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Zweiter Teil.
Reisen


Zur ersten Station

Drei Stationen kamen an Peter Piraths Reisen. Drei Stationen, an denen er sozusagen den Zug verließ, verweilte, rückwärts schaute und die Fahrpläne neuer Richtungen studierte.

Bis zur ersten Station wurde er gepflügt. Bis zur zweiten Station kam er in Saft, und vor der dritten, da er ernteschwer geworden war, da …

In Genua ging Peter Pirath an Bord des »Fürst Bülow«. Der Hotelwagen brachte ihn zum Kai, er stieg den Holzsteg aufs Zwischendeck hinauf und von dort die Eisenstiegen weiter aufs Promenadendeck. Schiffsoffiziere standen halb höflich bereit, halb militärisch wichtig und barsch umher. Der Kapitän grüßte Pirath mit einem väterlichen und zugleich weltmännischen Lächeln und einem verweilenden Anschlag an die vierfach bebänderte Mütze. Der Obersteward bemächtigte sich Piraths im Handumdrehen mit einer nur halb ausgeführten, aber doch formvollendeten Verbeugung.

Pirath ging hinter diesem Mann her das Promenadendeck entlang. Mit dem linken Auge sah er den Kai, in buntem Gewimmel von fremdem Volk bedeckt, mit ungewohnten Gebärden belebt, und mit dem rechten Auge sah er auf einmal, er mußte unwillkürlich den Schritt anhalten, einen jungen Menschen in einem Stuhl an der weißlackierten Wand tief rückwärts liegen und lesen. Peter begann seine Reisen wie eine religiöse Tat. Er folgte nur ungern dem Obersteward, um sich seine Kabine zeigen zu lassen. Er wollte sich über die Reling legen und schauen. Die steile Stadt schickte aus den üppigen Klötzen ihrer Paläste, die wie Felsenblöcke über Schluchten die Straßen bildeten, dieses farbige fremde Gewimmel von Volk herab. Das bewegte sich am Kai, mitten im Geruch der fernen Küsten, der an den Dampfern und Seglern abfloß, wie eine unbekannte Seele, die unbewußt den Schleier von sich lüpfen will und heischte, geschaut zu werden. Und dieser junge Mann lag tief rückwärts und las. Das war Pirath außerordentlich merkwürdig.

Er eilte hinter dem Obersteward her, warf einen Blick in seine Kabine und flüchtete wieder an Deck. Der junge Mann lag noch immer und las. Es war ein junger Mann, der unter einer blauen Seglermütze sachlich kurz geschorene rote Haare hatte und gepflegt pedantisch gekleidet war. Er war von stämmiger kurzer Gestalt, hatte ein Gesicht mit einer zu kleinen Nase, fest gerundeten Backenknochen, eine breite Stirn, einen scharfen Mund und einen mädchenhaften rosazarten Teint. Seine Augen ertranken in den spiegelnden Scheiben seines Kneifers. Seine roten Brauen hoben sich leicht, als Pirath vorbeiging, und senkten sich fast im selben Augenblick wieder in das Buch. Er war etwas weitsichtig und hielt das Buch steifarmig vor sich hoch. Das Buch hatte einen klatschigen Deckel, dessen Titel Pirath schon von fern lesen konnte: Die Welt und der deutsche Gedanke.

Der erste Gedanke Piraths war, als er diesen Titel gelesen hatte: Dies Buch könnte dir auch vielleicht nützen. Aber er wunderte sich, daß ein junger Mensch so untätig einem Buch hingegeben sein konnte, wo vor seiner Nase die lieblichste, ein wenig märchenhafte Lust eines fremden Volkes auf dem Kai tanzte. Denn es war ein strahlender, windgekühlter Augusttag. Peter empfand eine leise Enttäuschung in der inneren Erhebung, mit der er den ersten Schritt auf dem Schiff getan hatte. »Ich wollte, dieser junge Mann wäre nicht an Bord!« sagte er sich. Er dachte, wie störend solch ein trockenes Pflänzchen in dem engen Lebensraum sei, in dem auf drei, vier Wochen ein lebendiger Haufen Menschen fremdem Klima entgegenfuhren und eng aneinander die Welt erlebten. Pirath stellte sich an einer solchen Bordgesellschaft von vornherein alles harmonisch vor.

Der Kapitän stand auf einmal vor ihm, führte die Hand an die Mütze und sagte mit einer kleinen lächelnden Verbeugung: »Kapitän Schnell.« Peter nannte seinen Namen, und der Kapitän sprach gleich diesen Namen nach, so als ob er ihn seit längerem kannte. Das kam Peter Pirath vertraut vor, und er begann den Kapitän zu lieben. Der Kapitän war der gute Geist der Fahrt in die Welt, die Pirath begann, ein modernisierter wiedergekehrter Mentor, und ohne Hemmungen erzählte Pirath in dieser ersten Stunde auf dem Dampfer, da dieser zur Abreise rüstete, von seinen Zwecken und fragte den Kapitän nach einzelnen Persönlichkeiten, an die er Empfehlungen besaß. Doch es schien ihm, da er diese Namen nannte, als ob der Kapitän etwas spöttisch täte und sich zurückzöge. Aber dann sah er, wie die blauen Augen des Kapitäns auf den lesenden Jüngling fielen und zugleich der kurze ergraute Bocksbart seines großen gesunden Gesichtes sich vorn etwas hob. Da sagte er sich, daß der Rothaarige wohl die Ursache der plötzlichen Änderung sei.

Am Kai landeten drei Droschken. Der ersten entstieg eine schlanke straffe Frau in einfachem weißen Kleid. Sofort begann ihre Blondheit sonderlich in der Sonne zu leuchten. Ihr folgte ein großer Mann, der seinen Bauch steil vor sich hintrug und mit seinem Panama seinen riesenhaften Kopf halb verbarg. Die anderen Droschken luden noch einige Herren und Damen aus, an denen nichts Besonderes zu sehen war. Der Dickbäuchige grüßte herauf. Die straffe Frau ebenfalls. »Wir sind da, Käpten! Sie können fahren!« rief der Dickbäuchige. Dann stellte er sich an die Spitze der Gesellschaft, hielt die Hände wie eine Trompete an den Mund, und während er den wippenden Holzsteg heraufkam, blies er den Wilhelmusmarsch hinein. Die Damen und Herren folgten lachend. Der Kapitän sagte zu Peter: »Entschuldigen Sie!« und war unversehens verschwunden. Der Dickbäuchige tauchte die Eisentreppe herauf und rief: »Käpten! Wo ist der Käpten?« Er grüßte Pirath. Er lächelte ihn von ganz nah mit seinem großen geröteten Gesicht an. Aus diesem Gesicht sprang die Nase in einem scharfen Winkel heraus, wie eine geometrische Figur an einem krausen Gewächs. Dann stellte er sich, einen Augenblick erstarrt tuend, vor dem rothaarigen Leser auf. Der schaute flüchtig zu ihm hin, grüßte sanft errötend. Der Dickbauch drehte sich zu der straffen Frau um und sagte, indem er mit dem Daumen rückwärts auf den Jüngling zeigte: »Heut abend weiß er ihn auswendig.« Sie fragte: »Wen?« – »Den deutsche Gedankche in der Wällt!« antwortete der Dickbäuchige in einem fremden gutturalen Deutsch. Er war ein Holländer.

Der Rote errötete wiederum und lächelte kühl. Er versank tiefer in sein Buch. Pirath legte sich mit dem Rücken an die Reling und schaute die schöne Frau an. Ob sie die Frau des Dickbäuchigen war?

»Soll ik Ihnen wat seggen, Herr Backhaus?« wandte der Holländer sich wieder an den Lesenden. Dann bückte er sich nieder und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Jüngling lächelte kühl abwehrend und selbstbewußt. Der Holländer richtete sich laut gröhlend wieder auf. Er schaute Pirath an und tippte mit dem Daumen auf die Stirn. Der Jüngling erhob sich und ging, das Buch in der Hand, davon.

»Mrs, so sehen die jungen Manen aus, die sich heutzutage die Welt anluken gehen. Dat is Chebrauch in die deutschen Kolohnjen,« sagte der Holländer.

Da wußte Pirath, daß sie nicht seine Frau war.

Als das Schiff schon fuhr, kam der Obersteward zu Pirath und sagte: »Der Herr Kapitän bittet um die Ehre, Herrn Pirath bei den Mahlzeiten am Kapitänstisch zu sehen. Peter sagte: »Danke.«

Als er abends im Smoking in den Speisesaal kam, fand er, daß er zwischen dem Holländer und der straffen Frau saß. Der Holländer führte das Gespräch. Der Kapitän blieb diesen ersten Abend auf der Brücke. Der Holländer fragte Pirath nach seinem Reiseziel. Peter erzählte in Andeutungen. Nachher war es ihm, als ob der Holländer sich ein wenig um ihn bemühte. Aber er ging nicht ein auf Piraths Antwort, sondern trieb gleich das Gespräch auf die Erlebnisse des Tages in Genua zurück. Pirath erkannte in den andern Tischgenossen die Insassen der Droschken, die zugleich mit dem Holländer und der Frau am Kai angekommen waren. Er nahm sich vor, mit dem Holländer, der nach Sumatra zu reisen schien, bei erster Gelegenheit über seine Zwecke zu sprechen.

Pirath überlegte sich, was er seiner Nachbarin sagen könnte. Er fand nichts, und er genierte sich seiner Unbeholfenheit vor ihr. Er spürte, daß sie ihn öfter anschaute. Ihre merkwürdige Sprechweise fiel ihm auf. Sie sprach fließend Deutsch, aber mit einer fremden Aussprache. Er schnappte nach dieser Eigenart, um das anknüpfende Gespräch zu finden, legte sich einen schönen und gescheiten Satz zurecht. Aber als er ihn sagen wollte, fand er ihre Blicke wie wartend auf sich gerichtet, und das verwirrte ihn. Aus dem schönen und gescheiten Satz wurde die unbeholfene Frage: »Von wo sind die gnädige Frau? Darf man sich erkundigen?«

Sie antwortete mit einem, wie Peter schien, übertrieben höflichen und entgegenkommenden Lächeln: »Aus Tschikaügoü!«

Peter verstand nicht, aber er genierte sich vor der Schwierigkeit, sich den Namen deutlicher vorsprechen zu lassen, und er sagte: »So!« Aber die Fremde nahm dann unversehens das Gespräch in die Hand und spielte wie mit einem Ball damit. Peter unterhielt sich unerwartet leicht, und er begann diese Gewandtheit, den klug ausnutzenden Verstand der Dame zu bewundern. Die Nachbarin verstand es, die Unterhaltung wechseln zu lassen, und Peter fand, daß sie gleichermaßen mit Humor wie mit der Fähigkeit ernster Rede ausgestattet sei. Aus ihren Gesprächen ging ihre Weltgereistheit hervor, und Berlin, Hongkong, Sydney, Neuyork waren ihr geläufig wie Hannover und Hildesheim dem Pirath. Da fühlte er, der so ganz seinen begonnenen Reisen angehörte, wie sie, die Vielgereiste, ihm überlegen war. Er sah jetzt in ihr etwas wie eine Führerin.

Das war, was Peter Pirath während des ersten halben Tages an Bord des »Bülow« erlebte. Er gab sich wohl Rechenschaft darüber ab: Drei Menschen hatten sich ihm heut genähert, die straffe kluge Frau, der dickbäuchige Holländer und der Kapitän, und allen dreien ordnete er sich unter. Das tat er bei sich als der Schlaue. »Man muß aus allen Blüten Honig saugen!« sagte er. Aber ganz im Innern gefiel es ihm nicht, daß er der war, der geführt werden sollte. Er war zu anderm ausgereist.

Nach Tisch saß Pirath mit dem Holländer in der Bar. Sie tranken schwarzen Kaffee, und Pirath bot dem Holländer eine seiner großen Zigarren an. Der Holländer schien sich auszukennen und sagte: »Oh!« sehr erstaunt, diese Zigarre hier zu finden. Er brannte die Zigarre umständlich an. Dann versuchte er diskret Pirath zum Erzählen zu bringen. Peter aber dachte immer an die Klugheit seiner Tischnachbarin. Er fragte den Holländer: »Von wo ist meine Tischnachbarin?«

»O, die Mrs. Tschikaügoü? Aus Tschikaügoü!«

»Wo ist das?«

»Ich schreib Ihnen das Wort. Dann wissen Sie es!« Er schrieb auf einen Zeitungsrand: Chicago. »Sie ist eine Deutsch-Amerikanerin, Mrs. Haug.«

»Sie ist sehr gescheit!« sagte Peter.

»Sie ist eine reiche Witwe!« warf der Holländer hin. »Ha, wenn man nicht verheiratet und so häßlich wäre …« Nach einer Weile sagte er noch und lächelte halb spöttisch dazu, halb anzüglich: »Aber Sie!«

Pirath erschrak. Er stotterte: »O, ich! …?«

Auf einmal erschien ihm Ree. Er hatte nicht vermocht, diese Katze in seinem Bett zu halten. Wie sollte er jetzt die Welt erobern? Eine Stimmung von Niedergeschlagenheit und Zweifel verbreitete sich kleinmütig über ihn.

Der Holländer ging wieder dazu über, von der Reise zu sprechen. Er nannte als sein Ziel Sumatra und pries den Aufschwung, den diese Insel genommen hatte. Peter aber glitten die Gedanken fortwährend von Ree auf die blonde Amerikanerin über.

Als sie sich am nächsten Tag zum Essen begaben, fanden sie einen Unbekannten am Tisch. Der Fremde stand sofort auf, sobald jemand kam, verbeugte sich und sagte: »Hartmuth Hei, Schriftsteller und Tigerjäger.« Er tat das auch beim Kapitän, der als letzter kam. Der Kapitän schaute ihn eine Sekunde verwundert an. Dann sah er durch den Saal. Unversehens stand der Obersteward an seiner Seite, bückte sich zu ihm nieder und flüsterte: »Der Herr hat sich einfach hingesetzt. Als ich ihm einen andern Platz anwies, sagte er, dieser Stuhl ist doch frei. Ich kann ja gleich da sitzenbleiben. Weshalb mich derangieren?«

Während des Essens erzählte Herr Hartmuth Hei ununterbrochen Abenteuer von Jagden, bei denen er sich heldenhaft benommen hatte. Bald war es einem Tiger in Indien schlecht bekommen, daß er Hei zu stark auf die Pelle rückte, bald mußte ein afrikanischer Löwe dran glauben. Hei sagte: »Vor einigen Jahren war ich im Innern Sumatras. Ich hatte Tigerspuren verfolgt, war an einen moorigen Fluß im Urwald gekommen und ein steiles Ufer hinabgeglitten. Ich sah am Ufer einen Stein aus dem Wasser ragen, wollte grad mit einem Satz darauf. Da hob sich der große Stein aus dem Wasser, hob sich immer … immer … ein rosarotes Loch erschien darunter und gelbe Stumpen, wie Kinderköppe so dick, und ich sah auf einmal, daß ich im Begriff gewesen war, in das Maul eines Hippopotamus zu springen. Ich …«

»Seggen Sie, wie alt sind Sie?« fragte grob der Holländer.

Hei blieb der Mund offen. Allmählich sagte er: »Achtunddreißig! Welche Frage!«

»Dann waren Sie acht Jahre alt, wie Sie das … wie seggt man? … Abentuur mit die Hippopotamus gehabt!«

»Wieso?«

»Weil ich dreißig Jahr in Sumatra leb und in dieser Teid ein Hippopotamus dort nicht gesehen wurde.«

Aber Hei entgegnete belebt: »Ha, gesehen wurde! Merken Sie sich, meine Herrschaften, gesehen wurde! Die Flußpferde sind allerdings rar auf Sumatra geworden, und ich dürfte der einzige europäische Jäger sein, der eins vor die Flinte bekam. Ich fahr fort mit meiner Erzählung …«

»Dat is unnodig!« sagte der Holländer.

»Weshalb, wenn ich fragen darf?«

Den andern wurde die Sache peinlich. Die Amerikanerin wandte sich auffällig an Pirath und begann ein Gespräch mit ihm über deutsche Frauen. Der Kapitän rief den Kellner herbei und studierte ausgiebig in der Speisenkarte. Der Holländer aber sagte ruhig: »Weil ick Ihnen dat segge!«

Hei zuckte mit den Schultern und wandte sich an seinen Nachbarn, einen deutschen Beamten, der als Richter in die Südsee reiste. Dem erzählte er das Abenteuer zu Ende. Der Richter hörte zu, als ob er zehn Kilometer vom Erzähler weg sich hinter seinen hohen Kragen verschanzte. Der Holländer verspeiste mit gutem Appetit, als ob er Hei nichts gesagt hätte, ein Tournedos. Er rief laut lachend einem Landsmann an einem Nachbartisch etwas auf holländisch zu, das niemand verstand. Hei horchte auf.

Man erwartete ein peinliches Nachspiel nachher an Deck. Der Kapitän heftete sich an den Holländer, um für alle Fälle bereit zu sein. Mrs. Haug sagte zu Pirath: Seien Sie lieb, und laden Sie uns alle in die Bar ein. Den Jäger lassen Sie ruhig beiseit liegen. So was ist häufig auf Schiffen. Man muß sie immer zehn Meier vom Leib und natürlich einige tausend Kilometer von der Seele halten. Aber Mynheer Goed wollen wir von ihm entfernen. Kommen Sie, wir trinken Champagner.«

Diese kameradschaftliche Vertraulichkeit berührte Peter innig. Er wollte der Amerikanerin die Hand küssen. Aber dann sagte er nur: »Furchtbar gern!«

Als der Champagner eingegossen wurde, sah Hei von draußen zu dem Fenster herein, an dem der. Tisch stand. Er streckte plötzlich seinen mageren Kopf weit vor wie ein Hahn durchs Fenster, so daß alle erschraken. Er rief: »Sieh da! Unser Tisch versammelt sich zu fröhlichem Tun!« Dann kam er herein, schob einen Sessel zwischen Pirath und die Amerikanerin und bemerkte leichthin: »Sie gestatten!« Nach hinten rief er: »Steward, einen Sektlutscher!«

Die Gesellschaft schaute sich betroffen an. Die Amerikanerin begann laut zu lachen. Der Kapitän rückte unruhig und peinlich berührt hin und her und warf lange Blicke auf den Schriftsteller. Der Holländer tat so, als ob niemand an den Tisch gekommen wäre. Der Richter versteifte den Kopf in den hohen Kragen hinein und sah den Kapitän an. Der Kapitän blickte wie nach Hilfe rund um sich. Hei neigte sich zur Amerikanerin: »Befleißigen sich die Gnädigste auch der hohen Jagd?« Sie antwortete lachend und nebenbei: »Ja, auf sonderbare Menschen!« – »Auch sehr interessant!« machte Hei. Aber er war schon zu Peter hinübergeglitten: »Und in dem Herrn hab ich wohl einen Kollegen vor mir?« – »Wieso?« fragte Pirath, sich zurückziehend. – »Nun, die ganze Gestalt, das Exterieur, so wie die Muskeln übern Rücken gehen und die Brust herausgeweitet zwischen den Schultern sich wölbt. Sie könnten, parbleu! einem Nilpferd mit einem Ruck den Hals umdrehen.«

Pirath wurde ganz verlegen, als der andre seine Gestalt so beschrieb, und er errötete über und über. Er war nicht so kühn, zu Mrs. Haug aufzuschauen.

Aber während Hei mit Pirath sprach, hatte der Holländer sich zum Kapitän hinübergebeugt und ihm zugeflüstert: »Jetzt geht einer nach dem andern mit seinem Glas an die andre Tisch, in die Huk drüben!« Der Kapitän lachte und sagte es weiter. Pirath sah, wie der Nachbar der Amerikanerin sich zu ihr neigte und wie sie lachend ja winkte. Der Holländer erhob sich, nahm sein Glas in die Hand und ging steif an einen andern Tisch. Da stieß der Richter Pirath an und flüsterte ihm zu: »Einer nach dem andern geht mit seinem Glas an den andern Tisch … Der Kapitän stand auf und der Richter schloß sich ihm an. Als er weg war, sagte die Amerikanerin: »Herr Pirath, geben Sie mir Ihren Arm …« Sie führte ihn um das Deck herum, blieb dann stehen und schaute ihn an.

»Soll ich's Ihnen sagen?« fragte sie lächelnd.

»Bitte, ja!« antwortete Pirath. »Was ist es denn?«

»Sie waren ganz rührend, wie er das von Ihren Muskeln sagte und Sie rot wurden …!« Und sie ließ ihren Arm mit einer zärtlichen Schwere in seinem liegen.

Pirath war verwirrt.

»Aber lieber Herr Pirath, sind Sie denn solch ein Kind? Wir sind Reisekameraden! Wir können uns doch sagen, was uns aneinander gefällt und uns bedeutsam aneinander zu sein scheint. Kommen Sie, wir gehn wieder zu den andern.«

Peter kam sich wieder als Schüler vor und versuchte seine Verlegenheit zu bemeistern. Sie setzten sich nebeneinander an den neuen Tisch. Sie sahen Hei allein mit dem letzten ihrer Tischgenossen in der andern Ecke sitzen. Der Holländer schimpfte: »So eene Wanz!« Da erhob sich drüben auch der andre, flüsterte in die Luft hinein: »Verzeihung!« und kam mit ernstem Gesicht graden Schritts zu den andern. Aber kaum saß er da, als Hei aufstand, sein Glas nahm und ebenfalls herüberkam. Er sagte: »Sie haben recht, meine Herren. Es zieht drüben. Und das ist in den Tropen Gift. Zugluft – schlimmer als ein Elefant, gefährlicher als ein angeschossener Tiger. Übrigens eine Geschichte von einem angeschossenen Tiger …«

Hei saß wieder neben Pirath und wandte sich an ihn. Pirath drehte sich leicht weg. Aber das beirrte Hei nicht. Er begann: »Also einmal in Birma mit dem Maharadscha von Pnumpum war ich auf der Jagd …«

»Wenn Sie fortfahren von die Jagdgeschichtchens, denn geh ich auch auf die Jagd!« sagte der Holländer drohend.

»An Bord?« lachte Hei. »Was wollen Sie hier erlegen? Mit welcher Waffe? Bitte?«

»Ich will … hei Wanzen will ich erdrücken. Mit die Daumen …«

Aber Hei rief hinein: »O, reden Sie nicht von Wanzen, Mynheer! Da war ich einmal drunten in Afrika im Dschungel …«

Der Holländer lachte zum Kapitän hin: »Für solche Wanzen ist ein Küsten Kanon niet groot genug.«

»Na, aber wirklich!« rief Hei erstaunt. »Sie kennen die Geschichte? Von der Wanze und der Kanone …?«

Aber alle begannen zu lachen. Man bog sich hin und her vor Lachen. Goed wieherte, daß ihm die Tränen in die grünen Äuglein sprangen. Er brüllte: »Die ganze deutsche Kriegsmarin mit her an diese Wanz!«

Die Amerikanerin sagte leis zu Pirath: »Gehen wir.« Der Richter und der Kapitän erhoben sich. Andre taten desgleichen. Man ging ein wenig herum und stellte sich draußen an der Reeling zusammen. Der Windzug, der aus dem finstern Meer aufrauschte, spielte durch die Haare und Kleider. Auch Goed stand da. Auf einmal war Hei ebenfalls zwischen ihnen. Goed und Hei stellten sich zu Pirath, und es war ihm, als ob sie sich heimlich um ihn streiten wollten. Peter bemerkte das verwundert. Was wollen sie mit mir? fragte er sich. Dies ungleiche Paar! Der hungrige Schwindler und der imponierende, großmächtige Pflanzer!

Im Stuhl hinter ihnen an der weiß lackierten Wand lag der rothaarige Jüngling und las. Er hatte noch immer sein Buch mit dem klatschigen Deckel: Die Welt und der deutsche Gedanke. Pirath wollte den beiden entgehen, weil er sich über ihr Benehmen nicht klar wurde. Er setzte sich neben den Lesenden und begann ein Gespräch mit ihm.

»Sie lesen immer in diesem Buch?« fragte er.

»Ja, gewiß!« antwortete der andre.

»Ist es so fesselnd?«

»Nun wohl!« sagte Backhaus. »Ich will mir mit deutschem Bewußtsein die Welt anschauen.«

»Und dann?«

»Dann übernehm ich das Geschäft meines Vaters.«

»In Hamburg?«

»Nein, in Kassel!«

»Das lernen die deutschen jungen Leute jetzt wohl von den Engländern?« fragte Peter. »Zuerst umschauen, wie die Welt aussieht. Lehrjahre! Und dann erst zu Haus beginnen. Nicht wahr?«

»Das deutsche Bewußtsein erwacht jetzt!« sagte der junge Backhaus. »Hätte es das früher getan, so wäre es besser um uns.«

»Nun, es geht uns doch nicht schlecht.«

»Aber falsch. So wie unser moderner Turnunterricht zu Haus die Glieder neu schult, so müssen wir auch den Geist, das Bewußtsein unsrer Persönlichkeit neu erziehen.«

»Das steht in diesem Buch?«

»Nein. Es ist mehr historisch. Schon das Ergebnis sozusagen.«

»Verzeihen Sie, Herr Backhaus, das ist mir unklar. Noch kein Geschäft, aber schon eine Bilanz.«

»Es handelt sich hier um höhere Dinge als Geschäft.«

»Aber Sie nannten doch als Endziel das Geschäft Ihres Vaters in Kassel. Meinen Sie denn nicht, daß, wenn uns das Geschäft in die Welt führt, eben dieses Geschäft das höchste der Dinge ist. Das Geschäft natürlich in der ganzen Atmosphäre einer deutschen Mentalität …? Das Geschäft als Spitzenführer der Gruppe unsrer guten deutschen Eigenschaften. Anders wäre es doch wieder der alte verstaubte deutsche Stubengeist!«

Der Blonde machte: »Nun ja!« Er strengte sich an, nachzudenken, und seine blauen Augen gingen unruhig hin und her und fielen dann aufs Buch und waren gleich still und besänftigt. Aber auf einmal, als Pirath schon dachte, er sagt nichts mehr, bemerkte er ganz ruhig und bestimmt: »Es nutzt doch alles nichts, bis der Krieg entscheidet!«

Der Holländer kam und nahm Pirath hinweg. »Wat seggt der deutsche Gedanke?« fragte Goed. Pirath erzählte. Goed antwortete, ein wenig nebenbei: »Die Deutsche sind tüchtige Menschen. Aber ihr müßt eure Gedanke zu Haus lassen. Wisse Sie, was ist Welt? Welt ist Geld! Und nicht sich über ein Buch versammeln und mit dem Kopf drüber brühen, wie die Hühner auf die Eiern brühn. Tun! Das müßt ihr. Dann gibt es nichts Besseres in die Kolohnjen als der Deutsche. Aber diese Gedanke … diese Gedanke … Wenn ein Deutscher ein Loch in seinen Schuhn hat, dann denkt er zuerst über die Entstehung der Schuh nach, dann studiert he die Fabrikation von das Ledder in den dicke Buks … Englishman – all right! Sie gehn nicht rundum in Gedanken, aber mit der Faust darauf zu.«

Pirath war ärgerlich, daß einer das deutsche Wesen so nicht erkennen konnte. Er antwortete gereizt: »Lassen Sie die Engländer gradaus auf ihren Pfeffersack und ihren Fußball zugehn. Wir sind Deutsche! Das ist etwas andres! Wir wollen auch in Geschäftssachen fühlen, wie uns das Herz schlägt.«

»Durchschnittlich siebzigmal in der Minut!« lachte Goed, »wie bei die andern Nationen.« Allmählich führte er dann, während sie zahllose Male ums Deck gingen, das Gespräch auf seine Pflanzungen auf Sumatra. Er erklärte, wie viel Möglichkeiten diese Insel noch berge.

Einmal sah Pirath, daß die Amerikanerin mit einem langen Blick ihm entgegenschaute, während sie so umhergingen. Er hätte gern mit ihr gesprochen. Aber er hörte zum erstenmal etwas, was seinem Unternehmen galt, und in Gedanken versuchte er fortwährend beim Pflanzer etwas von seinen großen Plänen anzubringen. Ein zögernder Instinkt befahl ihm aber vorsichtig zu sein, und da sagte er gar nichts, weil es ihm unehrlich erschienen wäre, mit halben Verdeckungen zu sprechen. Der junge Backhaus ging jetzt allein umher, das Buch unter die Achsel geklemmt. Der Tigerjäger stand im Winkel hinter dem Rauchzimmer und erzählte ununterbrochen.

 

Peter hatte seine Zeichnungen und Arbeiten über die Zentrifuge mitgenommen. Er dachte sich, die lange Schifffahrt ließe ihm vielfach freie Zeit, die er mit der Fortsetzung der Arbeiten ausnützen könne. Aber das sorglose und ein wenig planlose Hinundher, das Neue der Atmosphäre an Bord, die steigende Hitze hinderten ihn, voll und ganz an die Arbeit zu kommen. Er fühlte sich dann unzufrieden mitten in einer Anhäufung von Sorglosigkeit, wenn er so halb tätig, halb abschweifend sich über seine Papiere bückte. Es haftete auch ein feindseliger Geruch von Vergangenheit an diesen Blättern und Notizen. Ree entstieg ihnen, und allmählich bildeten sich die Empfindungen, die er aus ihnen empfing, stets zu dem einen Eindruck zusammen, daß in dem Land, das hinter ihm verschwand, in dem Leben, das anfing, ein wenig wesenlos hinter ihm zu werden, er versagt hatte, er jämmerlich unterlegen war.

Ein paarmal versuchte er dabei sich zusammenzuraffen. Aber dann lehnte er sich auf. Er gab sich damit zufrieden, daß er die Pläne der Zentrifuge in der bisher erreichten Form dem Bruder überlassen hatte, der sie dem Patentamt vorlegen und in der Fabrik einführen wollte.

Es kamen nun auch große, gemeinsame Ausflüge in den Häfen, die sie anliefen. Er fuhr mit Mrs. Haug, mit Goed und dem Richter nach Pompeji. Das war Ablenkung und Neues. Er wollte es ganz haben und befreite sich von allen andern Sorgen. Pompeji ließ ihn ohne Eindruck.

Als sie auf den Dampfer zurückgekehrt waren, sagte er der Amerikanerin: »Es sind Stumpen einer Stadt. Ich hab Ruinen nie geliebt, und diese haben nicht einmal das Malerische von Ruinen deutscher Burgen!«

Als sie ihm antwortete, ob es ihn nicht ergreife, daß Pompeji eine Stadt sei, die man nicht sterben lasse, sah er, in der Erinnerung, den Ausflug auf einmal mit andern Augen an. Sie standen abends an Deck zusammen, und er sagte ihr, wie richtig und schön ihre Bemerkung gewesen und daß ihm darnach erst der Sinn in das Trümmerfeld gekommen sei.

Sie bemerkte darauf: »Ich möchte mit Ihnen durch die Welt reisen!« Und Peter fühlte sein Herz wärmer gehen, und es war ihm auf einmal, als täte es ihm wohl, die Asche, die in ihm lag, etwas zu entfernen und ihr zu zeigen, was drunter brannte. Denn so weit seine Heimat auch hinter ihm lag, aus seinen Adern war Ree nicht gewichen. Um nicht erzählen zu müssen ging er von der Amerikanerin fort und umwanderte ungezählte Male das Deck, während die Ladebäume knarrend arbeiteten und in der Tiefe auf dem Wasser in beleuchteten Kähnen Musikbanden neapolitanische Lieder fruchtbar machten.

Pirath ließ sein Leben hinter sich – und sein Leben war zusammengefaßt in den harten Schlag: Ree – als etwas, das unwürdig war. Nicht Ree war minderwertig. Aber er, er hätte sich nicht in diese Luft begeben sollen, er, der eine Energie war und doch sein Gemüt wie ein Moor in sich trug. Und da Ree keine Wurzeln in seinem Leben schlagen konnte, wucherte dieses Verhältnis auf seinem Gemütsleben wie auf einem Komposthaufen.

Die Amerikanerin schaute ihm unverhohlen nach, wenn er an ihr vorüberging. Sie empfand es nicht als eine Beleidigung, daß er sie hatte stehen lassen. Sie sagte sich: Es ist, als sei er irgendwo wund. Bei gewissen Dingen verliert er seine breite Ruhe und fängt an zu pendeln. Dieser Mann steht kurz hinter einem Erlebnis. Und als er wieder vorbeiging, sprach sie ihm leis für sich in den Luftzug hinein nach, der hinter seinem raschen Gehen sie streifte: »Es wäre süß, Sie zu lieben, mein Herr! Und von Ihnen geliebt zu sein, so zwischen Neapel und Hongkong.«

Das Schiff fuhr einige Tage ohne Unterbrechung durchs Mittelländische Meer. Der nächste Hafen war Port Said. Für Peter, den Unerfahrenen, entwickelte sich das Leben an Bord verführerisch sorglos und weich und bildete eine neue ungeahnte Realität, der er sich mit vollem Herzen hingab. Man plauderte, schaute, spielte, aß, trank, scherzte, die Welt lag fern um die Scheibe des Horizonts herum und konnte nicht über einen kommen. Selbst an Hei hatte man sich gewöhnt. Seine Aufdringlichkeit war manchmal nicht ohne Witz. Nur der Kapitän widersetzte sich. Wenn man ihm sagte: »Hei ist doch ein Scherz!«, dann machte er empört: »O, gehn Sie!« und sprach von etwas anderm. Hei fuhr fort, Pirath aufzusuchen, und erzählte ihm wunderbare Jagdgeschichten, die Pirath nicht glaubte. Hei ließ dafür Pirath seine Getränke aufschreiben. Er log und schmarotzte sich im Kreis durch die Schiffsgesellschaft und versuchte, als niemand seine Jägergeschichten mehr hören wollte, mit einer geheimen Mission wichtig zu tun, die er nicht direkt, aber verdeckt im Auftrag eines großen Staates, der natürlich nur Deutschland sein konnte, unternahm. Dadurch leitete er den Zorn und das besondere Mißtrauen des Richters auf sich, der nach der Südsee fuhr.

Der Richter sagte zu Pirath, indem er vor Empörung rot wurde: »Das ist ein Schwindler!«

Der Holländer meinte: »Er wird nicht von Bord gehen, ohne uns weismachen zu wollen, daß er wegen seiner guten Flint Erbprinz von Johore wird.«

Die Amerikanerin vermutete: »Er wird nicht von Bord gehen, ohne versucht zu haben, uns alle anzupumpen. Und bei einem wird es ihm gelingen. Bei Ihnen, Herr Pirath, wo er anfangen wird.«

»Weshalb bei mir?«

»Er riecht den Neuling in Ihnen, den Reisedilettanten.«

Goed sagte: »So wie ich Bekenntnis von Ihne hab, Herr Pirath, geben Sie ihm Kredit bis zu drei Nulle!«

»Er wird sich schneiden!« rief Pirath.

Der Richter: »Dem Schwindler! Bis zu drei Nullen?!«

Mrs. Haug: »Nein, nein! Nichts! Ich werde über Ihr gutes Herz wachen.«

Der Holländer löste die Aufregung in Lachen auf: »Mrs. Tschikaügoü als schützender Engel! Ik hab ja niet gesagt, daß auch noch ein Ziffer vor die Nulle kommt!«

Dann kam Hei.

Goed rief: »Hei, hei, schau, wer kommt wieder? Vertrau ik meine Augen, der Herr Hei!«

Der Hei lachte und sagte: »Mijnheer, Sie haben Augen, wie ein Boa-Constrictor-Jäger. Das ist eine Jagd. Gottverdomme …!«

Herr Goed hielt beschwörend die Hände vor: »Bitte Jagd, nicht mehr Jagd! Man fühlt sich seinem Leben niet mehr seuker! Mit all Ihre Boa Constrictor, Tigers und rasende Elefants und dem Sumatra-Nilpferd. Ik lauf davon. Komme Sie mit, Mrs. Tschikaügoü?!«

Hei hielt Pirath am Jackenknopf fest: »Für Sie hätt' ich was,« sagte er, als die andern davon waren. »Es reisen so viele, die Jagdmärchen erzählen, daß einem ehrlichen Jäger, wenn mal einer kommt, niemand glaubt. Aber hier haben Sie's schwarz auf weiß, mit Schrift und Kamera festgehalten.«

Hei zog eine alte Nummer der Woche heraus und schlug eine Seite auf. Pirath las: Moderne Tropenjagd von Hartmuth Hei. Hei drückte ihm die Zeitschrift hin. Pirath sollte lesen. Als sie sich später wieder trafen, fragte Hei: »Glauben Sie mir nun? Sie wenigstens? Auf Sie kommt es mir an.«

»Weshalb gerade auf mich?«

»Weil ich etwas Großes mit Ihnen vorhab.«

»Nicht möglich!«

»Ja, ich brauch nicht um Diskretion zu bitten, denn ich weiß, daß Sie's machen, machen müssen, sobald ich Ihnen die notwendigen Aufschlüsse gegeben habe.«

»Ich warte.«

»Wir industrialisieren ein großes Jagdgebiet in Hinterindien.«

»Wer ist das: wir?« fragte Pirath.

»Nun: Sie und ich. Hören Sie, Pirath. Da bin ich mit einem Maharadscha befreundet, einem Fürsten, einem König von immensen Gebieten. Aber der Nervus rerum, voilà, der ging ihm aus. Cherchez la femme. In seinem Harem hat er tausend Mächens, eins schöner als das andre. Das kostet sein Vermögen. Denn es müssen immer tausend sein und nicht nur aus Indien. Da sitzen die schönsten Europäerinnen drunter. Und er ist bereit, sein Gebiet zur Jagd zu verpachten. Es wimmelt von Elefanten, von alten Bullen mit Stoßzähnen, wie ein deutscher Eichbaum so dick.«

Pirath wollte ihn los sein und sagte: »Stoßzähne interessieren mich nicht. Dumdumkugeln noch weniger! Also …«

»Still! pst!« machte der Hei und hob den Finger. »Ich hab ja noch etwas in der Reserve. Weshalb wende ich mich denn gerade an Sie, an Herrn Peter Pirath, Mitinhaber der Firma Jens Pirath Söhne, unsere größten Kopraverarbeiter. O, ich weiß, mein Lieber. Tigerjäger und Schriftsteller! Mitarbeiter der Woche. Abgesandter der … na, gehst du, Hei! Maul zu! Diplomatie! Ich weiß, wer meine Mitreisenden sind. Es gibt, na, raten Sie mal was? Es gibt in dem Fürstentum hinter den Bergen immense, unbekannte … un … be e … kann … te! horchen Sie auf, Pirath, unbekannte Palmenwälder, sozusagen Palmenurwälder. Wir verbinden Stoßzähne, Kokospalmen mit den schlechten Finanzen des Haremkönigs Katipatituli und sind jemacht! Nun sprich, Freund! Wat seggst de nu?! Starr, was?! Un … be … kann … te …«

Der Hei stand da wie ein Hahn neben einer Henne, der sich eben überlegt, ob er oder ob er nicht. Seine kleinen grauen Augen, die sonst verschwommen glänzten, hatten etwas Starres bekommen. Sie lauerten.

Peter überlegte sich rasch. Ganz wahr konnte es nicht sein, was Hei ihm sagte. Denn solche Palmenwälder warten wohl nicht auf Hei. Aber wenn auch nur etwas dran wahr wäre? Es lockte ihn, wenn er sich auch sträubte. Denn Hei war gewiß eine Art von Hochstapler. Hochstapler können auch einmal in ihrem bewegten Hinundher auf etwas Solides stoßen. Donnerwetter, Palmenurwälder in einem unbekannten Fürstentum! Hermann! Hermann! Das wäre was … Dies Glück! Schon an der ersten Station!

Hei merkte, daß der Fisch um den Köder herumging.

Er schob ihn noch einmal vor: »Die Stoßzähne übernehm ich. Die Kopra Jens Pirath Söhne. Und vielleicht fällt etwas von den tausend Weibern zum Zeitvertreib auch auf uns, wenn wir droben sind.«

Er klapperte mit den schlaffen Augendeckeln und schlug sich auf die Schenkel.

In diesem Augenblick trat Mrs. Haug auf sie zu und sagte zu Peter: »Darf ich eine Sekunde Ihre Dienste beanspruchen, Herr Pirath?« Sie führte ihn weg. Hei schaute ihr wütend zu und stampfte mit dem Fuß auf. Er schickte ihr ein unflätiges Wort nach und ging in die Bar, wo der Holländer Cocktails zum besten gab. »Ich schließ mich an!« sagte Hei. »Vor dem Essen ist so ein Cocktailchen doch das Beste. Wie mischen Sie ihn? Scherry und … was? … 'n Schuß Gin! Famos! Aber solche Scherry-Cocktails wie es die im Haus des Gouverneurs von Waßmann in Deutsch-Ost gab, als ich dort mit Schillings im Tanganjika auf Krokodile jagte …«

Der Holländer brüllte: »Halten Sie das Maul! Gottverdomme!«

Hei schaute ihn unentschlossen ein Weilchen an. Schließlich zuckte er mit den Schultern und bemerkte: »Da kann man nichts machen. Gesondheid, Mijnheer! Proscht, meine Herren!«

Der Barsteward lachte. Hei warf ihm einen giftigen Blick zu. Er sagte verächtlich: »Sie Bierganymed!«

Die Amerikanerin zog Peter ins Musikzimmer. »Was hat er Ihnen so Dringliches vorgeschlagen? Sie haben nicht einmal Zeit gefunden, nach mir umzuschauen …«

Das sagte sie kameradschaftlich und selbstverständlich, ohne Koketterie. Pirath lehnte sich auf. Sie ist doch nicht meine Reisemutter! Ich fahr in die Welt, um Palmenpflanzungen für Piraths Söhne anzulegen und soll mich von Mrs. Tschikaügoü im Gehstuhl herumführen lassen.

»Jetzt lehnen Sie sich gegen mich auf!« sagte unvermittelt Frau Haug.

Peter antwortete einfach: »Ja!«

»Nein, lieber Freund, das ist nicht recht. Ich bin eine sehr erfahrene Frau und vielleicht ein wenig gescheiter als Sie intelligenter Mann, und herumgekommen …«

Pirath grollte hin: »Auf einen Hei fall' ich, trotz meiner Unterlegenheit, doch nicht so ohne weiteres herein!«

Sie sagen selber: »Nicht ohne weiteres! Das bedeutet doch, daß Sie ihm zugehorcht haben. Daß er etwas sagte, was Sie beschäftigt.«

»Ja!«

»Er ist aber durch und durch ein lumpiger Schwindler. Ich kenn' ihn. Ich hab ihn auf Sumatra gesehn, und er kennt mich auch. Er ist frech wie Gassendreck. Zu tun, als ob wir uns nie gesehen hätten. Dort hat er in einem Haus schmarotzt und hochgestapelt, in dem ich verkehrte, bei einem Tabakpflanzer. Alle seine Jagdgeschichten von Sumatra sind Feuilletonerfindungen. Und mit Ihnen hat er nichts anders vor, als daß er Geld von Ihnen erschwindeln will.«

Sie sprach zum Schluß ganz heftig. Das reizte Peters gekränkten Ehrgeiz wieder auf. Er sagte spöttisch: »Ich danke Ihnen für Ihre mütterliche Vorsorglichkeit.« Bei sich: »Wie wird sie so heftig! Als ob sie eifersüchtig wäre, daß ein andrer Mensch mit mir in Berührung kommt. Hat sie mich vielleicht gepachtet?«

Das Gespräch verlief in Mißstimmung. Als Pirath ging, lächelte die Amerikanerin ihm herzlich nach. Er ist lieb; der Riese ist wie ein Kind. Aber dann faßte sie der böse Gedanke, was die Welt wohl aus diesem weichen Mann machen mochte, der ausgezogen war, sie zu erobern. Denn sie kannte das Erbteil des alten Piraten Jens an ihrem Freund noch nicht. Die fatale Energie!

Der Hei bemächtigte sich Piraths, sobald es ihm möglich war. »Nun? überlegt?« schnauzte er ihn an. »Der Holländer dürfte auch zugreifen wollen, wenn er's wüßte.«

Hätte das Gespräch mit der Amerikanerin nicht stattgefunden, so wäre Pirath dem Hei ohne weiteres über den Mund gefahren. Er hätte ihm gesagt: »'n Buckel runter!« So fand er es selbstverständlich, mit Gefahr und Schwindel noch erst ein wenig zu spielen.

M … m …! wiegte Pirath mit dem Kopf hin und her, als ob er halb zustimme. Der Hochstapler war aus seinem Beruf heraus ein Optimist. Er mißverstand drum Piraths M … m! und legte es so aus, daß der Karpfen zugebissen hatte, jedoch noch etwas gleichgültig tat, um zu verbergen, daß er schon an der Angel hing. Der Karpfen tut schlau! flüsterte der Hei sich wonnig zu. Ich werde ihm eins hinter den Kopf geben, dann vergeht ihm die Schläue. Laut sagte er zu Pirath: »N … ja! Also nein oder ja! Oder der Holländer! Aber eins vorausgeschickt. Als Provision bekomm' ich vor dem Nachtessen zehn Blaue. Sonst bleibt der Maharadscha Katipatituli, der natürlich nicht so heißt, in seinen Finanzschwierigkeiten zwischen seinen tausend Weibern in Hinterindien, wo natürlich die Palmenwälder nicht liegen. Also Pirath, zeigen Sie, daß Sie ein großer Kaufmann sind, ein echter moderner Deutscher. Verhindern Sie, daß diese Geldquelle in ausländische Hände fließt. Prr, zugegriffen! Der Auerochskopf hängt mit gebrochnem Genick in Ihren Muskeln.«

Sieh, sieh! Der Hei ist sicher! Und wie er frech geworden ist! Es kam Pirath nun humoristisch vor. Er dehnte die Geschichte aus und meinte: »Lieber Herr Hei, es ist eine große Sache. Viel Geld! 'n bisken viel Geld! Wieviel gedenken Sie hineinzulegen …?« Hei schaute ihn sonderbar an … »Nun sehn Sie, ich weiß. Sie sind der Kopf, die einführende Energie …« Hei nickte mit aufleuchtenden Augen. »… Wie gesagt, viel Geld! Da Sie aber nun glauben, Herr Goed möchte auch, so wollen wir ihn doch einfach hinzuziehen. Mit seiner Finanzkraft und kolonialen Erfahrenheit! Die Größe des Objekts verträgt zwei Nationen …«

Hei legte Pirath heftig die Hand auf den Arm: »Still! pst!« sagte er und klappte einmal mächtig mit den schlaffen Augendeckeln über seinen grauen verwischten Augen. »Der Holländer möchte. Schauen Sie mir in die Augen, Pirath, Hand her! Diskretion! – Der Holländer ist ein Schwindler!«

»Wa…as?« fragte Pirath.

»Ehrenwort! Ich kenn ihn. Ein Schwin … dler! Er tut großmächtig an Bord. Wollen sehen, ob er in Penang seine Zeche bezahlen kann … Auf Sumatra …«

Aber Pirath lachte Hei laut ins Gesicht. So ein kleiner Betrüger, so ein hochstapelndes Wichtchen spuckt nach Mijnheer Goed, dem soliden, breitbeinigen, historisch aussehenden Pflanzer. »Hören Sie mal, Herr Hei,« fuhr ihn Pirath an, »kennen Sie auf Sumatra ein Haus so und so …?«

Da sah Hei melancholisch zu ihm auf: »Jugendsünden!« flüsterte er ganz zerschmelzend. Aber plötzlich änderte er die Haltung. »Das haben Sie von der Amerikanerin. Pfui! Sie soll sich was schämen, einem Mann seine Jugendeseleien nachzurechnen. Gerade sie!«

»Weshalb gerade sie?« fragte Pirath rasch.

»No, reden wir nicht weiter drüber. Eine Dame. Seien wir galant! Was hat diese … Dame mit unserm Geschäft zu tun? Sie haben meinen Artikel gelesen. Die Aufnahmen beschwören sozusagen die Wahrheit. Sie können mir trauen. Zehn Blaue, und Sie erfahren als Erstes Namen und Lage der Palmenurwälder … Ur … wälder! und des Harems mit den tausend Weibern, zu denen die Amerikanerin als tausendundeinte gehörte, denn … pst, Hei, Maul zu. Tiger gehen dich was an, Stoßzähne! Aber diese Mrs. Tschikaügoü …!«

Da sagte Pirath eisig, obschon es in ihm wie bei einem Erdbeben zuging: »Ich geb Ihnen die tausend Mark, wenn Sie den Satz zu Ende sprechen.«

Heis faule graue Augen wurden starr und die Augdeckel klappten wie ein verrückter Vorhang. Aber schon besann sich Peter, und eine brennende Scham überätzte ihn, daß er sich diesem Subjekt gegenüber so gehen gelassen hatte. Hei schien zu fürchten, daß der andre hinter sein Wort gehen könnte und beeilte sich: »Die Amerika …«

Aber Pirath brüllte: »Seien Sie still!« Er lief davon. Er ging in seine Kabine, legte einen Tausendmarkschein in ein Kuwert. »Der Hund bekommt das schöne Geld!« sagte er. Er spuckte in das Kuwert hinein, bevor er es schloß. Dann klingelte er und sagte dem Kellner: »Bringen Sie das dem Schriftsteller Hei.«

Als der Kellner zum Weggehen die Tür öffnete, ging draußen die Amerikanerin vorbei. Peter starrte auf die Tür, sah in ein einsames, üppiges, von Palmen umstandenes Pflanzerhaus, an dem alle Jalousien tief versperrt waren und hörte eine bekannte Stimme drin. Er schüttelte sich wütend. »Was geht das mich an? Was geht das mich an?« fragte er sich gequält und zornig.

Beim Nachtessen war er schweigsam und ließ seine Nachbarin allein reden. Plötzlich sagte sie: »Sie antworten mir kaum. Seien Sie doch nicht so unhöflich!« Pirath befleißigte sich dann eines spöttischen und erregten Entgegenkommens, das sie mit fragenden Blicken erwiderte. Als das Essen vorbei war, setzte er sich eine lange Weile in seine Kabine und rauchte dort seine Zigarre, statt der Gewohnheit nach ins Rauchzimmer zum schwarzen Kaffee zu gehen und zwischen seinen Tischgenossen zu sitzen. Später stellte er sich vorn am Schiff einsam an die Reling. Er stand eine Weile da im vollen Licht einer Decklampe, da sah er von hinten den dicken Holländer mit wackelndem Bauch heranlaufen; mit kurzen, hastigen, durch die Kleider behinderten Schritten folgte ihm Mrs. Haug. Als Goed bei Pirath ankam, rief der Holländer ganz außer Atem: »Weten Sie, wat Mrs. Tschikaügoü gesagt hett! ›O, der Herr Pirath sind ein so schöner Mann!‹ Dat hat sie gesagt!«

Er lachte Mrs. Haug an, die wie wartend straff stand und vom Laufen erregt atmete. Goed rief: »Seuker, dat haben Sie gesagt! Zu mir!« Pirath wurde über und über rot und warf ihr einen empörten Blick zu. »Plump wie ein Amerikaner!« sagte er für sich. Sie aber stieß mit dem Fuß auf und ging davon. Goed sagte zu Pirath dann: »Kommen Sie mit in die Bar! Ick wünsche Ihnen etwas zu zeigen!«

Sie gingen. Sie setzten sich allein an einen kleinen Tisch. Goed zog aus der Tasche ein Pack Papiere, breitete eine in farbigen Flächen zusammengesetzte Karte aus und zeigte Pirath die grünen großen Flecken: »Die gehören meiner Maatschappij. Und die gelben gehören Ihnen, wenn Sie wollen. Sie sind uns vorge … wie sagt man … gezeechnet! Grün ist Rubber und Gelb hat alte Kokonutbestände, die man vergroteren kann. Sie, Herr Pirath, sind niet wie soviel Deutsche, wie der Herr Deutsche Gedanke! Sie lesen! Sie greifen zu. Die Welt ist Geld!«

Unvermittelt fragte er, was Hei ihm am Vormittag gesagt hätte. Peter erzählte es. »Schwindler!« antwortete Goed. Mehr sagte er nicht. »Aber dies ist gut, exzellent. Deli-Sumatra wächst, Atjeh Co. prima, prima!«

Pirath schaute die Karte an. Hier bot sich ihm Ernstes, das wußte er. Goed war ein Ehrenmann. Die holländischen Kolonien genossen, seitdem der Kautschukschwindel vorbei war, den besten Ruf. Sonst ließen nicht England und Amerika ihre Kapitalien dorthin fließen. Goed bemerkte auch: »Rund um uns warten Engländer und Amerikaner. Sie overstromen, overschwemmen das Land mit Geld! Da ist es der deutsche Gedanke, zuzugreifen, vorzukommen, mitzukommen. Herr Backhaus aber leeset nur.«

Pirath sagte: »Man müßte sich das anschauen, natürlich!«

Da begehrte Goed auf: »Verdomme! Wat anschauen! Wer hat Bekenntnis von die Geschäftsdepeschen, die in Kolombo liegen? Schauen Sie sich die Hochöfen und die Minen von Rote Erde an, wenn Sie Aktien darvon koopen? Dat is eene Maatschappij. Man setzt auf sie. Man setzt nicht auf sie. Ça dépend du goût.«

»Oder von der Vorsicht!« lachte Pirath.

»Mit Vorsicht hat noch niemand nichts gemacht!«

»Und ohne Vorsicht sind viele schon hereingefallen.«

»Oder reich geworden!«'

Da sah Peter im dunklen leeren Raum des offenen Fensters vor sich das helle blonde Gesicht der Amerikanerin. Es schaute nicht herein, sondern war in die Fahrtrichtung des Schiffes gedreht, der Wind schlug fest auf das Gesicht, das im Licht des Fensters stand, es schaute etwas aufwärts, es kniff die Augen in dem heftigen Luftstrom fest zu, und der Wind blies die blonden krausen Haare wie Schaum rückwärts. In der weißen Seidenbluse strafften sich die Brüste. Sie stand plötzlich da, voll Leben und doch wie eine Erscheinung.

Pirath antwortete dem Holländer zerstreut: »Nun ja, es muß aber doch nicht gleich sein.« Goed sagte ruhig und nebensächlich: »Aber neen, aber neen! Eine gode Sache! Aber lassen Sie sich ein Rat gewen von einem erfahrnen Ostasiat: Ihr Deutsche hättet die Welt in die Händen, aber ihr seid niet couragiert. Ihr leset den Deutsche Gedanke in der Welt und wisset niet, wi ist die Welt. Der Herr Backhaus draußen vergißt über seinem Buch, sich die Welt anzusehen. Ganz zu hinderst in die Köpfen, da spielt sich das Leben af für die Deutsche. Ich bin erfahren. Herr Pirath, gehen wir bisken an die Luft!«

Peter sah die Amerikanerin nicht mehr. Der junge Mann mit der knotigen Gestalt und dem flaumigen Teint lag in seinem Stuhl und hielt das ewige Buch aufgeschlagen vor sich hin. Aber er schaute in die Finsternis. Dort donnerten die Wogen, die am Steven zerbarsten.

»Er sieht aus nach dem deutschen Gedanken in der Welt!« sagte Goed.

Hei lehnte mit andern an der Reling und sprach. Pirath schaute nicht hin. Er schämte sich. Er ging bald zu Bett. Er war heut unzufrieden und gequält. Ree stieg so oft aus seinen Gedanken auf und wechselte plötzlich, wurde blond und drückte die Augen fest im Wind zu. Dort flatterte ein Tausendmarkschein. Heis schlaffer Augendeckel klappte danach wie ein Froschmaul und schlug ihn aus der Luft herab in seine Hosentasche. Peter schämte sich. Er fand keinen Schlaf und ging aufs Deck hinaus.

Es waren noch viele Reisende auf. Morgen lief der Dampfer Port Said an, und die meisten verließen dort das Schiff. Peter legte sich in seinen Stuhl, schloß die Augen und stöhnte auf. Da sagte eine Stimme neben ihm in der Dunkelheit:

»Sind Sie bös auf mich?«

Pirath schrak auf. Die Amerikanerin saß neben ihm und schaute herüber. Ihre hellen Augen und ihre blonden Haare leuchteten in der Finsternis.

»Sie mißverstehen mich. Sie kennen keine Menschen, die viel reisen, denen das Reisen Heimat ist und die darum sich leicht zu andern Menschen stellen, leicht und oberflächlich, und Dinge sagen, die in Häusern zu sagen gegen den Geschmack verstieße. Seien Sie mir nicht bös!« bat sie in herzlichem Ton und schaute ihn an.

In Peter zerschmolz die Verstimmung. Es kam über ihn wie eine Erlösung, und er sagte nur: »Nein, nein!«

Sie reichte ihm die Hand. Es fiel ihm auf, daß alle ihre vielen und reichen Ringe an den Fingern fehlten. Da drängte etwas Peter, zu beichten, daß er dem Schuft tausend Mark gegeben habe, um etwas über sie zu erfahren. Sie machte eine heftige Bewegung, faßte sich aber rasch, und Pirath sagte: »Ich ließ es mir nicht sagen. Ich bin davongelaufen.«

Beide schwiegen. Sie trennten sich dann versöhnt und herzlich zufrieden.

Am nächsten Morgen ankerte der »Fürst Bülow« in Port Said. Mrs. Haug, Pirath, der Holländer, der Richter und ein fünfter schlossen sich zusammen, fuhren mit dem Expreß nach Kairo und wollten am Abend im Expreß nach Suez reisen. Dort erwartete der »Bülow« sie. In Kairo mieteten sie zwei Automobile. Der Holländer stieß die beiden Herren unversehens in das eine, sprang selber nach, und das andere blieb für Peter und Mrs. Haug. Sie fuhren froh und gesprächig durch die Sonne zu den Pyramiden.

Als sie zurück nach Kairo sollten, sagte Goed zu seinen beiden Begleitern: »Ick sag jetzt dem andern Chauffeur: Go on! Die zwei werden sowieso niet viel auf unsere Geselligkeit halten. Wir haben noch Zeit auf den zweiten Zug nach Suez, und in Kairo gibt's wat zu sehen, wat sich for eine Dame niet konveniert!«

Der Richter und der andere lachten. Es entging Mrs. Haug und Pirath, daß das zweite Auto zurückblieb. Sie erreichten den Zug, und Pirath sorgte sich um die drei Kameraden. Aber Mrs. Haug versicherte ihm, daß der Kapitän eben ein paar Stunden länger warten müßte, bis die Herren mit dem zweiten Zug kämen.

Sie gingen gleich in den Speisewagen und bekamen einen Tisch für sich. Der hastig gedrängte Tag war übervoll und schön gewesen. Sie fuhren bequem. Sie tranken Champagner zum Essen, und es war warm um sie. Es war ein milder, herzlicher Odem, der sie umfloß. Peter erzählte von zu Hause, von seinem Bruder und der Fabrik. Aber vor seinem Schicksalsschlag stauten sich seine Worte, und er ging drüber weg und erklärte ihr eingehend, was er in der Welt suchte. Er erzählte von Heis Angebot und sprach dann auch von den Gesellschaften Goeds und von dem, was Goed ihm darüber gesagt und zu lesen gegeben hatte.

»Ich kann nun natürlich nicht,« sagte Peter, »gleich mit beiden Beinen in diese erste Sache hineinspringen. Aber es scheint mir sehr vorteilhaft, daß ich Herrn Goed traf. Solch ein solid fundamentierter Mann! Wissen Sie, wie ein historischer holländischer Pflanzer kommt er mir vor. Was meinen Sie: Es ist ein Glück für mich!«

Frau Haug antwortete: »Gestern hab ich Sie beleidigt, indem ich das zu Herrn Goed sagte. Ich will das gutmachen, indem ich Ihnen einen Rat gebe.«

Sie schaute Peter an. Er hob sein Glas gegen sie und wartete.

»Als ich Sie vor Hei warnte, da lehnten Sie sich gegen mich auf. Ich möchte nicht als eine fortwährende Verneinerin ausschauen. Wenn Sie wüßten, wie fest mein Leben auf ›ja‹ aufgebaut ist! Sie dürfen hier draußen sich nicht anders unter Geschäftsleute begeben als mit der Auffassung: Sie gehen in einen Kessel voll Haie. Sie sind ein Neuling. Man weiß, was Sie wollen. Man kartelliert sich, um Sie zu verspeisen. Man feixt und … kurzum, man freut sich auf den, nicht beleidigt sein! Dilettanten. Man will Sie in einem Hops nehmen. Und was Hei plump machte, machen andre mit erfahrenem Geschick und Sicherheit. Selbst die Frommen werden ihre Schnäbel nach Ihnen wetzen. Europa begann hier draußen als Pirat. Es bleibt, soweit es kann, bei dieser Tradition. Sagen Sie,« lachte sie auf, »Ihr Ahne, der den Namen gab, kommt doch nicht etwa über Singapur oder Kolombo nach Deutschland?«

Peter lachte dagegen: »Einigermaßen schon. Aber was Sie sagen, ist mir doch nichts Neues. Mit diesem Wissen beginnt man ja seine Reise.«

»Lieber Herr Peter, ja, Sie wissen es. Aber wissen und anwenden sind sich fremde Dinge. Sie werden sehen.«

»Ich wende es nicht an? Wo hätte ich Gelegenheit gehabt, Sie zu dieser Ansicht über meine Handlungsweise zu bringen?«

Die Amerikanerin fragte unvermittelt: »Wieviel gedenken Sie in das Goedsche Unternehmen zu stecken?«

Peter überlegte: »Das kann ich nicht so sagen. Vielleicht dreißigtausend, vielleicht fünfzigtausend Mark. Mehr vorerst auf keinen Fall!«

»Sehen Sie, und diese dreißig, vielleicht fünfzigtausend Mark werden verloren sein, weil Sie Ihr Wissen nicht anwenden.«

Peter schaute sie fragend an.

»Ich weiß nichts von Goed!« sagte sie. »Aber er hat die Manieren der Haifische von hier draußen an Ihnen gezeigt. Man überfällt nicht unbekannte Reisende mit Geschäften an Bord, wenn man nicht Hunger nach ihnen hat. Das gehört zur Bordpsychologie. Und man hat nicht sehr Hunger nach ihnen, wenn man hier draußen selber genug zu essen bekommt. Sie werden die Erfahrung machen, daß die Leute im Osten möglichst wenig von Europa heranziehen. Sie selber werden drum auch Schwierigkeiten finden, um Ihre Pläne durchzusetzen. Man wird Sie für einen Outsider halten und als solchen behandeln. Das ist hier nicht beliebt. Aus diesen Gründen trau ich Herrn Goed nicht. Surely, Master Goed is not a good man!«

Dann schwiegen beide. Peter fühlte sich verwirrt von dem, was er gehört hatte. Er glaubte, was diese erfahrene und kluge Frau ihm sagte. Es stritt gegen alles, was er sich an seinem Unternehmen gedacht hatte. Brauchen sie nicht Geld, guten Willen, fremde neue Kraft draußen? Ich bring von allem. So hatte er sich sein Werk vorgestellt. Daß es Schwindler dort gab wie daheim, war selbstverständlich. Aber es mußte doch noch jungfräulicher Boden draußen sein, und den Ernsten und Starken müßte er willkommen sein.

Er überlegte sich das wieder und sagte es ihr. »Nun machen Sie mich unsicher,« fügte er hinzu.

Da lachte sie und reichte ihm die Hand. »Das will ich nicht! Tun Sie, wie Ihr Inneres Sie leitet. Ich kenne Sie ja eigentlich nur von der Gemütsseite. Und Ihre sicheren Instinkte sind ja mehr als meine Erfahrungen …« Dann änderte sie die Stimme: »Weshalb haben Sie das Gespräch auf diesen Weg gebracht? Sie erzählten von sich und von zu Hause. Ist das nicht viel interessanter und näher? Denn was man auf den Reisen erlebt, sind nicht Menschen wie Sie, sondern bestenfalls wie der Richter. Wie Hei! Goed! Wenn sie auch verborgen lassen, was hinter ihnen treibt, so tragen sie doch den Geruch davon an sich. Pfui! Weshalb lebt man so?!«

Peter schaute sie heftig an und fragte: »Sie haben mir nie ein Wort von sich erzählt? Nie haben Sie mich nur ein wenig davon sehen lassen, was Sie so von Schiff zu Schiff treibt.«

»Es wäre wohl wertvoll für Sie zu wissen, was das sein mag?« lachte sie.

»Sehr wertvoll!« antwortete Peter ernst.

»Ich weiß. Sie bestachen ja sogar den Hei!«

Da hielt Peter ihr rasch die Hand hin: »Bitte nicht. Ich schäme mich. Und ich bin ja gleich davongelaufen.«

Aber es kam plötzlich etwas Dunkles in seine Laune. Seine Augen zogen sich einmal heftig zusammen.

Der Zug brüllte wild durch die Nacht. Die fremde Finsternis raste draußen feindselig zurück, und wie aufgescheuchte verwirrte Vögel flatterten die erleuchteten Fenster mit dem Zug durch die Nachtwüste. Peter fühlte, daß eine heftige harte Wehmut in sein Herz fuhr.

Die Amerikanerin schaute auch hinaus. Sie neigte ihren blonden Kopf in den Luftzug, der gleich rasend ihre Löckchen erfaßte. Ein heißer Atemzug war in dieser Nachtluft. Sie hatte halb das Zusammenzucken der Augen gesehen. Nun schaute sie dem Schatten Piraths und ihrem eigenen Schatten nach, die vergrößert und verzerrt in einem hellen, verschobenen Viereck neben dem Zug durch die Nacht flogen. »Dieser schöne starke Mann liebt mich!« sagte sie sich. Auch ihr wurde ein wenig weh ums Herz. »Du rastloses Herz!« flüsterte sie ihrem Blut zu, »sei still! Freu dich! Nimm solang deine Zeit ist.«

Peter griff auf das Gespräch zurück: »Ich hab mich noch nie über etwas so geschämt wie über diesen Augenblick!«

Da fuhr ihr Kopf aus dem Fenster auf: »Sie sind streng! Streng wie ein Mönch!«

Peter schaute nieder und antwortete: »Man ist ja auch so etwas wie ein Mönch. So einsam!«

»Ich frag nicht, ob Sie keine Frau finden oder gefunden haben. Denn ich glaube, es steht eine hinter Ihrer Strenge.«

Peter erschrak. Er wußte nicht, wie es zuging, daß auf einmal in einem Augenblick sein fatales Erlebnis wie ein Gewitter in ihm sich auftürmte. Seinen Lippen entfuhr der kleine ängstliche Schrei: »Ree!« Die Amerikanerin sah ihn wartend an. Ihre hellen Augen waren groß geöffnet, waren auf sein Herz geöffnet. Ihre Hand kam ihm langsam auf dem weißen Tischtuch entgegen. Sie beugte die schönen straffen Brüste herüber, und ihr Wesen überkam ihn, überschwemmend, heiß, wie der Odem der Nachtluft draußen. Er preßte seine Hand ans Herz und schaute hinaus in die davonrasende Nacht, während er mit stockenden Pulsschlägen alles von jener unseligen Qualvollen erzählte, deren Blut er nie in seinem gefühlt und die ihn in die Welt hinaus gestoßen hatte. Und während er von jener erzählte, wußte er doch, daß er der Frau verfallen war, die ihm zuhorchte. Er war nicht so kühn, zu ihr aufzuschauen. Mit einem süßen Erschrockensein hielt er den Blick auf die hellen flatternden Fenster gerichtet, die unter seinen Augen brausend durch die Finsternis schleiften und in denen das vergrößerte Bild der Geliebten mit dahinschwebte.

So war sein erstes Erlebnis nach dem Schicksalsschlag wiederum ein sentimentales. Begreiflicherweise. Denn dafür war sein Gemüt durchgeackert.

Als sie nachher nach einer schweigsamen halben Stunde sich vor den Türen der Schlafwagenabteile trennten, drückte sie Peter zärtlich die Hand, und er beugte sich über die schmalen beringten Finger nieder. Er verletzte seine Lippe leicht an einem Stein und nahm diese kleine Wunde als eine fließende Quelle der Gedanken an sie mit in seine Nacht.

Am nächsten Morgen, beide hatten eine schlaflose Nacht hinter sich, begrüßten sie sich wie zwei, die von ihrer Kindheit an Freunde sind. Sie fühlten sich warm aneinander.

Der »Bülow« war noch nicht in Suez, als sie dort ankamen. Sie gingen am Meer entlang. Peter nahm die Frau bei der Hand. Die Sonne stach hernieder. Ihre Gedanken und Vorstellungen waren verträumt und ermattet in die fließende Hitze eingehüllt. Auf einmal rief der Dampfer draußen auf der Reede. Sie fuhren hinüber. Sie erzählten, daß sich die drei Herren von ihnen in Kairo verloren hätten und daß sie gewiß mit dem zweiten Zug kämen. Der Kapitän machte ein unfreundliches Gesicht. Mrs. Haug sprach zu ihm. Er sagte: »Nun ja, wir sind unserm Fahrplan ja wohl etwas voraus.«

»Eilen Sie also nicht so! Alle Kapitäne haben das Fieber, Meilen zu schlucken!« sagte Mrs. Haug. »Das mögen Sie nicht?« lächelte der Kapitän, ganz diskret anzüglich. Bei sich schüttelte er den Kopf: »O, diese Passagiere! Diese Passagiere! Da hätte ich den Herrn Pirath doch für einen soliden Mann gehalten! Diese Passagiere!« …

Dann umwölkten sich seine Vorstellungen: »Um Gottes willen, hoffentlich wird kein Skandal an Bord daraus!«

Bald kamen die drei Herren. Der Dampfer fuhr weiter in die Hitze des Roten Meers hinein. Hei umschlich Peter mit einer anzüglichen Vertraulichkeit. Vom Maharadscha Katipatituli sprach er nicht mehr. Für die Amerikanerin hatte er eine untergebene Höflichkeit. Goed sagte auch nichts mehr von seiner Atjeh Co. Er suchte aber stets die Nähe Piraths auf.

Der Tag wurde brütend und schweißig. Aus geilem Dunst stieg in harter Blässe der Sinai zwischen blauen Bergen auf. Beschlagene Augen suchten ihn. Die Adern waren ermattet. Das Leben pochte in den Körpern wie verzweifelte Quellen unter einer Bodenschicht, die sie nicht durchbrechen können. Die Reisenden, die seit Port Said auf ein Häuflein zusammengeschmolzen waren, lagen tief in den Stühlen und sprachen wenig.

Pirath ließ verwundert diese niederschlagende Hitze durch seine Adern strömen. Er träumte dumpf aus ihr auf. Er lag in seinem Stuhl und sah in fernem Leuchten neben sich den weiß bekleideten Leib der Amerikanerin ausgestreckt ruhen. Das Licht versprühte auf dem weißen Linnen. Es lag um sie wie ein Glorienschein. Peter dachte in sich hinein. Ein Reif lag auf ihm, ein süßer schwelender, schwerer Reif. Der Schweiß sprang wie Springbrunnen, jeder aus einem Tröpfchen bestehend, aus der Haut. Ja, Hermann hatte ihn bis Frankfurt begleitet. Auch im Zug war es heiß gewesen. Und dann blieb Hermann zurück auf dem Bahnsteig unter dem Fenster des Wagens und schaute herauf. Die schwarze Halle tobte. Hermann schaute mit seinem kleinen dicken Kopf immer herauf, und wie der Zug anfuhr, sagte er herauf, immer nach oben: »Und vielleicht wächst eine liebe Frau für dich auf einem Dampfer. Aber bring mir keine Schwarze mit!« kicherte er. Der Zug fuhr. »Peterlein!« stotterte Hermann noch. Hat er denn nicht Tränen im Aug gehabt, der gute Hermann, der liebe? Keine Schwarze. Aber eine liebe Frau. Sie wächst auf einem Dampfer. In Peters Brust türmte es sich auf: »Hermann, wenn ich dir die mitbringen könnte! Hermann! Hermann!« flüsterte er.

Die Amerikanerin richtete sich auf und lachte ihn an. Sie erhob sich vom Stuhl und ging fort. Ihr Lachen blieb auf Peter liegen wie eine Umarmung. Er schlief unter ihr ein wenig ein. Er war müd von der schlaflosen Nacht im Zug und von der still stehenden saugenden Hitze. Er erwachte wieder und sah das weiße Kleid nicht. »Wo bist du?« fragte er. Sie kam nicht, und Peter war unglücklich. Hei streifte heran. Peter tat, als ob er schliefe, und horchte, ob ihre weichen raschen Schritte nicht bald kämen. Hei setzte sich auf den Stuhl neben ihm. »Wünsche wohl geschlafen zu haben!« sagte er, klapperte mit den schlaffen Augendeckeln und schlug sich auf den Schenkel, einmal mit der Rechten, einmal mit der Linken. »Wie war's in Kairo? Sie … Schwerenöter! Sie Glückspilz!«

Aber Peter hatte sich erschrocken umgewandt und horchte nicht hin. Die Maschinen stampften in fernem Takt in die Schläge seines Blutes. Der Trompeter trat aus einer Tür und blies zum erstenmal zum Nachtessen. Pirath erhob sich auf der Hei entgegengesetzten Seite aus dem Stuhl und ging in seine Kabine. Er zog zum erstenmal einen weißen Smoking an. Er fand, daß dieser Smoking aus feinem Pikee mit weißen Atlasaufschlägen ihn gut kleidete, und er dachte dabei kindlich an die Amerikanerin.

Die Amerikanerin erschien nicht bei Tisch. Peter ward unruhig. »Es fehlt dir nichts,« sagte er in sich hinein, »nicht wahr, es fehlt dir nichts? Sonst wüßte ich's! Aber ich möchte dich sehen, ich möchte deine Stimme hören und deine warme Haut riechen.« Die Ventilatoren drehten mit dummer Eile unter der weißgoldenen Decke und verscheuchten die dampfige Hitze nicht. Peter aß nichts. Es lag tausendfach bedrängend auf seinen Sinnen. Er dachte: »Man sieht es mir an,« und um abzulenken schimpfte er zum Kapitän hinüber: »Ah, die Hitze, die Hitze!«

Der Kapitän aber hatte ein Prinzip. An seinen Backen lief das Wasser herab. Trotzdem sagte er, wie verwundert: »O, es ist doch nicht so warm.«

»Es ist wie in einem Eiskeller!« bemerkte der Holländer und fügte ein »Verdomme« hinzu. Das herzliche Nußknackergesicht des Kapitäns lachte auf. »Vorbereitung auf die Südsee!« meinte kühl der Richter, der trotz der Hitze den hohen Kragen nicht weggelassen hatte. »Jo, da werden Sie wat erleben!« ermunterte ihn der Kapitän. »Das hier ist doch nichts …!« Aber alle wußten ja, daß das Rote Meer die heißeste Gegend der Erde war, weil die von den Wüsten ausgebrütete Hitze über die Wasser drang. Mijnheer Goed meinte zum Kapitän: »Es steht wohl in Ihre Instruktions, daß das Rote Meer niet heiß zu sein hat!?«

»Ist es denn wirklich so heiß?« fragte mit unerschütterlicher Verwunderung der Kapitän. »Ich finde das nicht …« Er schaute der Reihe nach jeden an.

»Parbleu! so heiß allerdings, als wie ich in Abessinien drüben meinen ersten Löwen …« wollte Hei erzählen. Aber Goed fiel ihm ins Wort: »Parbleu! Lüge Sie niet! Niet in Abissinien da drüben war es so heiß. In Ihre Büren war es noch heeter als jetzt, als Sie in St. Pauli in der Menagerie den ersten Löwen gesehen haben. So wolle Sie segge! Hein?«

Der Kapitän lachte mit vollem Mund. »M … m … m …« Er konnte es nie ganz unterdrücken, daß jeder Hieb auf Hei ihm Spaß machte. Peter dachte: »Es ist furchtbar heiß draußen. Aber so heiß wie in mir ist es draußen nicht. Weshalb kam sie nicht?«

Das Essen ging vorüber. Was hinderte ihn, bei ihr anzuklopfen? Nein, das durfte er ja nicht. Vielleicht schlief sie. Was hinderte ihn, ihr eine Zeile zu schreiben? »Weshalb kommen Sie nicht? Sind Sie krank? Ich bin es auch.« Er tat es nicht, weil er einem andern Menschen den Brief zum überreichen hätte geben müssen. Er legte sich in seinen Stuhl. Heut ging niemand ins Rauchzimmer. Einige schlichen ein paarmal matt ums Deck, sanken eine Weile in ihre Stühle und verschwanden bald. Frühzeitig waren die Decks menschenverlassen. Peter hielt es nicht aus in seiner Kabine. Er zog ein Pyjama an, schleppte seinen Stuhl vorn in den dunkeln Gang, der auf dem Sonnendeck unbeleuchtet vor den stets geschlossenen Fensterläden des Kapitäns vorbeiführte und wie eine schmale Galerie an der Stirn des Schiffes lag. Ein ganz kleiner Luftzug war dort. Peter legte sich nieder. Die Hitze dampfte über ihn her. Er wälzte sich im Stuhl herum. Dann wie er ein wenig zum Schlafen kommen wollte, spürte er, wie ein Körper sich schwer auf seine Beine setzte. »He! he!« rief er erschrocken. Der Unbekannte sprang auf und taumelte davon. Peter versuchte wieder einzuschlafen. Er knöpfte die Jacke vorn auf. Der Schweiß perlte auf seiner nackten Brust, die in der Finsternis grau leuchtete. Seine Hände strichen die Tropfen von der Haut ab. Die Haut war kühl. Sie war voll Wonnen kühl, wie eine Quelle im Teutoburger Wald. »Heimat! Heimat!« stöhnte Peter. Aber aus Buchenwäldern und sanften Höhenzügen trat unversehens die Frau heraus, in ihn hinein, und er murmelte nur entzückt und verloren: »Du! Du! Du!«

Dann fiel er langsam ins Schlafen, immer wieder erwachend. Sooft er ein wenig zum Wachen kam, drang der Dampf der heißen Nacht auf ihn ein wie ein fremder Körper. Einmal erwachte er wieder. Er spürte den warmen Dunst schwerer auf sich liegen, ein Alp … und hob abwehrend den Arm gegen ihn. Aber sein Arm kam nicht weiter durch die breiige Finsternis, er blieb an etwas stehen, und aus der Dunkelheit funkelte ihm ein weißes Gesicht zu und Augen glänzten nah über ihm. Eine weiche Stimme flüsterte sanft wie ein Maienhauch: »Sweet heart!« Das Gesicht sank innig über ihn nieder. Er schloß die Arme und zog den blonden Kopf in der Finsternis an sich heran. Er fühlte die Hitze der fremden Haut seine nackte Brust benetzen. Die Nacht wälzte über ihn wie ein taumeliges Glück, und er drückte seinen Mund in die duftenden seidigen Haare. »Du! Du!« Ein Kopf hob sich zu seinem Gesicht. Es flüsterte: »Süßes Herz mein!« Er antwortete: »Du! Du!« Die Nacht war süßeste Zauberei. Das Gesicht blieb lange weich über seinen Lippen liegen. Er ertrank in der rauschenden Seligkeit … »Du! … Süßes Herz mein …! Wundernacht! … Du! … Nacht!«

Wie eine Flut umstieg ihn ein warmer Leib, den ein seidiges Gewebe so zart und duftend einhüllte, als sei er nackt, und der dann über ihn strömte, die Nacht selber und Ewigkeit war. Die maßlose Hitze fiel über sie wie ein verzaubertes Brautbett.

Keines sprach mehr ein Wort, über dem Schiff fielen Sterne ins schwarze Meer, als ob das Firmament in die dunkle Erde verliebt sei. Fern und dumpf pochte der Herzschlag der Maschinen.

 

Als Frau Haug am nächsten Morgen an Deck erschien, lag Peter einsam über die Reling und ließ sich von der Hitze umstrudeln, wie vom Warten auf sie. Es war ihm, als spürte er sie kommen. Sein Blut schoß nach allen Seiten auf. Stechend zischte es in Brust und Augen, als suchte es irgendwo ein Ventil. Die Frau schob sich langsam neben ihm über die Reling, streifte ihn weich dabei und beugte sich vor, um ihm in die Augen zu schauen. »Geht es dir gut?« fragte sie. Sie lachte glücklich. Peter stöhnte nur vor sich hin. »Soll ich jetzt denn wirklich weinen?« fragte er. Er preßte die Fäuste auf die Schläfen. »Du, Kind!« sagte sie, und ihre Hand zog ihm rasch die Fäuste vom Gesicht. Sie achtete nicht darauf, daß fremde Augen es sehen konnten. Da lachte auch Peter. Seine Wange haschte nach einer Berührung der sich entfernenden Hand, und er wollte ihr etwas zuflüstern, das in einem Laut die tosende Zärtlichkeit faßte, die sich durch ihn stürzte. Er fand nicht so rasch ein solches Wort, und seine Zunge bildete eins, willkürlich geschah es, nur ein Ton war es, der das Tiefste seines erregten Innern mit ihr verbinden sollte in diesem Augenblick. Der Laut wurde zufällig: »Ewe!« Seine Ähnlichkeit mit Eva, der Weibesmutter, ließ Peter den Klang behalten, und zuerst in seinen Gedanken und dann auch im Gespräch nannte er sie stets Ewe!

Es geschieht auf Schiffen, daß man tage- und wochenlang neben Menschen reist, die einem so fremd bleiben wie die weitab liegenden hafenlosen Küsten, die die Fahrt streift. Und auf einmal stellt ein Zufall einen zum andern, ein willkürlicher Vorfall bannt die Augen von gänzlich fremden Menschen auf einige Sekunden zusammen, der Mund sagt ein höflich abgleitenwollendes Wort, und man wird aus dieser spielerischen Minute heraus Freunde. Hundert Menschen bedeuten auf dem Schiff einen ganzen Weltteil. In jedem einzelnen potenzieren sich darum die Bestandteile seines Wesens. Die guten und die schlechten. Man kann sich nicht verbergen. Und es ist nun auf den Schiffsreisen wie ein Ventil, daß man sich vor manchen Menschen gleichsam eine Tarnkappe aufsetzt und wochenlang so tun kann, als ob man sie nicht bemerkte und sie selber einen ebenfalls nicht sähen. Vielleicht beobachtet man sich sogar gegenseitig, aber man sieht sich nicht.

So erging es gegenseitig dem Paare Peter und Ewe und einem mitreisenden Ehepaar. Dieses mitreisende Paar war auffallend. Ewe sagte vom Bezirksamtmann Ledinski: »Er sieht aus wie ein blonder Adler. Ich glaube, er ist Offizier.«

»Er ist Bezirksamtmann in der deutschen Südsee, sagte mir der Kapitän. Aber schau die Frau einmal an. Sie fährt in die Südsee wie Deutschland, so blond, so strahlend …«

»Weshalb sprechen wir nie mit ihnen?«

Und sie gingen trotzdem an Ledinskis vorbei, die auch ihrerseits manchmal sich über Pirath und Frau Haug unterhielten. Eines Abends war man dann beisammen gestanden und hatte die paar höflichen gleichgültigen Worte gesagt. Man grüßte sich von nun an, und es dauerte nicht länger als drei Tage, bis man sich freundschaftlich aufsuchte … soweit das natürlich die Notwendigkeit des einsamen Beisammenseins von Peter und Ewe zuließ.

Denn die Glocke, unter der sie sich inmitten der Fremden bewegten, war aus durchsichtigen Unbegreiflichkeiten. aus tändelnden Stimmungen verspinnender Melancholie und aus hastigen heißen Erfüllungen zart aufgesponnen.

Wie eine Sternennacht voll Glitzern, voll fließender Schatten, voll süßer und melancholisch rauschender Unendlichkeit staute sich die Zukunft vor Peter. »Ich will nicht wissen, was sie bringt!« sagte er. Denn nach ihren Schiffskarten hätten sie sich in Kolombo eigentlich trennen müssen.

Die Hitze der viertägigen Fahrt durchs Rote Meer war unergründlich, war wie ein uraltes Moor. Man konnte Schauer vor ihr bekommen. Peter und Ewe lagen tagsüber, mühsam einander ferngehalten, unter ihr, in den Stühlen, wie in einem Pfuhl. Nur in der Nacht, die sie im Freien verschliefen, auf dem finsteren schmalen Gang, auf dem Sonnendeck, faßten sie nacheinander und beschenkten sich mit den ungebärdigen Zärtlichkeiten ihrer gestauten Sehnsucht.

In der dritten Nacht sagte die Frau zu Peter: »Ich fahr nicht weiter. Ich bleib mit dir in Kolombo! Wir wohnen zusammen im Gall Face Hotel am Meer. Wir lieben uns. Wir sind Mann und Weib!«

Und Peter erschauerte.

»Ich helf dir bei deinem Unternehmen,« flüsterte sie weiter. »Wir fahren zusammen zu den Pflanzungen, wir mieten ein Auto für uns allein. Peter, es gibt Gelehrte, die sagen, in Zeylon habe das Paradies gelegen. Wir verlegen es wieder dorthin. Wir sind Mann und Weib.«

Und Peter ward trunken. Die schwere Nacht war voll keimender und brodelnder Dunkelheit. Der Takt der Maschinen rollte mit wogenden Stößen fern im Schiffsleib wie der Blutschlag alles Seins.

Am nächsten Morgen faßte der Holländer Peter am Jackenknopf. »Heda!« rief er, »wo wohnen Sie jetzt? Ik seh Sie niet mehr!«

Pirath hauchte: »O, man zerschmilzt!«

»Wieviel Aktie soll ik Ihne denn notiere? Wir können ja gleich zum Wireleß Mann hinaufgehen.«

»In der Hitze wollen Sie drahtlos Aktien notieren!« lachte Pirath ausweichend.

»An die Hitze müssen Sie sich gewönnen, wenn Sie Geschäftchens im Osten machen wollen. Sonst zerschmilzt Ihnen die Chancen vielleicht.«

Pirath genierte sich seines Zögerns. Aber er blieb fest im Vertrauen auf die Worte der klugen Ewe. Er sagte sich rasch: Selbst das Vertrauen auf sie in solchen Dingen ist mir etwas Süßes. Zum Holländer scherzte er: »Wir können die Chancen derweil auf Eis legen!«

»Auf Eis ist nur die Champagnerbuddel gut!« entgegnete der andre.

Da schüttelte ihn Pirath ab, indem er burschikos hinwarf: »Mijnheer Goed, Sie wollen doch nicht im Ernst jetzt Geschäftstelegramme versenden. Lassen Sie mich ungeschoren. Ich seh nicht aus den Augen. Ich verdampf.«

Später erzählte er Ewe von dieser Unterredung. Sie sagte aber nichts dazu.

 

Am fünften Morgen erlöste ein Monsun die Reisenden des »Bülow« von der Qual des Roten Meers. Der Monsun kam um die Ecke von Aden herum und rauschte über den Dampfer wie ein Wasserfall. Er ließ Kühle herniedersausen, Kühle und harte starke Luft. Der Dampfer bäumte sich gegen ihn auf. Die Menschen kehrten zu sich zurück, besannen sich auf sich selber, und das erste, was sie sahen, war, daß mittlerweile etwas zwischen ihnen vorgegangen war.

He, he, der Herr Pirath trinkt nicht mehr mit uns seinen Morgenschoppen! Sieh mal! sieh mal! Timotheus! Der Herr Pirath knobelt nicht mehr mit uns um die Getränke vor Tisch. Unglaublich! Dieser Herr hat die Schkatpartie gesprengt! Empörend …! Aber was macht denn eigentlich statt dessen der Herr Pirath? Fühlen wir ihm ein wenig auf den Puls. Ho! ho! Hören Sie! Der Turnsteward hat gehört … vom Gepäckmeister …, der es von der Stewardesse hörte …, Sie wissen, von der molligen mit die rote Haar …, aber gesehen hat's einmal, zweimal, viermal hi … hi … der Decksgast, daß … der Obersteward hat aber auch schon … hem! hem! … schon dem Kapitän berichtet. Schweinerei! Schkandal! Mrs. Tschikaügoü! Frauenzimmer!

Der Schiffsarzt, der das Benehmen der Reisenden öffentlich zu besprechen pflegte, weil er dadurch seine Unabhängigkeit von der Kompanie zu beweisen glaubte, sagte: »Und von diesem Pirath einfach un …«

»Unkollegial!« ergänzte rasch mit einem schnarrenden Lachen eine Stimme. Es war die des Amtmanns Ledinski. Er schaute den Arzt mit einem bösen und spöttischen Lächeln an. Der Arzt entgegnete diesen Blick ungewiß. Er verstand nicht sofort, was jener meinte. Aber am Ton merkte er, daß jemand ihm aufs Fell rücken wollte. Hinweisend fuhr er drum mit dem Finger den Durchzieher entlang, der seine hohe mongolische Backe wie ein Wappenschild zweiteilte.

»Bitte?« fragte er.

Der Amtmann wandte sich aber ruhig und immer noch lachend weg.

Da errötete der Arzt.

Er hob plötzlich seinen blonden Kopf quer und wie ein Kahn in die Gesellschaft hinein, ohne eine bestimmte Person zu beschauen, und sagte laut und wie eine Drohung: »Es ist jetzt Mode geworden, daß die Kapitäne, die das Kreuz der Reserveonkels in der Flagge führen, dies weglassen. Weil sie sonst unter Umständen Forderungen seitens ihrer Schiffsärzte ausgesetzt wären.«

Dann schaute der Arzt mit sieghafter Bezüglichkeit den Richter und Hei an und gab sich damit zufrieden. Der Richter ging davon. Der Arzt sagte zu Hei: »Wissen Sie, weshalb der Onkel da aus der Südsee steigen wollte? Man hat sich mal erzählt, seine Olle habe zarte Beziehung gen zu meinem Kollegen auf dem ›Derfflinger‹ unterhalten. Seitdem kann er, scheint's, nicht mehr von illegitimen Beziehungen reden hören!«

Hei klapperte und schlug sich auf die Schenkel: »Diese Schiffsärzte! Ihr Schwerenöter! Glückspilze! Weiber, wie mein Freund, der Maharadscha Katipatituli. He! Tausend Weiber! Der Maharadscha. Ich war auch nicht untätig da … hö! hö! hö! … So zwischen nem wilden Elefantenbüffel und ner Tigerkatze so 'n braunen indischen zahmen Braten von ner Prinzessin! Als Zwischengericht! Ha! ha! ha! … Se gehn auf Weiße wie Stare auf die Kirschen.«

»Tju! tju! tju!« grunzte der Arzt.

Hei: »Weshalb haben Sie sich nicht da 'ran gemacht? …« Er klapperte mit dem linken Auge zum Fenster hinaus, in der Richtung, wo Pirath und die Amerikanerin saßen und sich anschauten. Der Arzt zuckte mit den Schultern, zog die Mundwinkel herunter und lachte anzüglich in sich hinein, als wollte er sagen: »Du Schaf! Du Harmloser! Woher weißt du denn, daß ich nicht …«

Hei warf seinen Hahnenkopf hoch und schmetterte ein Lachen in die Luft: »Da schau her! Auch in jenen Jründen jepirscht!«

Der Arzt sagte, indem er noch immer wie nachgenießend vor sich hinlächelte: »Darf ich mir erlauben, noch zwei Töpfe anfahren zu lassen.«

»Sie Doktor,« näherte sich Hei, »Diskretion. Kennen wir auch!« Er klapperte wieder mit dem linken Auge nach auswärts, wo die beiden Verliebten sich anschauten … »Sumatra. Hab da mal … Hei, behalt deine Liebesabenteuer for dich alleene! … hö! hö! hö! …« lachte er breit und sagte sich zugleich: »Dieser blöde Schwindler von einem Kurpfuscher! Nicht einmal ihre Fingernägel hat er berührt …«

»Tju! tju! tju!« grunzte der Arzt und dachte: »So 'n Aufschneider! So 'n Lügner! Die Fußspitzen würde er sich ablecken … das Schwein! wenn er …«

Dann blies es zum Mittagessen, und sie sagten sich förmlich: »Mahlzeit!« Hei fragte noch: »Wollen Sie Leibarzt bei meinem Freund, dem Maharadscha von Katipatituli, werden? Tausend Weiber! Keines mehr, keines weniger. Immer das Tausend voll! Das ist zu viel für nen einzelnen wie der Fürst, und der Arzt ist der nächste dran.«

Der Arzt winkte ab: »Danke für Linsen! Bleib daheim und nähre dich redlich! Bin froh, wenn ich von diesem Kasten mal runter bin!«

Hei sagte bei sich: »Bei dem Hungerleider ist doch nischt zu holen. Hundertfünfzig Mark Monatsgehalt und zwei Mark Weingeld am Tag, von denen er sich auf Einkäufe in Japan fünfundsiebzig Pfennige jeden Tag zurücklegt.«

Dann riefen sie sich noch einmal »Mahlzeit!« zu und trennten sich mit gesellschaftlicher Verbeugung.

Pirath hatte sich nach Port Said eine Kabine geben lassen, die an einem kleinen überdachten Deck lag. Die Ochsenaugen der Kabine gingen offen auf dieses Deck. Sein Bett lag unter einem der Fenster. Als er am zweiten Abend, nachdem der Dampfer das Rote Meer verlassen hatte, seine Kabine aufsuchte, um eine Zigarre zu holen, fand er auf seinem Bett einen Brief liegen. Er nahm ihn in die Hand. Auf dem Kuwert stand sein Name, mit großen lateinischen Druckbuchstaben geschrieben. Er öffnete und las einen wirren Haufen von Unflat, mit dem ein anonymer Schreiber ihn und Ewe bewarf. Es war ein haltlos vergeiltes, ekelig kombinierendes Zeug, wie das kranke Erbrechen einer verfluchten Phantasie.

Peter war zuerst mehr erstaunt und erschrocken, als ungehalten und beunruhigt. Er erinnerte sich an den entlarvten Schmutzfinken aus der Fabrik. Bissinger hatte er geheißen. Der Name kam ihm auf einmal in den Kopf. Pirath knüllte das Papier, eine abgerissene Briefhälfte, wütend und erregt zusammen.

Da war ihm auf einmal, als ob ihm das Papier bekannt sei. Er riß es wieder auf, glättete es, hielt es gegen das Licht und sah einen Palmbaum drin, in dessen Kopf ein P stand. Das war das Wasserzeichen der Geschäftspapiere von Jens Pirath Söhne. Wie kam es auf den Dampfer? Pirath setzte sich aufs Bett und dachte nach, grübelte, erregte sich das Gedächtnis. Er fand keine Erklärung.

Er brannte sich eine Zigarre an und ging ins Rauchzimmer. Ewe saß bei Ledinskis. Er setzte sich zu ihnen, und Ewe fragte nach den Pflanzungen in der Südsee. Aber der Amtmann lachte mit seiner schnarrenden Stimme: »Mit Leib und Seele bin ich an meinem Platz. Aber verübeln Sie mir nicht, Gnädige, daß ich Ferien hab und sie ausgenießen muß! Das ist ein Prinzip bei mir: In Matantuduk Tag und Nacht zur Verfügung. Davon erhole ich mich in den Ferien!«

Frau Ledinski, die empfand, daß dieser entschlossene Ton, an den die Mitreisenden nicht gewöhnt waren, auffiel, sandte Frau Haug einen ihrer Blicke, die wie ein blauer See erstrahlten, und begann von ihrem Dasein auf der einsamen Insel zu erzählen.

Pirath achtete nur halb hin. Die Südsee hatte für ihn keine rechte Bedeutung. So klein! So Puppenkolonie! Man wußte nichts Rechtes von ihr, und er wollte höher.

Bald kam Goed und brachte den Obermaschinisten mit an den Tisch. Dieser war ein gut gekleideter und gepflegter Mann von etwa vierzig Jahren, von schwerem, weichem Körperbau. Er hatte ein Gesicht, das stets verbindlich lächelte und in dem die Nase sich vorn hob, als ob ihr Rücken zu kurz sei. Er hieß Bissinger. Da fiel Pirath. plötzlich der anonyme Brief wieder ein: »Bissinger, so hieß auch jener anonyme Schmähhund aus der Fabrik,« sagte er sich. Pirath hatte den Brief schon halb vergessen gehabt. Er wurde nun die peinliche Erinnerung an ihn nicht los. Goed horchte herablassend der Erzählung der schönen Frau. Dann antwortete er großsprecherisch absprechend, nannte Südsee und ihre Pflanzungen Käsebetriebe. »So viel Kaas, wissen Sie, von die rote, ronden, machen wir in Holland, wie Sie Kopra in der Südsee …« Der Amtmann sah ihn schweigend und mißtrauisch an. Seine Frau verstummte nach einem langen, messenden Blick auf den Holländer.

Als nachher Pirath in seiner Kabine allein war, fragte er sich: »Wer mag so etwas schreiben wie diesen Brief? Wer hat uns gesehen? Wer ist solch ein unglückseliger Dreckskerl? Hei? Ein Reisender oder ein Angestellter? Wer? Wer? Woher das Papier mit unserm Wasserzeichen? Ein Steward? Warum kümmert man sich um uns? Was geht das einen dieser Fremden an?«

Darauf war Peter noch mit Ewe zusammen, und die zwei Stunden, die einzigen, die sie im ganzen Tag für sich besaßen, erfüllten die Bedenken, ob er von dem anonymen Brief sprechen sollte oder nicht. Auch niemals waren so viele Menschen in jenen Nachtstunden über das schmale Sonnendeck gegangen, auf dem ihre Stühle standen. Es war, als ob das ganze Schiff keinen Schlaf gefunden hätte, weil das kleine Deck es magisch anzog. War ein Matrose hastig vorbeigesprungen, so folgte in weißer Jacke und dunkler Hose mit verweilenden Schritten ein Steward, kam langsam vorbei und machte einem Reisenden oder einem Ehepaar Platz, die vor den Nasen der zwei Liebenden eine Weile sich an die Reling stellten und ihre Rücken in der Dunkelheit leuchten ließen.

»Das ist aufregender, nichtiger, als gar nicht zusammen zu sein!« sagte Ewe.

Peter streifte ihr Gesicht: »Ich bin unglücklich!«

Ewe: »Wir sind bald in Kolombo! Allein!«

Peter: »Und Mann und Weib!«

Ewe: »Ja, süßes Herz mein!«

Peter: »Du!«

Jeder ging in seine Kabine, sich Gewalt antuend, mit Schmerzen die begehrenden Blicke voneinander reißend. Und sobald sie einander verschwunden waren, stürzte, wie ein verfluchtes Tosen, die verlangende Verlassenheit, die Sehnsucht über sie hernieder.

Peter träumte in dieser unruhigen Nacht gegen Morgen einen entsetzlichen Traum um Ewe … Er war mit ihr in einer dunstigen und zotigen Gesellschaft. Jeder faßte nach ihr. Sie quiekte auf, und er war todunglücklich und verdammt und weinte vergeblich. Aus einer Ecke dämmerte ein riesenhafter Gorilla auf. Der schlug mit den langen Fingern den Takt zu Peters Weinen und zu einem Tanz, in dem Ewe sich von ihm loslöste. Er sah, der Affe wollte Ewe haben. Der Affe zog die Nase hoch, so daß die Spitze in die Höh stand, als ob ihr Rücken zu klein sei. Er kam näher auf Pirath zu, immer näher. Er war kolossal wie ein Berg und war doch der Obermaschinist Bissinger, und kam heran wie eine Lawine. Pirath wich zurück. Er war wie angeschmiedet. Und der Affe fiel über ihn her und hatte ein Instrument in der Hand. Damit wollte er Pirath in den Mund fahren. Aber Pirath hielt sich den Mund fest zu und schrie hinter seinen beiden aufgepreßten Händen furchtbare tote Schreie, die keinen Laut annahmen.

Da stieß der Affe ihm das Instrument in die Nase. Es war mit Unrat gefüllt, und Pirath erkannte nun, daß es eine kleine Säugpumpe war. In einem verzweifelten Sprung warf er sich aus dem Traum; schweißgebadet, gemartert sprang er aus dem Bett und erinnerte sich plötzlich, daß er am zweiten Tag der Reise dem Obermaschinisten auf einem Briefbogen von Jens Pirath Söhne eine Pumpe ausgezeichnet hatte, die Pirath für die Arbeit an seiner Zentrifuge gebraucht hatte. Der Traum hatte dem anonymen Schmutzbrief Gestalt gegeben und zugleich die kleine Erinnerung mit aus der Tiefe aufgewühlt.

Pirath schrie: »Also der …! der!« Er lief im Schlafanzug auf das Deck hinaus. Es war schon hell. Die Wut drosselte an seiner Kehle. Ich schlag ihn! Ich stoß ihm die Faust ins Gesicht! rasch! hundertmal! Wie einen Kolben. Der Dreckskerl! Ich würg ihn, daß sein Schweineblut ihm aus der Nase spritzt! … Pirath lief aufgeregt auf dem Sonnendeck herum. Ich geb dem Kapitän den Brief. Der Gesellschaft … Nein, ich will nicht, daß Ewe in einen so dummen Schmutz gezogen wird. Es ist empörend! Man kann sich gegen so was nicht wehren. Was ist das denn für eine Welt! Gerade wie damals zu Hause. Dort eine Stadt. Jetzt ein Dampfer. Auch eine Stadt. Werden denn Menschen im Zusammenleben zu gemeinem Viehzeug? Alle die blöden Anspielungen dieser Tage! …

Da kam Ledinski und blieb grüßend stehn. Peter gab ihm die Hand und sagte heftig: »Ich geh mit Ihnen auf Ihre einsame Südseeinsel. Da gibt's keine Menschen!«

»Ja, ja!« machte der Amtmann. »Weshalb sind Sie an so frühem Morgen schon so menschenfeindlich, daß Sie auf einmal die Insel so schätzen?«

»Ach, ich hab … da! Lesen Sie! …« Er riß den Brief heraus, den er am Abend in den Schlafanzug gesteckt hatte. »… Ich bin so aufgeregt. Lesen Sie! Ist das nicht eine Schweinerei?!«

Der Amtmann las rasch und ruhig und gab das Papier zurück. Er zuckte mit den Schultern.

»Das ist das Leben an Bord!« sagte er. »Man liegt sich zu nah auf der Haut und verträgt sich bald nicht mehr. Man hat keine andere Beschäftigung, als den Widerwillen zu pflegen, den man gegeneinander empfindet. Wenn das Geschwür aufbirst, dann geht das da, dieser innere Schmutz, mit auf. Zerreißen Sie den Wisch und vergessen Sie ihn.«

»Ja, das ist wahr,« antwortete Pirath. »Ich zerfetz ihn …« Er riß das Papier in kleine Fetzen und warf sie in den Wind übers Meer. »Aber ich kann's nicht vergessen …« Er schaute an sich herab. »Bin ich nicht mit Dreck besabbert? Ich fühl' mich verunreinigt.«

»Seien Sie klug!« sagte der Amtmann nur und zuckte die Schultern.

Daß ein Mann diese Angelegenheit so nebensächlich behandelte, beruhigte Pirath. Er sagte sich: »Wer weiß, ob es der Maschinist war? Er kann das Blatt abgerissen und fortgeworfen haben, und ein andrer nahm es.« Daß nun keine leibliche Gestalt mehr hinter dem Unflat stand, milderte den Eindruck und schwächte ihn nach und nach. Zu Ewe sprach er nicht von dem Brief. Kolombo winkte schon. Morgen werden sie für sich sein, allein, Mann und Weib!

 

Es war einen Monat älter in der Welt geworden. Kolombo war morgen aus. Am ersten Abend hatte Ewe im Gall Face Hotel gesagt, als sie noch im Staubmantel und Hut war, und die Koffer, verschlossen und unbekannt, durcheinander standen: »Wir machen uns einen Monat zum Geschenk. Wir nehmen den Monat, der heut beginnt, und schauen und fragen nicht links, nicht rechts, nicht hinter uns, nicht vor uns und geben ihn unserm Leben. Gib mir deine Hand drauf!« … Dann erst packten sie aus und hängten ihre Kleider durcheinander in die Schränke.

Wenn Peter manchmal im Verlauf der vier Wochen sich um das zu kümmern anfing, wie dieser Beginn ihrer Zeit dauernd für sie werden sollte, so sagte Ewe lachend: »Laß dein deutsches Gewissen vor der Tür, wenn du zu mir kommst. Wir haben unsern Vertrag beim Einzug gemacht. Komm, wir gehen auf unsre Veranda und werfen es ins Meer …

Sie zog ihn mit, griff in seinen Kopf und warf das Gewissen hinab, wo die Dünung am Fuß von Palmen schallend und brausend mit dem Ufer kämpfte und der Sonnenleib stets eng und gewaltvoll auf der Erde lag, wie ein ungeheurer Begatter.

Sie waren in den vier Wochen viel ins Innere hineingefahren und hatten zusammen unermüdlich den Betrieb der Pflanzungen studiert. In langen Gesprächen waren sie mit ihrer noch frischen europäischen Straffheit nachher in ihren Räumen oder unterwegs im Auto das Gesehene durchgegangen und hatten Verbesserungen besprochen. Sie führten ein gemeinsames Tagebuch, in das Peter all ihre Unternehmungen und Gespräche gewissenhaft in einem Notizstil buchte. Oft vermerkte Peter zum Schluß etwa folgendes: Dies herausgefunden von Ewe, deren geschmeidige Klugheit mich Dummkopf melancholisch macht. Oder: Von dem ebenso gescheiten und erfahrenen wie schmalen und schönen Kopf Ewes entdeckt. Sie schrieb dann eine zärtlich spöttische oder verliebte Bemerkung dran.

Nach dem Nachtessen in dem maurischen Speisesaal, in dem in dieser Jahreszeit sehr wenig Gäste aßen und zahllose Maschinchen die Luftfächer umherwarfen, spazierten sie eine Weile am Strand. Der rothaarige Herr Backhaus wohnte auch im Gall Face. Er war der einzige Mensch, den sie hier kannten. Sie sahen ihn selten. Er ging immer zu Fuß, einerlei ob es kühl am Abend oder brühend am Mittag war. Alle Europäer fuhren in Rickschas, Pferdewagen, Autos … Backhaus ging immer zu Fuß die roterdige und baumlose Esplanade hinunter, die das Hotel von der Stadt trennte, und die Eingeborenen schauten ihm geringschätzend nach. Ging das Paar an ihm vorbei, wenn er einmal in der Halle saß, so las er stets in seinem Buch. Sie sprachen selten mit ihm. Backhaus selber mied ebenfalls die Gelegenheit, mit dem Paar zusammenzutreffen.

Sie hatten eine kleine Flucht von Räumen gehabt, mehr als notwendig gewesen wäre. Aber sie hatten sich darin unbeschränkt gefühlt wie in einem eignen Haus, und wenn sie nachts vom Meer heraufkamen, drehten sie alle Lichter an und setzten sich in die offene Veranda, die sie dunkel ließen.

Dann begann ihre Nacht über sie herzubrausen. Aus des einen Blut toste es wie mit Untergang bringender Gewalt durch des andern Blut. Wasserfälle! Die Dünung des Meeres donnerte über ihre Nacht, als deckte sie sie vor der Menschheit zu. Es war dann zwischen ihnen, als ob zwei sich feindliche Klimas ineinander stürzten. Das geschah in Katastrophen, die in dunkeln Leidenschaften erdbebten und in denen die Lust vor Melancholie brüllend sang.

Kolombo war eine Zeit gewesen, die eine mühe- und hemmungslose Aufteilung zwischen Sehnsucht und Gewähren, Spannung und Traum, Arbeit und Gemüt in sich gefaßt hatte.

Morgen war sie vorbei.

Peter wußte, daß sie morgen vorbei sein sollte. Aber er nahm es leicht: Er glaubte es nicht. Er wußte, daß Ewe eine Schiffspassage bis Hongkong hatte und daß er selber noch auf Kolombo bleiben sollte. Aber er belächelte das. Bevor sie an diesem letzten Abend zum Nachtessen hinabgingen – Ewe trug ein Kleid aus taubenblauer alter chinesischer Seide, die mit Blumen und Vögeln in à-jour-Rändern durchwirkt war –, kam sie auf Peter zu, legte ihre Arme um seinen Hals und schaute ihn an. Nach einer Weile sagte sie lächelnd: »Morgen!« Aber ihr Lächeln hatte etwas von der Härte eines Steins.

Peter lachte fröhlich auf: »Halt deinen süßen Mund!« sagte er und zog sie mit zur Tür. Sie gingen eingehängt die breite Treppe zur Halle hinab. Es war noch eine Viertelstunde zu früh zum Essen, und sie setzten sich an eines der Tischchen im Fenster und tranken etwas. Ewe war von einer hektischen Gesprächigkeit. Peter fand sich jedoch nur wie unter dem Bewußtsein erregt. So ziehen sich hinter der Bergwand die Gewitter zusammen, die der Talbewohner nicht früher sieht, als bis sie sich über sein Haus entladen.

Da hörten die beiden auf einmal eine Stimme vor sich: » O well! Herrschaftchens! How do you do?«

Sie fuhren erschrocken auf und sahn Goed. Er hielt ihnen seine beiden Hände hin.

»Noch immer in Kolombo?« fragte er.

Ewe erholte sich zuerst und fragte dagegen: »Ich denke, Sie sind auf Sumatra? Fahren schon Luftschiffe über den Indischen Ozean?«

»Nein, Gott sei gedanken!« antwortete der Holländer. »Die Steamer fahren schon viel zu schnell. Ich, Sumatra? Ja, wenn es niet Telegraphen gäbe! In Penang Depeschen. So 'n Stoß Depeschen! Go back Colombo. All right, me go back! Und so bin ik hier!«

Zugleich ließ er sich am Tisch nieder. Es kam ein kleiner Mann in einem sehr gut gemachten Flanellanzug herbei. Peter und Ewe kannten ihn vom Sehen. Er schien auch im Hotel zu wohnen, und er hatte, wo es ging, am Zeitungstisch, im Stiegenhaus, in den Verkaufsläden in der Halle, sich gegen Ewe und Pirath stets sehr zuvorkommend gezeigt, so, als wünschte er mit ihnen bekannt zu werden. Aber die beiden hatten aneinander genug.

Nun stellte Goed ihn vor: »Mein halver Landsmann, Herr Speecht aus Brüssel.«

»Wie ein Specht sieht er auch aus,« dachte Ewe, und lächelte unter der Vorstellung, wie Name und Mensch übereinstimmten. Herr Speecht sprach beredt von ihrem häufigen Zusammentreffen, und er sei etwas unglücklich gewesen, daß sich die Bekanntschaft nie machen wollte. Jetzt sei er Goed außerordentlich dankbar, daß jener ihn solch netten Leuten zugeführt habe. Die Gesellschaft im Hotel sei augenblicklich sehr dürr. Amerikanische Kapitäne und mittlere englische Kolonialbeamten usw. Sie dürften es ihm nicht verübeln, daß er bei ihnen Anker zu werfen trachte.

Ewe sagte mit einem kurzen Lächeln: »Sie finden schlechten Ankerboden, Herr Speecht. Wir reisen morgen ab.«

Speecht war wie niedergeschmettert. Auch Goed entfuhr ein erstaunter Ausruf. Die beiden sahen sich rasch einmal an und waren unruhig. Dann ließ Speecht eine lange bedauernde Rede über sie strömen. Sie gingen zusammen zum Essen. Goed bot Ewe den Arm. Speecht schritt mit beflissenen Trippelschrittchen neben dem großen Pirath.

Er rief zu ihm hinauf: »Dieser Freund Goed sieht so aus, wie er ist: ein gutmütiger Riese, ein wohl fundierter, breiter holländischer Pflanzer, den dicken Bauch voll Aktien zu fünfzig bis hundert Dividende. Dieses Sumatra treibt ja Gold aus seinem Boden. Haben Sie gelesen, die Medan hundertzehn Prozent. Da muß man hinein in dieses Land! Goed hat eine große Nase, lieber Herr Pirath, aber auch eine gute. Dieser Geldriecher.«

Pirath sagte sich währenddessen: »Dieser Herr Speecht ist so außerordentlich liebenswürdig. Aber seine Freundlichkeit ist leimig. Weshalb ist er mir unangenehm?« Er fragte: »Sind Sie auch in Sumatra engagiert?«

»Leider nicht genug. Aber ich hoffe, Goed zu benutzen,« flüsterte er zu Pirath hinauf. Er lachte kindlich dazu.

Nach dem Essen hielten die beiden Peter und Ewe noch fest, und es wurde spät, bis sie sich trennten. Peter und Ewe waren mit widersprechenden Gefühlen bei ihnen gesessen. Oben lag der gemeinsame letzte Abend voll Drohungen in ihrem Zimmer. Sie fürchteten ihn, trotzdem Peter ungläubig über die Trennung war und Ewe stark zu sein glaubte.

Sie kamen dann hinauf und gingen nicht wie sonst auf die Veranda. Ewe sagte: »Ich will den Rest meiner Sachen noch einpacken.«

Peter lachte: »Du fährst ja doch nicht!«

Ewe über einen Koffer gebückt: »Ich hab doch die Passage!«

»Die hattest du schon in Genua. Sie läßt sich verlängern. Oder ich kauf auch eine für mich.«

Sie neigte sich tiefer: »Wo ich hinfahr, da wachsen keine Palmen.«

Ihre Stimme war nicht fest, als sie das sagte. Peter erschrak. Es war ihm, als stünde eine zweite Bedeutung hinter diesen Worten. Er sprang über die Betten auf sie zu und rief: »Wo du hinfährst, da bist aber du. Da brauchen keine Palmen zu sein.«

Er wollte sie an sich reißen. Aber er blieb mit einem Knopf am Fliegennetz hängen und begann sich eilig loszunesteln. Ewe trat von ihrem Koffer zurück und sagte: »Die Zeit ist aus. War sie nicht schön?«

»Schön?« rief Peter und arbeitete noch immer am Netz.

»Peter, mit mir ist es nicht einfach. Peter, wir müssen uns trennen!«

Sie sagte das »müssen« mit einer kalten Härte, und Peter wußte auf einmal, daß irgend etwas in dem Unbekannten war, das um diese Frau lag; etwas, das stärker war als er, als Liebe, als der vergangne Monat. Schauer fuhren über ihn nieder. Er zog den Knopf gewaltsam aus dem Netz, das krachend aufriß. Er blieb stehen und fragte mit einem Herzen, das bebte, zweifelte, hoffte und über dem der vergangene Monat sich plötzlich in einer geraden gefährlichen Wand zurückstaute, wie in einem Wunder das Meer vor den durchziehenden alten Juden: »Sehen wir uns wieder?«

Ewe schaute ihn an, eine Weile ohne Antwort, dann begann es in ihrem Gesicht zu arbeiten; sie versuchte sich zu meistern, aber bald fiel sie über den Koffer nieder und begann in wilder, verzweifelter Weise zu schluchzen. Peter stürzte ihr zu Knien und umfaßte ihren Kopf. Er wollte ihn, den sie in ihre Arme preßte und der im Weinen erregt auf und nieder schlug, zu sich heranziehen.

»Sehen wir uns wieder?« fragte er noch einmal, und auch seine Stimme fuhr das Weinen an, daß sie schwer klang, wie ein zusammenstürzendes Gewölbe.

Da tönte es aus dem verborgenen Gesicht: »Ich kann nicht lügen. Nein, nie!«

Sie warf sich ganz über den Teppich, und ihr Körper flog in verzweifelten Zuckungen hin und her. Peter kniete vor dem Koffer, dumm und verlassen. Es regnete grau, niedrig, heftig. Der Wind raste in den Bäumen. Staub flog in Wolken durch die Luft. Die Erde hat kein Firmament mehr. Das war norddeutsche Rauheit in der Tropenluft. Peter schaute geschlagen vor sich hin auf die braune Fläche des Koffers, die ein roter Strich gerade und schroff durchzog, und in dem breiten blutroten Strich standen zwei Buchstaben und eine Nummer, und viele farbige Zettel klebten auf dem braunen Boden. Er sah sie der Reihe nach an und las, was auf ihnen stand, und verstand es nicht. Es waren Hotelnamen, Schiffe, Städte und Länder. Sein Gehirn ließ die Buchstaben nicht in sich hinein. Er las immer wieder, während Ewe nun ruhig weinend am Boden lag und sich an den Füßen eines Tisches anhielt.

Auf einmal nach einer langen Weile stand sie auf, wusch die Augen mit einem Schwamm und kam auf Peter zu. Sie setzte sich auf den Koffer und legte ihre Hände auf seine Schultern. Sie schaute ihn an. Er sagte kurz und rauh:

»Ich hab schon kein Glück!«

Sie aber erhob weich und herzlich ihre Stimme: »Ich weiß, ich tu dir mehr als weh. Du bist so und sollst nicht anders sein. Du bist mein großes deutsches Herz, und du wirst wieder stark sein, wenn ich davon bin. Nimm mich in deine Zukunft mit als ein rätselhaftes Herz, eine Mischung von Alt und Neu; von meinem deutschen Blut her hab ich Sehnsucht, und von meinem Vaterland her die Ökonomie des Gemüts.«

»Du hast mit mir gespielt!« grollte Peter auf.

»O, nein, Peter, das hab ich nicht. Wenn ich lange von dir fort bin, dann wirst du in dir etwas von dem Guten, das du durch mich hast, klar erleben. Ich bin nicht gut, nicht schlecht, nicht leichtsinnig und nicht tugendhaft. Hinter mir steht ein sonderbares Geschick. Erlaß es mir, dir davon zu erzählen. Unsre Zeit wird dir reiner und lieber bleiben, wenn du von mir nur weißt, was du an mir erlebt hast.«

Sie schwieg einen Augenblick. Dann fragte sie unvermittelt und wild: »Und war das nicht gut und schön?!«

Peter legte sich ganz auf den Boden und küßte ihren Fuß, wo die Haut über dem ausgeschnittenen Schuh durch die Muster der durchbrochenen Strümpfe leuchtete, weißer als der Strumpf. Dann zog er seinen Kopf ruhig von ihrem Fuß weg, rundete die Arme über dem Koffer, legte das Gesicht hinein und begann schwer und verhalten zu weinen. Ewe strich ihm über den Kopf.

»Versteh, Peter, mein Geschick mache ich klar durch die Art, in der mein Temperament es überwindet.«

Mitten im Weinen sagte Peter: »Ich versteh nichts von dir. Ich hab dich nur lieb gehabt und lieb' dich!«

»Und ich?« fragte Ewe.

Peter richtete sich auf. Er hielt das Taschentuch an die verweinten Augen und stammelte: »Ich versteh nichts von dir … Ich hab schon kein Glück! Ich wollte, ich wär zu Hause geblieben. Wie ist das Reisen so schwer!«

Er sprach fast nichts mehr. Er brütete in sich hinein, und in seinem Innern rollten Schmerz und Verlangen, Unbegreifliches und Groll durcheinander, eins im andern und jedes für sich. Die beiden Menschen legten sich schlafen, und in der ruhigen Dunkelheit stieg das innerliche Wühlen stärker und wilder in diesem geprüften Männerherzen auf; es wogte und balgte sich, stampfte und schrie wie Maschinen, bis allmählich eine unheimlich kalte, hartnäckige Ruhe alle innere Erregung in sich verzehrte. Diese Ruhe kannte er. Wie war es zugegangen, als er glaubte, er sei verloren, wenn er diese Ruhe aufgäbe, die seine Hände damals an den Tisch schraubte, zu Hause, an den großen schweren Schreibtisch. Sein guter dicker Bruder war gekommen und hatte eine kleine entsetzliche Sache erzählt. Und wie der gegangen war, der liebe kugelrunde Hermann, da … So strömte die kalte Ruhe auch jetzt über ihn, so langsam und unaufhaltsam, ein Frost, ein Gletscher, dessen Eisigkeit ihn erstickte.

Das ging in der dunkeln Nacht in seinen Vorstellungen vor, und mit einem schleifenden Surren trieb der Ventilator irgendwo, und durchs Fenster fiel der eiserne Klang der Millionen Grillen. Peter wehrte sich gegen diesen Frost, der wie ein tötender Odem über sein Herz zu kriechen begann. »Ich will wild und heftig dies Leid über mich nehmen. Es soll nicht in mir erfrieren,« schrie es in ihm. »Ich erfriere mit.«

Da hörte er, daß Ewe sich hochhob, und er spürte bald ihre Hand an sich, und ihre Stimme bat durch die Finsternis: »Peter!«

»Ach nein!« sagte er bös, »du gehörst nicht mehr zu mir! Geh! Ich bin kein Maulesel!«

Die Stimme in der Dunkelheit sagte weich: »Doch, ich gehöre zu dir.«

»Ich weiß nicht, wer du bist!« antwortete Peter heftig. Er sprang aus dem Bett. Die Kälte seines Innern war gewichen. Eine rasende Verzweiflung fuhr durch seine Adern. Er brüllte: »Ich will wissen, wer du bist!«

Er hastete nach dem elektrischen Licht und drehte es an.

»Wer bist du?« schrie er noch einmal.

Sie schaute ihn nur an.

»Du sprichst nicht. Ich weiß, wie du heißt. Ich weiß, was dich von mir treibt. Ich fahr nach Chikago. Ich frag, schlag, schieß' mich durch zu dir. Es ist mir alles einerlei. Ich bin an dich … an dich verdammt. Ich bin verrückt nach dir. Chikago …« Er hielt plötzlich inne und fragte wie erstaunt: »Oder weiß ich denn deinen richtigen Namen?«

Sie antwortete nicht.

Peter wurde wieder heftig: »Sag, weiß ich denn deinen richtigen Namen? Du heißt nicht so und du bist nicht aus Chikago. Ach! Nichts weiß ich von dir! Du bist ein böser Geist. Du bringst Unglück auf die Erde.«

Da legte Ewe ihre Hand auf seinen Mund und sagte rasch: »Peter, hüte dich! Wir wollen nicht bedauern müssen, daß wir einen Monat auf Zeylon im Paradies waren.«

Peter schob ihre Hand weg und warf feurig hin: »Ja, Paradies! Du bist die Wiederkehr der Erbsünde!«

Ewe entgegnete ruhig: »Sünden sind Sünden, damit sie begangen werden.«

»Das ist verfluchter, weicher, unmoralischer Katholizismus!«

»Ich bin darin erzogen worden.«

Peter trat einige Schritte wie erschrocken zurück: »Ich fürchte dich. Ich bin keiner, der zu leichtsinnigen und flüchtigen Liebesgeschichten erschaffen ist. Ich bin ausgereist, um das Erlebte zu vergessen und um zu arbeiten. Du hast mich von meinem Weg gelockt. Jetzt bin ich da, wo ich in Deutschland anfing.«

Da sagte Ewe fest: »Das ist nicht wahr, Peter!«

Aber Peter hatte im Augenblick, wo ihm diese Worte aus dem Mund kamen, auch gedacht: Das ist nicht wahr! Und in einem plötzlichen heißen Umschwung wurde es weich und lind in seinem Herzen. Er wandte sich ab und sagte leise: »Nein, Ewe, es ist nicht wahr. Du warst mir Glückseligkeit. Ich hab von dir und dem einen Monat mehr gehabt als von meinen ganzen vergangenen fünfunddreißig Jahren.«

Sie bat ihn, er möchte sich wieder niederlegen. Er legte sich aufs Bett und nahm ihre Hand und küßte sie heiß und verehrungsvoll. Dann schob er sie unter seinen Kopf und schloß die Augen, um die Formen des verflossenen Glücks vor sich aufschreiten zu sehen. Ewe sprach sanft und leis zu ihm. Sie drehte das Licht aus. Sie ließ die Hand unter seinem Kopf liegen. Sie hörte, wie ungestüm vor den Fenstern, die Brandung mit der Erde kämpfte. Sie hörte, wie die Grillen eisern in die Nacht hinein lärmten und wie der Ventilator fast lautlos rundum surrte. Sie wachte und dachte dran, daß ihr nichts so Schweres im Leben begegnet war, wie dies eine »Muß« auf Kolombo, und das Blut strömte vor unglücklicher Zärtlichkeit zu der Hand hin, die den lieben schweren Kopf auf sich liegen hatte. Und währenddessen wälzten die furchtbaren Schicksale von Frauengenerationen durch ihre Gedanken, die in Deutschland, Kanada, auf einem der großen Holzwerke bei Chikago mitten aus dem kräftigsten und fruchtbarsten Frauentum von plötzlichem Verfolgungswahn hinweggemäht wurden, Schwestern, Mutter, Großmutter, Urgroßmutter … und verzweifelte Männer erschienen in den schrecklichen Gedanken und Kinder, die nur dem Fluch der Familie ihr junges Leben entgegenlebten, und die Absicht, als letzter weiblicher Leib dieser Rasse ein Ende zu setzen.

Währenddessen überwältigten müder Schmerz und weher Schlaf den Mann, und im Kopf, der auf der kleinen weißen Hand lag, zogen rohe, qualvolle Träume zu Hauf.

 

Am nächsten Abend war Peter allein auf Kolombo. Er ging, saß, lag, las ruhelos umher und fluchte seiner Einsamkeit. Er trank viel. Er wollte Goed suchen oder wenigstens Speecht. Aber keiner der beiden ließ sich sehen. Peter fragte unruhig immer wieder nach. Auf einmal, kurz vor dem Nachtessen, sah er Speecht eilig die Halle entlang herbeistürzen. Speecht setzte sich zu ihm, rieb sich die Hände und sagte: »Fein, daß Sie nicht abgereist sind.«

Peter sagte entgegenkommend, glücklich, nicht mehr allein zu sein:

»Mrs. Haug ist ja allein gereist. Ich bleib noch acht Tage hier. Hab noch im Innern zu tun.«

»So zu tun. Unangenehme Geschäfte im Osten. Aber die können Gold bringen, übrigens, Herr Pirath, ich hab sie!« lächelte der Kleine und klopfte auf seine Brusttasche.

»Was haben Sie?«

»Na, ich erzählte Ihnen doch gestern, Aktien von Goeds Gesellschaft.«

»Ach ja, ich sollte mich doch auch einmal darum kümmern. Mr. Goed sprach nicht mehr davon …«

»Ja, aber ob er noch welche hat?« machte Speecht bedenklich.

»Ich kann ja mal fragen.«

»Er kommt heute erst nach Tisch. Er ist beim Direktor der Chartered Bank eingeladen. Goed hat kolossale Verbindungen. Und eine Hand, eine Hand, wie ein Croupier in Monako.«

Speecht lachte.

Sie sprachen allerlei nebensächliche Dinge, während in Peter die Geschiedene langsam ein neues Leben begann. Er haßte sie und überschüttete sie mit brennender Sehnsucht zugleich. Aber ganz im Innern dachte er, hinter ihrem Geheimnis stünde nur Zeit, es zu lösen, und er käme nicht bis Sydney, ohne von ihr einen Brief zu bekommen, daß alles geordnet und nichts ihrer Vereinigung mehr im Wege wäre. Dieser Trost schwebte wie ein ferner wohliger Klang durch alle seine Vorstellungen.

Um zehn Uhr kam Goed.

»Ik weet schon durch den Manager, daß Mrs. Tschikaugou allein afreist ist,« rief er Pirath zu.

Diese Begrüßung und der Name, der aus einer Zeit stammte, da er nichts von ihr wußte, als daß ihn ein dunkler Wunsch ihr verband, machte Peter erschrecken und wühlte auf einmal wieder die mühsam beruhigten Leidenschaften auf. Goed setzte sich nieder. Er ließ eine Flasche Champagner kommen und lud Pirath und Speecht dazu ein. Peter trank heiß und leidenschaftlich. Die Unruhe seiner Nerven ließ ihn das Glas immer wieder nehmen. Er bestellte eine zweite Flasche, Speecht die dritte. Sie machten noch eine Runde auf diese Weise. Peter trank immer begehrlicher. Sein Blut wurde milder dabei.

Sie sprachen über Pflanzungen, die er besucht hatte, über Geschäfte, und Speecht klopfte sich kindlich lachend auf die Brusttasche.

»Wat hebben Sie an Ihrem Herzen?« fragte der Holländer.

»An meinem Herzen hebb ich die Atjeh! lieber Goed.«

Goed wandte sich an Peter: »Den Speecht war et niet te heet. Er koofte, die Sie bekamen sollten!«

Peter antwortete: »Es werden wohl noch welche da sein!«

»Aber nicht viele!«

»Also her damit!« schrie Peter. Es war mehr eine Äußerung seines aufgewühlten Innern. Er mußte laut werden. Er konnte nicht immer so still dasitzen und es in sich wühlen lassen. Eine Tat mußte er tun! Der Champagner heizte seiner Phantasie ein. Der Champagner log ihm rasch vor: Du vergißt die Frau, wenn du arbeitest. Der Erfolg deines Unternehmens macht dich im Nu glücklich. Beginn aber endlich!

Goed sagte ihm: »Sie seegten mir auf dem Steamer, wat Sie vorhaben. Dat Sie selber Pflanzungen besiten möchten und den Zwischenhändler op de Seide stellen wollen. Dat können Sie doch niet, wenn Sie nur voor zwanzigtausend Gulden Aktien kaufen. Und mehr sind niet mehr frei.«

»Was soll ich denn, meinen Sie?«

Speecht schaute erwartungsvoll zwischen die beiden.

»Was Sie sollen? Dat will ik seggen. Ik kann Ihnen von einer meiner Maatsschappijen so viel Aktien abtreten, dat Ihre Stimm naar Statut – wie seggt man – ausschlaggebend ist. Sie können nach Sumatra gehen, und Sie können sehen, wie die Coconut sind, die jetzt schon staan, und können nur Coconut pflanzen laaten. Verstaan Sie?«

»Ja! nicht schwer! Wieviel Aktien sind das?«

»Einhundertundfünfzigtausend Gulden!« sagte Goed, nicht wichtiger, als ob er den Rauch seiner Zigarette ausbliese.

»Einhundertundfünfzigtausend Gulden!« echote Speecht.

»Einhundertundfünfzigtausend Gulden!« wiederholte Peter. Er leerte ein Glas auf einen Zug. Es war heiß im Saal. Die Ventilatoren summten mit einem hartnäckigen Geräusch, wie große Brummer, die nicht mehr aus dem Zimmer fliegen wollen.

Speecht hockte auf der Kante seines Stuhles und schaute geradeaus, wie ein Pferd. Goed brannte sich eine neue Zigarette an. Er wischte sich mit seinem riesenhaften Taschentuch den Schweiß von seiner hohen geröteten Glatze: »God verdomm! het is heet, so heet wie im Rooden Meer,« sagte er.

Peter glaubte, das sei eine Anspielung auf jenes Gespräch auf dem »Bülow«, als Goed ihm ein Geschäft anbot und ihm dann sagte: »An die Hitze müssen Sie sich gewöhnen, wenn Sie im Osten Geschäfte machen wollen.«

Goed rief: » Boy, one pieci Ghampain more!«

Ein brauner Kellner lief auf nackten Füßen eilig herbei, verbeugte sich und wiederholte: » One pieci Champain more!« und eilte davon zum Getränkboy. Der Getränkboy kam, verneigte sich und sagte: » One pieci Ghampain more!« Der Holländer fuhr ihn an, indem er eine Bewegung machte, als ob er ihm eine Ohrfeige verabreichen wollte: » Oh! you … me talki, quick you swine!« Der Boy eilte davon.

Goed wandte sich wieder an Peter: »Dat Geschäft slag ik voor, dat is guud und is grot; da können Sie wat maken. Op de ›Bülow‹ Hebb ik Ihnen die Kärtchen und die Prospectus gezeigt … maken Sie nu, wat Sie wollen. Aber natürlich, ik mut een Geschäftche dabei maken und, wie seggt man, Abfindung bekommen. Ik nehm niet viel. Sie weeten, ik heb intéret, dat unsre Kolohnjen hoch gehen und ik cheb lever Duitschers darin und keene Englishmen und keene Yankees. Ik nemm drei Prozent.«

Da fuhr es Peter durch den verdunkelten Kopf, daß Ewe etwas von Haifischen gesagt hatte. »Ich will nichts von dir erfahren!« sagte er aufbegehrend zu sich selber. »Was willst du von mir? Du! Wer bist du? Wohin fährst du denn … aus meinem Bett heraus … wohin?«

Er richtete sich ein wenig auf, sah Goed leidenschaftlich an und sagte: »Ich will!«

Sie schrieben einen provisorischen Vertrag; als Peter die Füllfeder Goeds zur Unterschrift ansetzte, sagte er sich: »Ich bin betrunken!« Einen Augenblick, während er den Namen schon zur Hälfte geschrieben hatte, wollte er das Papier zerreißen und davongehen. Dann sah er aber, wie glatt er die Feder führte. Er war klar bei Sinnen. Er machte seine erste Tat.

Die drei tranken weiter. Nur Speecht hielt zurück. Auf einmal war er verschwunden. »De Belgier, he is so klein. Ik seh nich, wenn er geht!« lachte Goed. Nach dem Champagner setzten sie sich in die Halle und tranken abwechselnd gemischte Schnäpse und dazwischen Whiskysoda. Goed war betrunken, und als er aufstehen wollte, fiel sein schwerer Körper über einen Stuhl. Hilfbereit sprangen drei nacktfüßige Boys auf ihn zu. Er hatte sich aber schon aufgerichtet und stieß mit dem Fuß nach ihnen. Er brüllte ihnen unflätige Schimpfworte zu und verfolgte sie torkelnd aus der Halle.

Je mehr Peter trank, um so mehr fiel die Wirklichkeit aus ihm. Er erinnerte sich auf einmal, daß Ewe gesagt hatte: »Laß dein deutsches Gewissen draußen.« Da schimpfte er bei sich: »Hat sie denn ein Gewissen? Was ist sie denn? Wohin ist sie denn gefahren, aus meinem Bett heraus? Gewissen! …« Peter war nun allein am Tisch. Goed war davon. Die Halle war leer. Nur hinter der einen oder anderen Säule stand in weißem über die Hose hängenden Hemd einer der braunen Boys. Sie schauten alle wortlos auf Peter und flogen wie Geister, wenn er rief. Er trank weiter. Er trank, bis sein Blut so schwer war, daß er auf dem Stuhl einschlief. Nur über seinem Tisch brannte noch ein Licht. Dann kam der deutsche Geschäftsführer, weckte ihn sanft auf und bot ihm seinen Arm. Peter sagte: »Ewe!« und ging schwer an der Seite des Fremden bis in sein Zimmer. Zwei braune Diener halfen ihm beim Auskleiden, und kaum lag er im Bett, so raste er aus sausenden Kreisen heraus, die sich erst allmählich beruhigten, in einen Schlaf von Blei, Moor und stählerner Hitze.

Peter schlief bis in den tiefen Morgen hinein und erwachte aus schwerem Traum, krank, geschlagen, voll Scham und Angst.

Goed erwartete ihn schon in der Halle. Speecht zeigte sich nicht. Goed sprach kein Wort von der Trinkerei. Sein Kopf war rot und seine Augen klein und flackerig. Sie besprachen das Abkommen, das sie gestern getroffen hatten, und Peter beschlich der beunruhigende Wunsch, er hätte nicht solcher Laune nachgeben und eine so bedeutende Summe herauswagen sollen. Wenn auch Goed ein einflußreicher und mächtiger Mann war!

Aber er war kleinlaut mit seinem müden, kranken Blut. Er brachte schnell die Angelegenheit in Ordnung und fuhr dann mit dem Auto davon. Er wollte zu den großen Teepflanzungen nach Matebe. Er wollte arbeiten. Sein Kopf stach ihn. Es fieberte ihn durch Adern und Nerven. Er warf sich ungeduldig im Wagen hin und her und preßte sich dann mit Gewalt in eine Ecke. Er befahl sich Ruhe an und wollte immer wieder seine Gedanken zu seinem Unternehmen zurückzwingen. Er griff wie hilfesuchend an seine Seite und griff auf einmal ins Leere. Aber der leere Sitz hatte einen leichten Duft von Ewe behalten, und wie ein Kartengebäude stürzte es in ihm zusammen. Er wollte nicht fahren. Er wollte liegen und schlafen … oder baden? … oder trinken? Er befahl dem malaiischen Chauffeur zum Gall Face zurückzufahren.

In der Tür stand Goed.

»De ›Koning‹ kommt to day. Depesche! Ik fahre nach Deli.«

Da war Sumatra Peter plötzlich wie eine Rettung vor der Leere, die er überall um sich vom Dufte Ewes erfüllt spürte, und er sagte rasch: »Ich fahre mit.«

Goed zögerte ein wenig. Sie hatten besprochen, daß Peter in acht Tagen nach Deli käme. Goed hatte ihm gesagt: »In mijn Huis wohnen Sie und mein motorcar fährt Sie durch Sumatra.« Jetzt sagte er langsam: » All right, as you like.«

Peter bat den Manager durch einen Boy, seinen Koffer packen zu lassen. Er fuhr zur holländischen Agentur und ließ sich eine Passage nach Belawan geben. Der Dampfer fuhr direkt nach Sabang und Belawan.

Der »Koning« verließ am späten Nachmittag Kolombo. Peter sah Goed noch den Steg heraufkommen. Aber er wollte allein sein, mußte allein sein und stellte sich in seiner Kabine ans Fenster. Langsam sank der Hafen zurück. Das rote Gall Face erschien, Palmen am Strand, Erinnerungen, die ihn erdolchen wollten; er kämpfte mit sich, rasend und stark, Kolombo verschwand hartnäckig langsam, und als nichts mehr wie Meer vor dem Fenster blaute, in der eiligen Dämmerung weich beflort sich maßlos ausdehnte, da war es erst recht voll Melancholie um ihn. Er wandte sich zurück und ging hinauf ins Rauchzimmer. Es überfiel ihn die Versuchung, wie gestern abend zu trinken, zu trinken, bis sein Blut so moorig schwer würde, daß die Wirklichkeit von ihm sich erdrücken ließ. Aber er spürte den Alkohol noch in seinen Adern bohren, sein Mund hatte einen solch klebrigen, widerwärtigen Geschmack behalten, daß es ihn grauste. »Unappetitlich!« flüsterte er der Versuchung zu. Er bestellte einen schwarzen Kaffee und rauchte eine große Havanna dazu. Goed ging durchs Rauchzimmer, grüßte und schritt zur andern Tür hinaus.

»Was hat der denn?« fragte sich Peter. Dann lächelte er: »Er schämt sich seiner Besoffenheit von gestern.«

Aber bei der zweiten Begegnung mit Goed ging es nicht anders. Der Holländer saß mit flackrigen Augen da, sprach nicht, gab kurze mürrische Antworten und brutalisierte die Bediener. Peter zog sich von ihm zurück.

Am vierten Morgen fuhren sie zwischen Mangroven dem Kai von Balawan zu. Goed ging auf dem Deck hin und her, hastig und wie aufgestört. Seine wurzelhafte Ruhe war hin. Er hatte einen großen Panama auf und rauchte Zigaretten ohne Unterlaß. Auf dem Kai stand ein junger Mann und ein Mann mit einem großen Vollbart. Die winkten Goed zu und holten ihn dann ab. Man mußte durch den Zoll, dann über eine feuchte, verfilzte Straße, Belawan war in einen Mangrovenmorast gebaut, zum Bahnhof. Goed kümmerte sich nicht um den ortsunkundigen Pirath. Er war verschwunden. Die malaiischen Zollbeamten sprachen Deutsch und zeigten Peter den Weg hinter seinen Gepäckträgern her.

Erst im Zug sah Peter Goed wieder. Goed lag tief in einem Sessel in der Ecke des Wagens. Neben ihm saß der junge Mann. Der mit dem Bart saß von beiden entfernt. Einige vornehme alte Chinesen in seidenen Kleidern mit großen goldenen Brillen und breiten Manilahüten begrüßten sich mit edler Höflichkeit. Ihr fremdes und schönes Benehmen lenkte Peter von Goed ab. Die Fahrt bis Medan dauerte nur drei Viertelstunden. Am Bahnhof trat Peter auf Goed zu und fragte ihn: »Welches Hotel ist das beste in Medan?«

Goed antwortete: »Der Herr von der Linden« (er stellte damit den jungen Mann vor) seggt mir, dat ik keen Chauffeur hebben kann, weil het javansch new year is. Nemme Sie een Sados. Wohne Sie im Hotel de Boer. Het is dat best in Medan.«

Er gab Peter die Hand und sagte: »Ik seh Sie ja wohl noch in Medan!« und ging.

Peter blieb verblüfft stehen und schaute ihm nach. Dann ärgerte er sich: »Wart, mein Lieber, dich krieg ich noch!« sagte er beleidigt. Er fuhr ins Hotel de Boer. Er schrieb auf einen Bogen: »Liebe Ewe! Ich bin unglücklich und unlustig. Ich konnte nicht mehr auf Zeylon bleiben und bin in Medan, Hotel de Boer. Wo bist Du? Erreicht Dich dieser Brief?« Er brachte den Brief zur nahen Post. Er ging früh zu Bett.

Als er am nächsten Morgen frühstückte, wunderte er sich, daß Goed noch nicht nach ihm fragen gekommen war. Es war schon halb elf. Eine sumpfige Hitze strich über den großen Platz und auf die Terrasse vor dem Hotel herüber. Peter sah im Schatten von Bäumen braune Männer hocken, und jenseits gingen zwei weiße Europäeranzüge davon. Ab und zu lief ein chinesischer Kuli mit einer Rickscha vorbei. In jeder Rickscha saß ein weißgekleideter Europäer, der sich vor der Hitze unter dem Tropenhut zusammenduckte. In keiner Rickscha saß der große Körper Goeds.

Die Mittagsstunden vereinsamten den Platz und das Hotel vollständig. Peter sagte sich: »Man kann es Goed nicht verübeln, daß er diese Hitze meidet.« Er legte sich ins Bett und schlief bei geschlossenen Läden ein. Im Garten schrien Grillen und Vögel. Über die Decke liefen kleine graugrüne Eidechsen und jagten Mücken. Eine Eidechse stürzte herab und weckte Peter. Das Tier fiel auf seinen nackten Hals und kribbelte entsetzt davon. Erschrocken stand Peter auf. Er klingelte. Ein kleiner nacktfüßiger Malaienjunge kam. Peter fragte nach Goed. Der Junge verschwand und brachte dann einen Zettel, auf dem auf englisch stand, Mr. Goed sei nicht dagewesen.

Als Goed auch am nächsten Tag nichts von sich hören ließ, entschloß sich Peter kurz, erkundigte sich, wo er wohnte und fuhr in seiner Rickscha hin. Er kam in eines der üblichen Kolonialhäuser. Es sah etwas schmutzig aus. Peter ging auf die Veranda hinauf, ins Vorzimmer. Es schien kein Mensch in dem Haus zu wohnen. Er klatschte in die Hände. Da kam ein dickes junges weißes Mädchen. Es hatte verweinte Augen und sprach nur Holländisch. Es zeigte nach hinten und sagte dazu: »Mijnheer Goed!« Peter durchschritt noch einen Raum, der nach hinten auf eine kleine Terrasse ging. In dem Raume saßen nebeneinander auf dem Boden drei strohblonde bleiche Kinder und weinten, und Peter sah durch die breite offene Tür auf einen Tisch, an dem Goed hockte. Der schwere Mann saß weit über den Tisch gebeugt. Es standen zwei Flaschen und ein leeres Glas vor ihm, und er stierte auf einen alten malaiischen Diener, der gegenüberstand. Auf einmal schoß der schwere Körper in die Höhe, eine Hand ergriff eine der Flaschen und warf sie nach dem Malaien. Der Malaie bückte sich. Die Flasche flog an eine Säule und zerschellte. Peter hörte hinter sich die Kinder aufweinen. Er war schon in die Tür getreten, und Goed hatte ihn gesehen. Der Holländer stand krumm über den Tisch gebeugt und schaute ihn mit seinen kleinen flackrigen Augen stier an. Dann sagte er, als ob plötzlich ein Unwillen ihn packte und er gleich auf den Besucher losstürzen wollte:

»Ach Sie! Sie!«

»Ja! Sie kommen nicht ins Hotel, so komme ich zu Ihnen!«

Da hob sich Goed vom Tisch los, lachte und kam auf Peter zu. Der bemerkte jetzt erst, daß der Holländer betrunken war. Goed war plötzlich gesprächig und liebenswürdig. Er schob Peter das Zigarrenglas hin, ließ ein Trinkglas kommen und setzte sich wieder. Plötzlich rief er: »Aantje!«

Das dicke holländische Mädchen kam widerspenstig in die Tür. Goed lachte ihr zu: » Come on!« Das Mädchen zögerte. Goed lockte mit freundlicher Stimme: »Veroorlof mij, dat ik U aan mijnheer Pirath voorstelle … dat ist die liebe Erzieherin meiner Kinder!« wandte sich Goed an Peter. Das Mädchen verlor den widerspenstigen, mißtrauischen Zug im Gesicht, kam heran und reichte Peter die Hand. In diesem Augenblick schlug Goed ihr in weitem Schwung klatschend auf den bloßen Fettnacken. Sie kreischte zurück. Goed lachte närrisch und fiel in seinen Stuhl. Peter sagte sich: »Welch sonderbares Spiel!« Er hörte die drei Kinder und die Erzieherin weinen. Er schaute Goed an. Sein Gesicht war rot gedunsen und die Augen voll Feuer. »Trinken Sie!«, sagte Goed. Aber das Sodawasser war warm. Peter ließ den Whisky stehen. Goed goß ihm wieder ein. Er sah nicht, daß das Glas noch voll war. Auch sich goß er ein und rülpste auf. Peter verzog das Gesicht. »Schmeckt es U niet?« fragte der Holländer. »Daran moet U sik gewoonen in den Kolohnnijen!« fügte er barsch hinzu. Peter warf ihm in Gedanken »Schwein!« hin, stand auf und sagte: »Adieu.«

»Was fang ich mit dem besoffenen Menschen an?« sagte er sich. »Ich komm lieber morgen noch einmal.«

Am nächsten Vormittag kam Peter um dieselbe Zeit. Sein Kuli legte gerade die Deichseln der Rickscha nieder, als er bemerkte, daß Goed im Begriff war, in eine andere Rickscha zu steigen. Er sah, wie Goed den Fuß hob, den Tritt verfehlte und stolperte. Da schlug der Holländer dem kleinen Chinesen seine Faust roh in den Rücken. Der Chinese schaute stumpfnasig auf, wie rätselhaft unbeteiligt an dem Schlag. Goed schimpfte: » Bloody, bloody!« … Peter sah, daß er wieder betrunken war. Aber er wollte ihn diesmal nicht entwischen lassen. Goed stieg, ohne Peter zu sehen, schließlich ein, der Chinese wollte anziehen. Peter rief: »Stopp, stopp! He! Herr Goed! Herr Goed!«

Der Holländer drehte sich umständlich um. Er sah Pirath und zuckte mit dem Arm auf in einer abschüttelnden Bewegung. Er rief nach hinten: »Sie hebbe ja Ihre Aktie.« Er stieß mit dem Fuß den Kuli ins Gesäß und brüllte: » Go on, quick, bloody …« Der Kuli huschte davon. Peter stand da und schaute nach. Goed drehte sich nicht mehr um.

»Und die Atjeh Exploration Co.! Und meine Palmen! Meine einundfünfzig Prozent Aktien!?« fragte sich Peter und war zuerst mehr erstaunt über diesen Mann als geängstigt. Aber rasch stellten sich dann die Bedenken ein, wie es um seine Aktien stehe, und er dachte an Ewe, als er in der Rickscha zum Hotel zurückfuhr.

Er wollte sich über Goed gleich Gewißheit verschaffen. Er hatte ein amtliches Empfehlungsschreiben an einen deutschen Konsul. Das suchte er hervor. Er wußte ja nichts von Sumatra, weil er von den Straits gleich nach Java fahren wollte. Mit diesem Schreiben suchte er den deutschen Konsul in Medan auf und schickte es mit einer Visitenkarte ins Büro. Ein liebenswürdiger eleganter Herr kam im Kontor auf ihn zu, stellte sich vor als Konsul Behnke und bat ihn, mit in sein Arbeitszimmer zu kommen. Er reichte ihn: das Zigarrenglas und schaute ihn fragend an. Peter erklärte, weshalb er das Schreiben an den fremden Konsul benützt habe.

Der andre sagte: »Ihre Firma ist uns ja nicht unbekannt. Sie sind auch so empfohlen.«

Dann ging Peter gleich gegen Goed vor und fragte: »Kennen Sie einen Herrn Goed, der Administrator der Tanadjava Rubber Co. ist? …«

»War!« unterbrach der andre.

Peter erschrak. Er sah fragend auf.

Der alte Herr ergänzte: »Bis vor vierzehn Tagen war.«

Peter warf erregt ein: »Und die Atjeh Exploration Co.?«

»Da ist er noch Administrator. Aber das ist mehr platonisch.«

»Ist es Schwindel?«

»Man kann es nicht so nennen. Aber einigermaßen ist es das. Das Gebiet, das sich die Gesellschaft zugelegt hat, ist unerreichbar und hat also, bis auf weiteres wenigstens, keine Abfuhr für etwaige Produkte. Es liegt in einem nur halb pazifizierten Land, und der Besitz des Bodens dürfte außerdem noch nicht ganz einwandfrei in den Händen der Atjeh Exploration Co. liegen.«

Peter fühlte, daß er erbleichte. Seine Hand zitterte mit der Zigarre erregt über den Rand des Aschenbechers.

»Haben Sie Aktien der Gesellschaften?« fragte der andre. »Die Rubbergesellschaft ist im Grund solid, wenn auch kein glänzendes Unternehmen. Aber man hofft, sie nach dem Herausschmiß des Herrn Goed zu heben.«

Peter antwortete unsicher: »Nur von der Atjeh habe ich Aktien. Allerdings für eine große Summe.«

Der andre: »Ich möchte nicht indiskret sein. Aber es liegt wohl im Interesse Ihres Besuchs bei mir, wenn ich weiß, wieviel es ist und auf welche Weise Sie die Papiere bekamen.«

»Ich kaufte von Goed am elften Oktober in Kolombo einundfünfzig Prozent der Atjeh-Aktien.«

»Das ist empörend,« rief der Konsul und sprang lebhaft auf. Sein Gesicht rötete sich. Er ging hastig um den Tisch herum. Dann setzte er sich wieder und sagte ruhig:

»Da ich Ihr Haus kenne, weiß ich, daß diese Summe Ihnen nichts allzu Schweres bedeutet. Aber ich muß Ihnen sagen, daß das ganze Geld so gut wie Null ist, vorläufig wenigstens und für absehbare Zeit. Denn bis Atjeh in den Verkehr gezogen ist, werden wir nicht mehr da sein~ …« Der Konsul sagte noch: »Es ist uns mitgeteilt worden, daß sich Goed irgendwo zwischen Port Said und Hongkong einen Schlepper unterhält, einen Belgier namens Speecht.«

Da lachte Peter verzweifelt: »Ja, der wirkte auch bei mir mit!« Er knirschte vor Wut und Scham und ballte die Fäuste. Er erzählte, wie Goed auf dem Dampfer als Mann von Einfluß, Glück, Macht galt, wie sein Auftreten von Selbstsicherheit und Breite gewesen sei und wie Speecht diese Meinung in ihm gekräftigt habe. Dann sei er mit Goed nach Sumatra gekommen. Da habe Goed ihn plötzlich nicht mehr gekannt. Daraufhin sei er Goed aufsuchen gegangen und habe ihn zweimal am lichten Vormittag betrunken vorgefunden.

»Er ist ein verlorener Mann,« antwortete der Konsul. »Das typische Schicksal der Tropen. Einst sah er bessre Tage und konnte im Zirkus die vollen Champagnerflaschen an der Rampe zerschlagen. Er ist ein verlorener Mann. Körperlich und finanziell ruiniert.«

»Und meine einhundertundfünfzigtausend Gulden?« fragte Peter. »Was macht er damit?«

Aber der Konsul hob nur die Hand und zuckte mit den Schultern. »Er ist wie ein Moloch,« sagte er. »Man hat schon öfter versucht, gesetzlich an ihn heranzukommen, mußte es aber aufgeben. Er soll ganz in der Hand einer schlauen Mischlingsmalaiin sein. Die pflegt seine Trunksucht. Aber der können Sie den Teil Ihres Geldes, der jetzt von ihr auf Zinsen angelegt wird, nicht mehr entreißen. Ich kann Ihnen auch nicht dazu raten, die Hilfe des Gerichts in Anspruch zu nehmen. Den Kosten, die das verursacht, steht wohl nur gänzliche Aussichtslosigkeit entgegen. Der Osten ist ein habgieriges Maul. Und – seien Sie nicht bös – Sie waren leichtsinnig.«

»Ich tat es unter dem Druck gewisser … Stimmungen, Erlebnisse!«

»Stimmungen sind im Thüringerwald, am Bodensee zu Hause. Im Osten gibt's nur › business‹. Sagen Sie sich, es ist Lehrgeld …« In verändertem Ton fügte er hinzu: »Sie würden mir große Freude machen, wenn Sie dieser Tage einmal bei mir zu Gast wären. Wann es Ihnen beliebt. Heut abend? Morgen? Gut, heute abend. Um acht Uhr. Abgemacht. Ich freue mich sehr.«

Peter dankte und ging.

Er ging eigentlich ganz beruhigt daher, sagte er sich. Er trat durch den Schatten von Gummibäumen, um deren schwarze Haufen die Sonne weiß und grell niederfiel. Er blinzelte in dem von Licht umfluteten Schatten rund um sich. Nur weniges Leben war umher. Zwei stangenbeinige halbnackte Inder gingen mit wiegenden Hüften, mager, gerade und dumm – schön durch die steile Sonne. Ein alter weißbärtiger Malaie unter einem großen europäischen Hut trieb einen Ochsenwagen langsam daher. Er sah aus wie ein wandernder Pilz. Die beiden Ochsen drückten die Köpfe auf den Boden, und ihre Leiber schwankten steif hin und her. Die Sonne floß auf ihre unregelmäßigen Höcker. Sonst war nichts um ihn. Nichts als die drei fremden Menschen, die beiden fremden Tiere und die sonnenvergewaltigten, verstummten und geschlossenen Fassaden der beiden Häuserreihen, die sich im Winkel trafen. Ein fremder Geruch von erotischen Gewürzen strich durch den erhitzten Schatten. Alles war fremd.

»Wie bin ich so allein!« sagte sich Peter. Er ging etwas schneller. Er sah das Hotel drüben im Winkel des Platzes gegenüber der sonderlich gebauten Post liegen. »Dies könnte Maastricht sein,« sagte sich Peter. Dies Gebäude eines modernen, europäischen Architekten stand da in der von Faulheit, von niedergebogenen und doch erregt quellenden Instinkten geschwängerten Luft wie ein Kunststückchen. So eine Lüge! Das täuscht Europa her. »Europa als Vogelkäfig!« schimpfte Peter, und auf einmal fiel die grelle Verlassenheit der Stadt, die an den drei fremden Menschen, den beiden fremden Tieren, dem fremden Geruch noch verlassener wurde, widerstandslos über ihn her. Er lief dem Hotel zu. Er flüchtete. Wovor? Er wußte nicht, wovor er flüchtete. Rund um ihn ballte es sich zusammen, und er war so verlassen, so verflucht der einsamen Fremdheit ausgeliefert.

Bald war er im Hotel. Die Terrasse war öde und sonnenbeschwemmt, die Säle dahinter hatten eine stillstehende Hitze aufgestapelt, in der die Ventilatoren mühsam wie in einem Brei drehten und keine Kühle schafften. Der Atem ging einem bedrückt. Die Säle waren leer.

Auf einmal aber kam breitbeinig tretend, etwas unsicher zwischen den Tischen durchschreitend, Goed daher. Seine Glatze leuchtete in der Dunkelheit des Saales. Peter spürte einen Stich im Herzen. Es war, als ob dieser Stich ihm unversehens einen drohenden und rasenden Ärger gegen den Schwindler eingeimpft hätte, von dem er sich hatte prellen lassen.

Aller Zwiespalt, alle Enttäuschung, alle Vereinsamung, alle Ohnmacht nahm er zusammen und trat auf den Holländer zu. Er sagte ihm: »Herr Goed, jetzt setzen Sie sich einen Augenblick an diesen Tisch. Ich habe mit Ihnen abzurechnen.«

Goed richtete sich mühsam stramm, schaute Peter hassend an mit seinen grünen kleinen Augen, die im Rausch flackerten, und rief aufgeregt: »Wat wellen Sie?«

»Mit Ihnen abrechnen.«

»Det hebben wir ja. Ik hebb ja die Anwising for die Aktie! Sie moeten slaapen gan. Die Hitz'!« Goed wollte weiter.

In seiner Aufregung faßte ihn Peter an den Schultern und schrie ihm ins Gesicht: »Sie bleiben hier! Sie stehen mir Rede!«

Goed riß sich los und brüllte in stotternder Wut: »Oh, you … go on … bloody mouth … Er hob die Hand und schlug mit aller Kraft zu. Peter fing den Schlag ab und griff rasch nach dem Hals des Holländers, drückte mit der ganzen Kraft seiner Muskeln den großen Kopf zurück und schleuderte den massigen Leib über einen Liegestuhl.

»Du willst mich schlagen,« schrie er dazu, »du Schwindler, du Gauner, du Haifisch!« Der schwere weißgekleidete Mann fiel hin wie ein Klumpen.

Peter fühlte sich weggedrängt. Menschen erschienen plötzlich in Massen. Wo kamen sie her aus dieser schleimigen Verlassenheit der sonnenbebrüteten Stadt? Er wich ihrem Drängen. Er sah weiße Anzüge um sich, Ließ sich weiter schieben, ohne zu wissen, was mit ihm geschah. Allmählich gewann er die Besinnung wieder und begann den Unbekannten erregt zu erklären, weshalb er Goed an den Hals mußte.

Einer beruhigte ihn und bemerkte auf englisch: »Herr Goed ist kein Mann, dem man die Ehre einer Ohrfeige gibt.«

Peter hörte den Holländer schimpfen und brüllen. Aber er war in einem andern Raum. Er sah nichts mehr von ihm. Er dankte den Herren für den Beistand. Einer sagte burschikos: » Boy, give him a Whyski-Soda.« Peter stürzte das Glas in den Mund. Die andern lachten. Für ihn aber war alles von bitterem Ernst. Er schämte sich auch, daß er sich so vergessen hatte in der Wut und entschuldigte sich fortwährend. Die Gesellschaft in den weißen Anzügen aber scherzte mit ihm und über ihn. Es waren meist Holländer.

Einer sagte auf deutsch: »Sie brauchen sich doch nicht zu exkusieren. Was liegt an einer Ohrfeige? Sie sind noch jung im Land. Die Sonne wird auch an Ihnen das ihrige tun. Nur abwarten!«

»Aber er wollte mich doch schlagen!« rief Peter.

»Das vergeht!« sagte der andre.

»Und er hat mich mit Atjehaktien betrogen!«

Das kam wie ein Druck auf einen Einschalter. Me brüllten ergötzt auf: »Atjehaktie! Atjehaktie!«

Peter war beleidigt. Er war zum Gespött geworden. Rasch durchfuhr ihn die Vorstellung all der großen Hoffnungen, der stolzen Erwartungen, des starken Willens, der besiegten Verzweiflung, der Welt, die auf ihn wartete, als er in Genua auszog. Er duckte sich kleinlaut unter den Spott. Mürbe, müd und heimatsüchtig war er. Was war verlorenes Geld gegen diese Zerrissenheit und Mutlosigkeit seines gestürzten Herzens?

Einer sagte noch: »Lassen Sie Ihre Atjehaktien droben im Nachtkasten liegen. Was machen Sie mit dem unnützen Ballast.«

Ein andrer: »Ich gebe Ihnen meine Manilazigarre dafür.« Er hielt ihm eine halbgerauchte Zigarre hin.

Ein Belgier mit einem blonden Hahnenkopf rief: »Wollen Sie einen Kuß für Ihre Atjehs?« und alle lachten.

Peter ging. Er hatte nicht mehr zugehört. Und auch Ewe kam zu Besuch, und all ihre Süße, ihre klare Klugheit, ihre reichen Launen erneuerten ihren Verlust in ihm.

»Ach, mehr als die Atjehaktien bin ich auch nicht wert!« klagte er. Und als er dann allein, dumpf und verzweifelt in seinem verdunkelten Zimmer des Hotels de Boer in Medan stand, da war er an der ersten Station seiner Welt- und Eroberungsreise angekommen.


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