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Komtesse Theudelinde war ganz außer sich vor Freude, dermaßen, daß sie zu ihrem Klingelapparat hinstürzte und die Feder desselben in Bewegung zu setzen begann.
»Was machen Sie, Gräfin?« fragte der Abt erstaunt.
»Ich will meinen Verwalter sogleich rufen lassen.«
»Aber durch wen?«
Der Komtesse fiel es erst jetzt ein, daß ja keine lebende Seele im Hause sei. Hierauf wurde sie wieder sehr ernst.
»Es wird wirklich eines der schwierigsten Probleme sein,« sagte der Geistliche, »wie Sie aus dem Schlosse hinauskommen.«
»Wie meinen Sie das?«
Die Komtesse war so schwachsinnig, daß sie selbst das Nächstliegende nicht aufzufassen vermochte.
»Wir sind, alles zusammen, unserer zwei im Schlosse,« sagte, der Geistliche. »Wenn ich fortgehe, um Leute herbeizuschaffen, die Ihnen Dienste leisten, die Pferde einspannen, das Nötigste packen sollen, und welchen Sie das verlassene Schloß anvertrauen können, so bleiben Sie indes allein.«
»O, ich bleibe hier nicht um die Welt allein zurück.«
»Dann bleibt Ihnen nur die Alternative, daß Sie mit mir zu Fuß bis zur nächsten Behausung der Herrschaftsbeamten gehen.«
Eben begannen mit Schnee vermengte schwere Regentropfen an das Fenster zu schlagen.
»Es sind ja meine Pferde da.«
»Aber ich kann weder einspannen noch kutschieren.«
»O das würde ich auch nicht zugeben.«
Nun hatte sie die Alternative vor sich, entweder allein im Schlosse zu bleiben, während der Geistliche sich um Hilfe umsieht, oder mit ihm in dem schlechten Wetter zu Fuß fortzugehen.
»Es pocht jemand an das Tor,« sagte der Abt.
»Das wird gewiß der Verwalter sein,« meinte die Komtesse, »er hat von seinen Leuten gehört, was hier vorgefallen ist und kommt deshalb eilends her.«
»Aber es wird ihm niemand das Tor öffnen, denn wahrscheinlich befindet sich auch die Pförtnerin unter den Ausgesperrten.«
»So ist es auch. Sie war ja die alte Hexe, die auf dem Tische tanzte.«
»Haben Sie nicht einen zweiten Torschlüssel?«
»Es ist der große Schlüssel dort an dem antiken Rechen. Was wollen Sie damit?«
»Ich gehe hinunter und öffne selbst das Tor.«
»Die Hunde kennen Sie nicht und werden Sie zerreißen. Es sind starke Schäferhunde.«
»Ich werde sie bei ihren Namen anrufen. Wie heißen sie?«
»Ich weiß es nicht.«
Was kümmerte sich auch die Komtesse um so gemeine Dinge wie die Namen der Hofhunde.
»Dann muß ich sie niederschießen.«
»Ich bitte, nur nicht zu stark.«
Die Komtesse meinte nicht, daß die Hunde nicht zu stark sterben sollen, sondern, daß der Schuß nicht zu stark krache.
Der Abt nahm also seinen Revolver und ging in den Hof hinunter. Eine Laterne brauchte er nicht mehr, denn der Morgen dämmerte schon.
Die beiden Hofhunde waren im Torweg derart untergebracht, daß, wenn man nachts ihre Ketten verlängerte, zwischen ihnen nur so viel Raum übrig blieb, daß sie nicht übereinander herfallen konnten, daß aber, wer zwischen ihnen hindurchgehen wollte, dem einen oder dem andern in den Rachen fallen mußte.
Der Abt hatte keine andere Wahl, als den einen Hund niederzuschießen, damit er, ohne von dem anderen gefährdet zu werden, zu dem Tore gehen konnte.
Als Abt Samuel das Tor öffnete, sah er einen Mann vor sich, der ebenfalls einen Revolver in der Hand hatte.
Plötzlich erhoben beide ihre Waffen gegeneinander und fingen dann an zu unterhandeln.
»Wer sind Sie? was wollen Sie hier?« fragte der Geistliche.
»Wer sind denn Sie? und was suchen Sie hier?« sprach der andere.
»Ich bin Abt Samuel, der Beichtvater der Gräfin.«
»Und ich bin Iwan Berend, der Nachbar der Gräfin.«
Der Abt senkte seine Waffe und sprach mit sanfterem Tone: »Das ist eine ungewöhnliche Stunde, in der Sie hierher kommen, nicht wahr?«
»Honny soit, qui mal y pense,« erwiderte Iwan und steckte seine Waffe in die Tasche. »Die Ursache, daß ich zu so ungewohnter Stunde komme, ist, daß ich diese Nacht einen Brief erhielt, in welchem man mir anzeigt, daß im Schloß große Verwirrung herrscht und daß ich der Gräfin zu Hilfe kommen soll.«
»Die Verwirrung besteht darin ...«
»Ich weiß, worin sie besteht, auch das hat man mir geschrieben. Nun das ist der Grund, weshalb ich mich der Gräfin zur Verfügung stelle, obgleich ich weiß, daß sie keine Männer empfängt, am wenigsten in so früher Stunde.«
»Sie wird Sie gewiß empfangen. Erlauben Sie mir, das Tor zu schließen, denn auch dazu ist niemand mehr im Hause, und nehmen Sie sich in acht, halten Sie sich von der linken Wand fern, denn der Hund dort lebt noch.«
»Den andern haben Sie erschossen?«
»Ja. Den Schuß haben Sie draußen gehört. Darauf zogen auch Sie Ihren Revolver heraus?«
»Natürlich. Ich könnte nicht wissen, aus welchem Grunde man hier im Hofe schießt.«
Die beiden Männer gingen in die Salons der Gräfin hinauf. Abt Samuel begab sich zu ihr hinein.
»Es ist uns unverhofft Hilfe gekommen,« sagte er ihr, »ein Nachbar von Ihnen, Iwan Berend.«
»Ah!« erwiderte die Gräfin unwillig, »ein widerwärtiger Mensch! ein Atheist!«
»Sei er ein Thug, ein Mormone oder Manichäer – in diesem Augenblick brauchen wir ihn. Es hat ihn jemand auf Ihre Lage aufmerksam gemacht und er kommt, um mit Ihnen darüber zu sprechen.«
»Ich will nicht mit ihm sprechen. Ich bitte Sie, unterhandeln Sie mit ihm anstatt meiner.«
»Gräfin, dieser Mann ist vielleicht ein so großer Ketzer, daß er mir sagt, ich sei nur Ihr Beichtvater und nicht auch seiner.«
»Also gut. Ich gehe zu ihm hinaus; aber ich bitte, seien auch Sie zugegen.«
»Wenn es erforderlich sein wird.«
Die Gräfin hüllte sich in ihren Schal und ging in den Empfangssalon hinaus, den bereits die aufgehende Sonne zu erhellen begann. Abt Samuel fand es dennoch für gut, ihr einen zweiarmigen Leuchter nachzutragen. Die Gräfin bot Iwan frostig einen Sitz an und trachtete sich so weit als möglich von ihm niederzulassen.
»Mein Herr?«
»Gräfin! Heute nacht klopfte jemand an mein Fenster, ich war noch wach und arbeitete, und als ich das Fenster öffnete, reichte man mir einen Brief hinein. Das Schreiben ist von Ihrem Verwalter.«
»Von meinem Verwalter?« sprach die Gräfin erstaunt.
»Der Brief ist seines Stils wegen nicht geeignet, daß Sie ihn lesen; ich werde Ihnen daher von dem Inhalt desselben nur so viel mitteilen, als Sie interessiert. Der Verwalter zeigt mir an, daß heute nacht alle Ihre Dienstleute ohne Unterschied des Geschlechts entflohen sind, und daß er ihnen nachfolgt.«
»Auch der Verwalter? Und weshalb?«
»Auch von dem Grund steht etwas in dem Briefe; ich glaube aber, daß es nur ein Vorwand ist, mit dem ein größeres Verbrechen bemäntelt wird. Ich bin der Meinung, daß man Sie bestohlen hat.«
»Mich?«
»Erschrecken Sie nicht. Man hat Sie nicht durch Einbruch und Entwendung, sondern durch ungetreue Verwaltung, durch Unterschleif und Betrug bestohlen. Und dann bemühten sich die Betrüger, ihrer Flucht einen humoristischen Anstrich zu geben, damit die Welt über ihr Verbrechen lache und auf Ihre Kosten darüber lache. Das ist meine Meinung.«
Die Gräfin war genötigt anzuerkennen, daß ihr Nachbar erstens ein kluger und zweitens ein zartfühlender Mensch sei.
»In dem Briefe des Verwalters heißt es, daß er es nach dem, was geschehen, nicht mehr wagt, Ihnen unter die Augen zu kommen, da Sie niemals glauben könnten, daß gewisse Skandale im Schlosse ohne seine Zustimmung geschehen konnten. Ich halte dies für einen Vorwand. Ich glaube, daß Sie in einem Augenblick der Aufregung allen Ihren Untergebenen den Laufpaß gaben, nachdem Sie darauf gekommen, daß sie Ihre Nachsicht mißbraucht haben. Daher war es gleich nach Empfang jenes Briefes meine erste Sorge, einen meiner Leute zu Pferde zur nächsten Telegraphenstation zu schicken und Ihren Pester Bankiers, welche den Verwalter bei Verkäufen als Ihren Bevollmächtigten betrachten, die Nachricht zu telegraphieren, daß der Verwalter sich plötzlich entfernt habe und daß sie ihm kein Geld anvertrauen sollen.«
»Das war sehr praktisch und vorsichtig von Ihnen,« sprach anstatt der Gräfin der Abt; »die Gräfin wird Ihnen dafür sehr zu Dank verbunden sein.«
Theudelinde nickte gnädig mit dem Kopf.
»Ich wollte nur Ihre Bewilligung für meine Maßregel erhalten, und das war der eine Grund, wegen dessen ich mich hierher begab,« fuhr Iwan fort. »Der andere Grund ist, daß ich Ihnen, da Sie hier ohne alle Bedienung sind und wahrscheinlich nicht hier zu bleiben wünschen, zur Abreise behilflich sein und bis Sie selbst die nötigen Verfügungen treffen, Ihr Schloß durch meine Leute bewachen lassen will, für die ich selbst die Verantwortlichkeit übernehme.«
»Das ist wahrhaftig die zarteste nachbarliche Aufmerksamkeit,« sprach der Geistliche wieder, »und die Gräfin wird sich Ihnen für diese Sorgfalt sehr verpflichtet fühlen.«
»Das ist nur eine Pflicht,« sagte Iwan. »Und jetzt habe ich noch ein drittes Motiv vorzubringen. Die Gräfin wird nicht mehr auf dem Lande wohnen, das kann ich mir wohl denken. Auch ist mir nicht unbekannt, daß Sie ebenso sparsam als reich sind. Aber trotzdem bin ich dessen beinahe gewiß, daß infolge der Flucht Ihrer Beamten und Schaffner in diesem Augenblicke alle Ihre Kassen leer sind. Ich glaube Sie daher nicht zu verletzen, wenn ich Ihnen in dem gegenwärtigen Falle meine eigne Kasse zur Verfügung stelle. Ich kann Ihnen auf kurze Zeit, bis Ihre ohnehin geordneten Geldverhältnisse in das regelmäßige Gleis kommen, zehntausend Gulden leihen.«
Abt Samuel ging zur Gräfin und flüsterte ihr die Warnung in das Ohr, daß sie auf diesen Antrag nicht etwa Wucherzinsen anbiete. Infolgedessen reichte die Gräfin zum Zeichen der Genehmigung mit einer huldvollen Bewegung Iwan die Hand, der hierauf aus seiner Brieftasche Geld nahm und zehn Stück Tausender auf den Tisch zählte. Die Gräfin wollte ihm darüber eine Schrift geben, Iwan aber sagte, das sei nicht notwendig, er leihe ihr das Geld ohnehin nur auf kurze Zeit.
Die Gräfin ersuchte den Abt, das Geld in seine Obhut zu nehmen.
»Und jetzt,« sprach Iwan, »erlaube ich mir Sie zu fragen, wann Sie Ihr Schloß zu verlassen beabsichtigen.«
»Jetzt! in diesem Augenblicke! sogleich!« – die Gräfin mit Hast.
»In diesem Falle werde ich so frei sein, Ihnen für das erste Stadium der Abreise, das nicht ohne Schwierigkeiten sein wird, einen Plan zu empfehlen. Zunächst muß das Nötigste gepackt werden. Sagen Sie mir, Gräfin, was und in welche Koffer gepackt werden soll. Dann werde ich anspannen, und hiernach werden wir die Haupteingänge des leer bleibenden Schlosses verschließen und versiegeln. Bis Sie jemanden zur Uebernahme des Schlosses hersenden, werde ich es durch verläßliche Leute bewachen lassen. Dann machen wir uns auf den Weg. Im Fahren kommen wir an der Verwalterswohnung vorbei, und da wollen wir sehen, ob wir nicht einen Teil der Rechnungen in unsere Hände bekommen können.«
»Nein, nein! dorthin gehe ich nicht! Ich brauche keine Rechnung!« rief die Gräfin abwehrend.
»Gut. Wir fahren also direkt zu meinem Gasthaus.«
»Wozu denn dorthin?«
»Weil auch die Post dort ist, und weil Sie Postpferde nehmen sollen.«
»Wozu Postpferde? Kann ich nicht mit meinen eignen Pferden reisen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil sie zu schlecht sind. Mit Ihren Pferden gelangen Sie nicht einmal bis zur nächsten Station.«
»Warum sagen Sie, daß meine Pferde schlecht sind?« fragte die Gräfin aufgeregt.
»Weil sie schlecht gehalten sind.«
»Widerwärtiger Mensch!« sagte die Gräfin für sich, »auf alles antwortet er so bäuerisch.«
»Ich gehe nicht in das Gasthaus,« sprach sie trotzig, »ich gehe nicht an einen Ort, wo man Wein ausschenkt. Könnte ich nicht bei Ihnen absteigen und dort warten bis umgespannt ist?«
»Ich werde mich glücklich schätzen, Sie bei mir zu sehen, obgleich es in meinem Hause sehr unfreundlich aussieht. Ich wohne allein und bin Garçon.«
»Das ist alles eins.«
»Wollen Sie also vorher beschließen, welche Kleider ich einpacken und welche Koffer ich dazu nehmen soll.«
»Welche Kleider?« sprach die Gräfin und öffnete ihre Augen mit einem eigentümlichen Ausdruck weit, »und welche Koffer? Das will ich Ihnen gleich sagen. Seien Sie so gut, das Feuer im Kamin anzufachen, während ich in meine Garderobe gehe. Es ist kalt hier.«
Im Salon befand sich ein Kamin aus grünem Marmor, in welchem unter der Asche noch einige Glut vom vorigen Abend glimmte. Iwan legte Holz auf, und bald flackerte die Flamme lustig.
Die Gräfin kam nach kurzer Zeit zurück und brachte so viele Kleider herbei, als sie nur mit ihren Armen fassen konnte.
»Das alles wollen Sie einpacken lassen?«
»Alles! alles! und auch alles übrige.«
»Und wohin?«
»Hierher!« sprach die Gräfin und warf das Kleiderbündel in den Kamin, das sofort in einer Flamme aufloderte und mit dieser den ganzen Raum des Kamins ausfüllte. Seide, Musselin, Krepp und Spitzen brannten knisternd und prasselnd.
Die beiden Männer sahen sie erstaunt an, aber keiner sagte ein Wort.
Die Gräfin aber eilte in ihre Garderobe zurück, kam mit einem neuen Bündel herbei und warf die zusammengedrückten Kleider, eins nach dem andern in den Kamin, und aus jedem schlug die Flamme mit lautem Geprassel auf, als ob jedesmal ein durch das Feuer ausgetriebener Teufel jammernd zum Schornstein hinausflöge. Theudelinde legte mit glühenden Wangen den Weg in ihre Garderobe zehnmal hintereinander zurück und warf keuchend vor Aufregung alles in die Flammen. Nach den Kleidern kam auch die Wäsche unbarmherzig auf den Scheiterhaufen, und alles wurde zu Asche.
Nun diese Art des Packens und Inventierens ist einfach genug! dachte sich Iwan, ohne jedoch seinen Gedanken Ausdruck zu geben.
Der Geistliche legte die Hände auf den Rücken und ließ mit ruhiger Bonhomie die Gräfin ihr Autodafé vollenden.
Nachdem sie fertig war, sagte Iwan: »Nun, das wäre geschehen, aber in welcher Toilette werden Sie jetzt reisen?«
»In den Kleidern, die ich auf dem Leibe habe, und in meinem Reisepelz.«
»Wie es Ihnen beliebt. Ich gehe jetzt anspannen.«
Während Iwan in den Hof hinabging, zog die Gräfin mit Hilfe des Abtes ihren mit Marder verbrämten Pelz an, und hiermit war sie reisefertig. Nichts, was sie einst ihr eigen genannt hatte, nahm sie aus dem Schlosse mit. Sie hielt alles für entweiht.
Als Iwan zurückkam und meldete, daß angespannt sei, war die Gräfin schon fertig. Die Türen wurden nacheinander zugesperrt und versiegelt. Als die Gräfin in den Hof hinabkam, brachte ihr der Anblick des niedergeschossenen Hundes den noch lebenden in Erinnerung. Was sollte sie mit diesem tun? Auch der muß niedergeschossen werden, damit er nicht vor Hunger umkomme.
»Es wäre schade,« sagte Iwan, »ich binde ihn los und er kommt mit uns. Er kann bei mir bleiben.«
Die Gräfin erwartete, daß der Hund Iwan beißen werde. Er biß ihn aber nicht. Iwan wußte das zottige Tier zu beschwichtigen, es ließ sich ruhig das Band vom Halse schnallen und leckte dann dem Befreier die Hand.
Der Wagen fuhr rollend aus dem Hof. Iwan sperrte das Tor zu und übergab den Schlüssel dem Abt, der im Wagen neben der Gräfin saß; dann schwang er sich auf den Kutschbock und lenkte die beiden Klepper, welche die Gräfin ihre Kutschpferde nannte, und die ihr von ihren Schaffnern mit ich weiß nicht wieviel tausend Gulden aufgerechnet worden waren. Es waren zwei alte magere Tiere.
Als die Insassen des Wagens auf ihrem Wege sich gegen die Kohlenwerkkolonie wandten, bemerkten sie seitwärts eine Rauchwolke aufsteigen und Iwan sah eine Gruppe von Arbeitern, die mit Feuerlöschrequisiten nach der Gegend der Rauchwolke hineilten. Er fragte sie, was das sei, wohin sie gehen. Sie sagten, der Kornspeicher der Gräfin brenne, sie glauben jedoch, daß sie den Brand bald löschen werden.
»Das konnte ich mir denken,« sagte Iwan. »Der treulose Verwalter muß ja den Speicher anzünden, damit man nicht sehe, was darin war und was davon verkauft worden ist.«
Die Gräfin war empört darüber, daß Menschen so tief sinken können, worauf Iwan mit der trocknen Bemerkung antwortete, daß die Landwirtschaft nur für solche Menschen sei, die selbst überall nachsehen können, nicht aber für solche, die sich in ihr Zimmer einschließen.
Widerwärtiger Mensch!
Es wurde heller Tag, bis die beiden Herrschaftsklepper die gräfliche Kutsche durch den mit Schnee untermengten Straßenkot bis zur Bergwerkskolonie zu schleppen vermochten. Dort dampften schon beide vor Anstrengung.
Iwan fuhr in den Hof seines Hauses; dem herbeieilenden Postmeister gab er den Auftrag, für Vorspann zu sorgen und die Pferde der Gräfin unterzubringen. Dann führte er die beiden Gäste in sein Arbeitszimmer. In den übrigen Zimmern war es grimmig kalt, denn diese wurden niemals geheizt; er war also genötigt, die hohen Herrschaften hier zu empfangen.
In dem Arbeitszimmer herrschte die gewöhnliche Unordnung; es kostete ihm Mühe, für die Gäste einen Platz frei zu machen, wo sie sich niederlassen konnten.
Die Gräfin blickte befremdet umher auf die vielen unbekannten Gegenstände, die in diesem Arbeitszimmer auf Stühlen, Tischen und Gestellen umherlagen. Teuflische Zauberinstrumente! Mit geheimem Schauder warf sie ab und zu einen Blick in das chemische Laboratorium, auf dessen Herd noch jetzt die Kohlen glimmten, deren Glut zu der unterbrochenen chemischen Untersuchung entzündet worden war.
»Cagliostros Offizin,« flüsterte die Gräfin schaudernd dem Abt zu. »Hier werden böse geheimnisvolle Dinge gebraut.«
Aber stärker als selbst dieser ehrfurchtsvolle Schauder war bei ihr das unangenehme Gefühl, daß sie jetzt der Gast, die Schuldnerin dieses Trogloditen, daß sie, die Reiche, die Vornehme, die Rechtgläubige, diesem obskuren, gottlosen Arbeiter verpflichtet ist. Sie hätte ihm gerne die wucherischsten Zinsen für sein Darlehen gezahlt, ihm für seine guten Dienste die reichste Belohnung gegeben, wenn sie ihm nur nicht das Wörtchen: »Ich danke!« zu sagen brauchte. Sie möchte ihm beim Wegfahren lieber die kostbarste Perle ihres Schmucks aus dem Wagen zuwerfen, als ihm das Abschiedswort: »Gott mit Ihnen!« zurufen. Einem Atheisten diesen Gruß! Könnte sie nur ihre Schuld, mit etwas abtragen!
Iwan entfernte sich auf einige Augenblicke aus dem Zimmer, und als er zurückkam, brachte hinter ihm eine Dienerin auf einer Platte das dampfende Frühstück und breitete ein weißes Tuch über einen kleinen Tisch, auf welchen sie die Tassen und Kannen für die Gräfin und den Herrn Abt stellte.
Während die Gräfin nach einem Vorwand suchte, das Frühstück zurückzuweisen, setzte der Abt sich zu demselben nieder und forderte die Gräfin mit seinem Privilegium als Reisegenosse auf, seinem Beispiel zu folgen.
»Wir finden bis zum Abend kein Wirtshaus, wo wir etwas Warmes bekommen, und Sie bedürfen der Stärkung.«
Als die Gräfin sah, daß keine Teufel kamen, um dem Abt, der vom Kaffee des Hexenmeisters kostete, den Kopf umzudrehen, fing auch sie an davon zu nippen. Der Kaffee war nicht sehr gut. Die Milch ging an, aber den Kaffee zu trinken war schrecklich!
Iwan fing an vom Wetter zu sprechen. Ein primitives Gesprächsthema. Doch war der Unterschied dabei, daß nicht ein geistesarmer Hofmacher, sondern ein Meteorolog vom Wetter sprach. Er versicherte die Gräfin, daß sowohl der Barometer als auch das englische stormglass günstiges Wetter anzeigen; die Sonne scheine so warm wie im Mai, sie werde gutes Reisewetter haben.
Und damit sie sich des Sonnenlichts um so besser erfreuen könne, schob Iwan den grünen Fenstervorhang auf die Seite, worauf der freundliche Sonnenschein das traurige Zimmer sogleich erhellte.
Bei der plötzlichen Helle zuckte die Gräfin nervös vor einem Gegenstand zurück, den sie in der Dunkelheit bisher nicht bemerkt hatte.
Es war ihr eignes Gesicht, das sie in einem gegenüber befindlichen ungeheuren Hohlspiegel erblickte.
Es ist eine Tatsache, daß es keinen Menschen gibt, der sich nicht gerne im Spiegel sieht. Bringen wir dem ernstesten Redner, wenn er mitten in der besten Begeisterung ist, plötzlich einen Spiegel vor die Augen, so wird er nichts mehr als sich selbst sehen und für sein Bild im Spiegel sprechen und gestikulieren. Aber sich in einem Vergrößerungsspiegel zu sehen, das ist ein schrecklicher Anblick. Man sieht seinen Kopf so groß wie ein Faß, mit Zügen, wie sie nur für einen Riesen in der Fabel passen, und erkennt sich doch in dem grauenhaften Ungetüm! Das ist eine unangenehme Bekanntschaft. »Was für einen Vergrößerungsspiegel haben Sie da in Ihrem Zimmer?« fragte die Gräfin Iwan halb ärgerlich, halb scherzhaft und dem Spiegel den Rücken zuwendend.
»Gräfin, dieser Spiegel dient mir wahrhaftig nicht beim Toilettemachen; es ist ein sogenannter Zündspiegel, den man bei chemischen Operationen benötigt, zu welchen man den stärksten Hitzegrad braucht.«
Der Abt wollte zeigen, daß auch er in den Naturwissenschaften bewandert sei und sagte: »Zum Beispiel zum Verbrennen eines Diamanten.«
»Ja,« bestätigte Iwan, »auch dazu braucht man den Hohlspiegel; der Diamant verbrennt nur in der durch den Zündspiegel hervorgebrachten Hitze und in der Flamme des Knallgases.«
Die Gräfin war dem Abt dankbar für seine Bemerkung, denn er brachte sie damit auf einen guten Einfall. Dieser Mann erweckt in ihr auch Gedanken.
»Wie?« sprach die Gräfin, sich neugierig stellend, zu Iwan. »Sie behaupten, daß der Diamant verbrennbar sei?«
»Er ist auch verbrennbar, Gräfin, denn der Diamant ist nichts als Kohle in Kristallform; und bei dem gehörigen Hitzegrad wird aus dem patrizischen Diamanten, wovon ein Karat 90 fl. wert ist, und dessen Wert bei jedem weiteren Karat in geometrischer Progression steigt, dasselbe, was aus der plebejischen Kohle wird: Kohlenoxyd, unsichtbares Gas. Das beweist der Fokus des Hohlspiegels.«
»Ah, das glaube ich nicht,« sprach die Gräfin, den Kopf vornehm zurückwerfend.
»Ich bedaure,« sagte Iwan mit einer Beugung des Kopfes, »daß ich es jetzt nicht beweisen kann, denn, wenn der Diamant auch verbrennbar ist, so benützt man ihn doch nicht als Brennmaterial, und zu Experimenten pflegt man nur die wohlfeilen Splitter zu verwenden, deren ich aber jetzt keine habe.«
»Ich möchte es sehen, denn ich glaube es nicht,« sagte hierauf die Gräfin, und die ihr Busentuch zusammenhaltende Agraffe herausziehend, reichte sie dieselbe Iwan hin, »versuchen Sie es mit diesem da.«
Der Stein der Busennadel war ein prächtiger zweikaratiger Brillant.
Die Gräfin erwartete nichts bestimmter, als daß Iwan antworten werde: »O, es wäre schade um diesen schönen Edelstein!« und darauf war sie bereit zu antworten: »Nun so behalten Sie ihn zum Andenken!« Auf diese Art wäre der widerwärtige Mensch beschenkt und bald vergessen worden.
Aber staunend gewahrte die Gräfin, daß sie sich getäuscht habe.
Iwan übernahm die Brustnadel mit der Ruhe eines Gelehrten und mit der Dienstfertigkeit eines Gentleman, ohne Spott oder affektierte Kaltblütigkeit zu zeigen.
»Aber die Brustnadel selbst wollen Sie doch nicht schmelzen lassen? Ich nehme den Stein aus der Fassung, und wenn er nicht verbrennt, so setze ich ihn wieder ein.
Iwan nahm den Stein mit einer kleinen Zange aus der á jour-Fassung und legte ihn auf den Boden eines dicken, flachen Tontiegels.
Dann öffnete er das Fenster, damit die Sonne klar hereinscheinen könne.
Den Tiegel, auf welchem der Diamant lag, stellte er auf einen metallenen Untersatz und setzte diesen mitten im Zimmer vor der Gräfin nieder.
Hierauf nahm er den Zündspiegel und ging damit ins Freie hinaus, denn drin im Zimmer hätten die Sonnenstrahlen wegen des Fensterkreuzes nicht ungehindert auf den Spiegel fallen können.
Die Gräfin glaubte noch immer, die Gaukelei werde damit enden, daß der Diamant nicht verbrennt und daß sie dann um so leichter Gelegenheit haben werde, Iwan den Diamant zu schenken, damit er das Experiment im Sommer wiederhole, wenn die Sonne heißer ist.
Iwan richtete, nachdem er draußen vor dem Fenster die günstige Stelle gefunden, die Spitze der Strahlenpyramide des Brennspiegels auf den Tiegel. Der Diamant sprühte in diesen auf seine Vernichtung hinzielenden Strahlen Tausende von Funken, und einige Augenblicke schien es, daß der Edelstein, der jeden auf ihn geschossenen Sonnenstrahl in die sieben Farben des Regenbogens brach, in diesem Kampfe Sieger bleiben werde; aber die feurigen Strahlen sammelten sich immer enger und dichter um den Diamanten, und plötzlich wurde das kleine Zimmer durch ein so blendendes Licht erhellt, daß jeder Gegenstand darin wie von Silber zu sein schien und jeder Schatten verschwand. Aus dem Tiegel schoß eine Feuerkugel, aus der die hellsten Blitze zuckten, und im nächsten Augenblicke hörte der Brennspiegel auf zu operieren.
Iwan stand noch draußen vor dem Fenster. Von dort her fragte er die in dem Zimmer befindliche Gräfin: »Was ist im Tiegel geblieben?«
»Nichts.«
Iwan kehrte in das Zimmer zurück, hing den Spiegel an seine Stelle und übergab der Gräfin die Busennadel mit der leeren Fassung.
Der Abt konnte nicht umhin zu bemerken: »Das war ein Schauspiel, wie es sich nur Könige erlauben können.«
Der Postillon blies, die Gräfin ließ sich ihren Reisepelz umgeben, und als Iwan sie in den Wagen hob, war sie doch genötigt, ihm die Hand zu reichen und an ihn die Worte zu verschwenden: »Gott mit Ihnen.«
Als der Wagen davongerollt war, fragte die Gräfin den Abt: »Nicht wahr, dieser Mensch ist ein Zauberer?«
»Nein,« antwortete der Geistliche, »er ist noch viel schlimmer, er ist ein Naturforscher.«
»Hm! Ein widerwärtiger Mensch!«