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VIII.

»Heute haben wir einen Plan,« sagt Georg; »wir wollen die Nacht in den Steinbrüchen in Müntenhof zubringen, und erwarten dort den Sonnenaufgang. Wir halten uns ganz still, bis die Alten schlafen, dann ziehn wir los.«

Ich bin so aufgeregt, daß mir die Freude wie ein Strom durch alle Adern rauscht, ich kann mich gar nicht beherrschen.

Wie lang dieser Tag doch ist!

Endlich ist das Haus still, alles ruht.

Wir treffen uns heimlich im Garten, alle sind wir da: »Tante Fritzchen,« den Jahren nach unsere Älteste, dem Herzen nach unsere Jüngste, hat den stolzen Ruhm, unsere »Ehrendame« zu sein. – Wir ziehen flüsternd, lachend durch die lichte Sommernacht, an den stillen Gärten, an den schlafenden Häusern der Stadt vorbei, hinaus in die schweigenden Felder, in den Wald mit den Steinbrüchen.

Wir kennen dort eine tiefe Höhle, über ihren Eingang hängen Brombeerranken und das Wurzelgeflecht der Bäume. Große Steine liegen darin verstreut.

Ein Feuer wird am Eingang entzündet, die Höhle wird behaglich eingerichtet. Plaids werden auf die Steine gebreitet, eine Weinflasche mit Gläsern wird hervorgeholt, Konfekt auf Klettenblättern geordnet.

Nun brennt das Feuer und wirft seinen Schein weit hinein in die Dunkelheit der Wälder; beleuchtet unsere jungen, frohen Gesichter. Alles hat sich gelagert, die Gläser werden gefüllt. Wir singen, plaudern, lachen, sind auch ernsthaft, diskutieren über Lebensanschauungen, über Leiden, über Heine und Goethe. Die Vettern und Bruder Karl halten Reden, fortreißende, stürmische, über das Glück, über die Freude, sie deklamieren ihre Gedichte. Karl, Samuel, Georg sind Dichter.

Die Stimmung wird immer begeisterter; Georg erhebt sich, er hat ein Gedicht gemacht, das die Stimmung dieser Nacht ausspricht, er steht da, hell vom Feuer bestrahlt, er hebt sein Glas:

»Da, das Glas, du träumender Geselle,
Sieh', ich bring' es dir mit heiterm Gruß!
Trink' ihn aus mit vollen, durst'gen Zügen,
Dieser nächt'gen Stunde Hochgenuß.

Durch den weiten Bogengang der Grotte Schimmert bleich die helle Nacht herein, Halbgestürzte Waldesriesen hangen Müde über bröckelndem Gestein. Draußen stille Sommernacht. Wir sitzen Um ein prasselnd Feuer, froh gesellt. Wie der Rauch sich aufballt, düster glühend, Von der Flammen roter Glut erhellt!

Da, das Glas, du träumender Geselle! Draußen Nacht und drinnen helle Glut! Scheite drauf! und gieß den Wein hinunter, Frühlingstrunken ist mir schon zumut!«

Schön und strahlend steht er da, in der Kraft und im Glanz seiner Jugend, mit dem Herzen voll stürmischer Lust am Leben.

Ein Menschenkind, geschaffen, um Freude und Licht zu tragen, dort, wo er hinkam, und – er brach die Herzen derer, die ihn liebten!

Hätte er als Ritter durch die Welt ziehen können, auf Abenteuer aus, mit dem Handschuh seiner Dame als Helmzier, beim Turnier in die Schranken reiten, Drachen töten, gefangene Jungfrauen befreien, oder als Troubadour mit der Zither im Arm bei rauschenden Brunnen an heimlichen Söllern stehen und singen, das wäre sein Leben gewesen! Aber arbeiten, lernen, Examina machen, einen bürgerlichen, soliden Lebensberuf ergreifen, das konnte er nicht! Aber Gott fand diese Seele, die trotz allem Leichtsinn so voller Schönheit war. Er ging ihr nach, er zerbrach sie in ihrem Glanz, bis sie sein Eigentum war, und, groß und ritterlich kämpfend, den Weg des Leidens ging, und dann heimgehen durfte, dorthin, wo Irren und Leiden ein Ende haben.

Wer von uns ahnte aber jetzt etwas davon? Wer unter allen, die wir da so voller Lebensmöglichkeiten ums Feuer saßen, wußte etwas vom Leben und Leiden, das dem andern bevorstand? Wer ahnte etwas von den Schmerzen, die so mancher aus unserem Kreise noch dem andern bereiten würde! Kein Schatten von all dem trat vor unsere frohen, jungen Seelen.

Die Stimmung stieg, die leere Flasche wurde in weitem Bogen an die Wände der Höhle geschleudert, wo sie klirrend zerbrach. Ihr folgten die Weingläser.

Das Feuer erlosch. Wir treten hinaus vor die Höhle, eine tiefe Dämmerung erfüllt den Wald.

»Auf zur Kanzel!« rief eine Stimme. »Ja, ja! zur Kanzel!«

Das war ein flacher, vorspringender Stein, hoch über den Abhang ragend.

»Wir machen ein Feuer auf der Kanzel!« schlägt jemand vor.

Bald lodern die Flammen durch den dämmernden Wald, wir sitzen unten im Moos, und sehen ihnen zu, bis die Glut verlöscht und das Morgenrot durch die Zweige bricht.

Die jungen Leute treten das Feuer aus, schleudern die Reste von der Kanzel, ein Funkenregen fliegt durch den Wald, fällt zu Boden, erlischt.

Wir wandern heim, die ersten Sonnenstrahlen fliegen über die Wiesen, als wir aus dem Walde treten. Eine Lerche steigt jauchzend aus dem Kornfeld in die klare Morgenluft, alles funkelt von Tau. Die Stadt liegt vor uns im Morgenglanz. Wir gehen an den schlafenden Häusern vorbei, unsere Schritte schallen laut in dem tiefen Schweigen der einsamen Gassen.

Nun sind wir daheim, Georg klettert über die Pforte und öffnet sie von innen. Wir gehen in den Garten, schlafen will man noch immer nicht.

Wir sind hungrig geworden, die Vettern schaffen Rat. Von der Veranda kann man in den Keller, von dort in die Speisekammer gelangen. Flüsternd, vor Lachen erstickend, damit die »Alten« nicht erwachen, werden Tische und Stühle in den Garten getragen, auf der Veranda zeigt sich eine Falltüre, die geöffnet wird. Georg und Samuel lassen sich in den Keller hinab, sie erscheinen bald mit Brot und Butter, sogar eine Flasche Bier haben sie entdeckt.

Mit ihren Taschenmessern wird das Brot zerschnitten, wir essen mit herrlichem Appetit. Nun in die Betten, denn am Kaffeetisch darf keiner fehlen!

Als wir ein wenig verschlafen später im Speisezimmer erscheinen, droht Onkel lachend mit der Faust: »Na, wie ist der Wald in der Nacht, ihr Halunken?« »O Onkel, noch viel tausendmal schöner, als am Tage!«

»So, so! Nun aber trink deinen Kaffee, sonst werden deine roten Wangen blaß, und das fehlte noch gerade!«

»Wie sind wir doch im Wandern Seitdem so weit verstreut! Fragt einer nach dem andern, Doch niemand gibt Bescheid. Rauscht nur der Wald im Grunde Fort durch die Einsamkeit, Und gibt noch immer Kunde Von unserer Jugendzeit.


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