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Siebentes Kapitel.

Das Kloster Caripe. – Die Höhle des Guacharo. – Nachtvögel.


Eine Allee von Perseabäumen führte uns zum Hospiz der aragonesischen Kapuziner. Bei einem Kreuze aus Brasilholz mitten auf einem großen Platze machten wir Halt. Das Kreuz ist von Bänken umgeben, wo die kranken und schwachen Mönche ihren Rosenkranz beten. Das Kloster lehnt sich an eine ungeheure, senkrechte, dicht bewachsene Felswand. Das blendend weiße Gestein blickt nur hin und wieder hinter dem Laube vor. Man kann sich kaum eine malerischere Lage denken; sie erinnerte mich lebhaft an die Thäler der Grafschaft Derby und an die höhlenreichen Berge von Muggendorf in Franken. An die Stelle der europäischen Buchen und Ahorne treten hier die großartigeren Gestalten der Ceiba und der Praga- und Irassepalmen. Unzählige Quellen brechen aus den Bergwänden, die das Becken von Caripe kreisförmig umgeben und deren gegen Süd steil abfallende Hänge 320 m hohe Profile bilden. Diese Quellen kommen meist aus Spalten oder engen Schluchten hervor. Die Feuchtigkeit, die sie verbreiten, befördert das Wachstum der großen Bäume, und die Eingeborenen, welche einsame Orte lieben, legen ihre Conucos längs dieser Schluchten an. Bananen und Melonenbäume stehen hier um Gebüsche von Baumfarn. Dieses Durcheinander von kultivierten und wilden Gewächsen gibt diesen Punkten einen eigentümlichen Reiz. An den nackten Bergseiten erkennt man die Stellen, wo Quellen zu Tage kommen, schon von weitem an den dichten Massen von Grün, die anfangs am Gestein zu hängen scheinen und sich dann den Windungen der Bäche nach ins Thal hinunterziehen.

Wir wurden von den Mönchen im Hospiz mit der größten Zuvorkommenheit aufgenommen. Der Pater Guardian war nicht zu Hause; aber er war von unserem Abgange von Cumana in Kenntnis gesetzt und hatte alles aufgeboten, um uns den Aufenthalt angenehm zu machen. Das Hospiz hat einen inneren Hof mit einem Kreuzgange, wie die spanischen Klöster. Dieser geschlossene Raum war sehr bequem für uns, um unsere Instrumente unterzubringen und zu beobachten. Wir trafen im Kloster zahlreiche Gesellschaft: junge, vor kurzem aus Europa angekommene Mönche sollten eben in die Missionen verteilt werden, während alte, kränkliche Missionäre in der scharfen, gesunden Gebirgsluft von Caripe Genesung suchten. Ich wohnte in der Zelle des Guardians, in der sich eine ziemlich ansehnliche Büchersammlung befand. Ich fand hier zu meiner Ueberraschung neben Feijos Teatro critico und den »Erbaulichen Briefen« auch Abbé Nollets » Traité de l'électricité«. Der Fortschritt in der geistigen Entwickelung ist, sollte man da meinen, sogar in den Wäldern Amerikas zu spüren. Der jüngste Kapuziner von der letzten Mission Außer den Dörfern, in denen Eingeborene unter der Obhut eines Geistlichen stehen, nennt man in den spanischen Kolonieen Mission auch die jungen Mönche, die miteinander aus einem spanischen Hafen abgehen, um in der Neuen Welt oder auf den Philippinen die Niederlassungen der Ordensgeistlichen zu ergänzen. Daher der Ausdruck: »in Cadix eine neue Mission holen.« hatte eine spanische Uebersetzung von Chaptals Chemie mitgebracht. Er gedachte dieses Werk in der Einsamkeit zu studieren, in der er fortan für seine übrige Lebenszeit sich selbst überlassen sein sollte. Ich glaube kaum, daß bei einem jungen Mönche, der einsam am Ufer des Rio Tigre lebt, der Wissenstrieb wach und rege bleibt; aber so viel ist sicher und gereicht dem Geiste des Jahrhunderts zur Ehre, daß wir bei unserem Aufenthalte in den Klöstern und Missionen Amerikas nie eine Spur von Unduldsamkeit wahrgenommen haben. Die Mönche in Caripe wußten wohl, daß ich im protestantischen Deutschland zu Hause war. Mit den Befehlen des Madrider Hofes in der Hand, hatte ich keinen Grund, ihnen ein Geheimnis daraus zu machen; aber niemals that irgend ein Zeichen von Mißtrauen, irgend eine unbescheidene Frage, irgend ein Versuch, eine Kontroverse anzuknüpfen, dem wohlthuenden Eindrucke der Gastfreundschaft, welche die Mönche mit so viel Herzlichkeit und Offenheit übten, auch nur den geringsten Eintrag. Wir werden weiterhin untersuchen, woher diese Duldsamkeit der Missionäre rührt und wie weit sie geht.

Das Kloster liegt an einem Orte, der in alter Zeit Areocuar hieß. Seine Meereshöhe ist ungefähr dieselbe wie die der Stadt Caracas oder des bewohnten Striches in den Blauen Bergen von Jamaika. Auch ist die mittlere Temperatur dieser drei Punkte, die alle unter den Tropen liegen, so ziemlich dieselbe. In Caripe fühlt man das Bedürfnis, sich nachts zuzudecken, besonders bei Sonnenaufgang. Wir sahen den hundertteiligen Thermometer um Mitternacht zwischen 16 und 17½º stehen, morgens zwischen 19 und 20º. Gegen ein Uhr nachmittags stand er nur auf 21 bis 22,5º. Es ist dies eine Temperatur, bei der die Gewächse der heißen Zone noch wohl gedeihen; gegenüber der übermäßigen Hitze auf den Ebenen bei Cumana könnte man sie eine Frühlingstemperatur nennen. Das Wasser, das man in porösen Thongefäßen dem Luftzuge aussetzt, kühlt sich in Caripe während der Nacht auf 13º ab. Ich brauche nicht zu bemerken, daß solches Wasser einem fast eiskalt vorkommt, wenn man in einem Tage entweder von der Küste oder von den glühenden Savannen von Terezen ins Kloster kommt und daher gewöhnt ist, Flußwasser zu trinken, das meist 25 bis 26º warm ist.

Die mittlere Temperatur des Thales von Caripe scheint, nach der des Monats September zu schließen, 18,5º zu sein. Nach den Beobachtungen, die man in Cumana gemacht, weicht unter dieser Zone die Temperatur des Septembers von der des ganzen Jahres kaum um einen halben Grad ab. Die mittlere Temperatur von Caripe ist gleich der des Monats Juni zu Paris, wo übrigens die größte Hitze 10º mehr beträgt als an den heißesten Tagen in Caripe. Da das Kloster nur 780 m über dem Meere liegt, so fällt es auf, wie rasch die Wärme von der Küste an abnimmt. Wegen der dichten Wälder können die Sonnenstrahlen nicht vom Boden abprallen, und dieser ist feucht und mit einem dicken Gras- und Moosfilz bedeckt. Bei anhaltend nebelichter Witterung ist von Sonnenwirkung ganze Tage lang nichts zu spüren und gegen Einbruch der Nacht wehen frische Winde von der Sierra del Guacharo ins Thal herunter.

Die Erfahrung hat ausgewiesen, daß das gemäßigte Klima und die leichte Luft des Ortes dem Anbau des Kaffeebaumes, der bekanntlich hohe Lagen liebt, sehr förderlich sind. Der Superior der Kapuziner, ein thätiger, aufgeklärter Mann, hat in seiner Provinz diesen neuen Kulturzweig eingeführt. Man baute früher Indigo in Caripe, aber die Pflanze, die starke Hitze verlangt, lieferte hier so wenig Farbstoff, daß man es aufgab. Wir fanden im Gemeindeconuco viele Küchenkräuter, Mais, Zuckerrohr und fünftausend Kaffeestämme, die eine reiche Ernte versprachen. Die Mönche hofften in wenigen Jahren ihrer dreimal so viel zu haben. Man sieht auch hier wieder, wie die geistliche Hierarchie überall, wo sie es mit den Anfängen der Kultur zu thun hat, in derselben Richtung ihre Thätigkeit entwickelt. Wo die Klöster es noch nicht zum Reichtum gebracht haben, auf dem neuen Kontinente wie in Gallien, in Syrien wie im nördlichen Europa, überall wirken sie höchst vorteilhaft auf die Urbarmachung des Bodens und die Einführung fremdländischer Gewächse. In Caripe stellt sich der Gemeindeconuco als ein großer, schöner Garten dar. Die Eingeborenen sind gehalten, jeden Morgen von sechs bis zehn Uhr darin zu arbeiten. Die Alkaden und Alguazile von indianischem Blute führen dabei die Aufsicht. Es sind das die hohen Staatsbeamten, die allein einen Stock tragen dürfen und vom Superior des Klosters angestellt werden. Sie legen auf jenes Recht sehr großes Gewicht. Ihr pedantischer, schweigsamer Ernst, ihre kalte, geheimnisvolle Miene, der Eifer, mit dem sie in der Kirche und bei den Gemeindeversammlungen repräsentieren, kommt den Europäern höchst lustig vor. Wir waren an diese Züge im Charakter des Indianers noch nicht gewöhnt, fanden sie aber später gerade so am Orinoko, in Mexiko und Peru bei Völkern von sehr verschiedenen Sitten und Sprachen. Die Alkaden kamen alle Tage ins Kloster, nicht sowohl um mit den Mönchen über Angelegenheiten der Mission zu verhandeln, als unter dem Vorwande, sich nach dem Befinden der kürzlich angekommenen Reisenden zu erkundigen. Da wir ihnen Branntwein gaben, wurden die Besuche häufiger, als die Geistlichen gerne sahen.

Solange wir uns in Caripe und in den anderen Missionen der Chaymas aufhielten, sahen wir die Indianer überall milde behandeln. Im allgemeinen schien uns in den Missionen der aragonesischen Kapuziner grundsätzlich eine Ordnung und eine Zucht zu herrschen, wie sie leider in der Neuen Welt selten zu finden sind. Mißbräuche, die mit dem allgemeinen Geiste aller klösterlichen Anstalten zusammenhängen, dürfen dem einzelnen Orden nicht zur Last gelegt werden. Der Guardian des Klosters verkauft den Ertrag des Gemeindeconuco, und da alle Indianer darin arbeiten, so haben auch alle gleichen Teil am Gewinn. Mais, Kleidungsstücke, Ackergeräte, und, wie man versichert, zuweilen auch Geld werden unter ihnen verteilt. Diese Mönchsanstalten haben, wie ich schon oben bemerkt, Aehnlichkeit mit den Gemeinden der Mährischen Brüder; sie fördern die Entwickelung in der Bildung begriffener Menschenvereine, und in den katholischen Gemeinden, die man Missionen nennt, wird die Unabhängigkeit der Familien und die Selbständigkeit der Genossenschaftsglieder mehr geachtet als in den protestantischen Gemeinden nach Zinzendorfs Regel.

Am berühmtesten ist das Thal von Caripe, neben der ausnehmenden Kühle des Klimas, durch die große Cueva oder Höhle des Guacharo. In einem Lande, wo man so großen Hang zum Wunderbaren hat, ist eine Höhle, aus der ein Strom entspringt und in der Tausende von Nachtvögeln leben, mit deren Fett man in den Missionen kocht, natürlich ein unerschöpflicher Gegenstand der Unterhaltung und des Streites. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuß ans Land gesetzt, so hört er zum Ueberdrusse vom Augenstein von Araya, vom Landmanne in Arenas, der sein Kind gesäugt, und von der Höhle des Guacharo, die mehrere Kilometer lang sein soll. Lebhafte Teilnahme an Naturmerkwürdigkeiten erhält sich überall, wo in der Gesellschaft kein Leben ist, wo in trübseliger Eintönigkeit die alltäglichen Vorkommnisse sich ablösen, bei denen die Neugierde keine Nahrung findet.

Die Höhle, welche die Einwohner eine »Fettgrube« nennen, liegt nicht im Thal von Caripe selbst, sondern etwa 13 km vom Kloster gegen West-Süd-West. Sie mündet in einem Seitenthale aus, das der Sierra des Guacharo zuläuft. Am 18. September brachen wir nach der Sierra auf, begleitet von den indianischen Alkaden und den meisten Ordensmännern des Klosters. Ein schmaler Pfad führte zuerst anderthalb Stunden lang südwärts über eine lachende, schön beraste Ebene, dann wandten wir uns westwärts an einem kleinen Flusse hinauf, der aus der Höhle hervorkommt. Man geht drei Viertelstunden lang aufwärts bald im Wasser, das nicht tief ist, bald zwischen dem Fluß und einer Felswand, auf sehr schlüpfrigem, morastigem Boden. Zahlreiche Erdfälle, umherliegende Baumstämme, über welche die Maultiere nur schwer hinüber kommen, die Rankengewächse am Boden machen dieses Stück des Weges sehr ermüdend. Wir waren überrascht, hier, kaum 970 m über dem Meere, eine Kreuzblüte zu finden, den Raphanus pinnatus. Man weiß, wie selten Arten dieser Familie unter den Tropen sind; sie haben gleichsam einen nordischen Typus, und auf diesen waren wir hier auf dem Plateau von Caripe, in so geringer Meereshöhe, nicht gefaßt.

Wenn man am Fuß des hohen Guacharoberges nur noch vierhundert Schritte von der Höhle entfernt ist, sieht man den Eingang noch nicht. Der Bach läuft durch eine Schlucht, die das Wasser eingegraben, und man geht unter einem Felsenüberhang, so daß man den Himmel gar nicht sieht. Der Weg schlängelt sich mit dem Fluß und bei der letzten Biegung steht man auf einmal vor der ungeheuren Mündung der Höhle. Der Anblick hat etwas Großartiges selbst für Augen, die mit der malerischen Szenerie der Hochalpen vertraut sind. Ich hatte damals die Höhlen am Pik von Derbyshire gesehen, wo man, in einem Nachen ausgestreckt, unter einem 60 cm hohen Gewölbe über einen unterirdischen Fluß setzt. Ich hatte die schöne Höhle von Treshemienshiz in den Karpaten befahren, ferner die Höhlen im Harz und in Franken, die große Grabstätten sind für die Gebeine von Tigern, Hyänen und Bären, die so groß waren, wie unsere Pferde. Die Natur gehorcht, unter allen Zonen unabänderlichen Gesetzen in der Verteilung der Gebirgsarten, in der äußeren Gestaltung der Berge, selbst in den gewaltsamen Veränderungen, welche die äußere Rinde unseres Planeten erlitten hat. Nach dieser großen Einförmigkeit konnte ich glauben, die Höhle von Caripe werde im Aussehen von dem, was ich derart auf meinen früheren Reisen beobachtet, eben nicht sehr abweichen; aber die Wirklichkeit übertraf meine Erwartung weit. Wenn einerseits alle Höhlen nach ihrer ganzen Bildung, durch den Glanz der Stalaktiten, in allem, was die unorganische Natur betrifft, auffallende Aehnlichkeit miteinander haben, so gibt andererseits der großartige tropische Pflanzenwuchs der Mündung eines solchen Erdenlochs einen ganz eigenen Charakter.

Die Cueva del Guacharo öffnet sich im senkrechten Profil eines Felsens. Der Eingang ist nach Süd gekehrt; es ist eine Wölbung 26 m breit und 23 hoch, also bis auf ein Fünfteil so hoch als die Kolonnade des Louvre. Auf dem Fels über der Grotte stehen riesenhafte Bäume. Der Mamei und der Genipabaum mit breiten glänzenden Blättern strecken ihre Aeste gerade gen Himmel, während die des Courbaril und der Erythrina sich ausbreiten und ein dichtes grünes Gewölbe bilden. Pothos mit saftigen Stengeln, Oxalis und Orchideen von seltsamem Bau Ein Dendrobium mit goldgelber, schwarzgefleckter, 8 cm langer Blüte. wachsen in den dürrsten Felsspalten, während vom Winde geschaukelte Rankengewächse sich vor dem Eingange der Höhle zu Gewinden verschlingen. Wir sahen in diesen Blumengewinden eine violette Bignonie, das purpurfarbige Dolichos und zum erstenmal die prachtvolle Solandra, deren orangegelbe Blüte eine über 10 cm lange fleischige Röhre hat. Es ist mit dem Eingange der Höhlen, wie mit der Ansicht der Wasserfälle; der Hauptreiz besteht in der mehr oder weniger großartigen Umgebung, die den Charakter der Landschaft bestimmt. Welcher Kontrast zwischen der Cueva de Caripe und den Höhlen im Norden, die von Eichen und düsteren Lärchen beschattet sind!

Aber diese Pflanzenpracht schmückt nicht allein die Außenseite des Gewölbes, sie dringt sogar in den Vorhof der Höhle ein. Mit Erstaunen sahen wir, daß 6 m hohe prächtige Helikonien mit Pisangblättern, Pragapalmen und baumartige Arumarten die Ufer des Baches bis unter die Erde säumten. Die Vegetation zieht sich in die Höhle von Caripe hinein, wie in die tiefen Felsspalten in den Anden, in denen nur ein Dämmerlicht herrscht, und sie hört erst 30 bis 40 Schritte vom Eingange auf. Wir maßen den Weg mittels eines Strickes und waren gegen 140 m weit gegangen, ehe wir nötig hatten die Fackeln anzuzünden. Das Tageslicht dringt so weit ein, weil die Höhle nur einen Gang bildet, der sich in derselben Richtung von Südost nach Nordwest hineinzieht. Da wo das Licht zu verschwinden anfängt, hört man das heisere Geschrei der Nachtvögel, die, wie die Eingeborenen glauben, nur in diesen unterirdischen Räumen zu Hause sind.

Der Guacharo hat die Größe unserer Hühner, die Stimme der Ziegenmelker und Proknias, die Gestalt der geierartigen Vögel mit Büscheln steifer Seide um den krummen Schnabel. Streicht man nach Cuvier die Ordnung der Picae (Spechte), so ist dieser merkwürdige Vogel unter die Passeres zu stellen, deren Gattungen fast unmerklich ineinander übergehen. Ich habe ihn im zweiten Band meiner Observations de Zoologie et d'anatomie comparée in einer eigenen Abhandlung unter dem Namen Steatornis (Fettvogel) beschrieben. Er bildet eine neue Gattung, die sich von Caprimulgus durch den Umfang der Stimme, durch den ausnehmend starken, mit einem doppelten Zahn versehenen Schnabel, durch den Mangel der Haut zwischen den vorderen Zehengliedern wesentlich unterscheidet. In der Lebensweise kommt er sowohl den Ziegenmelkern als den Alpenkrähen Corvus Pyrrhocorax. nahe. Sein Gefieder ist dunkel graublau, mit kleinen schwarzen Streifen und Tupfen; Kopf, Flügel und Schwanz zeigen große weiße, herzförmige, schwarz gesäumte Flecken. Die Augen des Vogels können das Tageslicht nicht ertragen, sie sind blau und kleiner als bei den Ziegenmelkern. Die Flügel haben 17 bis 18 Schwungfedern und ihre Spannung beträgt 1,13 m. Der Guacharo verläßt die Höhle bei Einbruch der Nacht, besonders bei Mondschein. Es ist so ziemlich der einzige körnerfressende Nachtvogel, den wir bis jetzt kennen; schon der Bau seiner Füße zeigt, daß er nicht jagt, wie unsere Eulen. Er frißt sehr harte Samen, wie der Nußhäher ( Corvus cariocatactes) und der Pyrrhocorax. Letzterer nistet auch in Felsspalten und heißt der »Nachtrabe«. Die Indianer behaupten, der Guacharo gehe weder Insekten aus der Ordnung der Lamellicornia (Käfern), noch Nachtschmetterlingen nach, von denen die Ziegenmelker sich nähren. Man darf nur die Schnäbel des Guacharo und des Ziegenmelkers vergleichen, um zu sehen, daß ihre Lebensweise ganz verschieden sein muß.

Schwer macht man sich einen Begriff vom furchtbaren Lärm, den Tausende dieser Vögel im dunkeln Inneren der Höhle machen. Er läßt sich nur mit dem Geschrei unserer Krähen vergleichen, die in den nordischen Tannenwäldern gesellig leben und auf Bäumen nisten, deren Gipfel einander berühren. Das gellende durchdringende Geschrei des Guacharo hallt wider vom Felsgewölbe und aus der Tiefe der Höhle kommt es als Echo zurück. Die Indianer zeigten uns die Nester der Vögel, indem sie Fackeln an eine lange Stange banden. Sie staken 20 bis 23 m hoch über unseren Köpfen in trichterförmigen Löchern, von denen die Decke wimmelt. Je tiefer man in die Höhle hineinkommt, je mehr Vögel das Licht der Kopalfackeln aufscheucht, desto stärker wird der Lärm. Wurde es ein paar Minuten ruhiger um uns her, so erschallte von weither das Klagegeschrei der Vögel, die in anderen Zweigen der Höhle nisteten. Die Banden lösten einander im Schreien ordentlich ab.

Jedes Jahr um Johannistag gehen die Indianer mit Stangen in die Cueva del Guacharo und zerstören die meisten Nester. Man schlägt jedesmal mehrere tausend Vögel tot, wobei die Alten, als wollten sie ihre Brut verteidigen, mit furchtbarem Geschrei den Indianern um die Köpfe fliegen. Die Jungen, die zu Boden fallen, werden auf der Stelle ausgeweidet. Ihr Bauchfell ist stark mit Fett durchwachsen, und eine Fettschicht läuft vom Unterleib zum After und bildet zwischen den Beinen des Vogels eine Art Knopf. Daß körnerfressende Vögel, die dem Tageslicht nicht ausgesetzt sind und ihre Muskeln wenig brauchen, so fett werden, erinnert an die uralten Erfahrungen beim Mästen der Gänse und des Viehs. Man weiß, wie sehr dasselbe durch Dunkelheit und Ruhe befördert wird. Die europäischen Nachtvögel sind mager, weil sie nicht wie der Guacharo von Früchten, sondern vom dürftigen Ertrag ihrer Jagd leben. Zur Zeit der »Fetternte« ( cosecha de la manteca), wie man es in Caripe nennt, bauen sich die Indianer aus Palmblättern Hütten am Eingang und im Vorhof der Höhle. Wir sahen noch Ueberbleibsel derselben. Hier läßt man das Fett der jungen, frisch getöteten Vögel am Feuer aus und gießt es in Thongefäße. Dieses Fett ist unter dem Namen Guacharoschmalz oder -öl ( manteca oder aceite) bekannt; es ist halbflüssig, hell und geruchlos. Es ist so rein, daß man es länger als ein Jahr aufbewahren kann, ohne daß es ranzig wird. In der Klosterküche zu Caripe wurde kein anderes Fett gebraucht als das aus der Höhle, und wir haben nicht bemerkt, daß die Speisen irgend einen unangenehmen Geruch oder Geschmack davon bekämen.

Die Menge des gewonnenen Oels steht mit dem Gemetzel, das die Indianer alle Jahre in der Höhle anrichten, in keinem Verhältnis. Man bekommt, scheint es, nicht mehr als 150 bis 160 Flaschen (zu 44 Kubikzoll) ganz reine Manteca; das übrige weniger helle wird in großen irdenen Gefäßen aufbewahrt. Dieser Industriezweig der Eingeborenen erinnert an das Sammeln des Taubenfetts Das Pigeon-oil kommt von der Wandertaube, Columba migratoria. in Carolina, von dem früher mehrere tausend Fässer gewonnen wurden. Der Gebrauch des Guacharofettes ist in Caripe uralt und die Missionäre haben nur die Gewinnungsart geregelt. Die Mitglieder einer indianischen Familie Namens Morocoymas behaupten von den ersten Ansiedlern im Thale abzustammen und als solche rechtmäßige Eigentümer der Höhle zu sein; sie beanspruchen das Monopol des Fetts, aber infolge der Klosterzucht sind ihre Rechte gegenwärtig nur noch Ehrenrechte. Nach dem System der Missionäre haben die Indianer Guacharoöl für das ewige Kirchenlicht zu liefern; das übrige, so behauptet man, wird ihnen abgekauft. Wir erlauben uns kein Urteil weder über die Rechtsansprüche der Morocoymas, noch über den Ursprung der von den Mönchen den Indianern auferlegten Verpflichtung. Es erschiene natürlich, daß der Ertrag der Jagd denen gehörte, die sie anstellen; aber in den Wäldern der Neuen Welt, wie im Schoße der europäischen Kultur, bestimmt sich das öffentliche Recht danach, wie sich das Verhältnis zwischen dem Starken und dem Schwachen, zwischen dem Eroberer und dem Unterworfenen gestaltet.

Das Geschlecht des Guacharo wäre längst ausgerottet, wenn nicht mehrere Umstände zur Erhaltung desselben zusammenwirkten. Aus Aberglauben wagen sich die Indianer selten weit in die Höhle hinein. Auch scheint derselbe Vogel in benachbarten, aber dem Menschen unzugänglichen Höhlen zu nisten. Vielleicht bevölkert sich die große Höhle immer wieder mit Kolonieen, welche aus jenen kleinen Erdlöchern ausziehen; denn die Missionäre versicherten uns, bis jetzt habe die Menge der Vögel nicht merkbar abgenommen. Man hat junge Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht; sie lebten da mehrere Tage ohne zu fressen, da die Körner, die man ihnen gab, ihnen nicht zusagten. Wenn man in der Höhle den jungen Vögeln Kropf und Magen aufschneidet, findet man mancherlei harte, trockene Samen darin, die unter dem seltsamen Namen »Guacharosamen« ( semilla del Guacharo) ein vielberufenes Mittel gegen Wechselfieber sind. Die Alten bringen diese Samen den Jungen zu. Man sammelt sie sorgfältig und läßt sie den Kranken in Cariaco und anderen tief gelegenen Fieberstrichen zukommen.

Wir gingen in die Höhle hinein und am Bache fort, der daraus entspringt. Derselbe ist 9 bis 10 m breit. Man verfolgt das Ufer, solange die Hügel aus Kalkinkrustationen dies gestatten; oft, wenn sich der Bach zwischen sehr hohen Stalaktitenmassen durchschlängelt, muß man in das Bett selbst hinunter, das nur 60 cm tief ist. Wir hörten zu unserer Ueberraschung, diese unterirdische Wasserader sei die Quelle des Rio Caripe, der wenige Meilen davon, nach seiner Vereinigung mit dem kleinen Rio de Santa Maria, für Pirogen schiffbar wird. Am Ufer des unterirdischen Baches fanden wir eine Menge Palmholz; es sind Ueberbleibsel der Stämme, auf denen die Indianer zu den Vogelnestern an der Decke der Höhle hinaufsteigen. Die von den Narben der alten Blattstiele gebildeten Ringe dienen gleichsam als Sprossen einer aufrecht stehenden Leiter.

Die Höhle von Caripe behält, genau gemessen, auf 472 m dieselbe Richtung, dieselbe Breite und die anfängliche Höhe von 20 bis 23 m. Ich kenne auf beiden Kontinenten keine zweite Höhle von so gleichförmiger, regelmäßiger Gestalt. Wir hatten viele Mühe, die Indianer zu bewegen, daß sie über das vordere Stück hinausgingen, das sie allein jährlich zum Fettsammeln besuchen. Es brauchte das ganze Ansehen der Patres, um sie bis zu der Stelle zu bringen, wo der Boden rasch unter einem Winkel von 60º ansteigt und der Bach einen kleinen unterirdischen Fall bildet. Diese von Nachtvögeln bewohnte Höhle ist für die Indianer ein schauerlich geheimnisvoller Ort; sie glauben, tief hinten wohnen die Seelen ihrer Vorfahren. Der Mensch, sagen sie, soll Scheu tragen vor Orten, die weder von der Sonne, Zis, noch vom Monde, Nuna, beschienen sind. Zu den Guacharos gehen, heißt so viel, als zu den Vätern versammelt werden, sterben. Daher nahmen auch die Zauberer, Piajes, und die Giftmischer, Imorons, ihre nächtlichen Gaukeleien am Eingang der Höhle vor, um den obersten der bösen Geister, Ivorokiamo, zu beschwören. So gleichen sich unter allen Himmelsstrichen die ältesten Mythen der Völker, vor allen solche, die sich auf zwei die Welt regierende Kräfte, auf den Aufenthalt der Seelen nach dem Tod, auf den Lohn der Gerechten und die Strafe der Bösen beziehen. Die verschiedensten und darunter die rohesten Sprachen haben gewisse Bilder miteinander gemein, weil diese unmittelbar aus dem Wesen unseres Denk- und Empfindungsvermögens fließen. Finsternis wird allerorten mit der Vorstellung des Todes in Verbindung gebracht. Die Höhle von Caripe ist der Tartarus der Griechen, und die Guacharos, die unter kläglichem Geschrei über dem Wasser flattern, mahnen an die stygischen Vögel.

Da wo der Bach den unterirdischen Fall bildet, stellt sich das dem Höhleneingang gegenüberliegende, grün bewachsene Gelände ungemein malerisch dar. Man sieht vom Ende eines geraden, 467 m langen Ganges daraus hinaus. Die Stalaktiten, die von der Decke herabhängen und in der Luft schwebenden Säulen gleichen, heben sich von einem grünen Hintergrunde ab. Die Oeffnung der Höhle erscheint um die Mitte des Tages auffallend enger als sonst, und wir sahen sie vor uns im glänzenden Lichte, das Himmel, Gewächse und Gestein zumal widerstrahlen. Das ferne Tageslicht stach so grell ab von der Finsternis, die uns in diesen unterirdischen Räumen umgab. Wir hatten unsere Gewehre fast aufs Geratewohl abgeschossen, so oft wir aus dem Geschrei und dem Flügelschlagen der Nachtvögel schließen konnten, daß irgendwo recht viele Nester beisammen seien. Nach mehreren fruchtlosen Versuchen gelang es Bonpland, zwei Guacharos zu schießen, die, vom Fackelschein geblendet, uns nachflatterten. Damit fand ich Gelegenheit, den Vogel zu zeichnen, der bis dahin den Zoologen ganz unbekannt gewesen war. Wir erkletterten nicht ohne Beschwerde die Erhöhung, über die der unterirdische Bach herunterkommt. Wir sahen da, daß die Höhle sich weiterhin bedeutend verengert, nur noch 13 m hoch ist und nordostwärts in ihrer ursprünglichen Richtung, parallel mit dem großen Thale des Caripe, fortstreicht.

In dieser Gegend der Höhle setzt der Bach eine schwärzlichte Erde ab, die große Ähnlichkeit hat mit dem Stoffe, der in der Muggendorfer Höhle in Franken »Opfererde« heißt. Wir konnten nicht ausfindig machen, ob diese feine, schwammige Erde durch Spalten im Gesteine, die mit dem Erdreiche außerhalb in Verbindung stehen, hereinfällt, oder ob sie durch das Regenwasser, das in die Höhle dringt, hereingeflößt wird. Es war ein Gemisch von Kieselerde, Thonerde und vegetabilischem Detritus. Wir gingen in dickem Kote bis zu einer Stelle, wo uns zu unserer Ueberraschung eine unterirdische Vegetation entgegentrat. Die Samen, welche die Vögel zum Futter für ihre Jungen in die Höhle bringen, keimen überall, wo sie auf die Dammerde fallen, welche die Kalkinkrustationen bedeckt. Vergeilte Stengel mit ein paar Blattrudimenten waren zum Teil 60 cm hoch. Es war unmöglich, Gewächse, die sich durch den Mangel an Licht nach Form, Farbe und ganzem Habitus völlig umgewandelt hatten, spezifisch zu unterscheiden. Diese Spuren von Organisation im Schoße der Finsternis reizten gewaltig die Neugier der Eingeborenen, die sonst so stumpf und schwer anzuregen sind. Sie betrachteten sie mit stillem, nachdenklichem Ernste, wie er sich an einem Orte ziemte, der für sie solche Schauer hat. Diese unterirdischen, bleichen, formlosen Gewächse mochten ihnen wie Gespenster erscheinen, die vom Erdboden hierher gebannt waren. Mich aber erinnerten sie an eine der glücklichsten Zeiten meiner frühen Jugend, an einen langen Aufenthalt in den Freiberger Erzgruben, wo ich über das Vergeilen der Pflanzen Versuche anstellte, die sehr verschieden ausfielen, je nachdem die Luft rein war oder viel Wasserstoff und Stickstoff enthielt.

Mit aller ihrer Autorität konnten die Missionäre die Indianer nicht vermögen, noch weiter in die Höhle hineinzugehen. Je mehr die Decke sich senkte, desto gellender wurde das Geschrei der Guacharos. Wir mußten uns der Feigheit unserer Führer gefangen geben und umkehren. Man sah auch überall so ziemlich das Nämliche. Ein Bischof von St. Thomas in Guyana scheint weiter gekommen zu sein als wir; er hatte vom Eingänge bis zum Punkte, wo er Halt machte, 812 m gemessen, und die Höhle lief noch weiter fort. Die Erinnerung an diesen Vorfall hat sich im Kloster Caripe erhalten, nur weiß man den Zeitpunkt nicht genau. Der Bischof hatte sich mit dicken Kerzen aus weißem spanischen Wachs versehen; wir hatten nur Fackeln aus Baumrinde und einheimischem Harze. Der dicke Rauch solcher Fackeln in engem, unterirdischem Raume thut den Augen weh und macht das Atmen beschwerlich.

Wir gingen dem Bache nach wieder zur Höhle hinaus. Ehe unsere Augen vom Tageslichte geblendet wurden, sahen wir vor der Höhle draußen das Wasser durch das Laub der Bäume glänzen. Es war, als stünde weit weg ein Gemälde vor uns und die Oeffnung der Höhle wäre der Rahmen dazu. Als wir endlich heraus waren, setzten wir uns am Bache nieder und ruhten von der Anstrengung aus. Wir waren froh, daß wir das heisere Geschrei der Vögel nicht mehr hörten und einen Ort hinter uns hatten, wo sich mit der Dunkelheit nicht der wohlthuende Eindruck der Ruhe und der Stille paart. Wir konnten es kaum glauben, daß der Name Höhle von Caripe bis jetzt in Europa völlig unbekannt gewesen sein sollte. Schon wegen der Guacharos hätte sie berühmt werden sollen; denn außer den Bergen von Caripe und Cumanacoa hat man diese Nachtvögel bis jetzt nirgends angetroffen.

Die Missionäre hatten am Eingange der Höhle ein Mahl zurichten lassen. Pisang- und Vijaoblätter, die seidenartig glänzen, dienten uns nach Landessitte als Tischtuch. Wir wurden trefflich bewirtet, sogar mit geschichtlichen Erinnerungen, die so selten sind in Ländern, wo die Geschlechter einander ablösten, ohne eine Spur ihres Daseins zu hinterlassen. Wohlgefällig erzählten uns unsere Wirte, die ersten Ordensleute, die in diese Berge gekommen, um das kleine Dorf Santa Maria zu gründen, haben einen Monat lang in der Höhle hier gelebt und auf einem Steine bei Fackellicht das heilige Meßopfer gefeiert. Die Missionäre hatten am einsamen Orte Schutz gefunden vor der Verfolgung eines Häuptlings der Tuapocan, der am Ufer des Rio Caripe sein Lager aufgeschlagen.

So viel wir uns auch bei den Einwohnern von Caripe, Cumanacoa und Cariaco erkundigten, wir hörten nie, daß man in der Höhle des Guacharo je Knochen von Fleischfressern oder Knochenbreccien mit Pflanzenfressern gefunden hätte, wie sie in den Höhlen Deutschlands und Ungarns oder in den Spalten des Kalksteines bei Gibraltar vorkommen. Die fossilen Knochen der Megatherien, Elefanten und Mastodonten, welche Reisende aus Südamerika mitgebracht, gehören sämtlich dem aufgeschwemmten Lande in den Thälern und auf hohen Plateaus an. Mit Ausnahme des Megalonyx, Der Megalonyx wurde in den Höhlen von Green-Briar in Virginien gefunden, 6750 km vom Megatherium, dem er sehr nahe steht und das so groß war wie ein Nashorn. eines Faultieres von der Größe eines Ochsen, das Jefferson beschrieben, kenne ich bis jetzt auch nicht einen Fall, daß in einer Höhle der Neuen Welt ein Tierskelett gefunden worden wäre. Daß diese zoologische Erscheinung hier so ausnehmend selten ist, erscheint weniger auffallend, wenn man bedenkt, daß es in Frankreich, England und Italien auch eine Menge Höhlen gibt, in denen man nie eine Spur von fossilen Knochen entdeckt hat.

Die interessanteste Beobachtung, welche der Physiker in den Höhlen anstellen kann, ist die genaue Bestimmung ihrer Temperatur. Die Höhle von Caripe liegt ungefähr unter 10º 10'' der Breite, also mitten im heißen Erdgürtel und 986 m über dem Spiegel des Wassers im Meerbusen von Cariaco. Wir fanden im September die Temperatur der Luft im Inneren durchaus zwischen 18,4º und 18,9º der hundertteiligen Skala. Die äußere Luft hatte 16,2º. Beim Eingange der Höhle zeigte der Thermometer an der Luft 17,6º, aber im Wasser des unterirdischen Baches bis hinten in der Höhle 16,8º. Diese Beobachtungen sind von großer Bedeutung, wenn man ins Auge faßt, wie sich zwischen Wasser, Luft und Boden die Wärme ins Gleichgewicht zu setzen strebt. Ehe ich Europa verließ, beklagten sich die Physiker noch, daß man so wenig Anhaltspunkte habe, um zu bestimmen, was man ein wenig hochtrabend die Temperatur des Erdinneren heißt, und erst in neuerer Zeit hat man mit einigem Erfolge an der Lösung dieses großen Problemes der unterirdischen Meteorologie gearbeitet. Nur die Steinschichten, welche die Rinde unseres Planeten bilden, sind der unmittelbaren Forschung zugänglich, und man weiß jetzt, daß die mittlere Temperatur dieser Schichten sich nicht nur nach der Breite und der Meereshöhe verändert, sondern daß sie auch je nach der Lage des Ortes im Verlaufe des Jahres regelmäßige Schwingungen um die mittlere Temperatur der benachbarten Luft beschreibt. Die Zeit ist schon fern, wo man sich wunderte, wenn man in anderen Himmelsstrichen in Höhlen und Brunnen eine andere Temperatur beobachtete als in den Kellern der Pariser Sternwarte. Dasselbe Instrument, das in diesen Kellern 12º zeigt, steigt in unterirdischen Räumen auf Madeira bei Funchal auf 16,2º, im St. Josephsbrunnen in Kairo auf 21,2º, in den Grotten der Insel Cuba auf 22 bis 23º. Diese Zunahme ist ungefähr proportional der Zunahme der mittleren Lufttemperaturen vom 48. Grad der Breite bis zum Wendekreis.

Wir haben eben gesehen, daß in der Höhle des Guacharo das Wasser des Baches gegen 2º kühler ist als die umgebende Luft im unterirdischen Raume. Das Wasser, ob es nun durch das Gestein sickert oder über ein steiniges Bette fließt, nimmt unzweifelhaft die Temperatur des Gesteines oder des Bettes an. Die Luft in der Höhle dagegen steht nicht still, sie kommuniziert mit der Atmosphäre draußen. Und wenn nun auch in der heißen Zone die Schwankungen in der äußeren Temperatur sehr unbedeutend sind, so bilden sich dennoch Strömungen, durch welche die Luftwärme im Inneren periodische Veränderungen erleidet. Demnach könnte man die Temperatur des Wassers, also 16,8º, als die Bodentemperatur in diesen Bergen betrachten, wenn man sicher wäre, daß das Wasser nicht rasch von benachbarten höheren Bergen herabkommt.

Aus diesen Betrachtungen folgt, daß, wenn man auch keine ganz genauen Resultate erhält, sich doch in jeder Zone Grenzzahlen auffinden lassen. In Caripe, unter den Tropen, ist in 975 m Meereshöhe die mittlere Temperatur der Erde nicht unter 16,8º; dies geht aus der Messung der Temperatur des unterirdischen Wassers hervor. So läßt sich nun aber auch beweisen, daß diese Temperatur des Bodens nicht höher sein kann als 19º, weil die Luft in der Höhle im September 18,7º zeigt. Da die mittlere Luftwärme im heißesten Monat 19,5º nicht übersteigt, so würde man sehr wahrscheinlich zu keiner Zeit des Jahres den Thermometer in der Luft der Höhle über 19º steigen sehen. Diese Ergebnisse, wie so manche andere, die wir in dieser Reisebeschreibung mitteilen, mögen für sich betrachtet von geringem Belang scheinen; vergleicht man sie aber mit den kürzlich von Leopold von Buch und Wahlenberg unter dem Polarzirkel angestellten Beobachtungen, so verbreiten sie Licht über den Haushalt der Natur im großen und über den beständigen Wärmeaustausch zwischen Luft und Boden zu Herstellung des Gleichgewichtes. Es ist kein Zweifel mehr, daß in Lappland die feste Erdrinde eine um 3 bis 4º höhere, mittlere Temperatur hat als die Luft. Bringt die Kälte, welche in den Tiefen des tropischen Meeres infolge der Polarströme fortwährend herrscht, im heißen Erdstriche eine merkbare Verminderung der Temperatur des Bodens hervor? Ist diese Temperatur dort niedriger als die der Luft? Das wollen wir in der Folge untersuchen, wenn wir in den hohen Regionen der Kordilleren mehr Beobachtungen zusammengebracht haben werden.


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