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6.

Alfred Maaß lag nach einer durchzechten Nacht noch im Bett, als seine Wirtin anklopfte und ihm zurief, draußen wären zwei Herren, die ihn zu sprechen wünschten.

»Gleich,« sagte er übellaunig, »ich komme gleich!«

Dann erhob er sich mit schweren Gliedern und wüstem Schädel und dachte mit trostlosen Empfindungen an die gestrige Nacht und an das Geld, das ihn seine Kneiperei gekostet hatte.

Er war absolut nicht imstande gewesen, gestern nachmittag wieder ins Bureau zu gehen. Das Renkontre mit Marquardt hatte ihn zu sehr verstimmt. Er haßte diesen Menschen. Und obwohl seine Vernunft ihm riet, diesem im Grunde doch törichten Groll fahren zu lassen, bekam er es nicht fertig, dem Kollegen ein freundliches Wort zu gönnen, und ergriff jede Gelegenheit begierig, wo er dem andern schaden konnte.

Das alles ging ihm durch den Kopf, als es jetzt wiederum klopfte und eine ihm fremde Stimme gebieterisch Einlaß forderte.

»Machen Sie auf!«

»Wer ist denn da?« fragte Alfred Maaß verwundert.

»Sie sollen aufmachen!« wiederholte der andere sehr energisch, »wenn Sie nicht wollen, daß ich durch einen Schlosser öffnen lasse.«

Nun fuhr Alfred Maaß, der noch immer in mißmutigem Nachdenken auf der Bettkante gesessen hatte, rasch in seine Beinkleider und schob erschrocken den Riegel zurück.

Der erste der beiden Männer, die ins Zimmer traten, hielt ihm eine ovale Blechmarke entgegen und sagte:

»Ich bin Kriminalbeamter, Sie sind verhaftet.«

Alfred Maaß wurde totenbleich. Der Kater, der ihn peinigte, machte ihn unfähig, diesem ganz unerwarteten Ereignis mit Fassung Stand zu halten. Seine Knie schlotterten, er lief im Zimmer hin und her und suchte an Plätzen, wo sie gar nicht lagen, seine Sachen.

Plötzlich blieb er stehen, sah den Kommissar Hartmuth, der mit ernstem Gesicht die Tür flankierte, voll an und fragte:

»Weshalb denn? Was soll ich denn gemacht haben?«

»Das werden Sie selbst wohl am besten wissen ... Uebrigens machen Sie keine Umstände und ziehen Sie sich an! Sonst muß ich Sie mitnehmen, wie Sie sind.«

Nun fing Maaß, dessen ängstliches Gemüt besonders in der überreizten Stimmung, in der er sich augenblicklich befand, den Ausweg nicht fand aus dieser ihn so sehr überraschenden und bedrohlichen Situation, an zu weinen.

Der Kriminalkommissar nickte seinem Unterbeamten, dem Schutzmann Westrang, zu, als wollte er ihm sagen: Den haben wir!

Aber Alfred Maaß besann sich gleich wieder auf sich selbst, er fuhr mit dem Hemdärmel über das Gesicht und sagte, halb lachend:

»Ach, ich bin ja verdreht! ... Was rege ich mich denn da so auf! ... Ich habe doch nichts getan? ... Meinetwegen verhaften Sie mich, wenn Ihnen das Spaß macht, Sie werden mich bald genug wieder freilassen müssen!«

Und nun fand er auch seine Ruhe wieder, zog sich flink an und folgte den Beamten, die ihn in ihre Mitte nahmen, hinab zur Droschke.

Sie brachten ihn nach dem Alexanderplatz. Auf dem Präsidium, wo mittlerweile auch Kommissar Bendemann eingetroffen war, wurde er von diesem und Hartmuth sofort verhört.

Vorher hatte man ihn, als des Mordes verdächtig, in einer besonders festen Zelle untergebracht, die ein Aufseher fortwährend zu observieren hatte.

Und dem kleinen Bureaugehilfen war es eine Erleichterung, als ihm endlich mitgeteilt wurde, weswegen er sich hier befand.

Blaß, aber mit entschlossenem Gesichtsausdruck, trat er, von dem Aufseher geführt, in das Zimmer der beiden Kriminalbeamten.

»Na,« sagte Bendemann, »wollen Sie nun nicht lieber von vornherein ein offenes Geständnis ablegen, glauben Sie mir man, das Leugnen nutzt hier gar nichts und Sie sind ja auch schon so gut wie überführt ...«

»Darf ich fragen, welchen Verbrechens?« fragte der Bordereauschreiber mit großer Ruhe.

»Na, das scheint ja 'n ganz Abgebrühter zu sein,« meinte Hartmuth. Aber der Kommissar Bendemann winkte ihm mit der Hand und sagte, dem kleinen Maaß fest in das pockennarbige Gesicht sehend:

»Sie stehen im Verdacht, die Frau Ihres Kollegen Marquardt ermordet zu haben.«

Alfred Maaß wäre beinahe umgefallen. Er schwankte und tastete mit den Händen nach einem Stuhl. Dann lehnte er sich an ein Regal und sagte tonlos:

»Ich? ...«

Mehr brachte er nicht heraus, der Tod der Frau, für die sein Herz heute noch so wie vor Jahresfrist schlug, hatte ihn fast niedergeworfen und sein Herz gelähmt.

Der Kommissar Bendemann nickte langsam mit dem Kopf.

»Ja, ja, darauf waren Sie wohl nicht vorbereitet, daß der Verdacht auf Sie fallen würde, aber uns täuscht man nicht, selbst wenn man einen Raubmord inszeniert, mein Lieber ... Aber nun hören Sie mir mal aufmerksam zu, was ich Ihnen jetzt sage: ich sehe das alles ganz deutlich vor mir: Gestern nachmittag haben Sie plötzlich Sehnsucht bekommen nach der armen Frau. Sie konnten es nicht mehr aushalten und gingen hin. Wer weiß, was Sie sich dabei gedacht haben. Ein Mensch, der verliebt ist, ist ja unzurechnungsfähig. Und ich glaube auch gar nicht, daß Sie von vornherein die Absicht gehabt haben, die Frau zu ermorden. Sie wollten sie wiedersehen, hofften vielleicht, sie würde ihrem Manne untreu werden, was weiß ich! ... Na und da sind Sie hingegangen, die Frau hat Sie natürlich reingelassen, als Kollegen ihres Mannes. Sie haben angefangen, in sie zu dringen, die Frau Marquardt hat Sie in Ihre Schranken gewiesen, dann sind Sie immer heftiger geworden in Ihren Bitten und Beschwörungen, schließlich hat Ihnen die arme Person die Tür gezeigt und da haben Sie in Ihrer Rage die unselige Tat begangen ... Nicht wahr, es ist so?«

Alfred Maaß schüttelte nur den Kopf.

»Die arme Trude! ... Die arme Trude!«

»Also Sie gestehen es ein, daß Sie der Täter sind?«

»Was, ich?« In die matten Augen des kleinen Bureaugehilfen trat plötzlich ein stechender Glanz, er reckte den Kopf vor und hob sich ganz hoch auf den Zehenspitzen:

»Sie sind wohl verrückt, was? Sie haben wohl 'n Vogel?!«

»Na, hör' mal, Bürschchen,« unterbrach ihn Hartmuth, dicht an Maaß herantretend, »erlaube Dir hier gar keine Frechheiten, Du! Sonst gibt's Backpfeifen wie Lehmpatzen!«

»Von Ihnen, von Ihnen?« Maaß schrie jetzt ganz laut. »Das sollen Sie sich bloß einfallen lassen! Sie! ... Mich hier aus dem Bette zu holen und mich zu beschuldigen, ich soll 'n Mord begangen haben, solche Verrücktheit! Ich wer' Sie verklagen, Sie, versteh'n Se!«

Der Kommissar Bendemann hielt den Kollegen, der schon seine Drohung zur Tat machen wollte, zurück, gab dem Aufseher ein Zeichen und sagte:

»Führen Sie den Gefangenen ab! ... Er wird gefesselt.«

Wenige Minuten später saß Alfred Maaß in einer besonders festen und zur fortwährenden Beobachtung eingerichteten Zelle, mit einer Kette gefesselt, die von seiner rechten Hand bis zum Fuß hinabreichte.

Er saß eine ganze Zeitlang auf dem dreibeinigen Holzschemel vor dem weiß gescheuerten Tisch und starrte in halber Bewußtlosigkeit vor sich hin ... War das möglich, ein Mensch, der gar nichts getan hat, wird plötzlich in seiner Wohnung aus dem Bett geholt, auf die Polizei geschleppt und gefesselt ins Gefängnis geworfen?!

Mit einem Male fuhr er empor. Sich mit der freien Rechten an den Kopf schlagend, rief er ganz laut:

»Das war Marquardt! ... Der Lump, der Spitzbube, der Gauner! Also darum hat er mich gestern so angesehen ... Aber warum bloß, warum? Ich hab ihm doch nichts getan?! ... Er mir doch, er hat sie mir doch bloß zu verdanken, die Trude! ...«

Und plötzlich fiel ihm der Mord ein.

»... Ach, sie ist ja tot!« Er sagte es leise im Tone einer tiefen und aufrichtigen Trauer. Und das Bild der Ermordeten stieg vor ihm auf und mitten in seinem eigenen, großen Unglück dachte er nur noch an sie, die gestorben war, ohne daß er noch einmal in ihr geliebtes Gesicht hatte sehen dürfen, ohne noch einen Blick oder einen Händedruck von ihr zu empfangen.

Und dann stieg es gallebitter in seiner Seele auf. »Warum hat sie mich nicht genommen? Bei mir wäre ihr das nicht passiert. Bei mir wohnte sie mit meiner Mutter zusammen und die hätte sie behütet wie ihr eigenes Kind.« – Denn er hatte sich längst vorgenommen, wenn er einmal heirate, wollte er seine alte Mutter zu sich nehmen, die irgendwo in der Provinz von einer kleinen Witwenpension lebte.

Aber dieser Marquardt hatte ihn schön hineingelegt ... Natürlich würde er sein Alibi nachweisen und damit würde diese ganze lächerliche Beschuldigung in nichts zerfallen! ... Aber warum hatte ihn Marquardt beschuldigt? War dieser erbärmliche Mensch es etwa selber gewesen?

Er sann und sann. Doch all sein Nachdenken führte ihn immer wieder nur an die Bahre der armen Frau zurück, die er so sehr geliebt hatte.


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