Jean Paul
Palingenesien
Jean Paul

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Die Sponsalien im Muff.

Es war in den Achtziger Jahren, daß ich an einem kalten Thomasabend mit Betta und deren rückwärts sitzendem Vater von Eremitage nach Hause fuhr. Ich hatte den linken Handschuh verloren, den man erst den andern Tag in der linken Tasche wiederfand, und der Dezember setzte der linken Hand, meinem einzigen Bassisten fürs Klavier, so heftig zu, daß ich Vater und Kind um ein Lager in der Dachsröhre des Muffes ansprach. Betta zog sogleich ihre linke heraus, legte sie unter ihn und schob ihn mit ihrer noch darin wohnhaften rechten und mit seiner Freiheit von Einquartierungen mir zu. Ich fuhr in den Dachsbau hinein. Anfangs schlief die Hand aus, um nur warm und auch einheimisch zu werden: nach und nach unterschied sie in der Finsternis des Gefühls die Objekte. Ein langer Muffschweif lag als Betttroddel oder Bettzopf quer auf ihr. Ich richtete sie darunter in die Höhe und bemächtigte mich des Weihwedels und fächerte mit ihm in die Ferne, weil ich, bevor ich im Winterquartier etwas von Belang vornahm, wissen mußte, wie weit die feindliche Hand von mir liege. Ganz an der Schwelle des Muffs wie in einem Schmollwinkel hielt sich die feindliche Landung auf. Ich kroch auf den Fingern – den Streitflegel zwischen dem Daum und Zeigefinger – durch den ganzen Wärmkorb und beunruhigte nun mit meinem Wedel Betten ernsthafter. Außen aber, nämlich mit den Gesichtern saßen wir beide ruhig vor dem Vater, und ich erteilte ihm unbefangen zuverlässigere Nachrichten vom russischen Kriegsfeuer in Taurien während des meinigen im Muff. Die Umstände hatten sich so geändert, daß ich nun mit meiner Feldschlange fast alle Finger Bettens bestrich. In der Angst – von meinen Fingern umzingelt – und überhaupt im Gestrippe und Dickicht der Haare – und unter dem Kometenschweif am Himmel – tut Betta einen der kühnsten Ausfälle und fängt den Wedel.

Jetzt brach auf dem Kriegsschauplatze des Muffs das Kriegsfeuer erst recht los: ich gab den Wedel auf keine Weise her – in entgegengesetzten Richtungen wurde ungemein gezogen, vorn wie hinten fünfspännig – Betta fassete einen längern Schaft von meinem Labarum, ich tat sogleich dasselbe – nicht fünf Haare lagen mehr zwischen den feindlichen und meinen Fingern – ganz erbittert wurde gezerrt – – auf einmal ließ ich aus Kriegslist fahren, und der Wedel riß ab, und Betta hatt' ihn in der Hand.... »So daß also Katharina II.« (fuhr ich vor dem Vater fort und tat, als wenn ich über nichts lachte als über die Kaiserin aller Reußen) »durch die Akquisition jetzt wirklich ein Bassa von einem Roßschweif ist.« –

Es war bei einiger Aufmerksamkeit leicht vorauszusehen, daß mein Verlust des Wedels, meiner Standarte, die besten Folgen für den Hausvertrag und Burgfrieden im Muffe nach sich ziehen müßte: ein Fehler, den ein Mädchen mit uns gemeinschaftlich verübt, ist ein Mörtel und Mundleim zwischen ihr und dem Mitschuldigen. Ich stellte sogleich alle Feindseligkeiten im Portativofen ein, ging zu ihrer Hand und bot ihr meine zum Frieden: die Friedensartikel mochten nun durch einen leisen Handschlag, wie bei den alten Deutschen, oder durch einen stummen Schwur ratifiziert werden, so waren aufgehobene Finger notwendig.

Als aber ihre Hand schlaff auf dem warmen Feldbette der Ehre und auf dem Wedel ruhte und mich ärgerte: konnt' ich zum Faust- oder Fingerrechte greifen und sie selber inhaftieren. Ich okkupierte einen Nagel und ein Fingerglied nach dem andern – aber ihre Hand schien wie die des Ritters Götz und der Gorgonen von Eisen zu sein – der Briefschwerer meiner Hand legte den Druck der Abgaben erst auf ihre ganze – es blieb, wie es war – ich verteilte dann den Druck auf einzelne Glieder – diese regten sich zerstreuet – ich machte sofort die größten Läufer auf ihrer Stangenharmonika – nun war im Pankratium und Ringen aller Finger nichts mehr zu unterscheiden als mein Himmel – das Hexenpantöffelein des P. Fulgentius oder den Wetterableiter, nämlich den Fliegenwedel hatt' ich ihr aus der Hand gezogen – ich saß bald unter, bald auf der Hand und dehnte mich aus und streifte bis an den Puls, diesen Referenten und nachschlagenden Hochwächter des Herzens – Welche himmlische Quintette der Finger, die im Federmuffe so gut wie in einer Gerichtsstube Schwurfinger waren und göttliche Personen repräsentierten! Welche häusliche Glückseligkeit im Federbette eines Federmuffs, der vorher eine Kriegsgurgel war! – Da ichs satt hatte, im Freien vor dem Schwiegervater über die eroberte Krim verdrüßliche Gesichter mitten in den Muffbelustigungen zu schneiden: so pries ich ihm zum Deckmantel vergnügter Mienen die Zarin an und setzte ihn (denn er dachte, ich meine die Petersburger) durch die Rede in Erstaunen: »Sie ließ den Zankapfel oder Zankroßschweif willig fahren, ob sie gleich lange Hände hat, gleichsam Hände von Vandyk; sie besitzt ein herrliches Herz und meines dazu...« Aber der Schlitten stand und schellete aus: ich räumte die anglisierte Hand-Wildschur, und nie lag ich wieder da im Winterquartier. Unter andern Gütern zog ich Betten auch das Schwänzchen des Muffes ein, das ich diebisch in die Hand einpackte und mitnahm. Noch wird der Wedel in meinem Hause vornehmen Fremden vorgezeigt und gesagt: »Das ist das Seil der Liebe, womit Jean Paul während seiner Ehe zur linken Hand im Baireuther Federmuff so glücklich zog!« – –

Ende des fünften Werks vor Nürnberg.

Ich machte mich allein im goldgrünen Abend auf und nahm mein Dintenfaß wieder zum Gehen; merkte aber, daß ich mich in das Utopien der Sehnsucht hineingeschrieben hatte: unsere verlorne Empfindung, nicht der Gegenstand derselben, die vorige Liebe, nicht die vorige Geliebte ruhen fest über uns und werfen durch lange wolkige Jahre die Wärme herab. Die magische Zeit und die magische Nachbarschaft führten nicht nur alle meine vorigen Alonza Lorenzos von Toboso mit ihren Kronen, sondern auch alle Lorenzos von Calais mit ihren Tabaksdosen vor mein Herz – und an der Spitze der Letztern flog der Doppeladler, Siebenkäs und sein Leibgeber, und ihre erleuchteten Gesichter waren nach dem großen Abend gerichtet, wo sie den hohen Fürstenbund helfender Freundschaft im nahen Wäldchen der Eremitage zusammenkniend beschworen hatten.

Ich machte mich sogleich ins Wäldchen, trat auf dem gelobten Lande und Sitze jener Seligen, die ich selber der Welt beschrieben hatte, unter seltenen Gefühlen auf und unter holden Grenzstreitigkeiten und Grenzverrückungen des Ideals und der Wirklichkeit und wurde erst spät jener Botenbleche an den Bäumen ansichtig, die mir so gut bekannt waren als einem. Es schlugen nämlich in den Regenmonaten der Literatur, in der sogenannten empfindsamen Dekade, viele Baireuther von Empfindung handgroße Bleche, auf welche ein Seufzer oder eine Träne mit Metallschrift poetisch eingeätzet war, mitten an die Stämme an, etwas höher als die Blech-Kordons an Taubenhäusern gegen Katzen sitzen: die Votiv- und Opfertafel sollte mit ihrem Verse für irgendeine Geliebte eine Belagerungs- oder auch Huldigungsmünze abgeben. Es ist eine Schwäche des Verfassers der Reise-Anzeiger, daß ihn so etwas gleich sehr belustigt und erweicht: wo er nur irgendwo vor der Göttin der ewigen Liebe Feueranbeter oder Bilderdiener auf den Knien findet, unter welchem tollen Fetisch und Bilde sie auch verehret werde, oder mit welchen närrischen Liturgien und Dankopfern es auch geschehe, oder in welcher Tochterkirche, stets wird der Verfasser den Durchgang durch die Kirche mit einem Schußgebete (preces ejaculator.) nehmen und sein Herz zum Repetierwerk eines jeden fremden machen, in dem die Andacht der Liebe schlägt.

Mühsam ging ich mit dem Augenglase vor dem unter die Stämme verteilten Stammbuch aus blechernen Temperamentsblättern auf und nieder, um es herabzulesen: endlich trat ich unter ein Blech mit dieser Einladungsschrift des Herzens:

Die Au verblüht –
Das Herz verglüht –
Der Mensch entflieht –
Ach, Gute, liebe mich!
J. P.

»J. P.?« (fragt' ich) »das ist ja offenbar dieser P. – dessen Taufname vermutlich Joachim oder Jobst oder Joseph ist –, welcher mir die Muff-Pugilistin weggeehlicht hat?« – Ich arbeitete mich in meinem bauschenden Nachtmantel den Stamm hinan und brach mir den eisernen Brief zum Mitnehmen aus: »Lass' ich ihn am Baum,« sagt' ich unter dem Ausheben, »so lässet ihn die literarische Keuschheitskommission der schreibenden Reisenden oder der reisenden Schreiber abdrucken und merkt an: J. P. (der Sponsus, nicht J. P. der Mann) hat dieses Zifferblatt, diesen Aushängebogen seiner Denkweise öffentlich angenagelt und ad valvas templi affigiert.« –

Jetzt erst flog ich mit meinem Bleche auf einem Himmelswagen (aus der Remise der Phantasie), vor den sich lauter Träume und Genien spannten, durch das Dorf Johannis, wodurch mein Siebenkäs seine Entzückungen getragen hatte, nach Baireuth.

Der erste Anwurf des Frühlings lag an den Bergen – die Sonne überzog ihn mit Glanz-Gold – die frohen Menschen waren vom Frühling aus der bedeckten Allee des bewölkten Himmels in die offne des blauen geführt – auf jeder Seite ging neben mir ein Traum, nämlich Natalie und Firmian – tief in meine Brust verbarg ich die edle Hermina mit ihrem feuchten Auge, vor dem ich meines niederschlug – mein tägliches Pensum einer satirischen Umarbeitung war auch schon abgetan: – – was hatt' ich nun im Gasthof zur Sonne in derselben Brautkammer des Herzens, wo Firmian auf den Lippen seines Heinrichs sein Leben süß verloren und süßer gefunden hatte, noch zu wünschen oder zu tun? – – Nichts tat ich, als daß ich das feuchte Auge, wovon ich sprach, ganz vor meiner Seele öffnete und unaufhörlich darein schauete und mich nichts mehr um meines bekümmerte...


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