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Die Aufführung ist eine einzige Köstlichkeit. Sie gibt zugleich die Lösung eines Problems, an dem sich viele Theatergenerationen die Zähne ausgebissen haben. Ists etwa ein Zufall, daß gerade dieses Stück den Regisseuren bis heute der Gegenstand unablässiger Experimente gewesen ist? Sie alle spürten, worüber hier kein Mann und noch weniger eine Frau hinwegkommt. Nicht daß Petruchio das Käthchen zähmt, aber wie er es zähmt: das ist von einer barbarischen Roheit, die entweder gemildert oder erklärt werden muß. Wird sie gemildert, so sind wir nicht mehr in Petruchios, sondern in Benedikts Reich, und es empfiehlt sich, lieber gleich ›Viel Lärm um Nichts‹ zu spielen. Statt also zu den zahlreichen abschwächenden und schwächlichen Verballhornungen der Komödie eine neue zu fügen, ist Reinhardt in untadeliger Shakespearetreue auf das Werk selber zurückgegangen und hat es als eine Vorstellung fahrender Schauspieler vor Christoph Schlau dem Kesselflicker aufgefaßt. Damit ist dann alles erklärt. Dieser Ausweg liegt freilich so nahe, daß er schon früher betreten worden ist. Aber er ist eben nur betreten worden. Um ihn bis ans Ende zu durchmessen, mußte doch erst wieder ein Kerl wie Reinhardt kommen, und es ist auch jetzt noch, wo ihm sein Versuch so wundervoll geglückt ist, jedem Regisseur zu raten: Sei ein Mann und folge ihm nicht nach, wenn du nicht seinen Witz, seinen Mut, seine Faust und, vor allem, seine Phantasie hast. Denn es genügt uns selbstverständlich nicht und würde uns nach kurzer Zeit erheblich langweilen, die überwundenen Manieren und die drollige Talentlosigkeit vagierender Komödianten parodiert zu sehen. Damit jene Auffassung ihren dramaturgischen Zweck erreiche und ihre künstlerische Berechtigung habe, ist es nötig, die ganze Geschichte aus der Wirklichkeit in die Sphäre des Spiels, der Imagination, des Märchens, des Traums zu heben. Das hat Reinhardt mit unfehlbarem Instinkt begriffen und mit staunenswerter Konsequenz durchgeführt. Oder sollte es wirklich eine Inkonsequenz sein, daß auch seine Darstellung auf jenes Nachspiel verzichtet, das Shakespeare in seiner Vorlage vorfand, aber für die eigene Bearbeitung entbehren zu können glaubte? In diesem Nachspiel wird der noch immer oder schon wieder betrunkene Kesselflicker vor die Schenke zurückgetragen, wo er nach dem Erwachen einem Kellner erzählt, daß er in einem höchst wundersamen Traum gelernt habe, böse Weiber zu zähmen, und daß er seine neuerworbene Fertigkeit jetzt gleich zuhause verwerten werde. Genau so wie der Kollege Shakespeare hat der erquickend unpedantische Theatermann Reinhardt bei seinem Publikum die Fähigkeit vorausgesetzt, sich einen solchen Abschluß selber auszumalen, und hat aus der vorshakespearischen Fassung nur die Anregung geschöpft, seiner Aufführung die Buntheit, Wirrheit, Tollheit, Sprunghaftigkeit und Unwirklichkeit eben eines Traums zu geben.
Schlau wird erst in, dann vor einen Saal gesetzt, dessen marmorweiße Schönheit durch fabelhafte Dimensionen zu ganz besonderer Geltung kommt. Das ist von Wichtigkeit, weil dieser Saal der Schauplatz aller Ereignisse bleibt und drum das Auge nie ermüden darf. Wie Reinhardt die Möglichkeiten dieses Saales ausnutzt, wie er ihn verkleinert oder noch mehr ausdehnt, wie er die untern und die obern Nebenräume verwendet, wie er die Balustrade und die Treppe abwechselnd aus der Szenerie ausschaltet und in sie hineinbezieht: das beweist eine Tausendkünstlerschaft, die nicht mehr blos technischer Natur ist. In einem solchen Grade sein Handwerkszeug, diese lumpigen paar Bretter, dieses O von Holz zu beherrschen, ist bereits der Anfang, ist die Basis einer artistischen Genialität, die in der Durchsetzung der Zähmungsfabel als eines phantastischen Spuks, eines zweifach stilisierten Wirbels, einer fessellosen und doch aufs sorgsamste berechneten Ton- und Farbenorgie wahre Triumphe feiert. In jenen Saal also kommen die aufgelesenen Schmierenschauspieler gesprungen und bauen zum Takt einer lustig tupfenden, Leitmotive weniger gebrauchenden als persiflierenden Musik von Leo Blech ihre Wanderkulissen auf und immer wieder ab. Es sind Türen, Häuserfronten, Zimmerwände, die in denselben einfachen Kinderfarben, vornehmlich gelb, rosa und lila, gehalten sind, wie die großgestreiften, grellgesprenkelten und schrillkarierten Kleider der Mimen. Wenn man diese Kulissen umdreht, zeigen sie die Winterlandschaft, durch die Petruchio mit seinem Käthchen auf einer abenteuerlichen hölzernen Schindmähre hin- und herzieht. Überall sind Verzerrungen von Körper- und Raumverhältnissen angestrebt, wie sie das Fieber oder der Traum erzeugt. Menschenleiber ballen sich zu lebendigen Ketten und Hügeln zusammen, um mit burleskem Ruck und Krach wieder auseinander zu fallen. Kästen und Schachteln türmen sich zur Pyramide auf einem Tisch, der später zu wandeln beginnt. Tranios und Grumios purzeln von gemalten Stühlen und überschlagen sich mit richtigen Möbeln wie Akrobaten. Scharen von Dienern wachsen aus der Erde, werden Harlekins, Exzentrics, Schlangenmenschen, machen närrische Aufzüge, prügeln sich, verschwinden in Truhen und durch die Wände und helfen das theaterhistorisch interessante Bild einer Zeit geben, die mit solchen Mitteln zu Lust und Heiterkeit gestimmt wurde. Es ist aber klar, daß unser kaum geringeres Vergnügen nicht durch dieselben Mittel hervorgerufen wird, sondern durch den Anblick eines Künstlers, der sich im Gefühl einer unbegrenzten Sicherheit und eines unerschöpflichen Reichtums wahrhaft königlich verschwenden darf. Was uns dabei für Momente als Übertreibung erscheint, ist das durchaus organische Zuviel eines Übermuts, der nicht blos sprudeln, der buchstäblich übersprudeln will und muß.
Kritik braucht Selbstbeobachtung. Während man fast besinnungslos lacht, hat man immer noch genug Besinnung, um sich zu fragen, weshalb man lacht. Und da ist es für mich außer Zweifel, daß diese Vorstellung mit all ihren szenischen Kunststücken, mit ihrer ganzen märchenhaften Stimmung und mit der gleichen parodistischen Kraft mich nicht im mindesten belustigt hätte, wenn wirklich, wie gegen sie geltend gemacht wird, die Hülle den Kern zerdrückt und Regiekunst die Schauspielkunst verdrängt hätte. Man glaube doch nicht, daß dreiundeinehalbe Stunde lang purer Zirkuskram zu ertragen wäre. Man glaube doch nicht, daß Persönlichkeiten wie Bassermann und die Höflich zu Requisiten einer noch so suggestiven Regievirtuosität herabzuwürdigen sind. Ihr bloßes Da-Sein bringt schon ein solches Maß, eine solche Masse von Menschlichkeit aus die Bühne, daß sie Shakespeares Worte nur gerade zu sprechen brauchen, um ihren Sinn und ihren Gehalt durchdringend zu verkünden. In Wahrheit liegt es so, daß Reinhardt diesem Sinn und Gehalt nirgends zu nahe getreten ist, und daß Bassermann und die Höflich an keiner Stelle die psychologische Entwicklung ihrer Gestalten vernachlässigt haben. Man müßte denn diese primitive Entwicklung, die ein Kind aus bloßen Andeutungen ersehen und verstehen würde, zu einem Wunder an Seelenkomplikation aufbauschen. Aber auch dieses Wunder wären Bassermann und die Höflich zu bewältigen fähig – in einer gewöhnlichen Aufführung ohne alle Frage und in dieser archaisierenden schließlich nicht minder. Es wird nämlich deutlich, daß sie der Stolz und die Stars ihrer Truppe sind, die an und für sich unter den Truppen ihrer Zeit einen hohen Rang eingenommen haben muß; daß sie diejenigen sind, die den Funken haben; daß sie zwar von den Lastern ihrer Zunftgenossen, von Gefallsucht und Effekthascherei, noch nicht ganz frei, daß sie aber doch bereits Boten der Zukunft, Lieblinge einer reinem Melpomene sind. Es fällt ihnen nicht schwer, mitten im lärmendsten Tohuwabohu durch einen Augenaufschlag und eine Tonsenkung zu verraten, wie es in ihnen aussieht. Zu alledem hat er die Schwärze, sie die Blondheit, die es erotisch verständlich machen, daß Petruchio das Spiel eingeht; hat sie die Fraulichkeit und er die Liebenswürdigkeit und Energie zugleich, die es psychologisch glaubhaft machen, daß Petruchio das Spiel auch gewinnt. Es ist nichts als ein Spiel, und es als solches zum Siege geführt zu haben, wird einmal eins von den zahllosen theatergeschichtlichen Verdiensten Max Reinhardts sein.