Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Auf das Zureden des Herrn Mahók entschloß sich die Komtesse, ihren Seelenarzt zu allen ihm beliebigen Verfügungen zu ermächtigen. Der Geistliche lud noch an demselben Tage den Abt Samuel, der sich gerade damals in Pest aufhielt, ein, nach Bondavár zu kommen.
Der Abt Samuel war ein Mann von großem Rufe, einer jener Geistlichen, die im Geruch der Freisinnigkeit stehen. Er stand mit liberalen Notabilitäten in freundschaftlichen Beziehungen, und Eingeweihte wußten, daß die oppositionellen Zeitungsartikel mit der Chiffre [S] von seiner Feder herrührten. In Gesellschaft war er gemütlich und geistreich und verdarb niemals die heitere Stimmung. Auch in wissenschaftlichen Kreisen glänzte er; seine Vorlesungen, die zwar oberflächlich, aber stets mit Geist geschrieben waren, wurden von der Elite mit Vorliebe besucht. Dazu kam noch, daß die ultramontanen Blätter ihn unermüdlich angriffen. Ja einmal hielt sogar die Polizei eine Hausdurchsuchung bei ihm, ohne recht zu wissen, was sie bei ihm suchte. All diese Umstände erhielten den Namen des Abtes Samuel in gutem Klang, und als einmal eine illustrierte Zeitung sein Porträt brachte, war die öffentliche Meinung vollends für ihn gewonnen, so stattlich war seine Erscheinung mit der hohen, freien Stirne, mit den mannhaften, ausdrucksvollen Zügen, den starken Augenbrauen und dem kühnen Blick; – nur ein Zug in seinem Gesicht, der jeden Geistlichen charakterisiert, verriet seinen Beruf: ein eigentümlicher Zug in den Mundwinkeln, welcher dem Gesicht einen gewissen salbungsvollen Ausdruck und zugleich ein starres, erzwungen liebenswürdiges Wesen verleiht, durch welches Geistliche wie Amoretten in reifem Alter erscheinen. Im übrigen hatte er nichts von einem Geistlichen an sich. Mit seinem muskulösen Körperbau hätte er eher einen Gladiator abgeben können.
Er war im ganzen Lande als ein freisinniger Geistlicher ausgerufen, der es sogar auch wagte, der Staatsgewalt die Wahrheit zu sagen.
Darum hatte der hochwürdige Herr Mahók vor ihm großen Respekt. Er als armer Dorfpfarrer konnte nicht viel für das Vaterland tun; höchstens, daß er einmal – damals! – mit einem Honvédbataillon in zwanzig Schlachten zugegen war und seinen Soldaten in jener Zeit von Vaterlandsliebe predigte, wofür er auch ein bißchen zum Tode verurteilt und zu zehnjährigem Kerker in schweren Eisen begnadigt wurde. Davon hat er auch fünf Jahre abgesessen, und seine Füße sind jetzt noch wund von den Fesseln. Aber das alles sind solche Kleinigkeiten, daß Herr Mahók sich schämt, dessen sich zu rühmen den Verdiensten eines Mannes gegenüber wie Abt Samuel, der es wagt, freisinnige Artikel in die Zeitungen zu schreiben und sie mit dem Anfangsbuchstaben seines Namens zu bezeichnen! Jetzt! – Mit Haynau, mit den Russen zu tun haben, den Kanonen trotzen, unter dem Galgen stehen, das alles ist Spaß! Aber jetzt! mit der schrecklichen Polizei anbinden, das ist etwas!
Herr Mahók hielt daher unendlich viel von den hohen Fähigkeiten des Abtes Samuel, während er selbst fühlte, daß er von seiner einstigen Energie viel verloren habe. Ja, fünfzehn Jahre sind eine schöne Zeit, besonders wenn man fünf davon im Kerker mit schweren Eisen an den Füßen zugebracht hat.
Nach einigen Tagen kam der geladene Gast in die Pfarrei des Herrn Mahók. Der Pfarrer teilte ihm von den Verhältnissen der Komtesse alles dasjenige mit, was er ohne Verletzung des Beichtgeheimnisses sagen konnte. Er erzählte ihm auch von dem Vorfall mit den Gespenstern und von dem, was er in dieser Beziehung selbst erlebt hatte.
Herr Samuel nahm die Erzählung mit souveränem Lachen auf.
»Mich mögen Sie immerhin auslachen, aber ich bitte Sie, der Komtesse nicht zu spotten, denn die hält viel auf ihre Gespenster,« sagte der Pfarrer mit bescheidener Demut.
Der Abt ließ sich die Lage des Schlosses, die gegenseitige Verbindung der Zimmer und der Treppen umständlich beschreiben und ließ sich vom Pfarrer namentlich jene Szene bis auf das geringste Detail schildern, nach welcher er sich mit dem Sakristan durch die Gittertüre des Souterrains flüchtete. Die Equipage der Komtesse kam in der gewohnten Stunde, um die beiden werten Gäste nach dem Schloß zu bringen, welches vom Dorfe ziemlich entfernt lag.
Bei der Komtesse war es sehr natürlich, daß sie in dem Augenblick, wo sie den Abt Samuel erblickte, zu schluchzen anfing und Krämpfe bekam, die hartnäckig nicht eher vergingen, als bis der Abt die Stirne der Komtesse mit seiner Hand berührte. Ihrer Gepflogenheit gemäß verfiel auch Fräulein Emerenzia in Krämpfe, welche um der Symmetrie willen Herr Mahók hätte bannen müssen; aber er kümmerte sich um sie nicht viel, sondern ließ die Krämpfe Krämpfe sein, bis sie von selbst vergingen.
Erst nach diesem Anfall gewann die Komtesse die Kraft zu der Aeußerung, daß der Himmel den Herrn Abt heute hierher gesendet habe.
Der Herr Abt erkundigte sich während des Diners, das mit lukullischem Luxus ausgestattet war, nach ganz prosaischen Umständen, nach der Zahl der Dienstleute, dem ungefähren Alter der Hausmädchen, nach der Kellermanipulation, der Zeit der Weinlese, und beschäftigte sich mehr mit Fräulein Emerenzia als mit der Komtesse. Er fragte das Fräulein, ob er ihr Wein einschenken dürfe und hörte mit Staunen, als sie, ihr Glas mit der Hand bedeckend, beteuerte, daß sie niemals Wein trinke. Er wollte auch wissen, ob der Ring, den sie an dem Finger trug, nicht ein Verlobungsring sei, worauf sie verschämt errötend versicherte, daß sie sich selbst in Gedanken niemals mit einem Mann beschäftigt habe.
Nach dem Diner blieb Herr Mahók im Speisesaal zurück, um Fräulein Emerenzia zu unterhalten; das heißt, er setzte sich neben dem Kamin auf einen Lehnsessel, faltete die Hände über seinem wohlgerundeten Bauch zum Gebet, schloß die Augen und konnte sich, süß schlummernd, meisterlich anstellen, als ob er gespannt das anhörte, was Fräulein Emerenzia sagte.
Der Herr Abt aber zog sich mit der Komtesse in deren inneres Gemach zurück.
Die Komtesse erwartete zitternd, was für ein Urteil der in hohem Ansehen stehende Mann in dem Hexenprozeß fällen werde.
»Hat Ihnen mein Beichtvater das schreckliche Geheimnis des Schlosses mitgeteilt?«
»Ich habe von ihm so viel erfahren, als er selbst wußte.«
»Und welcher Ansicht sind die Autoritäten der Kirche in dieser Angelegenheit?«
»Meine individuelle Meinung ist, daß hier eine gewöhnliche menschliche Intrige im Spiel ist.«
»Eine menschliche Intrige?« fragte die Komtesse schaudernd, »meine Visionen!«
»Sind mit dieser Intrige in psychiatrischem Zusammenhang; Sie hören einen Teil der Geschichte und den andern Teil träumen Sie. Den Beginn fassen Sie mit den Sinnen auf, die Fortsetzung aber ist Halluzination, Idiosynkrasie. Sichtbare Geister gibt es nicht, denn was nicht Stoff ist, hat keine Gestalt. Wer einmal gestorben ist, der kann sich nicht mehr bewegen, denn sein Organismus ist aufgelöst.
Die Komtesse schüttelte unmutig den Kopf. Von einem hochgestellten geistlichen Herrn hatte sie keine solche Erklärung erwartet. Wenn sie nur das hätte erfahren wollen, so hätte sie nicht nötig gehabt, den Herrn Abt zu rufen.
Abt Samuel las im Gesichte der Komtesse die Wirkung seiner Worte und beeilte sich die Radikalkur vorzunehmen.
»Gräfin, ich kenne Ihre Zweifel und Ihren festen Glauben an das, was Sie gesehen und gehört zu haben meinen. Sie glauben, daß Sie unzähligemal in die verzauberte Gruft hinabgestiegen seien, in welcher Ihre Ahnen sich versammeln.«
»In der verflossenen Nacht machten sie großen Lärm und versprachen heute wieder zusammenzukommen und mich zu erwarten.«
»Und Sie haben zugesagt wieder zu ihnen zu kommen?«
»Bei Tag schaudere ich davor zurück, aber in der Nacht zieht es mich mit seltsamer Gewalt, hinunter zu gehen; dann bekämpfe ich meine Furcht und kann nicht hier oben bleiben.«
»Gut; also heute nacht werde ich mit Ihnen zusammen in die Gruft hinabgehen.«
Auf diese Worte kamen im Gesicht der Komtesse wieder die Glutrosen zum Vorschein. Das lebende Bildnis! Sie soll mit ihm zusammen hinabgehen! Wohin? – Vielleicht in die Hölle? Doch bald erlangte sie wieder die Herrschaft über sich selbst und fragte zweifelnd: »Wie wäre das möglich? – Soll ich das ganze Hausgesinde in meine tiefsten Geheimnisse einweihen?«
Der Abt verstand die Frage samt allen Konsequenzen derselben.
»Es ist nicht nötig; im Gegenteil, die Hausleute dürfen gar nichts davon wissen.«
Die Komtesse sah ihn verwirrt an. In diesem Falle wäre es unumgänglich nötig, daß der Herr Abt die ganze Nacht in den Zimmern der Komtesse mit ihr allein bleibe.
Der Herr Abt las diesen Gedanken im Gesicht Theudelindens.
»Ich gehe jetzt mit dem Pfarrer weg,« sagte er, »und komme erst in der bestimmten Stunde um Mitternacht zurück und werde mich dann an Ihrer Türe melden.«
Die Komtesse schüttelte ungläubig den Kopf.
»Wie wäre dies möglich? Bedenken Sie, daß im Winter von sieben Uhr abends an alle Türen meines Schlosses zugesperrt sind, und daß Sie bis zu meinem inneren Gemach durch nicht weniger als sieben verschlossene Türen unbemerkt vordringen müßten. Zuerst kommt das Schloßtor. Dieses bewacht die Torhüterin, eine bejahrte Frau, die selten schläft; außerdem sind noch zwei riesige Hunde da, wahre Bluthunde, welche in der Nacht an langer Kette sind. Dann kommt die Korridortüre, die mit zwei Schlüsseln versperrt ist, der eine ist bei der Beschließerin, der andere bei der Aufseherin, und man kann diese Türe nicht öffnen lassen ohne beide zu wecken. Die dritte ist die Treppentüre; den Schlüssel hat die Köchin, die einen so tiefen Schlaf hat, daß das ganze Haus erwacht, bis man sie herauspocht. Die vierte Türe ist das verschlossene Ganggitter; den Schlüssel dazu hat das Stubenmädchen, eine furchtsame Dirne, die des Nachts nicht einmal in das nächste Zimmer allein zu gehen wagt. Die fünfte Türe führt in das Zimmer meiner Kammerjungfer; das ist eine jungfräuliche Person, die auf die Aufforderung eines Mannes, und wäre es selbst ein Heiliger, ein Prophet, in der Nacht keine Türe öffnet. Die sechste Türe führt in das Zimmer des Fräuleins Emerenzia, meiner Gesellschafterin, welche Krämpfe bekommen und in Ohnmacht fallen würde, wenn des Nachts jemand die Türklinke berühren würde. Die siebente Türe endlich ist die meines Ankleidezimmers, die sich nur mittels einer durch mich selbst gehandhabten Maschinerie öffnet. Wie könnten also Ew. Hochwürden um Mitternacht hierherkommen?«
»Erlauben Sie mir eine Frage zu stellen. Nachdem Sie aus diesem Ihrem innern Gemach so oft des Nachts in die Gruft hinabgegangen sind, wie konnten Sie das tun, ohne durch so viele verschlossene Türen zu kommen?«
Im Gesicht der Komtesse strahlte ein triumphierendes Lächeln: die Abergläubische vermochte den Schlag des Weisen siegreich zurückzugeben.
»O! ich komme nicht durch jene Türe hinunter. Aus meinem Schlafzimmer führt eine verborgene Treppe zuerst in die Bibliothek und von dort in die Gruftkapelle. Ich gehe über die Familientreppe hinunter.«
Hierauf wäre es seitens des Herrn Abts sehr natürlich gewesen, wenn er sich erboten hätte, sich in der Bibliothek zu verbergen, und wenn die Komtesse ihm den Schlüssel zur Türe der verborgenen Treppe anvertraut, in ihrer unmittelbaren Nähe zu bleiben! Nur kannte er den Charakter der Komtesse, deren Prüderie schon durch die bloße Erwähnung eines solchen Auskunftsmittels so empfindlich verletzt worden wäre, daß sie imstande gewesen wäre, jede weitere Unterhandlung mit ihm abzubrechen. Auf gewöhnlichem Wege war ihr nicht beizukommen. Das wußte der Abt recht gut.
»Gräfin! ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe. Heute um Mitternacht werde ich an diese Türe pochen.«
Die Komtesse wurde von nervösem Schauder geschüttelt.
»Entweder Sie glauben,« fuhr der Abt fort, »daß es überirdische Wesen gibt, welche mit einer der Naturgesetze spottenden Macht durch verschlossene Türen gehen und für manche Menschen sichtbar, für andere wieder unsichtbar sind, dann kann ich auch diese übermenschliche Macht besitzen; – oder Sie glauben nicht, daß ich, ein staubgeborener Mensch, anderes zu tun vermag, als was die ewigen Gesetze der Natur gestatten; dann werden Sie die natürliche Erklärung aller außerordentlichen Vorfälle finden. Die Zauberkunst ist heutzutage keine Hexerei, die Boscos und Galuches verbrennen wir nicht mehr auf dem Scheiterhaufen. Halten Sie mich also entweder für einen Bosco oder für einen Paracelsus; ich wiederhole das, wessen ich mich anheischig gemacht habe. In derselben Stunde, in welcher die Gespenster des Schlosses ihre Orgie beginnen, werde ich an Ihre Türe pochen mit den Worten: In nomine Domini, aperiantur portae fidelium! Im Namen des Herrn mögen die Türen der Gläubigen geöffnet werden! – Aber niemand außer uns zweien darf hiervon etwas wissen. Bis dahin sei der Segen Gottes mit Ihnen, Gräfin.«
Theudelinde wurde von dem sicheren Auftreten dieses außerordentlichen Menschen in Staunen versetzt, bezaubert. Er sprach von einer solchen Höhe herab zu ihr, daß sie es fast für eine Entweihung hielt, in seine Worte Zweifel zu setzen. Und dennoch hat er Unmögliches versprochen! Wie kann das geschehen? Oder sollte er wirklich ein Wesen von überirdischer Macht sein?
Die Komtesse sah zum Fenster hinaus, als die Equipage mit den beiden Geistlichen das Schloß verließ. Dann blieb sie am Fenster, bis die Equipage leer zurückkehrte.
Die Kutscherin zeigte prahlend das Trinkgeld, das sie erhalten hatte. Es war ein neuer Silbergulden, und die herbeigeströmten Dienstmägde gaben denselben staunend von Hand zu Hand. Welch ein Wunder! Von den fünfzehn Millionen Bewohnern Ungarns haben vierzehn Millionen und fünfmalhunderttausend niemals einen Silbergulden gesehen.
Das ist ein Geistlicher! Nicht der andere, der jeden Sonntag in Papier gewickelte Vierkreuzerstücke als Trinkgeld auszuteilen pflegt.
Der Komtesse schlich die Zeit langsam dahin, bis der Abend heranbrach. Sie ging unruhig durch alle ihre Zimmer hin und her und zerbrach sich den Kopf darüber, auf welchem Wege, durch welche Ritze jemand hierher fliegen könnte, der nicht ein purer Geist ist. Und als es sieben Uhr schlug, achtete sie selber darauf, daß alle Türen des von ihr bewohnten Flügels ordnungsgemäß verschlossen wurden; dann erst begab sie sich in ihre Zimmer zurück.
Dort nahm sie die Pläne des florentinischen Künstlers vor, nach welchen dieses Schloß erbaut war. Sie besichtigte dieselben nicht zum erstenmal. Als sie dieses Schloß von ihrem Vater erhielt, studierte sie die Baupläne lange. Das Schloß war dreimal so groß als der Raum, den sie zu ihrer Wohnung zu verwenden beabsichtigte; sie mußte daher wählen, in welchem Flügel des Schlosses sie ihre Wohnung aufschlagen wollte. Im mittleren Teile des Gebäudes waren große Säle, Versammlungs-, Speise-, Waffensäle, Museen für Bilder und Altertümersammlungen. Da war es nicht wohnlich.
Auch von diesem Teile des Schlosses führte eine verborgene Wendeltreppe zu einem unterirdischen Gang. Diese Treppe hatte einst vielleicht den Zweck, daß die Besatzung, wenn das Schloß von Türken überfallen wird, sich unbemerkt ins Freie flüchten könne. Aber diese Treppe hatte noch der Großvater der Komtesse abtragen und den Ausgang vermauern lassen. Auf diesem Wege kann also niemand hereinkommen. – Der gegenüber befindliche linke Flügel war der Lieblingsaufenthalt der genußsüchtigen Ahnen; dieser Flügel hatte schon Verstecke, geheime Nischen, unbemerkte Verbindungen durch die Höhlung einer dicken Mauer zwischen einem Zimmer und einem Stockwerk mit dem andern, hinter Bildern verborgene Türen, lauernde Winkel. Alle diese Dinge enthüllte der Plan des Architekten. Theudelinde ahnte mit jungfräulichem Schauder, daß dieser Schloßteil mit den vielen geheimen Gängen und Verbindungen ihrem erhabenen Ideengang nicht entspreche. Darum wählte sie jenen Flügel des Schlosses, der am einfachsten gebaut war; oben eine Reihe einfach miteinander verbundener Zimmer, zu ebener Erde die Bibliothek und unter dieser die Gruft. Dieser Schloßflügel hatte, wie aus dem genauen Plan ersichtlich war, kein anderes Versteck als die erwähnte geheime Treppe, die zu frommen Zwecken bloß zur Bibliothek und zur Gruft führte.
In diesem Schloß war für die ganze biotische Metamorphose der Schloßherren gesorgt – für die Bonvivants im jugendlichen, für die Staatsmänner im reifen und für die Frömmler im Greisenalter.
Komtesse Theudelinde hatte indes alle Zugänge vermauern lassen, welche aus diesem Flügel in den mittleren Teil des Schlosses führten, und so war zwischen diesem und ihren Appartements kein Verkehr möglich.
In ihrer Abteilung gab es also keine verborgenen Gänge, keine Statuen, die vom Ort gerückt werden können und eine geheime Tür verdecken, keine Versenkungen, keine maskierten Kamine, keine sich öffnenden hohlen Pfeiler, keine Marmorquadern, die mit einem leichten Druck von der Stelle gerückt werden können – und alle Fenster und Schornsteine waren mit starken Eisengittern versehen. Es war also nicht möglich, auf geheimen Wegen hierher zu gelangen.
Nur ein einziger Fall war denkbar, der nämlich, daß der Abt mit sämtlichem Gesinde des Schlosses im Einverständnis war. Diese Voraussetzung aber ist nicht allein wegen des erhabenen Charakters des Herrn Abts, sondern auch aus dem Grunde nicht zulässig, weil es nicht denkbar ist, daß der Abt in der kurzen Zeit, während welcher man durch die Zimmer eines Schlosses geht, alle ihm entgegenkommenden Personen bestechen könne, noch dazu in Gegenwart eines Zeugen wie der Herr Pfarrer Mahók. Ausgenommen, daß auch dieser mit ihm einverstanden wäre.
Das ist aber unmöglich.
Endlich, wozu hätte der Herr Abt es nötig, sich einer geheimnisvollen Gaukelei zu bedienen, wenn bei ihm überhaupt an Gaukelei gedacht werden dürfte.
Theudelinde schickte ihre Dienstleute frühzeitig zu Bette; vor Fräulein Emerenzia klagte sie über einseitigen Kopfschmerz, worauf diese sogleich auf der anderen Seite Kopfschmerz bekam, und als die Komtesse schlafen ging, ihren ganzen Kopf in gewärmte Holunderblütenumschläge hüllte und zum Erbarmen stöhnte.
Die Komtesse schloß sich in ihr Schlafzimmer ein und zählte die Minuten. Sie nahm das Patiencespiel vor, aber es wollte nicht ein einziges Mal gelingen; gewiß war sie zu wenig aufmerksam. Sie nahm die mit prachtvollen Illustrationen von Doré ausgestattete Bibel (nach der Approbata) vor und sah sich die Bilder an; sie zählte, wie viel Frauen- und wie viel Männergestalten auf diesen zweihundertunddreißig großen Kunstblättern, dann wie viel Pferde und Kamele da abgebildet waren und endlich wie viel Mordszenen da vorkamen. Dann vertrieb sie sich mit dem Text die Zeit. Sie zählte, welche Selbstlauter auf einer Seite am meisten vorkommen. In der größten Anzahl war das »a« vorhanden, dann das »e«, dann das »o«, hierauf folgte das »u«; das »i« kam in der geringsten Zahl vor. Das war der französische Text. Im ungarischen Text fand sie das »e« am häufigsten, dann folgte das »a«, hierauf das »o«, nach diesem das »i«, endlich das »u« und zuletzt »ö« und »ü«.
Auch das bekam sie satt. Jetzt setzte sie sich zum Klavier und bemühte sich, ihre Aufregung mit oft wiederholten Phantasien zu beschwichtigen. Auch das ging nicht. Ihre Hände zitterten und sanken ermattet von der Klaviatur herab. Als die Schreckensstunde endlich näher rückte, vermochte sie an nichts anderes zu denken als an die sie mächtig anziehenden gespenstischen Gestalten. Sie befand sich ganz in der Gewalt derselben, und sie wurde stets von Langeweile gequält, bis der Spuk begann.
Dann wurde sie gewöhnlich von einem Fieber überfallen; und in diesem Zustande pflegte sie sich zu entkleiden, kroch ins Bett, zog die Decke über sich, bis sie in Schweiß geriet und in Schlaf verfiel. Am späten Morgen, wenn sie erwachte, glaubte sie gewöhnlich, die Gespensterszenen wirklich erlebt zu haben, von welchen sie geträumt hatte.
Heute abends nahm sie ihren Talisman, das Porträt des Herrn Abts vor, um darin Kraft zu suchen. Sie postierte es vor sich auf ihr Lehntischchen und vertiefte sich in den Anblick desselben. Sollte er wirklich ein so übermenschliches Wesen sein, auf dessen Gebot verschlossene Türen sich öffnen, Gespenster fliehen und die Pforten der Hölle sich schließen? Und doch ist es unmöglich zu denken, daß dies in Erfüllung gehe.
Je weiter die Nacht vorschritt, desto unruhiger pochte ihr Herz. Nicht vor den allnächtlichen Gespenstern zitterte sie, sondern vor dem neuen unheimlichen Geist.
Wenn es dennoch möglich wäre, daß dieser Mensch in dieser Stunde an die Türe ihres innern Gemaches poche – was wäre er dann? Ein Zauberer? Oder ein Heiliger?
Die langsam schleichende Zeit brachte endlich Mitternacht herbei und die Schläge der Turmuhr verzitterten in der Stille der Nacht.
Pünktlich wie immer, begann nach dem zwölften Glockenschlag die unterirdische gespensterhafte Messe.
Die Komtesse achtete jetzt nicht darauf.
Sie horchte, ob nicht in den Nebenzimmern das Oeffnen der Türen, das Rasseln der Klinken, das Umdrehen der Schlüssel und herannahende Schritte sich hören ließen.
Nichts.
Sie stellte sich an die Türe und horchte. In den Zimmern ließ sich kein Geräusch vernehmen.
Es war schon eine Viertelstunde nach Mitternacht.
Die unterirdische Hexenorgie war unterdessen schon vom frommen Gesang zum greulichen Lärmen übergegangen. Es wurde da unten gejohlt, geheult, gegrölt, als ob alle Teufel der Hölle einander das Wort gegeben hätten, daß heute jeder von ihnen sich hervortun werde.
»Er wird nicht kommen,« sprach die Komtesse bei sich und zitterte von Fieberfrost geschüttelt an allen Gliedern. Es wäre Unsinn, zu erwarten, daß ein Mensch etwas vollbringe, was nur Gespenster zu tun imstande sind.
Sie ging zu ihrem Alkoven, um sich niederzulegen.
In diesem Augenblick ertönte das Pochen an der Tür und dabei sprach die bekannte Stimme leise, aber mit festem Ton das vorher verabredete Losungswort: »In nomine Domini aperiantur portae fidelium.«
Die Komtesse schrie auf.
Sie nahm all ihre Geisteskraft zusammen, um nicht die Besinnung zu verlieren.
Das ist Wirklichkeit! Das ist kein Traum, keine Halluzination!
Er ist vor der Tür.
Vorwärts!
Die Komtesse lief zur Tür hin und öffnete sie.
Der Drang des Augenblicks verlieh ihrer Seele Schwung.
Gleichviel ob der, der bis hierher zu dringen vermochte ein Räuber, ein Zauberer oder – ein Heiliger ist, er soll ihr entgegentreten! Die Stelle des Fußbodens, auf welcher er jetzt steht, ist die Seufzerbrücke über einem Abgrund; ein Druck auf den Knopf der geheimen Feder und er stürzt in die finstere Tiefe. Die Komtesse setzte ihren Fuß auf die Feder, indem sie die Tür aufriß.
Da stand der Herr Abt vor ihr. Kein geistliches Ornat war an ihm zu sehen; er trug einen einfachen bis zum Knie reichenden Rock und hatte keinen heiligen Gegenstand in den Händen, keine Monstranz, keinen Weihwasserbehälter, sondern einen tüchtigen Stab aus Rhinozeroshaut in der rechten und eine Blendlaterne in der linken Hand.
»Bleiben Sie dort stehen, wo Sie jetzt sind!« rief ihm die Komtesse in gebieterischem Ton zu. »Bevor Sie diese Schwelle überschreiten sagen Sie mir, wie Sie hierher gelangt sind, mit Hilfe Gottes, eines Menschen oder eines Teufels?«
»Gräfin!« sprach der Abt, »sehen Sie sich in Ihren Zimmern um, alle Türen stehen offen. Durch Türen, die ich alle offen fand, bin ich hierher gekommen. Wie ich in den Hofraum gelangt bin, das werde ich Ihnen später sagen, wenn wir fertig sind.«
»Und meine Dienstleute, die in diesen Zimmern schlafen?« fragte die Komtesse erstaunt.
»Die Vorhänge sämtlicher Betthimmel sind herabgelassen, ich habe sie nicht gelüftet. Wenn ihre Dienstleute schlafen, so schlafen sie den Schlaf des Gerechten, der ein tiefer ist.«
»Unbegreiflich!«
Die Komtesse verlor ihre Energie.
»Ich bitte, treten Sie ein!«
Hiermit sank sie in einen Fauteuil.
Der Lärm in der Gruft erreichte jetzt seinen Höhepunkt.
»Hören Sie das Toben?«
»Ich höre und verstehe es; ich bin gekommen, um den Urhebern desselben entgegenzutreten.«
»Hat Ihnen der Glaube hierzu Waffen gegeben?«
»Nur einen Stock,« erwiderte der Abt, seinen zähen Stab emporhaltend.
»Hören Sie nicht mitten durch das Toben die Stimme meines Vaters Ladislaus?« fragte die Komtesse, den Arm des Abts mit beiden Händen erfassend; »hören Sie nicht das schreckliche Gelächter meiner Base?«
»Von wem diese Töne kommen, das werden wir bald erfahren,« sprach der Geistliche fest und ruhig.
»Wie? Was haben Sie vor?«
»Ich will zu ihnen hinuntergehen.«
»Hinunter? Wozu?«
Um über sie Gericht zu halten. Sie haben mir versprochen, mit mir zu kommen.«
»Ich habe es versprochen?« sagte die Gräfin erschrocken, die Hände an ihre Brust pressend.
»Sie haben es gewünscht.«
»Richtig, richtig! Aber ich bin jetzt so verwirrt, daß ich meine Gedanken nicht zusammenfassen kann. Sie an diesem Ort! Und dieser schreckliche Lärm dort unten! Ich fürchte mich!«
»Wie? Sie, die sonst allein unter diese Gespenster traten, fürchten sich jetzt, dies mit mir zu tun? Reichen Sie mir die Hand.«
Die Komtesse legte zitternd ihre Hand in die Hand des Abts, und als sie dessen männlichen Druck fühlte, ergoß sich ungewohnte Wärme und Kraft durch ihre Adern; sie hörte auf zu zittern, es flimmerte ihr nicht mehr vor den Augen, ihr Herz schlug nicht mehr so schnell. Von der Hand des Mannes berührt, lebte sie auf.
»Kommen Sie mit mir,« sprach der Geistliche, indem er seine Geißel unter den linken Arm nahm und mit der Rechten die Komtesse nach sich zog. »Wo sind die Schlüssel der Treppe und der Säle, durch welche wir kommen müssen?«
Die Komtesse fühlte, daß sie die Hand dieses Mannes nicht loslassen könne. Sie hatte weder körperliche noch geistige Kraft hierzu. Sie überließ sich ihm ganz. Sie kroch unter seine Flügel. Sie fühlte sich gezwungen, ihm selbst an die schrecklichsten Orte zu folgen, selbst in die Hölle.
Stumm wies sie auf den Schlüsselbehälter in altertümlich getriebener Arbeit, in welchem mehrere Schlüsselbunde sich befanden.
Der Geistliche wählte den richtigen Schlüsselbund aus. Auch das war keine Wundertat. An einem der Schlüssel befand sich das kennzeichnende Kreuz. Es war der Schlüssel zur Gruft.
Die Tapetentür ging auf, und beim ersten Schritt überzeugte sich der Abt von dem, was er ohnehin schon gewußt hatte, daß nämlich die Komtesse niemals über diese Treppe gegangen war, denn ein Spinnengewebe blieb ihm am Gesicht hängen.
Aber die Komtesse lebte in ihrer Halluzination noch fort. Es gibt nervöse Menschen, die von niemals gesehenen Räumlichkeiten so lebhaft träumen, daß sie, wenn sie wirklich einmal hinkommen, überzeugt sind, früher schon dagewesen zu sein.
Als die Komtesse mit ihrem Begleiter über die Treppe ging, flüsterte sie ihm zu: »Ein Fenster ist dort ausgebrochen und da pfeift der Wind herein.«
In der Tat fanden sie bei einer Wendung der Wendeltreppe ein kleines Nischenfenster, das bei Tag zur Beleuchtung der Treppe diente, und das war ausgebrochen.
Sie hatte es aber nie gesehen. – Sie kamen zur Bibliothekstür.
»Am schrecklichsten ist es mir immer, wenn ich durch die Bibliothek gehe,« sagte die Komtesse. »Wenn der Mond durch die Scheiben des Oberlichts scheint und weiße Flecke auf den Marmorboden zeichnet, sieht das Mosaik desselben wie eine geheimnisvolle Schrift aus. In einem Winkel zwischen zwei Schränken steht ein Gerippe hinter einer Glaswand. Im Glasschrank auf der linken Seite befindet sich die wächserne Totenmaske des heiligen Ignatius Loyola.«
Möglich, daß die Komtesse das alles als Kind von einer Amme gehört hatte.
Es war so, wie sie es sagte. Der Mond schien durch das Oberlicht; das Gerippe stand in einem Glasschrank und in einem andern befand sich die wächserne Totenmaske.
Aber die Gräfin war niemals hier gewesen. Der Fußboden des Saales war mit jenem feinen Staube bedeckt, dessen Atome man in den durch das Fenster scheinenden Sonnenstrahlen tanzen sieht und der, Jahrzehnte angehäuft auf dem Fußboden und den Möbeln eine Schicht bildet. Fußspuren waren in dieser Schicht nicht zu sehen.
In dem Augenblicke, in welchem die Komtesse und der Abt in den Bibliotheksaal traten, war der wirre Lärm in der nahen Gruftkapelle nicht vernehmbar. Die Gespenster verstummten, aber nicht zugleich alle gespenstischen Töne. Man hörte durch die Tür der Kapelle etwas wie Orgelklänge, ähnlich dem Präludium, das vor der Messe gespielt wird. Nur klangen auch diese Töne so abscheulich, als ob selbst die Orgel von verdammten Geistern beseelt wäre, durch welche die Musik zur Ironie wurde.
Die Komtesse blieb mit beklemmter Brust auf der Schwelle der Kapellentür stehen und hielt den Abt mit einem krampfhaften Druck ihrer Hand davon zurück, die Tür zu öffnen. Sie zitterte an allen Gliedern.
Was sind das für schreckliche Töne?
Und dann ertönte dort drin das »vesperae«.
Eine Stimme, welche die Rezitation des die Messe lesenden Priesters nachahmte, begann: »Bacche, ad haustum intende!« (Diese und die folgenden Parodien der Liturgie werden am Schluß dieses Bandes in Übersetzung mitgeteilt.)
Eine andere Stimme antwortete in gleichem Ton:»Et ad potandum festina!«
Und eine Stimme sprach, als ob jemand den heiligen Text schnell liest: »Gloria Baccho, et filiae ejus Cerevisiae et Spiritui vini, sicut erat in Baccho natus, et nunc, et semper et per omnia pocula poculorum. Stramen!«
Die Komtesse fühlte ihre Glieder zu Eis erstarren; zur Angst gesellte sich auch der Abscheu.
Die Komtesse verstand lateinisch.
Jetzt ertönte unter Orgelbegleitung die Antiphonie: »Date nobis de cerevisia vestra; quia sitiunt guttura nostra!«
»Dixit frater fratri suo:
Potes ne ebibere pocula duo?
Haec duo, tria, et adhuc quinque
Nec sufficiant meae sitienti lingvae.
Beati sint Bacchus cum Cerere in uva,
Ut non cruciet nos sitis saeva.
A solis ortu usque ad noctem potabo,
Et nullus nummos curabo.
Nisi quis biberit, ut ruat ter quater,
Non poterit dici noster sincerus frater.
Nos enim subinde tempore matutino,
Solemus bibere more palatino.
A meridie etiam bene facimus,
Ut Baccho grati simus,
Dicimur fratres esse bibaces,
Diu noctuque bibere capaces.
Et ideo, cui vult ad nos venire,
Debet sicut nos generose haurire.
Gloria Baccho.«
Die Komtesse fühlte, was die verdammten Seelen fühlen müssen, wenn sie zum erstenmal hören, was die Teufel untereinander sprechen.
Es folgte das »Capitulum.«
»Fratres, attendite, et sollicitemini, ut ex popina redeuntes omnes amphoras visitetis, et quid in illis invenietis, illico epotetis, ne in vanum veniat vinum, et hoc facite per omnia pocula poculorum. Stramen! Baccho Gratias.«
Und jetzt stimmte ein ganzer höllischer Chor, eine ganze Schar männlicher und weiblicher Teufel den parodierenden Hymnus an:
Bacche, genitor Ceresis,
Deus haustuum diceris,
De tua clementia
Potum in abundantia,
Et bibemus alacriter
Tuam laudem jugiter
In haustu propagabimus,
Quandocunque potabimus,
Sit tibi, Bacche, Gloria.«
Jetzt ertönte das Glöckchen und darauf der fromme Segen der priesterlichen Stimme: »Bacchus vobiscum!«
Der Chor antwortete: »Et cum cantharo tuo!«
Die »Oratio« wurde fortgesetzt: »Voremus! – Vomipotens Bacche! Qui sodalitatem nostram in tuum honorem erigere constituisti, da, queasumus, ut eadem sodalitas, ab omni persecutione libera, strenuis potatoribus augeatur. Per omnia pocula poculorum –« Der Chor fiel ein: »Stramen!«
Die Komtesse vermochte sich nicht mehr aufrecht zu erhalten, sie sank auf die Knie nieder und blickte außer sich zu dem Geistlichen auf, dessen Gestalt der von oben hereinfallende Mondglanz beleuchtete, sein stolz erhobenes Haupt wie mit einem Glorienschein umgebend.
Der Abt stieß den Schlüssel in das Schloß der Kapellentür.
Die Komtesse hielt ihm die Hände abwehrend entgegen und rief schaudernd: »Oeffnen Sie nicht! Oeffnen Sie nicht! Dort drinnen ist die Hölle!«
Der Abt aber sprach mutig, stolz, mit Zorn: »Nec portae inferi!« [Auch nicht die Pforten der Hölle!]
Und hiermit drehte er den Schlüssel um und öffnete die schwere Eisentür.
Da erschloß sich auf einmal ein Ueberblick über das ganze Schauspiel, welches die Kapelle und der erhellte Raum der Gruft darbot.
Aus der Bibliothek führten vier Stufen in die Kapelle, und vom Sanktuarium der Kapelle wieder acht Stufen in die Gruft hinab.
Auf dem Altar der Kapelle waren alle Kerzen angezündet und das Licht derselben beleuchtete die ganze Szene.
Aber was für eine Szene!
An einem die ganze Länge der Gruft ausfüllenden Tische saßen sie und zechten, aber nicht die Ahnherren und Ahnfrauen der Komtesse, sondern alle ihre Dienstleute.
Die im Hause eingeschlossenen Frauenzimmer unterhielten sich mit den aus dem Hause ausgeschlossenen Männern.
In dem Augenblick, in welchem der Abt die Tür öffnete, war die parodierte Messe eben zu Ende, und die ganze Versammlung stimmte auf einmal das Trinklied an.
Die Komtesse konnte nun sehen, was für Gespenster sie in ihrem Schlosse beherbergte.
Jede ihrer Dienerinnen hatte einen Hofmacher; es waren die Kanzlisten, Schaffner, Jäger und dergleichen der Nachbarschaft.
Das furchtsame Stubenmädchen, das in der Nacht nicht wagen würde, auf den Gang hinauszugehen, schenkte einem Kanzlisten das Glas voll; die tugendhafte Kammerjungfer umarmte den Heiducken des Kastners; die Pförtnerin, die alte Matrone, die immer nüchtern war, tanzte auf dem Tisch, hielt einen Weinkrug in den Händen und sang; alle aber schrien, jauchzten, brüllten und schlugen auf den Tisch, als wäre es die große Trommel. Der Schäfer, der den Ahnherrn der Komtesse vorstellte, saß auf dem Grabstein des Kanzlers, die Beine um das Kreuz geschlungen und blies den Dudelsack. (Das war das Instrument, das bei der Spottvesper mit seinen näselnden Tönen die Orgel parodierte.) Und auf der Grabplatte des einstigen Erzbischofs war das Faß aufgestellt.
Alle Frauenzimmer hatten Seidenkleider der Komtesse an, die Kutscherin ausgenommen, die wie gewöhnlich Männerkleider trug und der Symmetrie wegen ihren Liebhaber, den Kutscher der Meierei, als Weibsbild verkleidet hatte; die Komtesse erkannte am Kopf des großen bärtigen Burschen ihre Schlafhaube und an seinem Leib den mit Spitzen besetzten Frisiermantel, den sie täglich zu benützen pflegte.
Und was das Schrecklichste war – am oberen Ende des Tisches sah sie Fräulein Emerenzia in der unzweifelhaft vertraulichen Nähe eines jungen Schreibers den Vorsitz führen. Das Fräulein hatte einen flammenfarbenen, seidenen Ueberwurf der Komtesse an. (Die Kleider derselben konnte sie nicht tragen, da sie fett, die Komtesse aber mager war.) Sie war rot vom Weintrinken und dampfte gewaltig aus einer großen Meerschaumpfeife – sie, das Fräulein Emerenzia! Die Männer waren betrunken und brüllten, die Weiber kreischten unmenschlich, der Dudelsack meckerte, die auf den Tisch geführten Schläge krachten, und vor dem Altar der Kapelle sang der falsche Priester, die Arme ausgebreitet, den Segen:»Bacchus vobiscum!« wobei der Ministrant mit einem Glöckchen aus voller Kraft klingelte. Wer waren diese Leute?
Der falsche Priester war kein anderer als der Sakristan selbst, der den seiner Obsorge anvertrauten Festornat seines Pfarrers anhatte und eine improvisierte Infula auf dem Kopf trug. Sein Ministrant war der Glöckner.
Die Komtesse war sprachlos vor Schauder bei diesem Anblick. Dieser bittere Undank schnitt ihr tief ins Herz. Sie hatte an diesen Mädchen wie eine Mutter gehandelt, sie für unschuldige Engel gehalten! Des Sonntags spielte sie vor ihnen in der Schloßkirche die Orgel und sang mit ihnen. Sie erhielten von denselben Speisen, welche auf ihren eignen Tisch kamen, und niemals hörten sie ein böses Wort von ihr. Und zum Dank dafür beschimpfen sie die Ruhestätte ihrer Ahnen, erschrecken sie die nervöse Herrin allnächtlich mit ihrem gespensterhaften Lärm, bis sie sie halb wahnsinnig machen – und was ihr größtes Verbrechen ist, sie tragen bei ihren Orgien die Kleider ihrer Herrin, damit diese die durch Männerberührungen entweihten, mit Wein begossenen, von Tabakdampf durchräucherten Kleider der Reihe nach an ihrem jungfräulichen Leibe trage!
Aber größer als die Bitterkeit hierüber war der Schauder über die Profanation. Welch ein teuflischer Gedanke, die heiligen Gebräuche der Religion zu einem scheußlichen Bacchanal zu mißbrauchen, den geistlichen Ornat, den Altar, die Infula, das Allerheiligste zu beschimpfen, aus Wirtshausliedern ein Brevier, eine Litanei, Psalmen zusammenzustellen! »Weh« über diejenigen, die Aergernis geben! Dieses »Weh« ist dasjenige, welches die Schrift erwähnt, der größte unter allen menschlichen Schmerzen, denn kein Balsam vermag ihn zu lindern.
Und endlich der Schrecken.
Ein Schwarm betrunkener Männer und ebenso viele zügellose Megären, bei dem schrecklichsten Verbrechen auf der Tat ertappt! Wenn diese bemerken, daß jemand sie belauscht hat, so zerreißen sie ihn in Stücke. So vielen wahnsinnigen, von Dämonen besessenen Sündern gegenüber ein einziger Mann und eine einzige Frau!
Die Komtesse sah in den Augen des Abts den apostolischen Zorn leuchten und erschrak davor. Sie erfaßte beide Hände des Geistlichen, um ihn zurückzuhalten.
Der Abt riß sich jedoch los, und mit einem Satze über vier Stufen springend,, stürzte er über den falschen Priester, und als dieser eben mit dem Wort »Stramen!« parodierend die Arme über die Versammlung breitete, versetzte ihm der Herr Abt mit der Rhinozerosgeißel zwei so kräftige Hiebe auf den Rücken, daß die gestickte Stola auseinanderging, dem ministrierenden Glöckner aber gab er einen so mächtigen Stoß, daß er über alle Treppen in die Gruft hinab und da unter den Tisch kugelte.
Und was die Komtesse jetzt sah, war wirklich eine traumähnliche Vision.
Sie sah, wie ein einziger Mann mit einer Geißel in der Hand, unter ein ganzes höllisches Heer stürzte, mit einer Hand den langen Tisch erfaßte, ihn mit einem Stoß samt den Speisen und Getränken umstürzte und dann mit seiner Geißel in die ganze Gruppe einhieb.
Als ob der Tag des Jüngsten Gerichts angebrochen und die Wunder der Apokalypse aus den Wolken herniedergestürzt wären, sprangen die überraschten Tempelschänder entsetzt wie wahnsinnig von ihren Plätzen auf und drängten sich kreischend und brüllend zur Grufttüre hin. Der einzige mutige Mann wütete so unter ihnen, wie der heilige Georg unter den Drachen. Die Geißelhiebe fielen schallend auf die Rücken, das Wehgeschrei, das Geheul nahm immer mehr zu; Männer und Weiber drängten sich, einander über den Haufen rennend, dem Ausgange zu, und die zurückblieben brüllten, glaubend, daß sie nun zur Hölle geschleppt würden. Der Dudelsackpfeifer flüchtete sich, den Leuten unter den Füßen durchschlüpfend, so daß viele über ihn stolperten. Der Geistliche kannte kein Erbarmen und entließ niemanden ohne einen Denkzettel. Niemand unter dem erschrockenen Gesindel wagte es an eine Verteidigung zu denken. Das auf der Tat ertappte Verbrechen ist feige; die Ueberraschung war plötzlich und unerwartet, und der Abt hatte schreckliche Fäuste. Einem einzigen Jäger kam der verzweifelte Gedanke, die Geißel in der Hand des Geistlichen zu erfassen, dafür aber bekam er von diesem mit der Linken einen solchen Backenstreich, daß er es angemessen fand, seinen Rückzug mit seinem Rücken zu decken.
»Schlag' zu! schlag' zu!« flüsterte die Komtesse, als sie ihre Dienstleute übereinander purzelnd bei der Tür in einem Knäuel sich zusammendrängen sah. Emerenzia war darauf bedacht, ihren Kopf zu bergen, damit ihr Gesicht von der Geißel nicht getroffen würde. Am weitesten zurück blieb der Sakristan, den seine lange Stola am Laufen verhinderte und dessen Rücken der Geistliche so lange bearbeitete, bis der Ornat in Fetzen von ihm fiel.
Nachdem der Herr Abt den letzten der Konviven über die Schwelle hinausgestoßen hatte, schlug er hinter ihnen die Grufttür zu und kehrte dann zu der Komtesse zurück.
Im Gesicht des Geistlichen strahlte etwas, das an Glorienschein grenzte. Es war das Bewußtsein der Manneskraft.
Als er zur Komtesse hinkam, stürzte sie vor ihm nieder und küßte ihm die Knie.
Der Geistliche hob sie auf.
»Kommen Sie zu sich, Gräfin, kämpfen Sie Ihre Schwäche nieder. Die Lage, in der Sie sich jetzt befinden, erheischt es, daß Sie alle Ihre geistigen und körperlichen Kräfte zusammennehmen. Bedenken Sie, daß in diesem Augenblick außer uns zweien keine lebende Seele in diesem Schloß ist, denn die Tür, die nach dem Hof zurückführt, habe ich verschlossen. Beruhigen Sie sich jetzt, seien Sie verständig; die Torheit ist zu Ende. Sie können sehen, daß der böse Geist nur im menschlichen Körper seinen Spuk treibt, und daß er ausgetrieben ist.«
»Was soll ich tun?« fragte die Komtesse – und strengte sich an, nicht zu zittern.
»Nehmen Sie meine Laterne, während ich hinausgehe, um die Gittertür der Gruft zu schließen, damit das Schloß nicht nach dieser Seite offen bleibe – und kehren Sie auf dem Wege, auf welchem wir hierher gekommen sind, in Ihr Schlafzimmer zurück, nehmen Sie Ihren Teekessel und bereiten Sie sich Tee, denn Sie frieren.«
»Allein soll ich hinaufgehen?«
»Denken Sie an den Spruch: Wenn Gott mit mir ist, wer ist wider mich? und Sie werden nicht allein sein. Das Gespenstersehen ist eine große Krankheit. Das Mittel war heroisch, ich will sehen, ob es genützt hat.«
Die Komtesse schauderte.
»Wovor zittern Sie? Vor dem Gerippe in der Ecke? Kommen Sie mit mir.« Und hiermit nahm er die Laterne, ergriff die Hand der Komtesse und führte Theudelinde zu dem Gerippe. Dort öffnete er die Tür des langen Glasschranks.
»Sehen Sie hierher. Dieses Gebilde verkündet nicht Schrecken, sondern die Weisheit Gottes. Jedes Glied des ganzen Knochengebäudes erklärt das Geheimnis, wie der Herr den sterblichen Menschen zum Herrn der Erde gemacht hat. Betrachten Sie diesen Schädel. Auf diese gewölbte Stirn ist das Herrscherrecht des Menschen geschrieben. Und dieses einen geraden Winkel bildende Profil verkündigt das Vorrecht des weißen Stammes über die übrigen Stämme. Dieser Schädel lehrt uns, wie viel wir der unendlichen Gnade Gottes zu verdanken haben, der uns so geschaffen und über alle Geschöpfe und alle Menschenrassen erhoben hat. Der Anblick eines Schädels soll nicht Schauder, sondern Andacht im menschlichen Herzen erwecken; denn er ist das Zeichen der größten Liebe, welche der Allmächtige für seine auserwählten, ausgezeichneten Kinder hegt.«
Der Geistliche legte die Hand der Komtesse auf den Schädel des Gerippes.
Die Komtesse hörte auf zu zittern. Sie fühlte, daß die Worte dieses Mannes sie zu neuem Leben erweckten.
»Jetzt gehen Sie in Ihr Zimmer zurück, ich werde Ihnen sogleich folgen. Aber ich muß noch auf dem Altar die Kerzen auslöschen, damit keine Feuersgefahr entstehe, wenn sie herabbrennen.«
»Gut, ich gehe allein,« sprach die Komtesse. »Für mich habe ich keine Angst mehr, aber ich bin um Ihr Leben besorgt. Wenn Sie jetzt auf den dunklen Gang hinausgehen, so nehmen die Besessenen vielleicht Rache an Ihnen; sie sind seitdem zu sich gekommen, sie lauern Ihnen auf und überfallen Sie.«
»Auch dafür habe ich gesorgt,« sprach der Abt, einen Revolver aus der Seitentasche ziehend. »Ich war gefaßt darauf, daß ich es auch mit Mördern zu tun haben kann. Also gehen Sie in Gottes Namen voraus hinauf, Komtesse.«
Theudelinde nahm die Laterne und schritt durch den langen Bibliotheksaal.
Der Geistliche blickte ihr nach, bis er sie zur Tür hinausgehen sah.
Abt Samuel kehrte eilends in die Gruft zurück und begab sich von dort in den Gang, wo in einem zinnernen Teller noch die bläuliche Flamme flackerte.
»Alkohol mit Salmiak gemengt!« murmelte der Abt für sich, »das war es, wovor Herr Mahók erschrak.« Daneben lag das lange Leintuch nebst dem Totenkopf. Der Abt rückte das Gefäß mit der Flamme in den Winkel. Er wußte, daß bei einem Zusammenstoß in der Finsternis für den einen Gegner kein Vorteil ist, wenn er beleuchtet ist und hiermit schritt er in dem dunklen Gang vorsichtig vorwärts. Er begegnete niemandem! Sie waren ja alle entflohen und liefen vielleicht noch. Die Gittertür stand offen. Er sperrte sie zu und zog den Schlüssel ab. Dann kehrte er in die Gruft zurück und schloß auch hier die Tür von innen zu. Hierauf löschte er die auf dem Altar brennenden Kerzen aus. Die letzte davon ließ er brennen und leuchtete sich damit auf dem Wege zum Zimmer der Komtesse.
Die Komtesse fand er am Tische sitzen, den dampfenden Teekessel vor sich.
Sie hatte ihm gefolgt.
Als der Abt Samuel bei ihr eintrat, faltete die Komtesse andächtig die Hände und stammelte: »Mein Heiliger! mein Apostel!«
»Es gebühren mir keine so erhabenen Titel, Gräfin,« sprach der Abt. »Ich bin zufrieden, wenn ich den Titel: ›Mensch‹ verdiene. Sie sehen, daß ich keine Wunder verrichtet habe, denn ich hatte es nur mit sterblichen Menschen zu tun; und um dem Ereignis jeden Schein des Wunderbaren zu benehmen, sage ich Ihnen auch, wie ich durch so viele verschlossene Türen bis hierher gekommen bin. Aber ich bitte Sie, sich vorher Tee einzuschenken, und wenn Sie mir Ihre Gastfreundschaft angedeihen lassen, auch mir, denn ich bin durch die vergangenen Szenen ein wenig aufgeregt; – und dann wollen wir von der Sache sprechen, wie man an langweiligen Winterabenden von einfachen Vorfällen plaudert.«
Die Komtesse schenkte sich und ihrem Gast Tee ein und setzte sich dann in ihrem Fauteuil zurecht, ihren Seidenburnuß fester zusammenziehend. Sie fror noch immer.
»Also davon, daß ich es hier mit ganz gewöhnlichen menschlichen Streichen zu tun hatte, war ich gleich nach der ersten Information überzeugt,« begann der Abt. »Von dem, was mir der Pfarrer erzählte, konnte ich auf folgendes schließen: Die hier unten in der Nacht Lärm machen, das können nur die Hausleute selbst sein. Wozu der Lärm ihnen dient? Das erklärt mir die Situation, welche Sie selbst hier um sich geschaffen haben; Sie haben sich mit lauter Dienerinnen umgeben, welchen sich kein Mann offen nähern darf. Sie nahmen daher zu einem andern Mittel Zuflucht, um sich ihre sündhaften Zusammenkünfte zu ermöglichen und umgeben sich mit dem Schrecken des Gespensterspukes, damit Sie ihr Treiben nicht entdecken. Hätten sie ihre sündhaften Ausschweifungen in der Stille, flüsternd getrieben, so würden Sie der Sache längst auf die Spur gekommen sein. Daraus, daß der Pfarrer Mahók mit seinem Sakristan durch die Gittertür entkam, entnahm ich, daß diese Tür es sei, durch welche die Männer ins Schloß eingelassen werden, und daß der Sakristan in das Komplott eingeweiht sein müsse. Ferner habe ich so kalkuliert: Damit die Frauenzimmer aus dem Schloß in die Gruft gelangen können, müssen sie notwendig ihren Weg durch den Kellerhals nehmen; und wenn sie so die Zimmer verlassen, so lassen sie gewiß die Türen offen, damit sie nicht, wenn sie später zurückkehren, durch das Aufsperren der Türen Ihre Aufmerksamkeit erregen. Im Gesicht, in den Augen, im Teint Ihrer Gesellschafterin ist es deutlich zu lesen, daß dieses Frauenzimmer genußsüchtig ist und gerne trinkt. Beim ersten Diner sah ich, daß sie auch eine Heuchlerin ist. Sie verwahrt sich gegen den Genuß geistiger Getränke. Ich war im klaren über sie. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß ich alle Türen offen finden werde. – Um kein Geräusch zu machen, ging ich zu Fuß bis zur Gartentür. Zahlreiche Fußspuren im frischen Schnee führten bis dorthin; ich wußte, daß die Gesellschaft wieder beisammen sei. Von der offnen Gartentür führten die Fußspuren bis zur Gittertür der Grufthalle. Sie war nur zugelehnt. Der rechte Flügel der Halle führt zur Gruft, der linke zum Kellerhals. Ich ging über die Treppe des letzteren und fand auch hier die Tür offen. Ich zählte nun sicher darauf, daß ich auch alle übrigen Türen offen finden würde. So war es auch. Jetzt erübrigte nur noch eine große Frage. Das nächste Zimmer der Gräfin ist die Garderobe. Die Tür derselben ist mit keinem Schlüssel verschlossen, sondern mit einem Schnapper, dessen Feder Sie hier von Ihrem innern Gemach aus in Bewegung setzen. Aber auch diese Türe muß offen sein; ich zog diesen Schluß von dem mit Tabakrauch durchzogenen Kleide. Diese Frauenzimmer, dachte ich, stehlen zu ihren nächtlichen Orgien die Seidenkleider der Gräfin. Der Uebermut liebt den Luxus. Wie kann diese Tür offen sein? Auch das läßt sich auf einfache Weise erklären. Wenn Sie in Ihr Schlafzimmer gehen, schiebt man schnell ein Messer vor den Schnapper der Garderobentür. Und wenn Sie die Feder des Verschlusses drücken, so stößt die Zunge des Schnappers an die Fläche des Messers, springt von dort zurück und die Tür bleibt unverschlossen. Das Messer steckte auch jetzt noch dort. Und so haben Sie, Gräfin, Nacht um Nacht bei offnen Türen geschlafen, räuberischen Ueberfällen ausgesetzt, verlassen, zu Tod erschreckt durch den gespenstischen Lärm, damit Sie es nicht wagen, aus Ihrem Zimmer zu gehen und sich nicht getrauen Ihre Dienstleute zu rufen. Gräfin, das war eine schreckliche Strafe für Sie.«
»Eine Strafe!« stammelte die Gräfin erblassend.
»Ja, eine Strafe, denn Sie haben dieses Leiden verdient.«
Theudelinde blickte entsetzt auf den Abt.
»Gräfin!« sprach der Abt mit Strenge, »Sie haben einen großen Teil von der Schuld derjenigen auf Ihrer Seele, welche aus Ihrer Umgebung auf die Bahn des Lasters gerieten. Sie haben sie dahin gebracht. Ihre eigensinnige Laune, Ihre bizarren Einfälle nötigten diese Frauenzimmer zur Verlogenheit und zu ihrem schmachvollen Lebenswandel. Die Natur bestraft diejenigen, die sich gegen sie empören, und Sie haben sich gegen die Natur empört, indem Sie eine lange Reihe von Jahren hindurch sich von der Welt abschlossen und glaubten, mit sich auch andere von der Welt abschließen zu können. Das war ein großer Irrtum und er blieb auch nicht ungerächt. Jetzt stehen Sie vor zwei Richtern. Der eine ist der Himmel, der andere die Welt. Der Himmel ist bereit zu zürnen, die Welt bereit zu lachen. Und der Donner des Himmels und das Hohngelächter der Welt, beide werden gleich qualvoll für Sie sein. Und womit wollen Sie sich dagegen schützen?«
Die Komtesse sank starr auf die Lehne ihres Fauteuils zurück. Nach den so plötzlich über sie hereingebrochenen Schrecken, Aergernissen und Abscheulichkeiten hatte sie jetzt auch noch die durch die Anklage des Geistlichen wachgerufenen Vorwürfe ihres Gewissens zu erleiden! Diese Qual übertraf alle Leiden, die sie bisher ausgestanden.
Tiefes Schweigen trat ein.
Und während dieser langen Stille klangen in der Seele der Komtesse die Worte nach: »Womit wollen Sie sich gegen den Zorn des Himmels und gegen das Hohngelächter der Welt schützen?«
Endlich glaubte sie das Schutzmittel gefunden zu haben, und von einer Idee durchzuckt, erhob sie sich und stammelte: »Ich werde mich in ein Kloster flüchten, wohin das Hohngelächter der Welt nicht dringt. Dort werde ich auf dem kalten Stein kniend und Tag und Nacht betend, den Zorn des Himmels versöhnen. Sie, mein hochwürdiger Vater, werden so gütig sein, für mich bei der Priorin eines Klosters, welches die strengsten Ordensregeln hat, ein empfehlendes Wort zu sprechen. Dort werde ich mich lebendig begraben, und niemand wird mehr meinen Namen erwähnen. Mein ganzes Vermögen, welches ich viele Jahre hindurch sparend zusammengebracht, und die mir auf Lebenszeit überlassene Nutznießung des Besitzes meiner Ahnen überlasse ich Ihrem Orden und bitte nur, daß in der Kapelle meiner entweihten Familiengruft jede Mitternacht eine Vesper gehalten werde, solange Ihr Orden im Besitz dieses Schlosses sein wird.«
Die Komtesse stammelte diese Worte im traurigen Ton der Entsagung; ihre Stimme sank oft zu leisem Geflüster herab, und sie schluchzte, so oft sie ihrer Stimme mehr Kraft geben wollte.
Der Abt erhob sich von seinem Sitz, und als die Komtesse ihm ihre zitternde, wachsbleiche Hand darbot, drückte er diese und sprach mit stolz erhobenem Haupt: »Setzen Sie sich nieder, Komtesse, und hören Sie, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Damit wir vor allem darüber im reinen seien, was Sie zuletzt erwähnten: sage ich Ihnen, daß ich und mein Orden weder Ihr Schloß noch Ihren Besitz noch Ihr Geld brauchen. Es ist nicht unsere Aufgabe, schwachherzigen Menschen in Augenblicken der Zerknirschung ihre weltlichen Güter abzuschwindeln. Wir machen uns nicht durch mittelalterliche Erbschleichern verhaßt. Es ist auch nicht unsere Sache, in Ihrer Familiengruft jede Mitternacht barfuß Vespern zu halten und den übrigen Teil des Tages mit dem Verzehren Ihrer Einkünfte zuzubringen. Diese Idee geben Sie daher ein für allemal auf, Gräfin.«
Die Komtesse war durch diese Worte überrascht. Sie hatte diesem Manne gegenüber bereits alle Arten von Neigung durchgefühlt, es erübrigte nur noch, daß sie genötigt sei, ihn für seine Uneigennützigkeit, für seine erhabene Zurückweisung weltlichen Besitzes hochzuachten, damit sie seiner Herrschaft vollends unterworfen sei.
»Und jetzt entsagen Sie auch dem Gedanken, Gräfin,« fuhr der Abt fort, »sich in irgendeinem Kloster zu begraben. Dort würden Sie nicht finden, was Sie suchen: die Ruhe. Denken Sie darüber nur ein wenig nach. Bei Ihrer erregbaren Phantasie, welche durch die nervenaufreibende klösterliche Einsamkeit aufs peinlichste gereizt würde, könnten Sie keine Messe ruhig anhören. Würde nicht beim Ertönen des Psalms, der Oratio in Ihrer Seele die Parodie mitklingen? Würde nicht bei den frömmsten Gesängen der Dämon an Ihrer Seite stehen und mitten im Chor die Wirtshauslieder ertönen lassen? Und so oft Sie eine Schwester mit frommer Miene vor dem Altar knien sähen, würden Sie dabei nicht denken: auch meine Günstlinge heuchelten Andacht beim Gebet und beteten nicht zu Gott, sondern zum Teufel! Wäre es nicht so, Gräfin? Sie würden im Kloster, vor dem Altar eine schlechte Zuflucht finden. Für andere mag das eine Zuflucht sein, für Sie wären das nur Orte der Verdammnis und Steine des Anstoßes, und es könnte Ihnen so ergehen, wie dem vom Dichter besungenen Einsiedler, der das Gebet vergaß und anstatt zu beten Gott fluchte!«
Die Augen der Komtesse glühten bei dieser schrecklichen Aussicht. »Wahr, wahr!« stammelte sie und sah lebhaft vor sich, was der Abt ihr voraussagte.
»Die quälende Erinnerung des Aergernisses hat Sie aus der Kirche verbannt und des Gebets beraubt,« fuhr der Abt grausam fort.
»Wahr! Wahr!« sprach die Komtesse schluchzend und schlug sich an die Brust. »Ich kann keine Kirche mehr sehen, kein Gebet mehr auf meine Lippen nehmen!« Und hiermit warf sie sich verzweifelt dem Geistlichen zu Füßen, erfaßte mit krampfhafter Gewalt seine Hand und rief außer sich: »Aber wohin soll ich mich denn flüchten, wenn nicht in die Kirche? Und womit soll ich mich schützen, wenn nicht mit dem Gebet?«
Der Geistliche erwiderte salbungsvoll: »Flüchten Sie sich in Ihr Herz, das ist die rechte Zuflucht, und schützen Sie sich mit guten Taten. Die Wohltaten werden für Sie beten.«
Theudelinde preßte die Hand des Geistlichen an ihre glühende Stirn. Dann erhob sie sich mühsam und sprach, die Arme ausbreitend: »Verfügen Sie über mich, befehlen Sie, was ich tun soll.«
»Kehren Sie in die große Welt zurück und nehmen Sie den Platz ein, der Ihnen dort gebührt.«
Die Komtesse fuhr betroffen zurück und sah den Geistlichen mit starren Augen an.
»Ich soll in die eitle Welt zurückkehren, welche ich vor fünfundzwanzig Jahren verlassen habe? Ich soll jetzt den Spott der Welt gegen mich herausfordern, deren Freuden ich von mir gewiesen habe?«
»Gräfin, Sie haben jene Hälfte Ihres Lebens, welche Freude darbietet, verfehlt, vergeudet. Jetzt bleibt Ihnen noch die Hälfte des Lebens, in der man sich die Achtung der Welt erwerben kann. Sie haben noch Zeit, auf den rechten Weg umzukehren.«
»Mein Vater, bedenken Sie, daß es in jenen Kreisen, in welchen Sie mich wieder zu erscheinen zwingen, für mich nur Hohn und Demütigung gibt. Die neue Generation kennt mich nicht, meine Verwandten verspotten mich.«
»Aber es gibt einen Zauberkreis, in welchem man jeden sofort erkennt und niemanden verspottet. Wollen Sie diesen Zauberkreis um sich ziehen?«
»Versetzen Sie mich in diesen Zauberkreis, welcher ist es?«
»Ich will es Ihnen sagen, Gräfin. Ihre Nation macht jetzt einen großen Kampf durch, den Kampf des Geistes. Alles strebt danach, die vorgeschrittenen Nationen einzuholen – Gelehrte, Dichter, Staatsweise, Nationalökonomen, Industrielle, Volkserzieher, Männer, Frauen, Jünglinge, Greise, Magnaten und Bürger. Wenn alle es wüßten, wie sehr sie nach einem Ziel streben, so würden wir Wunder verrichten; doch einer vom andern getrennt, arbeitet jeder für sich, und alles Mühen ist umsonst.«
Die Komtesse hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu; sie verstand noch nicht, wo der Geistliche hinaus wollte.
»Was fehlt diesem riesigen Streben? Ein Mittelpunkt. Das Land hat keinen Mittelpunkt. Debrezin ist ganz magyarisch, aber durch seine konfessionelle Ausschließlichkeit beraubt es sich der Universalität; Szegedin ist gut gelegen, aber eine zu primitive und ganz demokratische Stadt; Klausenburg ist zwar eine magyarische Stadt, auch sind da die aristokratischen und die Elemente der vaterländischen Kultur gut gemengt – aber es liegt jenseits des Királyhágó, und die Zeit der Bethlens und Bocskais ist vorüber. Pest wäre also der einzige Zentralpunkt. Eine eigentümliche Stadt das! Ich habe alle fünf Weltteile bereist, doch nirgends auf der Welt habe ich einen ähnlichen Ort gefunden. Dort entsteht alles so, als ob kein Mensch sich um den andern kümmerte und als ob jedermann glauben würde, daß die Welt dort stehen bleibt, wo er sie verlassen hat. Wer auf der Donau ankommt, wird überrascht von der großartigen Uferfront und dem breiten Raum davor, und jetzt fängt man an, den schönen langen Platz mit sechsstöckigen Zinshäusern zu verbauen, und natürlich hat jedes Haus einen andern Stil. Man sieht da dicht nebeneinander im romanischen, maurisch-spanischen und im Renaissancestil gebaute Paläste, und diesen gegenüber erhebt sich ein halb holländisches, halb gotisches öffentliches Gebäude. Ein Anblick, der durch einige Dorftürme ergänzt wird. Dem monumentalen Bau der Kettenbrücke gegenüber erhebt sich eine steinerne Schachtel mit vier Türmen; dieses Gebäude nennt man Basilika, aber es sieht aus wie ein riesiges Schafott. Auf allen Seiten ragen ungeheure Fabrikschlote empor, welche ewigen Rauch über die Stadt verbreiten. Fabriken, Docks, Akademiepalast, Redoute, Zinskartenhäuser, Kunstmühlen über- und untereinander gewürfelt; die Akademie beengt den Verkehr der Docks, und der Lärm der Docks stört die Verhandlungen der Gelehrten, der Rauch der Dampfmühlen erstickt beide, und der ganz nach Art der Minaretts gebaute Turm des Stadthauses sagt dem Fremden: Komme nur näher, hier ist Konstantinopel.«
Die Komtesse vermochte über den Vortrag des Geistlichen bereits zu lächeln.
»Der Fremde findet es auch so. Die innere Stadt ist ein Labyrinth, dessen Gassen noch in der Zeit gegründet wurden, als der Stadthausplatz noch von Pfützen bedeckt war, in welchen sich die Schweine der raizischen Händler wälzten; die Gassen sind eng, regellos, in den Auslagen herrscht aber dennoch europäischer Glanz und Luxus; der Wind treibt einem Sand in die Augen, aber das in den Gassen flanierende Publikum wetteifert in der Toilette mit den Parisern. Nirgends wie in Pest findet man auf Schritt und Tritt so viel reizende Frauengesichter und so viel zerlumpte Bettler. In den engen Gassen sieht man herrschaftliche Equipagen und mit rohen Häuten beladene Frachtwagen dicht neben- und hintereinander. In den Vorstädten wachsen die Häuser mit fabelhafter Schnelligkeit auf, kleine Häuser, große Häuser, jeder baut nach seinem Geschmack, und bei jedem Windstoß kriegt man infolge des ewigen Bauens Sand in die Augen. Hie und da gibt es eine kleine grüne Oase, nicht größer als der Garten eines Landedelhofs, alles übrige ist steinige Wüste. Die Stadt ist von einer Sahara umgeben, deren Boden fortwährend aufgerissen wird, auf daß es dem Sirokko nicht an Staub fehle, damit zu spielen. Das ist das äußere Bild der Stadt. Man weiß nicht, wird es eine Fabrikstadt, ein Handelsemporium, eine Stadt der Künste und Wissenschaft, eine Reichsmetropole oder eine amerikanische Kolonie, wohin Menschen aller Klassen aus allen Weltteilen kommen, um sich Geld zu machen, die aber nicht dort bleiben, sondern wenn sie sich bereichert haben, sich auf das Land oder in das Ausland zurückziehen.«
Die Gräfin fand Interesse an dieser Schilderung.
»Die sozialen Verhältnisse sind nicht besser als das äußere Bild Pests. Jede Klasse ist mit einer besonderen chinesischen Mauer umgeben. Handel und Börse sind deutsch und jüdisch. Das wäre kein so großes Uebel, als daß sie Schwindel treiben und von jeder Laune des Wiener Geldmarktes über den Haufen geworfen werden. Die Táblabiros und die Handwerker bilden das magyarische Element. Dazu kommen noch an zwanzigtausend aus den oberen Gegenden eingewanderte Slowaken, die vom Tagwerk leben. Pest ist auch die Stätte der nationalen Kunst, es ist aber nicht Mode, diese zu unterstützen; auch eine Stätte der Wissenschaft ist es, aber es ist nicht guter Ton, sich damit zu beschäftigen; es wird da ferner Literatur getrieben, aber wenige wissen davon; Pest hat auch vornehme Kreise, eine hohe Aristokratie, aber niemand findet in ihren Salons Aufnahme, der nicht zu ihnen gehört. Es ist eine zerfahrene Gesellschaft, und sich selbst überlassen, kämpft, seufzt, klagt und trägt jeder seine Lasten für sich allein, und die besten Ideen gehen verloren, weil keiner den andern versteht. Es fehlt an einem gemeinschaftlichen Berührungspunkt. Das öffentliche Leben ist gelähmt; Ausnahmegesetze verbieten jede Zusammenkunft im Lande. Das Komitatshaus, der Reichstag sind geschlossen. Nur die Parketts der Gesellschaft wären der Boden, wo so viele edle Bestrebungen miteinander in Berührung kommen könnten. Aber wer soll seine Salons zu diesen Zwecken eröffnen? Ein Teil unserer Aristokraten ist zu gleichgültig, ein anderer Teil hascht nach Genüssen, kennt keinen andern Zweck, als sich zu unterhalten. Es gibt genug Leute unter ihnen, die ihre Aufgabe kennen und ihre Pflicht auch gerne erfüllen würden, die aber durch die Verluste des letzten Jahrzehnts in ihrem Vermögensstand so sehr gelitten haben, daß sie nicht imstande sind, die Kosten eines offnen Salons zu tragen; diejenigen endlich, die Mittel und Verständnis dazu hätten, sind durch solche tragische Erinnerungen von der Hauptstadt fern gehalten, durch welche die geräuschvolle Heiterkeit aus ihren trauernden Salons verbannt ist. Und so gibt es in der ganzen Sintflut, die uns bedeckt, keinen einzigen trocknen Punkt, wo die Guten, die Weisen, die Gerechten aus allen Klassen zusammenkommen könnten. An einem solchen Punkte fehlt es.«
»Er wird da sein!« sprach die Komtesse, mit Begeisterung in den Mienen sich von ihrem Platze erhebend. Ihr ganzes Wesen erglühte bei dem neuen Gedanken, den der Geistliche noch besser auszumalen wußte.
»Sie haben mich verstanden! Dieser Berührungspunkt wird auch Ihr Asyl sein; wenn Sie nach Pest ziehen, wenn Sie dort ein Ihres Ranges und Ihres Einkommens würdiges Haus führen und Ihre Salons der Creme der Nation öffnen, zu welcher nicht bloß Menschen von vornehmer Herkunft gehören, sondern zu der man in der ganzen gebildeten Welt auch die Notabilitäten der Wissenschaft, der Kunst, der Politik, der Kirche zählt. Wenn es einen Sammelpunkt geben wird, wo der Gelehrte dem Prälaten, der Dichter dem Magnaten gleichgestellt ist, wenn die Aristokratie des Geistes und die des Vermögens sich vereinigen, um lebenskräftige Ideen in erfolgreichen Taten zu verwirklichen, wenn es einen Salon geben wird, aus dessen Mitte die apostolischen Missionen der Kultur, der Beglückung und Unterstützung des Volks hervorgehen – wird dann nicht die Herrin dieses Salons ein Gegenstand der allgemeinen Verehrung, der patriotischen Glorifikation sein?«
Die Komtesse ergriff mit beiden Händen die Hand des Abtes, die sie mit Küssen bedeckte und sagte schluchzend: »Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen!«
»Glauben Sie mir also jetzt, Gräfin, daß es für Sie noch einen andern Weg des Heils gibt als den Weg ins Kloster?«
»Sie sind ein Prophet.«
»Indes gestatten Sie mir, Gräfin, Ihr Gemüt jetzt mit einer prosaischen Frage zu stören. Zu der Aufgabe, der Sie sich mit solcher Begeisterung unterziehen, sind auch gewisse materielle Mittel nötig. Dazu braucht man ein reichliches Einkommen. Darf ich in dieser delikaten Sache um Ihr Vertrauen bitten?«
»Ich bin reich,« sprach die Komtesse, »ich habe für meine eignen Ersparnisse in Pest ein herrschaftliches Haus an mich gebracht, das jetzt ein Mietshaus ist, und besitze außerdem gut placierte Kapitalien.«
»Das Haus werden Sie für Ihren eignen Gebrauch instand setzen; was aber Ihre Kapitalien anbelangt, so werden Sie wohl daran tun, sie bei den jetzigen Verhältnissen des Geldmarktes nicht zu kündigen. Wie hoch beläuft sich das Einkommen, das Sie von der Bondavárer Herrschaft beziehen?«
»Ungefähr auf zwanzigtausend Gulden.«
»Wie groß ist diese Herrschaft?«
»Sie hat die Ausdehnung von neun- bis zehntausend Joch.«
»Dann ist das Einkommen zu gering. Daran ist die fehlerhafte domestikale Verwaltung schuld. Das Einkommen ist viel zu gering im Verhältnis zu der Größe des Besitzes und des Haushalts, den Sie jetzt auf sich nehmen wollen. Mit zwanzigtausend Gulden Einkommen kann man in Pest kein großes Haus führen.«
Die Komtesse staunte.
»Ich habe geglaubt, daß das sehr viel Geld sei.«
»Auf dem Lande ist es allerdings viel. Aber Pest ist eine ebenso teure Stadt wie Paris. Sie brauchen wenigstens vierzigtausend Gulden jährlichen Einkommens, wenn Sie in Pest ein offnes Haus halten und damit den Anforderungen des Ranges und des Geistes entsprechen wollen.«
Die Komtesse blickte verwirrt auf ihn.
»Wie?«
Der Abt antwortete mit gleichgültigem Aufwerfen der Lippen: »Das ist gar nicht schwer. Sie brauchen nur das Wirtschaftssystem zu ändern und anstatt der domestikalen Verwaltung die Pachtwirtschaft einzuführen. Ich verstehe nichts von Finanzgeschäften, doch ich habe in den Kreisen der Hautefinance vertrauenswerte Bekannte, mit deren einem oder dem andern Sie sich beraten können, wenn wir in Pest sind. Jedenfalls kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß die Verpachtung dieser Herrschaft Ihnen wenigstens vierzigtausend Gulden jährlich einbringen muß. So viel Kenntnis habe ich schon auf dem Felde der Nationalökonomie.«
Die Komtesse war durch diese Worte bezaubert. Dieser Geistliche wird immer liebenswürdiger! Jetzt verdoppelt er ihr gar ihr Einkommen. Das ist ja ein sehr lieber Mensch!
»Verfügen Sie, ich gebe Ihnen Vollmacht in allen meinen Angelegenheiten,« sprach die Komtesse entzückt.
»Wenn Sie die Sache mir überlassen, so bringe ich Ihnen gleich einen fertigen Pachtvertrag; ich gebe Ihnen im vorhinein die Versicherung, daß Ihr jetziges Einkommen sich verdoppeln wird und es wird Sie nicht einmal Sensalgebühren kosten.«
Theudelinde wurde zum Kind in Ihrer Freude und betrachtete den Geistlichen als ihren Vater, als den einzigen Mann, den sie wegen seines Edelmutes lieben kann, lieben darf, lieben muß.
Möglich, daß der Geistliche dies auch verdiente ... Aber gewiß ist, daß mit dieser Unterredung die eine Besitzerin dieser Herrschaft bereits den Boden unter den Füßen verlor! ...