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A. a. O. Ar. 12-15.
Ich weiß nicht, ob ich voraussetzen darf, daß die Kenntnisse, welche Sie sich auf der Universität über die usucapio pro herede lucrativa des altrömischen Rechtes angeeignet haben, noch bis auf den heutigen Tag vorgehalten haben. Mit den auf der Universität erworbenen Kenntnissen pflegt es sich umgekehrt zu verhalten wie mit den meisten Dingen: je weniger man Gebrauch davon macht, desto eher verringern sie sich, sie lassen sich, im Gegensätze zu den res, quae usu consumuntur vel minuuntur, als res, quae non-usu consumuntur vel minuuntur bezeichnen. Sie werden es daher wohl genehmigen, wenn ich Ihre Erinnerung in Bezug auf unser Institut etwas aufzufrischen versuche.
Unsere Quellen, unter denen Gajus Gajus II, 52-58; III, 201 obenan steht, geben uns folgendes Bild von der Sache. War jemand gestorben, der keine sui heredes hinterlassen hatte, so durfte jeder, der Lust hatte, dem berufenen Erben in Bezug auf die Besitznahme der Nachlaßgegenstände zuvorkommen, darin lag kein furtum. Nur für Personen, welche Sachen des Verstorbenen bereits in Besitz hatten, war eine Verwandlung des bisherigen Besitzverhältnisses oder, wie die Römer sagen, ihres bisherigen Titels in den titulus pro herede
ausgeschlossen (nemo sibi ipse causam possessionis mutare potest), das heißt also: die Besitzaneignung der erbschaftlichen Sachen sollte als äußerer Akt sichtbar werden, der demnächstige Erbe sollte wissen, wer sich den Besitz angeeignet hatte, und wen er auf Rückgabe desselben zu belangen habe. Zu dem Zwecke war ihm ein Jahr als Frist gesetzt; versäumte er dieselbe, sei es, weil er erst später antrat oder erst später die Klage erhob, so war sein Recht verwirkt, die Besitzer waren jetzt durch die usucapio pro herede Eigentümer, und nicht bloß Eigentümer, sondern Erben geworden. Als Gegenstand der Usukapion wurden nämlich nicht die einzelnen Sachen, sondern die Erbschaft selber angesehen, letztere ward in jenen usukapiert, und die Folge dieses Gesichtspunktes war, daß auch die unbeweglichen Sachen, für die sonst die Usukapionsfrist zwei Jahre betrug, in einem Jahre usukapiert wurden. Durch Antretung und Besitzaneignung der Erbschaft von Seiten des Erben war jenes Occupationsrecht, wie ich es nennen will Die Römer gebrauchen den Ausdruck occupare nicht bloß von der Eigentumsaneignung herrenloser Sachen, sondern auch von der Besitzaneignung fremder – sei es im Besitz befindlicher, sei es besitzloser Sachen, s. 1. 3, §8 de A. P. (41 2) ... domum a latronibus occupatam, 1. §2 quod legat. (43, 3) . . quod quis legatorum nomine occupavit., ausgeschlossen; wer jetzt noch zugriff, machte sich eines furtum schuldig, ebenso wie in dem Falle, wenn sui heredes da waren.
Das sind die rohen Umrisse des Institutes, wie die Quellen es uns zeichnen. Sie lassen allerdings manche Fragen ungelöst, die mich aber nicht kümmern, da es nicht in meiner Absicht liegt, Ihnen einen gelehrten Vortrag über die usucapio pro herede lucrativa zu halten, sondern lediglich Ihnen meine Idee über eine eigentümliche Seite des Institutes zu entwickeln, die, meines Wissens, bisher von andern noch nicht beachtet worden ist.
Nur eins fügt Gajus noch hinzu, das ist die Bemerkung über den legislativen Zweck des Institutes. Er wirft sich die Frage auf, was das alte Recht bestimmt haben könne, ein so gottloses Institut ( tam improba possessio et usucapio) zuzulassen, und er erteilt darauf die Antwort: es habe dadurch eine Pression auf die berufenen Erben ausgeübt werden sollen, die Erbschaft rasch anzutreten, im Interesse der Gläubiger sowohl, als auch der ordnungsmäßigen Besorgung der sacra.
Damit ist unser historisches Material erschöpft, ich zünde mir jetzt meine Cigarre an – – Sie wissen, was das bedeutet.
Es ist wunderbar, wie einige kräftige Züge aus derselben auf mich wirken. In den Rauchwolken erblicke ich Gajus – langer, dürrer Mann – Leberflecken auf der Stirn – einwärts gebogene Beine – Schulmeistergesicht.
Noch einige Züge und ich befinde mich im Gespräch mit ihm.
Gajus?
»So nenne ich mich.«
Ich habe nicht gewußt, ob ich Sie so nennen darf, ein neuerer Schriftsteller Dernburg, Die Institutionen des Gajus ein Kollegienheft aus dem Jahre 161 nach Christi Geburt. Halle 1869, S.96: »eine der Umgangssprache angehörende Bezeichnung desselben«. S.97: »Und wie ließe sich leichter die traute Bezeichnung mit dem Vornamen erklären, als durch die Zurückführung auf den Gebrauch der Studierenden, deren Lehre die Tätigkeit unseres Juristen gewidmet war. Sie nannten den trefflichen Lehrer mit dem Vornamen, wie der Freund den Freund, sie bezeichneten ihn so in ihren Kreisen, sie bürgerten diesen Namen bei den nachfolgenden Generationen der Studierenden und im Buchhandel ein.« hat behauptet, das sei bloß ein »Vulgärname« oder, wie man im Leben sagt, ein Spitzname für Sie gewesen, bei dem die Studenten Sie genannt hätten, wie sie dies auch heutzutage bei beliebten Lehrern zu tun pflegen.
»Studenten? Was sind das?«
Ihre Zuhörer, die bei Ihnen Ihre Institutionen hörten und denen wir Ihr Heft über die Institutionen verdanken Die Ansicht des genannten Schriftstellers..
»Heft? was ist das?«
Die schriftlichen Aufzeichnungen der Zuhörer, die ihnen entweder vom Lehrer diktiert oder von ihnen selber nach seinem Vortrage zu Papier gebracht werden.
»Meine Zuhörer waren, wenn ich sprach, gewohnt, zu hören, nicht zu schreiben.«
Also freier Vortrag! Demnach wären Ihre Institutionum commentarii quatuor von Ihnen selber verfaßt?
»So ist es. Weiß man denn von denen noch etwas? Es scheint mir schon lange her zu sein, daß ich sie schrieb.«
Ungefähr siebzehnhundert Jahre. Seit Sie, mein Verehrtester, in Verona von Niebuhr wieder aufgefunden worden sind, bilden Sie für uns Romanisten das tägliche Brot.
»Romanisten? Was sind das?«
Das sind Ihre modernen Nachfolger. Wir Germanen – sie befinden sich augenblicklich in einer unserer schönsten Städte, zu Wien in der goldenen Ente – treiben ebensogut noch das römische Recht wie Ihre Landsleute zu Ihrer Zeit, und diejenigen Professoren, die darüber auf unseren Rechtsschulen Vorlesungen halten, nennt man Romanisten; ich selber habe die Ehre, mich Ihnen als solchen vorzustellen, lese jedes Jahr einmal Institutionen und Pandekten.
»Also Kollege? Freut mich sehr, Deine Bekanntschaft zu machen. Du kennst also meine Institutionen?«
Wie gesagt, unser tägliches Brot – sehr viel daraus gelernt – sehr dankbar dafür – aber leider viele Lücken in der Handschrift – die alten Mönche unbarmherzig mit Ihnen gewirtschaftet – einen christlichen Heiligen: den heiligen Hieronymus über Sie gelegt – viel von Ihnen durch den verschluckt – und dann der Bluhme, oder wie er sich später in Vorahnung Puttkamer's ohne h schrieb, der Blume, der Sie unter die Mache genommen hat. Sie könnten uns den größten Dienst erweisen, wenn Sie sich entschlössen, diese Lücken auszufüllen.
»Wollen es uns überlegen – augenblicklich keine Zeit und Lust dazu. Was veranlaßte Dich dazu, mich aus dem Orkus heraufzubeschwören?«
Ich wollte Sie über die usucapio pro herede lucrativa befragen. Was Sie über dieselbe berichten, höchst wertvoll – ganz neue Aufschlüsse über das alte Recht. Aber – Ihre Autorität in Ehren – Ihre Ansicht über den legislativen Grund des Institutes scheint mir nicht die richtige zu sein.
»Warum nicht?«
Wenn Sie gütigst verstatten wollen, mein sehr verehrter Lehrer und Meister, so werde ich Ihnen meine Meinung auseinandersetzen.
»Sprich!«
Ihre Ansicht über den legislativen Grund des Institutes geht von folgender Voraussetzung aus. Es hat eine Zeit gegeben, wo die usucapio pro herede noch nicht existierte, das Erbrecht im Übrigen aber bereits ausgebildet war. Da machte man die üble Erfahrung, daß die berufenen Erben die Antretung der Erbschaft, für die es ja, wenn der Testator nicht etwa eine cretio festgesetzt hatte, keine Frist gab, ungebührlich hinausschoben; es lag in deren Interesse, da sie die Auszahlung der Legate um so viel verzögerten, also die Früchte und Zinsen profitierten, und da sie auch die Auslagen für die sacra ersparten. So geht es nicht länger, sagten die Gläubiger, wir wollen unser Geld, und wir, fügten die Pontifices hinzu, können das ebenfalls nicht dulden, die sacra vertragen die lange Unterbrechung nicht, und auch die Legatare und Substituten mischten sich in den Chor ein. Da kamen die Väter der Stadt zusammen und berieten: was tun? Hätten sie uns beide um Rat gefragt, wir hätten ihnen das richtige Mittel schon angeben wollen. Setzt eine gesetzliche Frist für die Antretung fest, würden wir ihnen geantwortet haben, oder gebt dem Prätor auf, was letzterer später von selbst so einsichtig war zu tun, nämlich auf Antrag der Interessenten ein »tempus ad deliberandum,« oder, wie wir heutzutage sagen, ein spatium deliberandi festzusetzen bei Strafe der Verwirkung des Erbrechtes, und ordnet im Interesse der um ihre sacra besorgten Pontifices eine Strafe an den geistlichen Fonds an, die von Monat zu Monat steigt, eine Straflawine nach Art des Rutscherzinses in Deutschland – das wird schon helfen!
Allein das Conclusum der Väter der Stadt lautete anders. Wir wollen die usucapio pro herede lucrativa einführen, sagten sie, wir erteilen hiemit jedem die Erlaubnis, sich in Besitz der Nachlaßsachen zu setzen mit der Wirkung, daß, wenn der Erbe nicht innerhalb Jahresfrist antritt und ihm dieselben wieder abjagt, er Eigentümer und zugleich Erbe werden soll; verschmäht der eingesetzte Erbe die Erbschaft, so ist sie herrenlos, so mag sie nehmen, wer Lust hat.
Habe ich Ihre Ansicht richtig getroffen, hoher Meister?
»Du hast es.«
Dann verstatten Sie mir eine Frage: Haben Sie specielle Nachrichten über diesen Vorgang?
»Ich bin der Darstellung des Varro gefolgt.«
Das habe ich mir gedacht! Der hat viel wunderliche Dinge.
»Du bist – – doch ich vergesse, daß, um mich der treffenden Wendung Eures Bismarck zu bedienen, meine gesellschaftlichen Formen mir verbieten, Dir darauf die gebührende Antwort zu geben. Du willst Dir herausnehmen, Dinge aus dem römischen Altertume besser zu wissen, als Varro, von dessen Lobe bei seinen Lebzeiten wie nach seinem Tode ganz Rom voll war, den Cicero als » diligentissimus investigator antiquitatis« und Quintilian als » vir Romanorum eruditissimus« anerkennt?«
Seit Niebuhr nehmen wir uns das heraus. Varro könnte von uns Heutigen viel lernen; wie es z. B. bei der Gründung Roms herging, das wissen wir heutzutage viel besser als er. An Reichtum des Materials ist er uns zwar überlegen, in der Methode aber sind wir es ihm, und vermöge dieser Methode sind wir instand gesetzt, Varro, Festus, Livius und wie sie alle heißen mögen und auch Sie zu berichtigen. Es ist die kritisch-historische Methode, die ich Ihnen augenblicklich nicht erklären kann; wenn Sie mir einmal wieder das Vergnügen machen, werde ich es nachholen.
Um nun auf Ihre Meinung über den Ursprung und den Zweck der usucapio pro herede zurückzukommen, so nehme ich mir heraus, Ihnen ins Gesicht hinein zu behaupten: so, wie Sie sich die Sache vorstellen, kann sie sich nicht begeben haben. Ihre Erklärungsweise trägt den Stempel der historischen Unwahrheit an der Stirne, sie gehört zur Kategorie jener Erklärungen, die wir heutzutage als rationalistische bezeichnen.
»Schon wieder ein neuer Ausdruck, den ich nicht verstehe; was bedeutet denn der?«
Nehmen Sie mir nicht übel, wenn ich Ihnen darauf jetzt keine Antwort erteile, meine Cigarre ist schon halb ausgeraucht, und bevor sie es ganz ist, muß ich mit der usucapio pro herede fertig sein. Ich werde Ihnen eine Kritik Ihrer Ansicht geben, aus der Sie vielleicht entnehmen werden, was jener Ausdruck bedeutet; ich werde es mit derselben Offenheit tun, wie wenn ich vor meinen Studenten stände.
Sie verwechseln Zweck und Folge. Die Folge davon, daß es Diebe gibt, besteht darin, daß die ehrlichen Leute sich Schlösser an ihre Türen machen lassen, aber niemand ist noch auf die Idee verfallen, zu behaupten, das Stehlen sei eingeführt, um die Anfertigung und Anschaffung von Schlössern zu bewirken. Um nichts besser ist es, wenn Sie behaupten: die usucapio pro herede sei im Interesse der Beschleunigung der Antretung der Erbschaft eingeführt worden, – das war Folge, aber nicht Zweck derselben. Das Stehlen braucht nicht erst eingeführt zu werden, es macht sich von selbst, und so werden auch Ihre Vorfahren nicht erst die Aufforderung von Seiten des Rechtes abgewartet haben, um sich aus einer Erbschaft, für die der Erbe noch nicht da war, zu nehmen, was sie kriegen konnten, – darauf verstanden sie sich schon.
»Ich muß mir jede boshafte Anspielung auf meine Vorfahren verbitten. Übrigens ist dieselbe auch gänzlich verfehlt, denn die alten Römer waren gar nicht meine Vorfahren, Theodor Mommsen hat nachgewiesen, daß ich Provincialjurist gewesen bin. Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechtes, III, 5. 1 ff. Über die Sache aber bemerke ich Dir, daß alles, was Du da vorgebracht hast, sich nur auf die Tatsächlichkeit der Aneignung, die Occupation erbloser Gegenstände bezieht, während ich ja von der rechtlichen Gestalt der Sache, dem Stempel, den das Recht ihr aufgedrückt hat: der Usukapion, dem Erwerb von Eigentum und Erbrecht am Nachlaß gesprochen habe.«
Auf den Punkt wollte auch ich hinaus. Gerade in ihm liegt die Widerlegung Ihrer Ansicht. Hätte das alte Recht mit der usucapio pro herede weiter nichts bezweckt, als den berufenen Erben zur möglichst raschen Antretung der Erbschaft zu veranlassen, so hätte dazu die Verstattung der straflosen Aneignung der erbschaftlichen Sachen, ich will sie die erbrechtliche Kaperei nennen, allein schon genügt – wenn Kaper zu fürchten sind, wird das Schiff schon dafür sorgen, daß es rasch in den Hafen gelangt – und als Äußerstes hätte man allenfalls noch die Usukapion der erbschaftlichen Sachen hinzufügen mögen, aber unerklärlich, völlig unverständlich ist es, warum man aus diesem Grunde die Usukapion der Erbschaft hätte einführen sollen. Das ist der entscheidende Punkt; über den haben Sie kein Wort gesagt! Wie erklären Sie sich ihn, Gajus?
»Jetzt bin ich es satt, mich von Dir zur Rede stellen und ausfragen zu lassen, als ob ich ein Examen bei Dir zu bestehen hätte. Du hättest nicht nötig gehabt, mir mitzuteilen, daß Du Professor bist, und daß ich mich in Germanien befinde, im Lande der nordischen Barbaren; an dem Ton, den Du gegen mich angeschlagen, und an dem vielen Wein, den Du während dieser Zeit zu Dir genommen hast, und noch dazu unvermischt, würde ich es sofort erkannt haben. Ich ziehe es vor, die Unterhaltung mit Dir abzubrechen, und werde dafür sorgen, daß sie sich nicht wiederholt. Dir werde ich nicht wieder erscheinen, und wenn Du zehn Cigarren rauchst!«
Sprach's, und fort war er!
Ein bequemes Ding, sich aus der Verlegenheit zu ziehen! Wenn man nicht mehr weiß, was man antworten soll, verschwindet man und wirft dem unbequemen Fragesteller zum Abschied wohl gar noch eine Grobheit an den Hals. Sie, meine Herren Redakteure, werden es mir bezeugen, daß ich die Grenzen einer wissenschaftlichen Debatte und die Gesetze des guten Tons in meiner Unterhaltung mit Gajus nicht einen Moment überschritten habe. Dieser Gajus – – empfindlich wie ein Heldentenor!
Ich setze meine Unterhaltung mit Ihnen wieder fort. Sie werden sich überzeugt haben, daß die Ansicht von Gajus an einem inneren Widerspruche leidet – hätte er es nicht selber gefühlt, so hätte er nicht nötig gehabt zu verduften. Doch ich sehe, meine Cigarre ist mir ausgegangen. Etwas Feuer, wenn ich bitten darf. So – jetzt dampft sie wieder. Verstatten Sie mir einige Momente. Ich nehme schwache Umrisse eines Bildes wahr – sie werden immer schärfer, deutlicher – jetzt ist das Bild da.
Ich befinde mich in der Urzeit unter den alten Römern. Ein Mann ist gestorben, ohne Frau und Kinder; der Erbe, den er in seinem vor der Volksversammlung errichteten Testamente eingesetzt hat, befindet sich beim Heer vor dem Feinde. Da läuft's in seinem Hause aus und ein, jeder, der leer hineingeht, kommt beladen zurück – Gläubiger – Legatare – Nachbarn – gute Freunde – es ist die Zeit des Interregnums im Eigentums, die wir heutzutage hereditas jacens nennen – jeder macht sie sich zu Nutze.
Ich mische mich unter die Leute.
Wie könnt Ihr das alles nehmen? rede ich sie an, Ihr seid ja ein wahres Diebsgesindel, das gehört doch nicht Euch, Ihr vergreift Euch ja an fremdem Eigentume!
»An fremdem Eigentume? Man merkt Dir an, daß Du ein Fremdling in Rom bist. Wo kein Eigentümer ist, gibt es auch kein Eigentum – wo kein Kaiser, hat der Kaiser sein Recht verloren. Mag der eingesetzte Erbe, wenn er aus dem Felde zurückkehrt und die Erbschaft antritt, es uns wieder entziehen, vorläufig ist er nicht da. Macht Ihr Germanen es etwa anders? Wenn ein Schiff an Eueren ungastlichen Küsten strandet, rennt nicht auch Ihr herbei und nehmt, was Ihr kriegen könnt? Das nennt Ihr Strandrecht. Nicht anders machen wir es – es ist unser erbrechtliches Strandrecht – die erbschaftlichen Sachen treiben herrenlos auf den Wellen.«
Aber was nützt es Euch, daß Ihr es nehmt? Ihr müßt es ja doch zurückgeben, wenn der Erbe zurückkommt.
»Ob er zurückkehren wird, ist noch die große Frage, er steht vor dem Feinde; vielleicht fällt er, vielleicht gerät er in feindliche Gefangenschaft, und selbst wenn er zurückkehrt, kommt es noch darauf an, ob wir es ihm zurückgeben müssen.«
Mit welchem Grund Rechtens könnt Ihr es ihm vorenthalten? Ich kenne ja Euer Recht, ich weiß, daß Ihr zwar die actio furti nicht zu scheuen habt, denn Euer Recht ist nachsichtig genug gewesen, hier kein furtum anzunehmen, aber Ihr vergeßt, daß der Mann die hereditatis petitio gegen Euch hat.
»Dann mag er mir vorher meine Forderungen bezahlen, ich bin Gläubiger des Verstorbenen, niemand kann es mir verargen, daß ich auf meine Sicherheit Bedacht nehme, Deckung suche, wie Ihr es nennt.«
Aber Du da, bist Du auch Gläubiger?
»Ich nicht, aber der Verstorbene hat mir die Sachen, die ich in Besitz genommen habe, vermacht – die gebe ich nicht wieder heraus.«
Aber das mußt Du ja, der Prätor gibt gegen Dich das interdictum quod legatorum l. 1, § 2 Quod leg. (43. 3): Ut quod quis legatorum nomine non ex voluntate heredis occupavit, id restituat heredi. .
»Existiert zur Zeit noch nicht! Du verwechselst die verschiedenen Perioden der römischen Rechtsgeschichte – – so weit sind wir jetzt noch nicht.«
Und Du da, hast Du Dir die Sachen auch genommen, weil Du Gläubiger oder Legatar bist?
»Nein! ich habe sie mir bloß so genommen Ich weiß nicht, ob man auch in Österreich diese höchst charakteristische Wendung des » bloß so« kennt, zur Erläuterung desselben führe ich folgenden Fall an. Eine unverheiratete Eierlieferantin vom Lande, welche bisher bei ihrer Kundschaft allein erschienen war, zeigt sich eines Tages in Begleitung von einem Jungen. »Wem gehört der Junge?« Mir. »Ich habe gar nicht gewußt, daß Ihr verheiratet waret.« Das bin ich auch nicht, den Jungen habe ich bloß so bekommen. Ein römischer Jurist würde das »bloß so« mit naturaliter im Gegensatz zum civiliter wiedergegeben haben., wie Ihr Deutschen sagt, – ich warte ab, was geschieht, das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, daß ich sie wieder herausgeben muß.«
Gottlob! daß das Bild verschwindet, es duldet mich nicht länger unter diesem Volke.
Da taucht ein neues auf. Die Scene spielt auch in Rom, aber einige Jahrtausende später, der Schauplatz ist im Vatikan. Der Papst ist gestorben. Sollte man es für möglich halten? Kaum hat er die Augen geschlossen, so rennt alles, was im Palast ist, durcheinander und nimmt sich, was zu haben ist. Auf meine Frage: wie sie das tun mögen? heißt es: Spolienrecht Über das am Nachlaß der Geistlichen schon sehr früh ausgeübte Spolienrecht siehe den Artikel von Friedberg in Herzog's Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Bd. 14, S. 683-688. »So bildete sich schon in frühen Zeiten die Gewohnheit aus, daß, sobald ein Kleriker gestorben war, die anderen sich als Repräsentanten der erbenden Kirche gebahrten und ohne jede Rücksicht die Hinterlassenschaft des Toten an sich rissen. So sagt schon das Konzil von Chalcedon (a. 451): non liceat clericis post mortem episcopi rapere res pertinentes ad eum; so klagt die Synode von Ilerda (a. 524): occumbente sacerdote exspectoratoque affectu totaque disciplina severitate posthabita immaniter quae in domo pontificali reperiuntur invadunt et abradunt (S. 681). Die weltlichen Fürsten machten es den Klerikern später nach und nahmen ihrerseits das Spolienrecht in Anspruch: more praedonum debacchantes ... crudeliter abducentes animalia universa etc., wie Innocenz III. sich ausdrückte. War es doch nach den Worten des Breslauer Konzils von 1279 dahin gekommen: quod in rebus ecclesiae furtum reputatur sagacitas, rapina probitas, et violentia fortitudo. Sogar in Rom, der heiligen Stadt, selbst an dem Nachlaß des Papstes wurde, wie das Concilium Romanum von 901 sagt, die » scelestissima consuetudo« des Spolienrechts vom Laien und Klerus gemeinsam ausgeübt. Selbst die Päpste nahmen später das Spolienrecht für sich in Anspruch; das weitere siehe bei Friedberg.! Würdige Enkel ihrer Großväter!
Fort mit dem Bilde! Mich kümmert nicht die neuere Zeit, nicht Strandrecht, noch Spolienrecht, ich will wissen, was aus der usucapio pro herede lucrativa geworden ist.
Die Cigarre tut ihre Dienste. Ich erblicke ein neues Bild, es spielt in der Zeit nach den XII Tafeln. Eine Versammlung von Juristen, darunter ganz bekannte Gestalten: Appius Claudius und sein Schreiber Flavius, jener der Verfasser, dieser der Herausgeber des jus Flavianum In welcher Weise letzterer die » Herausgabe« besorgte, wird Ihnen wohl noch aus den Vorlesungen über die römische Rechtsgeschichte erinnerlich sein, » subreptum librum populo dedit,« ( l. 2, § 7 de O. J. 1. 2), der erste historisch nachweisbare Fall des Nachdrucks in der Geschichte. Ich benutze die Gelegenheit, alle, welche römische Rechtsgeschichte zu examinieren haben, auf diese bisher gänzlich übersehene schöne Examensfrage aufmerksam zu machen. »Wer war der erste Nachdrucker in der Welt?« Gnäus Flavius – vergleiche das deutsche Reichsgesetz vom 11. Juni 1870, »Jede mechanische Vervielfältigung eines Schriftwerkes, welche ohne Genehmigung des Berechtigten hergestellt wird, heißt Nachdruck und ist verboten. – – – Als mechanische Vervielfältigung ist auch das Abschreiben anzusehen, wenn es dazu bestimmt ist, den Druck zu vertreten.« Mit einer solchen Vertretung mußte Flavius in Ermangelung der Druckerpresse sich zu seiner Zeit noch behelfen. Wening-Ingenheim, der Herausgeber des Heyse'schen Pandektenheftes, das er unter eigenem Namen als Lehrbuch des gemeinen Civilrechts publizierte, – » subreptum librum populo dedit« – hatte es in dieser Beziehung bequemer, er brauchte das Heft nur einmal zu schreiben, das übrige besorgte der Setzer. Er hatte die Aufmerksamkeit, das Buch dem Urheber zu widmen, nach Morstadt's treffender Bezeichnung: »wie die Hebamme dem Vater das neugeborene Kind in die Arme legt.« Die folgenden Auflagen des Buches nahm Heyse, damals Präsident des Oberappellationsgerichtes in Lübeck, nicht in die Bibliothek desselben auf, er erkannte das Buch nicht mehr als ihm gehörig an, denn Wening-Ingenheim war bei demselben von dem Vorbilde seines römischen Vorgängers abgewichen, indem er der Versuchung etwas von dem Seinigen hinzuzufügen, der Flavius standhaft widerstanden hatte (» nec de suo quicquam adjecit libro«, l. 2, § 7 de O. J. 1. 2), nicht hatte Widerstand leisten können. Dies ist der einzige Unterschied zwischen beiden, im übrigen herrscht zwischen beiden eine so vollständige Übereinstimmung, daß man Wening-Ingenheim als unseren Flavius und letzteren als römischen Wening-Ingenheim bezeichnen dürfte. In beiden Fällen geschah mit diesem mutigen Griff der Welt ein großer Dienst (» gratum id fuit munus populo«, l. 2, § 7 cit.), denn Appius Claudius sowohl wie Heyse, der es mit dem alten Römer aufnehmen konnte, hatten sich nicht bemüßigt gefunden, ihr Werk selber zu publizieren; es bedurfte der fremden Hand, um die Welt in Besitz desselben zu setzen, in beiden Fällen ward das Werk nicht nach dem Verfasser genannt, sondern nach demjenigen, der sich das letztere Verdienst zuschreiben durfte, in beiden Fällen blieb der Lohn nicht aus: Flavius ward Volkstribun in Rom, Wening-Ingenheim Professor in München.. Da geht etwas Wichtiges vor, hören wir zu.
»Da hat das Volk wieder einmal eine ganze Erbschaft ausgeplündert,« sagt einer – die übrigen nennen ihn den Konsul L. Volumnius – »der Sache müssen wir ein Ende machen. Das ist noch ein Rest der Barbarei aus alter Zeit, die sich mit den Ideen unserer vorgeschrittenen Zeit nicht verträgt, und bei der eine geordnete Abwickelung der Erbschafts-Angelegenheiten gar nicht bestehen kann. Da greift jeder zu, und hinterher, wenn der Erbe kommt, soll er es sich aus allen Ecken und Kanten wieder zusammenholen, während er selber, so wie er angetreten hat, den Gläubigern sofort haften muß. So geht es nicht länger! Ich werde als Konsul einen Gesetzantrag ans Volk bringen, daß das erbrechtliche Occupationsrecht aufgehoben, und jede Ausübung desselben fortan als furtum bestraft werde.«
Kann mich Ihnen nicht anschließen, hochmögender Herr Kollege, läßt Appius Claudius sich vernehmen Man kann daraus entnehmen, daß der Vorfall im Jahre 446 spielt, in dem nach Livius 9, 42, Appius Claudius und L. Volumnius Konsuln waren.. Das Volk würde Ihren Antrag nicht annehmen; es hat sich einmal seit Jahrhunderten an die Sache gewöhnt und zählt sie zu seinen »berechtigten Eigentümlichkeiten«, die man selbst in mächtigen Monarchien in Bezug auf annektierte Provinzen zu schonen pflegt, geschweige in Republiken. Wir lassen dem Volk sein Vergnügen, aber wir wollen es ihm schon so versalzen, daß es ihm verleidet wird. Wir schlagen denselben Weg ein, wie bei der lex Furia testamentaria. Als es zur Zeit des letzteren Gesetzes darauf ankam, im Widerspruch mit der Bestimmung der XII Tafeln: uti legassit super pecunia tutelave suae rei, ita jus esto, eine Maximalgrenze für die Höhe der Legate einzuführen, ließ man den Satz selber unangetastet, legte aber demjenigen, der sich ein Legat über den gesetzlichen Betrag auszahlen ließ, die Strafe des vierfachen Ersatzes des Überschusses auf – das Gesetz war gerettet, der Zweck erreicht. Ebenso machen wir es im vorliegenden Fall, wir lassen das alte Institut unangetastet, wir gehen ganz auf die Idee des Volkes ein: die Nachlaßgegenstände, die der Erbe noch nicht in Besitz genommen hat, sind herrenlos, jeder mag sie nehmen. Ja wir gehen noch einen Schritt weiter: die Erbschaft selber ist herrenlos. Ist sie es, so ergibt sich daraus als Konsequenz, daß derjenige, der sie genommen und ein Jahr besessen hat, durch Usukapion Erbe wird. Wir bringen die Erbschaft unter die » ceterae res« der XII Tafeln, für welche das Gesetz ein Jahr als Usukapionsfrist festgesetzt hat.
»Aber, bester Appius, die Erbschaft gehört doch nicht zu den Sachen, zu den körperlichen Dingen, die das Gesetz im Auge hat.«
Ich bitte mich nicht zu unterbrechen, Volumnius. Wir Juristen haben bereits die manus über die Ehefrau unter die » ceterae res« gebracht, obschon sie doch nicht zu den Sachen, sondern zu den Rechten gehört, die Erstreckung des Begriffs der res auf Rechte ist also nicht ohne Vorgang. Wir bezeichnen die Rechte fortan als » res incorporales,« wie sie noch nach einem Jahrtausend werden genannt werden § 2 J. de reb. corp. (2. 2).; damit ist die Sache erledigt.
Sie erraten, meine Herren, was ich damit bezwecke. Wird der Usukapient Erbe, so hat er auch die Schulden und die sacra zu übernehmen, welches letztere ich insbesondere für die anwesenden hochwürdigen Herrn Pontifices bemerke, auf deren Zustimmung zu meinem Vorschlage ich ein ganz besonderes Gewicht lege.
»Wir unsererseits würden uns damit vollkommen einverstanden erklären können,« – lautete die Antwort der geistlichen Herren.
Freut mich sehr – war im voraus davon überzeugt. Sie wollen etwas bemerken, M. Valerius? Der Rat eines Mannes, der, wie Sie, viermal die Prätur bekleidet hat Liv. 9, 41. , kann uns nur von hohem Wert sein.
»Ich wollte nur bemerken, daß wir schwerlich Aussicht haben, mit dem Vorschlag beim Volk durchzudringen. Das Volk wird schon merken, worauf es abgesehen ist, und die Tribunen, die schon so oft unsere feinst angelegten Pläne durchkreuzt haben, werden interzedieren.«
War auch gar nicht meine Absicht, die Sache ans Volk zu bringen. Das ist eine Frage, die wir Juristen für uns abzumachen haben, und in die das Volk und die Tribunen uns nicht hineinzureden haben: sie gehört zur » interpretatio« der XII Tafeln, und die ist, wie jeder Jurist demnächst aus dem Encheiridion von Pomponius l. 1, § 5, 6 de O. J. (1. 2)., erfahren wird, die Domäne des Pontifices und Juristen. Dem Volke stellen wir die Sache sogar als eine große Konzession dar, die wir ihm machen; wir geben den Occupanten der Nachlaßsachen mehr, als sie bisher hatten, sie bekommen Eigentum an denselben und Erbrecht – was wollen sie mehr?
»Ein wahres Danaer-Geschenk,« ließ sich eine Stimme vernehmen, die aber sofort verstummte, als der ehemalige Diktator Papirius das Wort ergriff.
»Sie sind doch unübertrefflich, Appius Claudius, mit Ihnen kann es an Schlauheit niemand von uns aufnehmen. Müßten wir den Namen des ›Schlaukopfs‹ nicht für Ihren Urenkel Sextus Aelius Pätus aufsparen, der das jus Aelianum verfassen, und den die Welt Catus Varro de ling. lat. VII, 46: Catus Aelius Sextus, non, ut aiunt, sapiens, sed acutus. Daß Sextus Urenkel des Appius war, erfahren wir erst bei dieser Gelegenheit. nennen wird, wir würden den Namen Ihnen dekretieren.«
Mir kommt es nur auf die Sache an, erwiderte Appius. Ich bin übrigens mit der Motivierung meines Vorschlages noch nicht fertig, ich habe noch einen anderen sehr triftigen Grund in petto, der ihn unterstützt. Sie wissen, meine Herren, daß es gar nicht selten ist, daß die berufenen Erben sich über die Antretung der Erbschaft nicht erklären wollen, weil sie die Zahlung der Schulden und die Entrichtung der Legate und – leider bin ich genötigt, dies Zeichen von dem schlechten, irreligiösen Geist unserer Zeit zu konstatieren – sogar die Erfüllung der Pflichten gegen die Götter möglichst lange hinauszuziehen bezwecken. Auch dem steuern wir. Haben sie die Erbschaft ein Jahr lang besessen, so können sie bei Annahme meines Vorschlages als Erben in Anspruch genommen werden, ohne daß die Kläger erst noch nötig haben, den Akt der Antretung der Erbschaft zu beweisen. Und selbst noch eins, meine Herren. Sie haben an einigen celebren Fällen der letzten Jahre erfahren, welche Unzuträglichkeiten es hat, wenn ein von der Welt bisher als völlig sicher und unzweifelhaft betrachteter Erbschaftserwerb hinterher nach Jahren von einem näheren Erben, der erst jetzt in der Lage ist, sein Erbrecht geltend zu machen, wieder angefochten wird. Da sind inzwischen die meisten Sachen verkauft, die Schulden bezahlt, die Forderungen einkassiert, und nun kommt der wahre Erbe, der sich irgendwo in der Fremde herumgetrieben hat, zurück und verlangt, daß alles wieder auf den Kopf gestellt werde. Meine Herren, das ist nicht zu ertragen; wer ein Recht hat, mag es zur rechten Zeit geltend machen, versäumt er es, so ist dasselbe verwirkt, wir können es ihm nicht für immer aufbewahren – Rechte gehören zu den Dingen, die wie das Obst das lange Liegen nicht vertragen.
»Ich finde das einem Kriegsgefangenen gegenüber, der erst nach Jahren aus der Gefangenschaft zurückkehrt, sehr unbillig,« konnte ich mich nicht enthalten einzuwerfen.
Die ganze Versammlung wandte ihre Augen auf mich, und erst daran merkte ich, wie sehr ich mich vergessen hatte.
Man sieht, entgegnete mir der Redner, zu mir gewandt, daß Sie, der Sie übrigens gar nicht berechtigt waren, hier das Wort zu ergreifen und nur so hier teilnehmen, ein Fremdling in Rom sind. Der Fall, den Sie da setzen, kommt bei uns in Rom ganz unendlich selten vor. Entweder sind die Verwandten in der Lage und geneigt, das Lösegeld für den Kriegsgefangenen zu entrichten, dann wird er sofort losgekauft, oder sie sind es nicht, dann kehrt er nie zurück; mir ist in meiner ganzen Praxis nur ein einziger Fall vorgekommen, daß ein Kriegsgefangener erst nach Jahren zurückkehrte, es war ein Mann aus der Plebs, der sich durch schlaue Flucht der Gefangenschaft entzogen hatte. Wegen solcher unendlich seltener und noch dazu fast nur in den niedersten Schichten der Plebs zu besorgender Fälle können wir uns von Maßregeln, die sonst geboten sind, nicht abhalten lassen. Sehen Sie sich gefälligst den Ausspruch von Celsus in l. 4 und 5 de leg. (l. 3) Ex his, quae forte uno aliquo casu accidere possunt, jura non constituuntur. Nam ad ea potius debet aptari jus, quae et frequenter et facile, quam quae perraro eveniunt. an, daraus können Sie sich über unsere Maxime belehren. Übrigens wird der Prätor sich später der Sache annehmen und dem Kriegsgefangenen restitutio propter absentiam verleihen, gegenwärtig ist das noch nicht an der Zeit, wir schreiben erst das 447 der Stadt, der Prätor darf sich das gegenwärtig noch nicht erlauben.
»Sicherlich nicht!« war das allgemeine Echo der Anwesenden, »damit würde die ganze Ordnung der römischen Rechtsgeschichte gestört werden; wir leben in der Zeit, von der es späterhin heißen wird: edicta praetoris nondum in usu habebantur.« Gajus IV, 11.
Weiter habe ich meinerseits, nahm Appius das Wort, nichts mehr hinzuzusetzen. Wünscht noch sonst jemand das Wort? Niemand. Dann bringe ich die Sache zur Abstimmung. – – Ich sehe, mein Antrag ist allgemein angenommen. – Freut mich, wird schon wirken. Ich hebe hiemit die Sitzung auf, verstatten Sie nur noch, daß mein Schreiber Flavius das Protokoll verliest. Flavius, verlesen Sie das Protokoll.
Damit war die Sitzung aus und ich sehe, meine Cigarre ist es auch. Bevor ich sie wieder anzünde und ein neues Bild aufsteigen lasse, benutze ich die Pause, um an das, was ich soeben gehört, einige Betrachtungen zu knüpfen.
Es ist, während ich Zeuge jener Scene war, der Plan in mir entstanden, Ihnen einmal einen Vortrag zu halten über die Tücke des alten römischen Rechts. In der Tat: tückische Leute diese alten römischen Juristen, damit können wir heutigen es nicht anfnehmen; man muß nach Nordamerika gehen, um ihresgleichen zu finden – ein echter amerikanischer Advokat steckt zehn von den unsrigen und hundert Professoren in den Sack. Der Kunstgriff, dessen sich Appius Claudius bediente, um das alte Institut unschädlich zu machen, erinnert an die Art, wie man es verhindert, daß das für technische Zwecke oder für den landwirtschaftlichen Gebrauch bestimmte Salz für den Hausgebrauch verwandt werde, man setzt Kohle oder irgend etwas anderes zu, was den Geschmack verleidet, oder, um den Kunstausdruck zu gebrauchen: man denaturiert es. In dieser Weise hat die alte römische Jurisprudenz die Occupation erbschaftlicher Sachen »denaturiert«, sie hat dafür gesorgt, daß das Volk, um die Sache in seiner Weise auszudrücken, fortan ein »Haar darin finde«. Als Superlativ dieser Wendung, der hier vielleicht am Platz wäre, habe ich dafür den Ausdruck »Perücke« gehört. Er war von einem alten burlesken Herrn, der die Ehe nicht von der verlockendsten Seite hatte kennen gelernt, und der, nachdem der Tod seiner Frau ihm die langentbehrte Ruhe und den Frieden im Hause zurückbeschieden hatte, die Aufforderung, sich doch wieder zu verheiraten, mit der stereotypen Wendung beantwortete: er habe nicht bloß ein Haar im Heiraten gefunden, sondern eine ganze Perücke.
Sie fragen mich: ob dies Haar nicht von allem Anfange in der usucapio pro herede lucrativa gewesen sein kann? Ich beantworte die Frage mit einem entschiedenen: Nein! Die Anwendung der Usukapion auf das unkörperliche Objekt der hereditas schließt eine Reife und Virtuosität der juristischen Abstraktion in sich, daß man sie unmöglich in die Urzeit versetzen kann; erblickte doch selbst noch ein Seneca in ihr eine Spitzfindigkeit der Juristen Seneca de beneficiis VI. 5. Jureconsultorum istae acutae ineptiae sunt, qui hereditatem negant usucapi posse, sed ea quae in hereditate sunt, tanquam quidquam aliud sit hereditas quam ea quae in hereditate sunt. . Bevor ein Jurist auf den Gedanken geraten konnte, den Begriff der Usukapion von den sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen auf das bloß vorgestellte, auf reiner Abstraktion beruhende Objekt der Erbschaft im technisch-juristischen Sinne zu übertragen, müssen beide Begriffe: die Usukapion wie die Erbschaft längst vollständig entwickelt, vollkommen ausgewachsen gewesen sein; die Übertragung kann erst in einer Zeit erfolgt sein, wo das abstrakte juristische Denken bereits einen hohen Grad der Ausbildung und Sicherheit erlangt hatte.
So bleibt denn, wenn das ganze Institut, worunter ich die Verbindung der Occupation und der Usukapion zur Einheit verstehe, nicht der Urzeit, sondern der Periode der Jurisprudenz angehört, nur die doppelte Möglichkeit übrig, daß entweder die Jurisprudenz dasselbe völlig neu eingeführt oder auf den längst vorhandenen alten Stamm der Occupation nur das neue Reis der Usukapion gepfropft habe. Ersteres ist die Ansicht von Gajus, über die ich mich bereits geäußert habe. Ich meine, man braucht sich die Sache nur einmal deutlich vorzustellen, um von ihrer Unmöglichkeit überzeugt zu sein. Jahrhundertelang hatte das römische Volk das Recht des berufenen Erben respektiert, jeder hatte gewußt, daß er sich an einem fremden Nachlaß nicht vergreifen dürfe, widrigenfalls ihn die Strafe des furtum treffe. Da ward auf einer vorgerückten Stufe der Kultur die occupatio und usucapio pro herede eingeführt, das heißt also: es ward die Erlaubnis zum Plündern fremder Erbschaften erteilt und zu dem Zweck die Bestimmung in Bezug auf das darin gelegene furtum zurückgenommen, und dies lediglich eines Zweckes halber, den man in anderer Weise ungleich sicherer und leichter hätte erreichen können. Die Ansicht von Gajus ist um nichts besser, als wenn nach Jahrtausenden ein der Geschichte unkundiger Jurist, der in Urkunden des achtzehnten Jahrhunderts das Strandrecht erwähnt gefunden hätte, während ihm keine Zeugnisse dafür aus früherer Zeit vorgekommen wären, die Behauptung aufstellen würde: das Strandrecht sei erst im achtzehnten Jahrhundert eingeführt worden, früher sei es unbekannt gewesen. Das Strandrecht unserer Vorfahren wie das erbrechtliche Occupationsrecht der Römer waren Reste der Roheit der Urzeit.
Stammt also unser Institut als einheitliche Schöpfung weder aus der Urzeit noch aus der Periode der Jurisprudenz, so erübrigt als dritte Möglichkeit nur noch diejenige Ansicht, die ich für die allein mögliche halte: verschiedener zeitlicher Ursprung der beiden Seiten des Instituts. Die eine: die straflose Occupation der erbschaftlichen Sachen (womit sich vielleicht die Usukapion des Eigentums verband) bildet den ursprünglichen Stamm des Instituts, sie ist ein Überbleibsel aus der Urzeit, die andere: die Usukapion der Erbschaft enthält einen neuen Zusatz zu demselben.
Nun will ich keineswegs bestreiten, daß auch andere Gründe, als das eben von mir dem Appius Claudius in den Mund gelegte Motiv der Abschreckung von der Aneignung fremder Erbschaften zu dieser Veränderung mitgewirkt haben können, so insbesondere der Wunsch, bei Zweifelhaftigkeit der Erbansprüche möglichst rasch einen Zustand der Sicherheit zu gewinnen, so ferner die Absicht, der Enge des alten Intestat-Erbrechts, bei der der Fall einer völligen Erblosigkeit nicht selten vorkommen mochte, dadurch Abhilfe zu gewähren, daß den nicht durch das Gesetz, aber durch die Volksstimme berufenen bloßen Blutsverwandten (Kognaten) damit ein gesetzlicher Zugang zur Erbschaft eröffnet werde. Was ich behaupte, ist nur, daß die Aussicht, als Usukapient der Erbschaft möglicherweise für die Schulden der Erbschaft haften zu müssen, eine abschreckende Wirkung ausüben mußte. Ward der Usukapient Erbe, so verstand sich seine Haftung für die Schulden und sacra von selbst.
Es wird nicht bemerkt, daß diese Folge bloß dann eingetreten sei, wenn die berufenen Erben die Erbschaft ausgeschlagen hatten, wir werden sie daher auch für den Fall annehmen müssen, daß sie dieselbe angetreten hatten. Ebensowenig wird bemerkt, daß der Occupant nur im Verhältnis zur Wertquote der Sache Erbe geworden sei, was ja auch der Grundanlage des römischen Erbrechtes widersprochen hätte, da dem letzteren zufolge die Quoten der Erbschaft sich bekanntlich nicht nach den Sachen richten, die dem Erben wirklich zuteil werden. So mußte, wer auch nur das kleinste Stück aus der Erbschaft entwandt hatte, gewärtigen, daß nach Ablauf des Jahres Gläubiger und Pontifices ihn als Erben auf das Ganze in Anspruch nahmen.
Die Erbschaft war damit zu einem noli me tangere gemacht, mit einer unsichtbaren Schutzwehr versehen, unter Umständen einer ungleich wirksameren, als sie ihr durch die actio furti gewährt worden wäre. Wer Sachen stahl, konnte das Maß seiner Haftung im Falle der Entdeckung übersehen, es betrug im ungünstigsten Falle das vierfache, im günstigen Falle das Doppelte des Werts der Sache. Wer sich dagegen auch nur die unbedeutendste Sache aus einer ihm nicht gehörigen Erbschaft aneignete, konnte den vermeintlichen Gewinn möglicherweise mit dem Verluste seines ganzen Vermögens büßen.
Habe ich jetzt noch nötig, Ihnen den Mechanismus meiner Mausefalle des alten Erbrechts zu explizieren? Die Erbschaftssachen bildeten den Speck – wer sie nahm, die Maus – der Satz, daß er Erbe ward, den Schnepper, der ihn festhielt.
Aber die bisher geschilderte Gefahr war nicht die einzige, welcher der Occupant sich aussetzte, es gesellten sich noch andere dazu. Es war ein tückisches Institut diese usucapio pro herede lucrativa, bei dem jeder sich vorsehen mochte. Betrafen ihn die Angehörigen oder die Gläubiger bei dem Versuch, sich etwas anzueignen, so durfte er sich nicht beklagen, wenn sie ihn einfach aus dem Hause warfen, und gar mancher mochte statt mit den gehofften Sachen mit Schlägen und Beulen nach Hause zurückkehren. Und wenn es ihm geglückt war, sich die gewünschte Beute ungefährdet zu verschaffen, so war es keineswegs sicher, daß er mit der bloßen Restitution derselben an den Erben davon kam. Hatte letzterer, ohne daß ihm dies bekannt geworden, die Erbschaft angetreten und in Besitz genommen, so enthielt fortan jede Besitzaneignung der Sachen durch einen Dritten ein furtum. Traf ihn der Erbe dabei, so war es ein furtum manifestum, im andern Fall ein furtum nec manifestum; im ersten Fall hatte er seinen Versuch mit dem vierfachen, im zweiten mit dem Doppelten des Werts zu büßen. Daß man ihn in alter Zeit mit der Ausrede gehört haben würde: er habe von der Besitzaneignung des Erben nichts gewußt, möchte ich bezweifeln Die abweichende Behandlung in Bezug auf den Irrtum über den Tod des Testators in l. 83 pr. de furt. (47.2) dürfte vor den Augen der alten Juristen schwerlich Gnade gefunden haben – wohin hätte man mit der Zulassung solcher Ausflüchte gelangen müssen?. Aussicht auf unsanfte Zurückweisung, Prügel, Beulen – das duplum, quadruplum – Haftung für die Schulden und die sacra – – in der Tat ein hoher Einsatz für die usucapio pro herede. Gajus nennt sie lucrativa – ich meine, in manchen Fällen hätte sie mit mehr Recht den Namen: luctuosa verdient!
Eben dies Übermaß der Strenge und Gefährlichkeit scheint den späteren Römern wie so manche kaptiöse Institute des älteren Rechtes so auch dieses verleidet zu haben. Gajus berichtet uns, daß man später den Gesichtspunkt der Usukapion der Erbschaft habe fallen lassen und dieselbe auf die der erbschaftlichen Sachen beschränkt habe. Über den Grund dieser Veränderung fügt er nichts hinzu, er stellt die Sache so dar, als sei es ein theoretisches Bedenken der Juristen gewesen, welches diesen Umschwung bewirkt habe (» postea creditum ipsas hereditates usucapi non posse«), womit er sicherlich ebensowenig das Richtige getroffen hat, als mit seiner oben erörterten Ansicht über den Grund der Einführung des Instituts.
Damit hatte die Entwickelung des Institutes ihren Höhepunkt erreicht, es war das goldene Zeitalter der usucapio pro herede. In dieser Gestalt verdiente sie in der Tat den Namen: lucrativa, man konnte, soweit dies faktisch möglich war, unbesorgt zugreifen, und ward einem die Sache nicht etwa innerhalb des Jahres vom Erben wieder abgejagt, so hatte man sie in der Tat lukriert, völlig umsonst bekommen. Selbst bei Grundstücken behauptete sich das von der Usukapion der Erbschaft hinübergenommene Jahr. Diesen Zustand der Sache hatte ich bei meiner Elegie über die Herrenlosigkeit der Sachen Nr. I der Bilder aus der römischen Rechtsgeschichte S. 127. im Auge, und Sie werden das lebhafte Interesse, mit dem ich mich dort über die usucapio pro herede aussprach (S. 134), verstehen: in meinen jungen Jahren habe ich für kein Institut des römischen Rechtes so geschwärmt, wie für dieses – wie sehr habe ich die Römer darum beneidet, daß sie pro herede usukapiren konnten, wie gern hätte ich es getan!
Aber dem Schönen ist auf Erden kein langes Dasein beschieden.
Die entartete Kaiserzeit hatte kein Verständnis für den sinnigen, naivgemütlichen Charakter der usucapio lucrativa, sie stempelte das Aneignen aus fremden Erbschaften zu einem Diebstahl unter anderem Namen: dem crimen expilatae hereditatis, und so nahm ein Institut von römischer Erde Abschied auf Nimmerwiedersehen, dessen erste Anfänge in die Urzeit hinaufreichen, und das sich dann, einen zweimaligen Umbildungsprozeß bestehend, mit der unverwüstlichen Lebenskraft römischer Institutionen fernerhin behauptet hatte.
Eine Stelle von Cicero Cicero de legib. II. C 19-21. setzt uns in Stand, noch eine eigentümliche Entwickelungsphase des Instituts zu konstatieren, die auf dem Boden des geistlichen Rechtes spielt. In Bezug auf die Haftung des Erbschafts-Usukapienten für die sacra hatten die Pontifices eine Bestimmung eingeführt – ob sofort bei Erstreckung der usucapio pro herede auf das Erbrecht oder erst später, wissen wir nicht, jedenfalls aber datiert sie, da Cicero des Coruncanius gedenkt, schon aus dem Anfang des sechsten Jahrhunderts der Stadt, – sie hatten also, sage ich, eine Bestimmung eingeführt, die von den seitens der Juristen für die Rechtsstellung des Erben festgehaltenen Grundsätzen principiell abwich, und die darin bestand, daß der Usukapient zu jenen Lasten nur unter der Voraussetzung herangezogen werden sollte, daß kein Erbe vorhanden war, bei einer Mehrheit der Usukapienten nur derjenige, der das meiste usukapiert hatte. Welche Rücksichten dabei maßgebend gewesen sind, vermögen wir nicht zu bestimmen, jedenfalls waren dabei die auf dem Gebiete des weltlichen Rechts befolgten juristischen Grundsätze außer acht gelassen worden, denn ihnen zufolge verteilte sich die Haftung für die Schulden des Erblassers auf sämtliche Erben, es mußten mithin nicht bloß in dem Falle, wenn gar kein Erbe angetreten hatte, sämtliche Usukapienten haften, nicht bloß derjenige, der das meiste usukapiert hatte, sondern selbst dann, wenn die eingesetzten Erben angetreten hatten, denn auch die Usukapienten waren Erben geworden; aus welchem Grunde, ob durch Testament, Gesetz oder Usukapion, war gleichgültig. Daß die Usukapienten neben den Erben nicht haften sollten, war in dem Normativ der Pontifices, welches die verschiedenen Klassen der für die sacra haftbaren Personen feststellte, nicht ausdrücklich gesagt, allein es ergab sich daraus, daß sie hinter den Erben genannt wurden. In der ursprünglichen Fassung jenes Normativs an zweiter Stelle ( si majorem partem pecuniae capiat, wobei in Gedanken zu ergänzen: usu), in der neuen Fassung an dritter Stelle (mit deutlicherer Bezeichnung: qui de bonis ... usu ceperit plurimum possidendo); für unseren Zweck ist diese Verschiedenheit ohne Bedeutung.
Die Bestimmung, daß derjenige, der das meiste usukapiert habe, haften solle, konnte in der Praxis zu großem Streit führen. Wer hatte das meiste usukapiert? Man müßte nichts von den alten Römern wissen, wenn man annehmen wollte, die Pontifices hätten sich in einem Normativ, das sie selber aufstellten, einen Beweis aufbürden wollen, den sie vielfach gar nicht in der Lage gewesen sein würden zu erbringen, der aber unter allen Umständen ein höchst lästiger, unbequemer, weitaussehender gewesen wäre. Der Sinn der Bestimmung kann nur folgender gewesen sein: Wer von den Pontifices gegriffen ward, konnte sich seinerseits befreien, wenn er den Nachweis erbrachte, daß ein anderer mehr usukapiert hatte als er. Es war die potioris nominatio des späteren Vormundschaftrechts, welche es dem von der Obrigkeit als Vormund Gegriffenen überläßt, denjenigen zu nennen, der, wie wir uns auszudrücken pflegen, »näher dazu« ist – die Befreiung von eigener Haftung, wie sie dem Königszeugen in England und dem index im römischen Quästionenprozeß zuteil ward, man kann sagen: eine Denuncianten-Prämie. Dadurch ward dafür gesorgt, daß die Vorgänge bei der Occupation von Erbschaften ans Tageslicht kamen – Einer denunzierte den anderen, es kam nur darauf an, einen einzigen zu fassen, das Knäuel nur bei irgend einem Punkt in die Hand zu bekommen, dann rollte es sich von selber ab.
Obschon eingeführt lediglich für die sacra, hatte die Bestimmung doch auch für die Gläubiger einen außerordentlich hohen Wert. Jede neue Denunciation verschaffte ihnen einen neuen Schuldner, das officielle Untersuchungsverfahren, wie wir es einmal nennen wollen, nach dem Verbleiben der erbschaftlichen Gegenstände vor dem geistlichen Gerichte lieferte ihnen das Beweismaterial für die demnächstige Durchführung ihrer Ansprüche im Wege des Civilprozesses. Abermals eine jener schlauen Einrichtungen des alten Rechtes, von denen ich Ihnen noch viele Beispiele geben könnte, unfehlbar in ihrem Erfolg und unanfechtbar in ihrer Berechtigung, denn wer hätte den Pontifices das Recht bestreiten wollen, auf dem ihrer Obhut anvertrauten Gebiet der sacra diejenigen Bestimmungen zu treffen, die sie für angemessen hielten? Und auch hier die Tücke wiederum unter der Maske der Milde, der Nachsicht. Was entsprach derselben mehr, als daß man es mit Kleinigkeiten nicht so genau nahm und in Umkehr unseres heutigen Satzes: die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen, die großen fing und die kleinen laufen ließ? Wer das meiste zu sich genommen hatte, mochte die Zeche bezahlen, das Naschen der anderen ward nicht weiter beachtet, es ging in deren Rechnung mit ein. Aber wer hatte das meiste genommen? Damit war das gegenseitige Denunzieren in Scene gesetzt.
Jenes pontificische Normativ über die sacra enthielt in seiner neuen Fassung noch eine Bestimmung, welche ebensowenig wie die soeben von mir erörterte bisher ihr richtiges Verständnis gefunden hat. Dieselbe legte an vierter Stelle demjenigen die Haftung auf, » qui de creditoribus plurimum servet«. Man hat nicht recht gewußt, was man daraus machen sollte. Unmöglich kann der Sinn der Bestimmung der gewesen sein, daß derjenige von den erbschaftlichen Gläubigern, der, wie wir sagen würden, im erbschaftlichen Liquidationsprozeß den höchsten Betrag ausgezahlt erhält ( plurimum servet in diesem Sinn), die sacra zu übernehmen hatte. Denn da alle Gläubiger im Verhältnis ihrer Forderungen zu gleichem Procentsatz befriedigt wurden, so war derjenige, der das meiste bekommen, zugleich derjenige, der das meiste eingebüßt hatte, und unmöglich konnte man ihm, der, statt etwas aus dem Nachlasse zu profitieren, umgekehrt noch verloren hatte, die sacra auferlegen – möglicherweise hätte er dann noch zuzahlen müssen! In dieser Verlegenheit hat Savigny eine Emendation des Textes bei Cicero vorgeschlagen. Statt: qui de creditoribus plurimum servet, soll man lesen: qui creditoribus plurimum servet und darunter den bonorum emtor verstehen, der den Gläubigern das höchste Gebot getan und darauf hin den Zuschlag erhalten hat. Als ob das Unrecht gegen die Gläubiger, das in Heranziehung einer insolventen Masse zu den sacra liegen würde, dadurch vermieden würde, daß man die Haftung dem bonorum emtor auferlegte, der natürlich bei seinem Gebote für die Masse den kapitalisierten Betrag für die sacra in Rechnung stellte und ihn nach Art der Überwälzung der indirekten Steuern durch ein um so viel vermindertes Gebot für die Masse auf die Gläubiger übertrug.
Die Sache ist ganz einfach. Denken wir uns den Fall praktisch, daß jemand im alten Rom gestorben wäre, dessen Nachlaß voraussichtlichermaßen zur Deckung der Schulden nicht ausreichte, und den daher auch kein Erbe in Besitz nahm, was werden die Gläubiger getan haben? Sicherlich haben sie die Hände nicht in den Schoß gelegt! Das Korrekte wäre gewesen, gemeinsame Maßregeln zu ihrer Sicherung zu treffen, etwa eine Vertrauensperson zu ernennen (den späteren » magister« des prätorischen Edikts: » per quem bona veneant«, Gaj. III. 79), dem die Sorge für die Bewachung der Masse und alles weitere überwiesen ward. Es konnte aber auch ein Gläubiger auf die Idee verfallen, Der Fall wird in den Pandekten erwähnt in l. 95, § 8 de solut. (46. 3). für sich allein zu sorgen und Sachen in Besitz zu nehmen, um sich zu sichern: » servare«. Die technische Bedeutung des » servare« in diesem Sinne ist bekannt, ich erinnere an die cautio legatorum servandorum causa, die missio creditorum rei servandae causa l. 1, l. 8. Quib. ex c. (42. 4), l. 1, § 9. Si quis omissa (29. 4) ... crediti servandi causa venisse in possessionem, während die Savigny'sche Erklärung des servare im römischen Sprachgebrauch nicht den mindesten Anhalt findet. Welche Stellung sollte das Recht zu ihm nehmen? Zweifellos mußte es ihn durch Androhung eines empfindlichen Nachteiles davon abzuschrecken suchen. Aber welchen Nachteil? Das Präjudiz der Usukapion der Erbschaft wie bei dem gewöhnlichen Occupanten erbloser Sachen? Für ihn paßte dasselbe offenbar nicht, denn er hatte, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf, nicht pro herede, sondern pro creditore occupiert, er wollte sich nicht aus der fremden Erbschaft bereichern, sondern er hatte nur ein Pfand aus der Masse genommen, das der Erbe, wenn er demnächst antrat, auslösen mochte. Aber verleiden mußte man ihm doch die Sache, und dafür sorgten die Pontifices, indem sie denjenigen, » qui de creditoribus plurimum servet«, d. h. das meiste zu seiner Sicherstellung zur Seite geschafft hatte, eventuell zur Bestreitung der sacra heranzogen. Damit war auch hier wiederum von der gegen jeden Widerspruch gedeckten Position des geistlichen Rechtes aus eine Einwirkung auf das Civilrecht ausgeübt, welche letzteres alle Ursache hatte dankbar anzuerkennen. »Wer von den Gläubigern sich einseitig der Nachlaßsachen seines Schuldners bemächtigt,« lautete der Satz, »läuft Gefahr, für die sacra einstehen zu müssen; hat ein anderer dasselbe getan, so kann er dadurch, daß er nachweist, jener habe noch mehr beiseite geschafft, sich der Haftung entziehen.«
Völlig gleichgültig dafür war es, ob er seinen Zweck, sich auf Kosten der anderen Gläubiger Deckung zu verschaffen, erreicht hatte oder nicht; auch wenn sie ihm die Sachen sämtlich wieder abgejagt hatten, blieb er in der Schlinge, in der er sich einmal gefangen, haften, es hieß nicht: » qui servaverit«, sondern: » qui servet«, d. h. wer sich aneignet; was später geschehen, kommt nicht in Betracht. Darum bedurfte es auch nicht des Ablaufes eines Jahres, wie bei der Usukapion der Erbschaft. Wie fälschlich und ohne Anhalt in den Quellen Leist in seiner Fortsetzung der Glück'schen Pandekten, Serie der Bücher 37 und 38, Theil 1, Erlangen 1870, S. 202, annimmt. Wozu auch? von einer » usucapio pro creditore« ist dem Rechte nichts bekannt.
Mochte nun ein Gläubiger viel oder wenig aus dem Nachlaß sich angeeignet haben, konnte er nicht nachweisen, daß ein anderer mehr genommen hatte, so haftete er, denn wenn niemand etwas genommen, so ist auch derjenige, welcher nur um eines Pfennigs Wert sich angeeignet: » is, qui plurimum servet«. Hatten andere dasselbe getan, so öffnete sich ihm der oben besprochene Weg der Denunciation, um die Last von sich auf die anderen zu wälzen, die mehr genommen hatten. Auf diese Weise kam auch hier Licht in die Sache, die ehrlichen Gläubiger, welche sich jedes Eingreifens enthalten hatten, erfuhren, wo die Nachlaßsachen geblieben waren, und an welche Personen sie sich zu wenden hatten – das geistliche Gericht lieferte ihnen die Adressen.
Ob nun die im Bisherigen geschilderte Rückwirkung des geistlichen Rechtes auf das Civilrecht, sowohl im Fall der usucapio pro herede, als in dem der occupatio der Gläubiger, eine bloße Folge – Reflexwirkung, wie ich sie zu nennen pflege – oder Absicht, Zweck war, darüber will ich mich mit niemandem in einen unfruchtbaren Streit einlassen. Ich meinerseits nehme ersteres an, aber da ich weiß, daß ich viel eher Aussicht habe mit meiner Ansicht durchzudringen, wenn ich auf den Widerspruchsgeist als auf die Zustimmung der Leute rechne, so behaupte ich hiermit letzteres und erwarte jetzt, daß ich von dem nächsten, der über die usucapio pro herede schreibt, eines Besseren werde belehrt werden. Wäre ich doch bereits früher so klug gewesen, die neuen Ansichten, die ich aufzustellen gedachte, als von irgend einem gegen mich geäußerte, völlig unhaltbare zu widerlegen – da hätte ich ihnen leichter Eingang verschafft!
Meine Cigarre geht zu Ende, ich bin genötigt, meinen Vortrag zu schließen.
Aber etwas führe ich noch bei mir, das ich Ihnen mitteilen muß, da es eine direkte Bestätigung meiner Ansicht über den kaptiösen Charakter der usucapio pro herede lucrativa enthält. Es ist die Abschrift eines erst in jüngster Zeit entdeckten, auf unseren Gegenstand sich beziehenden wertvollen Stückes aus dem römischen Altertum. Im vorigen Jahre hat man im Vatican in einem Codex rescriptus der Septuaginta ( F. 115) auf einem Blatte, das den Psalm 137 enthält, den darunter befindlichen Grundtext wieder hergestellt und darauf ein einzelnes Stück aus einer größeren in lateinischer Sprache abgefaßten Sammlung von Hymnen und Gesängen entdeckt. Der Gesang, der auf unserem Blatte steht, ist als Nr. 34 aufgeführt und trägt die Überschrift: » Carmen creditorum debitoris sine herede defuncti.« Ein wunderbares Zusammentreffen des Zufalls hat es gefügt, daß der obere und untere Text in ihrer Fassung in einer Weise übereinstimmen, daß man auf die Idee geraten könnte, der eine sei dem anderen nachgebildet, jedenfalls ist die Übereinstimmung der beiden ersten Verse ganz überraschend, und in der Handschrift decken sie sich sogar äußerlich, der eine steht über dem einen, der andere über dem anderen. Nur darin findet eine Abweichung statt, daß der untere Text den Jubelgesang der römischen Gläubiger, der obere Psalm dagegen das Trauerlied der gefangenen Juden in Babylon enthält.
Ich setze Ihnen die ersten Verse des Psalms hin, damit Sie sich von der Übereinstimmung überzeugen können; den lateinischen Text habe ich frei übersetzt, herausgegeben ist er zur Zeit noch nicht.
Psalm 137. Der gefangenen Juden Jammerlied.
Hymnus 34. Der Gläubiger Jubellied.
Damit schließt der Gläubiger Jubelgesang. Ich schlage vor, ihn den erbrechtlichen Psalm oder das hohe Lied von der Mausefalle des alten Erbrechts zu nennen.
Juristische Blätter 1880 Nr. 23-27.
Sie fragen an, ob ich verstummt bin? Es fehlt wenig daran. Ich bin eingeschüchtert worden, ich wage kaum noch, meine Plaudereien in bisheriger Weise fortzusetzen. Es ist mir zu Ohren gekommen, daß meine Plaudereien in gewissen Kreisen Anstoß erregt haben, und ich besitze sogar ein direktes Zeugnis dafür aus Prag, worin der Verfasser sich redlich bemüht, mir die bittersten Dinge zu sagen. Da der Umstand, daß der Verfasser seinen Namen nicht genannt hat – er unterzeichnet sich kollektiv als »die bisherigen Leser der Juristischen Blätter« –, mich der Möglichkeit beraubt, ihm auf privatem Wege eine Mitteilung zu machen, so benutze ich die gegenwärtige Gelegenheit, ihn in Kenntnis zu setzen, daß ich nicht in Gießen, wohin er seinen Brief gerichtet hat, sondern in Göttingen wohne. Hätte die Postbehörde in Gießen meinen gegenwärtigen Aufenthaltsort nicht besser gekannt als er, sein Brief wäre nie in meine Hände gelangt, und ich wäre dadurch um die Kenntnis des Eindrucks gekommen, den meine Plaudereien bei den »bisherigen Lesern« Ihrer Blätter in Prag hervorgerufen haben. Der Briefsteller, der in ihrem Namen das Wort ergreift, hat offenbar den besten Willen, mir recht widerwärtige Dinge zu sagen, und sein Brief würde nichts zu wünschen übrig lassen, wenn sein Witz auf derselben Höhe stände mit seinem guten Willen. Nach der Probe, die er mir davon gegeben, begreife ich es, daß er an meinen Plaudereien keinen Gefallen finden kann, es würde mir ganz ebenso gehen, wenn ich in seiner Haut steckte. Es fällt mir dabei die Antwort ein, die ein witziger Kopf erteilte, als man in seiner Gegenwart einen anderen einen Kopfhänger nannte: »Wenn ich einen solchen Kopf hätte, ließe ich ihn auch hängen!« – Hätte ich einen solchen Kopf wie mein Anonymus aus Prag, die Welt wäre bei mir vor den Plaudereien eines Romanisten ebenso sicher gewesen, wie sie es bei ihm sein wird.
Wäre nur er es allein, der an denselben Anstoß genommen, ich würde die Sache nicht so ernst nehmen, allein es sind seiner Unterschrift zufolge Ihre sämtlichen Abonnenten in Prag, die mir durch ihn den Absagebrief haben zukommen lassen, und ich halte mich in Ihrem Interesse verpflichtet, Sie nicht durch Fortsetzung meiner Plaudereien in Gefahr zu bringen, Ihre Prager und sonstigen gleichgestimmten Abonnenten einzubüßen. Sie dürfen die Sache nicht zu leicht nehmen. Ihre Abonnenten haben einmal den Anspruch auf wöchentliche Verabreichung der bisherigen gewohnten juristischen Hausmannskost, und Sie dürfen ihnen nichts vorsetzen, was auf diese Bezeichnung keinen Anspruch hat. Wollen Sie also, wie ich aus Ihren Mahnbriefen an mich entnehme, daß die bisher unterbrochenen Plaudereien eines Romanisten fortgesetzt werden, so bleibt, um den Interessen und dem Geschmacke der beiden Leserkreise Ihres Blattes, von denen der eine auf der bisherigen soliden Verpflegung besteht, der andere aber sich neben derselben auch einmal leichtere Kost gefallen lassen will, gerecht zu werden, nichts übrig, als von jeder Nummer Ihres Blattes eine Doppelausgabe zu veranstalten, die eine mit, die andere ohne meine Plaudereien. Der Zweck dieser Zeilen besteht darin, Ihnen im Interesse Ihres Blattes die Annahme dieses meines Vorschlages dringend ans Herz zu legen. Eine derartige Doppelausgabe eines und desselben Blattes ist nicht ohnegleichen. Es gab eine Zeit, wo eine unserer ersten deutschen Zeitungen von jeder Nummer zwei Ausgaben veranstaltete, die eine für das Österreich Metternich's: zahm, harmlos, unschädlich; die andere für die übrige Welt: minder ängstlich und diätetisch eingerichtet. Auch die Literaturgeschichte weiß von Fällen zu berichten, wo Exemplare eines und desselben Werkes für gewisse Personen, in deren Hände sie gelangen sollten, verschieden gedruckt wurden. Ein Verfasser, der den Wunsch hegte, mehreren Personen sein Werk zu dedizieren, aber nicht in Gemeinschaft, sondern jeder einzelnen für sich, löste diese scheinbar unlösbare Aufgabe dadurch, daß er für jedes der Dedikations-Exemplare ein besonderes Dedikationsblatt drucken ließ, auf dem nur der Name desjenigen prangte, dem er es überreichte – eine sinnvolle Imitation der Korreal-Obligation auf dem Gebiete der Literatur, die aber, sollte sie ihren Zweck erreichen, voraussetzte, daß kein correus von dem anderen Runde erhielt, was in jenem Fall nicht zutraf. Sie Ihrerseits würden bei der zu veranstaltenden Doppelausgabe nicht so behutsam zu Werke zu gehen brauchen. Kündigen Sie dieselbe öffentlich an und überlassen Sie es jedem Ihrer Kostgänger, sich die seinem Geschmack entsprechende zu wählen.
Meine briefliche Mitteilung ist hiemit beschlossen; wir verfügen uns beide in die goldene Ente und setzen dort unsere Plaudereien fort, wenn sie etwas ernster ausfallen sollten, als bisher, so schieben Sie es auf die gedrückte Stimmung, in die mich das obige Schreiben versetzt hat.