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Ich übergebe meinen Lesern die vorliegende Arbeit mit der Scheu, die etwa ein Zeichner empfinden wird, der sich an die Copie eines alten Gemäldes in hellen Farben auf Goldgrund gewagt hat; die Innigkeit und Zartheit des Colorits werden ihm für den Stift unerreichbar dünken, und der Farbenreiz des Originals durch Treue des Umrisses nicht zu ersetzen. Dennoch halte ich den Versuch einer Uebertragung des Iwein in unser modernes Deutsch für nicht minder statthaft, als eben die Uebersetzung eines Bildes durch den Stich, und hoffe daß sie Manchem willkommen sein möge, der nicht Muße hat das Gedicht in der alten Form zu lesen. Ich habe wohl mitunter die Behauptung aufstellen hören, die mittelalterlichen Helden- und Rittergedichte seien für einen geübten Vorleser ohne viele Umstände in ihrer alten Sprache verständlich vorzutragen: das mag mit den Nibelungen möglich sein, wenn auch immer nur auf Kosten der Einheit und Harmonie des Textes; mit dem Parcival und Iwein ließe sich ein solcher Versuch gewiß nicht ausführen. Wie leicht die Sprache und Construction des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts auf Glatteis führen, davon wird sich jeder kundige Leser bald überzeugen. Hat doch der ehrenwerthe Herr Carl Michaeler, Custos auf der Universitäts-Bibliothek zu Wien, der im Jahr 1786 eine Uebersetzung des Iwein in Prosa drucken ließ, die unglaublichsten Mißverständnisse sich zu Schulden kommen lassen, die nicht immer auf Rechnung seines incorrekten Textes fallen; und doch fehlte es ihm sicher nicht an gutem Willen und Liebe für seinen Autor. Sein Styl ist übrigens von der ergötzlichsten Art, und die ganze Arbeit braucht keinen Nachfolger abzuschrecken. So heißt es V. 2717: »Zu der Jungfer Lunete mit Nahmen, die sich durch ihr so vernünftiges Betragen ausgezeichnet hatte, daß sie den Herrn Iwein mit ihrem fündigen Witze in so beschwerlichen Umständen rettete, ging Herr Gawein in die Visite, und dankte ihr oft recht sehr.« Hier ist wenigstens der Sinn nicht verfehlt; was soll man aber sagen, wenn er die Zeile: »unser kein was so laz« (V. 128.) also wiedergiebt: »daß Keiner von uns dergleichen in Jahrbüchern las?« Solcher falschen Auffassungen kommen unzählige, oft ganz sinnentstellend, in seiner Verdollmetschung vor, die mit mehr Einsicht und Verständniß einem spätern Uebersetzer recht willkommen hätte sein können. Aehnliche Verstöße aber würde mehr oder minder, Jeder machen, der ohne Wörterbuch und Noten den Hartmann zu lesen unternehmen wollte. Uebrigens bleibt Michaelern das Verdienst, der Erste gewesen zu sein, der den Iwein durch den Druck bekannt machte. Er gab im Jahr 1776 das erste Drittheil des Gedichts heraus; und auf solcher Höhe stand damals die Kritik in Deutschland, daß man anfangs diese Mittheilung für eine Mystification und ein von ihm erfundenes Machwerk hielt.
Mein Bestreben ist gewesen, bei dem vorliegenden Versuch möglichst treu den Ton des Originals beizubehalten; mir war deshalb sehr willkommen, daß die Herren Kurtz und Simrock in ihrem Tristan und Parcival vielen alten Wendungen und Worten schon das Bürgerrecht gesichert haben. – Die Reimstellung, welche selten, und nur bei einzelnen Ruhepunkten den Satz mit dem Reim abschließt, und dadurch der Erzählung eine eigenthümlich lebhafte Bewegung verleiht und die kurzen Zeilen nicht monoton werden läßt, habe ich möglichst treu beizubehalten gesucht, und mich so viel sich's thun ließ, weiblicher Reime bei Zeilen von vier Hebungen enthalten; ganz lassen sie sich jedoch nicht vermeiden, und kommen mitunter auch im Original vor.
Wenn meine Uebersetzung dem alten Gedicht einige Leser mehr zuführt, so ist der Hauptzweck meiner Aufgabe erreicht. Gewiß wird Keinen die Mühe gereuen, die überdem durch die vortreffliche Ausgabe von Benecke und Lachmann und das von ihnen besorgte Wörterbuch so sehr erleichtert worden ist. Wer nur einigen Sinn für das dreizehnte Jahrhundert mitbringt, der wird Gefallen finden an dem einfachen und doch so rührenden Gange der Geschichte, an der lieblichen Klarheit und Gemüthlichkeit der Darstellung, und der großen Leichtigkeit der Sprache bei aller logischen und grammatischen Strenge; Hartmann's naive Grazie und die feine Anmuth, mit welcher hie und da seine eigene Persönlichkeit hervortritt, müssen ihm Freunde gewinnen. Ich stelle (darin mit Herrn v. Raumer übereinstimmend) den Iwein nicht auf gleiche Höhe mit der Schönheit des Tristan, noch mit dem Tiefsinn des Parcival; es ist eben Moselwein, nicht Johannisberger oder Rüdesheimer. Wenn aber Gervinus die Einförmigkeit der Abentheuer tadelt, deren glückliches Ende sich immer voraussehen lasse, oder wenn er den Wankelmuth der Laudine empörend findet, (den Hartmann selbst nicht ohne eine leise Ironie vorträgt), so trifft seine Rüge die Erfindung, nicht den Erzähler. Im dreizehnten Jahrhundert getraute ein Dichter sich nicht den vorgefundenen Stoff zu ändern, oder die Begebenheiten zu motiviren. So sagt Lamprecht in seinem Alexander:
Nieman ne schuldige mich, Alse daz buch saget, so sage auch ich. |
Eben so erklärt Wirnt von Gravenberch, er wolle ein mære sagen, so wie es ihm gesagt sei. Hartmann hielt sich, wie der Tonsetzer eines Chorals, streng an die gegebene Melodie; zu dieser aber hat er mitunter sehr anmuthige Harmonieen gefunden, und schildert einzelne Gruppen so lebendig und fast dramatisch, daß man sich fragt, ob eine Auffassung, wie etwa die des geizigen Burgherrn in Gaweins Warnung, die fast an den Gegensatz deutscher Studenten und Philister erinnert, nicht heutigen Tages eben so wohl passe, als vor sechshundert Jahren? Herr von Raumer (in der neuen Ausgabe seiner Hohenstauffen) vermißt die deutsche Nationalität am Parcival, Titurel, Tristan und Iwein, und tadelt die Hinneigung zur französischen fremdartigen Poesie, die unter Kaiser Friedrich II. eben so in Deutschland eingedrungen sei wie unter König Friedrich II. Darüber hätte unsre jetzige Zeit am allerwenigsten das Recht dem dreizehnten Jahrhundert Vorwürfe zu machen. Ist denn aber die Auffassung des ausländischen Stoffs, sind die herzliche Innigkeit, mit welcher Freundschaft und Liebe geschildert werden, das frische Wohlgefallen an Kampf und Sieg, die tiefe Reue des Ritters nicht von ganz deutscher Art? Oder würden wir an Eycks und Hemmlings Bildern tadeln wollen, daß sie biblische Geschichten und jenseits der Alpen geborne Heilige darstellen, und sind sie deshalb weniger deutsch? War es ein Unrecht an England, daß Shakespear nach einer italienischen Novelle seinen Romeo gedichtet? –
Hartmann entlehnte seine Erzählung dem Chevalier au lion des Chrétien de Troyes, der vor 1190 schrieb, und wahrscheinlich bretagnischen Bearbeitungen folgte, die die walisischen Namen französirt hatten. Im Thatsächlichen schließt er sich genau seinem Vorbilde an, und weicht nur in den reflektirenden Stellen von ihm ab. Später als Hartmann hat dann noch Ulrich Fürterer den Iwein besungen; ferner ein englischer Bearbeiter aus dem vierzehnten Jahrhundert und auch ins Isländische, Schwedische und Dänische ward die Erzählung übertragen.
Um vieles anziehender aber als diese Wiederholungen ist die walisische Ueberlieferung, welche San Marte in seiner Arthursage unter dem Nahmen der Dame von der Quelle aus dem Mabinogion der Lady Charlotte Guest hat abdrucken lassen, und die ich allen Lesern des Iwein zur Vergleichung mit dem deutschen Gedicht empfehle. Ich getraue mir nicht die Frage zu entscheiden, ob, wie Simrock in seinem Parcival annimmt, diese walisischen Märchen erst später wieder in ihr Vaterland zurückverpflanzt seien, mit absichtlicher Beimischung nationaler Lokaleigenthümlichkeiten und Nahmen; von der Dame des Brunnens glaube ichs nicht. Gewiß ist, daß die Helden jener Erzählungen ohne jene Färbung von Courtoisie, Ehre und Glaubenseifer geschildert sind, die so charakteristisch für die französische und deutsche Auffassung ist, und daß sie uns Kämpen, nicht Ritter darstellen. Daß aber in den Romanen vom Artus und der Tafelrunde Wurzel und Kern brittisch und nicht französisch sei, sieht auch Herr von Raumer als erwiesen an, und eben so zweifelte Benecke nicht einen Augenblick daran, celtischen Ursprungs seien alle jene Feen, Riesen, Zauberquellen, kurz die ganze Mythologie dieser Gedichte.
Hartmann's Iwein muß vor 1205 vollendet worden sein, da Wolfram von Eschenbach im Parcival auf ihn anspielt (253. 10. und 583. 29.) Außer einzelnen Liedern dichtete er ferner, und zwar früher als den Iwein, noch drei Erzählungen: den Erek (der in der Sprache weit hinter diesem zurücksteht), den aus einer geistlichen Legende entnommenen Gregor und den armen Heinrich. Letzten tadelt Herr v. Raumer und nennt das höchst rührende, feine und auch in der Erfindung ganz deutsche Gedicht herbe, unangenehm, widerwärtig, »weil die ganze Aufgabe, die Heilung eines Aussätzigen durch die aufopfernde Treue eines jungen Mädchens, der reinen lichten Schönheit entbehre, welche allein einem Kunstwerk die ächte und höchste Verklärung gebe.« Göthe (Bd. 32. S. 73.) versichert sogar, »er habe sich vom bloßen Berühren dieses Buchs schon angesteckt geglaubt, und ein Jahrhundert, das solche Motive sich gefallen lasse, müsse uns durchaus mit Abscheu erfüllen.« – Ich denke, er hat darin grade eben so Recht, als da er, derselbe Göthe, der in Straßburg den Aufsatz über den Erwin schrieb! – sich in Vicenza und Venedig für die Façaden des Palladio begeistert und ausruft: er freue sich, die kauzenden aus Kragsteinlein geschichteten Heiligen der gothischen Zierweisen, die Tabackspfeifen-Säulen, spitzen Thürmlein und Blumenzacken » auf ewig« los zu sein. Vielmehr möchte ich allen meinen Freunden und Freundinnen, selbst den Nervenschwachen, dringend empfehlen, toleranter zu sein, sich durch jene kunstrichterlichen Warnungen nicht abschrecken zu lassen. Wenn sie die Geschichte des Hiob ertragen haben, stehe ich ihnen dafür ein, daß sie die Erzählung vom armen Heinrich in der Grimm'schen Uebersetzung nicht nur ohne Widerwillen, sondern mit Anerkennung und Rührung durchlesen, und keinen Anstoß irgend einer Art finden werden, als den das Nennen der Krankheit mit sich bringt.
Ich führe zum Schluß noch die schöne Stelle in Gottfrieds Tristan hier an, in welcher er seines Vorgängers gedenkt:
Herr Hartmann von der Auen, Ah! der kann Mären bauen, Und kann sie außen und innen Mit Worten und mit Sinnen Durchfärben und durchschmücken! Wie seine Reden zücken Recht auf der Aventüre Sinn! Wie fließen rein und lauter hin Seine krystallenen Wortelein! Sie sind's und mögen's immer sein; Sie treten sittig zu dem Mann, Und schmiegen sich dem Herzen an, Und heimeln Einem reinen Muth. Wer gute Rede kann für gut Verstehn und recht erfassen, Muß dem von Aue lassen Sein Reis und seinen Lorbeerkranz. |