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[Die Volkmar'schen Anträge über die Reform des juristischen Studiums und Examens]

Fünfter Brief.

Deutsche Gerichtszeitung, Jahrgang V, 1863, Nr. 35 und 36.


Die Volkmar'schen Anträge über die Reform des juristischen Studiums und Examens.

Zum Verständnis der beiden folgenden Briefe halte ich es für nötig, die Volkmar'schen Anträge hier abdrucken zu lassen.

Antrag des Justizrat Volkmar in Berlin für den 4. deutschen Juristentag. (Mainz 1863.)

»Der Juristentag wolle als seine Überzeugung aussprechen:

Das juristische Studium auf den Universitäten bedarf einer weitern Entwicklung. Diese anzubahnen erscheinen folgende Maßregeln geeignet:

1. Die Exegese und die juristische Literaturgeschichte ist mehr zu berücksichtigen, als dies bisher geschehen.

2. Bei der Besetzung der Professuren ist auch auf die praktische Vorbildung des Docenten Gewicht zu legen.

3. Es ist durch eine juristische Klinik den Bedürfnissen der Praxis zu genügen.

4. Die Studienzeit ist auf einen vierjährigen Zeitraum auszudehnen.

5. Ein einziges Examen genügt. Bei diesem wirken in gleicher Zahl als Examinatoren mit:

a) die Docenten der Fakultät ohne Unterschied zwischen den ordentlichen und außerordentlichen Professoren und den Privatdocenten,

b) die Mitglieder der Gerichte,

c) die Mitglieder des Barreau.

Die Personen der Examinatoren wechseln.

6. Die collegia publica sind ein wesentliches Moment des Unterrichts.

7. Die Lernfreiheit ist so notwendig als die Lehrfreiheit. Es fällt daher fort:

jeder Kollegienzwang, jedes Monopol der Landesuniversität,

jede Verkümmerung des privatdocententums.«

Aus den Motiven glaube ich Folgendes hervorheben zu sollen.

»Wie viele Praktiker, denen Zeit und Umstände verbieten, die Privatcollegia zu besuchen, wären eifrige Zuhörer eines Publicum, das Belehrung, Anregung gewährt. Just die Publica sollen dem Docenten den Anlaß bieten, daß er das docendo discimus praktisch anwendet und dort Dinge behandelt, die ihm bis dahin nicht völlig bekannt, nicht hinreichend klar geworden. Er liest im Dio 60. 33, wie Claudius den Julius Gallicus, weil er vor des Kaisers Tribunal mit Offenheit und Freimut gesprochen, ohne weiteres in die Tiber werfen läßt, wie Domitius Afer um deswillen seinen Beistand mit den Worten versagt: Wer sagt Dir, daß ich ein besserer Schwimmer sei als Gallicus? – und er beschäftigt sich in einem Publicum mit den Advokaten.

In Macrob liest er die Worte: Ego taceo, non est enim facile in eum scribere, qui potest proscribere etc., er sucht publice das Problem der Staatsanwaltschaft zu lösen.«


Sie haben Recht, mein Bester: die Volkmar'schen Anträge schlagen ganz in meine Aufgabe hinein, und ich sollte die gute Gelegenheit, die sie mir bieten, mich auch darüber auszusprechen, wie und wo es besser werden müsse mit unserer Jurisprudenz, um so eher benutzen, als ich bisher bloß die bequeme Rolle eines ewigen Tadlers übernommen habe, und bereits Stimmen laut werden, mit meiner Kritik sei's doch nichts Rechtes, sie verhalte sich rein negativ. Was man von einem Tadler verlangen kann, ist, wenn auch nicht, daß er selber es besser mache – denn das pflegen die Tadler einmal nicht zu tun – aber doch, daß er mindestens angebe, wie andere es besser machen sollen. Und welch günstigerer Zeitpunkt ließe sich für mich denken, als gerade der jetzige, wo die »Gesamtkraft der deutschen Juristen«, wie der Antragsteller den deutschen Juristentag nennt, sich anschickt, sich um die Jurisprudenz kein geringeres Verdienst zu erwerben, als die fast gleichzeitig in Frankfurt tagende Gesamtkraft der deutschen Fürsten um das deutsche Vaterland? Wohl uns, daß wir leben in einer Zeit, wo solche Dinge vor sich gehen, glücklich jeder, der berufen ist, seine Stimme mit zu erheben und selber mit Hand ans Werk zu legen, – und Verachtung jedem, der aus Bequemlichkeit oder Ängstlichkeit sich dem entzieht.

Und dennoch – ich will es Ihnen nur gestehen – habe ich anfänglich gezögert und geschwankt, Ihrer Aufforderung zu entsprechen. Der Volkmar'sche Antrag ist mir nämlich um einige Jahre zu früh gekommen; er versetzte mich in die Lage eines Jägers, dem das lang ersehnte Wild in den Schuß kommt, bevor er noch geladen hat. Herr Volkmar steht bereits bei meinem letzten Brief, ich selber aber erst beim fünften. Oder wenn Ihnen dies unklar sein sollte: ich meinerseits beschäftigte mich immer noch mit den Symptomen, den Krankheitsursachen und der Natur des Übels, während jener Antrag bereits die Heilung desselben: die Kurmethode zur Frage stellt. Es ist dies eine verdiente Strafe für meine Langsamkeit. Hätte ich das Ihnen versprochene Dutzend Briefe in rascherer Folge erscheinen lassen, so könnte ich jetzt bereits mit dem elften fertig sein und beim zwölften im Thema mit dem Herrn Volkmar zusammentreffen. Aber die Ereignisse warten nicht, zumal wenn es, wie hier, eine Frage gilt, die der Antragsteller mit Recht als brennend bezeichnet, – brennend auch in dem Sinn, daß mancher sich die Finger daran verbrennen kann. In wenig Tagen gelangt dieselbe in Mainz zur Verhandlung, und will ich, der ich diesmal leider verhindert bin, den Juristentag zu besuchen, mit meinem zwölften Briefe nicht post festum erscheinen, einen historischen Moment verpassen, wie er vielleicht sich nie im Leben wiederholt, so muß ich trotz aller systematischen Bedenken mit meinem zwölften Briefe schon jetzt heraus. Macht's doch mancher Arzt nicht besser! Sollte er doch, um ein Heilmittel anzuwenden, eigentlich erst mit seiner Prognose und Diagnose vollständig abgeschlossen haben, über die Natur der Krankheit völlig mit sich im Reinen sein. Aber der Patient wartet nicht, er will ein Mittelchen, und so verschreibt man ihm Lakritzenwasser oder sonst etwas.

Sehr viel mehr als Lakritzenwasser kann auch ich Ihnen diesmal nicht bieten; nicht sowohl darum, weil ich selber nichts anderes hätte – ich könnte zur Not noch etwas Besseres auftreiben, – als weil derjenige, der es nehmen soll, augenblicklich nicht in der Verfassung ist, etwas anderes zu vertragen. Wer wird in Mainz neben all den Freuden und Herrlichkeiten, die seiner dort warten, die Lust haben, einen ernsten Brief über die Volkmar'schen Anträge zu lesen, namentlich, da er dort schon mehr zu lesen vorfinden wird, als ihm lieb ist? Soll daher mein diesmaliger Brief nicht demselben Schicksal anheimfallen, dem manche von den Drucksachen, die sie dort wie gewöhnlich mit freigebiger Hand ausstreuen werden, schwerlich entgehen dürften, dem Schicksal, in dem sich die Notwehr des Lesers gegen die Überschwemmung mit Preßerzeugnissen vollzieht, nämlich ungelesen bei Seite geworfen zu werden, so bleibt mir kein anderes Mittel, als ihn der Stimmung und den Verhältnissen, die in Mainz in jenen Tagen sich voraussetzen lassen, anzupassen. Er muß so abgefaßt sein, daß er gleich dem Branntwein, von dem es in jenem bekannten Verse heißt:

Daneben soll der Branntewein
Um Mitternacht nicht schädlich sein,

auch mitternachts, wenn ein ehrsames Juristentags-Mitglied nach vollbrachter Arbeit des Tages mit schweren Füßen und verdunkeltem Bewußtsein sein Lager aufsucht, zur Hand genommen werden kann.

Warum aber überhaupt ein Brief? Die Tage in Mainz sind dem lebendigen Wort gewidmet. Schon lange verspürte ich den Drang in mir, auch einmal auf dem Juristentage eine Rede zu halten, um gleich so manchem Kollegen ruhmbedeckt von dort zurückzukehren und in den stenographischen Berichten meinen Namen noch der fernsten Nachwelt aufbewahrt zu sehen. Leider fehlte mir bisher nur die Eigenschaft, die manche in so beneidenswertem Maße besitzen, – der Mut, oder richtiger, er kam mir stets zur Unzeit, denn mein Entschluß, mich zum Wort zu melden, fiel bisher regelmäßig mit jenem kritischen Moment zusammen, wo jene ehrenwerten Mitglieder des Juristentages, denen jede Sitzung zu lang und jede gesellige Zusammenkunft zu kurz dauert, bereits das verhängnisvolle Wort: Schluß, Schluß! gerufen hatten, in welches den Protokollen zufolge sich ihr ganzer Anteil an der Debatte zusammenfassen läßt. Aber diesmal sollen sie mich nicht abhalten! Ich melde mich gleich im Anfang zum Wort.

Präsident. Der Unbekannte hat das Wort.

Der Unbekannte. Meine Herren! Nach dem vortrefflichen Vortrage, den wir soeben aus dem Munde des Herrn Piepmeier vernommen, ist es kein Leichtes für mich, das Wort zu ergreifen und noch dazu über eine Frage, deren Bedeutung ich nicht überschätze, wenn ich sie als eine Lebensfrage für unsern Beruf und unsere Wissenschaft bezeichne. Es hieße Ihre Geduld auf die Probe setzen, wenn ich auf diejenigen Punkte zurückkommen wollte, die der Herr Vorredner bereits in einer Weise entwickelt hat, die allen späteren Rednern die Möglichkeit, etwas Besseres oder auch nur etwas Neues zu sagen, abschneidet. Ich werde mich daher auf solche Punkte beschränken, die er weniger eingehend berührt hat.

Die Tendenz des Volkmar'schen Antrages läßt sich mit einem Wort als juristische Zuchtveredlung bezeichnen. M. H.! Gestehen wir es uns offen: unsere Zucht ist schlecht! Ich hätte gewünscht, daß auch der Herr Antragsteller den Mut gehabt hätte, dies offen auszusprechen, anstatt es uns bloß erraten und zwischen den Zeilen lesen zu lassen. Man kann den Pelz nicht waschen, ohne ihn naß zu machen, – eine trockene Wäsche ist bis dato noch nicht erfunden, und wer reformieren will, soll nicht mit Fingerspitzen und Glacéhandschuhen, sondern mit derber Faust die Sache anfassen; am wenigsten aber soll ein solcher, wie es der Herr Antragsteller am Ende seiner Motive tut, sich mit der Versicherung verabschieden, daß er »seine Anträge nach allen Seiten gern preisgebe, wenn u. s. w.«

Unsere Zucht also ist schlecht, aber sie muß, und sie kann veredelt werden. Wer fühlte sich nicht gleich mir von dieser freudigen Zuversicht durchdrungen, wenn er auf die Erfolge blickt, von denen die Zuchtveredlungsversuche auf Gebieten gekrönt worden sind, die tief unter dem unsrigen stehen? Was den Landwirten gelungen, sollte es uns zu schwer sein? Vermag die Zucht, die Wolle des Schafs zu veredeln (Unruhe in der Versammlung), hat sie das Problem gelöst, die Tiere auf Fleisch, Milch, Wolle, Knochen zu ziehen, sollten dann nicht auch wir (steigende Unruhe) imstande sein, durch angemessene Veränderung der juristischen Atzung den heranreifenden Jünger der Themis statt der kahlen theoretischen Haut, mit der er frierend ins praktische Leben tritt, mit einem soliden Pelz auszustatten, der ihn gegen jedes Ungemach der Witterung sicherstellt? (Allgemeines Scharren und Murren.)

Indem ich mich jetzt den Vorschlägen zuwende, die der Antragsteller zu diesem Zweck macht, kann ich meine Lage nur mit der eines ungläubigen Brunnengastes vergleichen, dem der Brunnenarzt eine Reihe von Verhaltungsmaßregeln gegeben hat. Sie wissen, m. H., daß Ärzte dieser Art es lieben, die Verhaltungsmaßregeln zu häufen; da wird Wein, Bier, Thee, Butter, Obst und was sonst noch untersagt, da darf der Kurgast nicht länger und nicht weniger als so und so viel Stunden schlafen, nicht nach dem Essen, nicht vor dem Essen u. s. w., kurz alles hat bis ins Kleinste hinein seine strengste Ordnung und Regel. Der Skeptiker macht aber bald die Erfahrung, daß es dieses Rigorismus nicht bedarf, und in einem vertraulichen Moment gesteht ihm wohl der Arzt ein, daß er Recht hat, und daß viele dieser Vorschriften lediglich dazu da sind, um gläubigen Gemütern zu imponieren. In derselben Weise unterscheide ich bei den Vorschlägen des Antragstellers solche, mit denen es ihm wirklich Ernst ist, – dahin zähle ich die über die praktische Reform des juristischen Studiums und das Examen, und solche, welche lediglich aufgenommen sind, um zu imponieren oder dekorieren, – dahin zähle ich die über die juristische Literaturgeschichte, die Publica, Exegetica, die Verlängerung der Studienzeit auf vier Jahre. Die überaus liberale Konzession, die der Antragsteller mittelst ihrer den Interessen der reinen Wissenschaft macht, schließt jedem den Mund, der in seinen Reformvorschlägen eine Gefahr für letztere wittern wollte. Ich konstatiere, daß sie diesen Zweck vollkommen erreicht haben, und daß sie namentlich in akademischen Kreisen mit großer Satisfaktion aufgenommen worden sind. Die Studierenden, welche ich Gelegenheit hatte zu sprechen, waren über die Verlängerung der Studienzeit auf vier Jahre in freudigster Aufregung, und ich bin von mehreren derselben inständigst gebeten worden, mich vorzugsweise dieses Punktes mit aller Energie anzunehmen. Dieselben finden nämlich, daß der dreijährige Kursus für die Zwecke, für die sie ihn den Motiven zufolge verwenden »Sie (die Kandidaten) studierten im ersten Jahr nicht, weil sie noch angegriffen von den Strapazen des Abiturienten-Examens die akademische Freiheit in vollen Zügen genießen wollten. Sie studierten im zweiten Jahr nicht, weil sie ihrer Militärpflicht genügen müßten. Sie studierten im dritten Jahr nicht, weil sie sich zum Examen vorbereiten ließen.«, zu kurz sei, namentlich da, wo gegenwärtig noch ein Kollegienzwang bestehe, und sind der Überzeugung, daß wenn letzterer dem Antrage gemäß beseitigt, das akademische Triennium aber zu einem Quadriennium erweitert werde, es ihnen nicht mehr schwer fallen werde, ihre Aufgabe vollkommen zu lösen. Um diesen Preis sind sie auch bereit, die Notwendigkeit anzuerkennen, »daß der Augapfel Gottes, die Rechtsphilosophie, das Naturrecht,« mit aller Liebe gepflegt werde, und sich Vorlesungen über juristische Literaturgeschichte, Exegetika und Publika aller Art gefallen zu lassen, vorausgesetzt, daß sie sie nicht zu hören brauchen und nicht darin examiniert werden. Diesen Teil des Publikums hätten wir also schon für uns, m. H., und dies ist nichts Unbedeutendes; denn wer die Jugend für sich hat, dem gehört die Zukunft. (Stimmen: Sehr wahr. Bravo!)

Auch die Docenten, die ich sprach, waren größtenteils höchlich befriedigt; namentlich waren es die Privatdocenten über ihre Aufnahme in die Examinationskommission und über die Kreirung der beiden neuen Professuren des Exegetikers und Literarhistorikers, was für Deutschland und die Schweiz eine ganz stattliche Anzahl neuer Stellen abwürfe. Nur von dem Recept zu einem Publikum, das der Antragsteller in den Motiven gibt, wollten sie nicht viel wissen. Zwar bequem genug fanden es alle. Man brauche nur Fragen zu haben, die einem »bis dahin nicht völlig bekannt, nicht hinreichend klar geworden seien,« und irgendwo einen auf sie bezüglichen Vorfall, eine Anekdote u. s. w. zu lesen, – – und »man beschäftigt sich in einem Publikum mit dem Gegenstand.« Man würde, meinten sie, zu dem Zweck nicht einmal nötig haben, mit dem Antragsteller seine Lektüre auf den Dio Cassius oder Macrobius auszudehnen – Bücher, die nicht jeder Muße finde zu lesen, sondern die gangbarste Lektüre, selbst eine Zeitung, ein Anzeigeblatt, ein Roman, namentlich ein modern-juristischer, würden ausreichen, derartige Anregung zu gewähren. Aber um ein Publikum zu lesen, müsse man ein Publikum haben, das hören wolle, und sie befürchteten, daß die Anweisung, die der Antragsteller ihnen auf die »vielen Praktiker, deren Zeit und Umstände verböten, die Privatkollegia zu besuchen,« ausstelle, nicht honoriert werden dürfte, dieselben es vielmehr ungleich bequemer finden dürften, nach jenem Recept sich selber ihr Publikum zu machen.

Soll ich mein eignes Urteil über jene doktrinären Vorschläge aussprechen, so muß ich mich aufs entschiedenste dagegen erklären. Welcher Arzt wird einem Patienten, der die warmen Bäder nicht vertragen kann, verordnen, daß er noch länger darin verbleibe und ihre Temperatur noch erhöhen? Der Patient aber ist der Student, die warmen Bäder die theoretischen Vorlesungen. Durch die Verlängerung des dreijährigen Kursus zu einem vierjährigen, durch Literärgeschichte, Naturrecht und Exegetika kommt der Patient noch immer tiefer in die Theorie hinein, – das Übel, das wir kurieren sollen, wird verschlimmert, statt gebessert!

M. H.! Was unser Patient nötig hat, ist gerade das Entgegengesetzte (Sehr richtig!): Abkühlung, kalte Umschläge, Eis um den Kopf, Blutegel, damit er wieder zu sich komme, und damit man ihn ohne Gefahr in die frische Luft des praktischen Lebens hinaustreten lassen könne. Der Unterricht muß praktischer, der Satz: daß die Jurisprudenz eine praktische Wissenschaft sei, muß eine Wahrheit werden. Hierüber ist nun in der bisherigen Debatte bereits so viel Treffliches vorgebracht, daß ich in meinem eignen Interesse wohl tun werde, mich auf diejenigen beiden Punkte zu beschränken, die meiner Ansicht nach noch nicht vollständig erschöpft sind, das sind nämlich die juristische Klinik und der Antrag, die Examina auf ein einziges zu reduzieren.

Die Idee einer juristischen Klinik hat, wie ich Gelegenheit hatte zu beobachten, viele frappiert, mich selber hat sie in keiner Weise überrascht. Es kommt nur darauf an, sie im Zusammenhang mit der Entwickelungsgeschichte unserer Wissenschaft zu begreifen; unter dieser Voraussetzung nämlich erscheint sie nicht als etwas Unvermitteltes, absolut Neues, sondern als etwas durch die bisherige Richtung unserer Wissenschaft notwendig Bedingtes, als letzter Abschluß und Kulminationspunkt derselben, in dem Maße, daß ich behaupte: hätte der Antragsteller das Wort nicht gesprochen, so hätte es ein anderer, so hätte ich es getan. M. H.! In jeder Wissenschaft gibt es Perioden, wo es ihr zu eng wird in ihren eigenen Räumen, wo sie hinaus muß ins Freie, um sich zu erfrischen und zu erholen, gleich unsereinem, wenn er das ganze Jahr hindurch hinter dem Aktentisch gesessen und zu seiner Erholung eine Reise nötig hat. Ich nenne dies die Reisen der Wissenschaften. Da geht sie zu ihren Nachbarinnen und lieben Freundinnen, quartiert sich eine Zeitlang bei ihnen ein, erfährt und sieht allerhand Neues und kehrt erfrischt, gestärkt und bereichert mit neuen Anschauungen nach Hause zurück. So wohnte z. B. zur Zeit der Naturphilosophie die Naturwissenschaft bei der Philosophie, so im Mittelalter die Philosophie bei der Theologie, sonstiger Beispiele zu geschweigen. In derselben Weise hat nun auch unsere Jurisprudenz von Zeit zu Zeit das Bedürfnis gefühlt, bei ihren Schwestern einen Besuch abzustatten, früher vorzugsweise bei der Geschichte, Philologie, Philosophie, im letzten Decennium aber bei den Naturwissenschaften und der Medicin, und man könnte die gegenwärtige Phase in der Entwickelungsgeschichte unserer Wissenschaft als die naturwissenschaftliche – gibt es doch bereits eine eigne »naturwissenschaftliche Methode« in der Jurisprudenz Anspielung auf meinen Geist des röm. Rechts II, 2 § 41. Ebenso das Folgende. – oder besser noch als die medicinische Periode bezeichnen. Soll doch der gebildete Jurist heutzutage, um die Rechtsinstitute wahrhaft verstehen zu können, sie einer anatomischen und physiologischen Untersuchung unterwerfen, können doch wir Praktiker in unserer Berufstätigkeit uns kaum mehr rühren, ohne etwas Medicinisches vorzuehmen. Wir sezieren den Rechtsfall gleich dem besten Anatomen, wir haben wie der Arzt am Krankenbett eine Diagnose nötig und was der Art mehr ist. Wo kann man aber sich diese juristisch-medicinische Bildung anders aneignen, als in der juristischen Klinik? Der Antrag auf Einrichtung einer solchen kann also so wenig wundernehmen, daß man umgekehrt sich wundern möchte, daß er nicht schon lange gestellt ist. Er bedarf nur noch einer Ergänzung und Vervollständigung, die ich die Ehre haben werde im folgenden Ihnen vorzulegen.

Der Unterricht bei den Medicinern, der uns stets als Vorbild vorschweben muß, beginnt bekanntlich nicht sofort mit der Klinik, sondern erst mit den theoretischen Fächern. Zum instruktiven Vortrage derselben sind aber Sammlungen aller Art erforderlich: eine anatomische, eine pathologisch-anatomische, eine physiologische, pharmakologische u. s. w. Es scheint mir nun ein unerläßliches Requisit des praktischen Unterrichts in der Jurisprudenz zu sein, der Anschauung ebenfalls durch entsprechende Sammlungen zu Hilfe zu kommen. Die Überzeugung von der Notwendigkeit dieser Sammlungen und des mittelst ihrer zu beschaffenden Anschauungsunterrichts stützt sich für mich auf eine Erfahrung aus meinen Universitätsjahren. Der Lehrer, bei dem ich die Pandekten hörte, hatte neben der Eigenschaft, ein ausgezeichneter Pandektist, auch die, einer der stärksten Schnupfer zu sein, und hatte stets auf dem Katheder seine goldene Tabatière neben sich liegen. War es nun diese äußere oder war es die innere Nähe, in der sie zu seinem Herzen stand, kurzum, alle die Rechtshändel, in denen Mävius und Titius während eines ganzen Semesters unablässig miteinander verflochten waren, gravitierten stets um die Dose, und mit derselben Sicherheit, mit der wir erwarten konnten, in jedem neuen Rechtsfall die wohlbekannten Figuren von Titius und Mävius auftreten zu sehen, durften wir auch darauf rechnen, daß die goldene Dose das Objekt ihres Streits bildete, gleich als hätte unser Lehrer gefühlt, daß es, um das Gleichgewicht zwischen dem Altertum und der Gegenwart herzustellen, gegenüber den antiken Trägern seiner Rechtsfälle eines durchaus modernen Objekts derselben bedürfe. Kam Titius in die Lage, bei Mävius etwas deponieren zu müssen, so war es sicherlich die goldene Dose; wollte er etwas leihen, verpfänden, wollte er tauschen, kaufen, schenken, legieren, einen Innominatkontrakt abschließen, überall war es die Dose, so daß man hätte glauben sollen, der Handel und Wandel im alten Rom und die Interessen des römischen Lebens hätten sich ausschließlich um Schnupfen und Schnupftabaksdosen gedreht. Mitunter schwang sich die Dose allerdings über sich selbst hinaus und verwandelte sich in ein praedium rusticum oder urbanum, um uns die Prädialservituten, Hypotheken und andere Rechtsverhältnisse an Grundstücken klar zu machen. Diese unerschöpfliche Vielseitigkeit des Demonstrationsobjekts hatte aber ihr Mißliches, und von einem meiner Bekannten, mit dem ich die Pandekten zu repetieren pflegte, wage ich geradezu zu behaupten, daß die Dose ihn verhindert hat, ein ordentlicher Jurist zu werden. Die ewige Gleichheit des Objekts, an dem sein aufmerksames Auge unausgesetzt mit ungeschwächter Lernbegierde hing, das er stets von neuem mit gierigem Blick verschlang, ließ nämlich die Verschiedenheit der rechtlichen Beziehungen desselben für ihn nicht aufkommen, seine Aufmerksamkeit schoß beständig über die Begriffe hinaus und auf die Dose hinüber, und am Ende der Stunde hatte er von allen Demonstrationen fast nichts behalten als die Dose. Ganz ebenso am Ende des Semesters. Die Summe seiner ganzen Kenntnisse reduzierte sich auf die Dose, – die Dose war der Inbegriff und das Grab seines ganzen Wissens geworden.

Diese Erfahrung, m. H., brachte mich schon damals zu der Einsicht, daß es für den juristischen Anschauungsunterricht verschiedener Demonstrations-Objekte bedürfe, und in weiterer Verfolgung dieses Gedankens bin ich endlich zu der Idee gelangt, die ich jetzt die Ehre habe Ihnen vorzulegen.

An jeder deutschen Universität muß für den juristischen Anschauungsunterricht ein juristisches Demonstrationskabinet oder Museum gegründet werden. Dasselbe zerfällt in zwei Abteilungen: die eine für die Rechts objekte, die andere für die Rechts subjekte; beide sind den Docenten jederzeit für die Zwecke des Unterrichts zur Verfügung gestellt. Das Objektenkabinet umfaßt nur bewegliche Sachen, diese aber in einer Vollständigkeit, daß ähnlichen Kalamitäten, wie der obigen, aufs gründlichste vorgebeugt wird. Der Anschauungsunterricht rücksichtlich der unbeweglichen z. B. der res publicae, religiosae, der Prädialservituten, Superficies und Emphyteuse, wird mittelst Exkursion in die Nachbarschaft bewerkstelligt. Die leitende Idee bei Anlegung der Sammlung besteht darin, daß für jeden Begriff, für jedes Rechtsverhältnis ein passendes Objekt gewählt und ihm ausschließlich zugewiesen wird, damit beide, Begriff und Objekt, sich im Geist des Zuhörers zur Einheit der Vorstellung verbinden. Vermöge dieses bekannten mnemotechnischen Kunstgriffes würden sich die Begriffe aufs leichteste und festeste einprägen. Angenommen als Objekt für das Commodatum würde ein Buch gewählt, so würde jedes Buch, das der Student zu Gesicht bekommt, ihm den Begriff des Commodats wieder vor die Seele führen; mit dem Objekt ginge auch der Begriff in sein Erinnerungsvermögen über. Alle diese Objekte würden daher mit fester Etikette versehen und nach Maßgabe des Systems geordnet. In den Institutionen und Pandekten kämen also zuerst die des allgemeinen Teils: die einfachen und zusammengesetzten Sachen, die Haupt- und Nebensachen, die Pertinenzen, Früchte, die fungibeln und verbrauchbaren Sachen. Wer diesen Teil der Sammlung auch nur ein einziges Mal gesehen, wäre durch das bloße Sehen für immer gegen jede Gefahr einer Verwechselung oder verkehrten Anwendung der Begriffe gesichert. Zum Überfluß könnten die Demonstrationsobjekte noch nach der Stunde den Zuhörern zur nähern Ansicht überlassen und überhaupt der Besuch des Kabinets ihnen jederzeit verstattet werden.

Daß z. B. eiserne Nägel, Lichter, Brennholz u. s. w. zur Kategorie der verbrauchbaren Sachen oder Konsumtibilien gehören, müßte einem in dieser Weise unterrichteten Schüler für immer sich einprägen, während ich mich noch aus meinen Studentenjahren eines lebhaften Streites mit einem meiner Bekannten erinnere, welcher mir bestritt, daß jene Gegenstände zur Klasse der verzehrbaren, wie man damals sagte, zu zählen seien, weil man eiserne Nägel, Talglichter und Brennholz nicht zu verzehren pflege.

Nach den Objekten des allgemeinen Teils kämen die des speciellen Teils, so z. B. im Eigentum eine instruktive Kollektion für die Lehre von der Accession und Spezifikation, für letztere immer je zwei Gegenstände: der ursprüngliche und der spezifizierte. Für das Obligationenrecht fiele auf jeden Kontrakt oder jeden besonderen juristisch interessanten Anwendungsfall je ein Objekt; so müßten z. B. die verschiedenen Spielarten des Kaufkontrakts: der Kauf auf Probe, nach Probe, per aversionem, per mensuram u. s. w. vollständig vertreten sein; für den Kauf der Erbschaft dürfte man der Kostenersparnis wegen aus dem Erbrecht die Erbschaft hinübernehmen, im Übrigen aber dürfte, um der Gefahr einer Verwirrung vorzubeugen, derselbe Gegenstand nie für zwei verschiedene Rechtsverhältnisse benutzt werden, im Gegenteil würde es geraten sein, für manche Verhältnisse zwei völlig gleiche Exemplare des Demonstrations-Objekts anzuschaffen, von denen das eine die normale, das andere die abnorme Gestalt des Verhältnisses zu repräsentieren hätte, in derselben Weise, wie der Mediciner der anatomischen Sammlung eine pathologisch-anatomische gegenüber stellt. Beispielsweise würde das eine von den beiden Commodatsbüchern den Gegenstand darstellen, wie er hingegeben war und wie er zurückzugeben ist, das andere, wie er durch culpa des Commodatars mit einem Tintenfleck beschmutzt wäre.

Ich will Sie nicht ermüden, m. H., durch weitere Häufung von Beispielen. In derselben Weise, wie hier für die Pandekten, würde die Idee des Objektenkabinets auch für die übrigen Zweige des Rechts verwirklicht, so z. B. für das Wechselrecht, wo die verschiedenen Arten von Wechseln und die einzelnen Vorgänge im Leben des Wechsels durch Formulare veranschaulicht würden.

Ein solches Kabinet, planmäßig und vollständig angelegt und richtig benutzt, müßte Wunder tun und würde den Zuhörer ganz unvermerkt und ohne die geringste Mühe ins Leben einführen. Die Kosten würden nicht ganz unbeträchtlich sein, durch den Nutzen jedoch reichlich aufgewogen werden. Am teuersten dürften die erforderlichen Tiere zu stehen kommen, schon aus dem Grunde, weil sie ein fressendes Kapital sind. An Tieren aber dürften nicht fehlen: für den contractus socidae eisernes Vieh, für die actiones aedilitiae ein Pferd mit irgend einem Fehler, etwa dem Koller, für die act. de pauperie einige Tiere mit Fehlern contra naturam sui generis, die eben aus dem Grunde aber ebenso wie das Pferd billig zu haben sein würden, für den usus fructus ein Schaf mit einem Lamm, nur die im allgemeinen Teil als Beispiel der universitas rerum distantium nötige Herde müßte aus Ersparnisrücksichten auf dem Wege der Exkursion zur Anschauung gebracht werden.

Die zweite Abteilung meiner Sammlung, das Subjektenkabinet, welches das erforderliche Material von Rechts subjekten zu stellen hätte, würde ungleich größere Schwierigkeiten darbieten, und ich verhehle mir nicht, daß es in der Planmäßigkeit und Vollständigkeit, wie es mir im Geiste vorschwebt, in der nächsten Zeit schwerlich Aussicht auf Realisierung hat. Dies soll mich jedoch nicht abhalten, Ihnen die Idee wenigstens schon jetzt vorzulegen, möge das Samenkorn immerhin erst nach Jahrhunderten aufgehen!

Die Bestimmung der Kabinets- oder Institutssubjekte bestände darin, vor den Augen der Zuhörer die Rechtsfälle von Anfang bis zu Ende aufzuführen. Sie errichteten Kontrakte, Testamente, Kodizille, stellten Wechsel aus, führten Prozesse, legten Zeugnis ab, schwörten falsche Eide, vidimierten Urkunden, erließen Arrestbefehle, begingen Delikte und Verbrechen – kurz alles und jedes, was auf dem Gebiete des Rechts nur möglich ist. Der Kostenersparnis wegen könnten, wie bei kleinen Bühnen, mehrere Rollen, die dies vertrügen, von einer und derselben Person dargestellt werden; so könnten z. B. der Verkäufer und Käufer des Instituts zugleich als Vermieter und Mieter, Commodant und Commodatar u. s. w. fungiren, kurz alle zweiseitigen Verträge abschließen; nur für die einseitigen müßten, um den Unterschied zwischen zweiseitigen und einseitigen Geschäften zu betonen, zwei andere angestellt werden, die außerdem noch alle sonstigen einseitigen Geschäfte, z. B. die Errichtung von Testamenten, Antretung von Erbschaften zu übernehmen hätten, jedenfalls aber durch ein äußeres Kennzeichen von den Vertretern der zweiseitigen Geschäfte sich abheben müßten, am passendsten würde der Gegensatz der Magerkeit und Beleibtheit sich für sie verwenden lassen. Aber trotz dieser Vereinfachung würde doch die Zahl der anzustellenden Personen eine ziemlich beträchtliche werden. Als völlig unerläßlich würde ich nämlich folgende beanspruchen müssen. Zunächst für den Prozeß einen Richter, zwei Sach- und Anwälte, die erforderliche Kollektion von Zeugen: fähige, unfähige, verdächtige, und einen Exekutor. Die zuerst genannten Personen müßten der Kostenersparnis wegen auch für den Strafprozeß und in Civilsachen für die zweite und dritte Instanz verwandt werden; für den Fall der Syndikatsklage, wo zwei Richter erforderlich wären, könnte der judex qui litem suam fecerit durch irgend eine disponible Person des Instituts dargestellt werden; zu Geschwornen müßte man, soweit der Personalbestand des Instituts nicht ausreichte, für jeden einzelnen Fall vorübergehend Dienstmänner mieten. Für das Privatrecht müßten aus dem allgemeinen Teil zunächst die Altersstufen repräsentiert sein, also ein infans (der nasciturus würde der Frau zu überweisen sein, welche bei der missio ventris nomine die Rolle des venter zu übernehmen hätte, und welche aus nahe liegenden Gründen nicht dauernd anzustellen, sondern jedesmal, wo man ihrer bedürfte, zu engagieren sein würde). Sodann ein infantia major, ein infantiae und pubertati proximus, ein pubes, ein minor und major. Die dazu genommenen Personen könnten dauernd im Institut bleiben und von einer Stufe zur andern aufrücken; nach erreichter Volljährigkeit hätten sie eine Anwartschaft auf die nächste der frei werdenden Stellen. Was den Geschlechtsunterschied anbetrifft, so könnte man von dem Zwitter abstrahieren, beziehungsweise die Zuhörer auf das anatomische Kabinet verweisen; dagegen müßten allerdings einige Frauenzimmer vorhanden sein, jedenfalls ein unverheiratetes und verheiratetes, um die Verlobung, die Ehe, die Dos, die Paternitätsklage und das SC. Vellejanum zu erläutern, – unter Umständen, wenn sie sich nämlich selber in solchen befänden, könnten sie auch bei der missio ventris nomine verwandt werden – jedesmal natürlich mit veränderter Toilette. Dagegen müßte für die Rolle einer persona turpis im erforderlichen Fall eine geeignete Person gemietet werden, was nicht bloß die Kosten vereinfachen, sondern auch durch die schuldigen Rücksichten auf die übrigen im Institut vorhandenen Personen und selbst der Studierenden wegen geboten sein würde. Von Männern dürfte schon der Testamentsformen wegen ein miles, ein rusticus und ein Blinder nicht fehlen; die Aufnahme eines furiosus in das Institut möchte ich nicht befürworten. Dagegen wäre unerläßlich der diligens paterfamilias und als Seitenstück zu ihm, um die culpa lata zu veranschaulichen, eine ungewöhnlich sorglose und nachlässige Person – ein Posten, den man mit einem armen Dichter besetzen könnte, womit zugleich der Schillerstiftung ein Dienst geschähe. Aus dem speciellen Teil des Privatrechts kämen zu den oben genannten Personen noch hinzu der Tutor und Kurator; im Übrigen könnte man sich mit den vorhandenen begnügen. Dagegen dürfte es für das Kriminalrecht nicht an einem ausreichenden Material von Verbrechern fehlen, denn die Rollen des kleinen, großen und qualifizierten Diebes, des Mörders und Totschlägers dürften unserm obersten Princip nach nicht mit denselben Personen besetzt werden. (Unruhe in der Versammlung.)

Präsident. Ich möchte den Redner ersuchen, sich etwas kürzer zu fassen, – die gegebenen Beispiele scheinen mir zur Erläuterung seiner Idee vollkommen ausreichend.

Stimme aus der Versammlung. Wie will der Redner einen absens, einen Verschollenen darstellen? (Heiterkeit.)

Unbekannter. Ich verkenne die Schwierigkeiten nicht, die sich einer ganz konsequenten Durchführung meiner Idee entgegenstellen, und eine gewisse Resignation ist hier unerläßlich geboten. So gestehe ich z. B., daß auch die Darstellung der juristischen Persönlichkeit einer Stiftung mir bisher noch nicht gelungen ist. Allein, m. H., dies hindert uns doch nicht, die Idee, soweit sie schon jetzt ausführbar ist, zu adoptieren. Mit welcher Anschaulichkeit würde sich schon allein mit den von mir benannten Mitteln das praktische Leben des Rechts dem Zuhörer deutlich machen lassen, – wie würde diese Rechtsdramatik sein Interesse anregen und anfeuern, seiner Vorstellung zu Hilfe kommen, die Arbeit des Gedächtnisses erleichtern. Es ist Ihnen bekannt, m. H., daß manche Rechtslehrer noch für das heutige Recht an dem Unterschied zwischen tutor und curator festhalten, und vielleicht ist Ihnen noch aus Ihren Universitätsjahren in der Erinnerung, wieviel Mühe es einem armen Studenten macht, diesen Unterschied zu fassen. Wie klar würde derselbe plötzlich werden, wenn der Lehrer vor den Augen der Zuhörer den Institutstutor seine auctoritas interponieren, den Kurator aber lediglich seinen Konsens erteilen ließe, wie deutlich würde es dadurch ans Licht treten, daß der eine die unvollkommene Persönlichkeit ergänzt, der andere aber bloß sich an der Vermögensverwaltung beteiligt. Der Kurator könnte auch über die Zwecke des akademischen Unterrichts hinaus in einer Weise verwandt werden, die für das handeltreibende Publikum von größtem Segen wäre. Die Ansicht, daß ein Minderjähriger sich durch seine Verträge ohne Genehmigung des Vormundes nicht verpflichten könne, zählt bekanntlich manche Anhänger, und noch vor wenig Jahren hat das Oberappellationsgericht in Rostock die Klage eines Kaufmanns gegen einen minderjährigen Leutnant wegen gelieferter Kleidungsstücke aus diesem Grunde abgewiesen, indem es zur Begründung derselben die Behauptung des Daseins einer Bereicherung im Moment der Litiskontestation verlangte. Das Urteil ist abgedruckt in Seuffert, Archiv für Entscheidungen u. s. w. Bd. XI, Nr. 26. – Diese Ansicht will einmal dem schlichten Verstande des Laien nicht in den Sinn. Kein Kellner wird Anstand nehmen, einem Leutnant die bestellte Flasche Wein zu bringen, ohne zu fragen, ob er nicht vielleicht trotz seines Schnurrbarts noch minderjährig und trotz seiner ihm bekannten glänzenden Vermögensverhältnisse kein bares Geld in der Tasche hat. Ist letzteres unglücklicherweise der Fall, oder hat der Gast bloß vergessen zu zahlen, so ist der bedauernswürdige Kellner verdammt, den Leutnant »bis auf den Betrag der Bereicherung im Moment der Litiskontestation« in Anspruch zu nehmen! Dieser Ansicht zufolge müßte der Arzt, der des Nachts zu einem Kranken gerufen wird, um sicher zu gehen, sich erst erkundigen, ob letzterer nicht vielleicht minderjährig sei, im Bejahungsfalle aber erst den Kurator aus dem Bett holen lassen, damit er seine Genehmigung erteile; dasselbe müßte der Apotheker tun, bevor er die Medicin verabfolgte; und bevor Vormund, Arzt und Medicin einträfen, möchte in manchen Fällen der Patient bereits das Zeitliche gesegnet haben. Ein Gastwirt müßte alle Gäste, bei denen die Möglichkeit existierte, daß sie minderjährig wären und unter Vormündern ständen, entweder zurückweisen oder sich im Voraus bar bezahlen lassen. Kein Schneider, Schuster dürfte Rock und Stiefeln anmessen oder wenigstens sie anfertigen ohne specielle Genehmigung des Vormundes oder Vorausbezahlung. Daß alle diese guten Leute dies nicht tun, daß sie von der Geltung eines so abnormen Rechtssatzes regelmäßig keine Ahnung haben, bis sie für schweres Geld seine Bekanntschaft machen, davon kann das tägliche Leben jeden überzeugen. Wie instruktiv würde es nun für sie sein, wenn dieser Rechtssatz ihnen von Zeit zu Zeit, etwa bei Jahrmärkten und öffentlichen Festen, in plastischer, dramatischer Gestalt durch unsern Institutsvormund vor Augen geführt würde. Der Vormund müßte, wie es durch diesen Rechtssatz stillschweigend postuliert wird, seinen Leutnant auf Schritt und Tritt begleiten und bei Abschluß eines jeden Rechtsgeschäfts entweder seinen Konsens erteilen oder selber den Beutel ziehen. Um die gänzliche Unselbständigkeit seines Mündels noch eindringlicher zu signalisieren, könnte er ihn, soweit er nicht zu schwer wäre, etwa wie ein Wickelkind auf den Arm nehmen.

Wenn ich mir erlauben darf, noch einige solche Tableaus vorzuführen – (Nein! Nein! Zur Sache, zur Sache! – Große Unruhe.)

Präsident. Ich muß den Herrn Redner in seinem eignen Interesse ersuchen, sich an die Sache zu halten; er wollte ja von der juristischen Klinik sprechen – dies scheint er vergessen zu haben.

Unbekannter. M. H.! Ich bin ja beständig bei der Sache. Was sind denn meine Sammlungen anders, als die konsequente Ausführung der Idee der juristischen Klinik? Wie kann der Lehrer einen klinischen Unterricht erteilen ohne das erforderliche Material? Und Sie können ihm doch nicht zumuten, sich dasselbe auf eigene Kosten anzuschaffen – dazu sind dieselben viel zu beträchtlich. Denn mit einer bloßen Poliklinik und ambulatorischen Klinik, d. h. mit den öfters erwähnten juristischen Exkursionen, ist es nicht getan. Soll der klinische Unterricht wirklich fruchtbar sein, so bedarf es, wie bei den Medicinern, außerdem noch der stationären Klinik, und die ist, wie gesagt, ohne mein Kabinet gar nicht möglich. Ich bin übrigens mit diesem Gegenstand jetzt fertig; nur verstatten Sie mir noch eine Bemerkung. Die Herstellung des Subjekten-Kabinets oder – wie ich es lieber nennen möchte – des juristischen Instituts würde, wie es scheint, mit einem so enormen Kostenaufwande verknüpft sein, daß unsere deutschen Kammern denselben schwerlich bewilligen würden. Allein die Sache läßt sich doch, richtig angefaßt, höchst billig einrichten. Die meisten Stellen könnte man mit Juristen besetzen, und Sie wissen, m. H., wir sind nicht gewohnt, hohe Anforderungen zu machen. Dient so mancher von uns seine zehn Jahre und darüber dem Staate ganz umsonst, bis er endlich 300 Rtlr. erhält, so kann er es auch bei dem juristischen Institut, und wenn der Mangel der Einnahme durch einen verlockenden Titel, z.B. Instruktions- oder Institutsrat, ausgeglichen, oder wenn gar für die jedesmaligen Dienstleistungen Diäten bewilligt würden, so zweifle ich nicht daran, daß sich eine große Anzahl von Bewerbern dazu verstehen würden, bei dem Institut ihren praktischen Kursus durchzumachen. Ein anderes Mittel der Ersparnis wäre, daß man zwar besoldete Stellen kreierte, sie aber, wie dies in einigen deutschen Staaten mit großem Erfolge in Anwendung gebracht wird, kommissarisch ohne Gehalt verwalten ließe. Des Anstandes halber könnte man einige mit vollem Gehalt als Pensionsposten an quieszierte Richter, loyale ältere Advokaten und hoffnungslose Privatdocenten vergeben. Kurz, ich bin der Überzeugung, daß sich die Kosten in einer Weise ermäßigen würden, die in gar keinem Verhältnis zu dem Nutzen des Instituts stände.

Ich wende mich jetzt der Examensfrage zu. Wenn ich bisher in der glücklichen Lage war, den Antragsteller zu unterstützen und seine Idee weiter auszuführen, so sehe ich mich bei diesem zweiten Punkt leider gezwungen, ihn aufs entschiedenste zu bekämpfen. Weit entfernt nämlich, zu glauben, daß die Examina vermindert werden müssen, bin ich umgekehrt der Ansicht, daß sie vermehrt werden müssen. (Oho! Oho! Starkes Murren.) Ja, m. H., die Examina müssen vermehrt werden, und ich zweifle nicht daran, daß ich Sie trotz Ihres lebhaften Widerspruchs für meine Ansicht gewinnen werde. Ich fasse dieselbe in den Satz zusammen: das Examen ist ewig!

In Bezug auf die Examensfrage kann ich nur zwei Ansichten als berechtigt anerkennen: es findet gar kein Examen statt, oder es bedarf einer unausgesetzten Wiederholung desselben, so lange der Mensch lebt. Alles andere ist klägliche Halbheit. Denn entweder ist das Examen überflüssig oder nötig. Wenn ersteres, so soll man es ganz aufgeben; wenn letzteres, so ist es so lange nötig, als der Grund fortdauert, der seine Notwendigkeit bedingt. Der Zweck des Examens besteht aber bekanntlich darin, dem Staate die Überzeugung zu verschaffen, daß der Anzustellende das erforderliche Maß von Kenntnissen besitzt, und mittelbar letzteren anzuhalten, sich dasselbe anzueignen. Wären nun Kenntnisse ein dauerndes Besitztum, so würde die einmalige Aneignung und folglich auch ein einmaliges Examen ausreichen. Allein als geistiger Besitz haben dieselben leider dieselbe Eigenschaft, wie der Spiritus, daß sie mit der Zeit verdunsten. Wird nicht immer von neuem aufgefüllt, so ist eines schönen Tages das Faß leer. Wieviele sind unter uns, die sich getrauen möchten, τύπτω vollständig durchzukonjugieren, und doch hat jeder von uns auf der Schule im Griechischen noch ganz andere Dinge geleistet! Was folgt aber daraus? Es folgt daraus, daß das Examen lebenslänglich von Zeit zu Zeit wiederholt werden muß. Hat einmal jeder von uns, er sei Richter oder Sachwalt, ein bestimmtes Maß von Kenntnissen nötig, und hält es der Staat für seine Pflicht, sich durch ein Examen von dem Dasein dieses Erfordernisses zu vergewissern, welche Garantie gibt dann ein vor 30 oder 40 Jahren abgehaltenes Examen dafür, daß das erforderliche Maß von Kenntnissen gegenwärtig noch vorhanden sei? Vor 40 Jahren war das Faß bis zum Überlaufen voll, aber jetzt ist vielleicht kein Tropfen mehr darin. Es kommt nicht bloß auf das erste Füllen, sondern auch auf das Nachfüllen an. Glaubt man jenes nur durch Zwang erreichen zu können, wie will man den Zwang für letzteres entbehren? Es gesellt sich noch ein anderer Umstand hinzu. Der Jurist soll nicht bloß das ursprüngliche Kapital seines Wissens, das er mit von der Universität gebracht hat, erhalten, er soll es auch vermehren; er soll Schritt hatten mit der fortschreitenden Wissenschaft – sich unausgesetzt fortbilden. Ich frage abermals: welche andere Garantie gibt es dafür, daß er dies tue, als ein periodisch wiederholtes Examen?

M. H.! Entschuldigen Sie den Freimut, mit dem ich mich ausdrücke; aber ich spreche, wie ich denke. Meiner Ansicht nach ist es unverantwortlich, daß der Staat das Leben, die Ehre, die Sicherheit, das Vermögen seiner Untertanen Personen anvertraut, von denen er nicht die Überzeugung hat, daß sie, nicht ob irgend einmal, sondern noch jetzt ihrer Aufgabe völlig gewachsen sind. Mit demselben Recht dürfte auch eine Eisenbahnverwaltung es bei der uranfänglichen einmaligen Prüfung der Tauglichkeit ihrer Waggons bewenden lassen. Aus denselben Gründen aber, aus denen bei den Eisenbahnwaggons eine wiederholte Prüfung ihrer Tauglichkeit geboten ist, ist dasselbe auch bei den Juristen, die ja in gewissem Sinn als Lastwagen zu betrachten – (Stimmen: Das ist zu stark – wir verbitten uns einen solchen Vergleich! Allgemeine Unruhe.)

Präsident. Ich muß den Redner wegen dieses unpassenden Vergleichs zur Ordnung rufen. (Bravo!)

Unbekannter. M. H.! Ich bitte wegen dieses Vergleichs, der mir unbedachtsam entfuhr, um Entschuldigung. Verstatten Sie mir nur noch wenig Worte. (Nein! Nein! Schluß! Schluß!) M. H.! Ich möchte doch wenigstens einen Antrag stellen. (Schluß – Schluß – – andere Stimmen: Den Antrag muß er doch wenigstens stellen dürfen!)

Präsident. Den Antrag werden Sie ihm doch verstatten?

Unbekannter. Mein Antrag ist ein Amendement zu dem ersten Satz von Nr. 5 der Volkmar'schen Anträge und lautet folgendermaßen:

Die Revision der dem praktischen Juristen jederzeit notwendigen Kenntnisse, d. i. das Examen, muß von Zeit zu Zeit wiederholt werden und zwar ohne Ansehen des Alters und der Stellung.

M. H.! Zur Empfehlung dieses Antrages brauche ich dem Bisherigen noch kaum etwas hinzuzufügen. Erst mit dieser Einrichtung erlangt die Idee des Examens ihre volle logische Entfaltung, erst mit ihr wird sie eine Wahrheit – alles andere ist elendes Stückwerk. Aus denselben Gründen, aus denen die Staatsbehörde von Zeit zu Zeit die öffentlichen Kassen revidiert, muß sie auch die Kenntnisse der Juristen revidieren; letztere repräsentieren ein ungleich wertvolleres Kapital, als der Inhalt jener Kassen: das geistige Betriebskapital, mit dem der Staat seine höchste und wichtigste Aufgabe erfüllt: die Handhabung der Rechtspflege, die Aufrechthaltung der Rechtsordnung. Der Gedanke einer solchen Revision hat etwas Erhabenes. Es wäre eine großartige Inventarisation der gesamten juristischen Intelligenz des Landes, eine vergeistigte und des neunzehnten Jahrhunderts würdige Repristination der Idee des altrömischen Census. Jeder müßte sich schätzen lassen, keiner dürfte davon ausgeschlossen werden, selbst z. B. der Justizminister nicht. (Heiterkeit.) Welch erhabener Gedanke, m. H., den Justizminister dem Examen unterworfen und möglicherweise wegen fehlerhafter staatsrechtlicher Anschauungen oder wegen grober Verstöße gegen die Theorie der Auslegungskunst seinen Platz räumen zu sehen. M. H.! Diese Ausdehnung des Examens auf sämtliche Staatsdiener und praktische und theoretische Juristen ohne Unterschied würde einen Triumph der Gerechtigkeit und Gleichheit vor dem Gesetz enthalten, wie ich mir keinen höhern und schönern denken könnte, und dem Volke zu den Juristen ein Vertrauen einflößen, wie sie sich desselben selbst im alten Rom kaum erfreut haben.

Sie werden mich nun fragen: wer soll, wenn alle die Rolle der Examinanden zu spielen haben, die der Examinatoren übernehmen? Nichts leichter als das: es bedarf nur der Übertragung der Bell-Lancaster'schen Unterrichtsmethode auf das Examen, – mit andern Worten, das Examen ist ein gegenseitiges. In dem einen Jahre examiniert die eine Hälfte von uns die andere, in dem folgenden diese uns, und so fort. Welch erhebendes Schauspiel, jedes Jahr von neuem den gesamten Juristenstand vor den Augen des ganzen Landes – ich setze nämlich voraus, daß das Examen ein öffentliches sein wird – in einem geistigen Ringkampf begriffen zu sehen; wie würde das Volk dazu zusammenströmen, welche Gelegenheit, sich auszuzeichnen und hervorzutun! Vielleicht könnte man nach dem Vorgange der Turner, oder, um aus älterer Zeit leuchtende Vorbilder heranzuziehen, nach Art der olympischen Spiele bei den Griechen oder der Turniere des Mittelalters ein Nationalfest daraus machen. (Große Heiterkeit.)

M. H.! Sie mögen lachen, und vielleicht bin ich in der Ausschmückung meiner Idee etwas zu weit gegangen, aber die Idee selber, d. h. der Gedanke der Ewigkeit des Examens ist ein durchaus berechtigter und – was mehr sagen will – er ist ausführbar. (Oho!) Ja, m. H., er ist nicht bloß ausführbar, sondern in mehreren deutschen Staaten bereits in der Ausführung begriffen. Gibt es doch in Preußen bereits drei Examina; wieviel fehlt dort noch zur Realisierung meiner Idee? (Unruhe. Schluß! Schluß!) In China – (Schluß! Schluß!) M. H.! Soll ich denn mit China schließen? Ist denn Deutschland – (Schluß – Schluß – Schluß! Wegen der großen Unruhe konnte am Stenographentisch von dem Schlußsatz des Redners nichts mehr verstanden werden, als die abgerissenen Worte: Examina – Chinesische Einrichtungen).


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