Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Ei Du mein Pusselken! ... Pusselken! ... Du Feines!
Dusselken! ... Du Kleines! ...«
»Heeren Se?« sagte Alex, »die sind schon widder mechtig in Stimmung dadrinne! Ja, ja, der Theodor, wenn der mal seinen Affen losläßt, da bleibt keen Ooge drocken!«
Heinz Marquardt dachte für einen Moment gar nicht an den Zweck seines Hierseins.
Nachdem sein Begleiter die Tür aufgestoßen hatte, befanden sie sich beide in einer Art Vorraum, wo an der Seite ein verlassener Schanktisch mit schmutzigem Geschirr und zum Teil zerbrochenen Gläsern beladen stand. Hier war es dunkel, aber die Tür zu einem Gange war offen und dieser mündete in das Lokal selber.
Von dort her drang der Lärm der Gäste. Eben fing ein automatisches Klavier mit seinen harten hölzernen Takten zu spielen an und dazwischen knarrte und quakte ein schlechter Phonograph. Die Dielen dröhnten vom Gestampf tanzender Füße und ein johlender Gesang schwang sich über all das Brimborium.
Viel zu sehen war selbst jetzt noch nicht, als Heinz Marquardt mit seinem Begleiter an den Stufen der hölzernen Treppe stand, die in den ziemlich großen, niedrigen Raum hinabführte, der von einer einzigen, kolossalen Dampfwolke erfüllt war, in der unter der Decke mehrere Petroleumlampen wie im Nebel schimmerten.
»Sehn Se, det is det Kabarett zum »vabubanzten Theodor«, sagte Alex, »denn warum nich? Wenn de feinen Leite sich sowat leisten, denn könn' wir't schon lange! ... Na, komm' Se man! Ihn' beißt hier keener!«
Damit stieg er die vom verschütteten Bier nassen Stufen hinab, und Heinz, dessen Augen sich allmählich an den beizenden Zigarren- und Zigarettenqualm gewöhnten, folgte ihm.
Er wäre aber beinahe lang hingeschlagen, so wurde er von zwei tanzenden Mädchen angerannt, die gleich stehen blieben und hell auflachten über das verdutzte Gesicht des Bordereauschreibers.
»Na Kleener, wat willst Du denn hier?« sagte die eine, »wie kommst Du denn hierher?«
»Ick hab'n mitjebracht,« mischte sich Alex ein, »aber det is nischt vor Dir, Aprikosenjuste, der Herr is wat bessert jewöhnt und will bloß ma' seh'n, wie 'ne Kaschemme aussieht! ...«
»So,« lachte die Angeredete, ohne dem Alex viel Beachtung zu schenken, »na, da haben Se sich ja 'n netten Vormund ausjesucht, Sie ...« Das Mädchen stemmte die prallen Arme, die ihre blaue Bluse mit den weitfaltigen Aermeln ganz frei ließ, in die runden Hüften. Ihre merkwürdig hellen Augen, in denen das Leben leidenschaftlich funkelte, machten den jungen Beamten verwirrt, daß er die Worte nicht fand für das, was er so gern sagen wollte.
Er wollte sagen, daß er ganz und gar nicht fremd diesem Treiben sei, daß er keineswegs nur als ein müßiger Zuschauer hierher komme, sondern, daß es sein Wunsch, sein heißer Wunsch wäre, mit all' den anderen hier zu toben, zu schreien und ihr Leben ganz mitzuleben.
»Na, tanzen kann er wohl auch nich?« fragte das Mädchen, von dem ein verwirrender Hauch, etwas, das den Mann in Heinz Marquardt gegen seinen Willen anzog und verlockte, ausging.
Sie sagte noch etwas, aber der infernalische Lärm verschlang jedes Wort, und plötzlich hielt Heinz ihre blühende Gestalt umfaßt und schwang sich mit ihr im Reigen.
Er war früher vor seiner Ehe ein leidenschaftlicher Tänzer und auf den Vereinskränzchen und Bällen vor allen anderen begehrt gewesen. Aber so zu tanzen hatte er doch nicht gelernt. Ihm war, als sei er hier die Tänzerin. Mit einer Geschicklichkeit und Kraft ohnegleichen führte ihn das Mädchen. Die anderen Paare wechselten, sie aber tanzten immer weiter, rastlos, atemlos, ganz der berauschenden Raserei dieses tollen Wirbelns hingegeben.
Als sie endlich stille standen, hielt sie ihn noch immer umfaßt, lachte ihn schmeichelnd an und sagte:
»Na, so tanzte woll sonst nich, was, Du?«
Er lachte auch und sagte ein paar dumme, nichtsbedeutende Worte.
Da scholl eine Riesenstimme aus dem Dampf:
»Setzen, setzen ... Jetzt kommt Herkules, der stärkste Mann der Welt! ... Hebt drei Zentner mit'n Bauch und bezwingt sojar seine Schwiegermutter!«
»Paß mal uff!« meinte Aprikosenjuste, »wat der vor Kräfte hat! ... Dis is was anders, wie die Fiolenschieber in' Zirkus!«
Inzwischen war in der Mitte ein freier Platz geschaffen und eine alte Seegrasmatratze auf den Boden gelegt worden, dessen aufsteigender Staub sich mit dem Qualm mischte.
Heinz Marquardt sah, obschon er hinten an der Wand saß, alles recht gut und wandte sich unwillig zur Seite, als jetzt dicht neben ihm jemand sagte:
»Wat willst Du denn hier? ... Du markierst doch nich etwa 'n Achtjroschenjungen?«
Heinz Marquardt verstand den Ausdruck kaum und wurde sich so auch der Gefahr nicht bewußt, die für ihn in dem Verdacht des andern lag. Aber ehe er noch etwas erwidern konnte, nahm sich Aprikosenjuste seiner an und sagte patzig:
»Bist Du hier als Uffpasser anjestellt, Husarenwilhelm? ... Du sehst doch, det ick mit den Mann hier sitze!«
Aprikosenjuste nahm zärtlich über den Tisch hinweg die Hand ihres neuen Freundes, und Husarenwilhelm verlor sich zwischen den übrigen.
Währenddessen gab Herkules seine in der Tat von großer Kraft und Gewandtheit zeugenden Produktionen zum besten.
Und er wollte eben mit einem Konkurrenten zum ersten »Gang« antreten, als sich ein furchtbarer Tumult erhob und alles nach dem ganz hinten am Ende des niederen Saales befindlichen Schanktisch zudrängte ...
Auch Marquardt wollte sich neugierig erheben, aber das Mädchen hielt ihn zurück.
»Laß doch! Da haben sich zwee jefaßt, was is 'n da weiter bei! Sowas passiert hier alle paa' Minuten! ...«
Wirklich legte sich gleich darauf der Tumult, eine Seitentür ging auf, irgend jemand flog 'raus, und gleich darauf schrien alle Anwesenden laut und freudig erregt:
»Theodor! ... Theodor! ... Theodor soll singen!«
Der Wirt hatte das »Kabarett« betreten.
Es war ein kleiner, stark gebauter Mann, dem das rechte Ohr fast ganz und zwei Finger der rechten Hand zur Hälfte fehlten. Außerdem lahmte er sehr, und durch das ziemlich kurz gehaltene, schwarze Haupthaar zog sich ein weißer Hautstreif, sichtlich von einer Narbe herrührend, die ein fürchterlicher Hieb dort zurückgelassen hatte. Der solchermaßen »vabubanzte« Theodor trug über einer schwarz-weiß karierten Hose eine blutrote Samtweste und über dieser ein schwarzes Samtjackett mit großen Silberknöpfen.
Er schüttelte einige Dutzend Hände, die sich ihm entgegenstreckten, lächelte geschmeichelt auf die immer wiederholte Bitte, er möchte singen, und sprang dann mit einem Satz auf einen Tisch ganz in Marquardts Nähe.
Sofort trat absolute Ruhe ein.
Er begann:
»Das Lied von meine Leiden.«
Und dann sang er:
Ick stamme wie wir alle aus de Renne,
Mein Vater war ein Herr von Irjendwo,
Und meine Mutter hieß in ihre Penne
Nicht anders wie der Floh! Der kleene Floh! ...«
Sofort fiel der ganze Chorus unter Johlen und Lachen ein:
»Der Floh! der Floh! der janze kleene Floh! ...«
Dann fuhr der vabubanzte Theodor, der in vollster Ruhe, höchstens mit einer Handbewegung oder mit einer Grimasse diesen Vortrag begleitete, fort:
»Ick war noch kleen, da jing se schon machulle,
machulle gehn = sterben.
Det Schicksal ist mit unsereenen roh!
Se hintaließ ma' eene Jilkapulle
Un eenen Floh! Un eenen Floh! ...«
Sofort fielen alle wieder ein:
»Un eenen Floh! 'n janzen kleenen Floh! ...«
Eben wollte der Sänger, der seine hübsche Stimme im Refrain zu hohen Kopftönen preßte, von neuem anfangen, als in dem Türrahmen oben auf dem Gange einige Gestalten erschienen, die allgemeine Aufmerksamkeit erregten.
Der erste, der die Treppen hinabstieg, war ein großgewachsener, bürgerlich gekleideter Mann, und die der kleinen Treppe am nächsten Sitzenden sagten respektvoll »Juten Abend, Herr Kommissar!« zu ihm. Er ging ruhigen Schrittes ins Lokal hinein, während die beiden anderen Herren auf der Treppe zögerten.
Dem einen von den beiden sah man den Aristokraten ohne weiteres an, der gewiß, blasiert von jeglichem Lebensgenuß, sein Amüsement einmal bei den Antipoden seines Standes, den Ausgestoßenen und Verfemten, suchen wollte.
Er war schlank und sehnig und trug sich, wie viele der Gardekavallerieoffiziere, ein klein wenig vornüber. Im übrigen sah man unter seinem kurzen Demi-Saison den Frack und das weißpaspelierte Gilet mit der schmalen, goldenen Kette. Um das Handgelenk der Rechten, die soeben leicht an den glänzenden Zylinder griff, spannte sich auch feines Gold, das ein großer Diamant verschloß.
Husarenwilhelm, an dem er dicht vorbeistreifte, sah das wohl, oder vielmehr er witterte es, wie Raubtiere die Beute!
Der dritte, der oben gestanden hatte, war für einen Moment zurückgegangen. Aber schon tauchte er in der Oeffnung des schmalen Ganges wieder auf, eine Dame am Arm.
Von weitem sah diese Frau aus wie eine ganz junge Schönheit. Sie war groß und sehr gut gewachsen, in der Figur jedenfalls tadellos, obwohl der dicke Pelzmantel das nur halb erkennen ließ. Ihr Haar war ausgesprochen rot und zu einer wundervollen, mit Goldpuder bestreuten Frisur aufgebaut, in der Edelsteine funkelten. Der vorn offene Mantel ließ den schlanken Hals sehen, und die Farbe der Haut war weiß wie Frühlingsblumen.
Aber auch ihr Gesicht war blendend ... ja so blendend, daß nur der Kenner, und auch dieser erst bei genauerem Hinsehen, die hier in raffinierter Weise aufgewendeten Toilettenkünste merkte.
Und dazu die Stimme!
Einem blühend rosigen Samt glich dieses sanfte, wie aus einer reinen Kinderseele aufquellende Organ.
Was sie sagte, war nichts weiter, als:
»Wir sind doch auch hier ganz sicher, Egon, ja?«
Als sie ein wenig ins Lokal hineingegangen war, da sah sie sich um nach einer Stelle, wo sie Platz nehmen könnte. Und ihre großen Augen, deren graue Iris etwas vom Schimmer des Topases hatte, richteten sich auf Heinz Marquardt, der unwillkürlich ein wenig von seiner Nachbarin fortrückte.
»Die macht Dir woll Laune, was?« fragte Aprikosenjuste lauernd, »natierlich! Da kann unsaeene nich mit, wenn det da drieben ooch man allens unecht un ufflackiert is! ...« setzte sie, deren weiblichem Scharfblick das Künstliche in der Rivalin nicht entging, rasch hinzu.
Heinz Marquardt wollte etwas erwidern, da aber war die Schönheit schon am Tisch und fragte, mit ihrer kleinen, weißbehandschuhten Hand auf einen leeren Stuhl deutend:
»Gestatten Sie?«
»Das einfache Wort klang Heinz Marquardt so sinnverwirrend, daß er über und über rot wurde.
Aber Aprikosenjuste stand hastig und mit einem schrillen Lachen auf, nahm den mit hungrigen Augen lungernden Husarenwilhelm, der jetzt gar nicht mit ihr mitwollte, unter den Arm und zog ihn nach hinten.
Marquardt, der seiner Verwirrung gar nicht Herr werden konnte, betrachtete jetzt den Begleiter der Dame.
Einen jungen Mann von höchstens zwei-, dreiundzwanzig Jahren, mit leeren, nichtssagenden Zügen und breiten, weichen Händen, die besser nicht mit so wertvollen Ringen geschmückt gewesen wären. Er trug einen kostbaren Gehpelz und im Knopfloch des darunter hervorsehenden schwarzen Gehrockes eine Tuberose.
Als er Marquardts Blick bemerkte, der ihn übrigens gar nicht sah, weil ihn selbst diese entzückende Frau zu sehr beschäftigte, nahm sein dummes Gesicht den Ausdruck der Kälte und des Hochmuts an, was bei seiner Begleiterin eine Heiterkeit hervorrief, die sie noch viel anziehender machte.
»Warum lachen Sie?« fragte der junge Mann leise, gekränkt.
»Sie stellen Ihre Fragen nicht richtig,« erwiderte die Dame ebenfalls im Flüsterton, »Sie müssen fragen: über wen lachen Sie?«
»So ... na, und über wen, wenn man fragen darf?«
»Sie dürfen!« Ihr Gesicht wurde immer heiterer, »Sie dürfen fragen, Herr Schindler! ... Ich lache über Sie!«
Heinz Marquardt, dessen scharfem Gehör keine Silbe entging, wandte das Gesicht, um seine ebenfalls nicht zu unterdrückende Heiterkeit zu verbergen, und sah in den Saal hinein, da der Wirt, der inzwischen mit dem Kriminalbeamten gesprochen hatte, wieder auf den Tisch sprang.
»Passen Sie auf,« meinte die Schöne, »das da interessiert mich viel mehr, wie Ihr Geschwätz!«
Und während dieser Worte, die, von ihrer süßen Stimme gesprochen, nicht einmal verletzend klangen, trafen ihre Augen Heinz Marquardt, der der Versuchung, sich ihr wieder zuzuwenden, nicht hatte widerstehen können, und der sich nun abermals ganz verwirrt abwandte.
»Ick singe jetz': Det Fallbeil!« kündigte der vabubanzte Theodor an.
Und wiederum wurde es ganz still, selbst die Gegenwart dieser schönen und seltenen Erscheinung konnte die Aufmerksamkeit der Hörer nicht mehr ablenken.
»Der Text un ooch de Musik sind beede von mir!« sagte der Wirt. Dann sang er:
Friemorjens hält vor Pletzensee
Een schwerbepackter Wagen,
Un een Jerüst aus Balken wird
Da schleinigst uffjeschlagen.
Bum! bum! bum!
Das sind die Hammerschläge.
Knarr! knarr! knarr!
Das ist die scharfe Säge! ...
Un pletzlich kommt 'n Herr im Frack,
Trägt een Etui aus Leder,
Und freindlich jrinsend hängt er denn
Det Fallbeil in die Feder! ...
Flirr! flirr! flirr!
Er läßt es runtersausen!
Brrr! brrr! brrr!
Det is een Ton zum Jrausen ...
Un uff 'n Hof versammeln sich
Der Staatsanwalt, die Richter.
De Zeijen kommen janz in Schwarz.
Der Kreis wird immer dichter.
Bimm! bimm! bimm!
Et schneet in feine Flöckchen ...
Bimm! bimm! bimm!
Det Armesinderjlöckchen! ...
Da hinten jeht 'ne Tiere uff,
Zwee halten eenen Dritten! ...
Die Beene schleppen fermlich nach,
Jetz' kommt der Pfaff jeschritten.
Trapp! trapp! trapp!
So hallt et uff de Steene!
Klapp! klapp! klapp!
Des sind den seine Beene!
Nu liest der Staatsanwalt wat vor
Mit salbungsvollem Maule.
Der schwarze Rudolf is janz Ohr –
Bei Jott, er legt ne Aule!
Er spuckt aus.
Klapp! klapp! klapp!
Det is Herrn Reindels Schere!
Schnurr! schnurr! schnurr!
Durch Hemd und Rock jeht's schwere!
Mit eenmal kommt de Sonne raus,
Will Rudolf noch wat sagen?
Er brüllt. Da fassen se 'n! Er wird
Rasch uff's Schaffot jetragen!
Pip! pip! pip!
Een Sperling sitzt da oben!
Pfuiiiiiiiit!
Das Fallbeil kommt von oben! ...
'n schwarzer Kasten wird jebracht,
'n Korb voll Sägespäne,
Und drüben, wo de Kreuze stehn,
Is Rudolf janz alleene ...
Huh! huh! huh!
Um Rudolf is et schade!
Hih! hih! hih!
Uns is et janz pomade! ...«
Als Theodor mit einer sehr ausdrucksvollen Gebärde unter tosendem Beifall geendet hatte, sah Heinz Marquardt seine Nachbarin an, die unter der Schminke erblaßt war.
»Das ist ja fürchterlich!« sagte sie leise und wandte sich dabei ganz unverkennbar an Heinz.
»Ja, ich versteh' auch nicht, wie man eine Dame hierher führen kann!« sagte dieser.
Sofort sagte der Jüngling mit der Tuberose spitzig:
»Ob Sie das verstehen oder nicht, das ist doch ganz gleichgültig!«
»Oh, bitte, doch wohl nicht so ganz!« entgegnete die Dame, »denn da ich den Herrn ansprach, ist es nur natürlich, daß er meine Frage beantwortet! ... Aber,« sie wandte sich wieder an Marquardt, »ich selbst war es, die hierhergeführt zu werden wünschte!« Sie lächelte. »Uebrigens Ihnen scheint es hier auch nicht zu gefallen, und Sie sind doch auch hier!«
Heinz zögerte einen Augenblick mit der Antwort, dann kam es über ihn, als könnte er dieser Frau wenigstens einen Teil seines Unglücks anvertrauen, und mit kurzen Worten sagte er ihr, was ihn hierher und überhaupt in die Schlupfwinkel des Elends und des Lasters hineintrieb.
Sie schien ergriffen. Und leise, wohl mehr für sich selber, sagte sie:
»Also gibt es wirklich noch solche Treue?«
Und einen Moment nachsinnend setzte sie hinzu:
»Vielleicht kann ich Ihnen helfen! Besuchen Sie mich einmal! Ich wohne in der Maaßenstraße 87, parterre ... hier meine Karte!«
Und ihm das glänzende Kartonblatt, das sie einem goldeingelegten Perlmuttertäschchen entnahm, überreichend, befahl sie ihrem Begleiter, der mit einem bitterbösen Gesicht dabeistand:
»Holen Sie Egon!«
Der Kavalier saß hinten, mit dem Kriminalbeamten zur Seite, in der Nähe des Wirtes, der, sich für den Applaus bedankend, vom Tisch gestiegen war und eben die Geschichte seiner Narben zum besten gab.
»Drei Blaue waren et,« hörte Herr Schindler noch, »aber det kann ick sagen, Ha Jraf, wenn se ma ooch 'n derbet Stücke rausjehackt haben aus de Kohlrübe Kohlrübe = Kopf., so janz umsonst haben se det Vajniejen ooch nich jehabt! Der eene looft heite noch mit ohne Neese rum, un die beeden anderen haben ooch jeda ihre vier, fünf Wochen Charité jeschoben! Charité schieben = im Krankenhaus liegen. Wo ick zufasse, da quietscht et!« ...
»Madame läßt Sie bitten, Herr Graf!« kam der Jüngling im Pelz dazwischen.
»Was is'n det for 'ne Eule?« fragte Theodor, »ach so, pardong, Herr Jraf, det is 'n Bekannter von Ihn'! ... na, denn will ick nischt jesagt haben! ... Uff Wiedasehn! Uff Wiedasehn! Adjeh! ...«
Damit gingen die drei Eleganten, der Kommissar folgte ihnen, und Heinz Marquardt saß wieder allein.