Hartmann von der Aue
Iwein mit dem Löwen
Hartmann von der Aue

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Wer an rechte GüteMit dem schönen Gedanken, daß wer mit ganzer Kraft der Seele dem Guten nachstrebe sich Heil und Ehre erwerbe, beginnt und schließt der Iwein: sælde und êre sind der Inhalt des ersten Satzes und der letzten Zeilen. Chrétien von Troyes fängt gleich mit der Erzählung an, und schließt eben so.
Wendet sein Gemüthe,
Dem folgen Heil und Ehre.
Deß giebt gewisse Lehre

5   König Artus der Gute,
Der mit Rittermuthe
Ruhmwürdig konnte streiten.
Ihm ward bei seinen Zeiten
So herrlich Lob zum Lohne,
10   Daß er der Ehren Krone
Da trug, und trägt sie noch zur Stund.
Deß ward die Wahrheit kund,Der englische Chronist Gervasius von Tilbury sagt in seinen, zu Anfang des 13. Jahrhunderts geschriebenen »otia imperialia«, Arthur sei siegreich aber schwer verwundet aus seiner letzten Schlacht zur Insel Avallon gebracht, wo nach der Volkssage die Fee Morgana seine alljährlich wieder aufbrechenden Wunden immer aufs Neue wieder heile, und fügt hinzu, die Walliser hielten fest an dem Glauben, er werde im Lauf der Zeiten wieder in sein Reich zurückkehren. – Auch Johannes Fordun gedenkt dieser Tradition, und citirt Arthurs Grabschrift in der Kirche von Glastonbury:

»Hic jacet Arthurus, rex quondam, rexque futurus,«


Denn seine Landesleute
Sagen, er lebe noch heute.
15   Er hat den Kranz erworben:
Ist ihm der Leib gestorben,
Lebt doch sein Name fort und fort;
Kein Schimpf, kein lästernd Wort
Hat jemahls den versehrt,
20   Der noch auf seinen Wegen fährt.

    Ein Ritter der die Kunst verstand
Zu lesen, was er in Büchern fand,Hartmann rühmt sich mit einigem Stolz, lesen zu können, was weder Wolfram von Eschenbach noch Ulrich von Lichtenstein erreicht haben. Letzter erzählt in seinem »Frauendienst« wie ihm seine Fraue einen Brief sendet (bald nach der Hochzeit der Tochter des Markgrafen Leopold des Prächtigen 1234), den er mit großer Sehnsucht erwartet:

»Mein Schreiber war nicht bei mir, der mir meine heimlichen Briefe las und mir auch die meinigen schrieb, davon blieb das Büchlein zehn Tage ungelesen, es kam aber diese ganze Zeit nicht aus meinem Busen; wenn ich des Nachts schlief lag es nahe bei mir, denn ich wähnte es stünde von meiner Frauen etwas drin, das mich froh machen würde. In der Zeit kam mein Schreiber, ich nahm ihn in mein heimliches Zimmer, und bat ihn lesen was da geschrieben stand.«


Daß wenn er nach den Waffen
Sich Muße konnte schaffen,

25   Er oftmals auch der Dichtung pflag
Wie man gern sie hören mag,
Und Lust und Fleiß daran gewandt: –
Hartmann war er genannt,
Als Dienstmann auf der Au verpflichtet: –Das Geschlecht der Herren von der Aue ist erst 1730 ausgestorben; ihr Stammschloß Aue war eine der vielen gleichnamigen schwäbischen Burgen, vielleicht die in der Nähe von Horb am Neckar gelegne. Hartmann, nachdem er seinen geliebten Lehnsherrn verlohren, hat später das Kreuz genommen und ist (wahrscheinlich um 1228) mit Friedrich II. ins gelobte Land gezogen. Fast wörtlich übereinstimmend mit dem Eingang des Iwein sind die ersten Zeilen seines (älteren) armen Heinrich:
»Ein Ritter der die Kunst besaß,
Daß er in den Büchern las
Was er darin geschrieben fand;
Hartmann von Aue war er genannt:
5   Der hatte Fleiß und Müh' gespart
Auf gute Bücher mancher Art:
Die pflegt' er fleißig durchzusehn
Ob er ein Märchen fände stehn
Oder eine Sage,
10   Die am schlimmen Tage
Mit guten Sinnes Würze
Die trägen Stunden kürze.«

(Uebers. v. Simrock.)

30   Der hat diese Märe gedichtet.

    Es hatte König Artus wohl
In seinem Schloß zu CaridoelCaridol oder Karidoel lautet im Chrétien Cardeuil, und muß in der Bretagne gedacht werden; die englische Bearbeitung verlegt Artus Residenz nach Carlisle in Cumberland. Die Zeile lautet: ze Karidoel in sin hus.
Zu Pfingsten sich ein Fest geschaart,Maifeiern, Maispiele, Maigrafen, Mairitt und Maiwagen sind nicht nur alte deutsche Sitte, auch in Frankreich kannte man Maikönige, und in den erzählenden Gedichten des Mittelalters werden die großen Hofhaltungen der Könige auf Pfingsten und in die blühende Maienzeit verlegt. Man vergleiche den Anfang des Reinecke Fuchs.
Glänzend und reich, nach seiner Art:

35   So voller Pracht und Herrlichkeit,
Daß er nicht vor noch nach der Zeit
Irgend ein schön'res je gewann.
Gabs dort auch einen neidischen Mann
Von nicht'gem Sinn und wenig Werth,
40   So ward doch nie ein Hof verklärt
Zu keinen Zeiten, fern und nah,
Durch gute Ritter, so wie da.
Auch war ihnen dort gegeben
In aller Weis' ein erwünschtes Leben:
45   Nach Herzens Neigung dienten sie
Manch edler Magd und Frau allhie,
Den schönsten im Reiche weit und breit.
Es schmerzt mich wahrlich allezeit,
Und hülf' es, wollt ich's klagen,
50   Daß heut in unsern Tagen
Solch Frohseyn aus der Welt geschwunden,
Wie man's in jener Zeit empfunden.
Doch müssen wir auch jetzt uns freun!
Ich wollte da nicht gewesen sein
55   Und nun des Lichts entbehren,
Wo ihre Mär' zu hören
Uns noch erquicken mag und stärken:
Sie aber freuten sich an den Werken.

    König Artus und sein Gemahl,

60   Jedweder von beiden zumahl
Auf ihr Vergnügen war bedacht.
Am Pfingsttag als man das Mahl vollbracht,Mittagstafeln kannte das 13. Jahrhundert nicht, nur Morgen- und Abendmahlzeiten. Zehn Uhr Vormittags (davon diner) galt schon für eine späte Stunde. Das Frühmahl ward kurz nach der nüchtern gehörten ersten Messe eingenommen, und hieß vorzugsweise der Imbiß; die zweite Mahlzeit das Essen. Beide Tafeln fanden Statt in der großen Halle ( palas) und nach jeder ward abgedeckt und die Tische hinaus getragen. Vor dem Essen reichte man Wasser und Becken zum Händewaschen; auf der Tafel stand Salz, Pfeffer und Essig, und Rocken- und Weizenbrod wurden umhergereicht. Das Vorschneiden besorgte ein Knappe, oder wenn einem Gast besondere Ehre geschehen sollte, die Hausfrau, oder eine Jungfrau aus der Familie: im Parcival geschieht dies sogar knieend. Gäste erhielten vor dem Einschlafen noch einen Schlaftrunk auf ihren Kemenaten, und zwar trank man den Wein vorzugsweise gern mit Gewürz und Pflanzensäften gemischt, wie unsern Maitrank. – Auf den Gemälden zum hortus deliciārum der Äbtissin Herrad von Landsperg auf Hohenburg (herausgegeben von Engelhard 1818), die in den achtziger Jahren des zwölften Jahrhunderts gefertigt sind, sieht man Speisetische mit Teppichen und weißen Tüchern behängt; die Gäste sitzen auf langen Bänken mit Polstern und darunter gebreiteten Teppichen, der Hausherr auf einem Stuhl. Wilde Schweinsköpfe, Fische, Backwerk stehn in flachen offnen Metallschüsseln auf der Tafel. (Warmes Fleisch ward in der Regel nur Einmahl wöchentlich aufgetragen.) Der Wein befindet sich in halbkugelförmigen auf einen Fuß ruhenden Schalen, mit einem gleich gestalteten Deckel ( ciphus); zum Trinken dienen hölzerne Becher. Nirgendwo gebrauchen die Speisenden Teller; einmahl haben sie jeder ein Stück flaches Brod oder Kuchen vor sich liegen, der die Stelle derselben zu vertreten scheint; vermuthlich langte, wenn es keine trockne Speisen waren, Jeder in die Schüssel. Für Salz und Gewürz stehn Büchschen auf dem Tisch. Messer und zweizinkige Gabeln scheinen nur zum Vorlegen bestimmt, wenigstens hat keiner von den Gästen sie zum einzelnen Gebrauch vor sich liegen. Auch Löffel kommen auf diesen Gemälden nicht vor, so wenig als Suppe. Statt des Brodes liegen flache Kuchen, rund, halbmondförmig oder dreieckig auf den Tischen; auch Brezeln in der jetzt noch üblichen verschlungenen Gestalt.
Wählt jeder sich was auf der Welt
Ihm baß behagt und gefällt:
65   Die sprachen mit Frauen wohlgethan,Die Chronik Gottfrieds von Monmouth erzählt von Artus Krönung, wie die Helden seines Gefolges ritterliche Spiele getrieben. Die Frauen, von der Höhe der Mauer herabschauend erregten verliebten Wetteifer unter den Rittern; einige warfen kurze Spieße, andere Speere, andere schwere Felsstücke, einige spielten mit Steinen, einige mit Würfeln, und alle brachten den Rest des Tages mit mancherlei Ergötzlichkeiten hin.
Die rangen und schwenkten sich auf dem Plan,Dise banecten den lip: esbanier, esbanoyer, altfranzösisch für ergötzen, erlustigen.
Die tanzten, andre sangen,
Die liefen, andre sprangen,
Noch andre hörten Saitenspiel,
70   Die schossen nach dem Ziel,
Die sprachen von Mühsal und schwerer Zeit,
Die von Muth und kühner Tapferkeit.
Gawein prüfte sich Waffen,
Keye legt sich schlafen
75   Auf die erhöhten Stufen hin:
Auf Gemach ohne Ehre stand sein Sinn.

    Der König Artus und sein Gemahl,
Die hatten auch sich in dem Saal
Beide an der Hand gefaßt,

80   Und gingen durch den Palast
In der Kemenaten eine:Kemenate hieß ein einzeln stehendes Gebäude innerhalb der Ringmauer, auf ebner Erde stehend, und theils zum Wohnen, theils zum Schlafen bestimmt. So gab es gemeinschaftliche Schlafräume für die Männer und andere für die Frauen. Darum heißt: ze kemenaten gehn schlafen gehn. Erst nachdem der erste Bogen meiner Uebersetzung gedruckt war, kam mir der höchst anziehende und lehrreiche Aufsatz des Herrn Prof. H. Leo über Burgenbau und Burgen-Einrichtung in Deutschland vom 11. bis 14. Jahrhundert zu Gesicht. Ich kann allen Lesern des Iwein diese vortreffliche Abhandlung nicht genug empfehlen; sie steht im 8. Bande des historischen Taschenbuchs von Raumer. Hätte ich sie früher gekannt, so würde ich mir den modernen störenden Ausdruck Pallast nicht erlaubt haben; ich bitte deshalb die Stelle zu lesen wie folgt:

Keye legt sich schlafen
Auf ein Polster-Bettlein hin;
Auf Gemach ohne Ehre stand sein Sinn.
    Der König und sein Gemahl
Die hatten auch sich in dem Saal
An die Hand gefaßt,
Und gingen zu kurzer Rast
In der Kemenaten eine.


Da legten sie sich zum Schlaf, ich meine,
Wohl mehr noch aus Geselligkeit,
Als wegen träger Müdigkeit:
85   Und beide sie entschliefen hier.
Da blieben beisammen Ritter vier,Chrétien nennt die sechs Ritter in seinem Chevalier au Lion: Dodinez, Sagremors, Gauveins, Yveins, Keux und Calogrenanz. In der wälischen Erzählung des Mabinogion sind Iwein und Gawein die alten Helden des Landes Owain und Gwalchmai.

Gawein ist der auch im Parcival gefeierte Neffe des Königs Artus, Sohn des Königs Lot von Norwegen und der Margaf; sein Wappen ein weißer Hirsch auf goldnem Berge.


Dodines und Gawein,
Segremors und Iwein,
Auch lag daneben nahe bei
90   Der neidische ungeschliffne Key,
Außerhalb an der Wand:
Der sechste war Kalogreant.
Der begunnte eine Märe
Von großem Mißgeschick und Schwere,
95   Und wie er Sieg und Glück verfehlt.
Er hatte wenig noch erzählt,
Da erwachte die Königin,
Und horchte nach seinen Reden hin;
Ließ liegen den König ihren Gemahl,
100   Und vom Lager hinweg sich stahl.
Drauf kam sie also ruhig nah,
Daß Keiner von Allen sie ersah,
Bis sie hinzu gegangen leise,
Und stand mit Eins in ihrem Kreise.
105   Keiner als nur Kalogreant
Sprang ihr entgegen gleich zuhand,
Und neigte sich, sie zu empfahn.
Key aber, der widerspenstge Mann
Zeigt seinen alten Groll und Neid:
110   Ihm war des Mannes Ehre leid,
Darum schilt er ihn bitter,
Und meistert den guten Ritter.

    So sprach er: »Herr Kalogreant,
Uns war schon lange das bekannt,

115   Von allen Rittern fern und nah
Sei Keiner so fein und so courtois
Als Ihr Euch dünkt in Eurem Wahn:
Es sei Euch nicht zuviel gethan
Euch oben an zu stellen
120   Vor allen Euern Gesellen.
Euch gebührt der Preis allein,
Auch meine Frau gesteht das ein,
Sie kränkt Euch sonst an Eurem Recht.
Eure Tugend ist also echt,
125   Und Ihr dünket Euch so vollkommen!
Ihr habt Euch herausgenommen,
Und verlangt, ich weiß nicht was:
Keiner von uns ja wär' so laß,
Hätt' er die Königin erblickt,
130   Er hätte sich vor ihr gebückt,
Und grade so wie Ihr gethan.
Doch weil wir eben sie nicht sah'n,
Oder deß All' vergaßen,
Und sämmtlich stille saßen,
135   Mußtet Ihr sitzen, so wie wir.«

    Da trat die Königin herfür
Und sprach: »Mit solchen Sitten
Schadest Du keinem Dritten
Wie Du Dir selber Schaden thust,

140   Weil du jedweden hassen mußt
Dem irgend Ehre je geschicht.
Du enthebst Deines Neides nicht
Weder die Diener, noch die Gäste:
Dir ist der Böste der Beste,Böse bezeichnet im 13. Jahrhundert nicht was wir jetzt darunter verstehn, sondern das Gegentheil von vrum, tüchtig, brauchbar, trefflich: also gemein, werthlos, schlecht, gering. »Mein böser Sinn« heißt »mein geringes Talent.« Ich habe gewagt die Alliteration beizubehalten, weil sie sehr häufig vorkommt. Ulrich von Lichtenstein sagt von sich: ich war (beim Turnier) nicht der Beste und auch nicht der Böste. Eben so Parcival 375. 7. Auch Grimm citirt die Zusammenstellung in den R. A. – Daß die Königin Keye in ihrer Strafrede duzt, verstärkt die Wirkung.
145   Und der Beste der Böste.
Eines Dings ich Dich getröste,
Du bringst hier Keinen aus dem Gleise:
Wir kennen Deine gewohnte Weise,
Dir sind die Bösen willkommen,
150   Und widerwärtig die Frommen.

    Dein Schelten ist ein Preisen
Aller Werthen und Weisen.
Hättst Du Dein Gift behalten,
Es hätte Dein Herz zerspalten;

155   Denn wir wissen nur allzuwohl,
Du bist der bittern Galle voll,
In der Dein Herze lebt und webt,
Und Deiner Ehre zuwider strebt.«

    Herr Key solch Schelten nicht vertrug:

160   Er sprach: »Fraue, nun ists genug;
Ihr habt mirs überviel gesagt.
Wenn Ihr mit Maaß mich angeklagt,
Das ziemte Euerm Namen wohl.
Ich empfahe gern, so wie ich soll,
165   Euern Tadel und Meisterschaft:
Doch Eure Red' hat zuviel Kraft.
Ihr habt einem getreuen Mann
An seiner Ehre zuviel gethan:
Auf solches war noch Keiner gefaßt,
170   So herbe Zucht macht Euch verhaßt.
Ihr strafet mich als einen Knecht,Knecht steht hier dem Ritter entgegen; sonst heißt es in weiterer Bedeutung jeder junge Mann der die Waffen trägt, auch wenn er Ritter ist.
Und Gnad' ist besser doch denn Recht.
Ich hab' Euch Nichts der Art gethan,
Das nicht Verzeihung dürft' empfahn:
175   Wär' etwa größer mein Verschulden,
Ihr ließet mich den Tod erdulden!
Ich bitt' Ihr wollet Nachsicht üben,
Mich nicht durch so viel Zorn betrüben;
Euer Haß ist zu ungnädig,
180   Und aller Milde ledig.
Euerm Tadel will ich mich beugen,
Wollt' Ihr forthin nur schweigen.
Meine Schuld gesteh' ich ein,
Und hoff' er werde mir verzeih'n.
185   Wir aber woll'n mit Nichten
Auf seine Mär' verzichten;
Er ende sie um Euretwillen,
Ich will meine Zunge stillen.«

    So sprach darauf Kalogreant:

190   »Es ist mit Euch also bewandt,
Daß Niemand dran ein Wunder findt,
Wenn Ihr Euch feindlich zeigt gesinnt.
Mir ist gewiß des kund,
Es redet Niemands Mund
195   Anders, als ihn sein Herze lehrt.
Hat Eure Zunge Wen entehrt,
Das Herze trägt die Schuld daran.
In der Welt lebt mancher Mann
Falsch und aller Treue baar,
200   Der gern für bieder gölt' und wahr,Biderbe, häufig mit vrum zusammen gestellt, heißt ursprünglich brauchbar, comme il faut, wie man's bedarf; daher brav, tüchtig, verständig.
Wenn sein Herz es ihm litte.
Wer Euch mit Warnung bestritte,
Verlohren hätt' er Müh' und Zeit:
Ihr sollt Eure Gewohnheit
205   Für Niemand unterbrechen.
Die Hummeln müssen stechen,
Und ist ganz billig, daß der Mist
Stinke, wo er ist:
Die Horniß summt, das wird nicht fehlen.
210   Ich möchte fürwahr nicht zählen
Auf Euer Lob und Genossenschaft,
Denn Eure Red' hat keine Kraft.
Auch werd' ichs nimmer entgelten
Wie Ihr mich möget schelten;
215   Was solltet Ihr mir's ersparen?
Manch Bess'rer mußt' es erfahren.
Doch soll man noch zu dieser Zeit,
Und allermeist weil Ihr da seid,
Meiner Erzählung entbehren:
220   Meine Fraue muß mir's gewähren
Daß ich Des überhoben sei.«

    Da sprach der Herre Key:
»Ich will gewißlich diesen Herrn
Nicht stehn im Wege: das sei fern,

225   Denn Keiner hat sich an Euch vergangen.
Meine Frau soll drum von Euch verlangen
Daß Ihr uns saget Eure Märe.
Wenn das nicht recht so wäre,
Müßten sie Alle darunter leiden.«
230   Da sprach die Königin zu Beiden:

    »Herre Kalogreant,
Euch ist an ihm das wohl bekannt,
Und wißt schon längst das alte Lied,
Wie ihn sein schlimmes Gemüth

235   Viel oft schon hat entehrt,
Und daß sich Niemand kehrt
An seine Bosheit und seinen Spott.
Es ist meine Bitt' und mein Gebot
Daß Ihr sagt Eu're Märe';
240   Weils ihm eine Freude wäre;
Hätt' er uns die Red' entwandt.«

    Da sprach Kalogreant:
»Wie Ihrs gebietet ists geschehn.
Und wollt Ihr nicht davon abstehn,

245   Hört willig zu, und gebet Acht,
Damit habt Ihr mich dienstbar gemacht.
Ich erzähle um so lieber Viel,
Wenn man fleißig aufmerken will.
Wohl mancher umsonst zu reden trachtet,
250   Wenn Keiner auf ihn horcht und achtet:
Viele bieten die Ohren dar;
Sie solltens im Herzen machen wahr,
Sonst bleibt allein der leere Schall,
Und tragen den Schaden beide zumahl,
255   Der da zuhört, und der erzählt,
Wenn jeder bei seiner Arbeit fehlt.
Wollt Ihr jetzt Gehör mir schenken,
Ich werd' Euch nicht mit Lügen kränken.

    Es geschah mir, das ist wahr,

260   Es sind nun an die zehen Jahr,
Daß ich auf Abenteuer ritte
In voller Wehr, nach meiner Sitte,
Nach Bresilian, in den Wald.Ze Breziljân; bei Chrétien la forêt de Brocéliande, im Parcival Prezlian, bretagnisch Broch-Alléan; Wace im Roman de Rou (zweite Hälfte des 12. Jahrh.) nennt ihn Bréchéliant:

Dunc Bretunz vout sovent fablant,
Une forêt mult longue e lée
Ki en Bretaigne est mult loée.


Da waren die Wege mannigfalt,
265   Drum wandt' ich mich zur rechten Hand
Auf einen Fußpfad, den ich fand,
Der war viel rauh und enge.
Durch Dornen und Gedränge
Zog ich entlang den ganzen Tag,
270   Daß ich fürwahr wohl sprechen mag,
Nie fand ich mehr Beschwer und Müh
Auf ungebahntem Pfad' als hie.
Als es nun an den Abend ging,
Ein breit'rer Weg mich da empfing
275   Der trug mich aus der Wilde,
Und führt' in ein Gefilde,
Dem folgt' ich eine Weile,
Nicht ganz eine Meile,
Bis daß ich ersah ein Schloß,
280   Und dort zu rasten mich entschloß.
Ich ritt bis an des Burghofs Thor,
Da siehe! stand ein Ritter davor;
Er hatt' als ich ihn stehen fand
Einen Mauserhabicht auf der Hand:
285   Ich erkannt ihn als des Schlosses Herrn.
Als der mich kommen sah von fern
Zur Burg heran geritten,
Hub er nicht an zu bitten;
Er ließ mir nicht die Muße
290   Daß ich zu seinem Gruße
Vollständig konnte kommen,
Eh' er mir abgenommen
Den Stegreif und den Zaum.
Und als ich abgestiegen kaum,
295   Kam er so liebreich mir entgegen,
Daß Gott dafür ihm schenke Segen.
–               –               –               –
–               –               –               –

    Nun hing eine Tafel vor dem Thor

300   An zwo Ketten empor:
Daran schlug er mit starkem Schall,
Weit durch die Burg erklang der Hall.

    Da dauert' es gar wenig lang,
Und hervor aus den Pforten sprang

305   Des Burgherrn Ingesinde,
Schöne und junge Kinde,Nach zurückgelegtem siebenten Jahr pflegte der gesammte junge Adel, der Sohn des Edelmanns wie der des Fürsten, auf der Burg eines Ritters seinen Dienst zu lernen; im vierzehnten Jahr wurden die Knaben Knappen, und im 21. Jahre pflegte die Ritterwürde verliehen zu werden. Kint, Knappe, Garzun und Junkherr bezeichnen, was wir Page nennen würden; von solchem jungem Ingesinde wird Kalogreant empfangen.
Jungherrn in feine Gewande
Gekleidet nach ihrem Stande;
Willkommen hieß mich der ganze Troß.
310   Mich selber und auch mein Roß
Haben sie trefflich in Acht genommen.
Darauf gar lieblich sah ich kommen
Da ich in die Burg einging,
Eine Jungfrau die mich empfing;
315   Ich meine noch, und meint' es da,
Daß ich kein schön'res Kind je sah:
Die entwaffnete mich.
Und Einen Schaden klage ich,
Das mochte mir wohl geziemen:
320   Daß am Helm die RiemenKnöpfe und Knopflöcher kannte man nicht im Mittelalter. Alle Kleider, und namentlich die Panzerhemden, (Halsbergen) werden geschnürt (genäht), und es bedarf daher der Hülfe eines Andern, um einen Ritter ohne Unbequemlichkeit zu entwaffnen. Auf den Kupfertafeln zum hortus deliciarum sieht man sehr deutlich, wie die Eisenmaschen der Beinbekleidung hinten an Schenkel und Wade zusammengeheftet sind. – Nach dem Entwaffnen war das Waschen vor allen Dingen nöthig, weil die Eisenringe der Halsberge und ihrer Kappe, wo sie Hals und Stirn berührten, einen schwarzen Streif von Rost und Staub zurückließen. Dann reichte man dem Gast leinene Unterkleider und einen Mantel. Statt des Waschens wird oft ein vollständiges Bad erwähnt, bei welchem (wenigstens in den Dichtungen) edle Frauen und Jungfrauen dienstlich sind. Ob diese homerische Sitte im wirklichen Leben Statt gefunden, wage ich nicht zu entscheiden. Mit unserm Kalogreant werden wenigstens nicht so viel Umstände gemacht.
Also kurz und leicht zu lösen sind,
Daß das vielwerthe junge Kind
Alsbald ein Ende daran fand.
Es ging zu schnell ihr von der Hand;
325   Ich wünschte, sollt' es immer sein!
Ein scharlachnes MänteleinScharlach hieß ein kostbarer wahrscheinlich seidener Stoff aus dem Morgenlande: an die Farbe, die wir jetzt Scharlach nennen, ist nicht zu denken, denn im Wigalois wird (8871) brauner Scharlach erwähnt.

Die Männer waren derzeit der Kleiderpracht eben so ergeben wie die Frauen, und in Ulrichs Frauendienst, wie in allen erzählenden Gedichten des Mittelalters spielt die Kostbarkeit der Stoffe und die Schönheit der Zimirung eine große Rolle. Vom Iwein heißt es, als er zum ersten Mahl den Brunnen vertheidigt, er sei wie ein Engel geziert gewesen; Siegfrieds schwarzsammtner Rock, sein Zobelhut, die reichen Borten an seinem Köcher, oder Parcivals Londoner Pfauenhut stehn nicht hinter dem Frauenschmuck zurück. Mancher sehnt sich, sagt Joinville, mehr nach einem Marderpelz als nach der ewigen Seligkeit; der Gedanke scheint nicht von ihm, denn aus den Gemählden der Herrad fällt gleich von den ersten Stufen der Himmelsleiter ein junger Krieger hinunter, weil er nach einem schönen mit Grauwerk gefütterten Mantel schielt. – Ebendaselbst besteht die Hauskleidung aus einem weiten leinenen Unterbeinkleid, – zwei bis zur Hüfte reichenden, und an jene befestigten farbigen Strümpfen (welche damals Hosen genannt wurden), – und einer engen Tunik mit anliegenden Ermeln, die bei Fürsten bis zum Knöchel, bei weniger Vornehmen bis zur Wade, bei geringen oder ganz jungen Leuten bis zum Knie reicht. Sie kommt in allen Farben vor, meist mit Borten am untern Saum und am Handgelenk besetzt, zuweilen auch der Länge nach in zwei Farben getheilt. Ueber diesen, um die Mitte des Leibes mit einem Gürtel zusammen gehaltenen Rock tragen dann Fürsten und Vornehme noch den oben erwähnten mit Pelz gefütterten Mantel ohne Ermel, welchen ein metallner Knopf auf der rechten Schulter oder vorn am Halse zusammenhält. Man sieht, wie sich das spätere römische Costüm, die Ermeltunik und die Chlamys noch bis Ende des dreizehnten Jahrhunderts neben der nordischen Beinbekleidung erhielten. – Die Schuhe reichen bis über den Fußknöchel hinaus und scheinen geschnürt, oder mit einem mehrmals um das Bein gewundenen Riemen befestigt.


Gab sie da mir an:
Ich war ein viel betrübter Mann
Daß sie mein Auge je gesehn,
330   Als ich zu scheiden mußte gehn.

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