Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Siebentes Werk vor Nürnberg

Warum der Kantianer andere leichter bekehren und verstehen kann als sich

Newton setzte in seinen jüngern Jahren so tiefsinnige Werke auf, daß er in seinen ältern nicht mehr vermögend war, sie zu fassen. Von einem Manne dieser Größe lässet sich die Annäherung an jetzige vielleicht noch größere Köpfe gedenken, die philosophische kritische Werke von solchem Werte – und fast in jeder Messe eines – schreiben, daß der Verfasser sein Werk nicht verstehen kann, und zwar nicht erst im Alter, wo ohnehin der Mensch voll gesunkner Kräfte nur seine eigne Mumie und der Sarkophag seiner Jugend ist, sondern in den besten Mitteljahren und sogar in der Minute, wo alle Kräfte im Blühen, nämlich im Machen sind; er kann nicht wissen, was er sagt und will, und könnt' er damit einen Kurhut verdienen, von welchem der baiersche Kurfürst dekretierte, daß er in seinen Landen mit einem Ch geschrieben würde. Auf eine ähnliche Art bauet die Seele des Kindes (nach Stahls System) sich den künstlichen Leib, dessen Kunst und Textur nicht sie, sondern ein später Prosektor nach ihrem Entweichen aufdeckt. Freilich verbreiten solche Männer dann mehr Licht, als sie selber genießen, wie auch die Sonne alle geringere Körper vollstrahlt, indes sie selber (nach Sack und nach Peyroux de la Coudroniere) so finster ist wie ein Entenstall. Inzwischen tauschet ein nur im Hause der Gemeinen sitzender Wochenmensch wie ich kaum mit ihnen: ich werfe zwar nur kurze und dünne Strahlen in die Gehirnkammern der Menschen und gebe nicht sowohl vortreffliche Werke heraus als bloß gute; allein ich meines Ortes kapiere mich doch, ich kann doch das mannigfache Gute, was meine Sachen auftischen, in meinen Milchsaft verwandeln und diesen in Puls-Blut und arbeite mich also durch den Unterricht, den sie mir durch ihre spielende Methode geben, selber in einen brauchbaren Mann um. So lässet ein Brennspiegel von schwarzem Marmor zwar andere Gegenstände kälter, aber er macht sich selber wärmer, als ein glänzender tut.

Dabei können oft die tiefsinnigsten kategorischen Imperatoren wie der russische (Peter der Große, ders von sich selber sagt) leichter ihre Nation umbessern als sich, da sie nur von jener verstanden werden, aber nicht von sich. Gleich den Gebeinen des Elisa verleihen sie einem fremden Leichnam moralisches Leben ein, sie selber aber beharren in der toten zaundürren Verfassung. Ich stelle mir ihre Lage deutlicher vor, indem ich sie (wie die Fürsten) mit dem Judengotte vergleiche, der nach den RabbinenMorhof. Pol. IV. 1. vor der Schöpfung das Gesetz auf dem Rücken in feurigen Lettern trug. Freilich ist dann die kritische Gesetztafel leichter von dem zu lesen, der hinter der Tafel geht, als vom Gesetzträger selber, der sich nach ihr wie nach äsopischen Gebrechen nicht umdrehen kann. – Inzwischen ist Menschenliebe vielleicht die einzige Tugend, die keinem Kantianer fehlet. Ich spreche hier nicht von der humanen Schonung in ihrer Polemik: sondern von ihrer ganzen Thetik. Als Gegenfüßler der Glückseligkeitslehre können sie aus dem Vergnügen anderer Leute nicht mehr machen als aus ihrem eignen und opfern also fremdes ebenso kalt wie eignes auf. Sie würden sich daher schämen – denn es wäre Heteronomie –, in ihrer formalen Tugend die materielle Absicht fremder Beglückung mehr wie der eignen zu haben; sie suchen andern (wie sich) nichts zu verschaffen als das einzige und höchste Gut (Moralität) und tun es durch die einzig-möglichen Mittel, durch Diskurse und Manuskripte. Und so erreichen sie leicht den höchsten Gipfel der Moralität, indem sie gute Werke nicht sowohl tun als schreiben und indem sie z. B. ihre Freigebigkeit nicht in einer elenden materiellen Gabe, sondern in einer Ermunterung zur Freigebigkeit bestehen lassen: der Ermunterte ermuntert fort, und so immer jeder den andern, und kein Heller wird dabei ausgegeben. – Und das ists, wozu es schon längst viele Geistlichen treiben, daher die Kantianer selber die Christen für ihre Vorläufer erkennen.

Ende des siebenten Werks


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