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XIV.

»Ich brauche Geld für meine Armen,« sagt Onkel eines Morgens beim Kaffeetisch, »macht doch ein Kirchenkonzert, Kinder!« Begeistert fassen wir diesen Gedanken auf, der Tag wird festgesetzt, wir halten Beratungen übers Programm, eine fieberhafte Tätigkeit beginnt Quartette, Duette werden geübt, Programme werden geschrieben. Knaben aus dem Waisenhause, Onkels Privattruppen, stürzen wichtig mit Konzertanzeigen von Haus zu Haus. Außer unsern Hausmusikanten wirken noch Sommergäste mit. Es ist direkt erstaunlich, was schließlich zusammenkommt; und wenn jetzt eins von den alten Programmen mir in die Hände fällt, wundere ich mich darüber, was wir im kleinen Städtchen alles zusammenbrachten, wie reichhaltig und wie künstlerisch doch die Programme waren. Ich war immer die Gesangssolistin der Konzerte, und mit größerer Andacht, Freude und Liebe habe ich wohl nie in meinem Leben später gesungen, als in dieser anspruchslosen kleinen Kirche mit den begeisterten, dankbaren Zuhörern.

Die Tage vor dem Konzert waren Festtage, die Proben in der Kirche waren schon voll Freude und Weihe, und man wurde so unbeschreiblich verwöhnt, mehr noch als sonst.

In Onkels großem Schrank steckten die schönsten Bonbons, Jenny winkte mich in die Küche, wo lauter Leckerbissen für mich brieten und backten.

Endlich kam der Tag heran. Wagen auf Wagen rollten vom Lande über das holprige Straßenpflaster, und man kannte sie alle, die alten, schwerfälligen Kutschen, die leichten Kaleschen, die einfachen kleinen Landwagen. »Ach, die Kaltenbrunnschen, die Öthelschen, die Kerroschen!« Keiner fehlte. Und nun war die Stunde da, die Vettern zogen in ihren besten Röcken an »die Kasse« zum Billetverkauf. Onkel in seinem schwarzen Staatsrock, sogar mit hohem Stehkragen, nahm mit einem Segenswort von mir Abschied und ging am Arm seiner Frau, die im grauen Seidenkleide gar stolz und prächtig einherschritt, über den Marktplatz. Dann folgte ich, mit Herzklopfen, begleitet von Vetter Hermann, der bei solchen Gelegenheiten mein Ritter war. Oft denke ich an diese anspruchslosen Konzerte zurück, wenn ich in den Konzertsälen der großen Städte berühmte Künstler höre, und dann mein Blick das elegante, müde Berliner oder Londoner Konzertpublikum streift, das oft so gelangweilt auf seinen Plätzen sitzt. Für das Publikum, das hier Kopf an Kopf für billiges Eintrittsgeld in der kleinen Kirche saß, bedeutete solch ein Konzert das Ereignis des Jahres. Wie manche arme Schneiderin, wie manch einfacher Handwerker hatte sich allerlei entzogen und versagt, nur um sich dieses Konzert zu gönnen! Und wenn ich: »Sei stille dem Herrn und warte auf Ihn« mit meiner ganzen ahnungslosen Seele sang, dann trocknete sich manche Hand still die Träne, die über vergrämte Wangen floß, und manche Seele nahm die Töne und Worte hinüber in die Not und das Grau ihres Alltags!

So müßten Konzerte gegeben und empfangen werden! Als Lichtpunkte, als Freude, als Feste! Glücklich im Nehmen, glücklich im Geben! Und wenn dann der letzte Ton verklungen war und man heimkam, o welche Stunden waren das!

Alles was befreundet und bekannt war, kam nach dem Konzert zu uns, man besprach mit heller Begeisterung jede Nummer, Onkel holte seinen alten Goldpokal hervor, der, mit köstlichem Rheinwein gefüllt, von Hand zu Hand ging.

Abends gab es ein Festessen, und dann zum Schluß noch einen Liederabend von mir im großen Wohnzimmer, mit Hermanns Begleitung am alten Tafelklavier. Und ich sang und sang, die Dichterliebe, Frauenliebe und Leben, Schön-Rothraut und all die geliebten alten, unvergänglichen Lieder. Die Fenster standen weit offen, denn ein noch größeres Publikum hatte sich auf der Straße versammelt. Beifallsstürme klangen von draußen herein, Blumen flogen durch die offenen Fenster! Und ich mitten drin, so voller Freude, geben, nehmen zu dürfen, mit dem festen Glauben: das ist ja nur der Anfang, so muß das Leben nun doch weitergehen, und noch schöner, noch herrlicher werden! Wenn ich mein Leben erst ganz der Kunst würde weihen dürfen, dann würde das Herrlichste ja erst noch kommen. Ich wußte es nicht, daß das die sonnigsten Zelten meines Lebens waren, die ich eben lebte, die schönsten und glücklichsten.

Ich wußte es nicht, daß ein Dilettant nur die Rosen in der Kunst pflückt, während der Künstler viel mehr Dornen als Rosen erntet. Wohl hat er auch Feierstunden höchsten, seligsten Glückes, wohl empfängt er auch Rosen schönster Art, aber oft ist sein Fuß von den Dornen, auf denen er seinen Weg machen mußte, so zerrissen, sein Herz so wund, daß auch die Freuden, die er empfindet, leicht einen Unterton von Schmerzen haben, well sie zu schwer erkauft sind. Wie der Dichter Hermann Hesse, ein Großsohn dieses Hauses, es ausspricht:

»Keiner weiß, daß dieser bunte Kranz,
Den die Welt mir lachend drückt ins Haar,
Meines Lebens Glück geraubt und Glanz,
Ach! und daß das Opfer unnütz war.«

Aber wem hätte ich das geglaubt? Niemandem! und es ist gut, daß es so ist, denn das heißt leben, selbst hinein ins Leben gehen, es kennen lernen in Höhen und Tiefen, in seiner Armut und seinem Reichtum, und dann einmal sich zur Ruhe legen dürfen und sagen: »Es war gut, wie es war, denn ich habe gelebt.«


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