Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Der Kronprinz fragte mich mit einem wahren Anteil, der mich ergötzte: »Wie und durch wen soll ich aber das Portativ- und Taschenweltchen, wenn ich einmal zur Regierung komme, umarbeiten? Soll ichs durch meine Wesire organisieren?« –

»Gnädigster Herr,« versetzte ich, »Ihre Vize-Re, missi regii, Legaten und Flurschützen, die drunten Ihren Titel führen, sind gemalte Engel mit wahren KronenIn manchen katholischen Kirchen hat man gemalten Schutzengeln wirkliche Votiv-Kronen aufgesetzt. und sind selber verdammt mit dem Übel geplagt und plagen wieder damit. Aber zwei recht gute andere Arzeneien gibt es. Ein Komet kann kommen und die Tressen der Erde ausbrennen mit dem Feuer des jüngsten Tags: dann werden alle Lebende, wie ich von guten Theologen weiß, auf dem Platze verwandelt, und der Komet, als die säubernde Fleckkugel dieser schmutzigen Kugel, reibet alle Kleckse weg von dem Wittenberger an, den Luther an die Wand machte, als er mit dem Teufel Krieg anfing, bis zu dem RastätterEs ist nicht vom jetzigen Frieden und dessen Klecksen die Rede, sondern vom ersten Rastätter Frieden, dessen Schmutzflecke man Fremden zeigt., den die Sekretäre anspritzten, als man mit ihm einen endigte.

Außer dem Kometen kann noch die Zeit viel tun. Das Licht des Kopfes und die Kälte des Herzens müssen in diesen Wintermonaten so wachsen, bis sich der blutige kämpfende NordscheinGroße Kälte und helle Tage erzeugen leicht Nordscheine. des Kriegs, das Gewitter des Winters, erzeugt. Die Batterien rütteln die Erde für mehr als einen Samen, nicht bloß für Würmer locker; und der blutrot aufgegangne Mond wird im Scheitelpunkte licht und rein.« – »Ich wollte,« sagte mein Eleve, »das Totschlagen auf dem Stunden- oder Jahres-Ei höbe sich nicht erst unter meiner Regierung an.«

Das Glück wollte mir so wohl, daß ich ihm den Anfang des Erschlagens schon zeigen konnte; ja es traf sich glücklicherweise, daß die roten Schlachtfelder und Blutäcker in Europa so groß waren, daß er sie, bei dem Mangel an Mondlicht und ohne das Mikroskop, gut genug erkennen konnte. Aber er wußte, wie kleinere Große, so wenig von seinem künftigen Kronländchen, daß er mich über die ins Bluthemde und in den spanischen Rotrock des vergessenen Blutes gekleidete Erde ausfragte, inwiefern den Trillionenpfünder die Vierundzwanzigpfünder so röten, und was bluten und sterben sei.

Ich stellte sogleich den finstern Erdkörper wieder auf den Objektenträger, und zwar mit dem berlinischen Zeughaus unter den Fokus des Glases zurück, so daß der Erbprinz die einundzwanzig Gesichter oder Larven sterbender Menschen, welche Schlüters Meisterhand im Hofe des Zeughauses als Schlußsteine angebracht, meistens erblicken konnte. »So sehen unsere Gesichter aus, wenn wir sterben«, sagt' ich.

»Ich möchte deines sehen,« sagte der Sirius-Fürst, »wenn es so geblieben ist, wie es im Sterben war.« –

»Ei was!« – sagt' ich und suchte auf dem Globus und fand unter den Leichen des Bleikellers in Bremen eine mir ähnliche und drückte mit dem Zahnstocher darauf – »ich muß noch ganz sein, ich bin ja kaum vierzig Jahre lang tot.«

»Um Gottes willen!« rief der kritische Redakteur, der unter den Leichen eine redende sah. – Ich kam zu mir und sah, daß ich den Zahnstocher wie ein Stilett auf mich selber gesetzt.

»Allerdings vierzig Jahre!« (wiederholt' ich und ging auf den Literator los) »ich bin der selige Liscow, der seine Stunden hatte, wo er gelehrte Männer schabernakte.« –

»Bei Gott!« – sagte der Redakteur erheitert – »sie muß in das Intelligenzblatt der Literaturzeitung – in den Verkündiger – in den literarischen Anzeiger – in einen Brief an Wieland – in Meusel – und in alles – eine so unerhörte Palingenesie.« –

»Wenigstens in die Palingenesien«, sagt' ich.

Ende
 

O du Wildling von Engel! Wie viel tiefer als der kahle kleinliche Ernst der Welt geht dein Scherz in meine Seele, und wie viel ernster ist dein Lachen als ihr Weinen! – Warum soll ich das Feuer, das der geliebte Tragikomiker in mir aufgeblasen, jetzt nicht benutzen, um hier es herauszusagen, daß bloß er und noch viel bessere Leute im Titan es auf sich haben, daß das Werk noch gar nicht heraus ist?

Die Sache ist diese: solange nämlich ein biographischer Haarstern – wie z. B. Hesperus – mit seinen Bewohnern brennend vor meiner Seele steht und ich während seiner Erd- und Sonnennähe in seinen langen Zodiakalschein und durch seinen in Licht aufgelösten Kometenkern schauen kann: so lange bin ich selber in Flammen und im Himmel. Entfliegt aber der Komet in die Erd- und Sonnenferne hinaus: so wird der Lichtschweif, der 70 Grade am Himmel einnahm, vom verdichteten Kerne abgeworfen, und ich habe nichts mehr – ausgenommen bei der zweiten Auflage, d. h. bei der Wiederkehr des Kometen. – Die Darstellungen hoher Menschen – wie Emanuel, Viktor, Klotilde – sind durchlebte warme Blütezeiten der Seele, ach die niemals, niemals wiederkommen, so wenig wie die erste Liebe oder der Jugend-Silberblick oder irgendeine Begeisterung. Denn der Mensch läuft in keiner runden Mondsbahn, ja in keiner langen Kometenbahn um irgendeine Sonne und treibt sich in keinem wiederkehrenden Tausche von Neu- und Vollicht, von Haar- und Schwanzstern um: sondern er zieht gerade und kühn wie ein fliegender Engel mitten durch die Schöpfung und durch die Systeme, immer von dem Morgen neuer Sonnen bestrahlt und von dem Erdschatten neuer Erdkörper verdunkelt, und niemals tritt er einen Lauf von neuem an.

Das einzige, was ich kann und tue, wenn ich durch eine dunkle leere Zwischenkluft durch bin und in eine neue Milchstraße ziehe – zumal in eine so breite, wie mein Titan ist –, das besteht darin, daß ich langsamer fliege zwischen ihren Sternen. – –

Aber zu unserer Geschichte zurück! (Nur diese Zurückkehr' hab' ich oft genug.) – Der Leser hat nicht vergessen, daß ich ihm den ersten Mai und den Geburtstag meiner Hermine am Anfange des Reise-Anzeigers angesagt. Sobald ich Leibgebers große Tour durchhatte: macht' ich mich zu einer kleinern fertig und ging auf die Insel Schütt, welche wie den Saturn ein doppelter Ring umzieht, die Stadt und die Pegnitz. Kökeritz in seiner Lenzweste und sogar Georgette mit ihren Gefahren und meine eignen mußten aus meinem vom roten Maiabende hell ausgemalten Kopfe fort, damit Hermine allein darin die schönste Stunde feiere.

Siebenkäs sagt, Eheleute hätten, da die Rota längst das hundertjährige Jubiläum in vier fünfundzwanzigjährige Jubelfeste ausgeschnitten, noch weit mehr Gründe dazu – nämlich die jetzige Kürze des Lebens und des ehelichen Friedens –, etwas Ähnliches zu tun und die Silberhochzeit schon von Jahrzehend zu Jahrzehend zu feiern, wenn nicht gar schon in die Flitterwochen diese säkularischen Spiele gehören. – Aber in einem ernsthaftern Sinne fühlt' ich auf der Insel Schütt, daß das Herz an jedem Geburtstag einer geliebten Person das Jubiläum seines Bundes begehe. Vor allen Dingen richtete sich meine Seele, die der Krampf der Furcht einziehen wollte, stark und gewaltsam auf, wie man den Krampf der Glieder durch Ausstrecken hebt: »Sie hätte mir«, sagt' ich, »meinen vergessenen Paß längst geschickt (denn finden mußte sie ihn gleich): hätte sie nicht etwas Besonderes damit vor.« Auch hielt ichs für eine Buße und Danksagung, die ich ihr schuldig sei, mich von keinem Schein mehr über sie irren zu lassen und lieber ein Gläubiger als ein Schuldner von Briefen zu sein. Und nun konnte die Pegnitz, die mit ihren zwei Strömen wie mit Armen die grünende Insel hielt, und der Frühling, der zwei andere aus roten Wolken über den Himmel trieb, einen in Abend und einen in Morgen, ihre Wirkung an mir tun. Im Kalender unserer Phantasie fället der Frühlingsanfang nicht in den 21sten März, sondern in den ersten Mai; und in diesem werden die Kopulierbänder der Menschen sowohl als der Bäume sanft gelüftet. Ich hatt' auf einmal zwei Jugenden, eine erinnerte und eine gegenwärtige: der Pegnitzstrom, der auf seinem eiligen Wege durch die Stadt siebzig große Räder umwälzet, glänzte als ein Bild der Kraft des Menschen vor mir, welcher, so eilig er auch von seinem ersten Tage in seinen letzten verrinnt, doch im Vorüberfließen das Räderwerk der Schöpfung treiben hilft. »Ja,« sagt' ich, »ich will mich künftig anders als bisher gegen das Verhängnis stemmen, wenn es auf dich eindringt, Hermine, und will deine Leiden lieber verhüten als teilen. Ach wenn nur einmal ein Mensch sich fest und rein vornähme, einen andern uneigennützig zu beglücken: es würd' ihm schon gelingen! – Und soll denn immer nur das weichere Geschlecht für das härtere mit wunden Händen die Nesseln aus dem Leben ausraufen und nie dieses für jenes? – Und gar du, gute Hermine, die schon die Rosen der Freude viel zu sehr an den Dornen anfasset?« –

Die Tat – diese Zunge des Herzens – ist zugleich der gesündeste Balsam desselben, und jeder gute Vorsatz ist ein Trost. Ich versteck' es nicht, daß ich – weil in mir der Autor und der Mensch immer überall Koppeljagd und Erbverbrüderung haben – unter den Freuden, die ich Herminen zudachte, auch die Kapitel aufführte, die ich im Titan schreiben und mit ihr lesen will: ist nicht das Harmonikon der Musen das Echo oder das Repetierwerk irgendeiner verklungnen Stunde der höchsten Liebe, und färbet sich nicht in jeder Rührung die erblaßte Flitterzeit wieder frischer an? Und wenn ein auswendig gelerntes Herz und Gedicht gleich sehr einbüßen, kann ein Poet der Erschöpfung des Herzens besser steuern als durch die Unerschöpflichkeit der menschlichen Phantasie? – –

Ich lande wieder auf meiner Insel an, welche die Wellen und die Fische und die Vögel und die Abendlüfte immer schöner umzirkelten. Der in Schattenasche zerfallende Tag und die wehmütige Freude, daß zwei Menschen sanfter durch siebzehn Meilen als durch einen Gedanken geschieden werden, warfen, wenn keinen Schleier, doch den Schatten ihres Schleiers über mich: ich dachte jetzt (wie ich an jedem wichtigen Tage tue) an die tausende, die meinen heutigen mitfeiern. Am ersten Mai, dacht' ich, werden gewiß in Europa – wohl in Nürnberg selber – einige Eheleute, entweder der Mann oder die Frau oder beide, ihren Geburtstag, wie der Philippus Jakobus seinen Namenstag, haben und begehen; und wenn sie nur etwas taugen: so werden sie, wenigstens einige davon, in dieser Festminute im Werkeltage des Lebens ihre frohe Vergangenheit und ihre bedeckte Zukunft miteinander überrechnen und sich umarmen aus Liebe und Furcht – sie werden miteinander die ersten stummen und mimischen Stunden ihrer Annäherung zurückholen, und die weibliche Seele wird jetzt leichter die vorigen stillen Leiden und Wünsche liebkosend bekennen und nun ebenso mit der entschleierten Liebe erwärmen wie sonst mit der verhüllten, und die männliche wird das hohe einzige Gefühl gestehen, womit ein Mann zum ersten Male in seinem Leben zu einem teuern Wesen sagt: »Du bist mein und ich dein, und nun beschütz' ich dich gegen die Welt, und alle deine Leiden sind meine, und wir verlassen uns nicht mehr wie andere Menschen« – eine heilige Minute, worin die Liebe vielleicht heißer und zärter und milder ist als in der frühern, wo Amors Fackel den Schleier der Psyche verbrennt und in das beschämte Auge voll Liebe und Tränen leuchtet, das geblendet niedersinkt. – Aber diese Menschen werden am Geburtstage auch gen Himmel schallen an das gezogne Kometenschwert des Todes, das einmal die Arme der Liebe durchschneidet, und sie werden sich fester unter dem Schwerte umfassen, um an einer Wunde umzukommen – sie werden über den zweischneidigen Kontrast zwischen der Ewigkeit jeder hohen Liebe und zwischen der Nichtigkeit des irdischen Interims erschrecken, aber auch weinend aufsteigen: denn vor demselben blauen Totenlicht aus ÄtherVor brennenden Äther werden alle Farben bleich, ausgenommen die blaue. , um welches alles Farben der Erde erblassen, glänzt das Blau des Himmels höher an, und sie werden sich sagen: »ja, das Wesen, das uns auf der kleinsten kältesten Welt zusammenführte, kann uns ja nicht durch seine große heilige trennen; und wenn droben in der Unsterblichkeit noch Liebe ist, ach welche neue könnte denn wärmer und heiliger sein als die gegen das vertraute Herz, das auf der drückenden Erde gegen unseres so geduldig und so liebreich und beständig blieb?« –


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