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Fünftes Kapitel.

Die Halbinsel Araya. – Salzsümpfe. – Die Trümmer des Schlosses Santiago.


Die ersten Wochen unseres Aufenthaltes in Cumana verwendeten wir dazu, unsere Instrumente zu berichtigen, in der Umgegend zu botanisieren und die Spuren des Erdbebens vom 14. Dezember 1797 zu beobachten. Die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die uns zumal in Anspruch nahmen, ließ uns nur schwer den Weg zu geordneten Studien und Beobachtungen finden. Wenn unsere ganze Umgebung den lebhaftesten Reiz für uns hatte, so machten dagegen unsere Instrumente die Neugier der Einwohnerschaft rege. Wir wurden sehr oft durch Besuche von der Arbeit abgezogen, und wollte man nicht Leute vor den Kopf stoßen, die so seelenvergnügt durch einen Dollond die Sonnenflecken betrachteten, oder zwei Gase in der Röhre des Eudiometers sich verzehren, oder auf galvanische Berührung einen Frosch sich bewegen sahen, so mußte man sich wohl herbeilassen, auf oft verworrene Fragen Auskunft zu geben und stundenlang dieselben Versuche zu wiederholen.

So ging es uns fünf ganze Jahre, so oft wir uns an einem Orte aufhielten, wo man in Erfahrung gebracht hatte, daß wir Mikroskope, Fernröhren oder elektromotorische Apparate besitzen. Dergleichen Auftritte wurden meist desto angreifender, je verworrener die Begriffe waren, welche die Besucher von Astronomie und Physik hatten, welche Wissenschaften in den spanischen Kolonieen den sonderbaren Titel: »neue Philosophie«, nueva filosofia, führen. Die Halbgelehrten sahen mit einer gewissen Geringschätzung auf uns herab, wenn sie hörten, daß sich unter unseren Büchern weder das Spectacle de la nature vom Abbê Pluche, noch der Cours de physique von Sigaud la Fond, noch das Wörterbuch von Valmont de Bomare befanden. Diese drei Werke und der Tratté d'économie politique von Baron Bielfeld sind die bekanntesten und geachtetsten fremden Bücher im spanischen Amerika von Caracas und Chile bis Guatemala und Nordmexiko. Man gilt nur dann für gelehrt, wenn man die Uebersetzungen derselben recht oft citieren kann, und nur in den großen Hauptstädten, in Lima, Santa Fe de Bogota und Mexiko, fangen die Namen Haller, Cavendish und Lavoisier an jene zu verdrängen, deren Ruf seit einem halben Jahrhundert populär geworden ist.

Die Neugierde, mit der die Menschen sich mit den Himmelserscheinungen und verschiedenen naturwissenschaftlichen Gegenständen abgeben, äußert sich ganz anders bei altcivilisierten Völkern als da, wo die Geistesentwickelung noch geringe Fortschritte gemacht hat. In beiden Fällen finden sich in den höchsten Ständen viele Personen, die den Wissenschaften ferne stehen; aber in den Kolonieen und bei jungen Völkern ist die Wißbegier keineswegs müßig und vorübergehend, sondern entspringt aus dem lebendigen Triebe, sich zu belehren; sie äußert sich so arglos und naiv, wie sie in Europa nur in früher Jugend auftritt.

Erst am 28. Juli konnte ich eine ordentliche Reihe astronomischer Beobachtungen beginnen, obgleich mir viel daran lag, die Länge, wie sie Louis Berthouds Chronometer angab, kennen zu lernen. Der Zufall wollte, daß in einem Lande, wo der Himmel beständig rein und klar ist, mehrere Nächte sternlos waren. Zwei Stunden nach dem Durchgang der Sonne durch den Meridian zog jeden Tag ein Gewitter auf und es wurde mir schwer, korrespondierende Sonnenhöhen zu erhalten, obgleich ich in verschiedenen Intervallen drei, vier Gruppen aufnahm. Die vom Chronometer angegebene Länge von Cumana differierte nur um 4 Sekunden Zeit von der, welche ich durch Himmelsbeobachtungen gefunden, und doch hatte unsere Ueberfahrt 41 Tage gewährt und bei der Besteigung des Piks von Tenerifa war der Chronometer starken Temperaturwechseln ausgesetzt gewesen.

Aus meinen Beobachtungen in den Jahren 1799 und 1800 ergibt sich als Gesamtresultat, daß der große Platz von Cumana unter 10º 27' 52" der Breite und 66º 30' 2" der Länge liegt. Die Bestimmung der Länge gründet sich auf den Uebertrag der Zeit, auf Monddistanzen, auf die Sonnenfinsternis vom 28. Oktober 1799 und auf zehn Immersionen der Jupitertrabanten, verglichen mit in Europa angestellten Beobachtungen. Sie weicht nur um sehr weniges von der ab, die Fidalgo vor mir, aber durch rein chronometrische Mittel gefunden. Unsere älteste Karte des neuen Kontinentes, die von Diego Ribeiro, Geographen Kaiser Karls des Fünften, setzt Cumana unter 9º 30' Breite, was um 58 Minuten von der wahren Breite abweicht und einen halben Grad von der, die Jefferys in seinem im Jahre 1794 herausgegebenen »Amerikanischen Steuermann« angibt. Dreihundert Jahre lang zeichnete man die ganze Küste von Paria zu weit südlich, weil in der Nähe der Insel Trinidad die Strömungen nach Norden gegen und die Schiffer nach der Angabe des Logs weiter gegen Süd zu sein glauben, als sie wirklich sind.

Am 17. August machte ein Hof oder eine Lichtkrone um den Mond den Einwohnern viel zu schaffen. Man betrachtete es als Vorboten eines starken Erdstoßes, denn nach der Volksphysik stehen alle ungewöhnlichen Erscheinungen in unmittelbarem Zusammenhang. Die farbigen Kreise um den Mond sind in den nördlichen Ländern weit seltener als in der Provence, in Italien und Spanien. Sie zeigen sich, und dies ist auffallend, besonders bei reinem Himmel, wenn das gute Wetter sehr beständig scheint. In der heißen Zone sieht man fast jede Nacht schöne prismatische Farben, selbst bei der größten Trockenheit; oft verschwinden sie in wenigen Minuten mehreremal, ohne Zweifel, weil obere Luftströmungen den Zustand der feinen Dünste, in denen das Licht sich bricht, verändern. Zuweilen habe ich zwischen dem 15. Grad der Breite und dem Aequator sogar um die Venus kleine Höfe gesehen; man konnte Purpur, Orange, und Violett unterscheiden; aber um Sirius, Canopus und Achernar habe ich niemals Farben gesehen.

Während der Mondhof in Cumana zu sehen war, zeigte der Hygrometer große Feuchtigkeit an; die Wasserdünste schienen aber so vollkommen aufgelöst, oder vielmehr so elastisch und gleichförmig verbreitet, daß sie der Durchsichtigkeit der Luft keinen Eintrag thaten. Der Mond ging nach einem Gewitterregen hinter dem Schlosse San Antonio auf. Wie er am Horizont erschien, sah man zwei Kreise, einen großen, weißlichen von 44º Durchmesser und einen kleinen, der in allen Farben des Regenbogens glänzte und 1º 43' breit war. Der Himmelsraum zwischen beiden Kronen war dunkelblau. Bei 40º Höhe verschwanden sie, ohne daß die meteorologischen Instrumente die geringste Veränderung in den niederen Luftregionen anzeigten. Die Erscheinung hatte nichts Auffallendes außer der großen Lebhaftigkeit der Farben, neben dem Umstand, daß nach Messungen mit einem Ramsdenschen Sextanten die Mondscheibe nicht ganz in der Mitte der Höfe stand. Ohne die Messung hätte man glauben können, diese Exzentrizität rühre von der Projektion der Kreise auf die scheinbare Konkavität des Himmels her. Die Form der Höfe und die Farben, welche in der Luft unter den Tropen beim Mondlicht zu Tage kommen, verdienen es, von den Physikern von neuem in den Kreis der Beobachtungen gezogen zu werden. In Mexiko habe ich bei vollkommen klarem Himmel breite Streifen in den Farben des Regenbogens über das Himmelsgewölbe und gegen die Mondscheibe hin zusammenlaufen sehen; dieses merkwürdige Meteor erinnert an das von Cotes im Jahre 1716 beschriebene.

Wenn unser Haus in Cumana für die Beobachtung des Himmels und der meteorologischen Vorgänge sehr günstig gelegen war, so mußten wir dagegen zuweilen bei Tage etwas ansehen, was uns empörte. Der große Platz ist zum Teil mit Bogengängen umgeben, über denen eine lange hölzerne Galerie hinläuft, wie man sie in allen heißen Ländern sieht. Hier wurden die Schwarzen verkauft, die von der afrikanischen Küste herüberkommen. Unter allen europäischen Regierungen war die von Dänemark die erste und lange die einzige, die den Sklavenhandel abgeschafft hat, und dennoch waren die ersten Sklaven, die wir aufgestellt sahen, auf einem dänischen Sklavenschiff gekommen. Der gemeine Eigennutz, der mit Menschenpflicht, Nationalehre und den Gesetzen des Vaterlandes im Streite liegt, läßt sich durch nichts in seinen Spekulationen stören.

Die zum Verkauf ausgesetzten Sklaven waren junge Leute von fünfzehn bis zwanzig Jahren. Man lieferte ihnen jeden Morgen Kokosöl, um sich den Körper damit einzureiben und die Haut glänzend schwarz zu machen. Jeden Augenblick erschienen Käufer und schätzten nach der Beschaffenheit der Zähne Alter und Gesundheitszustand der Sklaven; sie rissen ihnen den Mund auf, ganz wie es auf dem Pferdemarkt geschieht. Dieser entwürdigende Brauch schreibt sich aus Afrika her, wie die getreue Schilderung zeigt, die Cervantes nach langer Gefangenschaft bei den Mauren in einem seiner Theaterstücke El trado de Argel. vom Verkauf der Christensklaven in Algier entwirft. Es ist ein empörender Gedanke, daß es noch heutigestags auf den Antillen spanische Ansiedler gibt, die ihre Sklaven mit dem Glüheisen zeichnen, um sie wieder zu erkennen, wenn sie entlaufen. So behandelt man Menschen, die anderen Menschen die Mühe des Säens, Ackerns und Erntens ersparen. La Bruyère, Charactères cap. XI.

Je tieferen Eindruck der erste Verkauf von Negern in Cumana auf uns gemacht hatte, desto mehr wünschten wir uns Glück, daß wir uns bei einem Volke und auf einem Kontinent befanden, wo ein solches Schauspiel sehr selten vorkommt und die Zahl der Sklaven im allgemeinen höchst unbedeutend ist. Dieselbe betrug im Jahre 1800 in den Provinzen Cumana und Barcelona nicht über 6000, während man zur selben Zeit die Gesamtbevölkerung auf 110 000 schätzte. Der Handel mit afrikanischen Sklaven, den die spanischen Gesetze niemals begünstigt haben, ist jetzt völlig bedeutungslos auf Küsten, wo im 16. Jahrhundert der Handel mit amerikanischen Sklaven schauerlich lebhaft war. Macarapan, früher Amaracapana genannt, Cumana, Araya und besonders Neucadiz, das auf dem Eiland Cubagua angelegt worden war, konnten damals für Kontore gelten, die zur Betreibung des Sklavenhandels errichtet waren. Girolamo Benzoni aus Mailand, der irrt Alter von 22 Jahren nach Terra Firma gekommen war, machte im Jahre 1542 an den Küsten von Bordones, Cariaco und Paria Raubzüge mit, bei denen unglückliche Eingeborene weggeschleppt wurden. Er erzählt sehr naiv und oft mit einem Gefühlsausdruck, wie er bei den Geschichtschreibern jener Zeit selten vorkommt, von den Grausamkeiten, die er mit angesehen. Er sah die Sklaven nach Neucadiz bringen, wo sie mit dem Glüheisen auf Stirne und Armen gezeichnet und den Beamten der Krone der Quint entrichtet wurde. Aus diesem Hafen wurden sie nach Hayti oder San Domingo geschickt, nachdem sie mehrmals die Herren gewechselt, nicht weil sie verkauft wurden, sondern weil die Soldaten mit Würfeln um sie spielten.

Unser erster Ausflug galt der Halbinsel Araya und jenen ehemals durch den Sklavenhandel und die Perlenfischerei vielberufenen Landstrichen. Am 19. August gegen 2 Uhr nach Mitternacht schifften wir uns bei der indischen Vorstadt auf dem Manzanares ein. Unser Hauptzweck bei dieser kleinen Reise war, die Trümmer des alten Schlosses von Araya zu besehen, die Salzwerke zu besuchen und auf den Bergen, welche die schmale Halbinsel Maniquarez bilden, einige geologische Untersuchungen anzustellen. Die Nacht war köstlich kühl, Schwärme leuchtender Insekten Elater noctilucus. glänzten in der Luft, auf dem mit Sesuvium bedeckten Boden und in den Mimosenbüschen am Fluß. Es ist bekannt, wie häufig die Leuchtwürmer in Italien und im ganzen mittäglichen Europa sind; aber ihr malerischer Eindruck ist gar nicht zu vergleichen mit den zahllosen zerstreuten, sich hin und her bewegenden Lichtpunkten, welche im heißen Erdstrich der Schmuck der Nächte sind, wo einem ist, als ob das Schauspiel, welches das Himmelsgewölbe bietet, sich auf der Erde, auf der ungeheuren Ebene der Grasfluren wiederholte.

Als wir flußabwärts an die Pflanzungen oder Charas kamen, sahen wir Freudenfeuer, die Neger angezündet hatten. Leichter, gekräuselter Rauch stieg zu den Gipfeln der Palmen auf und gab der Mondscheibe einen rötlichen Schein. Es war Sonntagnacht und die Sklaven tanzten zur rauschenden, eintönigen Musik einer Guitarre. Der Grundzug im Charakter der afrikanischen Völker von schwarzer Rasse ist ein unerschöpfliches Maß von Beweglichkeit und Frohsinn. Nachdem er die Woche über hart gearbeitet, tanzt und musiziert der Sklave am Feiertage dennoch lieber, als daß er ausschläft. Hüten wir uns, über diese Sorglosigkeit, diesen Leichtsinn hart zu urteilen; wird ja doch dadurch ein Leben voll Entbehrung und Schmerz versüßt.

Die Barke, in der wir über den Meerbusen von Cariaco fuhren, war sehr geräumig. Man hatte große Jaguarfelle ausgebreitet, damit wir bei Nacht ruhen könnten. Noch waren wir nicht zwei Monate in der heißen Zone, und bereits waren unsere Organe so empfindlich für den kleinsten Temperaturwechsel, daß wir vor Frost nicht schlafen konnten. Zu unserer Verwunderung sahen wir, daß der hundertteilige Thermometer auf 21,8º stand. Dieser Umstand, der allen, die lange in beiden Indien gelebt haben, wohl bekannt ist, verdient von den Physiologen beachtet zu werden. Boucher erzählt, auf dem Gipfel der Montagne Pelée auf Martinique Der Berg ist nach verschiedenen Angaben zwischen 1300 und 1435 m hoch. haben er und seine Begleiter vor Frost gebebt, obgleich die Wärme noch 21½º betrug. In der anziehenden Reisebeschreibung des Kapitän Bligh, der infolge einer Meuterei an Bord des Schiffes Bounty 5400 km in einer offenen Schaluppe zurücklegen mußte, liest man, daß er zwischen dem 10. und 12. Grad südlicher Breite weit mehr vom Frost als vom Hunger gelitten. Die Mannschaft der Schaluppe wurde häufig von den Wellen durchnäßt; wir wissen aber, daß unter dieser Breite die Temperatur des Meerwassers nicht unter 23º sein kann, und daß die durch Verdunstung entstehende Abkühlung in Nächten, wo die Lufttemperatur selten über 25º steigt, nur unbeträchtlich ist. Im Januar 1803, bei unserem Aufenthalt in Guayaquil, sahen wir die Eingeborenen sich über Kälte beklagen und sich zudecken, wenn der Thermometer auf 23,8º fiel, während sie bei 30,5º die Hitze erstickend fanden. Es brauchte nicht mehr als 7 bis 8 Grad, um die entgegengesetzten Empfindungen von Frost und Hitze zu erzeugen, weil an diesen Küsten der Südsee die gewöhnliche Lufttemperatur 28º beträgt. Die Feuchtigkeit, mit der sich die Leitungsfähigkeit der Luft für den Wärmestoff ändert, spielt bei diesen Empfindungen eine große Rolle. Im Hafen von Guayaquil, wie überall in der heißen Zone auf tief gelegenem Boden, kühlt sich die Luft nur durch Gewitterregen ab, und ich habe beobachtet, daß, während der Thermometer auf 23,8º fällt, der Delucsche Hygrometer auf 50 bis 52º stehen bleibt; dagegen steht er aus 37 bei einer Temperatur von 30,5º. In Cumana hört man bei starken Regengüssen in den Straßen schreien: » Que hielo! estoy emparamado!« »Welche Eiskälte! Ich friere, als wäre ich auf dem Rücken der Berge!« Das provinzielle Wort emparamarse läßt sich nur durch lange Umschreibung wiedergeben. Paramo, peruanisch Puna, ist ein Name, den man auf allen Karten des spanischen Amerikas findet. Er bedeutet in den Kolonieen weder eine Wüste noch eine » lande«, sondern einen gebirgigen, mit verkrüppelten Bäumen bewachsenen, den Winden ausgesetzten Landstrich, wo es beständig naßkalt ist. In der heißen Zone liegen die Paramos gewöhnlich 3120 bis 3900 m hoch. Es fällt häufig Schnee, der nur ein paar Stunden liegen bleibt; denn man darf die Worte Paramo und Puna nicht, wie es den Geographen häufig begegnet, mit dem Worte Nevado, peruanisch Ritticapa, verwechseln, was einen zur Linie des ewigen Schnees emporragenden Berg bedeutet. Diese Begriffe sind für die Geologie und die Pflanzengeographie sehr wichtig, weil man in Ländern, wo noch kein Berggipfel gemessen ist, eine richtige Vorstellung von der geringsten Höhe erhält, zu der sich die Kordilleren erheben, wenn man die Worte Paramo und Nevado aufsucht. Da die Paramos fast beständig in kalten, dichten Nebel gehüllt sind, so sagt das Volk in Santa Fé und Mexiko: cae un paramito, wenn ein feiner Regen fällt und die Lufttemperatur bedeutend abnimmt. Aus Paramo hat man emparamarse gemacht, d. h. frieren, als wäre man auf dem Rücken der Anden. und doch fällt der dem Regen ausgesetzte Thermometer nur auf 21,5º. Aus allen diesen Beobachtungen geht hervor, daß man zwischen den Wendekreisen auf Ebenen, wo die Lufttemperatur bei Tage fast beständig über 27º ist, bei Nacht das Bedürfnis fühlt, sich zuzudecken, so oft bei feuchter Luft der Thermometer um 4 bis 5½º fällt.

Gegen 8 Uhr morgens stiegen wir an der Landspitze von Araya bei der »Neuen Saline« ans Land. Ein einzelnes Haus steht auf einer kahlen Ebene, neben einer Batterie von drei Kanonen, auf die sich seit der Zerstörung des Forts St. Jakob die Verteidigung dieser Küste beschränkt. Der Salineninspektor bringt sein Leben in einer Hängematte zu, in der er den Arbeitern seine Befehle erteilt, und eine Lancha del rey (königliche Barke) führt ihm jede Woche von Cumana seine Lebensmittel zu. Man wundert sich, daß bei einem Salzwerk, das früher bei den Engländern, Holländern und anderen Seemächten Eifersucht erregte, kein Dorf oder auch nur ein Hof liegt. Kaum findet man am Ende der Landspitze von Araya ein paar armselige indianische Fischerhütten.

Man übersieht von hier aus zugleich das Eiland Cubagua, die hohen Berggipfel von Margarita, die Trümmer des Schlosses St. Jakob, den Cerro de la Vela und das Kalkgebirge des Brigantin, das gegen Süden den Horizont begrenzt. Wie reich die Halbinsel Araya an Kochsalz ist, wurde schon Alonso Niño bekannt, als er im Jahre 1499 in Kolumbus', Ojedas, und Amerigo Vespuccis Fußstapfen diese Länder besuchte. Obgleich die Eingeborenen Amerikas unter allen Völkern des Erdballes am wenigsten Salz verbrauchen, weil sie fast allein von Pflanzenkost leben, scheinen doch bereits die Guaykari im Thon- und Salzboden der Punta Arenas gegraben zu haben. Selbst die jetzt die neuen genannten Salzwerke, am Ende des Vorgebirges Araya, waren schon in der frühesten Zeit im Gange. Die Spanier, die sich zuerst auf Cubagua und bald nachher auf der Küste von Cumana niedergelassen hatten, beuteten schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts die Salzsümpfe aus, die sich als Lagunen nordwestlich vom Cerro de la Vela hinziehen. Da das Vorgebirge Araya damals keine ständige Bevölkerung hatte, machten sich die Holländer den natürlichen Reichtum des Bodens zu nutze, den sie für ein Gemeingut aller Nationen ansahen. Heutzutage hat jede Kolonie ihre eigenen Salzwerke, und die Schiffahrtskunst ist so weit fortgeschritten, daß die Cadizer Handelsleute mit geringen Kosten spanisches und portugiesisches Salz 8500 km weit in die östliche Halbkugel senden können, um Montevideo und Buenos Ayres mit ihrem Bedarf für das Einsalzen zu versorgen. Solche Vorteile waren zur Zeit der Eroberung unbekannt; die Industrie in den Kolonieen war damals noch so weit zurück, daß das Salz von Araya mit großen Kosten nach den Antillen, nach Cartagena und Portobelo verschifft wurde. Im Jahre 1605 schickte der Madrider Hof bewaffnete Fahrzeuge nach Punta Araya, mit dem Befehl, daselbst auf Station zu liegen und die Holländer mit Gewalt zu vertreiben. Diese fuhren nichtsdestoweniger fort, heimlich Salz zu holen, bis man im Jahre 1622 bei den Salzwerken ein Fort errichtete, das unter dem Namen Castillo de Santiago oder Real Fuerza de Araya berühmt geworden ist.

Diese großen Salzsümpfe sind auf den ältesten spanischen Karten bald als Bucht, bald als Lagune angegeben. Laet, der seinen Orbis novus im Jahre 1633 schrieb und sehr gute Nachrichten von diesen Küsten hatte, sagt sogar ausdrücklich, die Lagune sei von der See durch eine über der Fluthöhe gelegene Landenge getrennt gewesen. Im Jahre 1726 zerstörte ein außerordentliches Ereignis die Saline von Araya und machte das Fort, das über eine Million harter Piaster gekostet hatte, unnütz. Man spürte einen heftigen Windstoß, eine große Seltenheit in diesen Strichen, wo die See meist nicht unruhiger ist als das Wasser unserer Flüsse; die Flut drang weit ins Land hinein und durch den Einbruch des Meeres wurde der Salzsee in einen mehrere Meilen langen Meerbusen verwandelt. Seitdem hat man nördlich von der Hügelkette, welche das Schloß von der Nordküste der Halbinsel trennt, künstliche Behälter oder Kasten angelegt.

Der Salzverbrauch war in den Jahren 1799 und 1800 in den beiden Provinzen Cumana und Barcelona zwischen 9000 und 10 000 Fanegas, jede zu 16 Arrobas oder 4 Zentnern. Dieser Verbrauch ist sehr beträchtlich, und es ergeben sich dabei, wenn man 50 000 Indianer abrechnet, die nur sehr wenig Salz verzehren, 30 kg auf den Kopf. In Frankreich rechnet man, nach Necker, nur 6 bis 7 kg, und der Unterschied rührt daher, daß man so viel Salz zum Einsalzen braucht. Das gesalzene Ochsenfleisch, Tasajo genannt, ist im Handel von Barcelona der vornehmste Ausfuhrartikel. Von 9000 bis 10 000 Fanegas Salz, welche die beiden Provinzen zusammen liefern, kommen nur 3000 vom Salzwerk von Araya; das übrige wird bei Morro de Barcelona, Pozuelos, Piritu und im Golfo triste aus Meerwasser gewonnen. In Mexiko liefert der einzige Salzsee Peñon Blanco jährlich über 250 000 Fanegas unreines Salz.

Die Provinz Caracas hat schöne Salzwerke bei den Klippen los Roques; das früher auf der kleinen Insel Tortuga gelegene ist auf Befehl der spanischen Regierung zerstört worden. Man grub einen Kanal, durch den das Meer zu den Salzsümpfen dringen konnte. Andere Nationen, die auf den Kleinen Antillen Kolonieen haben, besuchen diese unbewohnte Insel, und der Madrider Hof fürchtete in seiner argwöhnischen Politik, das Salzwerk von Tortuga möchte Veranlassung zu einer festen Niederlassung werden, wodurch dem Schleichhandel mit Terra Firma Vorschub geleistet würde.

Die Salzwerke von Araya werden erst seit dem Jahre 1792 von der Regierung selbst betrieben. Bis dahin waren sie in den Händen indianischer Fischer, die nach Belieben Salz bereiteten und verkauften, wofür sie der Regierung nur die mäßige Summe von 300 Piastern bezahlten. Der Preis der Fanega war damals 4 Realen; In dieser Reisebeschreibung sind alle Preise in harten Piastern und Silberrealen, reales de plata, ausgedrückt. Acht Realen gehen auf einen harten Piaster oder 105 Sous französischen Geldes. aber das Salz war sehr unrein, grau, und enthielt sehr viel salzsaure und schwefelsaure Bittererde. Da zudem die Ausbeutung von seilen der Arbeiter äußerst unregelmäßig betrieben wurde, so fehlte es oft an Salz zum Einsalzen des Fleisches und der Fische, das in diesen Ländern für den Fortschritt des Gewerbfleißes von großem Belang ist, da das indianische niedere Volk und die Sklaven von Fischen und etwas Tasajo leben. Seit die Provinz Cumana unter der Intendanz von Caracas steht, besteht die Salzregie, und die Fanega, welche die Guaykari für einen halben Piaster verkauften, kostet anderthalb Piaster. Für diese Preiserhöhung leistet nur geringen Ersatz, daß das Salz reiner ist, und daß die Fischer und Kolonisten es das ganze Jahr im Ueberfluß beziehen können. Die Salinenverwaltung von Araya brachte im Jahre 1799 dem Schatze 8000 Piaster jährlich ein. Aus diesen statistischen Notizen geht hervor, daß die Salzbereitung in Araya, als Industriezweig betrachtet, von keinem großen Belang ist.

Der Thon, aus dem zu Araya das Salz gewonnen wird, kommt mit dem Salzthon überein, der in Berchtesgaden und in Südamerika in Zipaquira mit dem Steinsalz vorkommt. Das salzsaure Natron ist in diesem Thon nicht in sichtbaren Teilchen eingesprengt, aber sein Vorhandensein läßt sich leicht bemerklich machen. Wenn man die Masse mit Regenwasser netzt und der Sonne aussetzt, schießt das Salz in großen Kristallen an. Die Lagune westlich vom Schloß Santiago zeigt alle Erscheinungen, wie sie von Lepechin, Gmelin und Pallas in den sibirischen Salzseen beobachtet worden sind. Sie nimmt übrigens nur das Regenwasser auf, das durch die Thonschichten durchsickert und sich am tiefsten Punkte der Halbinsel sammelt. Solange die Lagune den Spaniern und Holländern als Salzwerk diente, stand sie mit der See in keiner Verbindung; neuerdings hat man nun diese Verbindung wieder aufgehoben, indem man an der Stelle, wo das Meer im Jahre 1726 eingebrochen war, einen Faschinendamm anlegte. Nach großer Trockenheit werden noch jetzt vom Boden der Lagune 3 bis 4 Kubikfuß große Klumpen kristallisierten, sehr reinen salzsauren Natrons heraufgefördert. Das der brennenden Sonne ausgesetzte Salzwasser des Sees verdunstet an der Oberfläche; in der gesättigten Lösung bilden sich Salzkrusten, sinken zu Boden, und da Kristalle von derselben Zusammensetzung und der gleichen Gestalt einander anziehen, so wachsen die kristallinischen Massen von Tag zu Tage an. Man beobachtet im allgemeinen, daß das Wasser überall, wo sich Lachen im Thonboden gebildet haben, salzhaltig ist. Im neuen Salzwerk bei den Batterien von Araya leitet man allerdings das Meerwasser in die Kasten, wie in den Salzsümpfen im mittäglichen Frankreich; aber auf der Insel Margarita bei Pampadar wird das Salz nur dadurch bereitet, daß man süßes Wasser den salzhaltigen Thon auslaugen läßt.

Das Salz, das in Thonbildungen enthalten ist, darf nicht verwechselt werden mit dem Salz, das im Sande am Meeresufer vorkommt und das an den Küsten der Normandie ausgebeutet wird. Diese beiden Erscheinungen haben, aus geologischem Gesichtspunkt betrachtet, so gut wie nichts miteinander gemein. Ich habe salzhaltigen Thon am Meeresspiegel, bei Punta Araya, und in 3900 m Höhe in den Kordilleren von Neugranada gesehen. Wenn derselbe am erstgenannten Orte unter einer Muschelbreccie von sehr neuer Bildung liegt, so tritt er dagegen bei Ischl in Oesterreich als mächtige Schicht im Alpenkalk auf, der, obgleich gleichfalls jünger als die Existenz organischer Wesen auf der Erde, doch sehr alt ist, wie die vielen Gebirgsglieder zeigen, die ihm aufgelagert sind. Wir wollen nicht in Zweifel ziehen, daß das reine Das von Wielicka und Peru. oder mit salzhaltigem Thon vermengte Steinsalz Das von Hallein, Ischl und Zipaquira. der Niederschlag eines alten Meeres sein könne, alles weist aber darauf hin, daß es sich unter Naturverhältnissen gebildet hat, die sehr bedeutend abweichen mußten von denen, unter welchen die jetzigen Meere infolge allmählicher Verdunstung hier und da ein paar Körner salzsauren Natrons im Ufersande niederschlagen. Wie der Schwefel und die Steinkohle sehr weit auseinander liegenden Formationen angehören, kommt auch das Steinsalz bald im Uebergangsgips, bald im Alpenkalk, bald in einem mit sehr neuem Muschelsandstein bedeckten Salzthon (Punta Araya), bald in einem Gips vor, der jünger ist als die Kreide.

Das neue Salzwerk von Araya besteht aus fünf Behältern oder Kasten, von denen die größten eine regelmäßige Form und 87,4 a Oberfläche haben. Die mittlere Tiefe beträgt 21 cm. Man bedient sich sowohl des Regenwassers, das sich durch Einsickerung am tiefsten Punkt der Ebene sammelt, als des Meerwassers, das durch Kanäle hereingeleitet wird, wenn der Wind die See an die Küste treibt. Dieses Salzwerk ist nicht so günstig gelegen wie die Lagune. Das Wasser, das in die letztere fällt, kommt von stärker geneigten Abhängen und hat ein größeres Bodenstück ausgelaugt. Die Indianer pumpen mit der Hand das Meerwasser aus einem Hauptbehälter in die Kasten. Leicht ließe sich indessen der Wind als Triebkraft benützen, da der Seewind fortwährend stark auf die Küste bläst. Man hat nie daran gedacht, weder die bereits ausgelaugte Erde wegzuschaffen, noch Schachte im Salzthon niederzutreiben, um Schichten aufzusuchen, die reicher an salzsaurem Natron sind. Die Salzarbeiter klagen meist über Regenmangel, und beim neuen Salzwerk scheint es mir schwer auszumitteln, welches Quantum von Salz allein auf Rechnung des Seewassers kommt. Die Eingeborenen schätzen es auf ein Sechsteil des ganzen Ertrages. Die Verdunstung ist sehr stark und wird durch den beständigen Luftzug gesteigert; das Salz wird aber auch am 18. bis 20. Tage, nachdem man die Behälter gefüllt, ausgezogen. Wir fanden (am 19. August um 3 Uhr nachmittags) die Temperatur des Salzwassers in den Kasten 32,5º, während die Luft im Schatten 27,2º und der Sand an der Küste in 16 cm Tiefe 42,5º zeigte. Wir tauchten den Thermometer in die See und sahen ihn zu unserer Ueberraschung nur auf 23º steigen. Diese niedrige Temperatur rührt vielleicht von den Untiefen her, welche die Halbinsel Araya und die Insel Margarita umgeben, und an deren Abfällen sich tiefere Wasserschichten mit den oberflächlichen vermischen.

Obgleich das salzsaure Natron auf der Halbinsel Araya nicht so sorgfältig bereitet wird als in den europäischen Salzwerken, ist es dennoch reiner und enthält weniger salzsaure und schwefelsaure Erden. Wir wissen nicht, ob diese Reinheit dem Anteil von Salz, den das Meer liefert, zuzuschreiben ist; denn wenn auch die Menge der im Meerwasser gelösten Salze höchst wahrscheinlich unter allen Himmelsstrichen dieselbe ist, Mit Ausnahme der Binnenmeere und der Länder, wo sich Polargletscher bilden. Dieses Sichgleichbleiben des Salzgehaltes des Meeres erinnert an die noch weit größere Gleichförmigkeit der Verteilung des Sauerstoffes im Luftmeer. In beiden Elementen wird das Gleichgewicht in der Lösung oder im Gemenge durch Strömungen hergestellt und erhalten. so weiß man doch nicht, ob auch das Verhältnis zwischen dem salzsauren Natron, der salzsauren und schwefelsauren Bittererde und dem schwefelsauren und kohlensauren Kalk sich gleich bleibt.

Nachdem wir die Salinen besehen und unsere geodätischen Arbeiten beendigt hatten, brachen wir gegen Abend auf, um einige Meilen weiterhin in einer indianischen Hütte bei den Trümmern des Schlosses von Araya die Nacht zuzubringen. Unsere Instrumente und unseren Mundvorrat schickten wir voraus; denn wenn wir von der großen Hitze und der Reverberation des Bodens erschöpft waren, spürten wir in diesen Ländern nur abends und in der Morgenkühle Eßlust. Wir wandten uns nach Süd und gingen zuerst über die kahle mit Salzthon bedeckte Ebene, und dann über zwei aus Sandstein bestehende Hügelketten, zwischen denen die Lagune liegt. Die Nacht überraschte uns, während wir einen schmalen Pfad verfolgten, der einerseits vom Meer, andererseits von senkrechten Felswänden begrenzt ist. Die Flut war im raschen Steigen und engte unseren Weg mit jedem Schritt mehr ein. Am Fuße des alten Schlosses von Araya angelangt, lag ein Naturbild mit einem melancholischen, romantischen Anstrich vor uns, und doch wurde weder durch die Kühle eines finsteren Forstes, noch durch die Großartigkeit der Pflanzengestalten die Schönheit der Trümmer gehoben. Sie liegen auf einem kahlen, dürren Berge, mit Agaven, Säulenkaktus und Mimosen bewachsen, und gleichen nicht sowohl einem Werke von Menschenhand, als vielmehr Felsmassen, die in den ältesten Umwälzungen des Erdballes zertrümmert worden.

Wir wollten Halt machen, um des großartigen Schauspieles zu genießen und den Untergang der Venus zu beobachten, deren Scheibe von Zeit zu Zeit zwischen dem Gemäuer des Schlosses erschien; aber der Mulatte, der uns als Führer diente, wollte verdursten und drang lebhaft in uns, umzukehren. Er hatte längst gemerkt, daß wir uns verirrt hatten, und da er hoffte, durch die Furcht auf uns zu wirken, sprach er beständig von Tigern und Klapperschlangen. Giftige Reptilien sind allerdings beim Schlosse Araya sehr häufig, und erst vor kurzem waren beim Eingang des Dorfes Maniquarez zwei Jaguare erlegt worden. Nach den aufbehaltenen Fellen waren sie nicht viel kleiner als die ostindischen Tiger. Vergeblich führten wir unserem Führer zu Gemüt, daß diese Tiere an einer Küste, wo die Ziegen ihnen reichliche Nahrung bieten, keinen Menschen anfallen; wir mußten nachgeben und hingehen, woher wir gekommen waren. Nachdem wir drei Viertelstunden über einen von der steigenden Flut bedeckten Strand gegangen, stieß der Neger zu uns, der unseren Mundvorrat getragen hatte; da er uns nicht kommen sah, war er unruhig geworden und uns entgegengegangen. Er führte uns durch ein Gebüsch von Fackeldisteln zu der Hütte einer indianischen Familie. Wir wurden mit der herzlichen Gastfreundschaft aufgenommen, die man in diesen Ländern bei Menschen aller Kasten findet. Von außen war die Hütte, in der wir unsere Hängematten befestigten, sehr sauber; wir fanden daselbst Fische, Bananen u. dgl., und, was im heißen Landstrich über die ausgesuchtesten Speisen geht, vortreffliches Wasser.

Des anderen Tages bei Sonnenaufgang sahen wir, daß die Hütte, in der wir die Nacht zugebracht, zu einem Haufen kleiner Wohnungen am Ufer des Salzsees gehörte. Es sind dies die schwachen Ueberbleibsel eines ansehnlichen Dorfes, das sich einst um das Schloß gebildet. Die Trümmer einer Kirche waren halb im Sand begraben und mit Strauchwerk bewachsen. Nachdem im Jahre 1762 das Schloß von Araya, um die Unterhaltungskosten der Besatzung zu ersparen, gänzlich zerstört worden war, zogen sich die in der Umgegend angesiedelten Indianer und Farbigen allmählich nach Maniquarez, Cariaco und in die indianische Vorstadt von Cumana. Nur wenige blieben aus Anhänglichkeit an den Heimatsboden am wilden, öden Ort. Diese armen Leute leben vom Fischfang, der an den Küsten und auf den Untiefen in der Nähe äußerst ergiebig ist. Sie schienen mit ihrem Los zufrieden und fanden die Frage seltsam, warum sie keine Gärten hätten und keine nutzbaren Gewächse bauten. »Unsere Gärten,« sagten sie, »sind drüben über der Meerenge; wir bringen Fische nach Cumana und verschaffen uns dafür Bananen, Kokosnüsse und Manioc.« Diese Wirtschaft, die der Trägheit zusagt, ist in Maniquarez und auf der ganzen Halbinsel Araya Brauch. Der Hauptreichtum der Einwohner besteht in Ziegen, die sehr groß und schön sind. Sie laufen frei umher, wie die Ziegen auf dem Pik von Tenerifa; sie sind völlig verwildert und man zeichnet sie wie die Maultiere, weil sie nach Aussehen, Farbe und Zeichnung nicht zu unterscheiden wären. Die wilden Ziegen sind hellbraun und nicht verschiedenfarbig wie die zahmen. Wenn ein Kolonist auf der Jagd eine Ziege schießt, die er nicht als sein Eigentum erkennt, so bringt er sie sogleich dem Nachbar, dem sie gehört. Zwei Tage lang hörten wir als von einer selten vorkommenden Niederträchtigkeit davon sprechen, daß einem Einwohner von Maniquarez eine Ziege abhanden gekommen, und, daß wahrscheinlich eine Familie in der Nachbarschaft sich gütlich damit gethan habe. Dergleichen Züge, die für große Sittenreinheit beim gemeinen Volke sprechen, kommen häufig auch in Neumexiko, in Kanada und in den Ländern westlich von den Alleghanies vor.

Unter den Farbigen, deren Hütten um den Salzsee stehen, befand sich ein Schuhmacher von kastilianischem Blute. Er nahm uns mit dem Ernst und der Selbstgefälligkeit auf, die unter diesen Himmelsstrichen fast allen Leuten eigen sind, die sich für besonders begabt halten. Er war eben daran, die Sehne seines Bogens zu spannen und Pfeile zu spitzen, um Vögel zu schießen. Sein Gewerbe als Schuster konnte in einem Lande, wo die meisten Leute barfuß gehen, nicht viel eintragen; er beschwerte sich auch, daß das europäische Pulver so teuer sei und ein Mann wie er zu denselben Waffen greifen müsse wie die Indianer. Der Mann war das gelehrte Orakel des Dorfes; er wußte, wie sich das Salz durch den Einfluß der Sonne und des Vollmondes bildet, er kannte die Vorzeichen der Erdbeben, die Merkmale, wo sich Gold und Silber im Boden finden, und die Arzneipflanzen, die er, wie alle Kolonisten von Chile bis Kalifornien, in heiße und kalte Reizende und schwächende, sthenische oder asthenische nach Browns System. einteilte. Er hatte die geschichtlichen Ueberlieferungen des Landes gesammelt, und gab uns interessante Notizen über die Perlen von Cubagua, welchen Luxusartikel er höchst wegwerfend behandelte. Um uns zu zeigen, wie bewandert er in der heiligen Schrift sei, führte er wohlgefällig den Spruch Hiobs an, daß Weisheit höher zu wägen ist, denn Perlen. Seine Philosophie ging nicht über den engen Kreis der Lebensbedürfnisse hinaus. Ein derber Esel, der eine tüchtige Ladung Bananen an den Landungsplatz tragen könnte, war das höchste Ziel seiner Wünsche.

Nach einer langen Rede über die Eitelkeit menschlicher Herrlichkeit zog er aus einer Ledertasche sehr kleine und trübe Perlen und drang uns dieselben auf. Zugleich hieß er uns, es in unsere Schreibtafel aufzuzeichnen, daß ein armer Schuster von Araya, aber ein weißer Mann und von edlem kastilischem Blute, uns etwas habe schenken können, das drüben über dem Meer für eine große Kostbarkeit gelte. Ich komme dem Versprechen, das ich dem braven Manne gab, etwas spät nach und freue mich, dabei bemerken zu können, daß seine Uneigennützigkeit ihm nicht gestattete, irgend eine Vergütung anzunehmen. An der Perlenküste sieht es allerdings so armselig aus, wie im »Gold- und Diamantenland«, in Choco und Brasilien; aber mit dem Elend paart sich hier nicht die zügellose Gewinnsucht, wie sie durch Schätze des Mineralreiches erzeugt wird.

Die Perlenmuschel ist auf den Untiefen, die sich vom Kap Paria zum Kap Vela erstrecken, sehr häufig. Die Insel Margarita, Cubagua, Coche, Punta Araya und die Mündung des Rio la Hacha waren im 16. Jahrhundert berühmt, wie im Altertum der Persische Meerbusen und die Insel Taprobane. Strabo Lib. XV. Plinius Lib. IX, c. 35, Lib. XII, c. 18. Solinus, Polyhistor, c. 68; besonders Athenaeus, Deipnosoph. Lib. III, c. 45. Es ist nicht richtig, was mehrere Geschichtschreiber behaupten, daß die Eingeborenen Amerikas die Perlen als Luxusartikel nicht gekannt haben sollen. Die Spanier, die zuerst an Terra Firma landeten, sahen bei den Wilden Hals- und Armbänder, und bei den civilisierten Völkern in Mexiko und Peru waren Perlen von schöner Form ungemein gesucht. Ich habe die Basaltbüste einer mexikanischen Priesterin bekannt gemacht, Humboldt, Atlas pittoresque Tafel 1 und 2. deren Kopfputz, der auch sonst mit der Calantica der Isisköpfe Aehnlichkeit hat, mit Perlen besetzt ist. Las Casas und Benzoni erzählen, und zwar nicht ohne Uebertreibung, wie grausam man mit den Indianern und Negern umging, die man zur Perlenfischerei brauchte. In der ersten Zeit der Eroberung lieferte die Insel Coche allein 1500 Mark Perlen monatlich. Der Quint, den die königlichen Beamten vom Ertrag an Perlen erhoben, belief sich auf 15 000 Dukaten, nach dem damaligen Wert der Metalle und in Betracht des starken Schmuggels eine sehr bedeutende Summe. Bis zum Jahre 1530 scheint sich der Wert der nach Europa gesendeten Perlen im Jahresdurchschnitt auf mehr als 800 000 Piaster belaufen zu haben. Um zu ermessen, von welcher Bedeutung dieser Handelszweig in Sevilla, Toledo, Antwerpen und Genua sein mochte, muß man bedenken, daß zur selben Zeit alle Bergwerke Amerikas nicht zwei Millionen Piaster lieferten und daß die Flotte Ovandos für unermeßlich reich galt, weil sie gegen 2600 Mark Silber führte.

Die Perlen waren desto gesuchter, da der asiatische Luxus auf zwei gerade entgegengesetzten Wegen nach Europa gedrungen war, von Konstantinopel her, wo die Paläologen reich mit Perlen gestickte Kleider trugen, und von Granada her, wo die maurischen Könige saßen, an deren Hof der ganze asiatische Prunk herrschte. Die ostindischen Perlen waren geschätzter als die westindischen; indessen kamen doch die letzteren in der ersten Zeit nach der Entdeckung von Amerika in Menge in den Handel. In Italien wie in Spanien wurde die Insel Cubagua das Ziel zahlreicher Handelsunternehmungen. Benzoni erzählt, was einem gewissen Ludwig Lampagnano begegnete, dem Karl der Fünfte das Privilegium erteilt hatte, mit fünf »Caravelen« an die Küste von Cumana zu gehen und Perlen zu fischen. Die Ansiedler schickten ihn mit der kecken Antwort heim, der Kaiser gehe mit etwas, das nicht sein gehöre, allzu freigebig um; es stehe ihm nicht das Recht zu, über Austern zu verfügen, die auf dem Meeresboden leben.

Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts nahm die Perlenfischerei rasch ab, und nach Laets Angabe Insular um Cubaguae et Coches quondam magna fuit dignitas, quum unionum captura floreret, nunc, illa deficiente, obscura admodum fama. Laet. Nov. Orbis p. 669. Dieser sorgfältige Kompilator sagt, wo er von der Punta Araya spricht, weiter, das Land sei dergestalt in Vergessenheit geraten, » ut vix ulla alia Americae meridionalis pars hodie obscurior sit«. hatte sie im Jahre 1633 längst aufgehört. Durch den Gewerbfleiß der Venediger, welche die echten Perlen täuschend nachmachten, und den starken Gebrauch der geschnittenen Diamanten Das Schneiden der Diamanten wurde im Jahre 1456 von Ludwig de Berquen erfunden; in allgemeinen Gebrauch kam es aber erst im folgenden Jahrhundert. wurden die Fischereien in Cubagua weniger einträglich. Zugleich wurden die Perlenmuscheln seltener, nicht, wie man nach der Volkssage glaubt, weil die Tiere vom Geräusch der Ruder verscheucht wurden, sondern weil man im Unverstand die Muscheln zu Tausenden abgerissen und so ihrer Fortpflanzung Einhalt gethan hatte. Die Perlenmuschel ist noch von zarterer Konstitution als die meisten anderen kopflosen Weichtiere. Auf der Insel Ceylon, wo in der Bucht von Condeatchy die Perlenfischerei sechshundert Taucher beschäftigt und der jährliche Ertrag über eine halbe Million steigt, hat man das Tier vergeblich auf andere Küstenpunkte zu verpflanzen gesucht. Die Regierung gestattet die Fischerei nur einen Monat lang, während man in Cubagua die Muschelbank das ganze Jahr hindurch ausbeutete. Um sich eine Vorstellung davon zu machen, in welchem Maße die Taucher unter diesem Tiergeschlecht aufräumen, muß man bedenken, daß manches Fahrzeug in zwei, drei Wochen über 35 000 Muscheln aufnimmt. Das Tier lebt nur neun bis zehn Jahre und die Perlen fangen erst im vierten Jahre an zum Vorschein zu kommen. In 10 000 Muscheln ist oft nicht eine wertvolle Perle. Nach der Sage öffneten die Fischer auf der Bank bei der Insel Margarita die Muscheln Stück für Stück; auf Ceylon schüttet man die Tiere aus und läßt sie faulen, und um die Perlen zu gewinnen, welche nicht an den Schalen hängen, wäscht man die Haufen tierischen Gewebes aus, gerade wie man in den Minen den Sand auswäscht, der Gold- oder Zinngeschiebe oder Diamanten enthält.

Gegenwärtig bringt das spanische Amerika nur noch die Perlen in den Handel, die aus dem Meerbusen von Panama und von der Mündung des Rio de la Hacha kommen. Auf den Untiefen um Cubagua, Coche und Margarita ist die Fischerei aufgegeben, wie an der kalifornischen Küste. Es wundert mich, auf unseren Reisen nirgends gehört zu haben, daß in Südamerika Perlen in Süßwassermuscheln gefunden worden wären, und doch kommen manche Arten der Gattung Unio in den peruanischen Flüssen in großer Menge vor. Man glaubt in Cumana, die Perlenmuschel habe sich nach zweihundertjähriger Ruhe wieder bedeutend vermehrt, Im Jahre 1812 sind bei Margarita einige Versuche gemacht worden, die Perlenfischerei wieder aufzunehmen. und man fragt sich, warum die Perlen, die man jetzt in Muscheln findet, die an den Fischnetzen hängen bleiben, Die Einwohner von Araya verkaufen zuweilen solche kleine Perlen an die Kaufleute von Cumana. Der gewöhnliche Preis ist ein Piaster für das Dutzend. so klein sind und so wenig Glanz haben, während man bei der Ankunft der Spanier sehr schöne bei den Indianern fand, die doch schwerlich danach tauchten. Diese Frage ist desto schwerer zu beantworten, da wir nicht wissen, ob etwa Erdbeben die Beschaffenheit des Seebodens verändert haben, oder ob Richtungsänderungen in untermeerischen Strömen auf die Temperatur des Wassers oder auf die Häufigkeit gewisser Weichtiere, von denen sich die Muscheln nähren, Einfluß geäußert haben.

Am 20. morgens führte uns der Sohn unseres Wirtes, ein sehr kräftiger Indianer, über den Barigon und Caney ins Dorf Maniquarez. Es waren vier Stunden Weges. Durch das Rückprallen der Sonnenstrahlen vom Sand stieg der Thermometer auf 31,3º. Die Säulenkaktus, die am Wege stehen, geben der Landschaft einen grünen Schein, ohne Kühle und Schatten zu bieten. Unser Führer setzte sich, ehe er 5 km weit gegangen war, jeden Augenblick nieder. Im Schatten eines schönen Tamarindenbaumes bei den Casas de la Vela wollte er sich gar niederlegen, um den Anbruch der Nacht abzuwarten. Ich hebe diesen Charakterzug hervor, da er einem überall entgegentritt, so oft man mit Indianern reist, und zu den irrigsten Vorstellungen von der Körperverfassung der verschiedenen Menschenrassen Anlaß gegeben hat. Der kupferfarbige Eingeborene, der besser als der reisende Europäer an die glühende Hitze des Himmelsstriches gewöhnt ist, beklagt sich nur deshalb mehr darüber, weil ihn kein Reiz antreibt. Geld ist keine Lockung für ihn, und hat er sich je einmal durch Gewinnsucht verführen lassen, so reut ihn sein Entschluß, sobald er auf dem Wege ist. Derselbe Indianer aber, der sich beklagt, wenn man ihm beim Botanisieren eine Pflanzenbüchse zu tragen gibt, treibt einen Kahn gegen die rascheste Strömung und rudert so 14 bis 15 Stunden in einem fort, weil er sich zu den Seinigen zurücksehnt. Will man die Muskelkraft der Völker richtig schätzen lernen, muß man sie unter Umständen beobachten, wo ihre Handlungen durch einen gleich kräftigen Willen bestimmt werden.

Wir besahen in der Nähe die Trümmer des Schlosses Santiago, das durch seine ausnehmend feste Bauart merkwürdig ist. Die Mauern aus behauenen Steinen sind 1,6 m dick; man mußte sie mit Minen sprengen; man sieht noch Mauerstücke von 70, 80 qm, die kaum einen Riß zeigen. Unser Führer zeigte uns eine Zisterne ( el aljibe), die 10 m tief ist und, obgleich ziemlich schadhaft, den Bewohnern der Halbinsel Araya Wasser liefert. Diese Zisterne wurde im Jahre 1681 vom Statthalter Don Juan Padilla Guardiola vollendet, demselben, der in Cumana das kleine Fort Santa Maria gebaut hat. Da der Behälter mit einem Gewölbe im Rundbogen geschlossen ist, so bleibt das Wasser darin frisch und sehr gut. Konserven, die den Kohlenwasserstoff zersetzen und zugleich Würmern und Insekten zum Aufenthalt dienen, bilden sich nicht darin. Jahrhundertelang hatte man geglaubt, die Halbinsel Araya habe gar keine Quellen süßen Wassers, aber im Jahre 1797 haben die Einwohner von Maniquarez nach langem vergeblichen Suchen doch solches gefunden.

Als wir über die kahlen Hügel am Vorgebirge Cirial gingen, spürten wir einen starken Bergölgeruch. Der Wind kam vom Orte her, wo die Bergölquellen liegen, deren schon die ersten Beschreibungen dieser Länder erwähnen. – Das Töpfergeschirr von Maniquarez ist seit unvordenklicher Zeit berühmt, und dieser Industriezweig ist ganz in den Händen der Indianerweiber. Es wird noch gerade so fabriziert wie vor der Eroberung. Dieses Verfahren ist einerseits eine Probe vom Zustand der Künste in ihrer Kindheit, und andererseits von der Starrheit der Sitten, die allen eingeborenen Völkern Amerikas als ein Charakterzug eigen ist. In 300 Jahren konnte die Töpferscheibe keinen Eingang auf einer Küste finden, die von Spanien nur 30 bis 40 Tagereisen zur See entfernt ist. Die Eingeborenen haben eine dunkle Vorstellung davon, daß es ein solches Werkzeug gibt, und sie würden sich desselben bedienen, wenn man ihnen das Muster in die Hand gäbe. Die Thongruben sind 2,75 km östlich von Maniquarez. Dieser Thon ist das Zersetzungsprodukt eines durch Eisenoxyd rot gefärbten Glimmerschiefers. Die Indianerinnen nehmen vorzugsweise solchen, der viel Glimmer enthält. Sie formen mit großem Geschick Gefäße von 60 cm bis 1 m Durchmesser mit sehr regelmäßiger Krümmung. Da sie den Brennofen nicht kennen, so schichten sie Strauchwerk von Desmanthus, Cassia und baumartiger Capparis um die Töpfe und brennen sie in freier Luft. Weiter westwärts von der Thongrube liegt die Schlucht der Mina (Bergwerk). Nicht lange nach der Eroberung sollen venezianische Goldschürfer dort Gold aus dem Glimmerschiefer gewonnen haben. Dieses Metall scheint hier nicht auf Quarzgängen vorzukommen, sondern im Gestein eingesprengt zu sein, wie zuweilen im Granit und Gneis.

Wir trafen in Maniquarez Kreolen, die von einer Jagdpartie auf Cubagua kamen. Die Hirsche von der kleinen Art sind auf diesem unbewohnten Eilande so häufig, daß man täglich drei und vier schießen kann. Ich weiß nicht, wie die Tiere hinübergekommen sind; denn Laet und andere Chronisten des Landes, die von der Gründung von Neucadiz berichten, sprechen nur von der Menge Kaninchen auf der Insel. Der Venado auf Cubagua gehört zu einer der vielen kleinen amerikanischen Hirscharten, die von den Zoologen lange, unter dem allgemeinen Namen Cervus Americanus zusammengeworfen wurden. Er scheint mir nicht identisch mit der Biche des Savanes von Guadeloupe oder dem Guazuti in Paraguay, der auch in Rudeln lebt. Sein Fell ist auf dem Rücken rotbraun, am Bauche weiß; es ist gefleckt, wie beim Axis. In den Ebenen am Cari zeigte man uns, als eine große Seltenheit in diesen heißen Ländern, eine weiße Spielart. Es war eine Hirschkuh von der Größe des europäischen Rehes und von äußerst zierlicher Gestalt. Albinos kommen in der Neuen Welt sogar unter den Tigern vor. Azara sah einen Jaguar, auf dessen ganz weißem Fell man nur hier und da gleichsam einen Schatten von den runden Flecken sah.

Für den merkwürdigsten, man kann sagen für den wunderbarsten aller Naturkörper auf der Küste von Araya gilt beim Volke der Augenstein, Piedra de los ojos. Dieses Gebilde aus Kalkerde ist in aller Munde; nach der Volksphysik ist es ein Stein und ein Tier zugleich. Man findet es im Sande, und da rührt es sich nicht; nimmt man es aber einzeln auf und legt es auf eine ebene Fläche, z. B. auf einen Zinn- oder Fayence-Teller, so bewegt es sich, sobald man es durch Zitronensaft reizt. Steckt man es ins Auge, so dreht sich das angebliche Tier um sich selbst und schiebt jeden fremden Körper heraus, der zufällig ins Auge geraten ist. Auf der neuen Saline und im Dorfe Maniquarez brachte man uns solche Augensteine zu Hunderten und die Eingeborenen machten uns den Versuch mit dem Zitronensaft eifrig vor. Man wollte uns Sand in die Augen bringen, damit wir uns selbst von der Wirksamkeit des Mittels überzeugten. Wir sahen alsbald, daß diese Steine die dünnen, porösen Deckel kleiner einschaliger Muscheln sind. Sie haben 2 bis 8 mm Durchmesser; die eine Fläche ist eben, die andere gewölbt. Diese Kalkdeckel brausen mit Zitronensaft auf und rücken von der Stelle, indem sich die Kohlensäure entwickelt. Infolge ähnlicher Reaktion bewegt sich zuweilen das Brot im Backofen auf wagerechter Fläche, was in Europa zum Volksglauben an bezauberte Oefen Anlaß gegeben hat. Die Piedras de los ojos wirken, wenn man sie ins Auge schiebt, wie die kleinen Perlen und verschiedene runde Samen, deren sich die Wilden in Amerika bedienen, um den Thränenfluß zu steigern. Diese Erklärungen waren aber gar nicht nach dem Geschmack der Einwohner von Araya. Die Natur erscheint dem Menschen desto größer, je geheimnisvoller sie ist, und die Volksphysik weist alles von sich, was einfach ist.

Ostwärts von Maniquarez an der Südküste liegen nahe aneinander drei Landzungen, genannt Punta de Soto, Punta de la Brea und Punta Guaratarito. In dieser Gegend besteht der Meeresboden offenbar aus Glimmerschiefer, und aus dieser Gebirgsart entspringt bei Punta de la Brea, aber 26 m vom Ufer, eine Naphthaquelle, deren Geruch sich weit in die Halbinsel hinein verbreitet. Man mußte bis zum halben Leibe ins Wasser gehen, um die interessante Erscheinung in der Nähe zu beobachten. Das Wasser ist mit Zostera bedeckt, und mitten in einer sehr großen Bank dieses Gewächses sieht man einen freien runden Fleck von 1 m Durchmesser, auf dem einzelne Massen von Ulva lactuca schwimmen. Hier kommen die Quellen zu Tage. Der Boden des Meerbusens ist mit Sand bedeckt, und das Bergöl, das, durchsichtig und von gelber Farbe, der eigentlichen Naphtha nahe kommt, sprudelt stoßweise unter Entwickelung von Luftblasen hervor. Stampft man den Boden mit den Füßen fest, so sieht man die kleinen Quellen wegrücken. Die Naphtha bedeckt das Meer über 320 m weit. Nimmt man an, daß das Fallen der Schichten sich gleich bleibt, so muß der Glimmerschiefer wenige Meter unter dem Sande liegen.

Der Salzthon von Araya enthält festes, zerreibliches Bergöl. Dieses geologische Verhältnis zwischen salzsaurem Natron und Erdpech kommt in allen Steinsalzgruben und bei allen Salzquellen vor, aber als ein höchst merkwürdiger Fall erscheint das Vorkommen einer Naphthaquelle in einer Urgebirgsart. Alle bis jetzt bekannten gehören sekundären Formationen an, und dieser Umstand schien für die Annahme zu sprechen, daß alles mineralische Harz Produkt der Zersetzung von Pflanzen und Tieren oder des Brandes der Steinkohlen sei. Auf der Halbinsel Araya aber fließt die Naphtha aus dem Urgebirge selbst, und diese Erscheinung wird noch bedeutender, wenn man bedenkt, daß in diesem Urgebirge der Herd des unterirdischen Feuers ist, daß man am Rande brennender Krater zuweilen Naphthageruch bemerkt, und daß die meisten heißen Quellen Amerikas aus Gneis und Glimmerschiefer hervorbrechen.

Nachdem wir uns in der Umgegend von Maniquarez umgesehen, bestiegen wir ein Fischerboot, um nach Cumana zurückzukehren. Nichts zeigt so deutlich, wie ruhig die See in diesen Strichen ist, als die Kleinheit und der schlechte Zustand dieser Kähne, die ein sehr hohes Segel führen. Der Kahn, den wir ausgesucht hatten, weil er noch am wenigsten beschädigt war, zeigte sich so leck, daß der Sohn des Steuermannes fortwährend mit einer Tutuma, der Frucht der Crescentia cujete, das Wasser ausschöpfen mußte. Es kommt im Meerbusen von Cariaco, besonders nordwärts von der Halbinsel Araya, nicht selten vor, daß die mit Kokosnüssen beladenen Piroguen umschlagen, wenn sie zu nahe am Winde gerade gegen den Wellenschlag steuern. Vor solchen Unfällen fürchten sich aber nur Reisende, die nicht gut schwimmen können; denn wird die Pirogue von einem indianischen Fischer mit seinem Sohne geführt, so dreht der Vater den Kahn wieder um und macht sich daran, das Wasser hinauszuschaffen, während der Sohn schwimmend die Kokosnüsse zusammenholt. In weniger als einer Viertelstunde ist die Pirogue wieder unter Segel, ohne daß der Indianer in seinem unerschöpflichen Gleichmut eine Klage hätte hören lassen.

Die Einwohner von Araya, die wir auf der Rückkehr vom Orinoko noch einmal besuchten, haben nicht vergessen, daß ihre Halbinsel einer der Punkte ist, wo sich am frühesten Kastilianer niedergelassen. Sie sprechen gern von der Perlenfischerei, von den Ruinen des Schlosses Santiago, das, wie sie hoffen, einst wieder aufgebaut wird, überhaupt von dem, was sie den ehemaligen Glanz des Landes nennen. In China und Japan gilt alles, was man erst seit 2000 Jahren kennt, für neue Erfindung; in den europäischen Niederlassungen erscheint ein Ereignis, das 300 Jahre, bis zur Entdeckung von Amerika hinaufreicht, als ungemein alt. Dieser Mangel an alter Ueberlieferung, der den jungen Völkern in den Vereinigten Staaten wie in den spanischen und portugiesischen Besitzungen eigen ist, verdient alle Beachtung. Er hat nicht nur etwas Peinliches für den Reisenden, der sich dadurch um den höchsten Genuß der Einbildungskraft gebracht sieht, er äußert auch seinen Einfluß auf die mehr oder minder starken Bande, die den Kolonisten an den Boden fesseln, auf dem er wohnt, an die Gestalt der Felsen, die seine Hütte umgeben, an die Bäume, in deren Schatten seine Wiege gestanden.

Bei den Alten, z. B. bei Phöniziern und Griechen, gingen Ueberlieferungen und geschichtliches Bewußtsein des Volkes vom Mutterlands auf die Kolonieen über, erbten dort von Geschlecht zu Geschlecht fort und äußerten fortwährend den besten Einfluß auf Geist, Sitten und Politik der Ansiedler. Das Klima in jenen ersten Niederlassungen über dem Meere war vom Klima des Mutterlandes nicht sehr verschieden. Die Griechen in Kleinasien und auf Sizilien entfremdeten sich nicht den Einwohnern von Argos, Athen und Korinth, von denen abzustammen ihr Stolz war. Große Uebereinstimmung in Sitte und Brauch that das Ihrige dazu, eine Verbindung zu befestigen, die sich auf religiöse und politische Interessen gründete. Häufig opferten die Kolonieen die Erstlinge ihrer Ernten in den Tempeln der Mutterstädte, und wenn durch einen unheilvollen Zufall das heilige Feuer auf den Altären von Hestia erloschen war, so schickte man von hinten in Ionien nach Griechenland und ließ es aus den Prytaneen wieder holen. Ueberall, in Cyrenaica wie an den Ufern des Sees Mäotis, erhielten sich die alten Ueberlieferungen des Mutterlandes. Andere Erinnerungen, die gleich mächtig zur Einbildungskraft sprechen, hafteten an den Kolonieen selbst. Sie hatten ihre heiligen Haine, ihre Schutzgottheiten, ihren lokalen Mythenkreis; sie hatten, was den Dichtungen der frühesten Zeitalter Leben und Dauer verleiht, ihre Dichter, deren Ruhm selbst über das Mutterland Glanz verbreitete.

Dieser und noch mancher andern Vorteile entbehren die heutigen Ansiedelungen. Die meisten wurden in einem Landstrich gegründet, wo Klima, Naturprodukte, der Anblick des Himmels und der Landschaft ganz anders sind als in Europa. Wenn auch der Ansiedler Bergen, Flüssen, Thälern Namen beilegt, die an vaterländische Landschaften erinnern, diese Namen verlieren bald ihren Reiz und sagen den nachkommenden Geschlechtern nichts mehr. In fremdartiger Naturumgebung erwachsen aus neuen Bedürfnissen andere Sitten; die geschichtlichen Erinnerungen verblassen allmählich, und die sich erhalten, knüpfen sich fortan gleich Phantasiegebilden weder an einen bestimmten Ort, noch an eine bestimmte Zeit. Der Ruhm Don Pelagios und des Cid Campeador ist bis in die Gebirge und Wälder Amerikas gedrungen; dem Volke kommen je zuweilen diese glorreichen Namen auf die Zunge, aber sie schweben seiner Seele vor wie Wesen aus einer idealen Welt, aus dem Dämmer der Fabelzeit.

Der neue Himmel, das ganz veränderte Klima, die physische Beschaffenheit des Landes wirken weit stärker auf die gesellschaftlichen Zustände in den Kolonieen ein, als die gänzliche Trennung vom Mutterlande. Die Schiffahrt hat in neuerer Zeit solche Fortschritte gemacht, daß die Mündungen des Orinoko und Rio de la Plata näher bei Spanien zu liegen scheinen, als einst der Phasis und Tartessus von den griechischen und phönizischen Küsten. Man kann auch die Bemerkung machen, daß sich in gleich weit von Europa entfernten Ländern Sitten und Ueberlieferungen desselben im gemäßigten Erdstrich und auf dem Rücken der Gebirge unter dem Aequator mehr erhalten haben als in den Tiefländern der heißen Zone. Die Aehnlichkeit der Naturumgebung trägt in gewissem Grade dazu bei, innigere Beziehungen zwischen den Kolonisten und dem Mutterlande aufrecht zu erhalten. Dieser Einfluß physischer Ursachen auf die Zustände jugendlicher gesellschaftlicher Vereine tritt besonders auffallend hervor, wenn es sich von Gliedern desselben Volksstammes handelt, die sich noch nicht lange getrennt haben. Durchreist man die Neue Welt, so meint man überall da, wo das Klima den Anbau des Getreides gestattet, mehr Ueberlieferungen, einem lebendigeren Andenken an das Mutterland zu begegnen. In dieser Beziehung kommen Pennsylvanien, Neumexiko und Chile mit den hochgelegenen Plateaus von Quito und Neuspanien überein, die mit Eichen und Fichten bewachsen sind.

Bei den Alten waren die Geschichte, die religiösen Vorstellungen und die physische Beschaffenheit des Landes durch unauflösliche Bande verknüpft. Um die Landschaften und die alten bürgerlichen Stürme des Mutterlandes zu vergessen, hätte der Ansiedler auch dem von seinen Voreltern überlieferten Götterglauben entsagen müssen. Bei den neueren Völkern hat die Religion, so zu sagen, keine Lokalfarbe mehr. Das Christentum hat den Kreis der Vorstellungen erweitert, es hat alle Völker darauf hingewiesen, daß sie Glieder einer Familie sind, aber eben damit hat es das Nationalgefühl geschwächt; es hat in beiden Welten die uralten Ueberlieferungen des Morgenlandes verbreitet, neben denen, die ihm eigentümlich angehören. Völker von ganz verschiedener Herkunft und völlig abweichender Mundart haben damit gemeinschaftliche Erinnerungen erhalten, und wenn durch die Missionen in einem großen Teil des neuen Festlandes die Grundlagen der Kultur gelegt worden sind, so haben eben damit die christlichen kosmogonischen und religiösen Vorstellungen ein merkbares Uebergewicht über die rein nationalen Erinnerungen erhalten.

Noch mehr: die amerikanischen Kolonieen sind fast durchaus in Ländern angelegt, wo die dahingegangenen Geschlechter kaum eine Spur ihres Daseins hinterlassen haben. Nordwärts vom Rio Gila, an den Ufern des Missouri, auf den Ebenen, die sich im Osten der Anden ausbreiten, gehen die Ueberlieferungen nicht über ein Jahrhundert hinauf. In Peru, in Guatemala und in Mexiko sind allerdings Trümmer von Gebäuden, historische Malereien und Bildwerke Zeugen der alten Kultur der Eingeborenen; aber in einer ganzen Provinz findet man kaum ein paar Familien, die einen klaren Begriff von der Geschichte der Inka und der mexikanischen Fürsten haben. Der Eingeborene hat seine Sprache, seine Tracht und seinen Volkscharakter behalten; aber mit dem Aufhören des Gebrauches der Quippu und der symbolischen Malereien, durch die Einführung des Christentums und andere Umstände, die ich anderswo auseinandergesetzt, sind die geschichtlichen und religiösen Ueberlieferungen allmählich untergegangen. Andererseits sieht der Ansiedler von europäischer Abkunft verächtlich auf alles herab, was sich auf die unterworfenen Völker bezieht. Er sieht sich in die Mitte gestellt zwischen die frühere Geschichte des Mutterlandes und die seines Geburtslandes, und die eine ist ihm so gleichgültig wie die andere; in einem Klima, wo bei dem geringen Unterschied der Jahreszeiten der Ablauf der Jahre fast unmerklich wird, überläßt er sich ganz dem Genusse der Gegenwart und wirft selten einen Blick in vergangene Zeiten.

Aber auch welch ein Abstand zwischen der eintönigen Geschichte neuerer Niederlassungen und dem lebensvollen Bilde, das Gesetzgebung, Sitten und politische Stürme der alten Kolonieen darbieten! Ihre durch abweichende Regierungsformen verschieden gefärbte geistige Bildung machte nicht selten die Eifersucht der Mutterländer rege. Durch diesen glücklichen Wetteifer gelangten Kunst und Litteratur in Ionien, Großgriechenland und Sizilien zur herrlichsten Entwickelung. Heutzutage dagegen haben die Kolonieen weder eine eigene Geschichte noch eine eigene Litteratur. Die in der Neuen Welt haben fast nie mächtige Nachbarn gehabt, und die gesellschaftlichen Zustände haben sich immer nur allgemach umgewandelt. Des politischen Lebens bar, haben diese Handels- und Ackerbaustaaten an den großen Welthändeln immer nur passiven Anteil genommen.

Die Geschichte der neuen Kolonieen hat nur zwei merkwürdige Ereignisse aufzuweisen, ihre Gründung und ihre Trennung vom Mutterlande. Das erstere ist reich an Erinnerungen, die sich wesentlich an die von den Kolonisten bewohnten Länder knüpfen; aber statt Bilder des friedlichen Fortschrittes des Gewerbfleißes und der Entwickelung der Gesetzgebung in den Kolonieen vorzuführen, erzählt diese Geschichte nur von verübtem Unrecht und von Gewaltthaten. Welchen Reiz können jene außerordentlichen Zeiten haben, wo die Spanier unter Karls V. Regierung mehr Mut als sittliche Kraft entwickelten, und die ritterliche Ehre, wie der kriegerische Ruhm durch Fanatismus und Golddurst befleckt wurden? Die Kolonisten sind von sanfter Gemütsart, sie sind durch ihre Lage den Nationalvorurteilen enthoben, und so wissen sie die Thaten bei der Eroberung nach ihrem wahren Werte zu schätzen. Die Männer, die sich damals ausgezeichnet, sind Europäer, sind Krieger des Mutterlandes. In den Augen des Kolonisten sind sie Fremde, denn drei Jahrhunderte haben hingereicht, die Bande des Blutes aufzulösen. Unter den »Konquistadoren« waren sicher rechtschaffene und edle Männer, aber sie verschwinden in der Masse und konnten der allgemeinen Verdammnis nicht entgehen.

Ich glaube hiermit die hauptsächlichsten Ursachen angegeben zu haben, aus denen in den heutigen Kolonieen die Nationalerinnerungen sich verlieren, ohne daß andere, auf das nunmehr bewohnte Land sich beziehende würdig an ihre Stelle träten. Dieser Umstand, wir können es nicht genug wiederholen, äußert einen bedeutenden Einfluß auf die ganze Lage der Ansiedler. In der stürmevollen Zeit einer staatlichen Wiedergeburt sehen sie sich auf sich selbst gestellt, und es ergeht ihnen wie einem Volke, das es verschmähte, seine Geschichtsbücher zu befragen und aus den Unfällen vergangener Jahrhunderte Lehren der Weisheit zu schöpfen.


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