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Die Berge von Neuandalusien. – Das Thal von Cumanacoa. – Der Gipfel des Cocollar. – Missionen der Chaymasindianer.
Unserem ersten Ausflug auf die Halbinsel Araya folgte bald ein zweiter längerer und lehrreicherer ins Innere des Gebirges zu den Missionen der Chaymasindianer. Gegenstände von mannigfaltiger Anziehungskraft sollten uns dort in Anspruch nehmen. Wir betraten jetzt ein mit Wäldern bedecktes Land; wir sollten ein Kloster besuchen, das im Schatten von Palmen und Baumfarnen in einem engen Thale liegt, wo man, mitten im heißen Erdstrich, köstlicher Kühle genießt. In den benachbarten Bergen gibt es dort Höhlen, welche von Tausenden von Nachtvögeln bewohnt sind, und was noch lebendiger zur Einbildungskraft spricht als alle Wunder der physischen Welt, jenseits dieser Berge lebt ein vor kurzem noch nomadisches Volk, kaum aus dem Naturzustand getreten, wild, jedoch nicht barbarisch, geistesbeschränkt, nicht weil es lange versunken war, sondern weil es eben nichts weiß. Zu diesen so mächtig anziehenden Gegenständen kamen noch geschichtliche Erinnerungen. Am Vorgebirge Paria sah Kolumbus zuerst das Festland; hier laufen die Thäler aus, die bald von den kriegerischen, menschenfressenden Kariben, bald von den civilisierten Handelsvölkern Europas verwüstet wurden. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts wurden die unglücklichen Einwohner auf den Küsten von Carupano, Macarapan und Caracas behandelt, wie zu unserer Zeit die Einwohner der Küste von Guinea. Bereits wurden die Antillen angebaut und man führte dort die Gewächse der Alten Welt ein; aber in Terra Firma kam es lange zu keiner ordentlichen und planmäßigen Niederlassung. Die Spanier besuchten die Küste nur, um sich mit Gewalt oder im Tauschhandel Sklaven, Perlen, Goldkörner und Farbholz zu verschaffen. Durch den Schein gewaltigen Religionseifers meinte man diese unersättliche Habsucht in eine höhere Sphäre zu heben. So hat jedes Jahrhundert seine eigene geistige und sittliche Farbe.
Der Handel mit den kupferfarbigen Eingeborenen führte zu denselben Unmenschlichkeiten wie der Negerhandel; er hatte auch dieselben Folgen, Sieger und Unterworfene verwilderten dadurch. Von Stunde an wurden die Kriege unter den Eingeborenen häufiger; die Gefangenen wurden aus dem inneren Lande an die Küste geschleppt und an die Weißen verkauft, die sie auf ihren Schiffen fesselten. Und doch waren die Spanier damals und noch lange nachher eines der civilisiertesten Völker Europas. Ein Abglanz der Herrlichkeit in der in Italien Kunst und Litteratur blühten, hatte sich über alle Völker verbreitet, deren Sprache dieselbe Quelle hat wie die Sprache Dantes und Petrarcas. Man sollte glauben, in dieser mächtigen geistigen Entwickelung, bei solch erhabenem Schwung der Einbildungskraft hätten sich die Sitten sänftigen müssen. Aber jenseits der Meere, überall, wo der Golddurst zum Mißbrauch der Gewalt führt, haben die europäischen Völker in allen Abschnitten der Geschichte denselben Charakter entwickelt. Das herrliche Jahrhundert Leos X. trat in der Neuen Welt mit einer Grausamkeit auf, wie man sie nur den finstersten Jahrhunderten zutrauen sollte. Man wundert sich aber nicht so sehr über das entsetzliche Bild der Eroberung von Amerika, wenn man daran denkt, was trotz der Segnungen, einer menschlicheren Gesetzgebung noch jetzt auf den Westküsten von Afrika vorgeht.
Der Sklavenhandel hatte dank den von Karl V. zur Geltung gebrachten Grundsätzen auf Terra Firma längst aufgehört; aber die Konquistadoren setzten ihre Streifzüge ins Land fort, und damit den kleinen Krieg, der die amerikanische Bevölkerung herabbrachte, dem Nationalhaß immer frische Nahrung gab, auf lange Zeit die Keime der Kultur erstickte. Endlich ließen Missionäre unter dem Schutze des weltlichen Armes Worte des Friedens hören. Es war Pflicht der Religion, daß sie der Menschheit einigen Trost brachte für die Greuel, die in ihrem Namen verübt worden; sie führte für die Eingeborenen das Wort vor dem Richterstuhle der Könige, sie widersetzte sich den Gewaltthätigkeiten der Pfründeninhaber, sie vereinigte umherziehende Stämme zu den kleinen Gemeinden, die man Missionen nennt und die der Entwickelung des Ackerbaues Vorschub leisten. So haben sich allmählich, aber in gleichförmiger, planmäßiger Entwickelung jene großen mönchischen Niederlassungen gebildet, jenes merkwürdige Regiment, das immer darauf hinausgeht, sich abzuschließen, und Länder, die vier- und fünfmal größer sind als Frankreich, den Mönchsorden unterwirft.
Einrichtungen, die trefflich dazu dienten, dem Blutvergießen Einhalt zu thun und den ersten Grund zur gesellschaftlichen Entwickelung zu legen, sind in der Folge dem Fortschritt derselben hinderlich geworden. Die Abschließung hatte zur Folge, daß die Indianer so ziemlich blieben, was sie waren, als ihre zerstreuten Hütten noch nicht um das Haus des Missionärs beisammen lagen. Ihre Zahl hat ansehnlich zugenommen, keineswegs aber ihr geistiger Gesichtskreis.
Sie haben mehr und mehr von der Charakterstärke und der natürlichen Lebendigkeit eingebüßt, die auf allen Stufen menschlicher Entwickelung die edlen Früchte der Unabhängigkeit sind. Man hat alles bei ihnen, sogar die unbedeutendsten Verrichtungen des häuslichen Lebens, der unabänderlichen Regel unterworfen, und so hat man sie gehorsam gemacht, zugleich aber auch dumm. Ihr Lebensunterhalt ist meist gesicherter, ihre Sitten sind milder geworden; aber der Zwang und das trübselige Einerlei des Missionsregimentes lastet auf ihnen und ihr düsteres, verschlossenes Wesen verrät, wie ungern sie die Freiheit der Ruhe zum Opfer gebracht haben. Die Mönchszucht innerhalb der Klostermauern entzieht zwar dem Staate nützliche Bürger, indessen mag sie immerhin hier und da Leidenschaften zur Ruhe bringen, große Schmerzen lindern, der geistigen Vertiefung förderlich sein; aber in die Wildnisse der Neuen Welt verpflanzt, auf alle Beziehungen des bürgerlichen Lebens angewendet, muß sie desto verderblicher wirken, je länger sie andauert. Sie hält von Geschlecht zu Geschlecht die geistige Entwickelung nieder, sie hemmt den Verkehr unter den Völkern, sie weist alles ab, was die Seele erhebt und den Vorstellungskreis erweitert. Aus allen diesen Ursachen zusammen verharren die Indianer in den Missionen in einem Zustande von Unkultur, der Stillstand heißen müßte, wenn nicht auch die menschlichen Vereine denselben Gesetzen gehorchten, wie die Entwickelung des menschlichen Geistes überhaupt, wenn sie nicht Rückschritte machten, eben weil sie nicht fortschreiten.
Am 4. September um 5 Uhr morgens brachen wir zu unserem Ausflug zu den Chaymasindianern und in die hohe Gebirgsgruppe von Neuandalusien auf. Man hatte uns geraten, wegen der sehr beschwerlichen Wege unser Gepäck möglichst zu beschränken. Zwei Lasttiere reichten auch hin, unseren Mundvorrat, unsere Instrumente und das nötige Papier zum Pflanzentrocknen zu tragen. In derselben Kiste waren ein Sextant, ein Inklinationskompaß, ein Apparat zur Ermittelung der magnetischen Deklination, Thermometer und ein Saussurescher Hygrometer. Auf diese Instrumente beschränkten wir uns bei kleineren Ausflügen immer. Mit dem Barometer mußte noch vorsichtiger umgegangen werden als mit dem Chronometer, und ich bemerke hier, daß kein Instrument dem Reisenden mehr Last und Sorge macht. Wir ließen ihn in den fünf Jahren von einem Führer tragen, der uns zu Fuß begleitete, aber selbst diese ziemlich kostspielige Vorsicht schützte ihn nicht immer vor Beschädigung. Nachdem wir die Zeiten von Ebbe und Flut im Luftmeere genau beobachtet, das heißt die Stunden, zu denen der Barometer unter den Tropen täglich regelmäßig steigt und fällt, sahen wir ein, daß wir das Relief des Landes mittels des Barometers würden aufnehmen können, ohne korrespondierende Beobachtungen in Cumana zu Hilfe zu nehmen. Die größten Schwankungen im Luftdruck betragen in diesem Klima an der Küste nur 2 bis 2,6 mm, und hat man ein einziges Mal, an welchem Orte und zu welcher Stunde es sei, die Quecksilberhöhe beobachtet, so lassen sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Abweichungen von diesem Stande das ganze Jahr hindurch und zu allen Stunden des Tages und der Nacht angeben. Es ergibt sich daraus, das im heißen Erdstrich durch den Mangel an korrespondierenden Beobachtungen nicht leicht Fehler entstehen können, die mehr als 24 bis 30 m ausmachen, was wenig zu bedeuten hat, wenn es sich von geologischen Aufnahmen, oder vom Einfluß der Höhe auf das Klima und die Verteilung der Gewächse handelt.
Der Morgen war köstlich kühl. Der Weg oder vielmehr der Fußpfad nach Cumanacoa führt am rechten Ufer des Manzanares hin über das Kapuzinerhospiz, das in einem kleinen Gehölze von Gayacbäumen und baumartigen Capparis liegt. Nachdem wir von Cumana aufgebrochen, hatten wir auf dem Hügel von San Francisco in der kurzen Morgendämmerung eine weite Aussicht über die See, über die mit goldgelb blühender Bava Zygophyllum arboreum, Jacq. bedeckte Ebene und die Berge des Brigantin. Es fiel uns auf, wie nahe uns die Kordillere gerückt schien, bevor die Scheibe der aufgehenden Sonne den Horizont erreicht hatte. Das Blau der Berggipfel ist dunkler, ihre Umrisse erscheinen schärfer, ihre Massen treten deutlicher hervor, solange nicht die Durchsichtigkeit der Luft durch die Dünste beeinträchtigt wird, die nachts in den Thälern lagern und im Maße, als die Luft sich zu erwärmen beginnt, in die Höhe steigen.
Beim Hospiz Divina Pastora wendet sich der Weg nach Nordost und läuft 9 km über einen baumlosen Landstrich, der früher Seeboden war. Man findet hier nicht nur Kaktus, Büsche des cistusblätterigen Tribulus und die schöne purpurfarbige Euphorbie, die in Havana unter dem seltsamen Namen Dictamno real gezogen wird, sondern auch Avicennia, Allionia, Peruvium, Thalinum und die meisten Portulaceen, die am Golf von Cariaco vorkommen. Diese geographische Verteilung der Gewächse weist, wie es scheint, auf den Umriß der alten Küste hin und spricht dafür, daß, wie oben bemerkt worden, die Hügel, an deren Südabhang wir hinzogen, einst eine durch einen Meeresarm vom Festlande getrennte Insel bildeten.
Nach zwei Stunden Weges gelangten wir an den Fuß der hohen Bergkette im Inneren, die vom Brigantin bis zum Cerro de San Lorenzo von Ost nach West streicht. Hier beginnen neue Gebirgsarten und damit ein anderer Habitus des Pflanzenwuchses. Alles erhält einen großartigeren, malerischeren Charakter. Der quellenreiche Boden ist nach allen Richtungen von Wasserfäden durchzogen. Bäume von riesiger Höhe, mit Schlinggewächsen bedeckt, steigen aus den Schluchten empor; ihre schwarze, von der Sonnenglut und vom Sauerstoff der Luft verbrannte Rinde sticht ab vom frischen Grün der Pothos und der Dracontien, deren lederartige glänzende Blätter nicht selten mehrere Fuß lang sind. Es ist nicht anders, als ob unter den Tropen die parasitischen Monokotyledonen die Stelle des Mooses und der Flechten unserer nördlichen Landstriche verträten. Je weiter wir kamen, desto mehr erinnerten uns die Gesteinsmassen sowohl nach Gestalt als Gruppierung an Schweizer und Tiroler Landschaften. In diesen amerikanischen Alpen wachsen noch in bedeutenden Höhen Helikonien, Costus, Maranta und andere Pflanzen aus der Familie der Cannaarten, die in der Nähe der Küste nur niedrige, feuchte Orte aussuchen. So kommt es, daß die heiße Erdzone und das nördliche Europa die interessante Eigentümlichkeit gemein haben, daß in einer beständig mit Wasserdampf erfüllten Luft, wie auf einem vom schmelzenden Schnee durchfeuchteten Boden die Vegetation in den Gebirgen ganz den Charakter einer Sumpfvegetation zeigt.
Wir kamen in der Schlucht Los Frailes und zwischen Cuesta de Caneyes und dem Rio Guriental an Hütten vorbei, die von Mestizen bewohnt sind. Jede Hütte liegt mitten in einem Gehege, das Bananenbäume, Melonenbäume, Zuckerrohr und Mais einfriedigt. Man müßte sich wundern, wie klein diese Flecke urbar gemachten Landes sind, wenn man nicht bedächte, daß ein mit Pisang angepflanzter Morgen Landes gegen zwanzigmal mehr Nahrungsstoff liefert, als die gleiche mit Getreide bestellte Fläche. In Europa bedecken unsere nahrhaften Grasarten, Weizen, Gerste, Roggen, weite Landstrecken; überall, wo die Völker sich von Cerealien nähren, stoßen die bebauten Grundstücke notwendig aneinander. Anders in der heißen Zone, wo der Mensch sich Gewächse aneignen konnte, die ihm weit reichere und frühere Ernten liefern. In diesen gesegneten Landstrichen entspricht die unermeßliche Fruchtbarkeit des Bodens der Gluthitze und der Feuchtigkeit der Luft. Ein kleines Stück Boden, auf dem Bananenbäume, Manioc, Yams, und Mais stehen, ernährt reichlich eine zahlreiche Bevölkerung. Daß die Hütten einsam im Walde zerstreut liegen, wird für den Reisenden ein Merkmal der Ueberfülle der Natur; oft reicht ein ganz kleiner Fleck urbaren Landes für den Bedarf mehrerer Familien hin.
Diese Betrachtungen über den Ackerbau in heißen Landstrichen erinnern von selbst daran, welch inniger Verband zwischen dem Umfang des urbar gemachten Landes und dem gesellschaftlichen Fortschritt besteht. So groß die Fülle der Lebensmittel ist, die dieser Reichtum des Bodens, die strotzende Kraft der organischen Natur hervorbringt, dennoch wird die Kulturentwickelung der Völker dadurch niedergehalten. In einem milden, gleichförmigen Klima kennt der Mensch kein anderes dringendes Bedürfnis als das der Nahrung. Nur wenn dieses Bedürfnis sich geltend macht, fühlt er sich zur Arbeit getrieben, und man sieht leicht ein, warum sich im Schoße des Ueberflusses, im Schatten von Bananen- und Brotfruchtbäumen, die Geistesfähigkeiten nicht so rasch entwickeln als unter einem strengen Himmel, in der Region der Getreidearten, wo unser Geschlecht in ewigem Kampfe mit den Elementen liegt. Wirft man einen Blick auf die von ackerbautreibenden Völkern bewohnten Länder, so sieht man, daß die bebauten Grundstücke durch Wald voneinander getrennt bleiben oder unmittelbar aneinander stoßen, und daß solches nicht nur von der Höhe der Bevölkerung, sondern auch von der Wahl der Nahrungsgewächse bedingt wird. In Europa schätzen wir die Zahl der Einwohner nach der Ausdehnung des urbaren Landes; unter den Tropen dagegen, im heißesten und feuchtesten Striche von Südamerika, scheinen sehr stark bevölkerte Provinzen beinahe wüste zu liegen, weil der Mensch zu seinem Lebensunterhalt nur wenige Morgen bebaut.
Diese Umstände, die alle Aufmerksamkeit verdienen, geben sowohl der physischen Gestaltung des Landes als dem Charakter der Bewohner ein eigenes Gepräge; beide erhalten dadurch in ihrem ganzen Wesen etwas Wildes, Rohes, wie es zu einer Natur paßt, deren ursprüngliche Physiognomie durch die Kunst noch nicht verwischt ist. Ohne Nachbarn, fast ohne allen Verkehr mit Menschen, erscheint jede Ansiedlerfamilie wie ein vereinzelter Volksstamm. Diese Vereinzelung hemmt den Fortschritt der Kultur, die sich nur in dem Maße entwickeln kann, als der Menschenverein zahlreicher wird und die Bande zwischen den einzelnen sich fester knüpfen und vervielfältigen; die Einsamkeit entwickelt aber auch und stärkt im Menschen das Gefühl der Unabhängigkeit und Freiheit; sie nährt jenen Stolz, der von jeher die Völker von kastilianischem Blute ausgezeichnet hat.
Dieselben Ursachen, deren mächtiger Einfluß uns weiterhin noch oft beschäftigen wird, haben zur Folge, daß dem Boden, selbst in den am stärksten bevölkerten Ländern des tropischen Amerika, der Anstrich von Wildheit erhalten bleibt, der in gemäßigten Klimaten sich durch den Getreidebau verliert. Unter den Tropen nehmen die ackerbauenden Völker weniger Raum ein; die Herrschaft des Menschen reicht nicht so weit; er tritt nicht als unumschränkter Gebieter auf, der die Bodenoberfläche nach Gefallen modelt, sondern wie ein flüchtiger Gast, der in Ruhe des Segens der Natur genießt. In der Umgegend der volkreichsten Städte starrt der Boden noch immer von Wäldern oder ist mit einem dichten Pflanzenfilz überzogen, den niemals eine Pflugschar zerrissen hat. Die wildwachsenden Pflanzen beherrschen noch durch ihre Masse die angebauten Gewächse und bestimmen allein den Charakter der Landschaft. Allem Vermuten nach wird dieser Zustand nur äußerst langsam einem anderen Platz machen. Wenn in unseren gemäßigten Landstrichen es besonders der Getreidebau ist, der dem urbaren Lande einen so trübselig eintönigen Anstrich gibt, so erhält sich, aller Wahrscheinlichkeit nach, in der heißen Zone selbst bei zunehmender Bevölkerung die Großartigkeit der Pflanzengestalten, das Gepräge einer jungfräulichen, ungezähmten Natur, wodurch diese so unendlich anziehend und malerisch wird. So werden denn, infolge einer merkwürdigen Verknüpfung physischer und moralischer Ursachen, durch Wahl und Ertrag der Nahrungsgewächse drei wichtige Momente vorzugsweise bestimmt: das gesellige Beisammenleben der Familien oder ihre Vereinzelung, der raschere oder langsamere Fortschritt der Kultur, und die Physiognomie der Landschaft.
Je tiefer wir in den Wald hineinkamen, desto mehr zeigte uns der Barometer, daß der Boden mehr und mehr anstieg. Die Baumstämme boten uns hier einen ganz eigenen Anblick; eine Grasart mit quirlförmigen Zweigen klettert, gleich einer Liane, 2,6 bis 3,25 m hoch und bildet über dem Wege Gewinde, die sich im Luftzuge schaukeln. Gegen 3 Uhr nachmittags hielten wir auf einer kleinen Hochebene an, Quetepe genannt, die etwa 370 m über dem Meere liegt. Es stehen hier einige Hütten an einer Quelle, deren Wasser bei den Eingeborenen als sehr kühl und gesund berühmt ist. Wir fanden das Wasser wirklich ausgezeichnet; es zeigte 22,5º der hundertteiligen Skale, während der Thermometer an der Luft auf 28,7º stand. Die Quellen, die von benachbarten höheren Bergen herabkommen, geben häufig eine zu rasche Abnahme der Luftwärme an. Nimmt man als mittlere Temperatur des Wassers an der Küste von Cumana 26º an, so folgt daraus, wenn nicht andere lokale Ursachen auf die Temperatur der Quellen Einfluß äußern, daß die Quelle von Quetepe sich erst in mehr als 680 m absoluter Höhe so bedeutend abkühlt. Da hier von Quellen die Rede ist, die in der heißen Zone in der Ebene oder in unbedeutender Höhe zu Tage kommen, so sei bemerkt, daß nur in Ländern, wo die mittlere Sommertemperatur von der durchschnittlichen des ganzen Jahres bedeutend abweicht, die Einwohner in der heißesten Jahreszeit sehr kaltes Quellwasser trinken können. Die Lappen bei Umeo und Sörsele, unter dem 65. Breitegrad, erfrischen sich an Quellen, deren Temperatur im August kaum 2 bis 3º über dem Frierpunkt steht, während bei Tage die Luftwärme im Schatten auf 26 oder 27º steigt. In unseren gemäßigten Landstrichen, in Frankreich und Deutschland, ist der Abstand zwischen der Luft und den Quellen niemals über 16 bis 17º, und unter den Tropen steigt er selten auf 6 bis 7º. Man gibt sich leicht Rechenschaft von diesen Erscheinungen, wenn man weiß, daß die Temperatur in der Tiefe des Bodens und die der unterirdischen Quellen fast ganz übereinkommt mit der mittleren Jahrestemperatur der Luft, und daß diese von der mittleren Sommerwärme desto mehr abweicht, je mehr man sich vom Aequator entfernt. – Die magnetische Inklination war in Quetepe 40,7º der hundertteiligen Skale, der Cyanometer gab das Blatt des Himmels im Zenith nur zu 14º an, ohne Zweifel weil die Regenzeit seit mehreren Tagen begonnen und die Luft bereits Wasserdunst aufgenommen hatte.
Auf einem Sandsteinhügel über der Quelle hatten wir eine prachtvolle Aussicht auf das Meer, das Vorgebirge Macanao und die Halbinsel Maniguarez. Ein ungeheurer Wald breitete sich zu unseren Füßen bis zum Ozean hinab; die Baumwipfel mit Lianen behangen, mit langen Blütenbüscheln gekrönt, bildeten einen ungeheuren grünen Teppich, dessen tiefdunkle Färbung das Licht in der Luft noch glänzender erscheinen ließ. Dieser Anblick ergriff uns um so mehr, da uns hier zum erstenmal die Vegetation der Tropen in ihrer Massenhaftigkeit entgegentrat. Auf dem Hügel von Quetepe, unter den Stämmen von Malpighia corolloboefolia mit stark lederartigen Blättern, in Gebüschen von Polygala montana, brachen wir die ersten Melastomen, namentlich die schöne Art, die unter dem Namen Melastoma rufescens beschrieben worden. Dieser Aussichtspunkt wird uns lange im Gedächtnis bleiben; der Reisende behält die Orte lieb, wo er zuerst ein Pflanzengeschlecht angetroffen, das er bis dahin nie wild wachsend gesehen.
Weiter gegen Südwest wird der Boden dürr und sandig; wir erstiegen eine ziemlich hohe Berggruppe, welche die Küste von den großen Ebenen oder Savannen an den Ufern des Orinoko trennt. Der Teil dieser Berggruppe, durch den der Weg nach Cumanacoa läuft, ist pflanzenlos und fällt gegen Nord und Süd steil ab. Er führt den Namen Imposible, weil man meint, bei einer feindlichen Landung würden die Einwohner von Cumana auf diesem Gebirgskamm eine Zufluchtsstätte finden. Wir kamen kurz vor Sonnenuntergang auf dem Gipfel an, und ich konnte eben noch ein paar Stundenwinkel aufnehmen, um mittels des Chronometers die Länge des Ortes zu bestimmen.
Die Aussicht auf dem Imposible ist noch schöner und weiter als auf der Ebene Quetepe. Deutlich konnten wir mit bloßem Auge den abgestutzten Gipfel des Brigantin, dessen geographische Lage genau zu kennen so wichtig wäre, den Landungsplatz und die Reede von Cumana sehen. Die Felsenküste von Araya lag nach ihrer ganzen Länge vor uns. Besonders fiel uns die merkwürdige Bildung eines Hafens auf, den man Laguna grande oder Laguna del Obispo nennt. Ein weites, von hohen Bergen umgebenes Becken steht durch einen schmalen Kanal, durch den nur ein Schiff fahren kann, mit dem Meerbusen von Cariaco in Verbindung. In diesem Hafen, den Fidalgo genau aufgenommen hat, könnten mehrere Geschwader nebeneinander ankern. Es ist ein völlig einsamer Ort, den nur einmal im Jahre die Fahrzeuge besuchen, welche Maultiere nach den Antillen bringen. Hinten in der Bucht liegen einige Weiden. Unser Blick verfolgte die Windungen des Meeresarmes, der sich wie ein Fluß durch senkrechte kahle Felsen sein Bett gegraben hat. Dieser merkwürdige Anblick erinnert an die phantastische Landschaft, die Leonardo da Vinci auf dem Hintergrunde seines berühmten Bildnisses der Joconda Mona Lisa, Gattin des Francesco del Giocondo. angebracht hat.
Wir konnten mit dem Chronometer den Moment beobachten, in dem die Sonnenscheibe den Meereshorizont berührte. Die erste Berührung fand statt um 6 Uhr 8 Minuten 13 Sekunden, die zweite um 6 Uhr 10 Min. 26 Sek. mittlere Zeit. Diese Beobachtung, die für die Theorie der irdischen Strahlenbrechung nicht ohne Belang ist, wurde auf dem Gipfel des Berges in 577 m absoluter Höhe angestellt. Mit dem Untergang der Sonne trat eine sehr rasche Abkühlung der Luft ein. Drei Minuten nach der letzten scheinbaren Berührung der Scheibe mit dem Meereshorizont fiel der Thermometer plötzlich von 25,2º auf 21,3º . Wurde diese auffallende Abkühlung etwa durch einen aufsteigenden Strom bewirkt? Die Luft war indessen ruhig und kein wagerechter Luftzug zu bemerken.
Die Nacht brachten wir in einem Hause zu, wo ein Militärposten von acht Mann unter einem spanischen Unteroffizier liegt. Es ist ein Hospiz, das neben einem Pulvermagazin liegt und wo der Reisende alle Bequemlichkeit findet. Dasselbe Kommando bleibt 5 bis 6 Monate lang auf dem Berge. Man nimmt dazu vorzugsweise Soldaten, die Chacras oder Pflanzungen in der Gegend haben. Als nach der Einnahme der Insel Trinidad durch die Engländer im Jahre 1797 der Stadt Cumana ein Angriff drohte, flüchteten sich viele Einwohner nach Cumanacoa und brachten ihre wertvollste Habe in Schuppen unter, die man in der Eile auf dem Gipfel des Imposible aufgeschlagen. Man war entschlossen, bei einem plötzlichen feindlichen Ueberfall nach kurzem Widerstand das Schloß San Antonio aufzugeben und die ganze Kriegsmacht der Provinz um den Berg zusammenzuziehen, der als der Schlüssel der Llanos anzusehen ist. Die kriegerischen Ereignisse, deren Schauplatz nach der seitdem eingetretenen politischen Umwälzung diese Gegend wurde, haben bewiesen, wie richtig jener erste Plan berechnet war.
Der Gipfel des Imposible ist, so weit meine Beobachtung reicht, mit einem quarzigen, versteinerungslosen Sandstein bedeckt. Die Schichten desselben streichen hier wie auf dem Rücken der benachbarten Berge ziemlich regelmäßig von Nord-Nord-Ost nach Süd-Süd-West. Diese Richtung ist auch im Urgebirge der Halbinsel Araya und längs der Küste von Venezuela die häufigste. Am nördlichen Abhang des Imposible, bei Peñas Negras, kommt aus dem Sandstein, der mit Schieferthon wechsellagert, eine starke Quelle zu Tage. Man sieht an diesem Punkte von Nordwest nach Südost streichende, zerbrochene, fast senkrecht aufgerichtete Schichten.
Die Llaneros, das heißt die Bewohner der Ebenen, schicken ihre Produkte, namentlich Mais, Leder und Vieh über den Imposible in den Hafen von Cumana. Wir sahen rasch hintereinander Indianer oder Mulatten mit Maultieren ankommen. Der einsame Ort erinnerte mich lebhaft an die Nächte, die ich oben auf dem St. Gotthard zugebracht. Es brannte an mehreren Stellen in den weiten Waldungen um den Berg. Die rötlichen, halb in ungeheure Rauchwolken gehüllten Flammen gewährten das großartigste Schauspiel. Die Einwohner zünden die Wälder an, um die Weiden zu verbessern und das Unterholz zu vertilgen, unter dem das Gras erstickt, das hierzulande schon selten genug ist. Häufig entstehen auch ungeheure Waldbrände durch die Unvorsichtigkeit der Indianer, die auf ihren Zügen die Feuer, an denen sie gekocht haben, nicht auslöschen. Durch diese Zufälle sind auf dem Wege von Cumana nach Cumanacoa die alten Bäume seltener geworden; und die Einwohner machen die richtige Bemerkung, daß an verschiedenen Orten der Provinz die Trockenheit zugenommen habe, nicht allein weil der Boden durch die vielen Erdbeben von Jahr zu Jahr mehr zerklüftet wird, sondern auch weil er nicht mehr so stark bewaldet ist als zur Zeit der Eroberung.
Ich stand nachts auf, um die Breite des Ortes nach dem Durchgang Fomahaults durch den Meridian zu bestimmen. Es war Mitternacht; ich starrte vor Kälte, wie unser Führer, und doch stand der Thermometer noch auf 19,7º . In Cumana sah ich ihn nie unter 21º fallen; aber das Haus auf dem Imposible, in dem wir die Nacht zubrachten, lag auch 503 m über dem Meeresspiegel. Bei der Casa de la Polvora beobachtete ich die Inklination der Magnetnadel; sie war gleich 40,5º . Die Zahl der Schwingungen in 10 Minuten Zeit betrug 233; die Intensität der magnetischen Kraft hatte somit zwischen der Küste und dem Berge zugenommen, was vielleicht von eisenschüssigem Gestein herrührte, das die auf dem Alpenkalk gelagerten Sandsteinschichten enthalten mochten.
Am 5. September vor Sonnenaufgang brachen wir vom Imposible auf. Der Weg abwärts ist für die Lasttiere sehr gefährlich; der Pfad ist meist nur 40 cm breit und läuft beiderseits an Abgründen hin. Im Jahre 1797 hatte man sehr zweckmäßig beschlossen, von San Fernando bis an den Berg eine gute Straße anzulegen. Die Straße war sogar zu einem Dritteil bereits fertig; leider hatte man damit in der Ebene am Fuße des Imposible begonnen, und das schwierigste Stück des Weges wurde gar nicht in Angriff genommen. Die Arbeit geriet aus einer der Ursachen ins Stocken, aus denen aus allen Fortschrittsprojekten in den spanischen Kolonieen nichts wird. Verschiedene Civilbehörden nahmen das Recht in Anspruch, die Arbeit mit zu leiten. Das Volk bezahlte geduldig den Zoll für einen Weg, der gar nicht da war, bis der Statthalter von Cumana den Mißbrauch abstellte.
Wenn man vom Imposible herabkommt, sieht man den Alpenkalk unter dem Sandstein wieder zum Vorschein kommen. Da die Schichten meist nach Süd und Südost fallen, so kommen am Südabhang des Berges sehr viele Quellen zu Tage. In der Regenzeit werden diese Quellen zu reißenden Bergströmen, die im Schatten von Hura, Cuspa und Cecropia mit silberglänzenden Blättern niederstürzen.
Die Cuspa, die in der Umgegend von Cumana und Bordones ziemlich häufig vorkommt, ist ein den europäischen Botanikern noch unbekannter Baum. Er diente lange nur als Bauholz und ist seit dem Jahre 1797 unter dem Namen Cascarilla oder Quinquina von Neuandalusien berühmt geworden. Sein Stamm wird kaum 5 bis 6,5 m hoch; seine wechselständigen Blätter sind glatt, ganzrandig, eiförmig. Seine sehr dünne, blaßgelbe Rinde ist ein ausgezeichnetes Fiebermittel; dieselbe hat sogar mehr Bitterkeit als die Rinden der echten Cinchonen, aber diese Bitterkeit ist nicht so unangenehm. Die Cuspa wird mit sehr gutem Erfolg als weingeistiger Extrakt und als wässeriger Aufguß sowohl in Wechselfiebern als in bösartigen Fiebern gegeben. Emparan, der Statthalter von Cumana, hat den Aerzten in Cadiz einen ansehnlichen Vorrat davon geschickt, und nach den kürzlichen Mitteilungen Don Pedro Francos, Pharmazeuten am Militärspital zu Cumana, hat man in Europa die Cuspa für fast ebenso wirksam erklärt, als die Quinquina von Santa Fé. Man behauptet, in Pulverform gereicht, habe sie vor letzterer den Vorzug, daß sie bei Kranken mit geschwächtem Unterleib den Magen weniger angreife.
Als wir aus der Schlucht, die sich am Imposible hinabzieht, herauskamen, betraten wir einen dichten Wald, durch den eine Menge kleiner Flüsse laufen, die man leicht durchwatet. Wir machten die Bemerkung, daß die Cecropia, die durch die Stellung ihrer Aeste und den schlanken Stamm an den Palmenhabitus erinnert, je nachdem der Boden dürr oder sumpfig ist, mehr oder weniger silberfarbige Blätter treibt. Wir sahen Stämme, deren Laub auf beiden Seiten ganz grün war. Die Wurzeln dieser Bäume waren unter Büschen von Dorstenia versteckt, die nur feuchte, schattige Orte liebt. Mitten im Walde, an den Ufern des Rio Erdeño, findet man, wie am Südabhang des Cocollar, Melonenbäume und Orangenbäume mit großen süßen Früchten wild wachsend. Es sind wahrscheinlich Ueberbleibsel einiger Conucas oder indianischen Pflanzungen; denn auch der Orangenbaum kann in diesen Landstrichen nicht zu den ursprünglich hier heimischen Gewächsen gerechnet werden, so wenig als der Pisang, der Melonenbaum, der Mais, der Manioc und so viele andere nutzbare Gewächse, deren eigentliche Heimat wir nicht kennen, obgleich sie den Menschen seit uralter Zeit auf seinen Wanderungen begleitet haben.
Wenn ein eben aus Europa angekommener Reisender zum erstenmal die Wälder Südamerikas betritt, so hat er ein ganz unerwartetes Naturbild vor sich. Alles, was er sieht, erinnert nur entfernt an die Schilderungen, welche berühmte Schriftsteller an den Ufern des Mississippi, in Florida und in anderen gemäßigten Ländern der Neuen Welt entworfen haben. Bei jedem Schritte fühlt er, daß er sich nicht an den Grenzen der heißen Zone befindet, sondern mitten darin, nicht auf einer der Antillischen Inseln, sondern auf einem gewaltigen Kontinent, wo alles riesenhaft ist, Berge, Ströme und Pflanzenmassen. Hat er Sinn für landschaftliche Schönheit, so weiß er sich von seinen mannigfaltigen Empfindungen kaum Rechenschaft zu geben. Er weiß nicht zu sagen, was mehr sein Staunen erregt, die feierliche Stille der Einsamkeit, oder die Schönheit der einzelnen Gestalten und ihre Kontraste, oder die Kraft und Fülle des vegetabilischen Lebens. Es ist als hätte der mit Gewächsen überladene Boden gar nicht Raum genug zu ihrer Entwickelung. Ueberall verstecken sich die Baumstämme hinter einem grünen Teppich, und wollte man all die Orchideen, die Pfeffer- und Pothosarten, die auf einem einzigen Heuschreckenbaum oder amerikanischen Feigenbaum Ficus gigantea. wachsen, sorgsam verpflanzen, so würde ein ganzes Stück Land damit bedeckt. Durch diese wunderliche Aufeinanderhäufung erweitern die Wälder, wie die Fels- und Gebirgswände, das Bereich der organischen Natur. – Dieselben Lianen, die am Boden kriechen, klettern zu den Baumwipfeln empor und schwingen sich, mehr als 30 m hoch, vom einen zum anderen. So kommt es, daß, da die Schmarotzergewächse sich überall durcheinander wirren, der Botaniker Gefahr läuft, Blüten, Früchte und Laub, die verschiedenen Arten angehören, zu verwechseln.
Wir wanderten einige Stunden im Schatten dieser Wölbungen, durch die man kaum hin und wieder den blauen Himmel sieht. Er schien mir um so tiefer indigoblau, da das Grün der tropischen Gewächse meist einen sehr kräftigen, ins Bräunliche spielenden Ton hat. Zerstreute Felsmassen waren mit einem großen Baumfarn bewachsen, der sich vom Polypodium arboreum der Antillen wesentlich unterscheidet. Hier sahen wir zum erstenmal jene Nester in Gestalt von Flaschen oder kleinen Taschen, die an den Aesten der niedrigsten Bäume aufgehängt sind. Es sind Werke des bewundernswürdigen Bautriebes der Drosseln, deren Gesang sich mit dem heiseren Geschrei der Papageien und Aras mischte. Die letzteren, die wegen der lebhaften Farben ihres Gefieders allgemein bekannt sind, flogen nur paarweise, während die eigentlichen Papageien in Schwärmen von mehreren hundert Stücken umherfliegen. Man muß in diesen Ländern, besonders in den heißen Thälern der Anden gelebt haben, um es für möglich zu halten, daß zuweilen das Geschrei dieser Vögel das Brausen der Bergströme, die von Fels zu Fels stürzen, übertönt.
Gute 5 km vor dem Dorfe San Fernando kamen wir aus dem Walde heraus. Ein schmaler Fußpfad führt auf mehreren Umwegen in ein offenes, aber ausnehmend feuchtes Land. Unter dem gemäßigten Himmelsstrich hätten unter solchen Umständen Gräser und Riedgräser einen weiten Wiesenteppich gebildet; hier wimmelte der Boden von Wasserpflanzen mit pfeilförmigen Blättern, besonders von Cannaarten, unter denen wir die prachtvollen Blüten der Costus, der Thalien und Helikonien erkannten. Diese saftigen Gewächse werden 2½ bis 3½ m hoch, und wo sie dicht beisammen stehen, könnten sie in Europa für kleine Wälder gelten. Das herrliche Bild eines Wiesengrundes und eines mit Blumen durchwirkten Rasens ist den niederen Landstrichen der heißen Zone fast ganz fremd und findet sich nur auf den Hochebenen der Anden wieder.
Bei San Fernando war die Verdunstung unter den Strahlen der Sonne so stark, daß wir, da wir sehr leicht gekleidet waren, durchnäßt wurden wie in einem Dampfbade. Am Wege wuchs eine Art Bamburohr, das die Indianer Jagua oder Guadua nennen und das über 13 m hoch wird. Nichts kann zierlicher sein als diese baumartige Grasart. Form und Stellung der Blätter geben ihr ein Ansehen von Leichtigkeit, das mit dem hohen Wuchs angenehm kontrastiert. Der glatte, glänzende Stamm der Jagua ist meist den Bachufern zugeneigt und schwankt beim leisesten Luftzuge hin und her. So hoch auch das Rohr Arundo Donax. im mittäglichen Europa wächst, so gibt es doch keinen Begriff vom Aussehen der baumartigen Gräser, und wollte ich nur meine eigene Erfahrung sprechen lassen, so möchte ich behaupten, daß von allen Pflanzengestalten unter den Tropen keine die Einbildungskraft des Reisenden mehr anregt als der Bambu und der Baumfarn.
Die ostindischen Bambu, die Calumets des hauts Bambusa, oder vielmehr Nastus alpina. der Insel Bourbon, der Guadua Südamerikas, vielleicht sogar die riesenhaften Arundinarien an den Ufern des Mississippi, gehören derselben Pflanzengruppe an. In Amerika sind aber die Bambuarten nicht so häufig, als man gewöhnlich glaubt. In den Sümpfen und auf den großen unter Wasser stehenden Ebenen am unteren Orinoko, am Apure und Atabapo fehlen sie fast ganz, wogegen sie im Nordwesten, in Neugranada und im Königreich Quito viele Kilometer lange dichte Wälder bilden. Der westliche Abhang, der Anden erscheint als ihre eigentliche Heimat, und was ziemlich auffallend ist, wir haben sie nicht nur in tiefen, kaum über dem Meere gelegenen Landstrichen, sondern auch in den hohen Thälern der Kordilleren bis in 1680 m Meereshöhe angetroffen.
Der Weg mit dem Bambugebüsch zu beiden Seiten führte uns zum kleinen Dorfe San Fernando, das auf einer schmalen, von sehr steilen Kalksteinwänden umgebenen Ebene liegt. Es war die erste Mission; die wir in Amerika betraten. In den spanischen Kolonieen heißt Mision oder Pueblo de Mision eine Anzahl Wohnungen um eine Kirche herum, wo ein Missionär, der Ordensgeistlicher ist, den Gottesdienst versieht. Die indianischen Dörfer, die unter der Obhut von Pfarrern stehen, heißen Pueblos de Doctrina. Man unterscheidet noch weiter den Cura doctrinero, den Pfarrer einer indianischen Gemeinde, und de Cura rector, den Pfarrer eines von Weißen oder Farbigen bewohnten Dorfes. Die Häuser oder vielmehr Hütten der Chaymasindianer sind weit auseinander gerückt und nicht von Gärten umgeben. Die breiten geraden Straßen schneiden sich unter rechten Winkeln; die sehr dünnen, unsoliden Wände bestehen aus Letten und Lianenzweigen. Die gleichförmige Bauart, das ernste schweigsame Wesen der Einwohner, die ausnehmende Reinlichkeit in den Häusern, alles erinnert an die Gemeinden der mährischen Brüder. Jede indianische Familie baut draußen vor dem Dorfe außer ihrem eigenen Garten den Conuco de la communidad. In diesem arbeiten die Erwachsenen beider Geschlechter morgens und abends je eine Stunde. In den Missionen, die der Küste zu liegen, ist der Gemeindegarten meist eine Zucker- oder Indigoplantage, welcher der Missionär vorsteht, und deren Ertrag, wenn das Gesetz streng befolgt wird, nur zur Erhaltung der Kirche und zur Anschaffung von Paramenten verwendet werden darf. Auf dem großen Platze mitten im Dorfe stehen die Kirche, die Wohnung des Missionärs und das bescheidene Gebäude, das pomphaft Casa del Rey, »königliches Haus«, betitelt wird. Es ist ein förmliches Karawanserai, wo die Reisenden Obdach finden, und, wie wir oft erfahren, eine wahre Wohlthat in einem Lande, wo das Wort Wirtshaus noch unbekannt ist. Die Casas del Rey findet man in allen spanischen Kolonieen, und man könnte meinen, sie seien eine Nachahmung der nach dem Gesetze Manco-Capacs errichteten Tambosin Peru.
Wir waren an die Ordensleute, die den Missionen der Chaymasindianer vorstehen, durch ihren Syndikus in Cumana empfohlen. Diese Empfehlung kam uns desto mehr zu statten, als die Missionäre, sei es aus Besorgnis für die Sittlichkeit ihrer Pfarrkinder, oder um die mönchische Zucht der zudringlichen Neugier Fremder zu entziehen, oft an einer alten Verordnung festhalten, nach welcher kein Weißer weltlichen Standes sich länger als eine Nacht in einem indianischen Dorfe aufhalten darf. Will man in den spanischen Missionen angenehm reisen, so darf man sich meist nicht allein auf den Paß des Madrider Staatssekretariates oder der Civilbehörden verlassen, man muß sich mit Empfehlungen geistlicher Behörden versehen; am wirksamsten sind die der Guardiane der Klöster und der in Rom residierenden Ordensgenerale, vor denen die Missionäre weit mehr Respekt haben als vor den Bischöfen. Die Missionen bilden, ich sage nicht nach ihren ursprünglichen kanonischen Satzungen, aber thatsächlich eine so ziemlich unabhängige Hierarchie für sich, die in ihren Ansichten selten mit der Weltgeistlichkeit übereinstimmt.
Der Missionär von San Fernando war ein sehr bejahrter, aber noch sehr kräftiger und munterer Kapuziner aus Aragon. Seine bedeutende Körperrundung, sein guter Humor, sein Interesse für Gefechte und Belagerungen stimmten schlecht zu der Vorstellung, die man sich im Norden vom schwärmerischen Trübsinn und dem beschaulichen Leben der Missionäre macht. So viel ihm auch eine Kuh zu thun gab, die des anderen Tages geschlachtet werden sollte, empfing uns doch der alte Ordensmann ganz freundlich und erlaubte uns, unsere Hängematten in einem Gange seines Hauses zu befestigen. Er saß den größten Teil des Tages über in einem großen Armstuhle von rotem Holz und beklagte sich bitter über die Trägheit und Unwissenheit seiner Landsleute. Er richtete tausenderlei Fragen an uns über den eigentlichen Zweck unserer Reise, die ihm sehr gewagt und zum wenigsten ganz unnütz schien. Hier wie am Orinoko wurde es uns sehr beschwerlich, daß sich die Spanier mitten in den Wäldern Amerikas für die Kriege und politischen Stürme der Alten Welt immer noch so lebhaft interessieren.
Unser Missionär schien übrigens mit seiner Stellung vollkommen zufrieden. Er behandelte die Indianer gut, er sah die Mission gedeihen, er pries in begeisterten Worten das Wasser, die Bananen, die Milch des Landes. Als er unsere Instrumente, unsere Bücher und getrockneten Pflanzen sah, konnte er sich eines boshaften Lächelns nicht enthalten, und er gestand mit der in diesem Klima landesüblichen Naivetät, von allen Genüssen dieses Lebens, den Schlaf nicht ausgenommen, sei doch gutes Kuhfleisch, carne de vaca, der köstlichste; die Sinnlichkeit quillt eben überall über, wo es an geistiger Beschäftigung fehlt. Oft bat uns unser Wirt, mit ihm die Kuh zu besuchen, die er eben gekauft hatte, und am anderen Tage bei Tagesanbruch mußten wir sie nach Landessitte schlachten sehen; man machte ihr einen Schnitt durch die Häckse, ehe man ihr das breite Messer in die Halswirbel stieß. So widrig dieses Geschäft war, so lernten wir dabei doch die ausnehmende Fertigkeit der Chaymas kennen, deren acht in weniger als 20 Minuten das Tier in kleine Stücke zerlegten. Die Kuh hatte nur 7 Piaster gekostet, und dies galt für sehr viel. Am selben Tage hatte der Missionär einem Soldaten aus Cumana, der ihm nach mehreren vergeblichen Versuchen endlich am Fuß die Ader geschlagen, 18 Piaster bezahlt. Dieser Fall, so unbedeutend er scheint, zeigt recht auffallend, wie hoch in unkultivierten Ländern die Arbeit dem Wert der Naturprodukte gegenüber im Preise steht.
Die Mission San Fernando wurde zu Ende des 17. Jahrhunderts an der Stelle gegründet, wo die kleinen Flüsse Manzanares und Lucasperez sich vereinigen. Eine Feuersbrunst, welche die Kirche und die Hütten der Indianer in Asche legte, gab den Anlaß, daß die Kapuziner das Dorf an dem schönen Punkte, wo es jetzt liegt, wieder aufbauten. Die Zahl der Familien ist auf hundert gestiegen, und der Missionär machte gegen uns die Bemerkung, daß der Brauch, die jungen Leute im 13. oder 14. Jahre zu verheiraten, zu dieser raschen Zunahme der Bevölkerung viel beitrage. Er zog in Abrede, daß die Chaymasindianer so früh altern, als die Europäer gewöhnlich glauben. Das Regierungswesen in diesen indianischen Gemeinden ist übrigens sehr verwickelt; sie haben ihren Gobernador, ihre Alguazils Majors und ihre Milizoffiziere, und diese Beamten sind lauter kupferfarbige Eingeborene. Die Schützencompagnie hat ihre Fahnen und übt sich mit Bogen und Pfeilen im Zielschießen; es ist die Bürgerwehr des Landes. Solch kriegerische Anstalten unter einem rein mönchischen Regiment kamen uns sehr seltsam vor.
In der Nacht vom 5. September und am anderen Morgen lag ein dicker Nebel, und doch waren wir nur 195 m über dem Meeresspiegel. Bevor wir aufbrachen, maß ich geometrisch den großen Kalkberg, der 1560 m südlich von San Fernando liegt und nach Norden steil abfällt. Sein Gipfel ist nur 419 m höher als der große Dorfplatz, aber kahle Felsmassen, die sich aus der dichten Pflanzendecke erheben, geben ihm etwas sehr Großartiges.
Der Weg von San Fernando nach Cumana führt über kleine Pflanzungen durch ein offenes feuchtes Thal. Wir wateten durch viele Bäche. Im Schatten stand der Thermometer nicht über 30º, wir waren aber unmittelbar den Sonnenstrahlen ausgesetzt, weil die Bambu am Wege nur wenig Schutz gewähren und wir hatten stark von der Hitze zu leiden. Wir kamen durch das Dorf Arenas, das von Indianern desselben Stammes wie die von San Fernando bewohnt ist; aber Arenas ist keine Mission mehr; die Eingeborenen stehen unter einem Pfarrer und sind nicht so nackt und kultivierter als jene. Ihre Kirche ist im Lande wegen einiger rohen Malereien bekannt; auf einem schmalen Fries sind Gürteltiere, Kaimane, Jaguare und andere Tiere der Neuen Welt abgebildet.
In diesem Dorfe wohnt ein Landmann Namens Francisco Lozano, der eine physiologische Merkwürdigkeit ist, und der Fall macht Eindruck auf die Einbildungskraft, wenn er auch den bekannten Gesetzen der organischen Natur vollkommen entspricht. Der Mann hat einen Sohn mit seiner eigenen Milch aufgezogen. Die Mutter war krank geworden, da nahm der Vater das Kind, um es zu beruhigen, zu sich ins Bett und drückte es an die Brust. Lozano, damals zweiunddreißig Jahre alt, hatte es bis dahin nicht bemerkt, daß er Milch gab, aber infolge der Reizung der Brustwarze, an der das Kind saugte, schoß die Milch ein. Dieselbe war fett und sehr süß. Der Vater war nicht wenig erstaunt, als seine Brust schwoll, und säugte fortan das Kind fünf Monate lang zwei-, dreimal des Tages. Seine Nachbarn wurden aufmerksam auf ihn, er dachte aber nicht daran, die Neugierde auszubeuten, wie er wohl in Europa gethan hätte. Wir sahen das Protokoll, das über den merkwürdigen Fall aufgenommen worden. Augenzeugen desselben leben noch, und sie versicherten uns, der Knabe habe während des Stillens nichts bekommen als die Milch des Vaters. Lozano war nicht zu Hause, als wir die Missionen bereisten, besuchte uns aber in Cumana. Er kam mit seinem Sohne, der schon 13 bis 14 Jahre alt war. Bonpland untersuchte die Brust des Vaters genau und fand sie runzlig, wie bei Weibern, die gesäugt haben. Er bemerkte, daß besonders die linke Brust sehr ausgedehnt war, und Lozano erklärte dies aus dem Umstande, daß niemals beide Brüste gleich viel Milch gegeben. Der Statthalter Don Vicente Emparan hat eine ausführliche Beschreibung des Falles nach Cadiz geschickt.
Es kommt bei Menschen und Tieren nicht gar selten vor, daß die Brust männlicher Individuen Milch enthält, und das Klima scheint auf diese mehr oder weniger reichliche Absonderung keinen merkbaren Einfluß zu äußern. Die Alten erzählen von der Milch der Böcke auf Lemnos und Corsica; noch in neuester Zeit war in Hannover ein Bock, der jahrelang einen Tag um den anderen gemolken wurde und mehr Milch gab als die Ziegen. Unter den Merkmalen der vermeintlichen Schwächlichkeit der Amerikaner führen die Reisenden auch auf, daß die Männer Milch in den Brüsten haben. Man hat sogar alles Ernstes behauptet, in einem Teile Brasiliens werden die Kinder von den Männern, nicht von den Weibern gesäugt. Es ist indessen höchst unwahrscheinlich, daß solches bei einem ganzen Volksstamm in irgend einem der heutigen Reisenden unbekannten Landstrich Amerikas beobachtet worden sein sollte, und ich kann versichern, daß der Fall gegenwärtig in der Neuen Welt nicht häufiger vorkommt als in der Alten. Der Landmann in Arenas, dessen Geschichte wir soeben erzählt, ist nicht vom kupferfarbigen Stamm der Chaymas, er ist ein Weißer von europäischem Blut. Ferner haben Petersburger Anatomen die Beobachtung gemacht, daß Milch in den Brüsten der Männer beim niederen russischen Volke weit häufiger vorkommt, als bei südlicheren Völkern, und die Russen haben nie für schwächlich und weibisch gegolten.
Es gibt unter den mancherlei Spielarten unseres Geschlechtes eine, bei der der Busen zur Zeit der Mannbarkeit einen ansehnlichen Umfang erhält. Lozano gehörte nicht dazu, und er versicherte uns wiederholt, erst durch die Reizung der Brust infolge des Saugens sei bei ihm die Milch gekommen. Dadurch wird bestätigt, was die Alten beobachtet haben: »Männer, die etwas Milch haben, geben ihrer in Menge, sobald man an den Brüsten saugt.« Aristoteles, Historia animalium Lib. III, c. 20. Diese sonderbare Wirkung eines Nervenreizes war den griechischen Schäfern bekannt; die auf dem Berge Oeta rieben den Ziegen, die noch nicht geworfen hatten, die Euter mit Nesseln, um die Milch herbeizulocken.
Ueberblickt man die Lebenserscheinungen in ihrer Gesamtheit, so zeigt sich, daß keine ganz für sich allein steht. In allen Jahrhunderten werden Beispiele erzählt von jungen, nicht mannbaren Mädchen oder von bejahrten Weibern mit eingeschrumpften Brüsten, welche Kinder säugten. Bei Männern kommt solches weit seltener vor, und nach vielem Suchen habe ich kaum zwei oder drei Fälle finden können. Einer wird vom veronesischen Anatomen Alexander Benedictus angeführt, der am Ende des 15. Jahrhunderts lebte. Er erzählt, ein Syrier habe nach dem Tode der Mutter sein Kind, um es zu beschwichtigen, an die Brust gedrückt. Sofort schoß die Milch so stark ein, daß der Vater sein Kind allein säugen konnte. Andere Beispiele werden von Santorellus, Feria und Robert, Bischof von Cork, berichtet. Da die meisten dieser Fälle ziemlich entlegenen Zeiten angehören, ist es von Interesse für die Physiologie, daß die Erscheinung zu unserer Zeit bestätigt werden konnte. Sie hängt übrigens genau mit dem Streit über die Endursachen zusammen. Daß auch der Mann Brüste hat, ist den Philosophen lange ein Stein des Anstoßes gewesen, und noch neuerdings hat man geradezu behauptet: »Die Natur habe die Fähigkeit zu säugen dem einen Geschlecht versagt, weil diese Fähigkeit gegen die Würde des Mannes wäre.«
In der Nähe der Stadt Cumanacoa wird der Boden ebener und das Thal nach und nach weiter. Die kleine Stadt liegt auf einer kahlen, fast kreisrunden, von hohen Bergen umgebenen Ebene und nimmt sich von außen sehr trübselig aus. Die Bevölkerung ist kaum 2300 Seelen stark; zur Zeit des Paters Caulin im Jahre 1753 betrug sie nur 600. Die Häuser sind sehr niedrig, unsolid und, drei oder vier ausgenommen, sämtlich aus Holz. Wir brachten indessen unsere Instrumente ziemlich gut beim Verwalter der Tabaksregie, Don Juan Sanchez, unter, einem liebenswürdigen, geistig sehr regsamen Manne. Er hatte uns eine geräumige bequeme Wohnung einrichten lassen; wir blieben vier Tage hier und er ließ sich nicht abhalten, uns auf allen unseren Ausflügen zu begleiten.
Cumanacoa wurde im Jahre 1717 von Domingo Arias gegründet, als er von einem Kriegszuge zurückkam, den er an die Mündung des Guarapiche unternommen, um eine von französischen Freibeutern begonnene Niederlassung zu zerstören. Die Stadt hieß anfangs San Baltazar de las Arias, aber der indische Name verdrängte jenen, wie der Name Caracas den Namen Santiago de Leon, den man noch häufig auf unseren Karten sieht, in Vergessenheit gebracht hat.
Als wir den Barometer öffneten, sahen wir zu unserer Ueberraschung das Quecksilber kaum 15,6 mm tiefer stehen als an der Küste und doch schien das Instrument in ganz gutem Stande. Die Ebene, oder vielmehr das Plateau, auf dem Cumanacoa steht, liegt nicht mehr als 204 m über dem Meeresspiegel, und dies ist drei- oder viermal weniger, als man in Cumana glaubt, weil man dort von der Kälte in Cumanacoa die übertriebensten Vorstellungen hat. Aber der klimatische Unterschied zwischen zwei so nahen Orten rührt vielleicht weniger von der hohen Lage des letzteren her als von örtlichen Verhältnissen, wozu wir rechnen, daß die Wälder sehr nahe, die niedergehenden Luftströme, wie in allen eingeschlossenen Thälern, häufig, die Regenniederschläge und die Nebel sehr stark sind, wodurch einen großen Teil des Jahres hindurch die unmittelbare Wirkung der Sonnenstrahlen geschwächt wird. Da die Wärmeabnahme unter den Tropen und Sommers in der gemäßigten Zone ungefähr gleich ist, so sollte der geringe Höhenunterschied von 195 m nur einen Unterschied in der mittleren Temperatur von 1 bis 1½º verursachen; wir werden aber bald sehen, daß derselbe über 4º beträgt. Dieses kühle Klima fällt um so mehr auf, da es noch in der Stadt Cartago, in Tomependa am Ufer des Amazonenstromes und in den Thälern von Aragua, westwärts von Caracas, sehr heiß ist, lauter Orte, die in 390 bis 935 m absoluter Meereshöhe liegen. In der Ebene wie im Gebirge laufen die Linien gleicher Wärme (Isothermen) nicht immer dem Aequator oder der Erdoberfläche parallel, und darin besteht eben die große Aufgabe der Meteorologie, den Lauf dieser Linien zu ermitteln und durch alle von örtlichen Ursachen bedingte Abweichungen hierdurch die konstanten Gesetze der Wärmeverteilung zu erfassen.
Der Hafen von Cumana liegt von Cumanacoa nur etwa 11,5 km. Am ersteren Orte regnet es fast nie, während an letzterem die Regenzeit 6 bis 7 Monate dauert. Die trockene Jahreszeit währt in Cumanacoa von der Winter- bis zur Sommer-Tag- und Nachtgleiche. Strichregen sind im April, Mai und Juni ziemlich häufig; später wird es wieder sehr trocken, vom Sommersolstitium bis Ende August; nunmehr tritt die eigentliche Regenzeit ein, die bis zum November anhält und in der das Wasser in Strömen vom Himmel gießt. Nach der Breite von Cumanacoa geht die Sonne das eine Mal am 16. April, das andere Mal am 27. August durch den Zenith, und aus dem eben Angeführten geht hervor, daß diese beiden Durchgänge mit dem Eintreten der großen Regenniederschläge und der starken elektrischen Entladungen zusammenfallen.
Unser erster Aufenthalt in den Missionen fiel in die Regenzeit. Jede Nacht war der Himmel mit schweren Wolken wie mit einem dichten Schleier umzogen, und nur durch Ritzen im Gewölk konnte ich ein paar Sternbeobachtungen anstellen. Der Thermometer stand auf 18,5 bis 20º, und dies ist in der heißen Zone und für das Gefühl des Reisenden, der von der Küste herkommt, bedeutend kühl. In Cumana sah ich die Temperatur bei Nacht niemals unter 21º sinken. Der Delucsche Hygrometer zeigte in Cumanacoa 85º, und, was auffallend ist, sobald das Gewölk sich zerstreute und die Sterne in ihrer ganzen Pracht leuchteten, ging das Instrument auf 55º zurück. Gegen Morgen nahm die Temperatur wegen der starken Verdunstung nur langsam zu und noch um 10 Uhr war sie nicht über 21º . Am heißesten ist es von Mittag bis 3 Uhr, wo dann der Thermometer auf 26 bis 27º steht. Zur Zeit der größten Hitze, etwa zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den Meridian, zog fast regelmäßig ein Gewitter auf, das auch zum Ausbruch kam. Dicke, schwarze, sehr niedrig ziehende Wolken lösten sich in Regen auf; diese Güsse dauerten 2 bis 3 Stunden, und während derselben fiel der Thermometer um 5 bis 6º . Gegen 5 Uhr hörte der Regen ganz auf, die Sonne kam aber bis zum Untergang nicht leicht zum Vorschein und der Hygrometer ging dem Trockenpunkte zu; aber um 8 oder 9 Uhr abends waren wir schon wieder in eine dicke Wolkenschicht gehüllt. Dieser Witterungswechsel erfolgt, wie man uns versicherte, durchaus gesetzmäßig monatelang einen Tag wie den anderen, und doch läßt sich nicht der geringste Luftzug spüren. Nach vergleichenden Beobachtungen muß ich annehmen, daß es in Cumanacoa bei Nacht um 2 bis 3, bei Tage um 4 bis 5º kühler ist als in Cumana. Diese Unterschiede sind sehr bedeutend, und wenn man statt meteorologischer Instrumente nur sein Gefühl befragte, so würde man sie für noch bedeutender halten.
Die Vegetation auf der Ebene um die Stadt ist sehr einförmig, aber infolge der großen Feuchtigkeit der Luft ungemein frisch. Ihre Haupteigentümlichkeiten sind ein baumartiges Solanum, das 13 m hoch wird, die Urtica baccifera und eine neue Art der Gattung Guettarda. Der Boden ist sehr fruchtbar und er wäre auch leicht zu bewässern, wenn man von den vielen Bächen, deren Quellen das ganze Jahr nicht versiegen, Kanäle zöge. Das wichtigste Erzeugnis ist der Tabak, und nur diesem verdankt es die kleine, schlecht gebaute Stadt, wenn sie einen gewissen Ruf hat. Seit der Einführung der Pacht ( Estanco real de Tabaco) im Jahre 1779 ist der Tabaksbau in der Provinz Cumana fast ganz auf Cumanacoa beschränkt, wie er in Mexiko nur in den zwei Distrikten Orizaba und Cordova gestattet ist. Das Pachtsystem ist ein beim Volke äußerst verhaßtes Monopol. Die ganze Tabaksernte muß an die Regierung verkauft werden, und um dem Schmuggel zu steuern, oder vielmehr nur ihn einzuschränken, ließ man geradezu nur an einem Punkte Tabak bauen. Aufseher streifen durch das Land; sie zerstören jede Anpflanzung, die sie außerhalb der zum Bau angewiesenen Distrikte finden, und geben die Unglücklichen an, die es wagen, selbstgemachte Cigarren zu rauchen. Diese Aufseher sind meist Spanier und fast ebenso grob wie die Menschen, die in Europa dieses Handwerk treiben. Diese Grobheit hat nicht wenig dazu beigetragen, den Haß zwischen den Kolonieen und dem Mutterlande zu schüren.
Nach dem Tabak von der Insel Cuba und dem vom Rio Negro hat der von Cumana am meisten Arom. Er übertrifft allen aus Neuspanien und der Provinz Varinas. Wir teilen einiges über den Bau desselben mit, weil er sich wesentlich vom Tabaksbau in Virginien unterscheidet. Schon der Umstand, daß im Thale von Cumanacoa die Gewächse aus der Familie der Solaneen so ausnehmend stark entwickelt sind, besonders die vielen Arten von Solanum arborescens, von Aquartia und Cestrum weisen darauf hin, daß hier der Boden für den Tabaksbau sehr geeignet sein muß. Die Aussaat wird im September vorgenommen; zuweilen wartet man damit bis zum Dezember, was aber für den Ausfall der Ernte nicht so gut ist. Die Wurzelblätter zeigen sich am achten Tage; man bedeckt die jungen Pflanzen mit großen Helikonien- und Bananenblättern, um sie der unmittelbaren Einwirkung der Sonne zu entziehen, und reutet das Unkraut, das unter den Tropen furchtbar schnell aufschießt, sorgfältig aus. Der Tabak wird sofort einen und einen halben Monat, nachdem der Samen aufgegangen, in einen fetten, gut gelockerten Boden versetzt. Die Pflanzen werden in geraden Reihen 1 bis 1,3 m voneinander gesteckt; man jätet sie fleißig und köpft den Hauptstengel mehrmals, bis bläulich grüne Flecken auf den Blättern als Wahrzeichen der Reife sich zeigen. Im vierten Monat fängt man an sie abzunehmen, und diese erste Ernte ist in wenigen Tagen vorüber. Besser wäre es, die Blätter nacheinander abzunehmen, so wie sie trocken werden. In guten Jahren schneiden die Pflanzer den Stock, wenn er 1,3 m hoch ist, ab, und der Wurzelschoß treibt so rasch neue Blätter, daß sie schon am 13. oder 14. Tage geerntet werden können. Diese haben sehr lockeres Zellgewebe; sie enthalten mehr Wasser, mehr Eiweiß und weniger von dem scharfen, flüchtigen, im Wasser schwer löslichen Stoff, an den die eigentümlich reizende Wirkung des Tabaks gebunden scheint.
Der Tabak wird in Cumanacoa nach dem Verfahren behandelt, das bei den Spaniern de cura seca heißt. Man hängt die Blätter an Cocuizafasern Agave Americana. auf, löst die Rippen ab und dreht sie zu Strängen. Der zubereitete Tabak sollte im Juni in die königlichen Magazine geschafft werden, aber aus Faulheit und weil sie dem Bau des Mais und des Manioc mehr Aufmerksamkeit schenken, machen die Leute den Tabak selten vor August fertig. Begreiflich verlieren die Blätter an Arom, wenn sie zu lange der feuchten Luft ausgesetzt bleiben. Der Verwalter läßt den Tabak 60 Tage unberührt in den königlichen Magazinen liegen; dann schneidet man die Bündel auf, um die Qualität zu prüfen. Findet der Verwalter den Tabak gut zubereitet, so bezahlt er dem Pflanzer für die Aroba von 12,5 kg 3 Piaster. Dasselbe Gewicht wird auf Rechnung der Krone für 12½ Piaster wieder verkauft. Der faule ( potrido) Tabak, d. h. der noch einmal gegärt hat, wird öffentlich verbrannt, und der Pflanzer, der von der königlichen Pacht Vorschüsse erhalten hat, kommt unwiderruflich um die Früchte seiner langen Arbeit. Wir sahen auf dem großen Platze Haufen von 500 Arobas vernichten, aus denen man in Europa sicher Schnupftabak gemacht hätte.
Der Boden von Cumanacoa eignet sich für diesen Kulturzweig so ausgezeichnet, daß der Tabak überall, wo der Same Feuchtigkeit findet, wild wächst. So kommt er beim Cerro del Cuchivano und bei der Höhle von Caripe vor. In Cumanacoa, wie in den benachbarten Distrikten von Aricagua und San Lorenzo, wird übrigens nur die Tabaksart mit großen sitzenden Blättern, der sogenannte virginische Tabak, Nicotiana Tabacum. gebaut. Ganz unbekannt ist der Tabak mit gestielten Blättern, Nicotiana rustica. der eigentliche Yetl der alten Mexikaner, den man in Deutschland sonderbarerweise türkischen Tabak nennt.
Wäre der Tabaksbau frei, so könnte die Provinz Cumana einen großen Teil von Europa damit versehen; ja, andere Distrikte scheinen sich für die Erzeugung dieser Kolonialware ganz so gut zu eignen wie das Thal von Cumanacoa, wo der übermäßige Regen nicht selten dem Arom der Blätter Eintrag thut. Gegenwärtig, wo der Tabaksbau auf ein paar Quadratkilometer beschränkt ist, beträgt der ganze Ertrag der Ernte nur 6000 Arobas. Die beiden Provinzen Cumana und Barcelona verbrauchen aber 12 000, und der Ausfall wird aus dem spanischen Guyana gedeckt. In der Gegend von Cumanacoa geben sich im Durchschnitt nur 1500 Personen mit dem Tabaksbau ab, lauter Weiße; die Eingeborenen vom Stamme der Chaymas lassen sich durch Aussicht auf Gewinn selten dazu verlocken, auch hält es die Pacht nicht für geraten, denselben Vorschüsse zu machen.
Beschäftigt man sich mit der Geschichte unserer Kulturpflanzen, so sieht man mit Ueberraschung, daß vor der Eroberung der Gebrauch des Tabaks über den größten Teil von Amerika verbreitet war, während man die Kartoffel weder in Mexiko, noch auf den Antillen kannte, wo sie doch in gebirgigen Lagen sehr gut fortkommt. Ferner wurde in Portugal schon im Jahre 1559 Tabak gebaut, während die Kartoffel erst am Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts in den europäischen Ackerbau überging. Letzteres Gewächs, das für das Wohl der menschlichen Gesellschaft so bedeutsam geworden ist, hat sich auf beiden Kontinenten weit langsamer verbreitet als ein Produkt, das nur für einen Luxusartikel gelten kann.
Das wichtigste Produkt nach dem Tabak ist im Thale von Cumanacoa der Indigo. Die Pflanzungen in Cumanacoa, San Fernando und Arenas liefern eine Ware, die im Handel noch geschätzter ist als der Indigo von Caracas; er kommt an Glanz und Fülle der Farbe oft dem Indigo von Guatemala nahe. Aus letzterer Provinz ist der Samen von Indigofera Anil, die neben Indigofera tinctoria gebaut wird, zuerst auf die Küste von Cumana gekommen. Da im Thale von Cumanacoa sehr viel Regen fällt, so gibt, eine 1,3 m hohe Pflanze nicht mehr Farbstoff als eine dreimal kleinere in den trockenen Thälern von Aragua, westlich von der Stadt Caracas.
Alle Indigofabriken, die wir gesehen, sind nach demselben Plane eingerichtet. Zwei Weichküpen, in denen das Kraut »faulen« soll, stehen nebeneinander. Jede mißt 1,5 qm und ist 75 cm tief. Aus diesen oberen Kufen läuft die Flüssigkeit in die Stampfkasten, zwischen denen die Wassermühle angebracht ist. Der Baum des großen Rades läuft zwischen diesen Kasten durch, und an ihm sitzen an langen Stielen die Löffel zum Stampfen. Aus einer weiten Abseiheküpe kommt der farbhaltige Bodensatz in die Trockenkasten und wird daselbst auf Brettern aus Brasilholz ausgebreitet, die mittels kleiner Rollen unter Dach gebracht werden können, wenn unerwartet Regen eintritt. Diese geneigten, sehr niedrigen Dächer geben den Trockenkasten von weitem das Ansehen von Treibhäusern. Im Thale von Cumanacoa verläuft die Gärung des Krautes, das man »faulen« läßt, ungemein rasch. Sie währt meist nicht länger als 4 bis 5 Stunden. Dies kann nur von der Feuchtigkeit des Klimas herrühren und daher, daß während der Entwickelung der Pflanze die Sonne nicht scheint. Ich glaube auf meinen Reisen die Bemerkung gemacht zu haben, daß je trockener das Klima ist, die Kufe um so langsamer arbeitet und die Stengel zugleich desto mehr Indigo auf der niedersten Oxydationsstufe enthalten. In der Provinz Caracas, wo 562 Kubikfuß locker aufgeschichteten Krautes 18 bis 20 kg trockenen Indigo geben, kommt die Flüssigkeit erst nach 20, 30 oder 35 Stunden in die Stampfe. Wahrscheinlich erhielten die Einwohner von Cumanacoa mehr Farbstoff aus dem Kraute, wenn sie dasselbe länger in der ersten Kufe weichen ließen. Ich habe während meines Aufenthaltes in Cumana den etwas schweren kupferfarbigen Indigo von Cumanacoa und den von Caracas zur Vergleichung in Schwefelsäure aufgelöst, und die Auflösung des ersteren schien mir weit satter blau.
Trotz der ausgezeichneten Beschaffenheit der Produkte und der Fruchtbarkeit des Bodens ist der Landbau in Cumanacoa noch völlig in der Kindheit. Arenas, San Fernando und Cumanacoa bringen in den Handel nur 1500 kg Indigo, der im Lande 4500 Piaster wert ist. Es fehlt an Menschenhänden und die schwache Bevölkerung nimmt durch die Auswanderung in die Llanos täglich ab. Diese unermeßlichen Savannen nähren den Menschen reichlich, weil sich das Vieh dort so leicht vermehrt, während der Indigo- und Tabaksbau viel Sorge und Mühe macht. Der Ertrag des letzteren ist desto unsicherer, da die Regenzeit bald länger, bald kürzer dauert. Die Pflanzer sind von der königlichen Pacht, die ihnen Vorschüsse macht, völlig abhängig, und hier, wie in Georgien und Virginien, baut man lieber Nahrungsgewächse als Tabak. Man hatte neuerdings der Regierung den Vorschlag gemacht, auf königliche Kosten 500 Neger anzuschaffen und sie den Pflanzern abzugeben, die imstande wären, in 2 oder 3 Jahren den Ankaufspreis abzutragen. Dadurch hoffte man die jährliche Tabaksernte auf 15 000 Arobas zu bringen. Zu meiner Freude habe ich viele Grundeigentümer sich gegen dieses Projekt aussprechen hören. Es stand nicht zu hoffen, daß man, nach dem Vorgang mancher Provinzen der Vereinigten Staaten, nach einer gewissen Reihe von Jahren den Schwarzen oder ihren Nachkommen die Freiheit schenken würde; desto bedenklicher schien es, zumal nach den entsetzlichen Vorgängen auf San Domingo, die Sklavenbevölkerung in Terra Firma zu vermehren. Weise Politik hat nicht selten dieselben Folgen, wie die edelsten und seltensten Regungen der Gerechtigkeit und Menschenliebe.
Die mit Höfen und Indigo- und Tabakspflanzungen bedeckte Ebene von Cumanacoa ist von Bergen umgeben, die besonders gegen Süd höher ansteigen und für den Physiker und den Geologen gleich interessant sind. Alles weist darauf hin, daß das Thal ein alter Seeboden ist; auch fallen die Berge, welche einst das Ufer desselben bildeten, dem See zu senkrecht ab. Der See hatte nur Arenas zu einem Abfluß. Beim Graben von Hausfundamenten stieß man bei Cumanacoa auf Schichten von Geschieben, mit kleinen zweischaligen Muscheln darunter. Nach der Angabe mehrerer glaubwürdiger Personen sind sogar vor mehr als 30 Jahren hinten in der Schlucht San Juanillo zwei ungeheure Schenkelknochen gefunden worden, die 1,3 m lang waren und über 15 kg wogen. Die Indianer hielten sie, wie noch heute das Volk in Europa, für Riesenknochen, während die Halbgelehrten im Lande, die das Privilegium haben, alles zu erklären, alles Ernstes versicherten, es seien Naturspiele und keiner großen Beachtung wert. Diese Leute beriefen sich bei ihrer Behauptung auf den Umstand, daß menschliche Gebeine im Boden von Cumanacoa sehr rasch vermodern. Zum Schmuck der Kirchen am Allerseelentag läßt man Schädel aus den Kirchhöfen an der Küste kommen, wo der Boden mit Salzen geschwängert ist. Die vermeintlichen Riesenknochen wurden nach Cumana gebracht. Ich habe mich dort vergeblich danach umgesehen; aber nach den fossilen Knochen, die ich aus anderen Strichen Südamerikas heimgebracht und die von Cuvier genau untersucht worden, gehörten die riesigen Schenkelknochen von Cumanacoa wahrscheinlich einer ausgestorbenen Elefantenart an. Es kann befremden, daß dieselben in so geringer Höhe über dem gegenwärtigen Wasserspiegel gefunden worden; denn es ist sehr merkwürdig, daß die fossilen Reste von Mastodonten und Elefanten, die ich aus den tropischen Ländern von Mexiko, Neugranada, Quito und Peru mitgebracht, nicht in tiefgelegenen Strichen (wo in gemäßigten Zonen Megatherien am Rio Luxan Das virginische Megatherium ist der Megalonyx Jeffersons. Alle diese ungeheuren Knochen, die man auf den Ebenen der Neuen Welt, nördlich oder südlich vom Aequator gefunden, gehören nicht der heißen, sondern der gemäßigten Zone an. Andererseits macht Pallas die Bemerkung, daß in Sibirien, also auch nördlich vom Wendekreis, fossile Knochen in den gebirgigen Landesteilen gar nicht vorkommen. Diese eng miteinander verknüpften Thatsachen scheinen den Weg zur Auffindung eines wichtigen geologischen Gesetzes zu bahnen. und in Virginien, große Mastodonten am Ohio und fossile Elefanten am Susquehanna vorkommen), sondern auf den in 195 bis 450 m Höhe gelegenen Hochebenen erhoben wurden.
Als wir dem südlichen Rand des Beckens von Cumanacoa zugingen, sahen wir den Turimiquiri vor uns liegen. Eine ungeheure Felswand, das Ueberbleibsel eines alten Küstenstrichs, steigt mitten im Walde empor. Weiter nach West, beim Cerro del Cuchivano, erscheint die Bergkette wie durch ein Erdbeben auseinander gerissen. Die Spalte ist über 290 m breit und von senkrechten Felsen umgeben. Tief beschattet von den Bäumen, deren verschlungene Zweige nicht Raum haben, sich auszubreiten, nahm sich die Spalte aus wie eine durch einen Erdfall entstandene Grube. Ein Bach, der Rio Juagua, läuft durch die Spalte, die ungemein malerisch ist und Risco del Cuchivano heißt. Der kleine Fluß entspringt 32 km weit gegen Südwest am Fuße des Brigantin und bildet schöne Fälle, ehe er in die Ebene von Cumanacoa ausläuft.
Wir besuchten öfters einen kleinen Hof, Conuco de Bermudez, dem Erdspalt von Cuchivano gegenüber. Man baut hier auf feuchtem Boden Bananen, Tabak und mehrere Arten von Baumwollenbäumen, besonders die, deren Wolle nankinggelb ist, und die auf der Insel Margarita so häufig vorkommt. Der Eigentümer sagte uns, der Erdspalt sei von Jaguaren bewohnt. Diese Tiere bringen den Tag in Höhlen zu und schleichen bei Nacht um die Wohnungen. Da sie reichliche Nahrung haben, werden sie bis 2 m lang. Ein solcher Tiger hatte im verflossenen Jahre ein zum Hof gehöriges Pferd verzehrt. Er schleppte seine Beute bei hellem Mondschein über die Savanne unter einen ungeheuer dicken Ceibabaum. Vom Winseln des verendenden Pferdes erwachten die Sklaven im Hofe. Sie rückten mitten in der Nacht aus, bewaffnet mit Spießen und Machetes Große Messer mit sehr langen Klingen, ähnlich den Jagdmessern. In der heißen Zone geht man nicht ohne Machete in den Wald, sowohl um die Lianen und Baumäste abzuhauen, die einem den Weg sperren, als um sich gegen wilde Tiere zu verteidigen.. Der Tiger lag auf seiner Beute und ließ sie ruhig herankommen; er erlag erst nach langem hartnäckigem Widerstand. Dieser Fall und viele andere, von denen wir an Ort und Stelle Kunde erhielten, zeigt, daß der große Jaguar Felis Onça, Linné, die Buffon panthère oillée nennt und in Afrika zu Hause glaubt. Wir werden später Gelegenheit haben, auf diesen für die Zoologie und Tiergeographie wichtigen Punkt zurückzukommen. von Terra Firma, wie der Jaguarete in Paraguay und der eigentliche asiatische Tiger, vor dem Menschen nicht fliehen, wenn ihm dieser zu Leibe geht und die Zahl der Angreifenden ihn nicht scheu macht. Die Zoologen wissen jetzt, daß Buffon die größte amerikanische Katzenart ganz falsch beurteilt hat. Was der berühmte Schriftsteller von der Feigheit der Tiger der Neuen Welt sagt, gilt nur von den kleinen Oceloten, oder Pantherkatzen, und wir werden bald sehen, daß am Orinoko der echte amerikanische Jaguar sich zuweilen ins Wasser stürzt, um die Indianer in ihren Pirogen anzugreifen.
Dem Hofe Bermudez gegenüber liegen die Oeffnungen zweier geräumigen Höhlen im Erdspalt des Cuchivano; von Zeit zu Zeit schlagen Flammen daraus empor, die man bei Nacht sehr weit sieht. Die benachbarten Berge sind dann davon beleuchtet, und nach der Höhe der Felsen, über welche diese brennenden Dünste hinaufreichen, wäre man versucht, zu glauben, daß sie mehrere hundert Fuß hoch werden. Beim letzten großen Erdbeben in Cumana war diese Erscheinung von einem unterirdischen dumpfen, anhaltenden Getöse begleitet. Sie kommt vorzüglich in der Regenzeit vor, und die Besitzer der dem Berge Cuchivano gegenüber liegenden Pflanzungen versichern, die Flammen zeigen sich seit dem Dezember 1797 häufiger.
Auf einer botanischen Exkursion nach Rinconada versuchten wir vergeblich in die Spalte einzudringen. Wir hätten die Felsen, die in ihrem Schoße die Ursachen dieses merkwürdigen Feuers zu bergen schienen, gerne näher untersucht; aber die üppige Vegetation, die ineinander geschlungenen Lianen und Dornsträucher ließen uns nicht vorwärts kommen. Zum Glück nahmen die Bewohner des Thals lebhaften Anteil an unseren Forschungen, nicht sowohl weil sie sich vor einem vulkanischen Ausbruch fürchteten, als weil sie sich in den Kopf gesetzt hatten, der Risco del Cuchivano enthalte eine Goldgrube. Es half nichts, daß wir ihnen auseinandersetzten, warum wir an Gold im Muschelkalk nicht glauben könnten; sie wollten einmal wissen, »was der deutsche Bergmann vom Reichtum des Erzgangs halte«. Seit Karls V. Zeit und seit die Welser, die Alsinger und Sailer in Coro und Caracas als Statthalter gesessen, hat sich in Terra Firma im Volk der Glaube an das besondere bergmännische Geschick der Deutschen erhalten. Wohin ich in Südamerika kam, überall, sobald man erfuhr, wo ich her sei, zeigte man mir Muster von Erzen. In den Kolonien ist jeder Franzose ein Arzt, jeder Deutsche ein Bergmann.
Die Pflanzer bahnten mit ihren Sklaven einen Weg durch den Wald bis zum ersten Fall des Rio Juagua, und am 10. September machten wir unseren Ausflug nach dem Risco del Cuchivano. Kaum hatten wir die Schlucht betreten, so merkten wir, daß Tiger in der Nähe waren, sowohl an einem frisch zerrissenen Stachelschwein, als am Gestank ihres Kotes, der dem der europäischen Katze gleicht. Zur Vorsicht gingen die Indianer nach dem Hof zurück und brachten Hunde von sehr kleiner Rasse mit. Man behauptet, wenn man dem Jaguar auf schmalem Pfad begegne, springe er zuerst auf den Hund los, nicht auf den Menschen. Wir stiegen nicht am Ufer des Baches, sondern an der Felswand über dem Wasser hinauf. Man geht an einem 65 bis 100 m tiefen Abgrund hin auf einem ganz schmalen Vorsprung, wie auf dem Wege von Grindelwald am Mettenberg hin zum großen Gletscher. Wird der Vorsprung so schmal, daß man nicht mehr weiß, wohin man den Fuß setzen soll, so steigt man zum Bach hinunter, watet durch oder läßt sich von einem Sklaven hinübertragen und klimmt an der anderen Bergwand, weiter. Das Niederklettern ist ziemlich mühselig, und man darf sich nicht auf die Lianen verlassen, die wie große Stricke von den Baumgipfeln niederhängen. Die Ranken- und Schmarotzergewächse hängen nur locker an den Aesten, die sie umschlingen; ihre Stengel haben zusammen ein ganz ansehnliches Gewicht, und wenn man auf abschüssigem Boden sich mit dem Körper an Lianen hängt, läuft man Gefahr, eine ganze grüne Laube niederzureißen. Je weiter wir kamen, desto dichter wurde die Vegetation. An mehreren Stellen hatten die Baumwurzeln, die in die Spalten zwischen den Schichten hineingewachsen waren, das Kalkgestein zersprengt. Wir konnten kaum die Pflanzen fortbringen, die wir bei jedem Schritte aufnahmen. Die Canna, die Helikonen mit schönen purpurnen Blüten, die Costus und andere Gewächse aus der Familie der Amomeen werden hier 2,6 bis 3,25 m hoch. Ihr helles, frisches Grün, ihr Seidenglanz und ihr strotzendes Fleisch stechen grell ab vom bräunlichen Ton des Baumfarns mit dem zartgefiederten Laub. Die Indianer hieben mit ihren großen Messern Kerben in die Baumstämme und machten uns auf die Schönheit der roten und goldgelben Hölzer aufmerksam, die einst bei unseren Möbelschreinern und Drehern sehr gesucht sein werden. Sie zeigten uns ein Gewächs mit zusammengesetzter Blüte, das 6,5 m hoch ist ( Eupatorium laevigatum, Lamarck), die sogenannte Rose von Belveria ( Brownea racimosa), berühmt wegen ihrer herrlichen purpurroten Blüten, und das einheimische Drachenblut, eine noch nicht beschriebene Art Kroton, deren roter, adstringierender Saft zur Stärkung des Zahnfleisches gebraucht wird. Sie unterschieden die Arten von dem Geruch, besonders aber durch Kauen der Holzfasern. Zwei Eingeborene, denen man dasselbe Holz zu kauen gibt, sprechen, meist ohne sich zu besinnen, denselben Namen aus. Wir konnten übrigens von den scharfen Sinnen unserer Führer nicht viel Nutzen ziehen; denn wie soll man zu Blättern, Blüten oder Früchten gelangen, die auf Stämmen wachsen, deren ersten Aeste 16,20 m über dem Boden sind? Mit Ueberraschung sieht man in dieser Schlucht die Baumrinde, sogar den Boden mit Moosen und Flechten überzogen. Diese Kryptogamen sind hier so häufig wie im Norden. Die feuchte Luft und der Mangel an direktem Sonnenlicht begünstigen ihre Entwickelung, und doch beträgt die Temperatur bei Tag 25, bei Nacht 19º .
Die angebliche Goldgrube von Cuchivano, die wir untersuchen sollten, ist nichts als ein Loch, das man in eine der schwarzen, an Schwefelkies reichen Mergelschichten im Kalk zu graben angefangen. Das Loch liegt auf der rechten Seite des Rio Juagua, an einem Punkt, wohin man vorsichtig klettern muß, weil der Bach hier über 2,5 m tief ist. Der Schwefelkies ist hell goldgelb, und man sieht ihm nicht an, daß er Kupfer enthält. Die Mergelschicht, in der er vorkommt, streicht über den Bach hinüber. Das Wasser spült die metallisch glänzenden Körner aus, und deshalb glaubt das Volk, der Bach führe Gold. Man erzählt, nach dem großen Erdbeben im Jahre 1766 habe das Wasser des Juagua so viel Gold geführt, daß Männer, »die weit hergekommen, und von denen man nicht gewußt, wo sie zu Hause seien«, Goldwäschen angelegt hätten; sie seien aber bei Nacht und Nebel verschwunden, nachdem sie eine Menge Gold gesammelt. Es braucht keines Beweises, daß dies ein Märchen ist; die Kiese in den Quarzgängen des Glimmerschiefers sind allerdings sehr oft goldhaltig; aber nichts berechtigt bis jetzt zur Annahme, daß der Schwefelkies im Mergelschiefer des Alpenkalks gleichfalls Gold enthalte. Einige direkte Versuche auf nassem Wege, die ich während meines Aufenthaltes in Caracas angestellt, thun dar, daß der Schwefelkies von Cuchivano durchaus nicht goldhaltig ist. Unseren Führern behagte mein Unglaube sehr schlecht; ich hatte gut sagen, aus dieser angeblichen Goldgrube könnte man höchstens Alaun und Eisenvitriol gewinnen; sie lasen nichtsdestoweniger heimlich jedes Stückchen Schwefelkies auf, das sie im Wasser glänzen sahen. Je ärmer ein Land an Erzgruben ist, desto leichter wird es in der Einbildung der Einwohner, die Schätze aus dem Schoße der Erde zu holen. Wie viele Zeit haben wir auf unserer fünfjährigen Reise verloren, um auf das dringende Verlangen unserer Wirte Schluchten zu untersuchen, in denen schwefelkieshaltige Schichten seit Jahrhunderten den stolzen Namen Minas de oro führen! Wie oft sahen wir lächelnd zu, wenn Leute aller Stände, Beamte, Dorfgeistliche, ernste Missionäre mit unermüdlicher Geduld Hornblende oder gelblichen Glimmer zerstießen, um mittels Quecksilber das Gold auszuziehen! Die leidenschaftliche Gier, mit der man nach Erzen sucht, erscheint doppelt auffallend in einem Lande, wo man den Boden kaum umzuwenden braucht, um ihm reiche Ernten zu entlocken.
Nachdem wir den Schwefelkies am Rio Juagua untersucht, gingen wir weiter in der Schlucht hinauf, die sich wie ein enger, von sehr hohen Bäumen beschatteter Kanal fortzieht. Nach sehr beschwerlichem Marsche und ganz durchnäßt, weil wir so oft über den Bach gegangen waren, langten wir am Fuße der Höhlen des Cuchivano an, aus denen man vor einigen Jahren die Flammen hatte brechen sehen. 1560 m hoch steigt senkrecht eine Felswand auf. In einem Landstrich, wo der üppige Pflanzenwuchs überall den Boden und das Gestein bedeckt, kommt es selten vor, daß ein großer Berg in senkrechtem Durchschnitte seine Schichten zeigt. Mitten in diesem Durchschnitte, leider dem Menschen unzugänglich, liegen die Spalten, die zu zwei Höhlen führen. Sie sollen von denselben Nachtvögeln bewohnt sein, die wir bald in der Cueva del Guacharo bei Caripe werden kennen lernen.
Wir ruhten am Fuße der Höhlen aus. Hier sah man die Flammen hervorkommen, welche in den letzten Jahren häufiger geworden sind. Unsere Führer und der Pächter, ein verständiger, mit den Oertlichkeiten der Provinz wohlbekannter Mann, verhandelten nach der Weise der Kreolen über die Gefahr, der die Stadt Cumanacoa ausgesetzt wäre, wenn der Cuchivano ein thätiger Vulkan würde, se veniesse a reventar. Es schien ihnen unzweifelhaft, daß seit dem großen Erdbeben von Quito und Cumana im Jahre 1797 Neu-Andalusien vom unterirdischen Feuer immer mehr unterhöhlt werde. Sie brachten die Flammen zur Sprache, die man in Cumana hatte aus dem Boden schlagen sehen, und die Stöße, die man jetzt an Orten empfindet, wo man früher nichts von Erdbeben wußte. Sie erinnerten daran, daß man in Macarapan seit einigen Monaten öfters Schwefelgeruch spüre. Auf diese und ähnliche Erscheinungen, die uns damals in ihrem Munde auffielen, gründeten sie Prophezeiungen, die fast sämtlich in Erfüllung gegangen sind. Entsetzliche Zerstörungen haben im Jahre 1812 in Caracas stattgefunden, zum Beweis, welche gewaltige Unruhe im Nordosten von Terra Firma in der Natur herrscht.
Was ist wohl aber die Ursache der feurigen Erscheinungen, die man am Cuchivano beobachtet? Ich weiß wohl, daß man zuweilen die Luftsäule, die über der Mündung brennender Vulkane aufsteigt, in hellem Lichte glänzen sieht. Dieser Lichtschein, den man von brennendem Wasserstoffgas herleitet, wurde von Chillo aus auf dem Gipfel des Cotopaxi zu einer Zeit beobachtet, wo der Berg ziemlich ruhig schien. Ich weiß, daß die Alten erzählen, auf dem Mons Albanus bei Rom, dem heutigen Monte Cavo, sei zuweilen bei Nacht Feuer gesehen worden; aber der Mons Albanus ist ein erst in neuerer Zeit erloschener Vulkan, der noch zu Catos Zeit Rapilli auswarf, Albano monte biduum continenter lapidibus pluit. Livius XXV, 7. während der Cuchivano ein Kalkberg ist in einer Gegend, wo weit und breit keine Trappbildungen vorkommen. Kann man jene Flammen etwa daraus erklären, daß das Wasser, wenn es mit den Kiesen im Mergelschiefer in Berührung kommt, zersetzt wird? Ist das Feuer, das aus den Höhlen des Cuchivano kommt, brennendes Wasserstoffgas? Das Wasser, das durch den Kalkstein sickert und durch die Schwefelschichten zersetzt wird, und die Erdbeben von Cumana, die Lager gediegenen Schwefels bei Carupano und die schweflig sauren Dämpfe, die man zuweilen in den Savannen spürt: zwischen all dem ließe sich leicht ein Zusammenhang denken; es ist auch nicht zu bezweifeln, daß, wenn sich bei der starken Affinität zwischen dem Eisenoxyd und den Erden bei hoher Temperatur Wasser über Schwefelkiesen zersetzt, die Entbindung von Wasserstoffgas erfolgen kann, welche mehrere neuere Geologen eine so wichtige Rolle spielen lassen. Aber bei vulkanischen Ausbrüchen tritt weit konstanter schweflichte Säure auf als Wasserstoff, und der Geruch, den man zuweilen bei starken Erdstößen verspürt, ist vorzugsweise der Geruch von schweflichter Säure. Ueberblickt man die vulkanischen Erscheinungen und die Erdbeben im ganzen, bedenkt man, in welch ungeheuren Entfernungen sich die Stöße unter dem Meeresboden fortpflanzen, so läßt man bald Erklärungen fallen, die von unbedeutenden Schichten von Schwefelkies und bituminösem Mergel ausgehen. Nach meiner Ansicht können die Stöße, die man in der Provinz Cumana so häufig spürt, so wenig den zu Tag ausgehenden Gebirgsarten zugeschrieben werden, als die Stöße, welche die Apenninen erschüttern, Asphaltadern oder brennenden Erdölquellen. Alle diese Erscheinungen hängen von allgemeineren, fast hätte ich gesagt, tiefer liegenden Ursachen her, und der Herd der vulkanischen Wirkungen ist nicht in den sekundären Gebirgsbildungen, aus denen die äußere Erdrinde besteht, sondern in sehr bedeutender Tiefe unter der Oberfläche in den Urgebirgsarten zu suchen. Je weiter die Geologie fortschreitet, desto mehr sieht man ein, wie wenig man mit den Theorieen ausrichtet, die sich auf wenige, rein örtliche Beobachtungen gründen.
Nach Meridianhöhen des südlichen Fisches, die ich in der Nacht vom 7. September beobachtet, liegt Cumanacoa unter 10º 16' 11" der Breite; die Angabe der geschätztesten Karten ist also um ¼ Grad unrichtig. Die Neigung der Magnetnadel fand ich gleich 42,60º und die Intensität der magnetischen Kraft gleich 228 Schwingungen in zehn Zeitminuten; die Intensität war demnach um neun Schwingungen oder 1/25 geringer als in Ferrol.
Am 12. setzten wir unsere Reise nach dem Kloster Caripe, dem Hauptort der Chaymasmissionen, fort. Wir zogen der geraden Straße den Umweg über die Berge Cocollar und Turimiquiri vor, die nicht viel höher sind als der Jura. Der Weg läuft zuerst ostwärts 13,5 km über die Hochebene von Cumanacoa, den alten Seeboden, und biegt dann nach Süd ab. Wir kamen durch das kleine indianische Dorf Aricagua, das, von bewaldeten Hügeln umgeben, sehr freundlich daliegt. Von hier an ging es bergauf, und wir hatten über vier Stunden zu steigen. Dieses Stück des Weges ist sehr angreifend; man setzt 22mal über den Pututucuar, ein reißendes Bergwasser voll Kalksteinblöcken. Hat man auf der Cuesta del Cocollar 650 m Meereshöhe erreicht, so sieht man zu seiner Ueberraschung fast keine Wälder oder auch nur große Bäume mehr. Man geht über eine ungeheure, mit Gräsern bewachsene Hochebene. Nur Mimosen mit halbkugeliger Krone und 1 bis 1,3 m hohem Stamme unterbrechen die öde Einförmigkeit der Savannen. Ihre Aeste sind gegen den Boden geneigt oder breiten sich schirmartig aus. Ueberall, wo Abhänge oder halb mit Erde bedeckte Gesteinmassen sich zeigen, breitet die Clusia oder der Cupey mit den großen Nymphäenblüten sein herrliches Grün aus. Die Wurzeln dieses Baumes haben zuweilen 24 cm Durchmesser und gehen oft schon 5 m über dem Boden vom Stamme ab.
Nachdem wir noch lange bergan gestiegen waren, kamen wir auf einer kleinen Ebene zum Hato del Cocollar. Es ist dies ein Hof, der 793 m hoch ganz allein auf dem Plateau liegt. In dieser Einsamkeit blieben wir drei Tage, vortrefflich verpflegt von dem Eigentümer, Don Matthias Yturburi, ein geborener Biscayer. der vom Hafen von Cumana an unser Begleiter gewesen war. Wir fanden daselbst bei der reichen Weide Milch, vortreffliches Fleisch und vor allem ein herrliches Klima. Bei Tag stieg der hundertteilige Thermometer nicht über 22 oder 23º, kurz vor Sonnenuntergang fiel er auf 19, und bei Nacht zeigte er kaum 14º . Bei Nacht war es daher um 7º kühler als an der Küste, was, da die Hochebene des Cocollar nicht so hoch liegt als die Stadt Caracas, wiederum auf eine ausnehmend rasche Wärmeabnahme hinweist.
So weit das Auge reicht, sieht man auf dem hohen Punkte nichts als kahle Savannen; nur hin und wieder tauchen aus den Schluchten kleine Baumgruppen auf, und trotz der scheinbaren Einförmigkeit der Vegetation findet man ausnehmend viele sehr interessante Pflanzen. Wir führen hier nur an eine prachtvolle Lobelia mit purpurnen Blüten, die Brownea coccinea, die über 30 m hoch wird, und vor allen den Pejoa, der im Lande berühmt ist, weil seine Blätter, wenn man sie zwischen den Fingern zerreibt, einen köstlichen, aromatischen Geruch von sich geben. Was uns aber am meisten am einsamen Orte entzückte, das war die Schönheit und Stille der Nächte. Der Eigentümer des Hofes blieb mit uns wach. Er schien sich daran zu weiden, wie Europäer, die eben erst unter die Tropen gekommen, sich nicht genug wundern konnten über die frische Frühlingsluft, deren man nach Sonnenuntergang hier auf den Bergen genießt. In jenen fernen Ländern, wo der Mensch die Gaben der Natur noch voll zu schätzen weiß, preist der Grundeigentümer das Wasser seiner Quelle, den gesunden Wind, der um den Hügel weht, und daß es keine schädlichen Insekten gibt, wie wir in Europa uns der Vorzüge unseres Wohnhauses oder des malerischen Effektes unserer Pflanzungen rühmen.
Unser Wirt war mit einer Mannschaft, die an der Küste des Meerbusens von Paria Holzschläge für die spanische Marine einrichten sollte, in die Neue Welt gekommen. In den großen Mahagoni-, Cedrela- und Brasilholzwäldern, die um das Meer der Antillen her liegen, dachte man, die größten Stämme auszusuchen, sie im Groben so zuzuhauen, wie man sie zum Schiffsbau braucht, und sie jährlich auf die Werfte von Caraques bei Cadiz zu schicken. Aber weiße, nicht akklimatisierte Männer mußten der anstrengenden Arbeit, der Sonnenglut und der ungesunden Luft der Wälder erliegen. Dieselben Lüfte, welche mit den Wohlgerüchen der Blüten, Blätter und Hölzer geschwängert sind, führen auch den Keim der Auflösung in die Organe. Bösartige Fieber rafften mit den Zimmerleuten der königlichen Marine die Aufseher der neuen Anstalt weg und die Bucht, der die ersten Spanier wegen des trübseligen, wilden Aussehens der Küste den Namen » Golfo triste« gegeben, wurde das Grab der europäischen Seeleute. Unser Wirt hatte das seltene Glück, diesen Gefahren zu entgehen; nachdem er den größten Teil der Seinigen hatte hinsterben sehen, zog er weit weg von der Küste auf die Berge des Cocollar. Ohne Nachbarschaft, im ungestörten Besitze eines Savannenstriches von 22 km, genießt er hier der Unabhängigkeit, wie die Vereinzelung sie gewährt, und der Heiterkeit des Gemüts, wie sie schlichten Menschen eigen ist, die in reiner, stärkender Luft leben.
Nichts ist dem Eindruck majestätischer Ruhe zu vergleichen, den der Anblick des gestirnten Himmels an diesem einsamen Ort in einem hinterläßt. Blickten wir bei Einbruch der Nacht hinaus über die Prärieen, die bis zum Horizont fortstreichen, über die grün bewachsene, sanft gewellte Hochebene, so war es uns, gerade wie in den Steppen am Orinoko, als sähen wir weit weg das gestirnte Himmelsgewölbe auf dem Ozean ruhen. Der Baum, unter dem wir saßen, die leuchtenden Insekten, die in der Luft tanzten, die glänzenden Sternbilder im Süden, alles mahnte uns daran, wie weit wir von der Heimaterde waren. Und wenn nun, inmitten dieser fremdartigen Natur, aus einer Schlucht herauf das Schellengeläute einer Kuh oder das Brüllen des Stieres zu unseren Ohren drang, dann sprang mit einmal der Gedanke an die Heimat in uns auf. Es war, als hörten wir aus weiter, weiter Ferne Stimmen, die über das Weltmeer herüberriefen und uns mit Zauberkraft aus einer Hemisphäre in die andere versetzten. So wunderbar beweglich ist die Einbildungskraft des Menschen, die ewige Quelle seiner Freuden und seiner Schmerzen.
In der Morgenkühle machten wir uns auf, den Turimiquiri zu besteigen. So heißt der Gipfel des Cocollar, der mit dem Brigantin nur einen Gebirgsstock bildet, welcher bei den Eingeborenen früher Sierra de los Tageres hieß. Man macht einen Teil des Weges auf Pferden, die frei in den Savannen laufen, zum Teil aber an den Sattel gewöhnt sind. So plump ihr Aussehen ist, klettern sie doch ganz flink den schlüpfrigsten Rasen hinauf. Wir machten zuerst bei einer Quelle Halt, die nicht aus dem Kalkstein, sondern noch aus einer Schichte quarzigen Sandsteines kommt. Ihre Temperatur war 21º, also um 1,5º geringer als die der Quelle von Quetepe; der Höhenunterschied beträgt aber auch gegen 428 m. Ueberall, wo der Sandstein zu Tage kommt, ist der Boden eben und bildet gleichsam kleine Plateaus, die wie Stufen übereinander liegen. Bis zu 1365 m und sogar darüber ist der Berg, wie alle in der Nachbarschaft, nur mit Gräsern bewachsen. In Cumana schreibt man den Umstand, daß keine Bäume mehr vorkommen, der großen Hitze zu; vergegenwärtigt man sich aber die Verteilung der Gewächse in den Kordilleren der heißen Zone, so sieht man, daß die Berggipfel in Neu-Andalusien lange nicht zu der oberen Baumgrenze hinaufreichen, die in dieser Breite mindestens 3120 m hoch liegt. Ja, der kurze Rasen zeigt sich auf dem Cocollar stellenweise sogar schon bei 680 m über dem Meer, und man kann auf demselben bis zu 1950 m Höhe gehen; weiter hinauf, über diesem mit Gräsern bedeckten Gürtel, befindet sich auf dem Menschen fast unzugänglichen Gipfeln ein Wäldchen von Cedrela, Javillo Hura crepitans, aus der Familie der Euphorbien. Dieser Baum wird ungeheuer dick; im Thal von Curiepe zwischen Kap Codera und Caracas maß Bonpland Kufen aus Javilloholz, die 5 m lang und 2,5 m breit waren. Diese Kufen aus einem Stück dienen zur Aufbewahrung des Guarapo oder Zuckerrohrsaftes und der Melasse. Die Samen des Javillo sind ein starkes Gift, und die Milch, die aus dem Blütenstengel quillt, wenn man ihn abbricht, hat uns oft Augenschmerz verursacht, wenn zufällig auch nur ein ganz klein wenig davon zwischen die Augenlider kam. und Mahagonibäumen. Nach diesen lokalen Verhältnissen muß man annehmen, daß die Bergsavannen des Cocollar und Turimiquiri ihre Entstehung nur der verderblichen Sitte der Eingeborenen verdanken, die Wälder anzuzünden, die sie in Weideland verwandeln wollen. Jetzt, da Gräser und Alppflanzen seit dreihundert Jahren den Boden mit einem dicken Filz überzogen haben, können die Baumsamen sich nicht mehr im Boden befestigen und keimen, obgleich Wind und Vögel sie fortwährend von entlegenen Wäldern in die Savannen herübertragen.
Das Klima auf diesen Bergen ist so mild, daß beim Hofe auf dem Cocollar der Baumwollenbaum, der Kaffeebaum, sogar das Zuckerrohr gut fortkommen. Trotz aller Behauptungen der Einwohner an der Küste ist unter dem 10. Grad der Breite auf Bergen, die kaum höher sind als der Mont Dore und der Puy de Dome, niemals Reif gesehen worden. Die Weiden auf dem Turimiquiri nehmen an Güte ab, je höher sie liegen. Ueberall, wo zerstreute Felsmassen Schatten bieten, kommen Flechten und verschiedene europäische Moose vor. Melastoma xanthostachis und ein Strauch ( Palicourea rigida), dessen große, lederartige Blätter im Wind wie Pergament rauschen, wachsen hier und da in der Savanne. Aber die Hauptzierde des Rasens ist ein Liliengewächs mit goldgelber Blüte, die Marica martinicensis. Man findet sie in den Provinzen Cumana und Caracas meist erst in 780-970 m Höhe. Die Gebirgsarten des Turimiquiri sind ein Alpenkalk, ähnlich dem bei Cumanacoa, und ziemlich dünne Schichten Mergel und quarziger Sandstein. Im Kalkstein sind Klumpen von braunem Eisenoxyd und Spateisen eingesprengt. An mehreren Stellen habe ich ganz deutlich beobachtet, daß der Sandstein dem Kalk nicht nur aufgelagert ist, sondern daß beide nicht selten in Wechsellagerung vorkommen.
Man unterscheidet im Lande den abgerundeten Gipfel des Turimiquiri und die spitzen Piks oder Cucuruchos, die dicht bewaldet sind, und wo es viele Tiger gibt, auf die man wegen des großen und schönen Fells Jagd macht. Den runden begrasten Gipfel fanden wir 1378 m hoch. Von diesem Gipfel läuft nun nach West ein steiler Felskamm aus, der 1,8 km von jenem durch eine ungeheure Spalte unterbrochen ist, die gegen den Meerbusen von Cariaco hinunterläuft. An der Stelle, wo der Kamm hätte weiter laufen sollen, erheben sich zwei Bergspitzen aus Kalkstein, von denen die nördliche die höhere ist. Dies ist der eigentliche Cucurucho de Turimiquiri, der für höher gilt als der Brigantin, der den Schiffern, die der Küste von Cumana zusteuern, so wohl bekannt ist. Nach Höhenwinkeln und einer ziemlich kurzen Standlinie, die wir auf dem abgerundeten kahlen Gipfel zogen, maßen wir den Spitzberg oder Cucurucho und fanden ihn 680 m höher als unseren Standort, so daß seine absolute Höhe über 2047 m beträgt.
Man genießt auf dem Turimiquiri einer der weitesten und malerischsten Aussichten. Vom Gipfel bis hinunter zum Meer liegen Bergketten vor einem, die parallel von Ost nach West streichen und Längenthäler zwischen sich haben. Da in letztere eine Menge kleiner, von den Bergwassern ausgespülter Thäler unter rechtem Winkel münden, so stellen sich die Seitenketten als Reihen gleich vieler bald abgerundeter, bald kegelförmiger Höhen dar. Bis zum Imposible sind die Berghänge meist ziemlich sanft; weiterhin werden die Abfälle sehr steil und streichen hintereinander fort bis zum Ufer des Meerbusens von Cariaco. Die Umrisse dieser Gebirgsmassen erinnern an die Ketten des Jura, und die einzige Ebene, die sich darin findet, ist das Thal von Cumanacoa. Es ist, als sähe man in einen Trichter hinunter, auf dessen Boden unter zerstreuten Baumgruppen das indianische Dorf Aricagua erscheint. Gegen Nord hob sich eine schmale Landzunge, die Halbinsel Araya, braun vom Meere ab, das, von den ersten Sonnenstrahlen beleuchtet, ein glänzendes Licht zurückwarf. Jenseits der Halbinsel begrenzte den Horizont das Vorgebirge Macanao, dessen schwarzes Gestein gleich einem ungeheuren Bollwerk aus dem Wasser aufsteigt.
Der Hof auf dem Cocollar am Fuße des Turimiquiri liegt unter 10º 9' 32" der Breite. Die Inklination der Magnetnadel fand ich gleich 42º 10'. Die Nadel schwang 220mal in zehn Zeitminuten. Die im Kalk liegenden Brauneisensteinmassen mögen die Intensität der magnetischen Kraft um ein weniges steigern.
Am 14. September gingen wir vom Cocollar zur Mission San Antonio hinunter. Der Weg führt anfangs über Savannen, die mit großen Kalksteinblöcken übersät sind, und dann betritt man dichten Wald. Nachdem man zwei sehr steile Berggräte überstiegen, hat man ein schönes Thal vor sich, das, 22,5 km lang, fast durchaus von Ost nach West streicht. In diesem Thale liegen die Missionen San Antonio und Guanaguana. Erstere ist berühmt wegen einer kleinen Kirche aus Backsteinen, in erträglichem Stil, mit zwei Türmen und dorischen Säulen. Sie gilt in der Umgegend für ein Wunder. Der Guardian der Kapuziner wurde mit diesem Kirchenbau in nicht ganz zwei Sommern fertig, obgleich er nur Indianer aus seinem Dorfe dabei verwendet hatte. Die Säulenkapitäle, die Gesimse und ein mit Sonnen und Arabesken gezierter Fries wurden aus mit Ziegelmehl vermischtem Thon modelliert. Wundert man sich, an der Grenze Lapplands Kirchen im reinsten griechischen Stil In Skeleftar bei Torneo. S. Buch, Reise in Norwegen. anzutreffen, so überraschen einen dergleichen erste Kunstversuche noch mehr in einem Erdstrich, wo noch alles den Stempel menschlicher Urzustände trägt und von den Europäern erst seit etwa vierzig Jahren der Grund zukünftiger Kultur gelegt wurde. Der Statthalter der Provinz mißbilligte es, daß in Missionen mit solchem Luxus gebaut werde, und zum großen Leidwesen der Mönche wurde die Kirche nicht ausgebaut. Die Indianer von San Antonio sind weit entfernt, solches gleichfalls zu beklagen; sie sind insgeheim mit dem Spruche des Statthalters vollkommen einverstanden, weil er ihrer natürlichen Trägheit behagt. Sie machen sich ebensowenig aus architektonischen Ornamenten als einst die Eingeborenen in den Jesuitenmissionen in Paraguay.
Ich hielt mich in der Mission San Antonio nur auf, um auf den Barometer zu sehen und ein paar Sonnenhöhen zu nehmen. Der große Platz liegt 430 m über Cumana. Jenseits des Dorfes durchwateten wir die Flüsse Colorado und Guarapiche, die beide in den Bergen des Cocollar entspringen und weiter unten, ostwärts, sich vereinigen. Der Colorado hat eine sehr starke Strömung und wird bei seiner Mündung breiter als der Rhein; der Guarapiche ist, nachdem er den Rio Areo aufgenommen, über 90 m tief. An seinen Ufern wächst eine ausnehmend schöne Grasart, die ich zwei Jahre später, als ich den Magdalenenstrom hinauffuhr, gezeichnet habe. Der Halm mit zweizeiligen Blättern wird 5 bis 6,5 m hoch. Unsere Maultiere konnten sich durch den dicken Morast auf dem schmalen ebenen Weg kaum durcharbeiten. Es goß in Strömen vom Himmel; der ganze Wald erschien infolge des starken anhaltenden Regens wie ein Sumpf.
Gegen Abend langten wir in der Mission Guanaguana an, die so ziemlich in derselben Höhe liegt wie das Dorf San Antonio. Es that sehr not, daß wir uns trockneten. Der Missionär nahm uns sehr herzlich auf. Es war ein alter Mann, der, wie es schien, seine Indianer sehr verständig behandelte. Das Dorf steht erst seit dreißig Jahren am jetzigen Fleck, früher lag es weiter nach Süden und lehnte sich an einen Hügel. Man wundert sich, mit welcher Leichtigkeit man die Wohnsitze der Indianer verlegt. Es gibt in Südamerika Dörfer, die in weniger als einem halben Jahrhundert dreimal den Ort gewechselt haben. Den Eingeborenen knüpfen so schwache Bande an den Boden, auf dem er wohnt, daß er den Befehl, sein Haus abzureißen und es anderswo wieder aufzubauen, gleichmütig aufnimmt. Ein Dorf wechselt seinen Platz wie ein Lager. Wo es nur Thon, Rohr, Palmblätter und Helikonenblätter gibt, ist die Hütte in wenigen Tagen wieder fertig. Diesen gewaltsamen Aenderungen liegt oft nichts zu Grunde als die Laune eines frisch aus Spanien angekommenen Missionärs, der meint, die Mission sei dem Fieber ausgesetzt oder liege nicht luftig genug. Es ist vorgekommen, daß ganze Dörfer mehrere Stunden weit verlegt wurden, bloß weil der Mönch die Aussicht aus seinem Hause nicht schön oder weit genug fand.
Guanaguana hat noch keine Kirche. Der alte Geistliche, der schon seit dreißig Jahren in den Wäldern Amerikas lebte, äußerte gegen uns, die Gemeindegelder, d. h. der Ertrag der Arbeit der Indianer, müßten zuerst zum Bau des Missionshauses, dann zum Kirchenbau und endlich für die Kleidung der Indianer verwendet werden. Er versicherte in wichtigem Ton, von dieser Ordnung dürfe unter keinem Vorwand abgegangen werden. Nun, die Indianer, die lieber ganz nackt gehen als die leichtesten Kleider tragen, können gut warten, bis die Reihe an sie kommt. Die geräumige Wohnung des Padre war eben fertig geworden, und wir bemerkten zu unserer Ueberraschung, daß das Haus, das ein plattes Dach hatte, mit einer Menge Kaminen wie mit Türmchen geziert war. Sie sollten, belehrte uns unser Wirt, ihn an sein geliebtes Heimatland, und in der tropischen Hitze an die aragonesischen Winter erinnern. Die Indianer in Guanaguana bauen Baumwolle für sich, für die Kirche und für den Missionär. Der Ertrag gilt als Gemeindeeigentum, und mit den Gemeindegeldern werden die Bedürfnisse des Geistlichen und die Kosten des Gottesdienstes bestritten. Die Eingeborenen haben höchst einfache Vorrichtungen, um den Samen von der Baumwolle zu trennen. Es sind hölzerne Cylinder von sehr kleinem Durchmesser, zwischen denen die Baumwolle durchläuft, und die man wie Spinnräder mit dem Fuße umtreibt. Diese höchst mangelhaften Maschinen leisten indessen gute Dienste, und man fängt in den anderen Missionen an, sie nachzuahmen. Ich habe anderswo, in meinem Werke über Mexiko, auseinandergesetzt, wie sehr die Sitte, die Baumwolle mit dem Samen zu verkaufen, den Transport in den spanischen Kolonien erschwert, wo alle Waren auf Maultieren in die Seehäfen kommen. Der Boden ist in Guanaguana ebenso fruchtbar wie im benachbarten Dorfe Aricagua, das gleichfalls seinen indianischen Namen behalten hat. Eine Almuda (7030 qm) trägt in guten Jahren 25-30 Fanegas Mais, die Fanega zu 50 kg. Aber hier wie überall, wo der Segen der Natur die Entwickelung der Industrie hemmt, macht man nur ganz wenige Morgen Landes urbar, und kein Mensch denkt daran, mit dem Anbau der Nahrungspflanzen zu wechseln. Die Indianer in Guanaguana erzählten mir als etwas Ungewöhnliches, im verflossenen Jahre seien sie, ihre Weiber und Kinder drei Monate lang al monte gewesen, d. h. sie seien in den benachbarten Wäldern umhergezogen, um sich von saftigen Pflanzen, von Palmkohl, von Farnwurzeln und wilden Baumfrüchten zu nähren. Sie sprachen von diesem Nomadenleben keineswegs wie von einem Notstand. Nur der Missionär hatte dabei zu leiden gehabt, weil das Dorf ganz verlassen stand und die Gemeindegenossen, als sie aus den Wäldern wieder heimkamen, weniger lenksam waren als zuvor.
Das schöne Thal von Guanaguana läuft gegen Ost in die Ebenen von Punzere und Terecen aus. Gerne hätten wir diese Ebenen besucht, um die Quellen von Bergöl zwischen den Flüssen Guarapiche und Areo zu untersuchen; aber die Regenzeit war förmlich eingetreten, und wir hatten täglich vollauf zu thun, um die gesammelten Pflanzen zu trocknen und aufzubewahren. Der Weg von Guanaguana nach dem Dorfe Punzere führt entweder über San Felix, oder über Caycara und Guayuta, wo sich ein Hato (Hof für Viehzucht) der Missionäre befindet. An letzterem Orte findet man, nach dem Bericht der Indianer, große Schwefelmassen, nicht in Gips oder Kalkstein, sondern in geringer Tiefe unter der Fläche des Bodens in Thonschichten. Dieses auffallende Vorkommen scheint Amerika eigentümlich; wir werden demselben im Königreich Quito und in Neu-Granada wieder begegnen. Vor Punzere sieht man in den Savannen Säckchen von Seidengewebe an den niedrigsten Baumästen hängen. Es ist dies die seda silvestre oder einheimische wilde Seide, die einen schönen Glanz hat, aber sich sehr rauh anfühlt. Der Nachtschmetterling, der sie spinnt, kommt vielleicht mit denen in den Provinzen Guanaxuato und Antioquia überein, die gleichfalls wilde Seide liefern. Im schönen Walde von Punzere kommen zwei Bäume vor, die unter den Namen Curucay und Canela bekannt sind; ersterer liefert ein von den Piajes oder indianischen Zauberern sehr gesuchtes Harz, der zweite hat Blätter, die nach echtem Ceylonzimt riechen. Von Punzere läuft der Weg über Terecen und Neu-Palencia, das eine neue Niederlassung von Kanariern ist, nach dem Hafen San Juan, der am rechten Ufer des Rio Areo liegt, und man muß in einer Piroge über diesen Fluß setzen, wenn man zu den berühmten Bergölquellen von Buen Pastor gehen will. Man beschrieb sie uns als kleine Schachte oder Trichter, die sich von selbst im sumpfigen Boden gebildet haben. Diese Erscheinung erinnert an den Asphaltsee oder Chapapote auf der Insel Trinidad, der in gerader Linie von Buen Pastor nur 64 km entfernt ist.
Nachdem wir eine Weile mit dem Verlangen gekämpft, den Guarapiche hinunter in den Golfo triste zu fahren, wandten wir uns gerade den Bergen zu. Die Thäler von Guanaguana und Caripe sind durch eine Art Damm oder Grat aus Kalkstein, der unter dem Namen Cuchilla de Guanaguana weit und breit berühmt ist, voneinander getrennt. Im ganzen spanischen Amerika bedeutet cuchilla, Messerklinge, einen Bergkamm mit sehr steilen Abhängen. Wir fanden den Uebergang beschwerlich, weil wir damals noch nicht in den Kordilleren gereist waren, aber so gefährlich, als man ihn in Cumana schildert, ist er keineswegs. Allerdings ist der Weg an mehreren Stellen nur 38 oder 40 cm breit; der Bergsattel, über den er wegläuft, ist mit kurzem, sehr glattem Rasen bedeckt, die Abhänge zu beiden Seiten sind ziemlich jäh, und wenn der Reisende fiele, könnte er auf dem Grase 220 bis 260 m hinunterrollen. Indessen sind die Bergseiten vielmehr nur starke Böschungen als eigentliche Abgründe, und die Maultiere hierzulande haben einen so sicheren Gang, daß man sich ihnen ruhig anvertrauen kann. Ihr Benehmen ist ganz wie das der Saumtiere in der Schweiz und in den Pyrenäen. Je wilder ein Land ist, desto feinfühliger und schärfer witternd wird der Instinkt der Haustiere. Spüren die Maultiere eine Gefahr, so bleiben sie stehen und wenden den Kopf hin und her, bewegen die Ohren auf und ab; man sieht, sie überlegen, was zu thun sei. Sie kommen langsam zum Entschluß, aber derselbe fällt immer richtig aus, wenn er frei ist, das heißt, wenn ihn der Reisende nicht unvorsichtigerweise stört oder übereilt. Wenn man in den Anden sechs, sieben Monate auf entsetzlichen Wegen durch die von den Bergwassern zerrissenen Gebirge zieht, da entwickelt sich die Intelligenz der Reitpferde und Lasttiere auf wahrhaft erstaunliche Weise. Man kann auch die Gebirgsbewohner sagen hören: »Ich gebe Ihnen nicht das Maultier, das den bequemsten Schritt hat, sondern das vernünftigste, la mas rational.« Dieses Wort aus dem Munde des Volks, die Frucht langer Erfahrung, widerlegt das System, das in den Tieren nur belebte Maschinen sieht, wohl besser als alle Beweisführung der spekulativen Philosophie.
Auf dem höchsten Punkt des Kammes oder der Cuchilla von Guanaguana angelangt, hatten wir eine interessante Fernsicht. Wir übersahen mit einem Blick die weiten Prärieen oder Savannen von Maturin und am Rio Tigre, den Spitzberg Turimiquiri und zahllose parallel streichende Bergketten, die von weitem einer wogenden See gleichen. Gegen Nordost öffnet sich das Thal, in dem das Kloster Caripe liegt. Sein Anblick ist um so einladender, als es bewaldet ist und so von den kahlen, nur mit Gras bewachsenen Bergen umher freundlich absticht. Wir fanden die absolute Höhe der Cuchilla gleich 1068 m; sie liegt also 641 m über dem Missionshaus von Guanaguana.
Steigt man auf sehr krummem Pfade vom Bergkamme nieder, so betritt man bald ein ganz bewaldetes Land. Der Boden ist mit Moos und einer neuen Art Drosera bedeckt, die im Wuchs der Drosera unserer Alpen gleicht. Je näher man dem Kloster Caripe kommt, desto dichter wird der Wald, desto üppiger die Vegetation. Alles bekommt einen andern Charakter, sogar die Gebirgsart, in der wir von Punta Delgada an gewesen waren. Die Kalksteinschichten werden dünner; sie bilden Mauern, Gesimse und Türme wie in Peru, im Pappenheimschen und bei Oicow in Galizien. Es ist nicht mehr Alpenkalk, sondern eine Formation, welche jenem übergelagert ist, analog dem Jurakalk.
Der Weg von der Cuchilla herab ist bei weitem nicht so lang als der hinauf. Wir fanden, daß das Thal von Caripe 390 m höher liegt als das Thal von Guanaguana. Ein Bergzug von unbedeutender Breite trennt zwei Becken; das eine ist köstlich kühl, das andere als furchtbar heiß verrufen. Solchen Kontrasten begegnet man in Mexiko, in Neu-Granada und Peru häufig, aber im Nordosten von Südamerika sind sie selten. Unter allen hochgelegenen Thälern in Neu-Andalusien ist auch nur das von Caripe Absolute Höhe des Klosters 803 m. sehr stark bewohnt. In einer Provinz mit schwacher Bevölkerung, wo die Gebirge weder eine sehr bedeutende Masse, noch ausgedehnte Hochebenen haben, findet der Mensch wenig Anlaß, aus den Ebenen wegzuziehen und sich in gemäßigteren Gebirgsstrichen niederzulassen.