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Deutsche Gerichtszeitung 1861, Nr 85.
Daß Sie verschiedentlich nach meinem Namen gefragt sind, rechne ich mir, daß Sie das Geheimnis so treulich bewahrt haben, Ihnen zur Ehre an. Ich wünsche zwar, daß Sie dasselbe auch fernerhin bewahren, allein ich scheue mich doch nicht, unaufgefordert den Schleier des Inkognito etwas zu lüften, indem ich im folgenden Ihnen meine juristische Laufbahn schildere, aus der vielleicht der eine oder andere von meinen Bekannten mich erraten wird.
Welche schöne Zeit meines Lebens, als ich noch mit jugendlicher Begeisterung, um nicht zu sagen: an den Brüsten der Wissenschaft, an den Lippen meines Lehrers Puchta Fingiert; ich habe Puchta nie gehört, durch seine Werke hat er allerdings mehr auf mich gewirkt, als irgend ein anderer. hing, durch dessen Mund Gajus, Paulus, Ulpianus und so viele andere große und kleine Propheten des corpus juris täglich zu mir redeten, und mir dem Namen nach bekannter wurden, als alle Juristen der Gegenwart, mit Ausnahme von ihm selber. Jener Begeisterung und der Beharrlichkeit, mit der er täglich uns Zuhörer mit Pandektenstellen versorgte, welche die wenigsten von uns nachschlugen, habe ich es zu danken, daß ich frühzeitig in den Besitz eines corpus juris geriet, daß ich die jugendliche Schüchternheit und das geheimnisvolle Grauen, mit dem dieses in Schweinsleder gebundene Stück des Altertums mich erfüllte, überwand und mich herzhaft in die dunklen Schachte der civilistischen Weisheit hineinwagte, schon damals als unpraktisch verschrieen bei meinen Bekannten. Statt mit ihnen in den Tönen von Mantius, suchte ich auf einsamem Zimmer meinen Genuß in den Stipulationen, Testamenten, Klagen von Titius, Mävius, Aulus Agerius, und wie sonst die dramatischen Figuren der Rechtsfälle der Pandekten und Gajus' heißen; die Quellen, aus denen ich schöpfte und meinen Durst stillte, waren Rechtsquellen, statt in Kroll's Wintergarten ging ich in die Bibliothek, die Gefährten, mit denen ich zurückkehrte, waren Ulpiani fragmenta, Gaji Institutiones u. a., lauter getragene Größen. Mehr und mehr fühlte ich, daß diese Gesellschaft mehr für mich gemacht sei, als die meiner Kameraden, mehr und mehr umstrickte mich der Zauber des römischen Rechts, und eines Tages stand es plötzlich klar vor meiner Seele, daß meine Zukunft der Wissenschaft gehöre – der künftige Theoretiker war konzipiert.
Schon regte sich in mir der Drang theoretischen Schaffens; wie in einem Glase Champagner perlten und stiegen die Ideenbläschen zu theoretischen Taten in mir auf, Interpretation einer lex damnata, Leben und Schriften von Quintus Mucius Scävola, Nexum, lex Pesulania de cane, Vadimonium, Praedes, servitus luminum – welche Fülle der anziehendsten Probleme umgaukelte mich! Da fügte mein böser Genius, daß ich an einem Thema haften blieb, das wahrhaft verhängnisvoll für mich werden sollte – – eine Aufgabe, die mich beinahe um meinen Verstand gebracht hätte, schließlich aber doch nur eine geringere, wenn auch für mich sehr schmerzliche Einbuße: die meiner theoretischen Zukunft, für mich zur Folge hatte.
Nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest.
Diese wenigen Worte bilden den Wendepunkt meines Lebens, ohne sie würde jetzt vielleicht mein Name, statt in vergänglichen, bald reponierten Akten, auf unsterblichen theoretischen Schriften figurieren. Einer gewöhnlichen hausbacknen Juristenseele fehlt völlig das Verständnis für die Tiefe oder Höhe des Problems, das jener Satz in sich schließt, und es mußte erst Hegel geboren und ihm in Gans ein Schüler erweckt werden, der als der Winfried seiner dialektischen Methode unter die Juristen ging, damit ihnen verkündet wurde Gans in seinem »Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwickelung«, Bd. 2, S. 451 ff., daß nur die philosophische Spekulation jenen Satz zu ergründen vermöge, sintemalen »der Verstand sich eine unnütze Mühe gibt, wenn vom Auffassen des substantiellen Geistes die Rede ist.« Jener Satz enthält »den ganzen Gedanken des römischen Erbrechts«, dieser Gedanke war aber der der römischen Geschichte überhaupt, der Gegensatz des abstrakt Allgemeinen und der Persönlichkeit, der Kampf eines strengen und freien Prinzips, »deren Schicksal es ist, einander gegenüber verdammt zu sein, – die Familie und das Recht des Individuums haben gegeneinander die Stellung feindlicher Mächte, wovon jede die andere zu überwältigen hat, und deren Vereinigung und Versöhnung nur die Folge der gegenseitigen Erschlaffung ist.«
Ergriffen von der Erhabenheit dieses Gedankens, sollte ich es in noch ungleich höherem Grade werden durch einen Aufsatz, den Huschke Huschke über die Rechtsregel: Nemo pro parte etc. Rhein. Museum VI, Nr. 8. über unsern Gegenstand geschrieben, und an dem ich zuerst jener Höhe der Auffassung, deren das römische Recht fähig ist, und des beschränkten Maßes meiner Kräfte innewerden sollte, wegen des bestimmenden Einflusses, den derselbe auf mein Leben ausgeübt hat, muß ich mir erlauben, die Hauptpartien mitzuteilen.
»Wenn der Mensch stirbt, so geht seine Person mit dem persönlichen Recht in das heilige Recht über, wird Dii Manes; seine vermögensrechtliche Persönlichkeit dagegen bleibt im jus humanum zurück und bildet die hereditas; diese ist demnach von der lebenden Person nur darin verschieden, daß sie die vermögensrechtliche Person von der wirklichen getrennt darstellt und als solche eine Sache bildet.«
Mit diesem Satz berührt unser Schriftsteller noch mit einem Fuß die Erde, dann aber reißt er sich von derselben auch mit letzterem los und erhebt sich, einem kühnen Luftschiffer gleich, mehr und mehr in die Regionen der Abstraktion, in jene Regionen, wo nichts den trunkenen Geist mehr an die Erde erinnert, und er sich badet im reinen, klaren Gedankenäther. Die Vererbung, dieser ziemlich nüchterne Vorgang auf Erden, erscheint ihm jetzt bereits als »eine vermögensrechtliche Fortpflanzung der Familie, die ebenso, wie die Zeugung in einem Aufgeben des persönlichen oder Gattungsdaseins in ein neues Gattungsglied besteht, ein Aufgeben des individuellen nur noch im Vermögen wirksamen Daseins in ein anderes Individuum ist; jene fällt in die Akme, diese in das Ende des menschlichen Lebens. Die Zeugung ist die sterbende Gattung, die Erbschaft das sterbende Individuum. Sowie jene in einem Sohne stirbt, so dieses auch im Erben. Da aber das vermögensrechtliche Dasein nicht weniger lebendig ist, als das gewöhnliche, so ist auch die Vererbung nicht anders denkbar, als so, daß in demselben Moment, wo dieses vermögensrechtliche Dasein als solches – gleich einem Samen – sich trennt, es auch in der neuen Persönlichkeit aufgenommen werde; denn fiele beides auseinander, so wäre es nicht mehr etwas Lebendiges, was mitgeteilt würde, es gliche einem separierten, aber nicht empfangenen Samen, der keine Zeugung bewirken kann. Die Vererbung kann nur die familia, nicht eigentlich die hereditas treffen, weil diese einen bereits Verstorbenen voraussetzt und daher etwas Unlebendiges ist.«
Es stört im Grunde den Eindruck und beweist nur, daß der Verf. sich noch nicht hoch genug erhoben hat, um die wirkliche Welt mit ihren praktischen Fragen ganz aus den Augen zu verlieren, wenn er sich die Frage aufwirft, wie denn die hereditas angetreten werden könne; wir hätten es als eine Tat philosophischer Unerschrockenheit anerkannt, wenn er die Möglichkeit der Antretung völlig geleugnet hätte. Er löst jenes Rätsel in folgender Weise: »Was vom Erblasser als familia hinterlassen wird, ist nach der Seite der Erben hin hereditas.«
Verstatten Sie mir von jetzt an einige Auslassungen und namentlich auch das Weglassen der Gänsefüße, die schon ihres Namens wegen etwas Anstößiges für mich haben, und die ich bei so tiefsinnigen Ideen doppelt Anstand nehme zur Einfassung zu verwenden. Familia und hereditas sind dieselbe Sache und sind es auch nicht, je nachdem man die Sache ansieht. Sie sind dasselbe dem Objekt nach, sie sind verschieden der Richtung nach. Das Objekt ist die Vermögensfreiheit des Erblassers; aber gleichwie die Gegenwart zugleich als die Vergangenheit beschließend und die Zukunft beginnend betrachtet werden muß, wie sie auch mit ihrem der Vergangenheit zugewandten Momente d. i. ganz in die Zukunft übergeht, so wird auch die vom Erblasser als familia hinterlassene Vermögensfreiheit vom Erben als hereditas begriffen; indem er sie aber als solche ergreift, hat er sie zugleich als familia. Somit ist also auch die hereditas nichts Unlebendiges, sondern nur die unlebendigere, nach einer Wiederbelebung sich sehnende Seite dessen, was zugleich hinter sich die lebendigere der familia hat.
Diese letzteren Sätze sind es, welche den oben angedeuteten Einfluß auf mein Leben ausgeübt, und mittelst deren der Huschke'sche Aufsatz sich für mich zu einem Schlagbaum gestaltet hat, der mir den Zugang zur theoretischen Laufbahn für immer versperrte. Sie zu ergründen, jenes rätselhafte Gebilde der hereditas zu verstehen, die halb der belebten, halb der unbelebten Natur angehört, von vorne Erbschaft, von hinten Erblasser ist – ein würdiges Seitenstück zu dem Wesen der Sphinx, welches des Morgens vierbeinig, mittags zweibeinig, abends dreibeinig war – das war die Aufgabe, die ich mit krampfhafter Anspannung meiner Geisteskräfte zu lösen suchte. Hatte ich bei Tage mich bemüht, durch Heranziehung verschiedener Gegenstände des gewöhnlichen Lebens, welche ebenfalls von verschiedenen Seiten verschiedene Dinge repräsentieren, z. B. von der einen Seite einen Löffel, von der andern eine Gabel, meiner Vorstellung mit einigem Erfolg, wie ich glaubte, zu Hilfe zu kommen, so erschien mir nachts im Traum ein phantastisches Bild der hereditas, das aller Vergleichungen und sinnlichen Anknüpfungspunkte spottete, und hinter ihm der tiefsinnige Urheber desselben, ganz in der Gestalt der Sphinx, und sich anschickend, mich, wie letztere es einst gewohnt war zu tun, in den Abgrund zu werfen, wenn ich das Rätsel nicht löste. Einst in einer angstvollen Nacht glaubte ich es gelöst zu haben, ich hatte die hereditas unter Händen, sie war leblos, kalt, feucht anzufühlen; aber indem ich im Triumph mich ihrer bemächtigen wollte, zuckte es in ihr, das Phantom ward lebendig, richtete sich auf und schnellte mich mit einem mächtigen Stoß und den Worten zurück: »Elender Tropf, glaubst Du das Wesen der hereditas mit Händen greifen zu können. Bevor Du nicht die Sklavenketten des Verstandes zerbrochen hast, wirst Du mich nimmer erschauen!«
Am folgenden Morgen lag ich in wilden Phantasien, vom heftigsten Fieber geschüttelt, auf dem Krankenlager, die Ärzte zweifelten, ob es bloße Gehirnentzündung oder Wahnsinn sei, – von der eigentümlichen Krankheitsform, die mich befallen hatte: dem spezifisch juristischen Delirium hatten sie keine Ahnung. Sie wissen, wie lange ich damals gelitten, und wie mir noch als Rekonvalescenten der bloße Name hereditas oder familia den Angstschweiß austrieb, wie sodann die Ärzte, als sie mich für geheilt erklärten, mir die Fortsetzung meiner Dissertation für immer verboten und mir, wenn mir mein Verstand lieb sei, abrieten, Theoretiker zu werden, welchem Rate ich um so weniger Widerstand entgegenzusetzen vermochte, als ich die Wahrheit der obigen Behauptung von Gans, »daß der Verstand sich unnütze Mühe gibt, wenn vom Auffassen des substantiellen Geistes die Rede ist«, an mir selbst in abschreckendster Weise erfahren hatte.
So sagte ich der hereditas und der Theorie Valet, ohne daß ich in meinem Studium der obigen Abhandlung nur bis zu dem Punkte gelangt wäre, wo der wahre Grund der Regel: Nemo pro parte u. s. w. in so überzeugender Weise entwickelt wird: »Wenn jemand sich selbst einen Erben ernennt, so ist es wiederum diese Person, welche diesen Akt vornimmt. Also fallen in dem Akt der Erbesernennung Subjekt und Objekt in eins zusammen, die familia will sich dem Erben übertragen, sie vererbt sich selbst. Wenn so Testator und Erbschaft sich indifferenzieren, so folgt, daß auf dieselbe Weise, wie die Erbschaft objektiv unteilbar ist, auch der subjektive mit ihr zusammenfallende Wille unteilbar, mithin die Konkurrenz eines andern Willens mit sich ausschließend sei.«
Jene Zeit mit ihren Schmerzen liegt lange hinter mir, und ich hielt die Erinnerung daran für völlig abgestorben, aber neulich wachte sie mit vermehrter Festigkeit wiederum in mir auf, als ich das neueste römische Erbrecht ( Vering, Röm. Erbrecht in historischer und dogmatischer Entwicklung. Heidelberg 1861) in die Hände bekam.
Wie mir zu Mute sein mußte, als ich es las, kann nur der begreifen, der ein Lotterielos, auf das später der höchste Gewinn gefallen ist, bereits besessen und als wertlos weggeworfen hat. Die Ideen nämlich, die dieser Schriftsteller ausspricht, habe ich bereits besessen, und hätte nicht die unselige Furcht, darüber meinen Verstand einzubüßen, mich abgehalten, sie auszuarbeiten und zu veröffentlichen, so trüge jenes Werk statt seines Namens jetzt den meinigen an der Spitze. Gerade so, wie er die hereditas schildert, erschien mir dieselbe in jenen Zuständen erhöhter Geistestätigkeit, die nur ein Arzt mit dem Namen Fieber-Phantasien belegen kann, – und hätte ich einen Stenographen an meinem Bette sitzen gehabt, um meine Selbstgespräche aufzuzeichnen, jener Schriftsteller hätte sich seine Mühe sparen können.
Mit Recht hat derselbe statt des völlig abgenutzten Ausdrucks » hereditas« den von Huschke noch mit einer gewissen Schüchternheit gebrauchten der » familia« als stehenden benutzt; bleibt auch die Sache dieselbe, so gibt dieser neue Name ihr doch ein ganz anderes Relief, ungefähr wie der Ausdruck Diner in Anwendung auf ein dürftiges Mittagessen; die Sache wird dadurch geadelt, aus der Sphäre der gemeinen Vorstellung, des bürgerlichen Lebens, in die der exklusiven Gesellschaft gehoben, und den Uneingeweihten wandelt unwillkürlich das Gefühl der eignen Unkenntnis und des Staunens über die Fortschritte der Wissenschaft an. Wenn ihm jemand den Satz: »die Obligation ist nach R. R. vom Subjekt untrennbar«, damit erklären wollte, daß sie mit dem Subjekt unzertrennlich zusammenhänge, so würde diese Tautologie ihm schwerlich einen großen Respekt abnötigen; wenn aber der Verf. (S. 101 Note 2) die Erklärung so faßt: »es sei durch die Obligation die familia, die Rechtspersönlichkeit, verstrickt, berechtigt oder verpflichtet worden«, so macht dies unverkennbar einen ganz andern Effekt. Die familia nun, dieses »unsterbliche Wesen« (S. 89), verschafft dem Erben »das commercium des Erblassers« (S. 88), die »private Rechts fähigkeit desselben« (S. 103), – ein unschätzbarer Dienst, gegen den die Verschaffung des Vermögens, in der unsereiner den Vorteil der Erbschaft erblickt, in nichts zusammenschrumpft, namentlich für einen Erben von minderer Rechtsfähigkeit, der dafür die höhere des Erblassers eintauscht. Diese Persönlichkeit ist unteilbar, wie »alle Freiheit, jedes lebende Wesen und alles, was juristisch den Charakter einer Persönlichkeit hat«, und selbst die »eine, ungeteilte Sonne, welche ihre Strahlen nach verschiedenen Seiten hin sendet, (ohne daß sie selber sich zersplittert)«, muß mit diesem ihrem Licht das Dunkel der Unteilbarkeit der » familia« erhellen (S. 108). Der glückliche Doppelsinn dieses Ausdruckes (als Nachlaß und Familie) macht es denn auch sehr leicht, den Beweis zu führen (S. 115), daß »der Erbe als Familienglied gilt, indem er ja die familia defuncti in sich aufnimmt und demgemäß in das innigste Verhältnis zum Erblasser tritt«, und die aus dem Begriff und Wesen des Erbrechts sich ergebende » Naturnotwendigkeit« der fingierten Persönlichkeit der hereditas jacens so wie den Schlüssel zum gesamten römischen Erbrecht in einer Eigentümlichkeit des römischen Familienrechts zu finden.
Nachdem ich mich in meinem praktischen Beruf bereits gegen alle Anfechtungen durch die hereditas gesichert fühlte, führte mir das Schicksal in Gestalt des mich mit Novitäten versehenden Buchhändlers ein Werk in die Hände, das die Ihnen bisher geschilderte Episode meines Lebens erst zum wahren Abschluß gebracht hat und mich, indem ich es las, alle Schauer des Spiels unheilvoller Schicksalsmächte empfinden und das geheimnisvolle Rätsel des eigenen Lebens erkennen ließ. Dies Werk ist der zweite Teil des kürzlich in Leipzig unter dem pseudonymen Namen Ferdinand Lassalle erschienenen »Systems der erworbenen Rechte«, betitelt: »Das Wesen des römischen und germanischen Erbrechts in historisch-philosophischer Entwicklung.«
Ich habe den Verf. mit leiblichen Augen nie gesehen, aber ich kenne ihn so gut wie mich selbst, denn ich habe ihn in mir getragen, ihn mit meinem Herzblut gesäugt – er ist Ich selbst – mein Doppelgänger! Sie kennen doch das schaurige Sujet, welches Hoffmann in seinen Elixieren des Teufels behandelt, jene psychologisch so tiefe Idee der zwei Naturen im Menschen, von denen die eine sich losreißt von der andern und als Doppelgänger leibhaftige Gestalt annimmt, um, was in der Seele der einen bloß als sündhafte Regung, als Gedanke auftaucht, als Tat lebendig zu machen. Jenes verruchte Treiben des wahnsinnigen Mönchs, jene Spukgestalt des Bruders Medardus, jenes haarsträubende Begegnen der Doppelgestalten – ich weiß jetzt, warum es mich seit fünf Jahren mit so unwiderstehlichem Grausen erfaßte, – an mir selbst sollte sich diese Tragik des Doppelgängers wiederholen! In jener schreckensvollen Nacht, die ich geschildert, als ich, zerknirscht über die Erfolglosigkeit des bloßen Verstandes-Denkens, auf mein Lager zurücksank, fühlte ich einen stechenden Schmerz, als würde mir gewaltsam aus dem Gehirn die pia mater oder das große Gehirn herausgezogen. Was sich damals von mir ablöste, war das spekulative Denken, mein Doppelgänger, der sich jetzt anstatt mit meinem Namen pseudonym Ferdinand Lasalle nennt – was mir zurückblieb, womit ich fortan allein zu vegetieren verdammt war, war der arme, nüchterne, bornierte Verstand. Befreit von dem Joche des Verstandes, unter dem er mich zurückließ, im Besitz des Organs, das allein das Wesen der Dinge zu erkennen vermag, war es freilich nicht zu verwundern, daß an meinem Doppelgänger sich die Verheißung der hereditas verwirklichte, und daß sie ihm sich enthüllte. Wie ein Blinder, der nach langer Nacht das Augenlicht erhält, jauchzt und jubelt er auf über die Kraft seines Auges, über die Herrlichkeit der hereditas, die ihm erschienen, zuerst erschienen, denn »nicht bloß dieses und jenes einzelne, sondern gerade ebenso das Einzelne wie das Ganze des röm. Erbrechts ist bis auf den heutigen Tag ohne Ausnahme völlig mißverstanden und unerkannt geblieben – ein unenträtseltes Geheimnis« (S. 8). Selbst der Kirchenvater Clemens von Alexandrien hat sich für das Wesen des römischen Mancipationstestaments (die geistige Fortsetzung eines Individuums durch ein anderes) »ein viel tieferes Verständnis gerettet als alle Juristen miteinander« (S. 152). Auch »Gans mußte den Geist des Erbrechts verfehlen, weil auch er noch die Seele von den empirischen Auffassungen des Erbrechts nicht hinreichend gereinigt hatte« (S. 11), von Huschke ganz zu geschweigen, dessen obiger Aufsatz »eine der größten und anerkennenswertesten Zermarterungen des denkenden Verstandes ist, dem Begriff ohne begriffliches Denken nahe zu kommen, und daher das ewige Schicksal der angestrengtesten Verstandesreflexion teilt, ihn gerade immer da, wo sie sich ihm am meisten genähert zu haben scheint, wieder am vollständigsten zu verfehlen und einen Schatten zu umarmen« (S. 488). Der Aufsatz »gleicht dem beständigen Versuche eines Menschen, fliegen zu wollen ohne Flügel, einem Aufschwunge, bei dem er immer schwerer auf die Füße wieder zurückfallen muß. Es ist der rastlose Anprall des Verstandes gegen die Eisenstäbe seines Käfigs, ein Anprall, bei dem er aber nur ein rasselndes Geräusch erregt und diese Eisenstäbe nicht zu erschüttern vermag« (S. 495). Wer kennte diesen Zustand besser als der Verf., wenn ihm sonst noch eine Erinnerung an die Qualen und Martern bewahrt geblieben ist, die er vor seiner Trennung von mir zu bestehen hatte? – was ich um so weniger bezweifle, als nach ihm die mit der Suität gegebene »seiende Willenseinheit (des Erben und Erblassers) als unmittelbar gegebene bis in den Uterus zu dringen und die Person bis in die Anfänge ihres Personseins hinein zu ergreifen vermag« (S. 240). Daher eben jener glühende Haß gegen den Verstand, jene souveräne Verachtung desselben, zugleich aber auch jene genaue Kenntnis seines Wesens, die ihn in den Stand setzt, durch eine Zergliederung des Aufsatzes von Huschke einen »Beitrag zur Physiologie des Verstandes zu liefern, der in der juristischen Materie ausschließlicher als irgendwo wütet und von jeher – seit dem Untergange Roms – gewütet hat« (S. 514). Welch' wunderbar entwickeltes Organ er besitzt, um auch das kleinste Minimum dieses juristischen Ods, auf größten Raum verteilt, zu spüren, zeigt schlagend der Umstand, daß er gerade den Huschke'schen Aufsatz auserlesen hat, um an ihm seinen »Sektionsprozeß« durchzuführen, und daß schon der Verstand dieses Schriftstellers ihm »als der höchste, sein Scharfsinn als der begabteste und normalste« erscheint. Er spricht demselben nämlich von den von ihm entdeckten 3 Sorten des Verstandes die dritte und höchste zu. »Es gibt, sagt er, drei Sorten von Verstand. Der eine ist der, der immer nur die eine Seite der Sache sieht – dies ist der beschränkte Verstand. Eine Species desselben wird der beschränkte Untertanenverstand sein – er sieht die Sache bloß von seiten des Rechts an. Der andere Verstand ist derjenige, welcher entwickelt genug ist, um beide Seiten der Sache zu sehen, aber sie immer nur abwechselnd, nie gleichzeitig sieht. Dies ist der gebildete, entwickelte Verstand. Da er die beiden Seiten der Sache nur abwechselnd sieht, so fühlt er ihren Widerspruch nicht, er lebt daher mit Gott und der Welt zufrieden, vor allem mit sich selbst, stellt jede Seite der Sache in einen besondern Winkel und vergißt jedesmal die eine ganz, wenn er die andere braucht und hervorholt. Der seltenste und höchste Verstand ist der, welcher gleichzeitig beide Seiten der Sache sieht, eben deshalb aber auch ihren Widerspruch fühlt. Da er ihn fühlt, so bildet er seine Marter und darum vollzieht sich gerade an diesem höchsten Verstande jenes Strafgericht« (welches der Verf. seiner Zeit, als er noch als spekulativer Bruder Medardus von mir beherbergt wurde, zu bestehen hatte und darum so ergreifend wahr zu schildern imstande ist). – – »Er will den Widerspruch, da er ihn in der Sache nicht versöhnen kann, mindestens mit Worten verlöschen, und nun beginnt jene wilde Jagd der Worte, aus jeder noch so verwischten Fassung derselben schallt ihm aus der Tiefe seines Gewissens aufs neue das gelle Hohngelächter des einmal erkannten Widerspruchs entgegen – – er rennt sich mit allem Hin- und Herzerren den Marterpfahl des Widerspruchs nur um so tiefer in den Leib – – und wenn er zuletzt endlich atemlos, schweißtriefend, zitternd die tolle Jagd aufgeben muß, so ist es nur die Verzweiflung an der unmöglichen Aufgabe, die ihn bestimmt u. s. w.« – kurz ganz sein und mein Martyrium in der von mir geschilderten Nacht.
Dank seiner genauen physiologischen Kenntnis des Verstandes ist es dem Verf. gelungen, diesen Giftstoff von seinem Buch so fern zu halten, daß ich auf den ganzen 608 Seiten desselben auch nicht eine Spur davon entdeckt habe, und es bestätigt nur meine Behauptung, wenn er, der den positiven Juristen jedes Organ für das wahre Verständnis des Erbrechts abspricht, gleichwohl ihnen » verbürgen zu können glaubt, daß keiner auch nur die ersten 20 §§ gelesen haben wird, ohne eine zwingende Überzeugung sich seiner bemächtigen zu fühlen, die sich immer mehr und mehr zu einer unerschütterlichen Positivität gestalten wird« – der positive Jurist, der zuerst für blind erklärt wird, soll sehen können!
Machen Sie jetzt an sich die Probe, ob Sie das Organ in sich tragen, diese »Versöhnung Daß Ihr Setzer bei diesem Wort statt des »s« nicht etwa ein »h« nimmt! des positiven Rechts und der Rechtsphilosophie«, wie das Werk sich auch betitelt, zu verstehen.
»Der durch das Christentum proklamierten Unendlichkeit des Subjekts geht in der Geschichte voraus eine andere, äußerlichere Unendlichkeit des Subjekts, die des subjektiven Willens (d. h. nach S. 223 die Möglichkeit, eine andere Person als das Dasein des eigenen Willens zu setzen, die Willensidentität, subjektive Willensunsterblichkeit); das macht die Bedeutung des röm. Erbrechts und des römischen Geistes überhaupt aus. Die römische Unsterblichkeit ist das Testament (S. 25). Letzteres ist die Weise, in welcher die Unendlichkeit des Subjekts dem römischen Geiste aufgegangen und von ihm erobert worden ist. Dieser Triumph der reinen Willensfreiheit, der abstrakten Innerlichkeit, befähigte das Römertum, die unmittelbare dialektische Vorstufe für die noch tiefere und abstraktere Innerlichkeit des christlichen Geistes zu werden. Die geistige Unsterblichkeit in ihrer römischen Auffassung ist die unmittelbare Vorstufe der christlichen Unsterblichkeit (S. 223). Die Endlichkeit überwindet der Wille dadurch, daß er eine andere Person zu seinem Fortsetzer und Träger macht (S. 25). – Die wahre Bedeutung des Testaments liegt nicht sowohl darin, daß eine Verfügung über die hinterlassenen Vermögenssachen getroffen, sondern daß ein Willenssuccessor geschaffen wird – in der Hervorbringung der Willenskontinuität« (S. 28). Dem Verfasser ist das Vermögen so sehr Nebensache, daß der »Testator auf den Erben nicht sein Vermögen, sondern, auch wo beides zusammengeht, nur seinen Willen (und ersteres lediglich als Accessorium des letzteren) vererbt«, während nach der gegnerischen Auffassung »das Vermögen die Person verschlungen haben soll« (S. 17). Darum läßt er auch (S. 116) beim Mancipationstestament »nicht Vermögen, noch Sache, sondern die Willenssubjektivität des Erblassers dem Erben mancipieren«, darum ist es auch, wenn der im Testament eingesetzte nächste Intestaterbe die Erbschaft aus dem Testament ausschlägt, um sie ab intestato, frei von Legaten, zu gewinnen, nicht die Rücksicht auf die Legatare, welche ihm dies gesetzlich verwehrt – »das ist wieder die Täuschung, der Schein« – sondern die Rücksicht auf den Testator, damit er die »ihm adäquateste, von ihm ausdrücklich gesetzte Willenserhaltung« gewinne (S. 245). Denn mit dem Intestaterbrecht ist es eigentlich nichts Rechtes, die gewöhnliche Ansicht über das Verhältnis desselben zum testamentarischen Erbrecht, welche ersteres als das Prinzipale, letzteres als die Abweichung erfaßt, stellt einen »der radikalsten und größten Irrtümer dar« (S. 27). Das wahre Verhältnis ist gerade das entgegengesetzte: das Ursprüngliche, Normale ist das Testament, »das Intestaterbrecht tritt nur als ein mit dem individuellen willen Identisches, als dieser vorausgesetzte Wille ein, als Ergänzung des eignen nicht ausgedrückten Willens des Individuums« ( voluntas tacita) (S. 386). Zu den Intestaterben gehört nicht der suus – er ist ein Mittelding zwischen Testaments- und Intestat-Erben, die Unmittelbarkeit der Willensidentität (S. 25t) oder »begrifflich gesprochen, ein lebendiges Testament« (S. 403). Daß wenn der nächste Agnat ausschlägt, keine successio graduum et ordinum eintritt, ist eine spekulative Notwendigkeit, denn »nicht die Individuen erben, sondern die Idee dieser Willensgliederung erbt und das Individuum nur sofern es derzeitige Repräsentant derselben ist« (S. 421). Der Unterschied in den Wirkungen der Präterition eines zu den suis gehörenden Sohnes und eines Enkels oder einer Tochter nach altem Rechte ist ebenfalls »einer der glänzendsten Beweise für die fast wunderbare spekulative Konsequenz des alten Civilrechts« (S. 261), denn die Tochter z. B. ist zwar ebenfalls, »als in der Gewalt des Vaters stehend, Willensidentität mit ihm und, als unvermittelt in diesem Verhältnis, unmittelbare Identität – – aber sie ist doch nicht totale Identität mit ihm, wie der Sohn« (S. 257).
Doch genug zur Probe, vielleicht schon mehr als zu viel! Darf ich mir schließlich noch erlauben, die Moral aus dem Bisherigen zu ziehen, so fasse ich sie in zwei Sätze zusammen:
1. Das alte römische Erbrecht ist das verwirklichte Reich des spekulativen Gedankens. Alles und jedes, was dasselbe bestimmt und nicht bestimmt, hat und nicht hat, läßt sich auf spekulativem Wege entwickeln; und, wäre uns kein Wort davon erhalten, Lassalle hätte es auf apriorischem Wege entdeckt. Der Eintritt der Testierfähigkeit mit der Geschlechtsreife (»die Hervorbringung des eignen Ichs ist es, die bei dem Testieren und dem Zeugen geschieht, dort die geistigwillkürliche, hier die natürliche [S. 165],« wofür sich die Verwandtschaft der testiculi mit dem testari verwenden ließe!), die Suität (»es ist daher der Triumph des spekulativen Begriffs, wenn aus ihm sich spielend und von selbst die Bedeutung entwickelt, welche dieser bisher rätselhaften Bestimmung der Suität zukommt« S. 226), die Folgen der Präterition der Söhne, Töchter, Enkel, das Erbrecht des proximus agnatus, die Ausschließung der successio graduum et ordinum, kurz nennen Sie mir, was Sie wollen mit Ausnahme der Einrichtungen des späteren Rechts, bei denen man sich freilich darauf gefaßt machen muß, »den gesamten spekulativen Erbrechtsbegriff zu Grunde gehen und in menschliche Billigkeit untergehen« (S. 158) zu sehen – alles und jedes ist für den, dem es einmal gelungen, »dem Erbrecht den verhüllenden sinnlichen Schleier abzureißen und feine reine Seele durch das Stoffliche hindurch zur durchsichtigen Erscheinung zu bringen« (S. 5), wahres Kinderspiel.
Die fernere Moral aber ist
2. daß dem Verstande das Verständnis für diese erhabensten Offenbarungen der Spekulation völlig abgeht. Wie sollte er es z. B. auch begreifen (und wäre er selbst der Verstand No. 3), daß wenn von zwei elternlosen noch im Stadium des Saugens begriffenen Zwillingen einer stirbt und von dem andern ab intestato beerbt wird, dieser Vorgang spekulativ folgende Gestaltung annimmt? Der nach Unsterblichkeit des Willens oder Willenskontinuität schmachtende Erblasser hat durch stillschweigenden Willensakt ( tacita voluntas, s. oben) sich seinen Bruder als »das Dasein des eignen Willens gesetzt«. Nachdem er auf diese Weise die »Endlichkeit überwunden«, wenn auch mit Hilfe des »allgemeinen Willens«, und noch einen dankbaren Blick auf seinen neben ihm saugenden, von ihm durch einen Stellvertreter gezeugten Willensträger geworfen, schlummert er sanft ein und zieht sich befriedigt in den substantiellen Urstoff zurück!
Ich glaube der vollen Zustimmung dieses Schriftstellers sicher zu sein, wenn ich mich schließlich so ausdrücke: die Spekulation fängt da an, wo der gesunde Menschenverstand aufhört; um sich ihr widmen zu dürfen, muß man entweder nie Verstand gehabt oder ihn verloren haben. Welche von beiden Alternativen für den Verf. zutrifft, ist durch meine Schilderung seiner ursprünglichen Identität mit mir ins klare gesetzt. Zugleich wissen Sie jetzt, warum, nachdem meine spekulative Hälfte als Ferdinand Lassalle von mir abgegangen und mir nur die Verstands-Hälfte zurückgeblieben war, ich genötigt gewesen, der Theorie zu entsagen und mich auf die Praxis zu werfen. Von meinen Erfahrungen und Erlebnissen in derselben soll der nächste Brief handeln.