Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Säbelduelle haben den spaßigen Vorteil, daß man sie nicht zu verheimlichen braucht. Man spricht den Abend vorher von ihnen wie von einer interessanten Wette. In jüngster Zeit ereignete es sich zwar einigemal, daß Säbelduelle einen tödlichen Ausgang hatten, aber deshalb umgibt sie doch kein so geheimnisvolles Dunkel wie die Pistolenduelle. Auch für die Sekundanten sind sie nicht mit so großer Gefahr verbunden. Wenn eine Partei den Wunden erliegt, so beweist das ärztliche Parere, daß der Betreffende nicht an der Wunde gestorben sei, sondern, daß er irgendein organisches Uebel hatte, das ihn nach zweimal vierundzwanzig Stunden ohnehin getötet hätte; und wer wird heute wegen eines achtundvierzigstündigen Lebens Lärm schlagen.
Auch von dem Duell, das zwischen dem Marquis Salista und Iwan vor sich gehen sollte, sprach man im Kasino mit einem Gleichmut, wie etwa von einer zur Aufführung vorbereiteten Oper.
Salista sprach selbst davon am meisten im Sechsuhrkasino, zu einer vor dem Kamin versammelten Gruppe.
Auch die vier Sekundanten waren dort.
Die vornehme Jugend weiß von den oftmaligen Proben beim Fechtmeister sehr gut, was für Fertigkeit ein jeder im Fechten habe und ist imstande, im voraus zu beurteilen, ob jemand siegen werde oder nicht.
Salista war als besonders guter Fechter bekannt. Er hatte schon viele Duelle gehabt und dabei seine Gegner stets gezeichnet.
Er hat einen Meisterhieb, den selten ein Fechter zu parieren vermag. Es ist ein schneller Bauchhieb, welcher die Säbelspitze des Gegners umgehend, ihm den Unterleib aufschlitzt. Wenn aber der Gegner den Hieb auffängt, so kommt er dabei so sehr aus dem Tempo, daß er sein Gesicht unbedeckt läßt und es einem plötzlich erfolgenden oberen Hieb bloßstellt.
Salista fühlte sich durch das vorausgegangene Duell nicht geniert.
In einer anderen Lage würde sich der Betreffende unter ähnlichen Umständen wenigstens einige Wochen in der Gesellschaft nicht zeigen, und auch die Gesellschaft würde es ihn, wenn er sich zeigte, fühlen lassen, daß sein Benehmen nicht ganz korrekt war; aber in gewissen Zeiten ist alles möglich, und dann wieder ist man so streng.
Marquis Salista durfte über das, was morgen geschehen sollte, prahlerisch sprechen.
»Wir werden schon sehen, was der Gelehrte kann. Das ist keine Mathematik wie das Pistolenschießen. Wir werden ihn schon fragen, wie er die untere Terz pariert, wenn der Säbel plötzlich von unten hinaufschlägt.«
Graf Géza ermahnte den Prahler.
»Freund, du mußt berücksichtigen, daß Iwan sich gegen dich sehr ritterlich benommen hat, als er nach der Pistole den Säbel akzeptierte. Und dann mußt du auch bedenken, daß er ein sehr geachteter Gelehrter ist, den das Land schätzt und der diesem noch nützlich sein kann.«
»Gut, gut, fürchtet nichts, ich werde ihn nicht töten. Ich werde ihm nur ein Stückchen von der Nase abschlagen, nur zum Andenken! Man kann ja auch ohne Nase sehr gelehrt sein! Man schnupft ja die Wissenschaft nicht. Wenigstens stört ihn die Nase nicht, wenn er mit dem Teleskop in die Sterne guckt.«
Hierauf nahm auch Graf Edmund das Wort und protestierte energisch zugunsten der Nase seiner Partei.
Schließlich mußte Marquis Salista sich mit einem Ohr Iwans begnügen. Mehr wurde ihm nicht gestattet.
Graf Edmund protestierte auch dagegen. »Begnüge dich mit einem anständigen Hieb auf die Hand, die ganze Sache ist nicht mehr wert.«
Graf Stefan ließ sich indes die Bemerkung entschlüpfen:
»Lieber Salista! wie aber, wenn es sich ereignet, daß dieser Troglodyt dich zusammenhaut?«
»Was?« polterte der Kapitän, mit auseinander gespreizten Beinen vor dem Kamin stehend; »ich gebe ihm zwei ›vor‹. Ich erlaube ihm, mir zwei Hiebe voraus zu versetzen, zwei Hiebe auf den Arm, und dann haue ich ihn zusammen! Wetten wir darauf! Wer hält die Wette?«
Diese großartige Prahlerei machte der Diskussion ein Ende und veranlaßte die Gesellschaft auseinander zu gehen.
Es fragt sich nur, ob die Sekundanten geschickt genug sein werden, sich mit Erfolg einzumengen, bevor der gewesene Zuave den Gelehrten zum Krüppel entstellt.
Am andern Tag kamen die Parteien im Auwinkel zusammen.
Den großen Tanzsaal des Gasthauses »zum Fasan« mieteten sie zum Fechtplatz.
Die Sekundanten bestreuten vor allem den ganzen Saal mit pulverisierter Kreide, damit die Kämpfenden nicht ausgleiten.
Dann forderten sie die im Nebenzimmer befindlichen beiden Parteien auf, sich bis zum Gürtel zu entkleiden.
Hierauf führten sie dieselben in den Saal.
Ueber die Stellung der Kämpfer zu losen, war nicht notwendig, denn der Saal war nach allen Seiten von einer Glaswand umgeben.
Als sie die Säbel herbeibrachten, gaben sie den Kämpfenden die Bedingungen bekannt.
»Erstes Blut. Stechen ist nicht gestattet.«
Salista protestierte. Auf »erstes Blut« geht er nicht; der Kampf soll solange dauern, bis eine Partei kampfunfähig ist.
Alle fielen über ihn her, um ihm den Standpunkt klar zu machen. Er gab nicht nach.
»Gebt doch endlich die Säbel her!« rief Iwan; »ich bekomme noch einen Schnupfen, halb nackt wie ich bin.«
Dieser Einfall entschied. Die Sekundanten übergaben ihm den gewählten Säbel. Dann wurden die beiden Parteien in die Mensur gestellt.
Beide waren bis zum Gürtel entkleidet. Salista zeigte herkulische Muskeln; aber auch Iwan schien kräftig zu sein.
Es war an ihm nicht so viel Fleisch zu sehen, aber er war knochig, hatte lange Arme und eine gewölbte Brust.
Beide zogen die Köpfe unter die erhobenen Arme, die Spitzen der Säbel gegeneinander haltend, die linke Hand zurücklegend. Die beiden Säbelspitzen kreisten einige Augenblicke schlau umeinander, den Ausweg zu einem Handhieb suchend, dann schlugen sie leise, kaum hörbar aneinander. Die beiden Gegner sahen einander tief ins Auge, gegenseitig nach ihren Absichten forschend.
Salista strebte in der Tat danach, seinem Gegner einen Hieb ins Gesicht zu versetzen. Das ist ein schwerer Hieb, denn das Gesicht ist durch den Arm am besten geschützt.
Während dieses Strebens richtete Iwan auf seinen Gegner einen Doppelhieb, der ungewöhnliche Schnelligkeit bedingt, und mit diesem Hieb traf er. Er traf den obern Muskel von Salistas rechtem Arm der Länge nach.
Nach diesem Hieb pflegt nicht gleich Blut zu fließen, was durch das Zellengewebe des Muskels zu erklären ist.
»Weiter!« rief Salista, »kein Blut!«
Jetzt gab er die Absicht schon auf, seinen Gegner im Gesicht zu zeichnen; er nahm seinen Kunstgriff, den Bauchhieb vor, der so schwer zu parieren ist, und wenn er trifft, oft tödlich wird. Wer ihn nicht gut pariert, bekommt ihn gewiß, und wer ihn pariert, bekommt im nächsten Augenblick einen Hieb auf den Kopf.
Iwan aber parierte den Hieb weder gut noch schlecht.
Salista dachte nicht daran, daß die Duellsäbel kürzer zu sein pflegen als die Uebungs- und die Kavalleriesäbel, oder er vergaß, daß sein Gegner ungewöhnlich lange Arme hat.
Iwan parierte den Bauchhieb nicht, erhob den Arm, ließ die Säbelspitze des Gegners in einer Entfernung von zwei Linien an seinem Leibe vorübersausen und nach dem Arm des Gegners zielend, traf er diesen an derselben Stelle kreuzweise, die er vorher der Länge nach getroffen hatte.
Da sind also die zwei »vor«!
Durch den Kreuzhieb wurde der Kraftunterschied zwischen den beiden Männern ausgeglichen.
Aber Salista brachte dieser Hieb völlig in Wut.
Außer sich, wie ein wildes Tier brüllend, stürzte er auf seinen Gegner los und führte zwei Hiebe mit voller Kraft nach dem Kopf desselben. Er hieb zu wie ein Metzger mit dem Beil. Ein Wunder, daß nicht beide Säbel in Stücke brachen.
Iwan fing indes beide Hiebe mit erhobenem Säbelgriff regelrecht auf, und bevor der Gegner den dritten Hieb nach ihm führen konnte, führte er einen raschen Vorderhieb aus, und dieser traf mit vollem Gewicht Salista am Kopf und im Gesicht.
Ein Glück, daß der Säbel leicht war, sonst hätte er ihm den Schädel entzweigespalten.
Salista schwankte einen Augenblick nach diesem Hieb, erhob selbstvergessen den linken Arm, um sich den Kopf zu decken, dann wankte er seitwärts und stürzte nieder, sich auf den Griff seines Säbels stützend. Seine Sekundanten liefen zu ihm hin, um ihn aufzuheben und ihn abzuführen.
Iwan stand, die Säbelspitze gesenkt, marmorstarr, mit apathischem Gesicht da.
Seine Sekundanten eilten zu ihm hin und beglückwünschten ihn.
»Sind jene Herren befriedigt?« fragte Iwan.
»Ich will gern glauben, daß sie es sind,« sagte Graf Edmund; »das hätte nicht besser gemacht werden können, die Affäre ist beendet.«
Hiermit entließen sie Iwan ins Nebenzimmer, damit er sich wieder ankleide.
Als Iwan in den Saal zurückkehrte, hatte sein Gegner sich von der Betäubung bereits erholt. Beide Aerzte waren um ihn beschäftigt; der eine verband ihm die Kopfwunde, der andere die Armwunde.
Iwan ging nach ritterlicher Gepflogenheit zu ihm hin, um sich mit ihm auszusöhnen.
»Vergib mir, Kamerad!«
Salista reichte ihm kordial die linke Hand.
»Ah! es ist nicht der Rede wert. Das war ein wackerer Hieb, der letzte nämlich. Die beiden anderen zählen nicht, denn ich habe gesagt, daß ich dir zwei vorgebe. Aber der dritte, das war ein tüchtiger Streich. Es macht nichts. In einer Woche bin ich gesund.«
Iwan fragte die Aerzte, ob die Wunden nicht gefährlich seien.
»Soldatengeschick!« antwortete statt ihrer Salista. »Solche Hiebe habe ich hundert ausgeteilt, es ziemt sich, daß ich auch einmal einen bekomme. Ich mache mir gar nichts daraus. Aber eins tut mir dennoch sehr weh, was weder Arnika noch Eisumschläge lindern, was nur du heilen kannst, der es mir zugefügt hat. Gestehe es, daß du einmal Soldat gewesen bist.«
»Freilich war ich es!« sagte Iwan; »ich war Husarenleutnant während des Freiheitskrieges.«
»Nun, hol' dich der Teufel, hast du das nicht früher sagen können? Bei welchem Regiment hast du gedient?«
»Bei den Wilhelm-Husaren. Wahrscheinlich bin ich der letzte Mann, den du, nachdem du alle anderen niedergehauen, als Zeugen übriggelassen hast.«
Alle brachen in ein schallendes Gelächter aus, am meisten der Verwundete selbst. Die Aerzte ermahnten ihn, nicht zu lachen, weil sich sonst der Verband von seinem Gesicht loslösen würde.
»Nun gut,« sagte Salista, »so werde ich nur mit dem halben Gesicht lachen. Gott segne dich, Kamerad. Jetzt mache ich mir aus dem Hieb schon gar nichts, habe ich ihn doch von einem Soldaten und nicht von einem gemeinen Philister erhalten! Komm, küsse mich auf die andere Wange, die du mir noch ganz gelassen hast. So mein Bruder. Die rechte Hand kann ich dir nicht reichen, denn da hast du mir ein Kreuz hingezeichnet. Auch dieser Hieb war gut, ein Husarenhieb, und darum mache ich mir nichts daraus.«
Hiermit küßten sich die Gegner.
Einen Augenblick später wurde Salista infolge des Blutverlustes wieder ohnmächtig, und Iwan nahm seinen Kopf in den Schoß und hielt ihn so, bis die Wunden aufs neue verbunden waren; dann half er ihn in den Wagen tragen.
»Ein fideler Bursche!« sagten die ausgezeichneten Gentlemen untereinander.