Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Reise-Anzeiger

Fata: Kleider-Simultaneum – mein consilium abeundi in Erlang – mein innerer Landsturm gegen Kellner und Kantianer – die schöne Nacht in der schönen Nacht
Werke: warum ein Kantianer andre leichter belehrt und versteht als sich

Aber meine Streitberger Antwort schlag' ich dem Leser ab, weil ich darin vor der edeln Hermina als ein Beichtsohn, als ein büßender Bruder und feuriger Busch zugleich stand: nach meinem Tode scharrt man ohnehin meine Briefe zusammen und gibt sie heraus. Die Erde ziehe dann immerhin über den Erblaßten los: denn werd' ich mir wohl dort oben als Adjunktus der philosophischen Fakultät je ein graues Haar über die Donatschnitzer wachsen lassen, die mir auf der Schulpforte des Lebens in einem und dem andern Dokimastikum meiner Schulbücher entfuhren? –

Ich werde den Augenblick mein Nachtessen und Lager in Streitberg bezahlen und weiterreisen, wenn ich nur vorher über eine Anmerkung Firmians meine eigne gemacht habe. »In Haleb« – sagt der gute Inspektor – »werden nach Russel die Augen einer jüdischen Braut mit Harz zugeklebt und bloß vom Bräutigam wieder aufgezogen: bei uns hingegen sind gerade seine zugepappet, und sie gehen ihm oft zu gleicher Zeit auf und über. Die Braut kann es von jeder Magd erfahren, daß ihr Sponsus keine Mores, kein Sitzfleisch außer auf dem Sattel und keine Geduld besitze, daß er in der Messe mit keinen Bankiers Geschäfte mache als denen an der Pharao-Folterbank, und daß er seinen Reitknecht unchristlich prügelte, fast mehr als den Gaul – oder auch das Gegenteil von allem kann sie erfragen. Hingegen die Braut steckt in einer langen Charaktermaske, aus der erst die Kränzeljungfer sie entkleidet, und die ihr nicht wieder an den Leib kommt, außer wie anderer Putz, wenn sie Besuche macht; und war vorher ihre Sonnenfinsternis ganz Europa unsichtbar, so nimmt diese durch den Ehering bis zu einer ringförmigen von so vielen Zollen zu, daß die ehrliche Haut von Mann nichts erwartet als den jüngsten Tag.«

Diese Bemerkung ist wahr, wenn ich meine dazusetze, daß aus demselben Grunde – da die Ehe die weibliche Lage mehr als die männliche verändert und der Ehering für den Mann eine engere Wirkungssphäre, und für die Frau eine weitere ist – gerade die Brautfackel bei einigen Weibern die verhehlten Naphthaquellen vieler stiller Tugenden, der Geduld, der Aufopferung, der Zurückgezogenheit, der Talente in sanfte Flammen setze. –

Mit welcher seligen Heiligkeit – als wär's eine heilige Stätte – reisete ich nun über die bambergischen Wiesen, aus denen in Herminens Traum geflügelte Blumen aufgestiegen waren! Und welche Hoffnungen gingen als Trabanten meiner innern Welt hinter und vor mir – die schöne auf den heutigen Weg – die schönere auf Erlangen – die schönste auf Herminens nächsten entzückten Brief, den ich dem Leser verspreche. In Erlangen wollt' ich, da ich zeitig eintraf, die Bauleiter an den zweiten Judentempel der Teufelspapiere anlegen und viele Ruten aufmauern. – Und wie leicht flatterte ich (die weißen Wolken über mir streckt' ich als meine Flügel aus) über die aneinander gemalten Everdingens-Gründe Bambergs hinweg! »Selber die Sandbäder des Wegs,« sagt' ich, »durch die ich und der Bote kurz vor Erlangen werden zu waten haben, sind nötiger bunter Streusand auf dem Buch oder Manuskripte der Natur.«

Wir verirrten uns im Lustgarten des Steiges immerfort, denn ich war in Gedanken und Stuß ohne Gedanken, und beides war eins. Deswegen warf ich dem Hornrichter, der die Leute wie ein Franzose in einem fort fragte, aber nur über den Weg, zwei gute Frag-Kautelen zu: erstlich die, nie sein Ziel zu nennen, sondern nur zu fragen, an welches der Steig führe, weil er dadurch Vätern der Lügen die letztern erschwere – und zweitens sich lieber ans weibliche Geschlecht zu wenden als an seines. Dieses milde wohlwollende Geschlecht führet uns nur dann auf Irrwege, wenn es – selber mitgeht; hingegen boshaft genug zu sein, um einem abgerissenen einsamen Pilger, dessen Reise-Fatalitäten diese zu Hause bleibenden scheuen Herzen zu hoch ansetzen, noch neue Fallstricke als Ariadnens-Fäden in neue Labyrinthe voll Minotauren mitzugeben – wie wäre das ein Geschlecht vermögend, das selten in Tränen setzt, die es nicht vergießen oder trocknen hilft? Folglich hatte in einer halben Stunde der Weibergeselle aus Liebe zu seinem freihaltenden Brot- und Lehnherrn sechzehn weibliche Schachfiguren durchgefragt: »O Jungfer, wo geht der Steig hin?« Und wenn er die Antwort vernahm: nach Bayersdorf, so versetzt' er nicht ohne Scharfsinn: recht! –

Als wir sonach freilich in Bayersdorf eintrafen: erstaunt' ich nicht darüber, daß der Marktflecken zum akademischen Grade einer Stadt promovieret ist, sondern über einen Dualismus des Anzugs. Die eine Hälfte des graduierten Fleckens ging im Werkeltagsgeschirr im Staatsschiffsziehen der Arbeit, die andere schwamm im Bucentauro der Lust recht aufgeputzt dahin. »Das ist ein Rätsel,« (sagt' ich) »ich kann mir nichts gedenken, als daß die Parade-Bayersdörfer entweder Juden sind, die etwas feiern, was ich nicht weiß, (und die ungeputzten Christen,) oder Kupferschmiede, die einen Gerichtstag über Keßler halten, weil sie ein besonderes Privilegium von Kaiser Rudolph II. dazu befugt.« – Ganz falsch! – Ich hatte schon wieder die Ostern vergessen. Es muß nämlich in Mosheims, Walchs und in allen andern Kirchengeschichten nachgetragen werden, was ich hier berichten will, daß in den beiden Fürstentümern Baireuth und Ansbach, als sie unter die preußische Regierung kamen, und als ihnen sogleich durch Aufhebung und Säkularisation der Apostel- und dritten Festtage viele neue Wochentage verfielen und zuwuchsen, die man zum Erwerbe der Servissteuer verarbeiten konnte, daß dann, bericht' ich, die Kirche sich in zwei Kirchen spaltete, in die alte, die aus Apostel- und Feiertagschristen besteht, welche durchaus im Nachtmahlsrocke verbleiben, gleich Essäern keine Nadel anrühren, alle menses papales der Arbeitstage verwerfen und nur Aschermittwoche, aber keine Ascherdienstage, Aschermontage etc. annehmen – und in die neue Kirche, die aus arbeitenden Konformisten im Negligé besteht. Mir ist nichts dabei verdrüßlich, als daß das Schisma nicht früher entstand: wie herrlich und vollständig und ausführlich würden gute Kirchenskribenten die Spaltung in die Kirchenhistorie eingeschrieben haben, die ohnehin jetzt gegen die Art aller Geschichte täglich einkriecht und am Ende zu einer profanen verdorret! Totgeschlagen, geschunden, gesotten würden sich dann ohnehin mehrere alte und neue Christen untereinander haben, und die eingestellten Disputierübungen über das Passahfest – bei denen bald ein Schächter, bald ein Osterlamm geschlachtet wurde – hätte man mit frischem Eifer wieder vorgesucht. – – »Ging' Er«, sagt' ich zum Meister, »nicht als Reichskammergerichtssupernumerarakzessistbote durch Bayersdorf, sondern als wirklicher Bote: so müßten Ihm die Juden nach den Reichsgesetzen eine Judenzehrung geben; so aber kriegt Er nichts.«

Wir sahen endlich die Friederich-Alexandrinische Universität vor uns, in der allein die Landeskinder den Musen, Professoren und Wirten opfern dürfen, wie die Juden nur in Jerusalem anbeten und opfern durften: Samaritaner bekommen kein Amt. Ich habe schon gesagt, daß ich des festen Vorsatzes war, in Alt- und Neu-Erlangen ein seliger Paradiesvogel und Antihypochondriakus zu sein und in einer prächtigen Gasthofsstube vornen heraus Leibgebers satirisches Inserat in den teuflischen PapierenIn der Vorrede nennt Siebenkäs einen Mitarbeiter seines Buchs, Wolfgang Habermann, von dem die erste Satire: »Habermanns große Tour und logischer Kursus durch die Welt«, die ich eben neu edieren will, verfasset worden. Dieser Habermann ist mein geliebter Leibgeber. mit besonderem Fleiße für diese Edition zu bearbeiten: denn nichts gewöhnet uns in jede Stadt besser ein als einige Stunden Geschäfte. Mit diesem Vorsatz, entzückt zu werden, passiert' ich durch das Tor. Eine Ehrenwache desselben trat ins Gewehr: ich sann nach, wie ich eine solche Huldigung mit meinem Nachtmantel zu paaren hätte, als mir Stuß wenige Schritte davon eröffnete, die Torwache sei eine lustige Fliege und duze ihn von alten Zeiten her und habe seinetwegen aus Spaß präsentiert.

»Das beste Zimmer vornen heraus!« sagt' ich zum Hausknecht in der blauen Glocke, gegen den mein grüner Bote nur in Knechtsgestalt erschien. Der Knecht überfuhr mit kalten Augen die hängenden Siegel oder Bleistücke meines über den Madensack gezognen Sacks zur Buße und sagte, er woll' es dem Kellner sagen. Der Hornrichter setzte den Inkuben seines Rückens ab und lehnte die Fracht aufrecht an den grün geränderten Plüsch. Der Kellner kam und brachte ein Gesicht mit, das der Hoffnung, deren Farbe seine Glaserschürze trug, auf der Stelle das Leben nahm: »Ich will es meinem Herrn sagen«, sagt' er und ging fort; und da er nicht wiederkam, gingen wir auch fort.

»Ein gutes Zimmer vornen heraus!« sagt' ich vor der zweiten Gasthofstüre. »Alles schon bestellt«, versetzte der grün geschürzte frere servant ganz spöttisch. Wir zogen rot hinaus und brummten unter dem Tore. »Bloß meinem verdammten Nachtmantel mit den papiernen Speckgeschwülsten und Stussens dummem, zu kurzen Jagd-Frack«, dacht' ich, »hab ich' alle diese Reaktionen zu danken.«

Im dritten Gasthofe sah' uns schon der Kellner nach der Insinuation der Inhibitorialen herkommen: Stuß trug den Mantelsack am Riemen über die Straße und ließ ihn wie eine Husarentasche am Beine weiterschweben. – »Ein Zimmer vornen heraus«, bat ich. »Schon besetzt!« sagte keck der grüne frere. »Der Herre bezahlens«, nahm Florian das Wort. In dieser Minute kam eine vierspännige Familie angerollt, der man vor meinen Ohren und neben meinem Vorkaufsrecht die letzten Vorderzimmer mit dem Auktionshammer zuschlug.

Nun wurde mein Knallgold und das Knallsilber des Boten losgezündet: verflucht aufgebracht fuhren wir beide in die Wirtsstube, um als Bußprediger und Heidenbekehrer vor dem Wirte zu wettern. »Ist das erlaubt, mein Herr?« (fragt' ich einen Speckkubus, der Pückenpücken rauchte) »Soll ich denn eine Fußreise im Ordensband und Krönungshabit oder in einem Wiener Reisewagen machen, bloß damit ich in Erlangen vornen heraus logiere? – Soll mein zweispänniger Psychens-Wagen sich erst in einen ledernen setzen, um fortzukommen? Kann sich ein Mensch nicht wie ein Spiegeltisch auf zwei Füßen erhalten? Und geht denn nicht mein Bote mit mir, der alles nachträgt, was ich nicht anhabe und trage?« – »Und es ist«, setzte der gute Stuß hinzu, »ein honetter Herr, der sich nicht schimpfen lässet; er hat mich gestern und heute freigehalten, ob ich mich gleich selber beköstige.«


 << zurück weiter >>