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Fata: | Grenzrezesse – der Paß des Grafen – die Feierlichkeiten bei meinem Einzug – Jagd nach Georgetten und Briefen |
Werke: | Brief des Herrn Hans von Hansmann über seine 365 Gevattern |
Ich hoffe, sowohl Patrizier als Rußige hätten sich durch das süße Gefühl geschmeichelt gefunden, das mich durchzog, als ich den Judenbühl verließ und nun ganz Nürnberg, von der Kolonnade von zwölf Hügeln oder Karyatiden gehalten und von einem blühenden und wachsenden Erntekranz aus Gärten umgürtet, vor mir liegen und rauchen sah. Stuß riß viel vom Lobe, das ich seiner vorigen Münzstadt erteilte, zu eignem Gebrauch an sich und sprang auf den Triumphwagen, den ich für Nürnberg anspannte, hinten hinauf. Setzet mich vielleicht (wie ich nicht wünsche) die Städtebank zur Rede, warum ich gerade dieser Stadt das Schnupftuch, nämlich die Wahl meines Absteigequartiers vergönnen wollen: so geb' ich zur Antwort: der Kindleinsmarkt war schuld. Die 60 000 Statuen in Rom (mehrere sind nicht da, nach Volkmann), alle Gliedermänner, Taufengel und Karyatiden können meinem Herzen keine solchen Himmelsbrotspenden liefern, als ihm in der Kindheit die Nürnberger Puppen oder Docken auf kleinen Rädern zufuhren. Ach ergötzte uns nur niemals ein gefährlicherer und ärmerer Tand als der Nürnberger! – Für Kinder sind Puppen fast so groß und schön wie Kinder für uns. – Diese Spiegel- und Miniaturwelt der Drechsler in Verbindung mit ihrer Levante, dem Christmarkt, prägten meiner Seele eine alte Vorliebe für die Reichsstadt und den noch dazu richtigen Glauben ein, daß man dort noch häuslich lebe.
Als wir bei der sogenannten Mistgrube vorbei und nahe an den tiefen Proserpinens-Gärten des blühenden Stadtgrabens waren: hatt' ich das Vergnügen – was vor dem Einzug in eine Stadt ungemein groß ist –, daß der Bote viel von ihr sprach: zu den fünf Blättern, die Matthias Seutter von der Stadt und ihren Grenzen gestochen, lieferte Stuß mehrere Supplementblätter nach.
Da ich endlich vor einem Nürnberger Schlagbaum mit dem rechten Fuße im reichsstädtischen Territorium und mit dem linken noch im brandenburgischen stand: blieb ich so ausgespreizet stehen und sann über die Schwierigkeit, Grenzen zu bestimmen ohne Beleidigung der Grenzgötter, lange, aber ohne Nutzen nach. Ich halte einen Grenzrezeß für völlig unmöglich. Denn man ziehe immer eine Demarkationsfurche, z. B. mit den Rädern einer Kanone, ja mit einem Bajonett: so werd' ich und jeder Brandenburger, der mathematisch scharf denkt, anfragen – da die Furche stets eine Breite haben muß –: wie weit erstreckst sich in dieser Breite das eine Territorium und wie weit das andere? Ja, wären beide schon so scharf abgeteilt, daß ein Floh das dritte Paar Füße (die Springfüße) im brandenburgischen Gebiete und das erste im Nürnberger hätte: so würde der Streit über das Territorium des zweiten erst recht angehen. Kurz, so lange nicht eine Linie ohne Breite zu ziehen ist – woran man die echt-geometrische erkennt –, so kann kein Landesherr, der nach geometrischer Schärfe verfährt, je mit Grenzberichtigungen zufrieden sein.
Ich verfolgte nun statt des Markungs-Skeptizismus meinen Weg, und die Füße fanden leichter als die Messungen das Nürnberger Gebiet. Vor dem Läufertore wurde mein Mantelsackträger angehalten und um die Kundschaft befragt: er berief sich auf seinen nachkommenden Präpositus. Der Mittelwächter hielt diesen an, ein Unteroffizier trat heraus, foderte den Paß – – und mir passierte ein verfluchter Streich. Ich gab ihm den Paß: er las lange daran – »Bataillon?« fragt' er endlich. Ich dachte, er tue einen Fluch, der sich mit Bataillon etc. anfängt, und wartete. »Das Wetter! Bataillon oder Baraillon?« fragt' er noch einmal, da ich ihm zu ruhig in das unruhige Antlitz sah. Jetzt war mir, als wenn mir ein Fontanell zufiele aus Mangel der Erbse: der Unglücks-Graf Sebald von Baraillon in Hof hatte mir seinen verdammten Paß aufgepackt, und ich hatte darüber meinen nicht eingesteckt, und nun hatte der Unteroffizier den falschen in der Hand.
Es war weiter nichts zu machen als eine Finte und eine Tugend aus der Not: »Mein leserlicher Name ist Comte Sebaud de Baraillon, zu deutsch Graf Sebald von Baraillon«, sagt' ich zur Wache. So sah ich mich also ohne einen Heller Kanzlei-Jura, ohne Taxgelder an Vizekanzler und Sekretäre und ohne den geringsten Beweis, daß ich ein gräfliches Auskommen habe, auf die Grafenbank versetzt. Wenn jeder dem andern Staub in die Augen wirft – wenigstens der König Goldstaub – der Rektor an der Domschule und der Protektor Schulstaub – die päpstliche Rota Glasstaub, der noch dazu die Augen anfrißt – der Poet Federstaub von seinen Zweifaltersflügeln – der Buchhändler Bücherstaub: so hängt man mich freilich nicht, wenn ich dem wachthabenden Offizier den Streusand des Passes in die Augen blase; inzwischen ging mir dieses Stäuben im Kopfe herum, bis ich zu mir sagte: denke dir, du sagtest in einer deiner Biographien die Sache aus Spaß. – Dem Weibergesellen hielt ich jetzt vor, wir müßten bei einer Konfrontation wie Kerbhölzer ineinandergreifen, und er sollte mich künftig Herr Graf nennen, weil man sonst unter dem Tore dächte, ich löge.
Ein deutscher Prinz nahm die herrliche Gassen- und Waren-Erleuchtung Londons für eine kleine Illumination, womit ihn die Stadt empfangen wolle; und schon der Mensch überhaupt sieht den Mond für seine Monatsuhr, die Fixsterne für sein Immobiliarvermögen an und die Wandelsterne für seine beweglichen Güter, den Erdkern für sein Schiffsgut, das Pflanzenreich für sein Mußteil und das Tierreich für seine Holländerei. »Ich will auch etwas aus mir machen,« sagt' ich in Nürnberg, »ich will das, was in den Gassen vorfällt als ein geringes Zeichen der Verehrung annehmen, womit mich die Reichsstadt empfangen wollen.« Es war nicht schwer, zu bemerken, wie mich Nürnberg einholte. Zuerst ritt mir der Rektor magnifikus von Altdorf entgegen und nachher seines Weges – man läutete mit Glocken, und die Frühprediger versammelten sich auf ihren Kanzeln, mich anzureden, wenn ich in die Kirche käme – auf dem grünen Markte wurd' ich von den Gemüse-Kauffrauen wirklich angeredet und salutiert, als ich über Petersilie und Gemüse, die statt der Zweige und Blumen auf den Weg gestreuet waren, hinwegging – die vierundzwanzig Kompagnien der bewaffneten Bürgerschaft zu Fuß waren in ihre eignen Häuser postiert, weil man nicht wußte, wo ich vorüberpassierte – das Springen aller öffentlichen Springbrunnen, die Menge der Kränz- und SchmeckenbinderinnenBlumenbinderinnen. und die gen Himmel gekehrten umgestülpten Ehrenbogen einiger über die Gassen gehangnen Laternen für Illumination – das Auf- und Absprengen einzelner EinspännigerDie Stadtgardisten zu Pferde, die meist zur Ruhe gesetzte Dragoner sind. – die mit welschen Festtapeten mehr bemalten als behangnen Häuser – die unzähligen Gassenspiegel (sie sollten meine Gestalt auffangen) – die Ehrenwachen an allen acht Toren formierten zusammen einen glänzenden Empfang, den ich kaum annehmen wollte, und zuletzt, als mir gar drei WeisheitenSo heißen die acht bürgerlichen Ratsglieder zum Unterschiede von den Patriziern. und drei Patrizier in schwarzen Schleppkleidern, spanischen Igelkragen und mit Schwanz- und Haarkometen von Perücken entgegenkamen, wich ich errötend aus – – »Viel vom Empfang« (sagt' ich zu mir selber) »hat man freilich auf die Rechnung zu schreiben, daß ich (als Graf Sebald) der Interims- und Namensvetter des vorigen Schutzpatrons bin, des heiligen Sebaldus, von dem sie ja noch die Sebaldus-Kirche, die Sebalder Seite und den Sebalder-Reichswald meines Wissens aufbewahren.«
Dennoch blies sich der Bote noch mehr auf als ich mich, bloß weil er alle Gassen kannte und ich nichts. Er ging jetzt als mein Leithämmel und Lotsen ins Wirtshaus zur Mausfalle voraus, diesen Antikentempel des guten Hans Sachs. »Wenn bei einer Kaiserkrönung« – sagt' ich zu mir – »ein Markgraf neben dem römischen König steht, so wird er ein Aposteltag, der in einen Festtag fällt und den die Hofleute über diesen wenig begehen. Und so werdet ihr beide, du in deinem trächtigen Nachtmantel und Stuß in seinem Laufkollett, weder im roten Hahnen am Kornmarkt, noch in der goldnen Gans, noch im Reichsadler etwas anders vorstellen als Zaunkönige: hingegen in der Mausfalle ist ein französischer Graf leicht ein Schützen- oder Vogelkönig, ein achtes Wunder der Welt und eine neunte Kur.« –
Der Wirt kannte den Boten, und ich errang ein Stübchen zur Miete. Es kam viel Ruhe in meine Brust, da man meine Effekten ausgepackt, aufgehangen, um mich gelegt und das Stübchen mit der Fracht möblieret hatte: die vorigen Städte legt' ich nur als die Sprossen der Jakobsleiter an Nürnberg an: »Nun bin ich, wo ich sein will«, sagt' ich zum Meister und erschrak über den Doppelsinn. Ach, wenn könnte der Mensch das sagen? Indem er zu seinem Ruhebette, ich weiß nicht, hinauf- oder hinabsteigt, kehrt er sich oft müde nur auf einer breiten Staffel um und setzt sich darauf an die andern gelehnt und sagt: endlich hab' ich eine Ruhebank. Der lange Gang des Menschen ist ein Ersteigen des Münsterturms: nach 325 schwer erreichten Stufen findet er einen freien breiten Platz und ein Wächterhäuschen, und hier schreibt er seinen Namen in Stein und geht wieder hinab; einer und der andere klettert von da aus erst zum Knopf und hat die Aussicht der Unermeßlichkeit, und dann steigt oder stürzt er auch hinab.
Solche Betrachtungen macht man leicht, wenn man die ganze Nacht auf den Beinen und in Träumen war, und wenn noch der Aschermittwoch des vierten Feiertages zu begehen ist, an welchem alle Menschen die zerstreueten laufenden Funken froher Augenblicke über den dunkeln Zunder der verloderten Tage irren sehen.
Ich mußte wissen, daß ich nicht umsonst in Nürnberg war, sondern daß ich herkulische Arbeiten darin zu machen hatte, deren zwei sind: nämlich Leibgebers Inserat neu zu edieren und der Tochter des Emigranten den Paß, die Patentpomade und den Fächer auszuhändigen. An beides war jetzt nicht zu denken: zur ersten Arbeit war ich zu müde, zur andern auch und zu vergessen dazu. Ich wußte wohl, daß Georgette bei einem Fleischer wohne – aber ich wußte nicht, wo dieser wohne, und war froh, daß ich Stussen erst lange bei der ganzen Kuttler- und Fleischer-Gesellschaft naturforschender Freunde herumzuschicken hatte. Mit einem Wort: ich wollte nur gern die von dem leuchtenden Frühlings-Eden ausgehellete Seele aus der bangen dunkeln Kajüte wieder in das Frühling-Louisium tragen, aus der Schusterwerkstatt des Dichters in den Irrhain des Blumenordens. –
»Stuß, tu' Er doch im Vorbeigehen einen Sprung in die Zehische Buchhandlung – ob nichts an mich da ist.« Es konnte ohne Taubenpost noch kein Brief von Wetzlar oder Hof da sein; aber hierüber lass' ich nicht mit mir reden. Ein Brief ist mir fast ein Wechselbrief und (nach dem juristischen Sprichwort) lieber als Zeugen. Einen unbeschreiblichen Genuß schöpf' ich aus dem Empfangen und Erbrechen eines Briefes, wiewohl mich auch sein Lesen freuet; – dann überfahr' ich ihn absichtlich so, daß ich ihn nach einer Stunde wieder lesen muß, weil ich das erstemal zu wenig davon verstanden – zum dritten Male les' ich ihn bloß so. Ich habe schon oft gewünscht, die Italiener (weil sie jeden Brief der Posten wegen doppelt schicken) oder der Himmel (wie im Mittelalter geschah) schriebe an mich, besonders da ich ihm nicht zu antworten brauchte: denn ich erhöhe mir den Reiz der Briefe, die ich bekomme, noch künstlich durch mein Schweigen darauf. Meine Brief-Jägerei geht so weit, daß ich gleich dem sinesischen Kaiserhofe unter den Monturen, wie die Blumisten unter den Hyazinthen, die postgelben am schönsten finde. Ja treib' ichs nicht oft weiter und lege meine eignen gesiegelt auf den Tisch und mache mir nachher, wenn ich mich vergesse, weis, sie wären an mich adressiert? Und schmeichl' ich mir nicht oft, wenn der Briefträger mit seinem herrlichen Brief-Faszikel vor mir steht, er händige mir jeden Augenblick den Faszikel aus? – –
Nun weiter! Ich ging mit dem entzündeten Fieber-Herzen, worin die Träume der verwachten Nacht und die der Hoffnung klopften, in den Harsdorfschen Irrhain bei Kraftshof; – ich schrieb da tief gerührt meinen bekannten Brief an Siebenkäs; denn meine Träume sind voll Frühlinge, und meine Frühlinge voll Träume. – So weit bracht' ich den Leser schon im ersten Kapitel des ersten Teils; und blieb im Haine stehen.
Ich gehe jetzt mit ihm im ersten Kapitel des zweiten Teiles weiter, nämlich nach Hause in die Mausfalle. Ein Mensch, der auf der Ziehbank und Drahtmühle der Erwartung – eines Briefs z. B. – dünn gequälet und gezogen wird, kommt nicht besser davon herunter, als wenn er (wie ich) ausgeht, und zwar an einen Ort, wo er nichts zu erwarten hat: im Irrhain konnt' ich unmöglich auf meinen Sack- und Briefträger aufsehen, aber in der Mausfalle wär' ich jede Minute ans Fenster gelaufen.
Stuß war gekommen, aber kein Brief, und die Gräfin Georgette hatt' er unter den Fleischern Nürnbergs so vergeblich gesucht als unter denen des Robespierre. Weiß indes ein Mann es so zu karten, daß er in vier Lotterien auf einmal einsetzt, d. h. daß er sich vier Hoffnungen zugleich macht: so gewinnt er wenigstens bei einer – ich gewann einen andern Brief aus der Zehischen Buchhandlung, der mir mein satirisches Pensum ersparte.
Die Bewandtnis ist diese: im Voigtland und, ich glaube, in mehr Ländern wird kein adeliges Kind getauft, das nicht mehr Paten als Ahnen hätte: hundert oder doch funfzig ist Tax. Der Gebrauch ist schon an und für sich gut, da er den Täufling auf einmal mit der ganzen Reichsritterschaft in eine kanonische Verwandtschaft bringt, aus der zuletzt eine viel einträglichere zu machen ist; aber noch wichtiger werden solche Anstalten für die Taufnamen eines Junkers, da sonst der Adel keinen Namen weiter hatte.Bis ins eilfte Säkulum hatte der Edelmann nur einen Taufnamen, zu dem noch ein Beiname kam, z. B. der Bär, der Weiße, die Maultasche. Nachher erst wurde er nach seinen Gütern genannt, daher das Wörtchen von. Siehe die vortreffliche Abhandlung darüber im deutschen Museum 1782, Febr. Allein eben darum sollte das Kind alle Namen seiner Paten wirklich bekommen. Ich sehe nichts darin, wenn ein Edelmann wenigstens halb so viel Namen erhielte als bei den Arabern das Schwert, das, obwohl nur sein Pertinenzstück, doch dreihundert Namen und bei den alten Rittern einen Taufnamen hatte. Wenn er sich zur Kenntnis seines Ichs einen römischen Nomenklator hält, so wird er (sogar bei Ritterkonventen) immer wissen, wie er heißet. In Meusels gelehrtem Deutschland formierte, falls er hineinkäme, sein Name allein ein Namenregister und im Kirchengebete des Patronatspfarrers einen Vokabelnsaal, nicht zu gedenken des Raumes in Pränumerantenlisten.
Der gedachte Brief an mich nun war von einem alten ehrlichen Landsassen, Hans von Hansmann, der bei Gelegenheit vernommen hatte, ich wäre einer der besten Skribenten und schriebe für die halbe Welt. Der alte Landsaß, der Bücher den Buchbindern überlässet, kam auf den Gedanken, ich sei ein sogenannter Schreiber und schreibe so schön wie ein holländischer Kontorist. Da er, wie es scheint, seinen Brief aus einem ähnlichen in den Teufels-Papieren (S. 119) abgeschrieben hat, was er durch eigne Einschiebsel zu verstecken denkt: so kann ich das Schreiben als mein erstes Werk in Nürnberg aufführen.