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Nach dem Gabelfrühstück bekamen wir eine Brise, die uns ganz nett über Wargrave und Shiplake hinaus beförderte. In der Kirche zu Wargrave befindet sich der Grabstein einer gewissen Frau Sarah Hill, die ein Legat von 1 Lstrl. (zwanzig Mark) Jahresrente ausgesetzt hat, das an zwei Knaben und zwei Mädchen verteilt werden soll, welche »niemals ihren Eltern ungehorsam waren, niemals geflucht, niemals gelogen, noch gestohlen oder Fenster eingeworfen haben«. Nun bitte ich euch, für fünf Schilling jährlich soll man auf all das verzichten!? Das ist doch wahrhaftig nicht der Mühe wert!
In dem Städtchen erzählt man sich noch heute, daß vor vielen Jahren einmal ein solcher Knabe gelebt habe, der sich niemals eines der oben angeführten Vergehen habe zuschulden kommen lassen, oder – was ebensogut war – von dem wenigstens nichts Derartiges bekannt geworden sei, der somit die Ruhmeskrone erlangt habe.
Er wurde nachher drei Wochen lang unter Glas und Rahmen in der Stadthalle ausgestellt. Was seither aus dem Gelde geworden ist, kann niemand bestimmt angeben. Einige sagen, man habe es immer dem nächsten Wachsfigurenkabinett ausgefolgt.
Bescheidene Landleute und vornehme Städter haben wir bei Henley hinter uns gelassen, und das trübe, schmutzige Reading ist noch nicht erreicht. Dieser Teil des Flusses ist so recht dazu geeignet, von vergangenen Tagen zu träumen, von entschwundenen Gestalten, von all den Plänen, die sich hätten verwirklichen lassen können, und die sich doch nicht verwirklicht haben, hol' sie der Teufel!
In Sonning stiegen wir aus und machten einen Spaziergang durch das Dorf. Es ist dies wirklich der feenhafteste Ort am ganzen Flusse. Er gleicht mehr einem prähistorischen Pfahldorf als einem aus Stein und Mörtel erbauten Dorfe. Jedes Haus wird von Rosen förmlich erstickt, und eben jetzt zu Anfang Juni brachen sie mit all ihrem zauberischen Dufte auf.
Ungefähr eine Stunde lang hielten wir uns in und um Sonning auf, und da es dann zu spät war, um noch nach Reading zu gelangen, beschlossen wir, nach einer der Shiplake-Inseln zurückzufahren und dort zu übernachten. Es war noch ziemlich früh, als wir dort anlangten, weshalb Georg meinte, da wir jetzt genügend Zeit dazu hätten, so könnten wir die Gelegenheit benutzen, uns ein ordentliches, vollständiges Abendessen zu bereiten. Er sagte, er wolle uns einmal zeigen, was man auf einer Flußfahrt in der höheren Kochkunst zu leisten imstande sei, und machte den Vorschlag, wir sollten mit den Gemüsen, den Überresten von kaltem Roastbeef und den verschiedenen sonstigen Überbleibseln ein »Irish Stew« anfertigen.
Die Idee entzückte uns. Georg las etwas Holz zusammen und zündete ein Feuer an; Harris und ich machten uns daran, die Kartoffeln zu schälen. Ich hätte niemals geglaubt, daß das Kartoffelschälen ein so schmieriges Geschäft sei. Die Sache erwies sich in der Folge als eine der schwersten Unternehmungen, in welche ich jemals verwickelt war. Je mehr wir schälten, desto mehr Haut schien an den Kartoffeln hängen zu bleiben; und als wir endlich alle Schalen und alle Augen weg hatten, da war von der Kartoffel nichts mehr übrig, d. h. so gut wie nichts mehr. Georg kam herzu und schaute die Sache an. Es war ein ungefähr haselnußgroßes Stück übrig. »Oho!« sagte er, »das geht so nicht. Ihr verderbt ja alles! Ihr müßt sie schaben!«
So schabten wir sie nun, aber das war ein noch weit schwierigeres Unternehmen als das Schälen. Sie haben eine so eigentümliche Form, die Kartoffeln, lauter Berge und Täler und Auswüchse. Wir arbeiteten ohne aufzuschauen volle fünfundzwanzig Minuten und brachten vier Kartoffeln fertig. Dann streikten wir und erklärten Georg, den Rest des Abends würden wir brauchen, um uns selbst zu schaben. Es ist doch nichts so geeignet, aus einem anständigen Menschen einen schmutzigen Kerl zu machen, als das Kartoffelschälen. Es war kaum glaublich, daß die Kartoffelabfälle, in welchen Harris und ich, halb erstickt, standen, von nur vier Kartoffeln herrühren sollten. Ein Beweis dafür, was nicht alles mit Sparsamkeit erreicht werden kann.
Georg sagte, es sei lächerlich, nur vier Kartoffeln zu einem »Irish Stew« nehmen zu wollen; so wuschen wir noch ein halbes Dutzend und fügten sie ungeschält hinzu. Weitere Zutaten waren ein Kohlkopf und eine Schüssel voll Erbsen. Georg rührte das alles untereinander, und dann meinte er, die Backschüssel sei noch lange nicht voll. So kehrten wir denn die Körbe um, lasen alle Überbleibsel und alles, was dazu zu passen schien, aus und steckten es auch noch hinein. Es war noch eine halbe Schweinspastete und etwas gekochter Speck da; das wurde auch sofort hineingemengt. Dann fand Georg noch eine zur Hälfte gefüllte Büchse mit Lachskonserve und leerte sie noch dazu.
Er sagte, das sei eben der Vorteil bei einem Irish Stew, daß man da all die alten Sachen los werde. Ich fischte noch ein paar zerbrochene Eier auf, die wir auch noch beifügten. Georg meinte, das werde die Tunke gehörig dick machen. Was wir sonst noch alles hineinmengten, weiß ich heute nicht mehr; nur das weiß ich, daß nichts weggeworfen wurde; auch erinnere ich mich, daß Montmorency, der den ganzen Vorgang aufmerksamen Auges verfolgt hatte, gegen Ende desselben mit ernsthafter, gedankenvoller Miene davontrollte – und ein paar Minuten später mit einer toten Wasserratte in der Schnauze wiederkehrte, welche er augenscheinlich als seinen Beitrag zur Mahlzeit darbringen wollte; – ob es in einem Anflug von Sarkasmus geschah, oder ob er wirklich von dem aufrichtigen Wunsch zu helfen beseelt war, vermag ich nicht zu sagen.
Wir berieten darüber, ob die Ratte auch noch in das Gericht aufgenommen werden sollte oder nicht. Harris meinte, es könnte nicht schaden, wenn sie unter die anderen Zutaten gemischt würde, man müsse für jeden Beitrag zur Mahlzeit dankbar sein; aber Georg wehrte sich dagegen.
Er sagte, in seinem Rezept zur Bereitung von Irish Stew stehe nichts von Wasserratten; er wolle lieber den Sicheren spielen und keine unnützen Versuche machen.
Harris meinte: »Wenn man niemals etwas Neues versucht, wie soll man da wissen, was daraus werden kann? Solche Geschöpfe wie du, Georg, hemmen den Fortschritt der Menschheit. Denkt doch nur jenes großen Mannes, der zuerst deutsche Würste erfand!«
Auf unser »Irish Stew« aber können wir stolz sein. Ich glaube nicht, daß mir jemals eine Mahlzeit besser gemundet hat! Es war etwas so Frisches, Pikantes daran! Der Gaumen wird zuletzt der gewöhnlichen, landläufigen Gerichte überdrüssig. Hier hatten wir ein Gericht mit einer ganz neuen, nichts auf der Welt vergleichbaren Würze vor uns. Und obendrein war es auch recht nahrhaft; war doch, wie Georg sich ausdrückte, »etwas Ordentliches« darin. Die Erbsen und die Kartoffeln hätten allerdings etwas weicher sein dürfen, aber wir hatten ja alle gute Zähne, und so machte das nicht viel aus; und was die Tunke anbelangte – ah, die war »glanzreich, duftig, stillverklärt wie erste Liebe!«, für einen schwachen Magen vielleicht etwas allzu würzig, aber nahrhaft!
Wir beschlossen unser Mahl mit Tee und Kirschtorte. Montmorency war inzwischen mit dem Teekessel in Streit geraten und dabei schlecht weggekommen. Während des ganzen Ausflugs hatte er in bezug auf den Teekessel große Neugierde an den Tag gelegt. Wenn man ihn (nicht den Hund, sondern den Kessel) aufs Feuer brachte, so pflegte Montmorency sich dazuzusetzen und ihn mit mißtrauischen Blicken zu beobachten und dann und wann durch ein kurzes Gebell aus seiner Ruhe aufzustören. Als jener nun zu summen und zu dampfen anfing, betrachtete er dies als eine Herausforderung zum Kampf, die er sofort annehmen wollte. Aber in diesem Augenblick pflegte regelmäßig jemand herbeizuspringen und ihm seine Beute vor der Nase wegzuschnappen.
Heute war er fest entschlossen, schneller bei der Hand zu sein. Beim ersten Laut, den der Kessel von sich gab, sprang er auf und stellte sich kampfbereit und laut bellend ihm gegenüber. Es war nur ein kleiner Kessel; aber er war voll Mut und Feuer; er dampfte und spie nach ihm.
»Ah! Wart', ich will dir« – grollte Montmorency, die Zähne fletschend. »Ich will dich Mores lehren! Meinst du, ein hart arbeitender, ehrenwerter Hund lasse sich so von dir behandeln? Du elender, langnasiger, schmutziger Schuft! Nur mal ran!«
Und er stürzte wie ein Drache auf den armen kleinen Kessel los und faßte ihn bei der Schnauze.
Da ertönte plötzlich durch die Abendstille ein langgezogenes, unser Blut erstarrenmachendes Geheul, und Montmorency verließ das Boot und rannte mit einer Eile von fünfunddreißig Meilen die Stunde dreimal um die Insel, indem er dann und wann anhielt, um seine Nase in eine kühlende Pfütze zu stecken. Von der Zeit an betrachtete Montmorency den Teekessel mit einem Gemisch von Ehrfurcht, Mißtrauen und Haß. So oft er ihn sah, knurrte er und zog sich mit eingezogenem Schwanz rasch zurück. Aber sobald der Kessel ans Feuer gesetzt wurde, pflegte er geschwind aus dem Boot zu klettern und am Ufer sitzen zu bleiben, bis das ganze Teegeschäft zu Ende war.
Nach dem Abendessen zog Georg sein Banjo aus dem Futteral und wollte spielen; aber Harris widersetzte sich; er sagte, er habe Kopfschmerz und könne die Musik nicht ertragen. Georg meinte, die Musik würde ihm im Gegenteil gut tun; denn oft besänftige sie die aufgeregten Nerven und vertreibe die Kopfschmerzen; und er klimperte ein paar Noten, nur um Harris zu zeigen, wie es klinge. Harris meinte, er wolle lieber seine Kopfschmerzen haben.
Georg hatte bis auf den heutigen Tag nicht gelernt, das Banjo zu spielen. Auf allen Seiten ist er nichts als Schwierigkeiten begegnet. Er versuchte während unserer Flußfahrt, an zwei oder drei Abenden, sich ein wenig zu üben, aber es wollte nie recht gelingen. Harris' Ausdrucksweise genügte vollständig, um den stärksten Charakter seinen Entschlüssen untreu werden zu lassen; dazu kam noch, daß Montmorency während des Vortrags jederzeit ein furchtbares Geheul anhob. Das hieß doch wahrhaftig dem Manne keine Ermutigung zur Selbstentfaltung geben. »Was braucht das Vieh so zu heulen, wenn ich spiele!« konnte Georg entrüstet ausrufen, während er mit einem Stiefel nach ihm zielte. »Was brauchst du so zu spielen, wenn der Hund heult?« kam von Harris die Gegenfrage, indem er den daherfliegenden Stiefel auffing. »Laß du mir den Hund in Ruhe. Er kann nichts dafür, er muß heulen. Er ist musikalisch veranlagt, und dein Spiel macht ihn heulen!«
So beschloß denn Georg, die Banjostudien aufzugeben, bis er wieder nach Hause käme. Aber auch da wurde ihm nicht viel Gelegenheit dazu. Frau Poppets kam dann wohl herauf und erklärte, es tue ihr zwar sehr leid – denn sie selbst liebe die Musik – aber die Dame im oberen Stock sei großer Schonung bedürftig, und der Doktor befürchte, es könne dem Kinde schaden.
Dann versuchte Georg, das Banjo spät abends mitzunehmen und auf dem freien Platze nebenan sein Heil zu probieren. Aber die Anwohner beklagten sich bei der Polizei, und eines Abends wurde er von einer ihm auflauernden Wache abgefaßt. Der Tatbestand zeugte klar gegen ihn; er mußte geloben, sechs Monate lang Frieden zu halten.
Nach diesem Erlebnis verging ihm der Mut, das Geschäft weiter zu betreiben; er machte zwar nach Ablauf dieser sechs Monate noch einige schwache Versuche; aber er begegnete immer derselben kühlen Aufnahme, demselben Mangel an Verständnis und Mitgefühl von seiten der Welt.
Nach einiger Zeit verzweifelte er gänzlich an jedem Erfolge und setzte das Instrument mit bedeutendem Schaden zum Verkauf aus – »da kein Gebrauch mehr von selbigem gemacht werde,« – und lernte dann anstatt Banjo spielen – Kartenkunststücke! Ja, ja, es muß schon etwas entmutigend sein, das Erlernen eines Instruments! Man sollte denken, die Gesellschaft sollte in ihrem eigenen Interesse einen Menschen, der ein Instrument spielen lernen will, in jeder Weise unterstützen – aber sie tut's nicht!
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