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XII.
Ein Gespräch mit Maddick

Cardby fiel der harte Ton auf, mit dem sie die letzten Worte gesprochen hatte. Der Mann hielt noch den Revolver in der Hand. Sie ging zu dem Sofa hinüber und ließ sich zwischen den Kissen nieder. Mick wandte sich zu der blaugestrichenen Tür. Er war auf alles gefaßt, aber er brauchte im Augenblick nichts zu fürchten.

Der Raum maß etwa zwei Meter im Quadrat. Auf dem Boden lag ein Teppich; ein Mahagonitisch und ein Armsessel bildeten die Einrichtung. Auf dem Tisch stand ein Telephon. Langsam nahm Mick den Hörer ab. Was würde jetzt geschehen?

Gleich darauf hörte er eine Stimme.

»Hallo, Borden, hier ist Maddick. Was wollen Sie?«

Cardby zwinkerte unwillkürlich mit den Augen. Die Stimme klang etwas nasal und hatte entschieden amerikanischen Akzent. Um's Himmels willen, dachte Mick, haben wir denn schon Gangster in England?«

»Ich möchte wegen der Vorgänge von heute mit Ihnen sprechen.«

»Dann los! Und wenn Sie fertig sind, habe ich auch ein paar Worte mit Ihnen zu reden. Also, machen Sie vorwärts.«

»Dies war der erste Auftrag, den ich für Sie durchführte, und ich bin fest davon überzeugt, daß die Sache der Polizei gesteckt worden ist. Ich hatte Glück, daß ich mit heiler Haut davonkam, und ich möchte Ihnen sagen, daß ich ein zweitesmal nicht wieder in eine solche Lage geraten möchte.«

»Sie reden ja große Töne, mein Junge! Warum glauben Sie denn, daß Sie verpfiffen worden sind?«

»Die Frau, mit der ich zum Empfang ging, hat sich einfach gedrückt, und ich konnte zusehen, wie ich fertig wurde. Das allein hätte schon genügt, mich ins Kittchen zu bringen. Aber abgesehen davon waren auch noch Verwandte des Grafen Metri zugegen, in dessen Rolle ich auftrat. Es scheint mir doch, daß die ganze Sache recht schlecht vorbereitet war, wenn die Polizei nicht vorher davon erfahren hat. Das wäre ja ganz in ihrem Sinne gewesen, gleich jemand dabeizuhaben, der mich als Betrüger entlarven konnte. Dann hat Ihr Mann sich als Sergeant Gribble ausgegeben – das war gerade der eine Name unter Tausenden, den er nicht hätte nennen dürfen. Und obendrein war Gribbles Tochter im Auftrag von Scotland Yard auf dem Empfang. Also, offengestanden, es kommt mir so vor, als ob man mich heute abend loswerden und der Polizei ausliefern wollte.«

»Glauben Sie etwa, daß ich die Absicht hatte?«

»Ich sage nicht, daß Sie es so eingerichtet haben. Aber alle Umstände weisen darauf hin, daß einer Ihrer Leute der Polizei einen Wink gegeben hat.«

»Wenn nun Sie derjenige wären, der das getan hat – was würden Sie dazu sagen?«

»Höchstens, daß nur ein Wahnsinniger oder ein Betrunkener auf einen solchen Gedanken kommen könnte. Meinen Sie denn, ich hätte ein Interesse daran, verhaftet zu werden, nachdem ich gerade erst mit knapper Not aus dem Gefängnis entwichen bin?«

»Es wäre doch möglich, daß der Plan von der Polizei ausgeheckt wurde, um mich hinters Licht zu führen, Borden.«

»Ich weiß. Man hätte mich ja auch aus dem Gefängnis entkommen lassen, damit ich im Film auftrete oder vor der Tür von Scotland Yard als Bettler eine Zinnflöte spiele! Aber das habe ich alles nicht getan. Wir wollen jetzt einmal offen miteinander reden. Ich möchte mich so klar wie möglich ausdrücken. Wenn Sie mich davon überzeugen können, daß alles, was heute abend geschah, reiner Zufall war, will ich weiter für Sie arbeiten. Aber wenn das alles nur geschah, um mich der Polizei auszuliefern, dann sind wir zwei nicht füreinander geschaffen. Ist das klar?«

»Sie haben ein ganz unverschämtes Mundwerk, Borden. Sie setzen sich hin und wollen mir Vorschriften machen, was ich zu tun habe! Wenn Sie sich nicht in acht nehmen, dann sage ich Ihnen gleich, daß Sie sich zum Teufel scheren sollen! Aber nun wollen wir der Sache einmal auf den Grund gehen, Warum hatten Sie eine Waffe bei sich, als Sie heute abend hierherkamen?«

»Die habe ich nicht besonders deshalb eingesteckt, weil ich hierherkam. Ich trage immer einen Revolver bei mir. Man hat dann ein größeres Gefühl der Sicherheit.«

»Lügen Sie mir nichts vor, Borden, Sie hatten keine Waffe bei sich, als Sie zu dem Empfang gingen.«

»Sagen Sie bitte der Dame, daß sie sich geirrt hat. Ich weiß wohl, daß Sie die Tasche in meinen Frackschößen untersucht und nichts gefunden hat. Versuchen Sie doch einmal, einen Revolver von dort unten herauszuholen. Das geht verflucht langsam. Vielleicht interessiert es die Dame, daß die Waffe, die sie mir eben abgenommen hat, in meiner Hüfttasche steckte. Aber weil andere Leute ihren Browning gewöhnlich in der rechten Tasche tragen, lasse ich die meine immer links anbringen.«

»Ich muß sagen, daß Sie mich interessieren, Borden. Sie sind nicht so dumm wie die meisten anderen. Nun erzählen Sie mir einmal auf Ihre eigene Weise, was heute abend geschehen ist. Steigen Sie von Ihrem hohen Roß herunter, aber machen Sie keine langen Umschweife.«

Mick kam der Aufforderung nach und berichtete alles kurz und knapp, ohne etwas unerwähnt zu lassen. Aber als er dann Maddicks Worte hörte, lief es ihm kalt den Rücken hinunter.

»Ich glaube, daß wir keine weiteren Unannehmlichkeiten von dieser Miß Gribble haben. Wenn Weiber wie die mir in die Quere kommen, gebe ich ihnen eine Lektion, die sie nicht vergessen, weil sie sich überhaupt nicht darauf besinnen können. Die nehmen wir einmal auf eine Fahrt mit, von der sie nicht zurückkommt. Dann sind wir wenigstens eine lästige Person los. Wollen Sie das machen?«

Cardby mußte schnell nachdenken. Wenn er Nein sagte, würde ein anderer den Auftrag erhalten und er selbst nichts davon erfahren. Dann hatte er nicht einmal die Möglichkeit, Miß Gribble zu warnen. Wenn er aber ja sagte, würden sie bald herausfinden, daß er nicht die Absicht hatte, ihr etwas zuleide zu tun, und dann konnte er sich nicht länger in Maddicks Bande halten.

»Wenn ich davon überzeugt wäre, daß sie mich heute abend hereinlegen wollte, würde ich es übernehmen.«

»Also gut, mein Junge. Ich will es mir noch überlegen und Ihnen dann Bescheid geben. Sie haben das erste Anrecht darauf, wenn sie beiseitegeschafft werden soll.«

»Aber ich möchte, daß Sie offen zu mir sind und mich wissen lassen, ob sich etwas Ähnliches wie heute abend wieder abspielen kann.«

»Wenn so etwas noch einmal vorkommt, dann geht es allen schlecht – Ihnen auch. Ich will Ihnen auch noch etwas anderes sagen, Borden. Ich habe alles gehört, was Sie im Zimmer nebenan gesprochen haben, und ich glaube, es sind nur wenige so kühl und besonnen wie Sie, wenn sie in Gefahr kommen. Das soll kein besonderes Lob für Sie sein, es ist einfach eine Tatsache. Sie sind ein Mann, den man brauchen kann. Noch diese Woche habe ich eine große Sache vor. Wenn Sie die richtig anpacken, verdienen Sie dabei genug, daß Sie für den Rest Ihres Lebens nicht mehr zu arbeiten brauchen. Möchten Sie mitmachen?«

»Das ist liebliche Musik in meinen Ohren. Worum handelt es sich?«

»Stellen Sie keine Fragen. Wenn ich Ihnen etwas sagen will, dann tue ich es schon. Zunächst ist es für Sie nur nötig zu wissen, daß ich eine große Sache vorhabe. Kleine Geister kann ich dazu nicht gebrauchen. Der Plan läßt sich nur durchführen, wenn ich über tüchtige Kerle verfüge. Und Sie haben das Zeug dazu in sich. Bleiben Sie ruhig, wo Sie jetzt sind. Sie werden bald von mir hören.«

»Sie haben mir aber noch nicht gesagt, ob mir heute abend eine Falle gestellt werden sollte.«

»Das kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen. Aber soviel steht jedenfalls fest, es hat jemand aus der Schule geplaudert. Wenn ich herausbringe, wer es war, dann ist der Betreffende ein toter Mann.«

»Sie sind also davon überzeugt, daß die Polizei Mitteilung bekommen hat?«

»Zum Donnerwetter, ja! Davon bin ich ebenso überzeugt, wie ich hier sitze! Ich will Ihnen noch etwas verraten, worüber Sie nicht weiter zu reden brauchen: Das Halsband, das diese Mead heute abend getragen hat, war eine Nachahmung. Ich habe es sofort geprüft, das Ding ist im ganzen höchstens vier Pfund wert. Das ist der beste Beweis dafür, daß die Sache verpfiffen wurde! Gute Nacht, Borden.«

Bestürzt erhob sich Mick. Er hatte zwar erwartet, daß die Ereignisse schnell in Gang kommen würden, wenn er erst einmal zu Maddicks Bande gehörte, aber es entwickelte sich alles doch etwas rascher, als er angenommen hatte. Im Lauf einer Woche war er von der Polizei verfolgt worden, vor dem Richter erschienen, aus dem Gefängnis ausgebrochen, hatte sich mit Verbrechern angefreundet, war in Maddicks Bande eingetreten, hatte dreimal seinen Namen und einmal seine Wohnung geändert, hatte sich an einem offenen Raub beteiligt, war dabei entdeckt worden und mit knapper Not entkommen. Und nun hatte er mit Maddick selbst gesprochen! Das war allerhand!

Dann dachte er noch einmal nach und erinnerte sich an Maddicks Worte. Er hatte auch noch allerhand vor sich. Während der letzten fünf Minuten war ihm zugemutet worden, Miß Gribble beiseitezuschaffen, außerdem hatte man ihm in Aussicht gestellt, daß er bei einer ganz großen Sache mitwirken sollte. Diese Tatsache brachte ihn auf andere Gedanken. Das Diamantenhalsband der Lady Mead hatte einen Wert von vierzigtausend Pfund. Das hatte Maddick als eine Kleinigkeit betrachtet. Was mochte er dann jetzt erst vorhaben? Mick sollte soviel dabei verdienen, daß sein Anteil genügte, um sich damit zurückzuziehen. Er gab es auf, eine Lösung zu finden, öffnete die Tür und trat in das andere Zimmer.

Er sah sofort, daß der Mann den Revolver nicht mehr in der Hand hatte. Eleanora erhob sich vom Sofa und reichte ihm seine Waffe zurück. Während seiner Unterhaltung mit Maddick hatte sich alles geändert. Ob sie wohl gehört hatten, was gesprochen worden war? Oder hatte Maddick ihnen bereits Anweisung gegeben, bevor er selbst den Telephonraum verließ? Die beiden waren plötzlich sehr liebenswürdig zu Mick.

Bevor er die Waffe einsteckte, prüfte er, ob der Patronenrahmen noch in der Kammer steckte. Er konnte sich davon überzeugen, daß sie geladen war.

»Sie sind aber ein argwöhnischer Mensch«, sagte Eleanora.

»Das macht sich auf die Dauer bezahlt. Denken Sie doch nur, wie unangenehm es sein würde, wenn ich jemand die Waffe gegen die Rippen drückte und das Ding nicht geladen wäre!«

»Wo wohnen Sie denn?« fragte der Mann.

»Zwischen hier und dem Himmel.«

»Sie brauchen es mir nicht zu sagen, wenn Sie nicht wollen.«

»Geben Sie sich keine Mühe, ich verrate es Ihnen nicht. Wenn Sie es wissen wollen, müssen Sie schon M. selbst fragen. Übrigens, um die Unterhaltung etwas leichter zu machen, nennen Sie mir doch einen Namen, mit dem ich Sie anreden kann.«

Der andere strich seinen Schnurrbart und zögerte einen Augenblick.

»Sage es ihm«, wandte Eleanora sich an ihn. »Wir können ihm trauen.«

»Ja, das nehme ich an«, erwiderte der Mann, aber seine Worte klangen skeptisch. »Sie können mich Clan nennen.«

Cardby horchte auf, denn der Name kam ihm bekannt vor. Plötzlich erinnerte er sich.

»Ist das eine Abkürzung für Clanwilliam, Clancy oder soll das nur soviel heißen, daß Sie aus Schottland stammen?« Begierig wartete Mick auf die Antwort.

»Es ist eine Abkürzung für Clancy. Aber darauf kommt es nicht an.«

Mick kam es aber sehr wohl darauf an, denn Detektiv Caudry war das letztemal im Wartesaal des Victoria-Bahnhof mit einem gewissen Clancy gesehen worden, und die Beschreibung des Fremden paßte auf den Mann hier.

»Nun gut, Clan, ich hoffe, Sie sind wieder da und helfen mir, wenn ich das nächstemal in Schwierigkeiten gerate. Heute abend haben Sie einen guten Einfall gehabt, und unter gewöhnlichen Umständen hätten Sie auch Erfolg haben müssen. Aber wir hatten eben Pech, mehr kann man nicht darüber sagen.«

»Ich habe mir die Haut an den Knien abgeschürft, als ich auf das elende Pflaster fiel. Es brennt wie Feuer.«

»Dann sind wir quitt. Ich habe mir an der Mauer den Kopf angestoßen. Sie sind offenbar am besten von uns allen weggekommen, Eleanora. Aber der Name ist wirklich zu lang. Wie heißen Sie denn, wenn Sie nicht die Gräfin Galleone Metri sind?«

»Ganz verschieden. Getauft bin ich auf Kathleen, aber inzwischen hat sich mein Name so oft geändert, daß ich darauf nicht mehr höre. Zur Zeit heiße ich Mariel. Den Namen habe ich letzte Woche in einem Magazin gelesen und angenommen, weil er mir gefallen hat.«

»Nun kennen wir einander wenigstens etwas besser.«

»Das wohl kaum. Ich möchte Sie aber auch nicht immer Andrea nennen. Das klingt nach Operette. Haben Sie nicht einen etwas einfacheren Namen?«

»Andere Leute nennen mich Pete, das können Sie auch tun.«

»Schön. Wollen Sie noch etwas trinken, bevor Sie gehen?«

»Nein, danke. Ich bin müde und möchte mich bald schlafen legen. Gute Nacht.«

Das Mädchen brachte ihn zur Haustür. Sie war jetzt aber so eingeschüchtert, weil Cardby die Herrschaften in dem Hause zu kennen schien, daß sie nicht mehr wagte, mit ihm zu sprechen.

Es war eine wundervolle Nacht. Der weiße Mond schien zwischen kleinen Wolken hindurch, und Mick entschloß sich, zu Fuß nach Hause zu gehen. Es war ein Glück für ihn, daß er das tat.

Als er an die Ecke von Oxford Circus kam, hörte er, daß sein Name aus einem Ladeneingang gerufen wurde. Er blieb stehen, wandte sich um und sah Mona, die ihm winkte.

»Nehmen Sie sofort ein Taxi«, sagte sie. »Die Polizei hat meine Wohnung durchsucht, und es sind noch zwei Polypen dort, die auf Sie warten. Sie kamen ungefähr zehn Minuten, nachdem Sie gegangen waren, im ganzen fünf Mann. Sie sagten, sie wollten nur einmal kontrollieren, wie es bei diesen Häusern üblich ist; aber sie fragten ständig nach Ihnen. Ich bin fortgegangen, um Sie zu suchen. Den anderen habe ich es auch gesagt, die stehen an allen Ecken der Titchfield Street Schmiere, um Sie zu warnen.«

»Danke, Mona. Ich werde einen Wagen nehmen.«


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