut! Man mietete dafür eine andere Gruppe; wenn der Tisch gedeckt ist, fehlt es nicht an Gästen. Die gedungene Beamtenschar strich die Gehalte ein, legte den Amtseid ab, stopfte sich die Taschen voll, tat aber nichts für die Staatsidee.

Zwischen den beseitigten und den neu aufgenommenen Beamten war nur der Unterschied, daß jene offen sagten, sie wollen nichts tun, diese aber zeigten, daß sie sich bestrebten etwas zu tun, nur daß dieses nicht möglich war; sie schoben, aber die Sache rührte sich nicht von der Stelle.

Von der in Tuch gekleideten Mittelklasse ist also nicht zu erlangen, was die Staatsweisen wollen.

Sonst diente wenigstens die in Seide und Samt gehende Klasse als Gegengewicht, der Prachtornat und die Reverende, die Magnaten und die Geistlichen. Jetzt halten auch diese sich fern.

Der Primas remonstriert, die Bischöfe repräsentieren, die Grafen, die gewesenen Obergespäne sind in Pest und konspirieren vielleicht.

»Flectere si nequeo superos –«

Wenden wir uns an die Halina.

Die Halina ist, wie bekannt, die gemeinste Sorte Tuch, die nur die ärmsten Volksklassen tragen.

Dieses Halinatuch erfreute sich zu jener Zeit in der kaiserlichen Residenzstadt großer Beliebtheit.

Nicht als ob die Modedamen plötzlich auf den Einfall geraten wären, sich ihre Kleider aus Halinatuch machen zu lassen, sondern weil die in Halina gekleideten Leute im gesetzgebenden Körper der Monarchie eine ganze Bank einnahmen. Galizien hatte sie geschickt.

Na? Und was dann? Haben Sie etwas dagegen einzuwenden? Sind wir Demokraten oder nicht?

O, ich bitte ergebenst. Allerdings sind wir Demokraten. Ich habe kein Wort dagegen einzuwenden; ich wollte vielmehr sagen, daß es ein genialer Gedanke war, das Halinatuch in den gesetzgebenden Körper zu bringen. Die Träger desselben sind ohne Zweifel gewissenhafte, rechtschaffene Leute. Wenn ihr Leitbischof gähnt, so gähnen sie auch, wenn er aufsteht, so erheben sie sich ebenfalls, wenn er sich den Kopf kratzt, so kratzen auch sie sich den Kopf – und das beweist Festigkeit der Grundsätze. Die Sprache, in welcher die Beratung gepflogen wird, verstehen sie zwar nicht, aber damit ist der unschätzbare Vorteil verbunden, daß sie keine langen Reden halten und den Lauf der Debatte nicht mit Dazwischenreden stören. Tiefe Kenntnisse auf dem Gebiet der Gesetzgebung, der Verfassungsfragen, der Reformangelegenheiten und des Budgets haben sie zwar nicht mitgebracht, aber gerade diese paradiesische Einfalt verdient das größte Vertrauen; denn niemand kann sie verdächtigen, daß sie mit der Regierung stimmen, weil sie ein Amt haben wollen.

Wir wiederholen es, die Einführung des Halinakittels in den Kreis der Gesetzgeber gereicht dem Erfinder zur Ehre.

Aber auch in Ungarn gibt es viele, die in Halina gekleidet gehen. Und hundert und etliche Sitze stehen für sie im Gesetzgebungspalais vor dem Schottentor bereit.

Es fehlt nur ein Medium dazu. Die Geistlichen.

Denn diese ungarischen Geistlichen sind solche Barbaren, so ungebildet, daß sie selbst jetzt noch lieber an den alten Traditionen aus der Rákóczyschen Zeit festhalten, als die Errungenschaften der Zivilisation der neueren Zeit annehmen.

Selbst ein so kleiner, unbedeutender Mensch wie der Pfarrer Mahók schickte das Intimat des Ministers, welches er dem Volk von der Kanzel herab hätte mitteilen sollen, mit dem Bedeuten zurück, daß er nicht der Nachtwächter des Dorfes sei. Wenn man etwas publizieren will, so sei ja der Marktplatz da und der Kleinrichter und die Trommel, sie sollen es austrommeln lassen; aber in seiner Kirche werden keine Kurrenden vorgelesen!

Auch diesen hartnäckigen Klerus muß man brechen!

* * *

»Jetzt ist die Zeit da zum Handeln!« sagte Felix Kaulman zum Abt Samuel.

»Jetzt ist die Zeit da zum Handeln!« sagte der Abt Samuel zu sich selbst.

Der Primas ist in Wien gewesen. Der Primas hat keine Audienz erhalten. Der Primas ist in Ungnade gefallen. Der Bischof von Siebenbürgen ist seines kirchlichen Amtes enthoben worden. Gegen den ungarischen Klerus ist das Schwert geschliffen, und dem Faden, woran das Damoklesschwert hängt, nähert sich bereits die Schere, die ihn entzweischneiden soll.

Die Bondavárer Eisenbahn ist der »gradus ad Parnassum«.

Wenn es gelingt, sie zu erwirken, so steht das Haus Kaulman mit den Pereires und Stroußbergs in einem Range.

Und dann kann auch das päpstliche Anlehen auf die ungarischen Kirchengüter durchgeführt werden.

Alles mit einem Schlage!

Rang in der Welt, Macht im Lande, Einfluß im Kaiserreich, Erfolg auf dem Geldmarkt und Triumph in der kirchlichen Herrschaft.

Abt Samuel begann seine hochstrebende Rolle.

Die erste Aufgabe war, auch aus Ungarn das Halinatuch in den gesetzgebenden Körper der Monarchie einzuführen, und dafür die Bondavárer Eisenbahn, den Bischofstitel und einen Sitz im Herrenhause zu erhalten.

Alle diese drei Dinge lagen ihm auf der Hand.

Die größten Menschen waren bloß Schachfiguren, die er nach seinem Belieben in Bewegung zu setzen brauchte: der Staatsmann, der Börsenfürst und die schöne Dame!

* * *

An einem Samstag erhielt Iwan von Herrn Rauné einen Besuch. Herr Rauné sagte in kurzen Worten den Grund, der ihn hergeführt. Die Bewohner mehrerer Ortschaften des Bondatals haben den Wunsch, an die Wiener Regierung und an den Reichsrat sich mit der Bitte zu wenden, daß die Kommunikationsmittel ihrer Gegend in einen besseren Zustand versetzt werden mögen. Diese Angelegenheit interessiere Iwan ebensosehr wie die übrigen, darum möge er gestatten, daß auch seine Arbeiter an der morgen zu haltenden Volksversammlung teilnehmen dürfen.

Iwan schlug die Bewilligung rundweg ab.

»Wir leben unter Ausnahmegesetzen. Diese verbieten die politischen Versammlungen. Diese Volksversammlung aber wird einen politischen Anstrich haben, und ich halte das obrigkeitliche Verbot aufrecht.«

Deshalb fand aber am andern Tage die Volksversammlung doch statt, und Abt Samuel hielt da eine zündende Rede. Schon seine Gestalt imponierte, sein Vortrag war verständlich und hinreißend. Der Gegenstand war so unzweifelhaft gemeinnützig, daß niemand widersprechen konnte. Und damit nicht der geringste Grund zum Verdacht vorhanden sei, kam das zu umgekehrter Popularität gelangte Wort »Reichsrat!« in der Rede nirgends vor.

Einstimmig wurde der Beschluß angenommen, daß durch das Volk eine aus zwölf Mitgliedern bestehende Deputation gewählt werde, die nach Wien gehen und dort die Wünsche des Volks vorbringen sollte.

Abt Samuel nannte die zwölf, die zu wählen wären, und die Umstehenden brüllten bei jedem einzelnen ihr »Eljen!«

Durch die Güte der Bondavárer Aktiengesellschaft erhielt jedes gewählte Mitglied der Deputation die vollständige Reiseverköstigung, außerdem einen neuen Szür (Mantel aus Halinatuch), einen Hut und ein Paar Stiefel.

Zu zwölf neuen Szürs sollte man wohl leicht zwölf Unternehmer finden, die sie umnehmen.

Es war aber keine leichte Arbeit! Denn die Halinaleute sind mißtrauisch. Sie lieben es nicht, mit großen Herren Kirschen zu essen. Von einem Geschenk fürchten sie, daß sie es nur zu teuer werden bezahlen müssen. Wenn ein Mann im Tuchrock den Antrag gestellt hätte, so würde er großen Widerspruch gefunden haben; aber es war ein Geistlicher, ein hervorragender Geistlicher. Dem kann man schon folgen. Von dem ist nicht zu fürchten, daß er die Deputation an einen Ort führt, wo man eine Last übernehmen muß und einmal hört, daß man Haus und Grund verlassen müsse; warum? Weil zu der und der Zeit zwölf Männer in Wien waren und dort die irdischen und himmlischen Rechte der ganzen Bevölkerung dem Teufel oder Gott weiß wem verkauft haben. Der Geistliche wird sie nicht aufs Eis führen.

Aber deshalb band man es den zwölf neuen Szürs dennoch auf die Seele, dort oben Mann für Mann zu verleugnen, daß sie schreiben können; sie sollen gar nichts unterschreiben; und besonders, wenn man von ihnen zu erfahren trachtet, wieviel Felder und wieviel Söhne ein jeder hat, so sollen sie sich hüten, eine direkte Antwort zu geben.

In die Deputation wurde natürlich auch Peter Saffran gewählt. Ihn brauchte man besonders notwendig in Wien.

Gleich am andern Tag machte sich die Deputation unter der Führung des Herrn Abts auf die Reise.

Noch einen Tag später wurde Iwan zum Kommando des nächsten Militärdistrikts zitiert.

Der Militärkommandant gab ihm zu wissen, daß Herr Berend angezeigt worden sei, er agitiere gegen die Gesamtverfassung, setze den Reichsrat in den Augen des Volks herab, halte das Volk, besonders seine eignen Arbeiter, von Kundgebungen der Loyalität zurück, beschimpfe die Mitglieder der hohen Regierung und nehme an geheimen Gesellschaften teil. Er möge sich in Zukunft hüten, alles dies zu tun, denn sonst werde gegen ihn die Untersuchung eingeleitet und diese könne für ihn traurig enden. Für diesmal komme er mit dem bloßen Schrecken davon.

Iwan wußte recht gut, von wo die Denunziation gekommen sei.

Mehr brauchte sein Geschäft nicht, als daß der einzige Leiter desselben auf ein kurzes Jahr in Untersuchungshaft gebracht werde. Dann wird sich wohl seine Unschuld herausstellen und er wird freigelassen; aber inzwischen geht sein ganzes Geschäft zugrunde.

Iwans Glück war, daß der Auditor verheiratet war und dessen Gattin eben in dem Zimmer in den Wochen lag, in welchem die Untersuchungshäftlinge untergebracht zu werden pflegten. Darum entließ man ihn lieber nach Hause, als daß man der kranken Frau das Zimmer wegnahm, was, wie ich glaube, jedermann billigen wird.

* * *

Ah! es war ein wahres Fest, als die zwölf neuen Halina-Szürs aus dem Bondatal in der Metropole erschienen.

Sie sind da! Die Ungarn sind da. Die unverdorbenen Söhne des Landvolkes. Eine Deputation an den Reichsrat. Die Anerkennung des Feberpatents. Die ersten Bahnbrecher. Sie verdienen ein dreimaliges »Hoch!«

Alle Zeitungen beeilten sich, sie zu begrüßen. Die politischen Blätter brachten ernste Leitartikel über diese bedeutende Erscheinung. Die Staatsmänner empfingen sie in besonderer Audienz, der Herr Abt hielt in ihrem Namen eine wohlgesetzte Ansprache und flocht den gegenwärtigen unhaltbaren Zustand des Landes ein, von welchem das Volk loszukommen wünscht, indem es seine wahren Wohltäter von den falschen Propheten zu unterscheiden beginnt, welche es zur Untätigkeit verdammen.

Besonders betonte der Herr Abt diese verständige Anschauung des Volks, als er an die maßgebende Exzellenz seine Ansprache hielt.

Die maßgebende Exzellenz drückte dem Herrn Abt huldvoll die Hand und versicherte, daß das Xer Bistum bald vakant sein und er bei der Besetzung dafür Sorge tragen werde, daß der loyalste Prälat das Bistum erhalte.

Auch mit den Mitgliedern der Deputation ließ die Exzellenz sich in Gespräche ein, und da keiner des andern Sprache verstand, so waren alle mit der freundlichen Konversation sehr zufrieden.

Ja, als Se. Exzellenz von dem Herrn Abt erfuhr, daß die ausgezeichnetste Person unter den Deputierten Peter Saffran sei, drückte der große Herr diesem sogar die Hand und sprach die Hoffnung aus, daß er die Deputationsmitglieder in der morgigen Sitzung auf der Gallerie sehen werde. Jetzt noch »nur« auf der Galerie!

Peter versprach auch, daß sie hinkommen werden. Er allein verstand, was zu ihm gesprochen wurde. Er konnte deutsch, ja sogar auch französisch sprechen. Er hatte es während seiner Matrosenlaufbahn gelernt.

Aber von der Konzession zur Bondataler Eisenbahn sagte der Minister gar nichts. Und das war doch die Hauptsache.

Nach den hohen Audienzen folgten die volkstümlichen Ovationen. Die Redakteure von drei illustrierten Blättern forderten die Deputation auf, sich für ihre Blätter in den »malerischen« neuen Szürs photographieren zu lassen. Diese interessanten Gruppen waren binnen möglichst kurzer Zeit in den Auslagen aller Kunsthändler zu sehen und lockten gaffendes Publikum herbei.

In der am andern Tag abgehaltenen Reichsratssitzung war für sie die ganze erste Bank auf der Galerie reserviert; da nahmen die lieben Gäste in einer Reihe Platz, stützten die Arme auf die Brustlehne und ließen ihre runden Hüte hinabhängen.

Die maßgebende Exzellenz hielt ihnen zuliebe eine anderthalb Stunden dauernde Rede, und die tschechischen Dissenters zählten, daß Se. Exzellenz während des Redens zweiundfünfzigmal auf die Galerie geblickt habe, um zu sehen, welche Wirkung er auf die ungarischen Gäste gemacht habe.

Einer schlief ein und ließ seinen Hut in den Saal hinabfallen. Der Hut hingegen weckte einen unten in seiner Bank eingeschlafenen Abgeordneten auf. Dieses Ereignis gab drei Tage lang der gesamten Reichspresse eine prächtige Gelegenheit zu witzigen Bemerkungen, bis es schließlich eine Beute der illustrierten Witzblätter wurde. Es wurden den Mitgliedern der Deputation fliegende Worte zugeschrieben, die sie nie gesprochen hatten.

Aber sie hielten bis ans Ende der Sitzung aus. Wackere Leute das.

Zum Ersatz für dieses Leiden und zum Lohn für die ausdauernde Standhaftigkeit veranstalteten die leitenden Kapazitäten des gesetzgebenden Körpers für sie ein prächtiges Bankett im Hotel Munsch, wo Peter Saffran die Auszeichnung genoß, daß er am obern Ende des Tisches gleich zur Rechten des Herrn Abts seinen Platz angewiesen erhielt und dort von allen angestaunt wurde.

Aus den begeisterten Toasten, welche die ausgezeichneten Redner, die Herren Doktoren, die Reichsräte und Geheimräte ihm in deutscher Sprache ins Gesicht ausbrachten, entnahm Peter Saffran, daß jedermann in ihm den durch die Bewohner des Bondatales binnen kurzem heraufzusendenden Reichsrat, den sperativen Kollegen, den präsumtiven Gesetzgeber verehrte. Aus den Worten aber, welche die Leute hinter ihm in französischer Sprache einander zuflüsterten, erfuhr er, daß die Leute von ihm als dem merkwürdigen Burschen sprachen, welcher ehedem der Bräutigam der göttlichen Eveline war, die ihm durch Kaulman entführt wurde.

Peter Saffran tat so, als ob er weder das hörte, was man ihm mit begeisterten Worten ins Gesicht sagte, noch das, was man sich hinter seinem Rücken mit spöttischem Lachen zuraunte.

Aber bei sich dachte er: Wenn diese Herrschaften da wüßten, daß ich schon einmal Menschenfleisch gegessen habe!

Gegen Ende des Banketts küßten sich die großen gelehrten, angesehenen Herren Doktoren mit ihren wackern Gästen, und die späte Nacht trennte diese »Liebenden« voneinander. Am andern Tage schwindelte sämtlichen Bondataler Mitbürgern der Kopf von den vielen guten Dingen, die sie genossen hatten, und an die sie nicht gewöhnt waren.

Und sie hatten doch noch viel Paraden auszustehen. Sie mußten in der kaiserlichen Burg erscheinen und den Tribut der Verehrung und Huldigung an den Stufen des allerhöchsten Thrones niederlegen. Vor dem armen Halinatuch öffneten sich selbst die höchsten Pforten.

Am darauffolgenden Tag mußten sie eine prächtige Militärparade anschauen. Wie viel Kanonen! Wie viel Kavallerie! Welch ein schrecklicher Wald von Bajonetten!

Wieder am andern Tag – es war ein Sonntag – besuchten sie eine Kirche nach der andern. Was für Kirchen sind das! Man wagt es da kaum, das gemeine Bauerngebet herzusagen, welches man zu Hause gelernt hat. Dazu der schöne Gesang, die dröhnenden Orgelklänge! Hier ist der liebe Gott ein reicher Herr! Wie muß der Bauer sich schämen, daß der liebe Gott auf dem Lande so arm ist!

Nachmittags war ein Volksfest. Da gab es viel zu sehen! Wundertiere, Seiltänzer, Zauberer, Wettläufer, Luftballons! Und Bier gab es da, soviel sie nur wollten. Der Herr Abt zahlte alles.

Damit war es aber noch nicht aus. Sie mußten alle Sehenswürdigkeiten der Kaiserstadt besichtigen, die Bildergalerien, die Raritätensammlungen, das Arsenal, die Kanonengießerei, die Schatzkammer – damit das Halinatuch einen Begriff davon bekomme, was für Pracht, Macht, Glorie, Reichtum, Erhabenheit und Herrschaft es ist, was ihm die Hand drückt, ihm, mit seiner Armut, Verlassenheit, Unwissenheit, Ohnmacht und Demut!

Das Halinatuch wäre aber schon gern zu Hause gewesen, um sich es am eignen Tische bequem zu machen und mit einer Schüssel gesottener Kartoffeln gütlich zu tun.

Am letzten Abend führte man sie ins Theater.

Nicht ins Burgtheater, das ist nichts für sie, sondern ins Treumanntheater.

Dort gibt man gerade ein Stück, das für sie taugt, wo es viel zu lachen und noch mehr zu bewundern gibt. Das Stück ist lauter Gesang und Tanz und Spaß. Und der größte Spaß darin ist, daß die schöne Eveline, die Frau v. Kaulman, die Hauptrolle gibt. Ob Peter Saffran sie erkennen wird?

Es war nicht möglich gewesen, Eveline gleich beim Operntheater zu engagieren, denn dort dauerte noch die italienische Staggione; aber sobald diese zu Ende sein wird, ist ihr ein Engagement in Aussicht gestellt, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß sie sich früher auf einer untergeordneteren Bühne Routine verschaffe und sich das Lampenfieber abgewöhne. So kam sie als Gast auf die Bretter des Treumanntheaters.

Ihre eignen natürlichen Reize bezauberten das Publikum, und man sprach von ihr als von einer der ausgezeichnetsten Schönheiten; die jeunesse dorée geriet ganz außer sich vor Entzücken über die reizende Erscheinung.

Das Stück, welches an diesem Abend zu Ehren des Halinarocks gegeben wurde, war eine der frivoleren Operetten Offenbachs, in welcher die Damen der Bühne vor dem Publikum nur wenig von ihren Reizen zu verbergen haben. Das noble Publikum ergötzt sich daran und jauchzt vor Entzücken.

Aber die Leute im Halinatuch unterhielten sich nicht gut.

Das viele Geklimper, das Ballett und die leicht bekleideten Nymphen, die koketten Bewegungen, das verführerische Lächeln, die kühnen Sprünge und die kurzen Röckchen waren nicht nach ihrem Geschmack.

Es schürzen sich ja auch die armen Mädchen auf, wenn sie bei der Arbeit sind, wenn sie am Bach waschen! aber dann arbeiten sie eben. Wer sieht hin? Wer denkt daran?

Nicht der Ritterstand, sondern die gemeinen Leute im Szür handeln nach der Devise: »Honny soit, qui mal y pense«.

Das Halinapublikum hatte das Gefühl, als müßte es sich für die Darsteller und Zuschauer schämen.

Wie erst, als Eveline auftrat!

Sie war eine Fee, eine mythologische Göttin, in vergoldete, sonnenbeglänzte Wolken gehüllt: und das Gewölke hatte Oeffnungen, durch die – der Himmel durchschien.

Peter fühlte sich wie von Fieberhitze durchglüht. Darf denn die ganze Welt in diesen Himmel schauen?

Als sie noch zusammen im Bergwerk beschäftigt waren, sah er es oft mit Eifersucht im Herzen, wie diese schönen Waden unter dem aufgeschürzten Kleide hervorblickten; aber das Mädchen hatte damals kein Bewußtsein davon, was an ihr zu sehen sein könne, und bei den Arbeitern gilt der Spruch: »Honny soit, qui mal y pense

Jetzt aber weiß sie schon zu kokettieren, zu lächeln, verführerisch dreinzublicken und läßt sich dabei von tausend Menschen angaffen.

Peter zog nicht in Rechnung, daß dies nur eine Bühne sei und daß die Feen, die hier jetzt spielen, außerhalb der Bühne lauter tugendhafte Damen und gehorsame Mädchen sein können, daß das, was sie auf der Bühne treiben, nur Spiel sei.

Der gewesene Bräutigam im Halina-Szür fühlte Abscheu und Erbitterung.

Zum Scherz sich umarmen lassen, zum Scherz Liebe gestehen, locken, kosen!

Und geht denn diese Frau darauf aus, sich so schmählich bloßzustellen?

Oder ist es keine Schmach, sondern etwas Rühmliches?

So ist es. Es ist eine Ehre. Aus den Logen wird ihr eine große Menge von Kränzen zugeworfen, sie findet kaum Platz den Fuß hinzusetzen, so viel Blumen liegen da. Das ist eine Ehre!

Das Haus erzittert vom Applaus. Das ist eine Ehre. Nicht eine solche Ehre, wie man sie den Menschen gewöhnlich antut, auch nicht eine solche, wie man sie den Heiligen entgegenbringt, sondern eine fremde Art von Anbetung. Es ist ein Götzendienst, und die Frau findet Gefallen daran, daß sie ein Götze ist.

So erklärte sich Peter Saffran die Sache und er wurde durch nichts gegen Eveline freundlicher gestimmt.

Er tröstete sich nur damit, daß keiner von seinen Kameraden in der verführerischen Gestalt die einstige Kohlenträgerin erkannte.

Peter brachte Bitternis und Abscheu aus dem Theater nach Hause.

Als er nach der Vorstellung im Hotel mit dem Herrn Abt zusammentraf, sagte er zu ihm: »Wann gehen wir nach Hause?«

»Langweilst du dich, Peter?«

»Ja!«

»Nun, habe noch ein wenig Geduld. Morgen müssen wir noch an einem Ort unsere Aufwartung machen, bei einer schönen Frau.«

»Aber was machen wir dort?«

»Geh du nur überall hin und frage nicht, wozu. Wenn wir einen Erfolg erzielen wollen, so dürfen wir kein Mittel unversucht lassen. Wir müssen um die Protektion einer Frau bitten, von welcher bei dem maßgebenden Exzellenz-Herrn ein Wort mehr gilt als unsere ganze Litanei.«

»Gut, so gehen wir auch noch dorthin.«


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