Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

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Nro. 00000 gehen mich nichts an; es waren alte, in den Schminksalpeter eingepökelte Damen-Gesichter, denen aus dem Schiffbruch ihres untergesunknen Lebens nichts geblieben war als ein hartes Brett, auf dem sie noch sitzen und herumfahren, nämlich der Spieltisch.

Nro. 00000 gehen mich auch nichts an; es waren eine Garbe Hofdamen, verschnittene Spaliergewächse an den Tapeten, oder vielmehr Einfassunggewächse um fruchtbare Beete – sie hatten Witz, Schönheit, Geschmack und Betragen, und wenn man zur Flügeltür hinaus war, hatte mans schon wieder vergessen.

Nro. 0000 war eine Kompagnie Hofleute, mit roten und blauen Ordenbändern durchschnitten, welche an ihnen wie die rote und blaue Farbe des Spiritus in Thermometern stehen, damit man ihr Steigen besser sehen könne – die gleich dem Silber glänzten und alles, was sie berührten, schwarz machten – die keinen höhern und breitern Himmel sich denken konnten als den Thronhimmel und keinen größern Tag im Jahr als einen Courtag – die in ihrem Leben weder Väter waren, noch Kinder, noch Ehegatten, noch Brüder, sondern bloß Hofleute – die Verstand hatten ohne Grundsätze, Kenntnisse ohne Glauben daran, Leidenschaften ohne Kräfte, satirisches Gefühl der Torheiten ohne Haß derselben, Gefälligkeit ohne Liebe und Freimütigkeit zum Spaß – deren Echtheit man wie die des Smaragds daran prüft, daß sie wie er kalt bleiben, wenn man sie mit dem Munde erwärmen will – und die, die Wahrheit zu sagen, der Satan schildern mag und nicht ich....

Oefel war zwischen Beata und die Ohnmächtige eingemauert; Gustav wars ihnen gegenüber zwischen zwei kleine witzige Dämchen: aber er vergaß die Nachbarschaft seiner Arme über die seiner Augen. Aus Oefels Gliedern schossen Witzfunken, als wenn ihn die Seide, die ihn umlag, elektrisieren hälfe. Die Ohnmächtige war ihrer Lehnherrschaft über ihn so gewiß, daß sie es für keinen Lehnfehler ansah, wenn ihr Lehnmann Beaten, seiner Teller-Nachbarin, die schönsten Dinge sagte; »Er wird sich« (dachte sie) »ärgern genug, daß er aus Höflichkeit nicht anders kann.« Dem Herrn von Oefel war am Ende nie um etwas anders zu tun als um den Herrn von Oefel; er lobte, nicht um seine Achtung, sondern um seinen Witz und Geschmack auszukramen; er unterdrückte weder Schmeicheleien noch Satiren, wenn sie gut und ungegründet waren; er tadelte die Weiber, weil er beweisen wollte, er erriete sie, und weil er das für schwer hielt; und ich halte ihn für einen Narren.

Drei Bergbohrer setzte er gewöhnlich an einem Mädchenherzen an, um eine Lücke darein zu bringen, in die er das Schießpulver legte, womit er die vererzte Liebeader aus dem Mädchen hervorsprengen wollte. Seine erste Miniergrube, die er heute wie allemal im weiblichen Herzen lud, war bei Beaten, daß er mit ihr lange von ihrem Anzug sprach – es ist ihnen, behauptete er, einerlei, ob man von ihren Gliedern oder ihren Kleidern redet; aber ich behaupte, die Häßliche trägt ihren Anzug als ihre Frucht, die Kokette als die bloße Gartenleiter oder den Obstbrecher und die Gute als das Laub der Frucht. Beata trug ihn wie Eva als Laubwerk.

Zweitens stellte er um Beaten die Schlag- und Garnwände der Metaphern, um sie darin zu jagen – er behauptete, wie die Mädchen das singen, was sie nie sagen würden (gleich denen, die zu stammeln aufhören, wenn sie zu singen anfangen), so lassen sie in Bildern und Allegorien alle die Geständnisse ihres Innern aus sich winden, die man ihnen mit eigentlichen Worten nie abföchte, ob es gleich einerlei wäre – ich hingegen behaupte, diese taugen nichts und die, die so viel taugen als Beata, können nicht mit Worten gefangen werden, weil ihre Gedanken nie schlimmer sind als ihre Worte. Freilich aus einem Zimmer (oder Herzen), wo es innen brennt und raucht, lodert die Flamme aus der ersten Öffnung heraus, die du aufmachst.

Seine dritte Behauptung und List war, Männer fühlten den Wert des Einfachen und das Erhabene der Aufrichtigkeit und der geraden Versicherung »ich habe dich lieb«, aber Mädchen wollten tournure und Feinheit und Umschweife in diese Versicherung, die türkische Briefstellerei durch gewachsene Blumen wär' ihnen lieber als die mit poetischen, eine tätige Schmeichelei lieber als eine wörtliche – ich aber behaupte, daß er recht hat. Daher ließ er z. B. seine Repetieruhr vor der Ohnmächtigen allemal die Stunde ihres letzten Rendezvous repetieren, und er gefiel ihr unendlich; daher sah er eine allemal, wenns zu machen und zu merken war, schielend hinter dem Rücken im Spiegel an – daher steckt' er gegen Beaten voll Teufeleien, die ich fast alle nennen sollte. Zwei nenn' ich auch. Er erinnerte sich erstlich, daß er sich zu vergessen und auf ihre Hand die seinige im Feuer des Redens zu legen habe; darauf stellt' er sich, als besänn' er sich, als nähm' er seiner Hand ein Lot ums andre in der Absicht, sie unvermerkt wegzuheben, sobald sie mehr nicht wöge als ein Fingerglied – »So handelt« (sagt' er zu sich) »feinere Delikatesse immer; und ich werd' es sehen, was sie verfängt.« Seine zweite Teufelei war, daß er in der Spiegelplatte, woran er saß, ihr Gesicht (seinem eignen gab er statt des Preises nur das Akzessit) anschielte und bewunderte, da er doch das Original näher hatte. Eine Schäferin von Porzellan trieb Schäfchen über den Spiegel: »Ich habe noch keine schönere Schäferin unter Glas gesehen«, sagt' er doppelsinnig; »aber ich ein schöneres Schaf«, sagte die Défaillante und meinte ihn.

Diese Spiegelplatte kam mit ihrer Schäferin, die über ein umblümtes Ufer in das gläserne Wasser sah, und mit ihrem Lamm und Schäfer fast dem Gustavischen Kindheitspiele nahe. Beatens Auge verlor sich unwillkürlich zwischen diese Blumen und nahm ihr Ohr mit sich, in welches der Legationrat vergeblich mit seinem krieglistigen Witze einzubrechen trachtete. Gustavs Augen suchten und mieden nur – Augen, nicht Szenen; aus dem gesellschaftlichen Gewühl, unter dem seine innern Flügel erlagen, konnt' er nur durch einen Springstab von außen in die Höhe. Denn die ausgenommen, die ihm ähnlich war, ritzten und beizten die andern alle, die es nicht waren, sein Inneres so sehr mit ihren Tischreden, daß er nie in größerer Beklemmung war als heute. Ich will das fliegende Tischgespräch, das die Tugend betraf, in Gedankenstrichen abgemarket hersetzen, weil mehre Köpfe daran sprachen, wie am Bauern-Tischgebet die ganze Familie antiphonierend betet.

»Man hat keine Tugend, sondern nur Tugenden – Die Weiber haben sie, die Männer bekriegen sie – Tugend ist nichts als eine ungewöhnliche Höflichkeit – Tugend ist un peu de pavillon joint à beaucoup de culasseBekanntlich heißet an einer Doublette der in der Fassung versteckte Kiesel oder Bergkristall culasse, und der darauf blühende Demant pavillon.; mais le moyen de n'être que l'un ou que l'autre? – Sie ist, wie die Schönheit, überall anders; die Köpfe sind hier spitz, dort breit; so ists mit den Herzen, die darunter sind – Schönheit und Tugend zanken und lieben sich wie ein Paar Schwestern, und doch geben sie einander ihren Putz (bezog sich) – Man denkt nie so gern an die Tugend, als wenn man die Rosenmädchen in Salency sieht – Sie wird auch an andern Orten gekrönt (bezog sich wieder) u. s. w.«

Kurz jeder Ton und Blick erwies nicht, sondern setzte es schon voraus, daß Tugend nichts wäre – als der Ökonomus des Magens, die Konviktoristin der Sinne, die Offiziantin und Tochter des Körpers. Der Liebe gings wie der Tugend. »Die Julie des Jean Jaques« (sagte einer) »ist wie tausend Julien oder wie Jean Jaques selber: sie beginnt mit Schwärmen, endigt mit Beten – aber das Fallen ist zwischen beiden.«

Niemand, als wer einmal in Gustavs Lage war, wer einmal das verheerende Bestürmen seiner tiefsten Überzeugung von der Möglichkeit und Göttlichkeit der Tugend in einem Kreise witziger und entscheidender Leute von Stande erlitt; wen unter solchen Erschütterungen, deren jede ein Riß in die Seele ist, sein eignes Unvermögen kränkte, solche Tugend- und Heiligen-Stürmer zu beschämen, geschweige zu bekehren; wen unter diesen Herodes-Beschimpfungen seiner Heilandin nicht einmal der Stolz aufrichtete, der zwar gern mit uns auf unserm besondern Zimmer isset, aber an der table d'hôte aus unserem Innern eilt – – bloß also wer in solchen Lagen keuchte, kann sich Gustavs Alpdrücken in der seinigen denken.

Selbst Beatens Angesicht, das die Partei der Tugend und der Liebe nahm, konnt' ihn nicht gegen jene persiflierenden Frostgesichter decken, aus denen, wie aus Gletscher-Spalten bei wechselnder Witterung, schneidende Winde bliesen und die das Herz zerphilosophierten und das Gefühl des eignen Werts zerrissen. In Gustavs Alter machen die Gustave zwei grundfalsche Schlüsse – sie suchen erstlich unter jeder tugendhaften Zunge ein tugendhaftes Herz, zweitens aber auch unter jeder schlimmen ein schlimmes.

Gustav würde wenig darnach gefragt haben, daß er nicht viel antworten, geschweige fragen konnte, wären ihm nicht zwei Ohren gegenüber gesessen, die etwas Bessers wert waren, als was sie zu hören bekamen. Er glitschte allemal neben der rechten Taste hinaus und griff Konsonanzen, wo Dissonanzen in der Partitur geschrieben standen, und umgekehrt. Bald erstaunte er über die fremden freimütigen Lizenzen, bald erstaunten seine Nachbarn über seine; und Witz wär' ihm leichter gewesen, als einen Ton zu treffen, der ihm bald zu kühn, bald zu feig vorkam. – Das wars aber nicht eigentlich: sondern sein wichtiger Fehler, der wie ein Fußblock seine Füße hielt, war,

daß er logisch richtig dachte. –

Den Fehler haben viele; und ich selber mußte mich viele Vormittage üben und mit der Seele voltigieren, eh' ich einigermaßen unzusammenhängend und hüpfend denken konnte nur wie ein halber Narr. Ich hätt' es am Ende doch zu nichts gebracht, wenn ich mich nicht zu Weibern in die Schule und auf die Schulbank gesetzet hätte. Diese denken weit weniger logisch, und wer bei ihnen den guten Ton nicht erlernt, aus dem ist nichts zu machen – als ein deutscher Metaphysiker. Antworten sie wohl jemals Ja oder Nein, statt dessen, was nicht zur Sache gehöret? Drücken sie sich über das Wichtigste bedachtsam und mit prozessualischen Weitläuftigkeiten aus oder über das Frivolste frivol? Hören und üben sie Persiflieren ungern, oder legen sie – Ballköniginnen und Gouvernanten der bureaux d'esprit freilich ausgenommen – wohl je den geringsten Akzent, Accent und Wert auf ihre Tisch-, Nachttisch-, Spiegel- und andre Reden? Oder legen sie einen auf Wahrheiten? Zum Glück nimmt diese Feinheit des Tons, die das Fakultätsiegel und der Handwerkgruß der Weiber ist, mit der Feinheit der Stoffe zu, die eine umhat. Ein paar kleine deutsche Städte, etwa Unterscheerau u. a., müssen sich mir nicht entgegenwerfen, wo freilich die dasigen Weiber, die sich lieber Damen nennen hören, mit nichts Laute von sich geben als mit dem artikulierten Fächer und Schlepprock, den Insekten gleich, deren Stimme nicht aus dem Munde, sondern aus dem schwirrenden Flugwerk und Bauchtrommelfell hervorsauset.

Viele muten mir zu, diese Ähnlichkeit des weiblichen und des Hoftons gar hinaus zu beweisen: ich habe ja die Feder in der Hand und brauche bloß einzutunken. Ein Sopranist im guten Ton (ich werde des Wohlklangs wegen »Hof- und guter Ton« abwechselnd gebrauchen) wird stets den Blitz der Wahrheit durch Pointen so zuzuleiten und zu entkräften wissen, wie den elektrischen durch Spitzen. Der wirkliche Sopranist schneidet aus dem ewigen Zirkel der Wahrheit bunte Segmente und Bogen aus, die auf nichts hängen und ruhen, wie die farbigen herausgeschnittenen Fragmente des Regenbogens. Er ists, von dem man fordert, daß er wie Spiegelquecksilber alles, was vor ihm vorüberrennt, fremde Charaktere und eigne Meinungen, abfärbend abschalte und alles Äußere zeige und alles Innere berge. Wird es für einen Weltmann genug sein – es reiche immer für einen Gelehrten zu –, wenn er ein Feld ist, das satirische Dornen umstecken, und müssen diese nicht vielmehr statt des Raines alle Furchen erfüllen und mehr die Frucht als der Zaun des Ackers sein? Und wer anders als er und die Schwefelleber – die sich aber nur auf Metalle einschränkt – muß alle Heilige und alle Teufel schwarz zu präzipitieren wissen? – Allein Leute, die so hohe Forderungen zu machen wagen, bedenken nicht immer, daß nur ein Latitudinarier und Indifferentist aller Wahrheiten sie befriedigen könne, d. h. ein Mann, der gänzlich sich über den Katheder-Eiländer erhebt, welcher vielleicht jahrelang die nämlichen Meinungen und Hosen behält. Nichts verengen den Tanzplatz des Witzes so sehr, als wenn eigne Meinungen und Wahrheitliebe darin als feste dicke Säulen stehen. – –

Dieses sind eben die Mittel, wodurch Weltleute sowohl andre als sich selber im feinsten lächerlichen Lichte darzustellen wissen. Der Hofmann kann allerdings den deutschen Komödienstellern vorwerfen, daß sie das attische Salz und das feine Komische, das er stets an seiner Person zu haben weiß, unter ihren Schwielen-Händen meistens verfliegen lassen. Er, der Hofmann, macht sich stets auf eine feine, nie niedrige Weise lächerlich und würzet mit einem echten hohen Komischen, das seinem hohen Stande anpaßt, seine Person leicht; aber er kann fragen: »Studieren mich die deutschen Tröpfe, oder salzet Terenz, den sie studieren, seine Charaktere so delikat wie ich meinen eigenen?«...

Ich denke, durch meine Verirrungen hab' ich den Umstand in meiner Geschichte zureichend motiviert, daß Gustav am Ende, weil er niederlag unter so schnell witzigen Damen und unter dem zu bescheidnen Gefühle fremder Talente und etwa, weil von ihm die Residentin durch ihre Gesellschaft und Beata durch ihren Herrn Vater abgezogen wurde – sich gar fortmachte. Aber draußen richtete sich unter dem kühlenden Nachttau die hängende Blume erfrischt wieder auf; im stillen Lande ging er vor dem viereckigen Schimmer, den die Wandleuchter ins Gras herunter warfen, ohne Sehnen vorüber und drehte sich rund umher, um alle Wände des weiten schwarzgemalten Ballhauses, wo das Schicksal den Sonnen-Ball in große und den Erdball in kleine Kreise wirft, ins Auge zu nehmen. Als er hier den großen Schattenriß des Tages, die Nacht, wie den einer weggegangnen Freundin, kühlend und tröstend an seinem Busen hatte: so dachte er, aber ohne Stolz: »O zu dir, große Natur, will ich allzeit kommen, wenn ich mich unter den Menschen betrübe; du bist meine älteste Freundin und meine treueste, und du sollst mich trösten, bis ich aus deinen Armen vor deine Füße falle und keinen Trost mehr brauche.«....

»Können Sie mich nicht berichten, wo hier der junge Herr von Falkenberg logiert?« redete ein Nachtbote ihn an. Er überbrachte ihm einen Brief, den er eilig im Fixsternlicht der fernen Wandleuchter durchlief. Aber sie schienen heute lauter trübe Auftritte beleuchten zu sollen. Amandus hatte ihm darin auf dem Deckbette seines Krankenlagers so geschrieben:


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