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VIII.
Mick findet eine Verbündete

Nach einer längeren Fahrt kreuzte das Taxi die Oxford Street und hielt bald darauf in der Titchfield Street an.

Delaney zahlte, dann klopfte er an die Tür eines kleinen, nicht allzu sauberen Hauses, während Mick seinen Koffer aus dem Wagen nahm. Eine rötlichblonde Frau öffnete.

»Hier sind wir«, erklärte Alibi. »Das ist Ihr neuer Mieter, Mr. Wall. Und dies ist Mrs. Weeldon. Wir wollen hineingehen.«

»Nun, wie geht's, Schatz?« fragte sie.

Mick schauderte innerlich. Das war noch viel schlimmer als die Wohnung bei der nachlässigen und schlampigen Mrs. Chapman. Die Wirtin betrachtete ihn genauer, und auch er musterte sie. Sie sah einen hübschen jungen Mann vor sich, dessen Anzug etwas zu elegant geschnitten und zu auffallend war. Er sah eine Frau von etwa dreißig Jahren mit nachgezogenen Augenbrauen, einer kecken Nase, rotangemalten Lippen und unregelmäßigen, aber weißen Zähnen. Es war deutlich zu erkennen, daß sie eine Abmagerungskur durchgemacht hatte. Trotz ihres Auftretens und ihrer Gewandtheit konnte sie ihre geringe Herkunft doch nicht ganz verbergen.

»Soso«, erwiderte er. »Und was machen Sie, mein Engel?« Mick blieb seiner Rolle treu. »Na, wollen wir uns mal die neue Bude ansehen.«

Mrs. Weeldon lächelte und führte sie in den zweiten Stock. Als sie die Treppe hinaufstiegen, kamen sie an einer anderen schmalhüftigen Frau vorbei, die ebenfalls rotgefärbte Lippen hatte und die Männer herausfordernd anschaute – eine zweite Ausgabe der Wirtin.

Mrs. Weeldon öffnete eine Tür.

»Hier ist Ihr Zimmer.«

Der Raum machte entschieden einen besseren Eindruck als der, den Mick zuletzt bewohnt hatte. Ein blauer Teppich bedeckte den Boden, die Wände waren mit einer roten Tapete überzogen, die Möbel bequemer. In einer Ecke sah Mick ein Sofa, in der Nische einen kleinen Tisch, vor dem Gasfeuer im Kamin zwei gepolsterte blaue Sessel.

»Nun, wie gefällt Ihnen das?« fragte Mrs. Weeldon.

»Sieht ganz gut aus. Hallo, da ist ja auch ein Telephon.«

»Ja«, antwortete sie und grinste. »Es sind in den meisten Schlafzimmern Anschlüsse. Einige meiner Mieter brauchen sie für diesen, andere für jenen Zweck.«

Alibi lachte über die zweideutige Bemerkung.

»Vielleicht können Sie Ihren Apparat auch gut gebrauchen, Mr. Wall«, fuhr sie fort.

»Sicher«, erwiderte Delaney. »Aber ein Telephon hat keinen Sinn, wenn es nicht für sich abgeschlossen ist. In ein paar Stunden rufe ich Sie wieder an, Pete. Auf Wiedersehen.«

Er drehte sich um und verließ das Zimmer. Mick war etwas betroffen. Die Frau betrachtete ihn neugierig.

»Was hat Sie eigentlich hierhergeführt, mein Schatz?«

»Ich brauchte eine Luftveränderung, Mrs. Weeldon.«

»Ach, Sie müssen mich nicht immer Mrs. Weeldon nennen, sonst glaube ich kaum, daß wir uns anfreunden werden. Ich heiße Mona, und ich werde Ihnen ein zweites Mal nicht verzeihen. Also, eine kleine Luftveränderung wollten Sie haben? Gefällt es Ihnen hier im Westen besser?«

»Ich fühle mich überall zu Hause, solange es mir gut geht. Warum ist denn Delaney so plötzlich fortgelaufen, Mona?«

»Er ist in der Beziehung komisch, aber er meint es gut. Wann sind Sie denn im allgemeinen zu Hause? Und sagen Sie mir doch auch Ihren Namen.«

»Ganz einfach Stan. Sie wollen wissen, wann ich zu Hause bin? Das ist verschieden. Manchmal komme ich ganz unregelmäßig, manchmal bleibe ich den ganzen Tag daheim und spare. Im Augenblick gebe ich gerade nicht viel aus und bin wieder dabei zu sparen.«

»Dann sind Sie also meistens in Ihrem Zimmer?«

»Richtig geraten.«

»Ich beneide eigentlich die Leute, die nichts zu tun haben. Es muß doch ein schönes Leben sein.«

»Womit verdienen Sie denn Ihr Geld?« fragte er geradezu.

»Ich führe die Pension, das ist gerade genug Arbeit für eine Person.«

»Wenn alle Ihre anderen Mieter Ihnen so wenig zu schaffen machen wie ich, haben Sie ein glänzendes Leben. Wie benützt man eigentlich diesen Apparat?«

»Sie brauchen nur abzuheben. Wenn das Telephon in meinem Zimmer nicht benützt wird, sind Sie direkt mit dem Amt verbunden.«

»Wenn ich telephoniere, kann also jeder mithören, der einen Anschluß im Zimmer hat? Soviel heißt das doch?«

»Wir kümmern uns nicht um das, was die einzelnen hier am Telephon sagen.«

»Das ist gut für Sie alle, Mona. Wenn ich erst einmal herausbekomme, daß einer mithört, wenn ich spreche, gibt es einen Krach, den Sie nicht so leicht vergessen werden. Es ist ratsam, daß Sie den Leuten das mitteilen. Denken Sie auch selbst daran. Und dann noch eins: Wo ist der Schlüssel zu der Tür?«

»Soviel ich weiß, hat es noch nie einen dafür gegeben.«

»Hat sie jemals einen Riegel gehabt?«

»Nein. Wir trauen hier einander. Wir sind wie eine große Familie.«

»Ich verstehe. Aber wenn ich nicht bald den Schlüssel zu der Tür und einen Riegel bekomme, ziehe ich aus. Ich habe nicht die Absicht, ein Mitglied Ihrer großen Familie zu werden, Mona.«

»Gut, dann werde ich das besorgen. Sie tun ja so, als ob Sie sich vor der Polizei verstecken müßten.«

Cardby ging zu dem Fenster und sah auf die Straße hinunter.

»Ein nettes Mädel wie Sie, Mona«, sagte er nach einer Pause, »sollte viel wissen und doch den Mund halten. Sonst werden Sie eines Tages Streichhölzer auf Piccadilly verkaufen oder noch ein schlechteres Los haben. Was ich hier mache, kann Ihnen gleichgültig sein, und was Sie tun, interessiert mich nicht. Und nun gehen Sie und sorgen Sie für Schlüssel und Riegel.«

Mona verzog den Mund und verließ das Zimmer. Mick räumte seine Sachen in den Schrank und in die Schubladen der Kommode.

Als er zum Fenster zurückging, kam ihm ein Gedanke. Er nahm einen der Stühle, stellte ihn mit der Lehne unter die Türklinke, trat dann ans Telephon und nahm vorsichtig den Hörer ab. Sofort erkannte er Monas Stimme.

»Ja, darauf werde ich achten. Von hier kommt nichts heraus, darauf können Sie sich verlassen. Er sagt, daß er die ganze Zeit in seinem Zimmer bleiben wird.«

»Rufen Sie mich sofort an, wenn er ausgeht«, hörte Mick eine Männerstimme.

»Gut. Glen steht auf der anderen Seite der Straße und beobachtet das Haus. Er folgt ihm, wohin er auch geht.«

»Das wäre alles. Reden Sie nichts und halten Sie die Augen offen.«

Die Telephonglocke schlug leise an, als der Hörer unten eingehängt wurde. Mick legte den seinen auch auf die Gabel zurück und ging zur Tür, wo er den Stuhl fortnahm. Bevor er wieder zurückkehren konnte, klopfte es, und eine Sekunde später trat Mona ein, die einen Schlüssel in der Hand hatte.

»Ich weiß nicht, ob der zu dem Schloß paßt«, sagte sie.

»Ich wette, es ist der richtige.«

Cardby hatte sich nicht geirrt, und sie lächelte ihn an.

»Sie sind ein ganz schlauer Junge, nicht wahr, Stan?«

»Nein, nicht im geringsten. Ich sagte mir nur, daß es doch merkwürdig wäre, wenn in einem solchen Hause die Türen keine Schlüssel hätten.«

»Ich sehe, daß Sie nicht mehr viel lernen können, Stan, aber seien Sie vorsichtig, sonst werden Sie eines Tages vielleicht ein wenig zu klug sein.«

»Mein Boß«, erklärte er mit Nachdruck, »schätzt kluge Leute. Oder glauben Sie das nicht?«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Mona zog die Augenbrauen hoch, um ihr Erstaunen auszudrücken.

»Ich dachte, Sie wollten sich mit mir anfreunden. Welchen Zweck hat es denn, bei Freunden immer auf den Busch zu klopfen?«

»Ich möchte eine gute Stellung nicht dadurch verlieren, daß ich zuviel rede.«

»Ebenso ist es mit mir. Aber wir können deshalb doch von einander wissen, wo wir stehen.«

»Ich weiß es, und deshalb schweige ich. Es geht mir jetzt gut – jedenfalls besser als früher. Sie sind ein netter Junge, Stan, aber das wird Ihnen auf die Dauer nichts helfen, wenn Sie nicht lernen, weniger hochnäsig zu reden.«

»Kluges Mädchen. Haben Sie etwas zu essen im Hause?«

»Kommen Sie herunter und essen Sie mit mir zu Mittag. Ich bin ganz allein.«

»Paßt mir ausgezeichnet. Gehen Sie voraus. Aber ehe ich es vergesse – was habe ich für das Zimmer zu bezahlen?«

Sie stemmte die Arme in die Hüften und lachte.

»Na, das ist gut, Stan! Wie kommen Sie denn überhaupt auf den Gedanken, daß Sie hier etwas zu bezahlen haben? Ihnen gehört die Wohnung genau so gut wie mir.«

Mick zeigte sich durchaus nicht überrascht, als er das hörte.

»Da haben wir es! Mir sagen Sie, daß ich mich dumm stellen soll, und wenn ich das erstemal Ihren Rat befolge, lachen Sie mich aus!«

Mick war jung, gesund und hungrig, aber das Essen machte ihm keine Freude. Das angemalte Gesicht, die dauernden Versuche, vertraulich zu werden, und die Art der Frau, allen Worten einen zweideutigen Sinn zu geben, paßten ihm nicht. Er war froh, als er wieder in seinem eigenen Zimmer war, und Mona ärgerte sich, daß er den Nachmittag nicht mit ihr verbringen wollte.

Um fünf Uhr rief Delaney ihn an.

»Nun, alles in Ordnung, Pete?«

»Glänzend. Gibt es etwas Neues?«

»Ja. Sie müssen heute abend noch einen Spaziergang machen. Um sieben verlassen Sie das Haus und gehen links die Straße hoch bis zur Upper Marylebone Street. Dort biegen Sie rechts ein und gehen durch die Charlton Street bis zur Ecke der Carburton Street. Gegen sieben Uhr zehn treffen Sie dort einen Mann, der einen doppelreihigen schwarzen Mantel trägt. Wenn er Sie mit den Worten anspricht: ›Können Sie einem früheren Offizier helfen?‹, nehmen Sie die Abendzeitung von ihm. Auf der dritten Seite finden Sie einen Zettel für sich angeheftet. Sagen Sie nichts zu dem Mann und ziehen Sie vor allem die Kleider an, in denen ich Sie zuletzt sah. Alles klar?«

»Ja, Alibi. Wenn mir nun aber jemand nachsteigt?«

»Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Das tut höchstens einer von unseren Leuten, um aufzupassen, daß Ihnen nichts zustößt. Gehen Sie ruhig weiter und kümmern Sie sich nicht darum.«

»Gut. Auf Wiedersehen, Alibi.«

Später schickte Mick Mona fort, daß sie ihm eine Abendzeitung holen sollte, und sah darin, daß über seinen Fall schon nicht mehr auf der ersten Seite berichtet wurde. In ein paar Tagen würde die Öffentlichkeit sich nicht mehr mit ihm beschäftigen. Cardby fürchtete das Publikum mehr als die Polizei.

Punkt sieben ging er von Hause fort. Kaum hatte er zwanzig Schritte zurückgelegt, so bemerkte er schon einen Mann, der von der anderen Straßenseite herüberkam und ihm in einiger Entfernung folgte. Mick wandte sich nicht ein zweites Mal um, denn er durfte nicht zeigen, daß er sich dadurch beeinträchtigt fühlte.

Er führte Delaneys Anweisungen genau aus und fand an der Ecke der Charlton und Carburton Street einen großen Mann in einem schwarzen Mantel. Als dieser Mick auf sich zukommen sah, ging er quer über die Cleveland Street nach dem Fitzroy Square. Mick folgte ihm und holte ihn auf dem Platz ein.

»Können Sie einem früheren Offizier helfen?« fragte der Fremde.

Cardby sah ihn an, nickte, nahm die Zeitung und verschwand in der Dunkelheit. Er ging weiter und war froh, daß er sich einmal etwas Bewegung verschaffen konnte. Bald ließ er Tottenham Court Road und Gower Street hinter sich und wanderte kreuz und quer durch die verschiedenen Straßen in der Nähe des Britischen Museums. Zehn Minuten lang setzte er dies fort, dann trat er in eine Kneipe, bestellte ein Glas Bier und setzte sich an einen Tisch. Er war der einzige Gast in der Schankstube. Nachdem der Wirt vergeblich versucht hatte, ihn in ein Gespräch zu ziehen, zog er sich zurück und griff nach dem Abendblatt. Cardby saß nahezu eine halbe Stunde und las seine Zeitung. Am meisten beschäftigte ihn Seite drei. Er las dort die maschinengeschriebene Anweisung vier- oder fünfmal durch, die darangeklebt war.

Mick ließ sich noch ein Glas geben und nahm den Text zum letztenmal in sich auf. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft, um eine Lösung zu finden. Die Anweisung lautete:

 

»Morgen abend gibt Lady Mead, Brook Street 352, einen Empfang. Es werden etwa dreihundert Gäste kommen. Es ist bereits bekannt, daß sie an diesem Abend das berühmte Sonnenschein-Halsband tragen wird. Die geladenen Gäste werden durch einen Diener angemeldet und gehen dann durch eine Eingangshalle von etwa zehn Meter Länge. Lord und Lady Mead begrüßen sie auf einer erhöhten Plattform, zu der fünf Stufen hinaufführen. Darauf gehen die Gäste einen sechs Meter langen Korridor entlang, bis sie zum Empfangssaal kommen. Rechts von den Gastgebern befindet sich ein niedriges Fenster. Eineinhalb Meter unter der Fensterbank zieht sich ein Bleidach hin. Das Fenster wird offenstehen. Morgen früh erhalten Sie eine Einladung zu diesem Empfang für den Grafen und die Gräfin Metri. Um acht Uhr dreißig abends treffen Sie vor dem Hause Bruton Street 32 eine Dame. Sie sitzt in einem Daimlerwagen und trägt ein blaues Kleid und ein Pelzcape. Fragen Sie die Dame, wie Sie nach der South Audley Street kommen. Wenn sie antwortet: ›Zweite Straße links‹, steigen Sie in den Wagen. Sie hat weitere Anweisungen für Sie.«

 

Schweißtropfen traten auf Micks Stirn. Seine erste Aufgabe war keine Kleinigkeit. Er ging in den Waschraum, löste den Zettel aus der Zeitung, steckte ihn in die Tasche und ließ die Zeitung zurück. Dann trank er sein Glas aus und setzte seinen Spaziergang fort. Den Mann, der ihm folgen sollte, hatte er längst abgeschüttelt. Als er Holborn entlangging, rasten seine Gedanken. Was sollte er tun?

Offensichtlich war geplant, dieses berühmte Diamantenhalsband zu stehlen. Wenn er seine Anweisungen ausführte, war es nahezu sicher, daß der Raub gelingen würde. Maddick durchdachte seine Pläne gut und brauchte kaum mit einem Mißerfolg zu rechnen. Wenn Mick aber andererseits die Beamten verständigte und der Plan mißlang, würde der Verdacht sofort auf ihn fallen, und das würde dann das Ende seiner Verbindung mit Maddicks Bande, vielleicht sogar das Ende seines Lebens bedeuten. Alle früheren Bemühungen waren dann wertlos. Die Polizei mochte wohl den Diebstahl verhindern und bei der Gelegenheit ein paar unwichtige Mitglieder der Bande verhaften, aber die große Organisation Maddicks würde weiterbestehen.

Mick entschied sich dafür, das Wagnis auf sich zu nehmen und die Sache mit seinem Vater zu besprechen. Wo konnte er nur einen sicheren Telephonapparat finden? Schließlich erinnerte er sich an einen Freund, der in der St. Martin's Lane wohnte, und ging zu dessen Wohnung.

Glücklicherweise war sein Freund zu Hause. Mick schickte ihn aus dem Zimmer, während er sich mit der Nummer seines Vaters verbinden ließ.

»Bist du dort, Vater? … Gut. Höre einmal zu, ich habe wenig Zeit. Es ist mir gelungen, bei Maddick anzukommen, und ich wohne jetzt in der Titchfield Street bei einer Mrs. Weeldon. Morgen abend will die Bande das berühmte Brillantenhalsband der Lady Mead stehlen, und zwar bei dem Empfang, den sie in der Brook Street gibt. Ich bin auch dafür eingesetzt und gehe als Graf Metri zu der Gesellschaft. Das ist alles, was ich weiß. Wie die Sache ausgeführt werden soll, kann ich nicht sagen. Nun passe auf: Wenn du den Diebstahl von der Polizei aus verhinderst, fällt der Verdacht auf mich, und ich werde ausgestoßen. Das wäre dann auch das Ende unseres Planes. Tust du aber nichts, so wird das wertvolle Halsband geraubt. Ich weiß wirklich nicht, was ich machen soll – was rätst du mir?«

»Das ist eine sehr unangenehme Geschichte, Mick. Du mußt es schon mir überlassen, den besten Ausweg zu finden. Natürlich mußt du alles tun, was man dir gesagt hat, als ob ich nichts davon wüßte. Ich werde jemand auf den Empfang schicken.«

»Nimm aber um Gottes willen keinen deiner Beamten. Die sind ihnen alle bekannt.«

»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Ich wähle schon jemand aus, den sie nicht kennen.«

»Muß ich alle Befehle ausführen, die sie mir geben?«

»Gewiß. Nur dann nicht, wenn du jemand über den Haufen schießen sollst. Sonst noch etwas?«

»Nein, nichts. Ich glaube, in der nächsten Zeit habe ich keine Gelegenheit mehr, mit dir zu sprechen.«

»Das ist auch zu gefährlich, Mick. Rufe mich nur wieder an, wenn es unbedingt notwendig ist. Morgen werde ich sowieso die meiste Zeit nicht in Scotland Yard sein. Ich habe in Old Bailey zu tun.«

»Handelt es sich etwa um die Anklage gegen Arch Redfern wegen Fälschung von Papiergeld?«

»Ja. Was weißt du denn davon?«

»Nur soviel, daß der Mann freigesprochen wird. Gute Nacht, Vater.«

»Vielen Dank für diese erfreuliche Neuigkeit, Mick! Also, alles Gute.«

Um neun Uhr war Cardby wieder in seiner Wohnung. Mona saß auf seinem Bett, als er eintrat.

»Wollen Sie Schwierigkeiten machen?« fragte sie. »Während der letzten Stunde hat Alibi alle fünf Minuten nach Ihnen angerufen. Wo waren Sie denn?«

»Was will er von mir?«

»Zum Donnerwetter, Stan, glauben Sie denn, daß wir Sie hier frei in der Stadt herumlaufen lassen, ohne daß einer unserer Leute Ihnen folgt? Wir kennen Sie noch nicht lange genug, um Ihnen ohne weiteres zu trauen. Der Mann, der Sie beobachten sollte, hat mich angeläutet, daß er Sie aus den Augen verloren hat. Das mußte ich Alibi melden. Seitdem ist er beinahe verrückt wegen der Geschichte. Machen Sie so etwas nicht wieder. Ein zweites Mal geht das nicht gut aus. Wenn Maddick hört, daß Sie heute abend den Mann abgeschüttelt haben, der Ihnen folgte, dann bedeutet das einen Grabstein für Sie – ohne Blumen und Kränze. Hören Sie, da läutet das Telephon schon wieder.«

Mick nahm den Hörer ab. Delaney sprach laut und ärgerlich.

»Zum Teufel, was bilden Sie sich denn ein? Was soll das heißen? Wo sind Sie gewesen? Was haben Sie gemacht? Warum haben Sie den Mann abgeschüttelt, der Ihnen folgte?«

»Halten Sie die Luft an«, erwiderte Cardby barsch, fast drohend. »Teufel nochmal, für wen halten Sie sich denn, daß Sie so mit mir reden können, Delaney? Sie haben mich nicht gekauft, das wissen Sie sehr gut. Sie haben mich nur geliehen. Wenn Sie noch einmal eine solche Lippe riskieren, hau ich Ihnen eins über den Schädel, wenn ich Sie das nächstemal treffe. Beruhigen Sie sich, Sie großschnauziger Kerl, bevor es Ihnen schlecht geht, und sprechen Sie anständig und vernünftig.«

»Glauben Sie ja nicht, daß Sie mir mit Ihren groben Redensarten imponieren!«

»Gut, dann kommen Sie her und sehen Sie zu, ob ich scherze. Oder sagen Sie mir, wo Sie wohnen, dann bin ich gleich bei Ihnen, Es hat keinen Zweck, daß Sie ein großes Maul haben, Alibi.«

»Wenn Sie so weitermachen, bringen Sie sich nur in Schwierigkeiten.«

»Das ist mein ganzes Leben lang so gewesen. Ein bißchen mehr oder weniger macht mir nichts aus. Ich rege mich weder über Sie noch über sonst jemand auf!«

»Also gut, lassen Sie jetzt einmal Ihre Prahlereien. Wir wollen vernünftig miteinander reden. Warum sind Sie unserem Mann weggelaufen?«

»Aus zwei Gründen. Einmal hatte ich überhaupt vergessen, daß er hinter mir her war, zweitens konnte er nicht schnell genug gehen. Wenn Sie das nächstemal jemand ausschicken, der mich beobachten soll, dann nehmen Sie doch nicht so einen alten Greis, der sich nicht rühren kann.«

»Wo sind Sie gewesen?«

»In zwei Kneipen – die eine lag in der Nähe des Britischen Museums, die andere in Holborn.«

»Haben Sie einen von Ihren Bekannten getroffen?«

»Ja, ich habe mit einem Freund gesprochen, den ich in der St. Martin's Lane traf.«

»Wer ist das?«

»Ich nenne Ihnen seinen Namen nicht, und wenn ich Ihnen auch erklärte, was für ein Geschäft er hat, so würden Sie es doch nicht verstehen. Er hat sich ein besseres Gewerbe ausgesucht als Sie.«

»Was macht er denn?«

»Er verschafft Leuten, die ihr Bankkonto überzogen haben, zweifelhafte Sicherheiten.«

»Und was haben Sie mit ihm besprochen?«

»Würden Sie einen Mann nicht ansprechen, wenn Sie vierzig Pfund von ihm zu bekommen haben?«

»Na, schon gut, Pete. Ich hoffe um Ihrer selbst willen, daß Sie uns keine Tricks spielen. Morgen früh besuche ich Sie.«

Mona steckte sich eine Zigarette an und winkte Mick zu sich auf das Sofa.

»Na, dem haben Sie die Meinung ja ordentlich gesagt, Stan! Ich habe noch niemals gehört, daß jemand so mit Alibi umgegangen ist. Haben Sie schon einmal gesehen, wie der jemand zusammengeschlagen hat?«

»Nein. Das muß sicher interessant sein. Aber jetzt bin ich müde, Kind.«

»Ach, schicken Sie mich doch noch nicht so bald weg, Stan. Ich dachte gerade, wir würden noch ein wenig miteinander plaudern.«

»Ich bin ein schlechter Gesellschafter, wenn ich schläfrig bin, Mona.«

»Das ist also der vollkommene Gentleman! Verdammt noch einmal! Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Sie vollkommene Dame! Träumen Sie süß.«

*

Zur selben Zeit, als Mrs. Weeldon aufgeregt und ärgerlich in ihr Zimmer kam, hatte Chefinspektor Cardby zwei Besuche gemacht und war gerade auf dem Weg zum dritten. Anscheinend war er mit dem bisher Erreichten zufrieden. Sein dickes, gutmütiges Gesicht war von einem Lächeln überstrahlt, und er summte eine Melodie, während er in einem Taxi saß. Der Wagen hielt schließlich vor einem kleinen Haus in Chiswick. Cardby bezahlte den Chauffeur und benützte dann den Türklopfer.

Eine Frau von mittleren Jahren, die ein hübsches schwarzes Kleid trug, öffnete ihm.

»Guten Abend, Inspektor Cardby«, begrüßte sie ihn. »Er ist im Vorderzimmer.«

»Er« war ihr Mann und Cardbys bester Freund, Detektivsergeant Gribble von Scotland Yard. Seit sieben Jahren waren sie gemeinsam tätig. Äußerlich sahen sie sich zwar sehr wenig ähnlich, und auch in ihrer Denkweise unterschieden sie sich vollkommen, aber in Scotland Yard wußte man, daß die beiden äußerst erfolgreich zusammen arbeiteten.

Sergeant Gribble saß vor dem Kamin, hatte den Radioapparat eingestellt und las in einem Aktenstück die Vorgänge noch einmal durch, die er am nächsten Tag als Zeuge im Gerichtssaal von Old Bailey wissen mußte. Er war groß und schlank und hatte ein bleiches, hageres Gesicht, das gewöhnlich einen bekümmerten Ausdruck trug. Seine Hände ragten wie immer zu weit aus den Ärmeln heraus.

»Sagen Sie mir nur nicht, daß Sie einen neuen Auftrag für mich haben«, wandte er sich an Cardby, während er das Aktenstück neben sich auf den Tisch legte und das Radio abstellte.

»Warten Sie doch erst einmal, bis es so weit ist. Aber Sie können sich ja denken, daß ich nicht hier bin, um Ihnen einen Besuch zu machen, weil ich Sie gern habe. In manchen Augenblicken erwecken Sie den Anschein, als ob Sie vernünftig wären, Gribble, und in dieser Annahme bin ich heute hierhergekommen.«

»Haben Sie etwas von Mick gehört?«

»Ja. Es geht alles plangemäß. Er sagte mir am Telephon, daß er morgen abend den ersten Auftrag für die Bande ausführt, und deshalb habe ich Sie aufgesucht. Er geht morgen als Graf Metri zu dem großen Empfang der Lady Mead, der sie das berühmte Diamantenhalsband stehlen wollen. Wie sie es machen werden, weiß er nicht. Wir dürfen aber den Diebstahl unter keinen Umständen unterbinden, sonst wird er aus Maddicks Bande hinausgeworfen, bevor er uns die nötigen Informationen verschaffen kann.«

»Was wollen Sie denn in der Sache tun?«

»Machen Sie sich wegen des Diebstahls keine weiteren Kopfschmerzen. In der Beziehung habe ich schon das Nötige veranlaßt. Wir werden die Leute nicht daran hindern. Ich möchte aber vor allem gern jemand hinschicken, der für uns dort beobachtet, was vorgeht. Der Betreffende soll sich auf keinen Fall einmischen, sondern nur scharf aufpassen, was geschieht. Wir müssen von ihm einen eingehenden Bericht über den Vorgang und alle Beteiligten bekommen. Es muß jemand sein, der sich nur auf diese eine Aufgabe beschränkt. Wenn wir uns später auf die Aussagen der Gäste verlassen sollen, bekommen wir zehn verschiedene Schilderungen und wissen nicht, was davon zu halten und wem zu glauben ist.

Das wäre also klar. Wir dürfen aber keinen Beamten von Scotland Yard hinschicken. Ich brauche jemand, der Verstand hat, scharf beobachten kann, ein gutes Gedächtnis besitzt und so aussieht, daß er unter den Gästen nicht auffällt. Also, nun geben Sie mir einen Rat.«

»Die Lösung wäre nicht schwierig. Ihr Sohn ist dort im Auftrag von Maddick. Was könnte besser sein, als meine Tochter Cora für unsere Partei zu entsenden?«

»Das ist genau das, was ich mir auch dachte, als ich hierherkam. Diese Sache entwickelt sich noch zu einer reinen Familienangelegenheit. Haben Sie etwas zu trinken im Hause? Dann wollen wir auf das Wohl von Cardby und Gribble, G. m. b. H., Nachrichtenlieferanten für Scotland Yard, anstoßen.«


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