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Heinz Marquardts Nachforschungen führten zu keinem Resultat.
Noch die ganze Nacht hatte er vor der Haustür der »Baronesse« Wache gehalten, aber niemand war mehr heruntergekommen.
Und als er am nächsten Tage nach schwerem Morgenschlaf wieder dorthin gegangen war, hörte er, Fräulein Boras sei für einige Zeit verreist.
Auf das, was die Augst sagte, gab er überhaupt gar nichts! Schon daß sich alle ihre Angaben und Bezichtigungen auf der Behauptung aufbauten, jener Mensch, der Freund des Heiland, habe vor seiner Ehe ein Verhältnis mit Trude gehabt – schon das zeigte, für ihn wenigstens, die Redereien des Mädchens als leeres Geschwätz!
Er hatte in zärtlichen Stunden hundertmal die Frage an die Geliebte gerichtet, ob schon vor ihm jemand so glücklich wie er gewesen sei? ... Und immer wieder hatte sie mit einem so reinen und aufrichtigen Lächeln den Kopf geschüttelt, hatte so fest und bestimmt selbst den Kuß eines andern verneint, daß Marquardt ihr glauben mußte.
Sie sollte ihm alles, aber auch alles sollte sie ihm erzählen, hatte er sie gebeten.
Dann hatte sie mit ihrem lieben Lachen von Alfred Maaß angefangen, der sich zweimal erlaubt hatte, ihren Arm zu drücken, was sie ihm jedoch jedesmal sofort verwiesen hätte. Danach kam sie auf einen Posteleven zu sprechen, der sie einmal auf der Straße angeredet und sie solange gebeten hatte, bis sie mit ihm in eine Konditorei gegangen war ... Hernach, das heißt zeitlich noch weiter zurückliegend, kamen ein paar Tanzstundenbekanntschaften und von denen hatte allerdings der eine mal eine kleine Attacke versucht, aber natürlich war es bei dem Versuch geblieben. Sie hatte es sofort ihrer Mutter erzählt und diese war zum Tanzlehrer gegangen, worauf der kußlüsterne Herr hinausflog ... Das war alles, alles! ... soviel sie sich besann, es war ihr nichts mehr eingefallen! ...
Und nun sollte sie auf einmal ein Verhältnis und gar mit einem Zuhälter gehabt haben!
Verrückt war das, einfach wahnsinnig!
Denn, wäre es wirklich so gewesen, daß Trude den Menschen kennen gelernt, ihn für einen anständigen Menschen gehalten und nachdem sie ein paarmal mit ihm ausgegangen war, erfahren, wes Geistes Kind er war – dann hätte sie ihm, ihren Gatten, das später doch ganz gewiß erzählt ... Was hätte sie denn davon abhalten sollen, ihm das mitzuteilen?!
Und wenn es anders war, wenn ... ach Unsinn, daran war kein Gedanke! Er war überzeugt, er wußte, daß alles andere nicht wahr war!!
Deshalb schlug er sich die ganze Geschichte mit der Augst und ebenso auch die Baronesse mit ihrem Bruder aus dem Kopf ... Das alles konnte nur dazu beitragen, ihn zu verwirren, um ihn von der rechten Fährte abzubringen.
Aber wo war sie, wo war die richtige Spur?
Vor dieser Frage stand er, wie vor einem gewaltigen eisernen Tor; seine Phantasie, sein Verstand und seine ganze Energie rannte dagegen an, aber die dunkle Starrheit wich nicht um Fingersbreite.
Eines Tages las er in der Zeitung, daß die Hauptverhandlung gegen Maaß auf den 15. Mai anberaumt war.
Das war ihm, als sei er plötzlich mit hartem Stoß gegen jemand angerannt.
Er hatte Alfred Maaß nicht vergessen, keinen Augenblick! ... Hin und wieder dachte er sogar daran, wo er ihm helfen könnte. Denn er hielt ihn für unschuldig. Aber lange hielt er sich nicht auf bei diesen Gedanken, die ja unfruchtbar blieben, solange der wirkliche Mörder nicht gefaßt war. Er hatte keine Zeit für den Rotkopf, und sein Gerechtigkeitsgefühl tröstete sich mit dem Gedanken, daß er, er selber Alfred Maaß eines Tages befreien würde, indem er den Mörder seiner Frau in den Gerichtssaal schleppte!
Aber diese Nachricht, diese wenigen Zeilen, die die Entscheidung über Tod und Leben des kleinen Bureaugehilfen in so nahe Aussicht stellten – die machten Heinz Marquardt stutzig.
In der darauffolgenden Nacht ging er nicht aus. Er lag wach im Bett und dachte und dachte.
Mit der Deutlichkeit großer, lebender Photographien zogen die Bilder aus seinem und seiner Trude Leben an ihm vorüber, in denen Maaß eine Rolle spielte.
Er sah alles noch einmal vor sich: Sein erstes Bekanntwerden mit der Geliebten auf dem Ball – Maaßens wütenden Aerger! – Die Szene, in der sie sich für ihn, ihren späteren Gatten entschied – Maaßens böse, rachsüchtige Augen, die doch so voller Trauer um den Verlust des geliebten Mädchens waren – sein wütender Angriff an jenem Tage im Bureau – und zuletzt sein haßerfülltes Gesicht in der kleinen Kneipe, wo er, Marquardt, die letzten Worte mit seiner Trude durchs Telephon sprach ...
Und wie er an diese Erinnerung kam, strömten in der nächtlichen Einsamkeit seine Tränen von neuem und er biß sich in die Knöchel, um nicht laut aufzubrüllen vor Schmerz und Weh.
Sollte es Maaß doch gewesen sein?
Diese Frage tauchte plötzlich, wie eine Gestalt, die blutbefleckt aus der Erde hervorschießt, vor ihm auf!
Und wie sie einmal da war, blieb sie auch da und ging nicht mehr fort.
Und tausend Verdachtsgründe kamen aus allen Ecken herbeigerannt und türmten sich auf zu einem Berg, der drohend herüberstarrte.
Gewiß! ... warum war Maaß denn plötzlich weggelaufen aus dem Bureau?! ... Er war doch nachher in der Koloniestraße gewesen! ... Hatte es ja auch selbst zugegeben, so sehr er's vorher geleugnet! ... Weil er fürchtete, sich verdächtig zu machen – deswegen log er, hahaha! ... Faule Ausrede! ... Er war da gewesen, raufgegangen ... und sie, sein armer Liebling, hatte ihn von sich gewiesen, zurückgestoßen und da, da ...
Heinz Marquardt deckte beide Hände vors Gesicht, um das Entsetzliche nicht sehen zu müssen, das in der Finsternis grell und blutig vor ihm aufstand.
Aber auf einmal kam der Verstand und leitete seine Hand nach der Streichholzschachtel, daß sie Licht machte, und in der Helligkeit der Kerze sah alles das auf einmal ganz anders aus.
Maaß war wieder ein kleiner, furchtsamer Mensch, bei all seiner Wut ein gutmütiges Kind, das die hineingefallene Fliege sorgsam aus der Milch hob, die er sich im Bureau immer in einer Flasche mitgebracht und zum Frühstück getrunken hatte.
Plötzlich richtete sich Heinz Marquardt im Bette auf und sitzend sagte er ganz laut:
»Aber ich brauche ja doch bloß hingehn und ihn fragen!«
Jetzt verlöschte er das Licht wieder und war ganz beruhigt ... Daß er darauf nicht schon längst gekommen war, das war doch das allereinfachste! ... Ihm würde Maaß die Wahrheit sagen! ... Er würde sie ihm einfach sagen müssen! ... Und er würde sehn, wenn Maaß log! ... In dieser Sache konnte ihn keiner belügen!
Mit dem Gedanken schlief er ein.