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VII.
Die erste Aufgabe

Mick saß auf der Kante seines Bettes und las die beiden Morgenzeitungen, die Mrs. Chapman ihm gebracht hatte. Er mußte lächeln über die Berichte. Zunächst wollte ihn jemand gesehen haben, als er in Blackfriars auf einen Autobus stieg. Das widersprach aber den Aussagen einer älteren Dame, die zur selben Zeit in der Lewisham High Street vor Schrecken ihren Korb hatte fallen lassen, als der Autodieb in unglaublich schneller Fahrt an ihr vorbeiraste. Später war er von einem Postbeamten in Hammersmith erkannt worden, und eine Stenotipistin, die in Wimbledon zu Mittag aß, wollte ihn auch bemerkt haben, ebenso ein Gemüsehändler auf seiner Rundfahrt in Kensal Green. Außerdem behauptete noch ein kleiner Junge, der auf der Straße spielte, daß er ihm in Bethnal Green begegnet wäre.

Nach allen diesen Berichten erschien die nüchterne Bekanntmachung der Polizei, daß der Fall weiter untersucht und Peter Borden wahrscheinlich im Lauf weniger Stunden verhaftet werden würde. Den Wagen, in dem er entkommen war, hatte man in Lambeth gefunden, aber die Beamten von Scotland Yard hatten ihre eigene Ansicht darüber und glaubten, er hätte ihn nur dort stehen lassen, um sie auf eine falsche Spur zu lenken, bevor er in einem ganz anderen Viertel Londons einen Unterschlupf suchte.

In einer der Zeitungen fand Mick auch ein Bild von sich. Ein Zeichner, der im Polizeigericht zugegen gewesen war, hatte es angefertigt. Mick hatte vorher noch nicht gewußt, daß er berühmten Filmstars so ähnlich sah und so schöngewelltes, lockiges Haar hatte.

Zwei Stunden ging er in seinem Zimmer auf und ab und freute sich, daß es ihm so schnell gelungen war, mit Maddick in Verbindung zu kommen. Er überlegte Mittel und Wege, wie er möglichst bald zum Ziel kommen könnte. Es war charakteristisch für ihn, daß er nicht an die Gefahren dachte, in die er sich stürzte. Seiner Meinung nach hatte er dazu immer noch Zeit genug, wenn sie wirklich eintraten. Untätigkeit langweilte ihn entsetzlich, und er war froh, als Alibi Delaney endlich den Kopf durch die Tür steckte.

»Hallo, Pete, wie geht's heute morgen?«

»Ich bin zu allem bereit. Was für große Neuigkeiten bringen Sie denn?«

»Der Boß sagt, Sie können anfangen.«

»Das ging ja rasch, Alibi. Wann haben Sie das erfahren?«

»Ich habe mich gestern abend noch mit ihm in Verbindung gesetzt und ihm alles gesagt, was Sie mir erzählt haben. Er meinte, Sie wollten ein wenig zu hoch hinauf, aber er war nicht gerade ärgerlich darüber. Auf jeden Fall will er Ihnen Gelegenheit geben, zu zeigen, was Sie können. Sie haben sogar für heute schon eine Aufgabe. Es ist ein verhältnismäßig kleiner Auftrag, eine ganz ungefährliche Sache.«

»Gut. Aber ich bin doch gespannt, wie Sie Maddick Ihre Mitteilungen machen, und wie er sich mit Ihnen verständigt, besonders wenn Sie nicht wissen, wer er ist und wo er wohnt. Wie geht denn das eigentlich zu?«

»Das werden Sie schon noch erfahren. Aber auf keinen Fall bringen Sie heraus, wer der Boß selbst ist. Das kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Und wenn Sie es doch herausfinden, wird es Ihnen nicht gut bekommen. Es hilft einem doch nicht viel, wenn man tot ist.«

»Hören Sie mit dem Unsinn auf. Wenn Sie glauben, Sie können mir bange machen, dann teilen Sie Ihrem Boß nur mit, daß selbst hundert Leute wie er mir nicht den Appetit beim Essen verderben können.«

»Nun lassen Sie sich einen Rat von mir geben, Pete, und denken Sie nicht an dergleichen. Wenn Sie es doch tun müssen, dann halten Sie wenigstens den Mund und reden Sie nicht davon. Und jetzt will ich Ihnen einmal erklären, was Sie tun sollen.«

»Ich will aber nichts unternehmen, was mich in die Gefahr bringt, wieder von der Polizei geschnappt zu werden.«

»Ach, diese Sache ist kinderleicht, geradezu ein Geschenk. Es ist auch sehr gut, daß Sie gleich zu Anfang einen solchen Auftrag bekommen. Der wird Ihnen am besten zeigen, wie Maddick für jemand sorgt, der gefaßt worden ist. Einer seiner Leute kommt morgen vormittag vor das Gericht in Old Bailey, und wenn es uns nicht gelingt, Entlastungsmaterial beizuschaffen, wird er zu drei bis fünf Jahren verknackt. Maddick hat schon alles ausgearbeitet, und Sie brauchen nur seine Anordnungen auszuführen.

Der Fall liegt so: Wir haben in letzter Zeit auch gefälschte Banknoten unter die Leute gebracht. Es handelt sich um Zehnschilling- und Pfundnoten. Wo sie gedruckt worden sind, ist im Augenblick gleichgültig. Vor einiger Zeit hatten wir nun Pech. Einer der Leute wurde verhaftet, als er ungefähr vierzig Pfund in gefälschten Noten bei sich hatte. Dazu kommt, daß die Polizei schon Unangenehmes über ihn weiß. Er hat einiges auf dem Kerbholz, und wenn er wegen dieser Geschichte verurteilt wird, kriegt er eine ganz gehörige Strafe. Obendrein werden die anderen, die auch die falschen Banknoten unter die Leute bringen, Angst bekommen und nichts mehr damit zu tun haben wollen. Das ist vor allem der Grund, warum Maddick sofort handeln will. Wir müssen sehen, daß die Sache gut ausgeht.«

»Es ist allerdings ein tolles Stück, wenn man versuchen will, einen Mann vor oder nach der Gerichtsverhandlung zu befreien«, erwiderte Mick gleichgültig.

Delaney sah ihn betroffen an.

»Großer Gott, so einen unverfrorenen Kerl habe ich doch lange nicht gesehen! Bilden Sie sich wirklich ein, daß wir den Mann durch Sie befreien lassen wollen? Würden Sie so etwas tatsächlich wagen?«

»Morgen früh gerade nicht, aber wenn ich die nötige Zeit hätte, meine Vorbereitungen zu treffen, wüßte ich nicht, warum man das nicht probieren sollte.«

»Gut, das werde ich Maddick mitteilen.« Alibi lachte. »Das wird ihm Spaß machen. Aber nun hören Sie einmal ein paar Minuten zu. Wir haben einen tüchtigen Rechtsanwalt für Arch Redfern gewonnen. So heißt der Mann. Maddick hat eine große Summe für die Verteidigung ausgesetzt. Der Anwalt Conway Addison wird bei Gericht für Redfern auftreten. Wir haben auch schon allerhand Material für die Verteidigung gesammelt, aber wir wollen noch sicherer gehen, und dazu sollen Sie uns verhelfen.«

»Sagen Sie mir, worum es sich handelt, dann werde ich es schon ausführen.«

»Das ist recht, mein Junge. Also, in kurzem, wir wollen beweisen, daß Redfern die falschen Banknoten bei den Pferderennen bekommen hat. Auf dem Rennplatz nehmen die Buchmacher viel falsches Geld ein und zahlen es auch den Leuten, die wetten, wieder aus. Darauf läuft es hinaus. Aber wir müssen das durch Zeugenaussagen bekräftigen.

In Borough Road Nr. 486 finden Sie das Büro des Buchmachers Andrew Purvis. Notieren Sie sich den Namen und die Adresse. Der arbeitet öfter mit uns zusammen und tut für uns, was er kann. Hier haben Sie ein Bild von Redfern. Zeigen Sie das Purvis und sagen Sie ihm, daß Redfern regelmäßig bei den Rennen bei ihm gewettet hat. Am 26. März – dem Tage, an dem Redfern verhaftet wurde – hatte Purvis ihm ungefähr sechzig Pfund in Einpfundnoten und Zehnschillingsscheinen ausgezahlt. Der Verteidiger wird dann ein paar Fragen stellen, und Purvis hat folgendermaßen darauf zu antworten:

›Sehen Sie sich diese Banknoten an, Mr. Purvis. Können Sie mir sagen, ob das die Scheine waren, die Sie dem Angeklagten am 26. März auszahlten?‹

Antwort: ›Ich kann nicht behaupten, daß es dieselben sind, aber da der Angeklagte kurz darauf verhaftet wurde, nehme ich an, daß er diese Banknoten von mir bekam.‹

›Sie sehen doch, daß es Fälschungen sind, Mr. Purvis?‹

Antwort: ›Das ist leicht möglich. Wie alle anderen Buchmacher habe ich bei den Rennen häufig das Pech, eine große Anzahl gefälschter Scheine zu bekommen. An Tagen, an denen viel gewettet wurde, hatte ich am Schluß manchmal bis zu zweihundert falsche Banknoten bei mir. Vielleicht darf ich noch bemerken, daß bei den Rennen in England bekanntermaßen sehr viele falsche Scheine in Umlauf gesetzt werden.‹

›Sie würden der Behauptung des Angeklagten, daß er diese Scheine von Ihnen bekommen hat, also nicht widersprechen?‹

Antwort: ›Natürlich nicht. Das ist sehr wahrscheinlich.‹

Das ist die ganze Geschichte, die Sie sich merken müssen, Pete. Wir glauben, daß wir daraufhin einen Freispruch durchsetzen.«

»Verdammt schlau ausgeheckt, direkt großartig«, sagte der junge Mann bewundernd. »Haben Sie das ausgeknobelt?«

»Nein, Maddick selbst. Der Boß ist wirklich ein Genie darin. Ich beschaffe nur die Alibis für unsere Leute, daher habe ich auch meinen Spitznamen. Nun hören Sie noch einen Augenblick zu, damit ich Ihnen die weiteren Anweisungen geben kann. Wenn Sie mit Purvis gesprochen und ihm die ganze Geschichte eingehämmert haben, nehmen Sie ihn mit zu den Anwälten Newall und Gibbs, Chancery Lane Nr. 45a. Dort kann er seine Aussagen schriftlich zu Protokoll geben. Wenn das geschehen ist, gehen Sie mit ihm zu dem Büro von Addison, der Redfern verteidigen wird, und sorgen dafür, daß alles klappt. Es ist sehr leicht möglich, daß Addison die Sache mit Purvis erst durchproben will. Sie müssen dabei sein, damit Purvis keine Dummheiten macht und etwas anderes sagt. Wenn dort alles klar ist, kommen Sie zurück. Ich warte hier auf Sie.«

»Wie steht es denn mit den Anwälten und dem Verteidiger? Wissen die etwas davon, daß das ein falsches Zeugnis ist?«

»Um Himmels willen, nein! Denen müssen Sie Folgendes erzählen: Zufällig wären Sie mit Purvis zusammengekommen, und da Sie glaubten, daß seine Aussagen dem Angeklagten helfen könnten, hätten Sie ihn gleich mitgebracht.«

»Aber warum machen Sie denn die Sache nicht selbst? Sie kennen doch Purvis.«

»Aus drei guten Gründen. Erstens habe ich nicht den Auftrag dazu bekommen, zweitens habe ich selbst etwas anderes zu tun, und drittens möchte ich nicht, daß Purvis als Zeuge gefragt wird, ob er mich in letzter Zeit gesehen hat. Führen Sie Ihren Auftrag nur aus. Gegen ein Uhr können Sie wieder zurück sein.«

»Wenn Purvis nun aber wissen will, wieviel er dafür bekommt?«

»Sagen Sie ihm, daß er immer anständig behandelt worden ist, und daß es diesmal ebenso sein wird wie sonst. Maddick zahlt nach dem Erfolg.«

Cardby setzte den Hut auf, schob ihn kühn zur Seite, warf noch einen Blick in den Spiegel und rückte die Krawatte zurecht, dann ging er mit Delaney die Treppe hinunter. Im Flur blieb Alibi stehen und steckte sich eine Zigarette an.

»Gehen Sie schon – ich warte hier noch ein paar Minuten. Es ist nicht gut, wenn wir beide zusammen beobachtet werden.«

Mick nickte und trat auf die Straße hinaus.

Alibi ging zur Küche und öffnete die Tür.

»Nun, was haben Sie herausbekommen, Beattie?« fragte er.

»Nichts. Das ist ein ganz Gerissener.«

»Hat er Geld?«

»Er hat mir einen Monat im voraus bezahlt. Knapp scheint er nicht zu sein.«

»Sie haben aber offenbar nicht viel für Ihr Geld getan, Beattie.«

»Bis jetzt habe ich ja auch nur ein Pfund bekommen, Alibi.«

»Hier ist noch ein Schein. Glauben Sie, daß er schon viel Erfolg gehabt hat?«

»Das ist nicht leicht zu sagen. Die Kerle sind jetzt nicht mehr so wie früher. Heuztutage gehen ganz gewöhnliche Einbrecher fein gekleidet wie die Grafen und Barone. Was macht er denn eigentlich?«

»Alles – wenigstens sagt er das.«

»Leere Büchsen klappern am meisten.«

»Täuschen Sie sich nicht, Beattie. Der ist kein hohler Kopf. Entweder hat er mich vollständig hinters Licht geführt, oder er ist einer der tüchtigsten Spitzbuben, die ich jemals getroffen habe. Halten Sie die Augen offen, es gibt kein Geld mehr, wenn Sie nichts herausbringen.«

»Ich will mein Bestes tun, Alibi.«

*

Mick Cardby betrat das Büro des Buchmachers. Ein Angestellter meldete ihn an und brachte ihn dann nach dem kleinen Privatbüro von Mr. Purvis. Die Einrichtung war kostbar, aber geschmacklos.

Andrew Purvis füllte den reichgeschnitzten Schreibsessel vollkommen aus. Sein Doppelkinn hing bis auf den Kragen herunter, und zwischen den dicken, breiten Lippen hielt er eine große Zigarre. Seine kleinen Schweinsaugen waren in ein fleischiges Gesicht eingebettet. Ohne aufzustehen, zeigte er mit seiner plumpen Hand auf einen Stuhl in der Nähe, nahm ein paar kräftige Züge aus der Zigarre und wartete.

»Ich komme von Maddick«, erklärte Mick geradeheraus.

Purvis betrachtete den Diamantring an seinem kleinen Finger, dann blies er eine neue Rauchwolke zur Decke hinauf.

»Wer ist Maddick?« fragte er, ohne seinen Besucher anzusehen.

»Darüber wissen Sie ebensoviel wie ich. Alibi Delaney hat mich hergeschickt. Nun brauchen Sie mir bloß noch zu sagen, daß Sie den auch nicht kennen.«

»Es scheint, daß ich den Namen schon gehört habe. Worum handelt es sich?«

»Sie sollen uns helfen. Es ist nur eine kleine Angelegenheit.«

»So heißt es jedesmal, wenn einer von Ihnen zu mir kommt.«

»Diese Sache wird Sie keine schlaflosen Nächte kosten. Haben Sie in der Zeitung etwas über Arch Redfern gelesen?«

»Hm. Ist der nicht verhaftet worden, weil er falsche Banknoten ausgegeben hat?«

»Ganz richtig. Morgen wird sein Fall in Old Bailey verhandelt, und dabei sollen Sie uns behilflich sein.«

»Lassen Sie hören, was Sie wollen, dann werde ich es mir überlegen.«

In fünf Minuten hatte Mick erklärt, worum es ging. Purvis steckte sich inzwischen eine andere Zigarre an und schob Mick die Kiste zu. Der junge Mann schüttelte den Kopf, nahm aber ein Glas Whisky-Soda an.

»Ja«, sagte der Buchmacher und unterdrückte ein Gähnen. »Das will ich schon tun, vorausgesetzt, daß es sich lohnt. Wieviel bekomme ich denn dafür?«

»Maddick zahlt nach dem Erfolg. Sie wissen, daß er sich nicht lumpen läßt.«

»Schon gut, ich traue ihm. Wir wollen ein Taxi nehmen und die Geschichte schnell erledigen.«

Auf dem Weg zu den Anwälten stöhnte Purvis über die schlechten Zeiten, und als sie die Wendeltreppe zu dem Büro hinaufstiegen, fluchte er bei jeder Stufe.

»Ich möchte den Anwalt sprechen, der für die Verteidigung des Angeklagten Redfern sorgt. Der Fall wird morgen in Old Bailey verhandelt«, sagte Cardby zu dem Büroangestellten.

Es dauerte nicht lange, bis sie Mr. Montague Newall, einem hageren, großen Mann mit kahlem Kopf und bleichem Gesicht, gegenübersaßen. Der schwarze Rock hing an seinen Schultern herunter, als ob er auf einen Kleiderbügel aufgehängt wäre.

»Also, der Fall Redfern«, sagte er und legte ein Aktenbündel auf den Tisch. »Warum sind Sie zu mir gekommen?«

»Ich bin ein Freund von Redfern«, erklärte Mick, »und dieser Herr hier, Mr. Andrew Purvis, den ich heute traf, machte mir eine Mitteilung, die für die Verteidigung sehr wichtig sein könnte. Erzählen Sie doch einmal Ihre Geschichte, Mr. Purvis.«

Der dicke Mann sprach so fließend und geläufig, daß seine Worte überzeugend klangen.

»Äußerst wichtig, äußerst wichtig«, erwiderte Newall, als der Buchmacher zu Ende war. »Wir wollen Ihre Aussagen sofort zu Protokoll nehmen.« Er klingelte. »Sie sind doch sicher auch bereit, Ihre Aussagen morgen vor Gericht zu wiederholen?«

»Natürlich, wenn Sie glauben, daß das dem Angeklagten helfen wird.«

Als Purvis das Protokoll unterschrieben hatte, wandte Mick sich noch einmal an den Anwalt.

»Damit diese Aussagen auch richtig vorgebracht werden, möchte ich Mr. Purvis und das Protokoll zum Verteidiger, Mr. Conway Addison, bringen.«

»Das ist – etwas ungewöhnlich, Mr. Wall.«

»Nun, es wird doch sicher in Ordnung sein, wenn Sie uns begleiten?«

»Hm. Nun gut, dann wollen wir gleich hingehen.«

Sie hatten Glück. Mr. Conway Addison war nicht nur in seinem Büro, sondern ließ sie auch sofort vor.

Er saß hinter einem großen Stoß von Akten. Rechts und links auf seinem Schreibtisch waren juristische Werke aufgeschlagen. Er war schon ein älterer Herr mit Runzeln und Falten, den Mick auf etwa siebzig Jahre schätzte. Lebhafte dunkle Augen leuchteten in dem bleichen Gesicht. Auch die Lippen waren ohne Farbe. Er war nicht groß und auch ziemlich schmächtig. Man hätte ihn als unbedeutend übergehen können, wenn nicht seine glänzenden Augen und die raschen Bewegungen seiner Hände aufgefallen wären.

Er spielte mit einer roten Aktenschnur, während Newall berichtete.

»Das macht für die Beurteilung des Falles natürlich einen großen Unterschied aus«, sagte er schließlich. Seine Stimme hatte einen erstaunlich tiefen, melodischen Klang. »Wenn Sie mir das Protokoll geben, kann ich vielleicht mit Mr. Purvis die Sache noch einmal durchsprechen.«

Zehn Minuten lang wurde der Buchmacher ausgefragt wie ein Schüler, der eine Prüfung zu bestehen hat. Endlich lehnte Addison sich in seinen Stuhl zurück und schaute von einem zum anderen.

»Ich möchte nur wissen, welche Fragen der Staatsanwalt an ihn stellen wird. Daran müssen wir auch denken. Mr. Purvis, nehmen Sie einmal einen Augenblick an, ich wäre der Staatsanwalt und Sie hätten eben Ihre Aussagen gemacht. Versuchen Sie, meine Fragen zu beantworten, als ob Sie im Zeugenstand vor dem Richter und den Geschworenen ständen. Sind Sie mir gefolgt?«

»Ja, ich weiß, was Sie meinen.«

»Haben Sie nach einem Rennen öfter gefälschte Noten in Ihrem Besitz gehabt?«

»Ja, häufig. Manchmal kommen sie in großen Mengen.«

»Wenn Sie nun entdecken, daß Sie gefälschte Scheine in Ihrer Tasche haben, was tun Sie dann damit?«

»Ich nehme sie am nächsten Tag wieder auf den Rennplatz und hoffe, daß ich sie denselben Leuten auszahle, die sie mir am Tage vorher gegeben haben.«

Tiefes Schweigen herrschte plötzlich im Zimmer. Addison lächelte grimmig.

»Sie zahlen also diese Banknoten aus, obwohl Sie wissen, daß es Fälschungen sind?«

Purvis faßte an seinen Kragen. Es wurde ihm unheimlich zumute.

»Mein Gott, jetzt bin ich wirklich in die Falle gegangen!«

»Auf Grund dieser Aussage müßten Sie eigentlich neben Redfern auf der Anklagebank sitzen.«

»Was muß ich denn darauf antworten?« fragte der Buchmacher bestürzt.

»Meiner Meinung nach haben Sie einen Ausweg«, bemerkte Cardby. »Ich würde an Ihrer Stelle sagen, daß ich gewöhnlich, wenn ich von den Rennen nach Hause komme, die Banknoten nicht genau prüfe, sondern nur zähle. Es ist vorgekommen, daß sie bei der Bank nicht angenommen wurden, wenn ich sie einzahlen wollte. Dann werden sie entweder vernichtet oder der Polizei übergeben. Ebenso wurde es gemacht, als einer meiner Kunden auf der Rennbahn entdeckte, daß ich ihm falsche Scheine ausgezahlt hatte. Als Buchmacher habe ich nicht die Pflicht, alle Banknoten, die ich einnehme und ausgebe, genau zu prüfen. Bei den Rennen geht das Geschäft so schnell vor sich, daß ich dazu nicht die nötige Zeit habe.«

»Schade, daß Sie nicht morgen selbst als Zeuge an seiner Stelle auftreten können«, sagte Addison. »Mr. Purvis, ich gebe Ihnen den Rat, sich das genau zu merken. Das ist die einzig richtige Antwort auf die Frage. Das wäre alles. Entschuldigen Sie mich jetzt, ich habe viel zu tun. Bei der Verhandlung sehen wir uns wieder.«

Kurz vor eins kam Cardby in seine Wohnung zurück. Alibi saß auf dem Bett und las die Morgenzeitungen.

»Alles in Ordnung«, berichtete der junge Mann. »Purvis weiß, was er zu tun hat.«

»Gut, dann suchen Sie jetzt Ihre Kleider zusammen. Wir haben eine bessere Wohnung für Sie. Die Polizei hat hier in der Gegend schon Nachforschungen angestellt, und Sie dürfen nicht verhaftet werden, bevor Sie angefangen haben. Ich rufe ein Taxi, während Sie Ihre Sachen packen.«


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