Jerome Klapka Jerome
Drei Mann in einem Boot
Jerome Klapka Jerome

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In Oxford brachten wir zwei sehr angenehme Tage zu. Es gibt da eine Unmasse Hunde. Montmorency hatte schon am ersten Tage elf Gefechte, am zweiten vierzehn, er glaubte offenbar, jetzt sei er im Himmel.

Leute, die von Natur zu schwach oder zu faul sind, den Strom hinaufzurudern, machen sich nicht selten das Vergnügen, in Oxford ein Boot zu mieten und stromabwärts zu fahren. Für tatendurstige Leute ist aber die Fahrt stromaufwärts bei weitem vorzuziehen. Immer mit dem Strom zu gehen, soll ja nicht gesund sein. Es ist viel befriedigender, sich in Kampfesstellung gegen den Strom zu stemmen, es einmal tüchtig mit ihm aufzunehmen und trotz all seiner Wucht sich vorwärts zu schaffen; wenigstens ist das mein Gefühl, wenn Harris und Georg rudern und ich am Steuer sitze. – Denen, die von Oxford aus abzufahren gedenken, würde ich raten, sich ein eignes Boot anzuschaffen, den Fall natürlich ausgenommen, daß man ein fremdes wegnehmen kann, ohne das »elfte Gebot« zu übertreten. – Die Boote, die oberhalb Marlow mietweise zu haben sind, sind im allgemeinen gute Boote. Sie sind ordentlich wasserdicht, und wenn man sorglich mit ihnen umgeht, gehen sie auch selten in Stücke und sinken selten unter. Es ist auch Gelegenheit zum Sitzen darin; auch sind sie sonst mit allem oder fast mit allem versehen, was man zum Rudern und Steuern braucht. Aber schön sind sie nicht. Die Boote, die man oberhalb Marlow bekommt, sind nicht von der Art, daß man damit glänzen und Staat machen könnte. Ein zur Fahrt flußaufwärts gemietetes Boot treibt den Insassen in kürzester Frist so kühne Gedanken aus. Das ist seine Haupt-, man könnte fast sagen, einzige Empfehlung. Der Mann, der in einem gemieteten Boote den Fluß hinauffährt, ist bescheiden und zurückhaltend. Er hat eine Vorliebe für die Schattenseite unter den Uferbäumen und besorgt den größten Teil seiner Reise morgens früh oder spät am Abend, wenn nicht viele Leute unterwegs sind, die ihm zusehen könnten. Wenn er jemand zu Gesicht bekommt, den er kennt, so steigt er ans Land und verbirgt sich hinter einem Baum.

Ich gehörte einmal zu einer Gesellschaft, die ein Boot zu einer Fahrt stromaufwärts auf einige Tage gemietet hatte. Keiner von uns hatte zuvor ein für die Hinauffahrt gemietetes Boot gesehen, und als wir eins zu Gesicht bekamen, wußte keiner, was es sein sollte. Wir hatten uns das Boot, einen zweirudrigen Kahn, schriftlich bestellt. Als wir nun mit unserm Gepäck bei dem Schiffsvermieter ankamen und unsre Namen nannten, sagte der Mann: »Ganz recht, Sie sind die Gesellschaft, die einen Zweiruderer bestellte. Jawohl, das ist besorgt! Jakob, geh', mach' den ›Stolz der Themse‹ los!«

Der Knabe ging und kam fünf Minuten später, mit einer antediluvianischen Holzkruste sich abplackend, wieder zum Vorschein. Das Ding sah aus, als ob es neulich irgendwo unter den Pfahlbauten gefunden, recht unvorsichtig ausgegraben worden und dabei unnötigerweise stark zu Schaden gekommen wäre.

Als ich das Ding erblickte, war mein erster Gedanke, daß es eine römische Antike sein müsse, von der ich natürlich nicht wissen konnte, was sie vorstellen sollte – möglicherweise einen Sarg. Die Umgebung der oberen Themse ist reich an römischen Altertümern, daher schien mir meine Vermutung einige Wahrscheinlichkeit für sich zu haben; aber unter uns war ein sehr ernsthafter junger Mann, der etwas von einem Geologen an sich hatte. Der verspottete meine Theorie von der römischen Antike und sagte, es müsse auch dem allergewöhnlichsten Verstande (wozu er den meinigen leider mit gutem Gewissen nicht rechnen zu dürfen glaubte) klar sein, daß das Ding, das der Knabe gefunden, ein versteinerter Walfischknochen sei; ei zeigte uns an verschiedenen Merkmalen, daß das Fossil der der Eiszeit vorhergehenden Periode angehört haben müsse. Um dem Streit ein Ende zu machen, wandten wir uns an den Jungen. Wir sagten ihm, er solle keine Menschenfurcht haben, sondern uns die reine Wahrheit berichten: war das Ding ein versteinertes Stück eines vorsintflutlichen Walfisches oder ein frührömischer Sarg?

Der Knabe sagte, es sei der »Stolz der Themse«. Diese Antwort des Knaben kam uns zuerst recht gelungen vor, und einer von uns gab ihm zwei Pence als Belohnung für seinen schnellen Witz. Aber als er den Spaß mehr als uns nötig schien in die Länge zog, ärgerten wir uns über ihn. »Mein guter Junge,« sagte unser Anführer mit Schärfe, »mach' uns nichts weiß. Nimm du nur deiner Mutter Waschzuber wieder heim und schaff' uns ein Boot her.« Der Schiffbauer selbst kam jetzt herzu und versicherte auf sein Wort, das Wort eines praktischen Mannes, daß das Ding wirklich ein Boot sei, ja, daß es das Boot sei, nämlich der zweiruderige Kahn, den er für unsere Stromfahrt ausgewählt habe.

Wir brummten und schimpften nicht wenig. Zum mindesten, meinten wir, hätte er es doch anstreichen oder teeren lassen können oder irgend etwas tun sollen, damit es sich von einem Wrack ein bißchen unterschieden hätte! Er aber konnte keinen Fehler daran finden; er schien sogar beleidigt durch unsere Bemerkungen und erklärte, er habe uns das beste Boot aus seinem ganzen Vorrat ausgesucht, wofür wir ihm wohl ein wenig dankbar sein dürften.

Der »Stolz der Themse«, sagte er, so wie sie hier vor uns liege (oder vielmehr zusammenhing), habe seit den letzten vierzig Jahren, so viel ihm bekannt sei, gedient, ohne daß sich jemand darüber beklagt habe, und er sehe daher nicht ein, warum wir nun die ersten sein sollten, die damit begännen.

Auf solche Gründe konnten wir natürlich nichts mehr erwidern. Wir banden das sogenannte Boot mit Tauen etwas zusammen, verschafften uns etwas Tapetenpapier, verkleisterten die schäbigsten Stellen, sprachen noch ein frommes Gebet zum Himmel und gingen dann an Bord. – Man verlangte von uns fünfunddreißig Schilling für das Überlassen des Wracks auf sechs Tage. Für vier und einen halben Schilling hätten mir das Ding zweimal in einer Auktion von Treibholz an der Küste kaufen können.

Am dritten Tage änderte sich das Wetter, nebenbei bemerkt, ich spreche jetzt von unserer gegenwärtigen Reise; wir traten unter beständigem Regen unsere Rückfahrt von Oxford an. Wenn das helle Sonnenlicht von den tanzenden Wellen zurückgeworfen wird, die grünen Buchen glänzend vergoldet, Streiflichter durch die dunklen kühlen Waldwege sendet, Schatten über die Sandbänke hinhuschen, Diamanten von den Mühlrädern niederstäuben läßt, die Lilien am Ufer küßt, am Wehr mit dem weißschäumenden Wasser spielt, alte, moosbewachsene Mauern und Brücken mit silbernem Glanz überflutet, jedes unansehnliche Städtchen verklärt, jede Hecke und jede Wiese lieblich macht, zwischen die Schilfgräser hineindringt, aus jedem einströmenden Bächlein hervorglitzert, hervorlacht, manch fernes Segel in schimmernde heitere Farben taucht, die Luft mit sanfter Glorie erfüllt – ja, dann ist der Fluß ein von goldigem Zauber umwobener Strom.

Aber wenn unaufhörlicher Regen auf seine braunen, trägen Fluten herniederfällt, daß es klingt, als ob ein Weib in einer dunklen Kammer leise weinte; wenn die Uferbäume, dunkel und schweigend, in Nebelschleier gehüllt, wie Geister am Wasserrand stehen, wie stille Geister, die vorwurfsvoll ihre Augen auf euch richten, wie die Rächer böser Taten – wie die Geister verratener Freunde, – dann ist der frostig trübe Fluß ein unheimliches, spukhaftes, das Land vergeblicher Reue durchziehendes Gewässer. Ja, das Sonnenlicht ist das Lebensblut der Natur! Die Mutter Erde sieht uns mit so dumpfen, seelenlosen Augen an, wenn das Licht der Sonne von ihr geschieden ist. Es macht uns traurig, allein bei ihr zu verweilen. Sie scheint uns dann nicht mehr zu kennen, die Mutter, nicht für uns zu sorgen. Sie gleicht einer Witwe, die den geliebten Gatten verlor; ihre Kinder berühren ihre Hand, sehen ihr in die Augen, können ihr aber kein Lächeln abgewinnen.

Wir ruderten den ganzen Tag lang im Regen dahin; es war ein trauriges Geschäft. Zuerst flunkerten wir uns vor, daß wir uns darüber freuten; es sei doch eine Abwechslung; auch sähen wir den Fluß gerne in all seinen verschiedenen Erscheinungsformen. Wir könnten mit Grund, sagten wir uns, doch nicht erwarten, immer Sonnenschein zu genießen, noch könnten wir das auch nur wünschen. Wir kamen dahin überein, die Natur sei auch unter Tränen schön.

Harris und ich waren in der Tat ganz begeistert, d. h. während der ersten Stunden. Wir sangen ein Lied, welches das Zigeunerleben und seine Herrlichkeiten pries: »Der Sonn', dem Regen, dem Sturm entgegen« – wir sangen, wie der Zigeuner den Regen so gern gehabt, wie gut derselbe ihm bekommen, und wie er die Leute verlacht, die keinen Geschmack daran finden konnten. Georg faßte den Spaß etwas nüchterner auf und hielt sich an den Regenschirm. Wir hißten die Bedeckung auf, ehe wir frühstückten, und behielten sie auch noch den ganzen Nachmittag droben; nur so viel Raum ließen wir am Bug frei, daß einer von uns die kleinen Ruder gebrauchen und Umschau halten konnte. So legten wir an diesem Tag neun Meilen zurück und ankerten etwas unterhalb der Dayschleuse, um zu übernachten. Ehrlich gestanden, könnte ich nicht sagen, daß wir einen lustigen Abend gehabt hätten. Der Regen strömte noch immer mit stiller Hartnäckigkeit herunter. Im Boot war alles feucht und klebrig. Unser Nachtessen war auch nichts Glorreiches. Kalte Kalbspastete ist nicht sehr einladend, wenn man keinen Hunger hat. Mein Magen verlangte nach frisch gebackenem Weißfisch und Koteletten. Harris schwatzte etwas von Schollen in weißer Sauce, während er die Reste seiner Pastete Montmorency verehrte, der sie aber dankend ablehnte. Er war augenscheinlich durch das Anerbieten beleidigt, ging weg und setzte sich an das andere Ende des Bootes. Georg ersuchte uns, über diesen Gegenstand nicht weiter zu sprechen, wenigstens nicht, bis er mit seinem kalten, gesottenen Rindfleisch fertig sei, das er ohne Senf verzehren mußte.

Nach dem Abendessen spielten wir Karten, den Point zu zehn Pfennig. Wir spielten ungefähr anderthalb Stunden; am Ende hatte Georg gerade vierzig Pfennig gewonnen. Georg hat immer Glück im Spiel. Wir dachten jetzt, dem Laster des Spiels nicht länger zu frönen; denn es führe, sagte Harris, zu weit getrieben, zu einer ungesunden Aufregung. Georg bot uns Revanche an; aber Harris und ich weigerten uns noch weiter gegen das Schicksal anzukämpfen.

Hiernach bereiteten wir uns Toddy (Grog) und setzten uns zu einem Gespräch zusammen. Georg erzählte uns von einem Mann, der vor zwei Jahren den Fluß heraufgefahren und während einer Nacht wie die heutige in einem feuchten Boot geschlafen und davon rheumatisches Fieber bekommen habe; alle ärztlichen Bemühungen seien vergeblich gewesen; zehn Tage nachher sei er unter großen Schmerzen gestorben. Es sei ein noch ganz junger Mann gewesen, setzte Georg hinzu, der demnächst hätte Hochzeit halten sollen. Es sei eine der traurigsten Geschichten gewesen, die ihm je zu Ohren gekommen, schloß Georg seine Erzählung.

Das erinnerte Harris an einen Freund, der, unter den Freiwilligen dienend, im Lager zu Aldershot eine Regennacht im Zelt zugebracht habe; es sei eine Nacht gewesen, »gerade wie heute«, sagte Harris; am andern Morgen sei er als ein Krüppel aufgestanden und seitdem Krüppel geblieben. Harris fügte noch hinzu, er wolle uns beide bei dem Mann einführen, wenn wir nach Hause kämen; das Herz werde uns bei seinem Anblick bluten.

Dies führte dann zu einer weiteren angenehmen Unterhaltung über Ischias, Fieber, Erkältungen, Lungen- und Halskrankheiten; Harris meinte, es wäre doch recht fatal, wenn einer von uns während der Nacht ernstlich krank würde, da wir so weit von einem Doktor entfernt seien.

Es schien nach diesen aufregenden Gesprächen das allgemeine Verlangen nach etwas Erheiterndem vorhanden zu sein; in einem schwachen Augenblick bat ich daher Georg, sein Banjo hervorzuholen und zu versuchen, ob er uns nicht etwas Humoristisches vortragen könne. Ich muß es Georg zu seinem Ruhm nachsagen, daß er sich nicht lange bitten ließ. Er zierte sich nicht, er machte keinen Einwand, wie »er habe seine Noten daheim« usw. Sofort fischte er sein Instrument hervor und fing das Lied »Ein blaues Aug'« zu spielen an. Bis heute abend hatte ich dieses Liedchen immer für ziemlich langweilig gehalten. Aber die reiche Ader von Traurigkeit, die Georg in demselben herauszufinden wußte, machte mich ganz erstaunen. Harris und ich konnten kaum dem Verlangen widerstehen, einander weinend um den Hals zu fallen. Nur mit großer Anstrengung gelang es uns, unsere hervorbrechenden Tränen zurückzuhalten und schweigend der wilden, sehnsuchtsvollen Melodie zu lauschen. Als der Chor einfallen sollte, machten wir sogar einen verzweifelten Versuch, lustig zu sein. Wir füllten nochmals die Gläser und fielen ein. Harris begann den Chorgesang mit vor Rührung zitternder Stimme, während Georg und ich ein paar Takte hinterdrein kamen:

»Ein blaues Auge mir zu schlagen,
Ist so etwas denn wirklich wahr!
Bloß weil ich es gewagt zu sagen:
Er sei im Unrecht offenbar.
Ein – – «

Hier brachen wir zusammen. Das unaussprechliche Pathos von Georgs Begleitung zu dem: »Ein –« waren wir bei unsrem damaligen niedergedrückten Zustand nicht länger zu ertragen fähig. Harris schluchzte wie ein kleines Kind und der Hund heulte so sehr, daß ich jeden Augenblick befürchtete, sein Herz oder sein Kiefer möchte brechen!

Georg wollte noch einen weiteren Vers singen. Er glaubte, wenn er erst die Melodie loshabe und sie etwas freier und leichter vortragen könne, so möchte es wohl weniger traurig klingen. Aber die Gefühle der Majorität widersetzten sich diesem Vorhaben. Da uns nun nichts weiter zu tun übrig blieb, so gingen wir zu Bett – d. h. wir entkleideten uns und warfen uns nachher auf dem Boden des Bootes drei oder vier Stunden lang hin und her, worauf wir dann noch ein paar Stunden, bis ungefähr fünf Uhr, schliefen; hierauf standen wir auf und frühstückten.

Der zweite Tag glich dem ersten aufs Haar. Es fuhr fort zu regnen; wir saßen, in unsere wasserdichten Mäntel eingewickelt, unter unserer Leinwanddecke und trieben langsam den Fluß hinab. Einer von uns – ich vergaß, wer es war; aber ich glaube beinahe, ich war es selbst – machte ein paar schwache Versuche, wieder die alte Zigeunerlustigkeit wachzurufen, als freuten wir uns wie freie Kinder der Natur über die Nässe – aber es wollte nicht ganz gelingen. In der Tat, dieses:

»Was geht mich doch der Regen an« usw.

war ja so offenbar der Ausdruck unserer Gefühle, daß es höchst überflüssig schien, dies auch noch zu singen. Über einen Punkt waren wir alle einig, daß wir nämlich, es möge kommen, was da wolle, den Spaß bis zu seinem bittern Ende durchkosten wollten. Wir hatten uns zu einem vierzehntägigen Vergnügen auf dem Flusse aufgemacht, das wollten wir somit auch haben, und wenn wir drauf gehen sollten! Das wäre zwar für unsere Freunde und Verwandten sehr traurig gewesen, aber zu ändern wäre das nun einmal nicht. Wir fühlten, es wäre ein mehr als schlechtes Beispiel, wenn wir in einem Klima wie dem unsrigen dem Wetter weichen wollten. »Es gilt nur noch zwei weitere Tage auszuhalten,« sagte Harris, »und wir sind ja jung und kräftig. Vielleicht können wir es doch durchmachen.«

Ungefähr um vier Uhr nachmittags begannen wir zu beraten, wie wir uns diesen Abend einrichten wollten. Wir waren etwas über Goring hinaus, und hatten beschlossen, noch bis Pangbourne zu rudern und dort zu übernachten.

»Wird wieder ein schöner Abend werden,« brummte Georg. Wir saßen da und dachten über unsere Aussichten nach. Um fünf Uhr konnten wir in Pangbourne sein. Unsere Mahlzeit konnte etwa um halb sieben beendet sein. Dann konnten wir unter strömendem Regen einen Spaziergang im Dorf herum machen, bis es Zeit zum Schlafengehen wäre. Oder wir konnten uns auch in eine matterleuchtete Wirtsstube setzen und den Kalender lesen!

»Da wäre es in der AlhambraElegantes, namentlich für pantomimische Aufführungen berühmtes Theater in London. beinahe amüsanter,« sagte Harris, indem er einen Augenblick seinen Kopf hinaussteckte, um den Himmel auszukundschaften. – »Mit einem kleinen Souper in –Ein kapitales kleines Restaurant, etwas abseits, in der Nähe von –, wo man ein vorzügliches und billiges kleines französisches Diner oder Souper bekommt, mit einer ausgezeichneten Flasche Beaune für drei und einen halben Schilling – dessen Namen ich aber nicht so dumm bin, in die Welt hinauszuposaunen. nicht wahr?« fügte ich fast unbewußt hinzu.

»Ja, es ist schade, daß wir uns in den Kopf gesetzt haben, uns diesem Boot zu verschreiben,« antwortete Harris; dann war eine Zeitlang alles still.

»Wenn wir uns nicht in den Kopf gesetzt hätten unsern gewissen Tod in diesem verwünschten alten Sarg zu holen,« brummte Georg, indem er noch einen Blick voll unsäglichen Abscheus auf das unglückliche Boot warf, »so dürfte vielleicht die Mitteilung erlaubt sein, daß bald nach fünf Uhr noch ein Zug von Pangbourne abgeht, der, wie ich weiß, uns so zeitig nach Hause brächte, daß wir bequem ein Kotelett verzehren und dann den Ort besuchen könnten, den du vorhin genannt hast.« –

Keiner sprach ein Wort. Wir schauten einander an, und jeder glaubte, seine eigenen sündlichen, niederträchtigen Gedanken auf dem Antlitz des anderen zu lesen. Schweigend nahmen wir unsren Gladstone zur Hand. Wir schauten den Fluß hinauf und hinab; weit und breit war keine Seele zu sehen!

Zwanzig Minuten später hätte man drei Personen, gefolgt von einem schamrot dreinschauenden Hunde, sehen können, wie sie sich verstohlenerweise von dem Bootshause zum »Schwan« nach dem Bahnhof schlichen in dem nachfolgend beschriebenen, weder sauberen, noch farbenprächtigen Aufzug: schwarze Lederschuhe, schmutzig, flanellenes Bootkostüm, sehr schmutzig, brauner Filzhut, sehr defekt, Regenmantel, pudelnaß, Schirm.

Den Bootsmann in Pangbourne hatten wir angeschwindelt. Wir hatten nicht das Herz gehabt, ihm zu gestehen, daß wir vor dem Regen auskniffen! Das Boot und alles, was es enthielt, hatten wir seiner Hut übergeben, mit der Weisung, daß es am andern Morgen um neun Uhr für uns bereit sein solle. Wenn, hatten wir ihm gesagt, wenn etwas Unvorhergesehenes dazwischenkäme, würden wir ihm schreiben!

Wir erreichten den Paddington-BahnhofGroßer Bahnhof im Westen Londons. um sieben Uhr und fuhren direkt nach dem vorhin erwähnten Restaurant, nahmen dort ein leichtes Mahl ein, ließen Montmorency mit einer Bestellung für ein richtiges Souper auf halb elf Uhr zurück und setzten dann unsern Weg nach dem Leicesterplatz fort.

In der Ahambra zogen wir die allgemeine Aufmerksamkeit auf uns! Als wir an der Kasse aufmarschierten, hieß man uns ganz grob, nach der Schloßstraße gehen, wir seien eine halbe Stunde zu spät gekommen.

Mit einiger Schwierigkeit gelang es uns schließlich, den Mann zu überzeugen, daß wir nicht die weltberühmten »Schlangenmenschen vom Himalaja« seien; er nahm unser Geld und ließ uns eintreten. Drinnen wartete unser ein noch viel größerer Erfolg. Unsern edlen, sonnverbrannten Gesichtern und unserer malerischen Tracht folgte man allerorten mit bewundernden Blicken. Jedes Auge war bezaubert. Es war ein stolzer Moment für uns alle!

Bald nach dem ersten Ballett machten wir uns indessen aus dem Staube und lenkten unsere Schritte zurück nach dem Restaurant, wo bereits das Souper unser wartete. – Ich muß bekennen, daß mir dieses Souper baß behagte. – Ungefähr zehn Tage lang hatten wir mehr oder weniger von kaltem Fleisch, Kuchen, Brot und Eingemachtem gelebt. Es war eine einfache, eine nahrhafte Kost gewesen; aber pikant hätte man sie nicht nennen können; und der Duft des Burgunders, der Geruch französischer Saucen und der Anblick reiner Servietten und langer Brotlaibe, alles das kam unsrem innern Menschen als willkommener Gast entgegen.

Eine Zeitlang hieben wir ein und zechten schweigend, bis wir endlich, anstatt aufrecht zu sitzen und Gabel und Messer fest zu handhaben, uns zurücklehnten, nur noch langsam und nachlässig arbeiteten, die Beine behaglich unter den Tisch ausstreckten, die Serviette unbeachtet unter den Tisch fallen ließen, zum erstenmal den rauchgeschwärzten Plafond etwas genauer untersuchten als bisher, die Gläser auf Armslänge von uns entfernt auf den Tisch stellten und uns so gut, so voll tiefer Gedanken, so mild vergebend erschienen.

Da zog Harris, der dem Fenster zunächst sah, den Vorhang etwas beiseite und schaute auf die Straße hinaus.

Sie glitzerte trüb vor Nässe. Die düstern Lampen flackerten bei jedem Windstoß. Der Regen patschte noch immer standhaft in die Pfützen hernieder, und die Dachrinnen entleerten ihren Inhalt in die Dohlen. Einige völlig eingeweichte Wanderer eilten vorüber, sich unter ihre Regenschirme duckend, und die Frauen hielten ihre Kleider in die Höhe.

»Ich muß gestehen,« sprach Harris, indem er die Hand nach seinem Glas ausstreckte, »daß wir eine angenehme Fahrt gehabt haben; ich sage daher dem alten Vater Themse meinen herzlichen Dank dafür; aber ich denke, wir haben wohl daran getan, auszureißen und ihm eine Nase zu drehen! – Ich trinke auf das Wohl der ›Drei Mann glücklich aus dem Boot‹!«

Montmorency, der am Fenster auf den Hinterbeinen stand und in die Nacht hinausschaute, stimmte mit einem kurzen Gebell in den Trinkspruch ein.

*

Ende

Ullstein & Co.

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