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Die Jagd nach dem Geld

Ein starkgebauter, schlepperartiger Dampfer, ungewöhnlich wegen der dicken Ladebäume und der hohen Leiter, die am Mast festgezurrt ist, windet sich durch die Menge der Schiffe im Hamburger Hafen und strebt den Landungsbrücken zu. Es ist ein Bergungsschiff. »Taucher Harms« steht breit an der Bordwand, und der Schornstein zeigt das blaue H. Das Schiff hat jetzt das Ufer erreicht und macht Manöver. In dem Augenblick, als es gegen die Brücke stößt, springt ein Mann in blauer Arbeitskleidung aus dem Steuerhaus, faßt das Tau und sucht die Schlinge über den eisernen Poller am Landungssteg zu werfen. Es klatscht ins Wasser. Er wirft noch einmal und ruft einem jungen Manne zu, der in einer Gruppe Fremder zufällig dasteht: »Mensch, halt doch fest!«

Der junge Mensch, der da am Hafen steht und über den Strom sieht, ist Hans Holtz. Er schrickt zusammen, als ihn die Worte treffen, greift mit seinen langen Armen zu, bekommt das Tau noch zu fassen und legt die Schlinge fest.

»Heb mal mit an!« kommandiert der junge Schiffer weiter. Er hält es für ganz selbstverständlich, daß Holtz ihm hilft. Da stehen nämlich an Land einige Kisten und große Bündel Tau, die es ins Schiff zu schaffen gilt. Den Heizer, der den Kopf aus der Luke steckt und fragt, ob er mit anfassen soll, wehrt der junge Harms ab. Er hat es anscheinend eilig. Sie sind sowieso schon fertig.

»Willst mitfahren?«

»Wohin?«

»Nach Blankenese runter.«

Der Schiffer wartet die Antwort gar nicht ab. Bei ihm ist alles selbstverständlich. Er will die Taue lösen, da ruft jemand aus der Gruppe der Fremden, die auf der Landungsbrücke stehen: »Nehmen Sie mich doch auch mit!«

»Wer will mit? Sie! Kommen Sie rüber. Werfen Sie aber erst das Tau los!« Ein junger Mensch springt über die Reeling und geht zu dem andern Fremden nach vorn.

Der Schiffer tritt ins Steuerhaus und gibt dem Heizer ein Signal. Das Taucherschiff steuert, mächtige Bugwellen aufwerfend, der Strommitte zu, um aus dem Gewimmel der Kähne, Barkassen und Schlepper zu kommen und freies Fahrwasser zu gewinnen.

Da stehen die beiden jungen Leute am Bug und freuen sich darüber, wenn ihr Schiff entgegenkommende Wellen niederreitet. Sie sind in ihrer Gestalt wie in ihrer äußeren Erscheinung grundverschieden. Das eine ist Heinrich Mehrmann, klein und gedrungen gebaut, mit mehr eckigem als rundem Kopf, blonden Haaren und hellen blauen Augen, ein richtiger Westfale, ein Tatmensch, auf den man sich verlassen kann. Hans Holtz wirkt neben ihm groß und schlank und engschultrig. Sein Gesicht ist schmal, der Hinterkopf hoch, seine Augen haben auf den ersten Blick etwas Müdes, Verschleiertes. Auch sein Anzug steht in starkem Gegensatz zu dem gepflegten Wanderkleid seines Nachbarn. Man sieht ihm an, daß er lange Monate mittellos durch die Welt gepilgert ist, um seine Mutter aufzusuchen, die aus Thüringen in ein Dorf Holsteins zu ihren Verwandten vertrieben wurde, als der Vater starb. Der lange Mensch trägt eine Jacke, die vormals ein andrer besessen hatte und die durch die mildtätige Haltung einer Frau in einem hannoverschen Dorfe ihren Besitzer wechselte. Sie ist zerknittert, weil Holtz sie im Asyl als Kopfkissen benutzte. Die Ärmel sind sowieso zu kurz, und die Arme erscheinen um so länger.

Das Schiff gewinnt jetzt freies Wasser. Altona mit seinem Fischereihafen gleitet vorbei. Der junge Harms öffnet die Tür zu dem Steuerhäuschen und streicht sich im Wind durch sein Lockenhaar. Jetzt hat er Zeit, mit den beiden Fahrgästen eine Unterhaltung anzufangen.

»So, Sie wollen mit dem jungen Marquart segeln? Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Auch den Vater kenne ich sehr gut. Ich habe ihn ein Jahr nicht gesehen, ich war im Ausland und bin erst vor drei Tagen wiedergekommen.«

Aus dem Hin und Her des Gesprächs ergibt sich nun, daß die beiden Fremden großes Interesse an der Taucherei, überhaupt an dem ganzen Bergungsgeschäft haben. »Die Bergung eines Schiffes ist manchmal in wenigen Stunden Arbeit geschafft und kann ein Vermögen einbringen. Aber der Taucher kann auch monatelang arbeiten und alles dabei verlieren. So wie es uns jetzt in Indochina ging.«

Er wird lebhaft bei der Erinnerung an das Unglück, das seinen Onkel, ein Mitglied der verzweigten Taucherfamilie Harms, getroffen hat.

»Ich war auch mit, wir waren ein ganzes Jahr fort und haben nichts mitgebracht, alles weg, alles verloren!«

Er schweigt und schaut in die Weite. Dann steuert er ein wenig näher ans rechte Ufer, lehnt sich nach hinten an und erzählt, wie es war:

»Es gibt eine französische Dampferlinie nach Indochina. Das sind die schmutzigen Steamer mit den Sternen am Schornstein, die kommen ja auch die Elbe rauf, wir nennen sie Kognak-Dampfer. Na also, im vorigen Jahr ging so ein Schiff nicht weit von Haiphong bei den Korallenriffen unter. Damals, als mein Onkel den Bergungsauftrag bekam, wußten wir nicht, daß die Mannschaft, die Reederei und die Zwischenfirma, die uns die Order gab, alle unter einer Decke steckten. Jedenfalls bekamen wir den Auftrag, vierzig Kisten mit französischen Banknoten, die der Regierung gehörten und in der Stahlkammer des Schiffes mit untergegangen waren, zu bergen.«

Der junge Harms erzählt dann, wie sein Onkel sich in Hamburg ein seetüchtiges Schiff kaufte, es auf der Werft umbauen ließ und mit vier Tauchern und vierundzwanzig Mann nach Indochina ausfuhr.

»Wir hätten viel Geld gespart, wenn wir uns einige chinesische Dschunken gechartert hätten, die sowieso massenweise in der Nähe kreuzten, um etwas aufzufischen. Das Wrack lag nicht tief im Wasser, ein paar Seemeilen vom Land. Doch es hat Wochen gedauert, bis wir – und haben mit mehreren Mann immer Tag und Nacht gearbeitet – zur Stahlkammer vorgedrungen waren. Wissen Sie, die liegt auf den französischen Schiffen neben den Räumen des Zahlmeisters, der allein von dem Vorhandensein des Geldes gewußt haben soll. Die Kammertür wurde gesprengt, und dann beförderten wir eines Tages die erste Geldkiste an die Oberfläche. So groß ungefähr, und ganz schön schwer.«

Er zeigt die Maße an der Fensterscheibe. »Die Regierung hatte natürlich massenweise Militär und Polizisten an Bord geschickt, viel zuviel Leute liefen uns zwischen den Beinen herum. Sie überwachten alles, was aus dem Wasser gehoben wurde. Und dann kam der Staatsschlepper aus Haiphong und nahm Kiste für Kiste in Empfang. Gearbeitet haben wir, das kann ich Ihnen sagen, und immer umgeben von den frechen Kerlen, bis wir neununddreißig Kisten geborgen hatten. Die vierzigste war nicht da!«

Er hält inne. »Wo war die Kiste?« fragt Mehrmann.

Der Schiffer zuckt die Achseln. »Wir wissen jetzt Bescheid. Die ganze Geschichte war ein einziger Betrug. Der Zahlmeister oder irgendein andrer der sauberen Herrn hat eine Kiste gestohlen, und dann haben sie das Schiff, um der Entdeckung zu entgehen, absacken lassen. Die Kiste war einfach nicht da. Das gab Krach und wochenlange Verhandlungen. Ein französischer Staatstaucher stieg runter, um die Postkammer zu untersuchen. Wir haben am Manometer der Pumpe gesehen, daß er gar nicht bis in die Kammer vorgedrungen sein konnte. Er wanderte nur auf dem Deck des Wracks hin und her und sagte nachher aus, nichts entdeckt zu haben. Die Taucher da draußen sind überhaupt nicht fähig, das zu tun.

Wir verhandelten, drohten, klagten – es hat alles nichts geholfen. Der Auftraggeber beschuldigte uns, die vierzigste Kiste heimlich geborgen zu haben. Das war ja gar nicht möglich, bei der Bewachung. Dann wollten wir die übrige Ladung bergen, um wenigstens auf unsre Kosten zu kommen. Liköre, Kölnisch Wasser, Schminke, Seife und was ein Schiff alles fährt. Aber es war zu spät. Das Wetter wurde so grob, daß wir die Arbeit zeitweise unterbrechen mußten. Dann kam der Taifun, und das Wrack ging in Stücke. Die Flaschen mit Parfum wurden massenweise an den Strand geschwemmt. Wir konnten uns nur mit knapper Not bergen. Unser Schiff ›Blankenese‹ verrostet nun in Indochina, wir fuhren mit einem Frachtdampfer wieder zurück. Vor drei Tagen kamen wir an.«

»Das muß was gekostet haben. War da gar nichts zu machen?«

Harms zuckt die Achseln. »Mein Onkel hat sein ganzes Vermögen verloren. Er kann jetzt in Hamburg auf die Werft arbeiten gehen. Eben hab ich aus dem Hafen unsre Geräte geholt. Wir wollen noch in Frankreich einen Prozeß anstrengen ...«

Hans Holtz schweigt. Er hat es verlernt, die Gedanken, die er sich über eine Sache macht, andern mitzuteilen. Doch Mehrmann ist aufgeregt: »Herr Harms, der letzte Akt dieses Schauspiels wird noch abrollen, so wahr es eine ausgleichende Gerechtigkeit in der Welt gibt. Glauben Sie mir, Herr Harms, hinter den Sprichwörtern: Unrecht Gut gedeihet nicht, und: Wie gewonnen, so zerronnen, steckt die Wahrheit.«

Sie schweigen, denn der junge Harms hat sich abgewandt, und die jungen Männer schauen hinüber auf das schöne, hohe, bewaldete Ufer, unter dem sie dahinfahren. Auf der andern Seite wird der Strom frei und weit. Harms schaut voraus. »Wenn ich mich nicht irre, kreuzt da Peter Marquart. Ich kenne das Boot, wir haben es bei uns auf der Werft gehabt.« Sie halten etwas mehr nach Steuerbord, aber ihre Fahrt ist zu groß, sie kommen nicht mehr an das Segelboot heran, ohne umzuwenden. Und dazu hat Harms keine Lust. Mehrmann winkt und schreit, und fast scheint es den dreien so, als ob der Segler sie verstanden habe. Er zeigt mit der Hand nach vorn, wo jetzt Blankenese auftaucht, die Stadt der Lotsen, Kapitäne und Schiffer. Dort hatten sie sich zu treffen verabredet.

Die steilen Ufer und die Mulden ergeben ein außerordentlich reizvolles Stadtbild. In den Tälern und an den Hängen liegen zusammengedrängt, fast übereinander gewürfelt, kleine und allerkleinste Häuschen, während die Höhen Villen und Landhäuser tragen, hinter Reihen von Windschutzbäumen vor dem Weststurm geborgen. Der Großschiffahrtsweg führt so hart am Ufer hin, daß in den Fischerhäusern am Strandweg die Fensterscheiben klirren, wenn einer der ganz großen Dampfer auf der Elbe mehr Fahrt macht, als ihm erlaubt ist.

Das Taucherschiff strebt einer Landungsanlage hinter Blankenese zu, die zu den Liegenschaften der Harms' gehört. Hans Holtz ergreift ein Tau, um einzuspringen; aber Harms und der Heizer schieben ihn weg, sie wollen das Festlegen selbst besorgen, der Ebbstrom ist zu tückisch.

Mehrmann und Holtz nehmen ihr Gepäck und treten an Land. Sie schlendern beide nebeneinander her auf die Straße und sehen sich die Liegenschaften der Taucherfamilie an, die sozusagen ein Dorf für sich bilden: Gasthäuser, Werften und Villen. An einem Sandwege, der in eine Schlucht führt, schlummert ein verlassenes, großes Haus mit ausladenden Terrassen im Prunkstil einer vergangenen Zeit. In jenem Restaurant stauten sich in der Vorkriegszeit die Menschen an den Tischen rund um einen Teich, in dem Harms, wenn er untätig mit seinem Schiff dalag, Taucherkunststücke vollführte, indem er Eier und Geldstücke aus dem Bassin holte. Heute ist der Teich grün überwachsen, und Enten suchen schnatternd ihr Futter. Die beiden treten an die Jachtwerft, die daneben liegt. Dort ist immer Betrieb. Und dann setzen sie sich auf die versteinerten Zementtonnen, die von einem untergegangenen Schiff stammen und jetzt hundertweise als Einfriedigung Verwendung gefunden haben.

»Und was machen Sie jetzt?« fragt Mehrmann seinen schweigsamen Begleiter, mit dem er bis jetzt kaum ein Wort gewechselt hat. Ohne die Antwort abzuwarten, fährt er fort:

»Haben Sie nicht Lust, einen Tag mit uns zu fahren? Wie ich vorhin hörte, wollen Sie nach Holstein hinein wandern, nicht wahr? Wir bringen Sie mit dem Segelboot noch ein paar Kilometer die Elbe herunter. Vorausgesetzt, daß Herr Marquart, dem das Boot gehört, nichts dagegen hat«, setzt er vorsichtig hinzu.

»Sie wollen doch wohl lieber unter sich sein, ich will Ihnen nicht zur Last fallen«, bemerkt Holtz zögernd. Doch Mehrmann fühlt heraus, daß der andre nicht übel Lust hätte, daß er jedoch seine Hemmungen nur schwer überwinden kann.

»Heute abend setzen wir Sie an der holsteinischen Küste irgendwo ab, dann sind Sie dem Ziel Ihrer Reise um soviel näher. Ich werde mit Peter Marquart reden.«


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