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Tage der Liebe – Oefels Liebe – Ottomars Schloß und die Wachsfiguren
Ich tunke heute schon wieder in mein biographisches Dintenfaß, weil ich nunmehr mit meinem Gebäude bald an die Gegenwart stoße – am heiligen Weihnachtfeste hoff' ich nach zu sein –; ferner weil heute Andreastag ist und weil mein Hausherr unter dem Geschrei seiner Kinder einen Birkenbaum in die Stube und in einen alten Topf eingestellt hat, damit er zu Weihnachten die silbernen Früchte trage, die man ihm anbindet. Über so etwas vergess' ich Gerichttage und Termine.
Gustav wachte am Morgen nach der Liebeerklärung, nicht aus seinem Schlafe – denn darein konnte nach diesem Königschuß im Menschenleben nur ein menschlicher Dachs oder eine Dächsin fallen –, sondern aus seinem brausenden Freuden- Ohrenklingen auf. Entzückungen zogen im Ringeltanz um sein inneres Auge, und sein Bewußtsein langte kaum zu seinem Genießen zu; welcher Morgen! In einem solchen Brautschmuck trat die Erde nie vor ihn. Es gefiel ihm alles, sogar Oefel, sogar das Oefelsche Prahlen mit Beatens Liebe. Das Schicksal hatte heute – den Verlust seiner Liebe ausgenommen – keine giftige Spitze, keinen eiternden Splitter, den er nicht gleichgültig in seine von der ganzen Seligkeit bewohnte und gespannte Brust eingelassen hätte. So ersetzt oft die höchste Wärme die höchste Kälte oder Apathie; und unter der Täucherglocke einer heftigen Idee – sei es eine fixe oder eine leidenschaftliche oder eine wissenschaftliche – stecken wir beschirmt vor dem ganzen äußern Ozean.
Beaten gings ebenso. Diese sanfte fortvibrierende Freude war ein zweites Herz, das ihre Adern füllte, ihre Nerven beseelte und ihre Wangen übermalte. Denn die Liebe steht – indes andre Leidenschaften nur wie Erdstöße, wie Blitze an uns fahren – wie ein stiller durchsichtiger Nachsommertag mit ihrem ganzen Himmel in der Seele unverrückt. Sie gibt uns einen Vorschmack von der Seligkeit des Dichters, dessen Brust ein fortblühendes, tönendes, schimmerndes Paradies umfängt und der hineinsteigen kann, indes sein äußerer Körper das Eden und sich über polnischen Kot, holländischen Sumpf und siberische Steppen trägt. –
O ihr Wollüstlinge in Residenzstädten! wo reicht euch die Gegenwart nur eine solche Minute, als hier die Vergangenheit meinem Paare ganze Tage vorsetzt; euch, deren harte Herzen vom höchsten Feuer der Liebe, wie der Demant vom Brennspiegel, nur verflüchtigt, aber nicht geschmolzen werden?
Aber wie Abendrot am Himmel so umherfließet, daß es die Wolken des Morgenrots besäumt: so war auf Beatens Wangen neben dem Rot der Freude auch das der Schamhaftigkeit – wiewohl nicht länger, als bis des Geliebten Gestalt, wie ein Engel, durch ihren Himmel flog. – Beide sehnten sich, einander zu sehen; beide fürchteten sich, von der Residentin gesehen zu werden; die Entdeckung und noch mehr die Beurteilung ihrer Empfindungen hätten sie gern gemieden. Es gibt einen gewissen stechenden Blick, der weiche Empfindungen (wie der Sonnenblick das Alpen-Tierchen Sure) zersetzt und umbringt; die schönste Liebe schlägt ihre Blumenblätter zusammen vor dem Gegenstande selber; wie sollte sie den sengenden Hofblick ausdauern?
Mit Einsicht ergreift hier der Lebensbeschreiber diese Gelegenheit, die Ehen der Großen mit zwei Worten zu loben; denn er kann sie mit den unschuldigen Blumen vergleichen. Wie Florens bunte Kinder bedecken Große ihre Liebe mit nichts – wie sie gatten sie sich, ohne sich zu kennen oder zu lieben – wie Blumen sorgen sie für ihre Kinder nicht – sondern brüten ihre Nachkommen mit der Teilnahme aus, womit es ein Brütofen in Ägypten tut. Ihre Liebe ist sogar eine dem Fenster angefrorne Blume, die in der Wärme zerrinnt. Unter allen chemischen und physiologischen Vereinigungen hat also bloß eine unter Großen das Gute, daß die Personen, die miteinander aufbrausen und Ringe wechseln, eine entsetzliche Kälte verbreiten: so findet man die nämliche Merkwürdigkeit und Kälte bloß bei der Vereinigung des mineralischen Laugensalzes und der Salpetersäure, und Herr de Morveau sagt aus Einfalt, es fall' auf. – –
Da Beata sich so sehr sehnte, ihren und meinen Helden zu sehen: so – ging sie, um ihren Wunsch zu verfehlen, einige Tage nach Maußenbach zu ihrer Mutter. Ich will ihr Schirmvogt sein und für sie reden. Sie tat es, weil sie ihm niemals anders aufstoßen wollte als von ungefähr; bei der Residentin aber wärs' allemal mit Absicht gewesen. Sie tat es, weil sie sich gern selber kränkte und wie Sokrates den Becher der Freude erst weggoß, eh' sie ihn ansetzte. Sie tat es, weswegen es selten eine täte – um ihrer Mutter um den Hals zu fallen und ihr alles zu sagen. Endlich tat sie es auch, um zu Hause das Porträt Gustavs, das der Alte versteigert hatte, aufzusuchen.
Ich erfuhr alles schon am Tage ihrer Rückreise, da ich in Maußenbach als eine ganze adlige Rota anlangte, um eine arme Wirtin weniger zu bestrafen als zu befragen, weil sie – wie man in der Pariser Oper für wichtige Rollen die Spieler doppelt und dreifach in Bereitschaft hält – die erhebliche Rolle ihres Ehemannes anstatt mit einem Double sogar mit zwölf Leuten aus der Gegend vorsichtig besetzt hatte, damit fortgespielet würde, sooft er selber nicht da wäre. Und hier war es, wo ich abnehmen konnte, wie wenig mein Herr Gerichtprinzipal zum Ehebruch geneigt sei, sondern vielmehr zur Tugend; er war ordentlich froh, daß das ganze Flöz von eingepfarrten Ehebrechern gerade vor seinem Ufer vorbeikam und daß er das Werkzeug wurde, womit die Gerechtigkeit diese geheime Gesellschaft heimsuchte und auswichste. Daher suchte er in der Wirtin wie in Jöchers Gelehrten-Lexikon mit Lust nach den Namen wichtiger Autoren, und sie war seinem tugendhaften Ohr ein Homer, der die verwundeten Helden sämtlich bei Namen absingt; daher schenkte er ihr aus Mitleiden, weil sie gar nichts hatte, seine Geldstrafe ganz; aber die ehebrechende Union und Truppe wurde unter die Stampfmühle und in die Kelter gebracht, oder ihr Saugwerke und Pumpenstiefel angelegt. –
Also in Maußenbach beim Auspressen des ehebrechenden Personale erzählte mir die Gerichtprinzipalin, was ihr die Tochter erzählet – um mich zu bitten, daß ich als voriger Mentor des Liebhabers das Paar auseinanderlenken sollte, weil ihr Mann die Liebe nicht litte. Ich konnte ihr nicht sagen, daß ich über der Biographie vom Paare und ihrer eignen wäre und daß die Liebe das Heftpflaster und der Tischlerleim sei, der die ganze Lebensbeschreibung und das Paar verkittete, und ohne welchen mein ganzes Buch in Stücken zerfiele, daß ich also die Jenaer Rezensenten beleidigen würde, wenn ich ihm seine Liebe nehmen wollte. – Aber so viel konnt' ich ihr wohl sagen, es sei unmöglich, denn die Liebe eines solchen Paars sei feuerfest und wasserdicht. Ich kam ihr mit meinem Gefühl ein wenig einfältig vor; denn sie dachte an ihre eigne Erfahrung. Ich fügte verschlagnerweise hinzu: »das Falkenbergische Haus hebe sich seit einigen Jahren und tue hübsche Kapitalien aus.« Sie antwortete mir bloß darauf: »zum Glück erfahr' es ihr Mann nie« (denn eine Menge Geheimnisse sagte sie allen Menschen, aber nicht ihrem Manne) – »denn der habe ihrer Beata schon eine ganz andre Partie zugedacht.« Mehr konnt' ich nicht erforschen.
– Aber eine hübsche Suppe wird da für den Helden nicht bloß, sondern auch für den Lebensbeschreiber eingebrockt; denn letzter hat am Ende doch das meiste wegen der Schilderung heftiger Auftritte auszubaden und muß oft an solchen Sturm-Sektoren ganze Wochen verhusten. Ich wills dem Leser nur aufrichtig vorausgestehen: ein solcher Schwaden und Sturmwind ist schon am vorigen Freitag über das neue Schloß gesauset und am Sonnabend durch Auenthal und meine Stube gefahren, wo Gustav zerstöret zu mir kam und bei mir Nachricht einzog, ob die Rittmeisterin von Falkenberg, die mit ihrer Mitteltinten-Katze meinen ersten Sektor einnimmt und die bekanntlich Gustavs Mutter ist, ob die – sie wirklich sei.... Inzwischen wird doch mutig fortgeschritten; denn ich weiß auch, daß, wenn ich mein biographisches Eskurial und Louvre ausgebauet und endlich auf dem Dache mit der Baurede sitze, ich etwas in die Bücherschränke geliefert habe, dergleichen die Welt nicht oft habhaft wird und was freilich vorübergehende Rezensenten reizen muß, zu sagen: »Tag und Nacht, Sommer und Winter, auch an Werkeltagen sollte ein solcher Mann schreiben; wer kann aber wissen, obs keine Dame ist?«
Nun fället also auf allen nächsten Blättern das Wetterglas von einem Grad zum andern, eh' der gedrohte Sturmwind emporfährt. Wie Gustav die abwesende Beata liebte, errät jeder, der empfunden hat, wie die Liebe nie zärtlicher, nie uneigennütziger ist, als während der Abwesenheit des Gegenstandes. Täglich ging er zum Grabe des Freundes wie zum heiligen Grabe, an den Geburtort seines Glücks, mit einem seligen Beben aller Fibern; täglich tat ers um eine halbe Stunde später, weil der Mond, das einzige offne Auge bei seiner Seelen-Vermählung, täglich um eine halbe später kam. Der Mond war und wird ewig die Sonne der Liebenden sein, dieser sanfte Dekorationmaler ihrer Szenen: er schwellet ihre Empfindungen wie die Meere an und hebt auch in ihren Augen eine Flut. – Herr von Oefel warf den Blick des Beobachters auf Gustav und sagte: »Die Residentin hat aus Ihnen gemacht, was ich aus dem Fräulein von Röper.« Hier rechnete er meinem Helden die ganze Pathognomik der Liebe vor, das Trauern, Schweigen, Zerstreuetsein, das er an Beaten wahrgenommen und woraus er folgerte, ihr Herz sei nicht mehr leer – er sitze drin, merk' er. Mit Oefeln mochte eine umgehen, wie sie wollte, so schloß er doch, sie lieb' ihn sterblich. – Gab sie sich scherzend, erlaubend, zutraulich mit ihm ab, so sagte er ohnehin: »Es ist nichts gewisser, aber sie sollte mehr an sich halten«; – bediente sie sich des andern Extrems, würdigte sie ihn keines Blicks, keines Befehls, höchstens ihres Spottes und versagte sie ihm sogar Kleinigkeiten, so schwor er. »unter 100 Mann woll' er den herausziehen, den eine liebe: es sei der, den sie allein nicht ansehe.« – Schlug eine die Mittelstraße der Gleichgültigkeit ein, so bemerkter: »die Weiber wüßten sich so gut zu verstellen, daß sie nur der Satan oder die Liebe erraten könnte.« Es war ihm unmöglich, so viele Weiber, die in die Rotunda seines Herzens wollten, darin unterzubringen; daher steckt' er den Überschuß sozusagen in den Herzbeutel, worin das Herz auch hängt, wie in einen Verschlag hinein – mit andern Worten, er verlegte den Schauplatz der Liebe vom Herzen aufs Papier und erfand eine dem Brief- und Papier-Adel ähnliche Brief- und Papier-Liebe. Ich habe viele solche chiromantische Temperamentblätter von ihm in Händen gehabt, wo er wie Schmetterlinge bloß auf – poetischen Blumen Liebe treibt – ganze Rotuln von solchen Madrigalen und anakreontischen Gedichten an Damen, welche (die Madrigale, nicht die Damen) sowohl die Süßigkeit als die Kälte der Geleen haben. So ist der Herr von Oefel und fast die ganze belletristische Kompagnie.
Da man nur vor Leuten, vor denen man nicht rot wird, sich selber lobt, vor gemeinen, vor Bedienten, vor Weib und Kindern; und da ers gegen Gustav im Punkte der Liebe tat: so war seine Eitelkeit einer lauteren Rache wert, als Gustav an ihm nahm; dieser malte sich bloß im stillen vor, wie glücklich er sei, daß er, indes andre sich täuschten oder sich bestrebten, das Herz seiner Geliebten zu haben, zu sich zuversichtlich sagen könne: »Sie hat dirs geschenkt.« Aber diese außergerichtliche Schenkung dem Nebenbuhler und Botschafter zu notifizieren, oder überhaupt jemanden, das verbot ihm nicht bloß seine Lage, sondern auch sein Charakter; nicht einmal mir eröffnete er sie eher, als bis er mir ganz andre Dinge zu eröffnen und zu verbergen hatte. – Ich weiß recht gut, daß diese Diskretion ein Fehler ist, dem neuere Romane nicht ungeschickt entgegenarbeiten; hat darin ein Romanheld oder Romanschreiber ein Herz bei einer Romanheldin erstanden (und das gibt sie so leicht her, als säß' es vorn wie ein Kropf daran): so zwingt der Held oder Schreiber (die meistens einer sind) die Heldin, das Herz heraus- und hineinzutun wie der Stockfisch seinen Magen – ja der Held holet selber das Herz aus der verhüllenden Brust und weiset den eroberten Globus über zwanzig Personen, wie der Operateur ein geschnittenes Gewächs – handhabt den Ball wie eine Lorenzodose – führt ihn ab wie einen Stockknopf und versteckt das fremde Herz so wenig wie das eigne. Ich gesteh' es, daß die Züge solcher Göttinnen von den Schreibern aus keinen schlechtern Modellen zusammengetragen sein können, als die waren, wornach die griechischen Künstler ihre Göttinnen oder die römischen Maler ihre Madonnen zusammenschufen, und man müßte wenig Weltkenntnis haben, wenn man nicht sähe, daß die Fürstinnen, Herzoginnen etc. in unsern Romanen sicher nicht so gut getroffen wären, wenn nicht dem Autor an ihrer Stelle Stuben- und noch andere Mädchen gesessen hätten; und so, indem sich der Verfasser zum Herzog und sein Mädchen zur Fürstin machte, war der Roman fertig und seine Liebe verewigt, wie die der Spinnen, die man gleichfalls in Bernstein gepaaret und verewigt antrifft. Ich sage dies alles, nicht um meinen Gustav zu rechtfertigen, sondern nur zu entschuldigen; denn diese Romanschreiber sollten doch auch bedenken, daß die angenehme Sittenroheit, deren Mangel ich an ihm vergeblich zu bedecken suche, auch bei ihnen fehlen würde, wenn sie so wie er mehr durch Erziehung, Umgang, zu feines Ehrgefühl und Lektüre (z. B. Richardsons) wären verdorben worden.