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Reise in die Aequinoktial-Gegenden.


Erstes Kapitel.

Vorbereitungen. – Abreise von Spanien. – Aufenthalt auf den Kanarischen Inseln.


Wenn eine Regierung eine jener Fahrten auf dem Weltmeer anordnet, durch welche die Kenntnis des Erdballes erweitert und die physischen Wissenschaften gefördert werden, so stellt sich ihrem Vorhaben keinerlei Hindernis entgegen. Der Zeitpunkt der Abfahrt und der Plan der Reise können festgestellt werden, sobald die Schiffe ausgerüstet und die Astronomen und Naturforscher, welche unbekannte Meere befahren sollen, gewählt sind. Die Inseln und Küsten, deren Produkte die Seefahrer kennen lernen sollen, liegen außerhalb des Bereiches der staatlichen Bewegungen Europas. Wenn längere Kriege die Freiheit zur See beschränken, so stellen die kriegführenden Mächte gegenseitig Pässe aus; der Haß zwischen Volk und Volk tritt zurück, wenn es sich von der Förderung des Wissens handelt, das die gemeine Sache aller Völker ist.

Anders, wenn nur ein Privatmann auf seine Kosten eine Reise in das Innere eines Festlandes unternimmt, das Europa in sein System von Kolonieen gezogen hat. Wohl mag sich der Reisende einen Plan entwerfen, wie er ihm für seine wissenschaftlichen Zwecke und bei den staatlichen Verhältnissen der zu bereisenden Länder der angemessenste scheint; er mag sich die Mittel verschaffen, die ihm fern vom Heimatland auf Jahre die Unabhängigkeit sichern; aber gar oft widersetzen sich unvorhergesehene Hindernisse seinem Vorhaben, wenn er eben meint es ausführen zu können. Nicht leicht hat aber ein Reisender mit so vielen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt als ich vor meiner Abreise nach dem spanischen Amerika. Gern wäre ich darüber weggegangen und hätte meine Reisebeschreibung mit der Besteigung des Piks von Tenerifa begonnen, wenn nicht das Fehlschlagen meiner ersten Pläne auf die Richtung meiner Reise nach der Rückkehr vom Orinoko bedeutenden Einfluß geäußert hätte. Ich gebe daher eine flüchtige Schilderung dieser Vorgänge, die für die Wissenschaft von keinem Belang sind, von denen ich aber wünschen muß, daß sie richtig beurteilt werden. Da nun einmal die Neugier des Publikums sich häufig mehr an die Person des Reisenden als an seine Werke heftet, so sind auch die Umstände, unter denen ich meine ersten Reisepläne entworfen, ganz schief aufgefaßt worden. Ich muß hier bemerken, daß ich von einem Werke in sechs Bänden, das unter dem seltsamen Titel: »Reise um die Welt und in Südamerika, von A. v. Humboldt, erschienen bei Vollmer in Hamburg,« niemals Kenntnis genommen habe. Diese in meinem Namen verfaßte Reisebeschreibung scheint nach in den Tageblättern gegebenen Nachrichten und nach einzelnen Abhandlungen, die ich in der ersten Klasse des französischen Institutes gelesen, zusammengeschrieben zu sein. Um das Publikum aufmerksam zu machen, hielt es der Kompilator für angemessen, einer Reise in einige Länder des neuen Kontinentes den anziehenderen Titel einer »Reise um die Welt« zu geben.

Von früher Jugend auf lebte in mir der sehnliche Wunsch, ferne, von Europäern wenig besuchte Länder bereisen zu dürfen. Dieser Drang ist bezeichnend für einen Zeitpunkt im Leben, wo dieses vor uns liegt wie ein schrankenloser Horizont, wo uns nichts so sehr anzieht als starke Gemütsbewegungen und Bilder physischer Fährlichkeiten. In einem Lande aufgewachsen, das in keinem unmittelbaren Verkehr mit den Kolonieen in beiden Indien steht, später in einem fern von der Meeresküste gelegenen, durch starken Bergbau berühmten Gebirge lebend, fühlte ich den Trieb zur See und zu weiten Fahrten immer mächtiger in mir werden. Dinge, die wir nur aus den lebendigen Schilderungen der Reisenden kennen, haben ganz besonderen Reiz für uns; alles in Entlegenheit undeutlich Umrissene besticht unsere Einbildungskraft; Genüsse, die uns nicht erreichbar sind, scheinen uns weit lockender, als was sich uns im engen Kreise des bürgerlichen Lebens bietet. Die Lust am Botanisieren, das Studium der Geologie, ein Ausflug nach Holland, England und Frankreich in Gesellschaft eines berühmten Mannes, Georg Forsters, dem das Glück geworden war, Kapitän Cook auf seiner zweiten Reise um die Welt zu begleiten, trugen dazu bei, den Reiseplänen, die ich schon mit achtzehn Jahren gehegt, Gestalt und Ziel zu geben. Wenn es mich noch immer in die schönen Länder des heißen Erdgürtels zog, so war es jetzt nicht mehr der Drang nach einem aufregenden Wanderleben, es war der Trieb, eine wilde, großartige, an mannigfaltigen Naturprodukten reiche Natur zu sehen, die Aussicht, Erfahrungen zu sammeln, welche die Wissenschaften förderten. Meine Verhältnisse gestatteten mir damals nicht, Gedanken zu verwirklichen, die mich so lebhaft beschäftigten, und ich hatte sechs Jahre Zeit, mich zu den Beobachtungen, die ich in der Neuen Welt anzustellen gedachte, vorzubereiten, mehrere Länder Europas zu bereisen und die Kette der Hochalpen zu untersuchen, deren Bau ich in der Folge mit dem der Anden von Quito und Peru vergleichen konnte. Da ich zu verschiedenen Zeiten mit Instrumenten von verschiedener Konstruktion arbeitete, wählte ich am Ende diejenigen, die mir als die genauesten und dabei auf dem Transport dauerhaftesten erschienen; ich fand Gelegenheit, Messungen, die nach den strengsten Methoden vorgenommen worden, zu wiederholen, und lernte so selbständig die Grenzen der Irrtümer kennen, auf die ich gefaßt sein mußte.

Im Jahre 1795 hatte ich einen Teil von Italien bereist, aber die vulkanischen Striche in Neapel und Sizilien nicht besuchen können. Ungern hätte ich Europa verlassen, ohne Vesuv, Stromboli und Aetna gesehen zu haben; ich sah ein, um zahlreiche geologische Erscheinungen, namentlich in der Trappformation, richtig aufzufassen, mußte ich mich mit den Erscheinungen, wie noch thätige Vulkane sie bieten, näher bekannt gemacht haben. Ich entschloß mich daher im November 1797, wieder nach Italien zu gehen. Ich hielt mich lange in Wien auf, wo die ausgezeichneten Sammlungen und die Freundlichkeit Jacquins und Josephs van der Schott mich in meinen vorbereitenden Studien ausnehmend förderten; ich durchzog mit Leopold von Buch, von dem seitdem ein treffliches Werk über Lappland erschienen ist, mehrere Teile des Salzburger Landes und Steiermark, Länder, die für den Geologen und den Landschaftsmaler gleich viel Anziehendes haben; als ich aber über die Tiroler Alpen gehen wollte, sah ich mich durch den in ganz Italien ausgebrochenen Krieg genötigt, den Plan der Reise nach Neapel aufzugeben.

Kurz zuvor hatte ein leidenschaftlicher Kunstfreund, der bereits die Küsten Illyriens und Griechenlands als Altertumsforscher besucht hatte, mir den Vorschlag gemacht, ihn auf einer Reise nach Oberägypten zu begleiten. Der Ausflug sollte nur acht Monate dauern; geschickte Zeichner und astronomische Werkzeuge sollten uns begleiten, und so wollten wir den Nil bis Assuan hinaufgehen und den zwischen Tentyris und den Katarakten gelegenen Teil des Saïd genau untersuchen. Ich hatte bis jetzt bei meinen Plänen nie ein außertropisches Land im Auge gehabt, dennoch konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, Länder zu besuchen, die in der Geschichte der Kultur eine so bedeutende Rolle spielen. Ich nahm den Vorschlag an, aber unter der ausdrücklichen Bedingung, daß ich bei der Rückkehr nach Alexandrien allein durch Syrien und Palästina weiterreisen dürfte. Sofort richtete ich meine Studien nach dem neuen Plane ein, was mir später zu gute kam, als es sich davon handelte, die rohen Denkmale der Mexikaner mit denen der Völker der Alten Welt zu vergleichen. Ich hatte die nahe Aussicht, mich nach Aegypten einzuschiffen, da nötigten mich die eingetretenen politischen Verhältnisse, eine Reise aufzugeben, die mir so großen Genuß versprach. Im Orient standen die Dinge so, daß ein einzelner Reisender gar keine Aussicht hatte, dort Studien machen zu können, welche selbst in den ruhigsten Zeiten von den Regierungen mit mißtrauischem Auge angesehen werden.

Zur selben Zeit war in Frankreich eine Entdeckungsreise in die Südsee unter dem Befehl des Kapitäns Baudin im Werk. Der ursprüngliche Plan war großartig, kühn, und hätte verdient, unter umsichtigerer Leitung ausgeführt zu werden. Man wollte die spanischen Besitzungen in Südamerika von der Mündung des Rio de la Plata bis zum Königreich Quito und der Landenge von Panama besuchen. Die zwei Korvetten sollten sofort über die Inselwelt des Stillen Meeres nach Neuholland gelangen, die Küsten desselben von Vandiemensland bis Nuytsland untersuchen, bei Madagaskar anlegen und über das Kap der guten Hoffnung zurückkehren. Ich war nach Paris gekommen, als man sich eben zu dieser Reise zu rüsten begann. Der Charakter des Kapitäns Baudin war eben nicht geeignet, mir Vertrauen einzuflößen; der Mann hatte meinen Freund, den jungen Botaniker van der Schott, nach Brasilien gebracht, und der Wiener Hof war dabei mit ihm schlecht zufrieden gewesen; da ich aber mit eigenen Mitteln nie eine so weite Reise unternehmen und ein so schönes Stück der Welt hätte kennen lernen können, so entschloß ich mich, auf gutes Glück die Expedition mitzumachen. Ich erhielt Erlaubnis, mich mit meinen Instrumenten auf einer der Korvetten, die nach der Südsee gehen sollten, einzuschiffen, und machte nur zur Bedingung, daß ich mich von Kapitän Baudin trennen dürfte, wo und wann es mir beliebte. Michaux, der bereits Persien und einen Teil von Nordamerika besucht hatte, und Bonpland, dem ich mich anschloß, und der mir seitdem aufs innigste befreundet geblieben, sollten die Reise als Naturforscher mitmachen.

Ich hatte mich einige Monate lang darauf gefreut, an einer so großen und ehrenvollen Unternehmung teilnehmen zu dürfen, da brach der Krieg in Deutschland und in Italien von neuem aus, so daß die französische Regierung die Geldmittel, die sie zu der Entdeckungsreise angewiesen, zurückzog und dieselbe auf unbestimmte Zeit verschob. Mit Kummer sah ich alle meine Aussichten vernichtet, ein einziger Tag hatte dem Plane, den ich für mehrere Lebensjahre entworfen, ein Ende gemacht; da beschloß ich nur so bald als möglich, wie es auch sei, von Europa wegzukommen, irgend etwas zu unternehmen, das meinen Unmut zerstreuen könnte.

Ich wurde mit einem schwedischen Konsul, Skiöldebrand, bekannt, der dem Dei von Algier Geschenke von seiten seines Hofes zu überbringen hatte und durch Paris kam, um sich in Marseille einzuschiffen. Dieser achtungswerte Mann war lange auf der afrikanischen Küste angestellt gewesen, und da er bei der algerischen Regierung gut angeschrieben war, konnte er für mich auswirken, daß ich den Teil der Atlaskette bereisen durfte, auf den sich die bedeutenden Untersuchungen von Desfontaines nicht erstreckt hatten. Er schickte jedes Jahr ein Fahrzeug nach Tunis, auf dem die Pilger nach Mekka gingen, und er versprach mir, mich auf diesem Wege nach Aegypten zu befördern. Ich besann mich keinen Augenblick, eine so gute Gelegenheit zu benutzen, und ich meinte nunmehr den Plan, den ich vor meiner Reise nach Frankreich entworfen, sofort ausführen zu können. Bis jetzt hatte kein Mineralog die hohe Bergkette untersucht, die in Marokko bis zur Grenze des ewigen Schnees aufsteigt. Ich konnte darauf rechnen, daß ich, nachdem ich in den Alpenstrichen der Berberei einiges für die Wissenschaft gethan, in Aegypten bei den bedeutenden Gelehrten, die seit einigen Monaten zum Institut von Kairo zusammengetreten waren, dasselbe Entgegenkommen fand, das mir in Paris in so reichem Maße zu teil geworden. Ich ergänzte rasch meine Sammlung von Instrumenten und verschaffte mir die Werke über die zu bereisenden Länder. Ich nahm Abschied von meinem Bruder, der durch Rat und Beispiel meine Geistesrichtung hatte bestimmen helfen. Er billigte die Beweggründe meines Entschlusses, Europa zu verlassen; eine geheime Stimme sagte uns, daß wir uns wiedersehen würden. Diese Hoffnung hat uns auch nicht betrogen, und sie linderte den Schmerz einer langen Trennung. Ich verließ Paris mit dem Entschluß, mich nach Algier und Aegypten einzuschiffen, und wie nun einmal der Zufall in allem Menschenleben regiert, ich sah bei der Rückkehr vom Amazonenstrom und aus Peru meinen Bruder wieder, ohne das Festland von Afrika betreten zu haben.

Die schwedische Fregatte, welche Skiöldebrand nach Algier überführen sollte, wurde zu Marseille in den letzten Tagen Oktobers erwartet. Bonpland und ich begaben uns um diese Zeit dahin, und eilten um so mehr, da wir während der Reise immer besorgten, zu spät zu kommen und das Schiff zu versäumen. Wir ahnten nicht, welche neuen Widerwärtigkeiten uns zunächst bevorstanden.

Skiöldebrand war so ungeduldig als wir, seinen Bestimmungsort zu erreichen. Wir bestiegen mehrmals im Tage den Berg Notre Dame de la Garde, von dem man weit ins Mittelmeer hinausblickt. Jedes Segel, das am Horizont sichtbar wurde, setzte uns in Aufregung; aber nachdem wir zwei Monate in großer Unruhe vergeblich geharrt, ersahen wir aus den Zeitungen, daß die schwedische Fregatte, die uns überführen sollte, in einem Sturm an den Küsten von Portugal stark gelitten und in den Hafen von Cadiz habe einlaufen müssen, um ausgebessert zu werden. Privatbriefe bestätigten die Nachricht, und es war gewiß, daß der Jaramas – so hieß die Fregatte – vor dem Frühjahr nicht nach Marseille kommen konnte.

Wir konnten es nicht über uns gewinnen, bis dahin in der Provence zu bleiben. Das Land, zumal das Klima, fanden wir herrlich; aber der Anblick des Meeres mahnte uns fortwährend an unsere zertrümmerten Hoffnungen. Auf einem Ausflug nach Hyères und Toulon fanden wir in letzterem Hafen die Fregatte Boudeuse, die Bougainville auf seiner Reise um die Welt befehligt hatte. Ich hatte mich zu Paris, als ich mich rüstete, die Expedition des Kapitäns Baudin mitzumachen, des besondern Wohlwollens des berühmten Seefahrers zu erfreuen gehabt. Nur schwer vermöchte ich zu schildern, was ich beim Anblick des Schiffes empfand, das Commerson auf die Inseln der Südsee gebracht. Es gibt Stimmungen, in denen sich ein Schmerzgefühl in alle unsere Empfindungen mischt.

Wir hielten immer noch am Gedanken fest, uns an die afrikanische Küste zu begeben, und dieser zähe Entschluß wäre uns beinahe verderblich geworden. Im Hafen von Marseille lag zur Zeit ein kleines ragusanisches Fahrzeug, bereit nach Tunis unter Segel zu gehen. Dies schien uns eine günstige Gelegenheit; wir kamen ja auf diese Weise in die Nähe von Aegypten und Syrien. Wir wurden mit dem Kapitän wegen des Ueberfahrtspreises einig; am folgenden Tage sollten wir unter Segel gehen, aber die Abreise verzögerte sich glücklicherweise durch einen an sich ganz unbedeutenden Umstand. Das Vieh, das uns als Proviant auf der Ueberfahrt dienen sollte, war in der großen Kajütte untergebracht. Wir verlangten, daß zur Bequemlichkeit der Reisenden und zur sicheren Unterbringung unserer Instrumente das Notwendigste vorgekehrt werde. Allermittelst erfuhr man in Marseille, daß die tunesische Regierung die in der Berberei niedergelassenen Franzosen verfolge, und daß alle aus französischen Häfen ankommenden Personen ins Gefängnis geworfen würden. Durch diese Kunde entgingen wir einer großen Gefahr; wir mußten die Ausführung unserer Pläne verschieben und entschlossen uns, den Winter in Spanien zuzubringen, in der Hoffnung, uns im nächsten Frühjahr, wenn anders die politischen Zustände im Orient es gestatteten, in Cartagena oder in Cadiz einschiffen zu können.

Wir reisten durch Katalonien und das Königreich Valencia nach Madrid. Wir besuchten auf dem Wege die Trümmer Tarragonas und des alten Sagunt, machten von Barcelona aus einen Ausflug auf den Montserrat, dessen hochaufragende Gipfel von Einsiedlern bewohnt sind, und der durch die Kontraste eines kräftigen Pflanzenwuchses und nackter, öder Felsmassen ein eigentümliches Landschaftsbild bietet. Ich fand Gelegenheit, durch astronomische Rechnung die Lage mehrerer für die Geographie Spaniens wichtiger Punkte zu bestimmen; ich maß mittels des Barometers die Höhe des Centralplateaus und stellte einige Beobachtungen über die Inklination der Magnetnadel und die Intensität der magnetischen Kraft an. Die Ergebnisse dieser Beobachtungen sind für sich erschienen, und ich verbreite mich hier nicht weiter über die Naturbeschaffenheit eines Landes, in dem ich mich nur ein halbes Jahr aufhielt, und das in neuerer Zeit von so vielen unterrichteten Männern bereist worden ist.

Zu Madrid angelangt, fand ich bald Ursache mir Glück dazu zu wünschen, daß wir uns entschlossen, die Halbinsel zu besuchen. Der Baron Forell, sächsischer Gesandter am spanischen Hofe, kam mir auf eine Weise entgegen, die meinen Zwecken sehr förderlich wurde. Er verband mit ausgebreiteten mineralogischen Kenntnissen das regste Interesse für Unternehmungen zur Förderung der Wissenschaft. Er bedeutete mir, daß ich unter der Verwaltung eines aufgeklärten Ministers, des Ritters Don Mariano Luis de Urquijo, Aussicht habe, auf meine Kosten im Inneren des spanischen Amerikas reisen zu dürfen. Nach all den Widerwärtigkeiten, die ich erfahren, besann ich mich keinen Augenblick, diesen Gedanken zu ergreifen.

Im März 1799 wurde ich dem Hofe von Aranjuez vorgestellt. Der König nahm mich äußerst wohlwollend auf. Ich entwickelte die Gründe, die mich bewogen, eine Reise in den neuen Kontinent und auf die Philippinen zu unternehmen, und reichte dem Staatssekretär eine darauf bezügliche Denkschrift ein. Der Ritter d'Urquijo unterstützte mein Gesuch und räumte alle Schwierigkeiten aus dem Wege. Der Minister handelte hierbei desto großmütiger, da ich in gar keiner persönlichen Beziehung zu ihm stand. Der Eifer, mit dem er fortwährend meine Absichten unterstützte, hatte keinen anderen Beweggrund als seine Liebe zu den Wissenschaften. Es wird mir zur angenehmen Pflicht, in diesem Werke der Dienste, die er mir erwiesen, dankbar zu gedenken.

Ich erhielt zwei Pässe, den einen vom ersten Staatssekretär, den anderen vom Rat von Indien. Nie war einem Reisenden mit der Erlaubnis, die man ihm erteilte, mehr zugestanden worden, nie hatte die spanische Regierung einem Fremden größeres Vertrauen bewiesen. Um alle Bedenken zu beseitigen, welche die Vizekönige oder Generalkapitäne, als Vertreter der königlichen Gewalt in Amerika, hinsichtlich des Zweckes und Wesens meiner Beschäftigungen erheben könnten, hieß es im Paß der primera secretaria de estado: »ich sei ermächtigt, mich meiner physikalischen und geodätischen Instrumente mit voller Freiheit zu bedienen; ich dürfe in allen spanischen Besitzungen astronomische Beobachtungen anstellen, die Höhen der Berge messen, die Erzeugnisse des Bodens sammeln und alle Operationen ausführen, die ich zur Förderung der Wissenschaft vorzunehmen gut finde«. Diese Befehle von seiten des Hofes wurden genau befolgt, auch nachdem infolge der Ereignisse Don d'Urquijo vom Ministerium hatte abtreten müssen. Ich meinerseits war bemüht, diese sich nie verleugnende Freundlichkeit zu erwidern. Ich übergab während meines Aufenthaltes in Amerika den Statthaltern der Provinzen Abschriften des von mir gesammelten Materials über die Geographie und Statistik der Kolonieen, das dem Mutterlande von einigem Wert sein konnte. Dem von mir vor meiner Abreise gegebenen Versprechen gemäß übermachte ich dem naturhistorischen Kabinett zu Madrid mehrere geologische Sammlungen. Da der Zweck unserer Reise ein rein wissenschaftlicher war, so hatten Bonpland und ich das Glück, uns das Wohlwollen der Kolonisten wie der mit der Verwaltung dieser weiten Landstriche betrauten Europäer zu erwerben. In den fünf Jahren, während deren wir den neuen Kontinent durchzogen, sind wir niemals einer Spur von Mißtrauen begegnet. Mit Freude spreche ich es hier aus: unter den härtesten Entbehrungen, im Kampfe mit einer wilden Natur haben wir uns nie über menschliche Ungerechtigkeit zu beklagen gehabt.

Verschiedene Gründe hätten uns eigentlich bewegen sollen, noch länger in Spanien zu verweilen. Abbé Cavanilles, ein Mann gleich geistreich wie mannigfaltig unterrichtet, Née, der mit Hänke die Expedition Malaspinas als Botaniker mitgemacht und allein eine der größten Kräutersammlungen, die man je in Europa gesehen, zusammengebracht hat, Don Casimir Ortega, Abbé Pourret und die gelehrten Verfasser der Flora von Peru, Ruiz und Papon, stellten uns ihre reichen Sammlungen zur unbeschränkten Verfügung. Wir untersuchten zum Teil die mexikanischen Pflanzen, die von Sesse, Mociño und Cervantes entdeckt worden, und von denen Abbildungen an das naturhistorische Museum zu Madrid gelangt waren. In dieser großen Anstalt, die unter der Leitung Clavijos stand, des Herausgebers einer gefälligen Uebersetzung der Werke Buffons, fanden wir allerdings keine geologischen Suiten aus den Kordilleren; aber Proust, der sich durch die große Genauigkeit seiner chemischen Arbeiten bekannt gemacht hat, und ein ausgezeichneter Mineralog, Hergen, gaben uns interessante Nachweisungen über verschiedene mineralische Substanzen Amerikas. Mit bedeutendem Nutzen hätten wir uns wohl noch länger mit den Naturprodukten der Länder beschäftigt, die das Ziel unserer Forschungen waren, aber es drängte uns zu sehr, von der Vergünstigung, die der Hof uns gewährt, Gebrauch zu machen, als daß wir unsere Abreise hätten verschieben können. Seit einem Jahre war ich so vielen Hindernissen begegnet, daß ich es kaum glauben konnte, daß mein sehnlichster Wunsch endlich in Erfüllung gehen sollte.

Wir verließen Madrid gegen die Mitte Mais. Wir reisten durch einen Teil von Altkastilien, durch das Königreich Leon und Galicien nach Coruña, wo wir uns nach der Insel Cuba einschiffen sollten. Der Winter war streng und lang gewesen, und jetzt genossen wir auf der Reise der milden Frühlingstemperatur, die schon so weit gegen Süd gewöhnlich nur den Monaten Mai und April eigen ist. Schnee bedeckte noch die hohen Granitgipfel der Guadarrama; aber in den tiefen Thälern Galiciens, welche an die malerischen Landschaften der Schweiz und Tirols erinnern, waren alle Felsen mit Cistus in voller Blüte und baumartigem Heidekraut überzogen. Man ist froh, wenn man die kastilische Hochebene hinter sich hat, welche fast ganz von Pflanzenwuchs entblößt, und wo es im Winter empfindlich kalt, im Sommer drückend heiß ist. Nach den wenigen Beobachtungen, die ich selbst anstellen konnte, besteht das Innere Spaniens aus einer weiten Ebene, die 584 m über dem Spiegel des Meeres mit sekundären Gebirgsbildungen, Sandstein, Gips, Steinsalz, Jurakalk bedeckt ist; das Klima von Kastilien ist weit kälter als das von Toulon und Genua; die mittlere Temperatur erreicht kaum 15ºder hundertteiligen Skale. Man wundert sich, daß unter der Breite von Kalabrien, Thessalien und Kleinasien die Orangenbäume im Freien nicht mehr fortkommen. Die Hochebene in der Mitte des Landes ist umgeben von einer tiefgelegenen, schmalen Zone, wo an mehreren Punkten Chamärops, der Dattelbaum, das Zuckerrohr, die Banane und viele Spanien und dem nördlichen Afrika gemeinsame Pflanzen vorkommen, ohne vom Winterfrost zu leiden. Unter dem 36. bis 40. Grad der Breite beträgt die mittlere Temperatur dieser Zone 17 bis 20º, und durch den Verein von Verhältnissen, die hier nicht aufgezählt werden können, ist dieser glückliche Landstrich der vornehmste Sitz des Gewerbfleißes und der Geistesbildung geworden.

Kommt man im Königreich Valencia von der Küste des Mittelmeeres gegen die Hochebene von Mancha und Kastilien herauf, so meint man, tief im Lande, in weithin gestreckten schroffen Abhängen die alte Küste der Halbinsel vor sich zu haben. Dieses merkwürdige Phänomen erinnert an die Sagen der Samothraker und andere geschichtliche Zeugnisse, welche darauf hinzuweisen scheinen, daß durch den Ausbruch der Wasser aus den Dardanellen das Becken des Mittelmeeres erweitert und der südliche Teil Europas zerrissen und vom Mittelmeer verschlungen worden ist. Nimmt man an, diese Sagen seien keine geologischen Träume, sondern beruhen wirklich auf der Erinnerung an eine uralte Umwälzung, so hätte die spanische Centralhochebene dem Anprall der gewaltigen Fluten widerstanden, bis die Wasser durch die zwischen den Säulen des Herkules sich bildende Meerenge abflossen, so daß der Spiegel des Mittelmeeres allmählich sank und einerseits Niederägypten, andererseits die fruchtbaren Ebenen von Tarragona, Valencia und Murcia trocken gelegt wurden. Was mit der Bildung dieses Meeres zusammenhängt, dessen Dasein von so bedeutendem Einfluß auf die frühesten Kulturbewegungen der Menschheit war, ist von ganz besonderem Interesse. Man könnte denken, Spanien, das sich als ein Vorgebirge inmitten der Meere darstellt, verdanke seine Erhaltung seinem hochgelegenen Boden; ehe man aber auf solche theoretische Vorstellungen Gewicht legt, müßte man erst die Bedenken beseitigen, die sich gegen die Durchbrechung so vieler Dämme erheben, müßte man wahrscheinlich zu machen suchen, daß das Mittelmeer einst in mehrere abgeschlossene Becken geteilt gewesen, deren alte Grenzen durch Sizilien und die Insel Kandia angedeutet scheinen. Die Lösung diese Probleme soll uns hier nicht beschäftigen, wir beschränken uns darauf, auf den auffallenden Kontrast in der Gestaltung des Landes am östlichen und am westlichen Ende Europas aufmerksam zu machen. Zwischen dem Baltischen und dem Schwarzen Meer erhebt sich das Land gegenwärtig kaum 97,5 m über den Spiegel des Ozeans, während die Hochebene von Mancha, wenn sie zwischen den Quellen des Niemen und des Dnjepr läge, sich als eine Gebirgsgruppe von bedeutender Höhe darstellen würde. Es ist höchst anziehend, auf die Ursachen zurückzugehen, durch welche die Oberfläche unseres Planeten umgestaltet worden sein mag; sicherer ist es aber, sich an diejenigen Seiten der Erscheinungen zu halten, welche der Beobachtung und Messung des Forschers zugänglich sind.

Zwischen Astorga und Coruña, besonders von Lugo an, werden die Berge allmählich höher. Die sekundären Gebirgsbildungen verschwinden mehr und mehr, und die Uebergangsgebirgsarten, die sie ablösen, verkünden die Nähe des Urgebirges. Wir sahen ansehnliche Berge aufgebaut aus altem Sandstein, den die Mineralogen der Freiberger Schule als Grauwacke und Grauwackenschiefer aufführen. Ich weiß nicht, ob diese Formation, die im südlichen Europa nicht häufig vorkommt, auch in anderen Strichen Spaniens aufgefunden worden ist. Eckige Bruchstücke von lydischem Stein, die in den Thälern am Boden liegen, schienen uns darauf zu deuten, daß die Grauwacke dem Uebergangsschiefer aufgelagert ist. Bei Coruña selbst erheben sich Granitgipfel, die bis zum Kap Ortegal fortstreichen. Diese Granite, welche einst mit denen in Bretagne und Wales in Zusammenhang gestanden haben mögen, sind vielleicht die Trümmer einer von den Fluten zertrümmerten und verschlungenen Bergkette. Schöne große Feldspatkristalle sind für dieses Gestein charakteristisch, Zinnstein ist darin eingesprengt, und von den Galiciern wird darauf ein mühsamer, wenig ergiebiger Bergbau betrieben.

In Coruña angelangt, fanden wir den Hafen von zwei englischen Fregatten und einem Linienschiff blockiert. Diese Fahrzeuge sollten den Verkehr zwischen dem Mutterlande und den Kolonieen in Amerika unterbrechen; denn von Coruña, nicht von Cadiz lief damals jeden Monat ein Paketboot ( Correo maritimo) nach der Havana aus, und alle zwei Monate ein anderes nach Buenos Ayres oder der Mündung des La Plata. Ich werde später den Zustand der Posten auf dem neuen Kontinent genau beschreiben; hier nur so viel, daß seit dem Ministerium des Grafen Florida Blanca der Dienst der »Landkuriere« so gut eingerichtet ist, daß einer in Paraguay oder in der Provinz Jaen de Bracamoros nur durch sie ziemlich regelmäßig mit einem in Neumexiko oder an der Küste von Neukalifornien korrespondiern kann, also so weit, als es von Paris nach Siam oder von Wien an das Kap der guten Hoffnung ist. Ebenso gelangt ein Brief, den man in einer kleinen Stadt in Aragonien zur Post gibt, nach Chile oder in die Missionen am Orinoko, wenn nur der Name des Corregimiento oder Bezirkes, in dem das betreffende indianische Dorf liegt, genau angegeben ist. Mit Vergnügen verweilt der Gedanke bei Einrichtungen, die für eine der größten Wohlthaten der Kultur der neueren Zeit gelten können. Die Einrichtung der Kuriere zur See und im inneren Lande hat das Band zwischen den Kolonieen unter sich und mit dem Mutterlande enger geknüpft. Der Gedankenaustausch wurde dadurch beschleunigt, die Beschwerden der Kolonisten drangen leichter nach Europa und die Staatsgewalt konnte hin und wieder Bedrückungen ein Ende machen, die sonst aus so weiter Ferne nie zu ihrer Kenntnis gelangt wären.

Der Minister hatte uns ganz besonders dem Brigadier Don Rafael Clavijo empfohlen, der seit kurzem die Oberaufsicht über die Seeposten hatte. Dieser Offizier, bekannt als ausgezeichneter Schiffsbauer, war in Coruña mit der Einrichtung neuer Werfte beschäftigt. Er bot alles auf, um uns den Aufenthalt im Hafen angenehm zu machen, und gab uns den Rat, uns auf der Korvette Nach dem spanischen Sprachgebrauch war der Pizarro eine leichte Fregatte ( Fregata lijera). Pizarro einzuschiffen, die nach der Havana und Mexiko ging. Dieses Fahrzeug, das die Post für Juni an Bord hatte, sollte mit der Alcudia segeln, dem Paketboot für den Mai, das wegen der Blockade seit drei Wochen nicht hatte auslaufen können. Der Pizarro galt für keinen guten Segler, aber durch einen glücklichen Zufall war er vor kurzem auf seiner langen Fahrt vom Rio de la Plata nach Coruña den kreuzenden englischen Fahrzeugen entgangen. Clavijo ließ an Bord der Korvette Einrichtungen treffen, daß wir unsere Instrumente aufstellen und während der Ueberfahrt unsere chemischen Versuche über die atmosphärische Luft vornehmen konnten. Der Kapitän des Pizarro erhielt Befehl, bei Tenerifa so lange anzulegen, daß wir den Hafen von Orotava besuchen und den Gipfel des Piks besteigen könnten.

Die Einschiffung verzögerte sich nur zehn Tage, dennoch kam uns der Aufenthalt gewaltig lang vor. Wir benutzten die Zeit, die Pflanzen einzulegen, die wir in den schönen, noch von keinem Naturforscher betretenen Thälern Galiciens gesammelt; wir untersuchten die Tange und Weichtiere, welche die Flut von Nordwest her in Menge an den Fuß des steilen Felsens wirft, auf dem der Wachtturm des Herkules steht. Dieser Turm, auch »der eiserne Turm« genannt, wurde im Jahre 1788 restauriert. Er ist 30 m hoch, seine Mauern sind 1,46 m dick, und nach seiner Bauart ist er unzweifelhaft ein Werk der Römer. Eine in der Nähe der Fundamente gefundene Inschrift, von der ich durch Herrn de Labordes' Gefälligkeit eine Abschrift besitze, besagt, der Turm sei von Cajus Servius Lupus, Architekten der Stadt Aqua Flavia (Chaves), erbaut und dem Mars geweiht. Warum heißt der eiserne Turm der Herkulesturm? Sollten ihn die Römer auf den Trümmern eines griechischen oder phönizischen Bauwerkes errichtet haben? Wirklich behauptet Strabo, Galicien, das Land der Galläci, sei von griechischen Kolonieen bevölkert gewesen. Nach einer Angabe des Asklepiades von Myrtäa in seiner Geographie von Spanien hätten sich nach einer alten Sage die Gefährten des Herkules in diesen Landstrichen niedergelassen. Die Phönizier und die Griechen besuchten die Küsten von Galicien (Gallaecia) wegen des Handels mit Zinn, das sie von hier wie von den Kassiteridischen Inseln bezogen.

Die Höhen von Ferrol und Coruña sind an derselben Bai gelegen, so daß ein Schiff, das bei schlimmem Wetter gegen das Land getrieben wird, je nach der Richtung des Windes, im einen oder im anderen Hafen vor Anker gehen kann. Ein solcher Vorteil ist unschätzbar in Strichen, wo die See fast beständig hoch geht, wie zwischen den Vorgebirgen Ortegal und Finisterre, den Vorgebirgen Trileucum und Artabrum der alten Geographen. Ein enger, von steilen Granitfelsen gebildeter Kanal führt in das weite Becken von Ferrol. In ganz Europa findet sich kein zweiter Ankerplatz, der so merkwürdig weit ins Land hineinschnitte. Dieser enge, geschlängelte Paß, durch den die Schiffe in den Hafen gelangen, sieht aus, als wäre er durch eine Flut oder durch wiederholte Stöße ungemein heftiger Erdbeben eingerissen. In der Neuen Welt, an der Küste von Neuandalusien, hat die Laguna del Opisco, der »Bischofssee«, genau dieselbe Gestalt wie der Hafen von Ferrol. Die auffallendsten geologischen Erscheinungen wiederholen sich auf den Festländern an weit entlegenen Punkten, und der Forscher, der Gelegenheit gehabt, verschiedene Weltteile zu sehen, erstaunt über die durchgehende Gleichförmigkeit im Ausschnitt der Küsten, im krummen Zug der Thäler, im Anblick der Berge und ihrer Gruppierung. Das zufällige Zusammentreffen derselben Ursachen mußte allerorten dieselben Wirkungen hervorbringen, und mitten aus der Mannigfaltigkeit der Natur tritt uns in der Anordnung der toten Stoffe, wie in der Organisation der Pflanzen und Tiere eine gewisse Uebereinstimmung in Bau und Gestaltung entgegen.

Auf der Ueberfahrt von Coruña nach Ferrol machten wir über eine Untiefe beim »weißen Signal«, in der Bai, die nach d'Anville der portus magnus der Alten war, mittels einer Thermometersonde mit Ventilen einige Beobachtungen über die Temperatur der See und über die Abnahme der Wärme in den übereinander gelagerten Wasserschichten. Ueber der Bank zeigte das Instrument an der Meeresfläche 12,5 bis 13,3º der hundertteiligen Skale, während ringsumher, wo das Meer sehr tief war, der Thermometer bei 12,8º Lufttemperatur auf 15 bis 15,3º stand. Der berühmte Franklin und Jonathan Williams, der Verfasser des zu Philadelphia erschienenen Werkes » Thermometric Navigation«, haben zuerst die Physiker darauf aufmerksam gemacht, wie abweichend sich die Temperaturverhältnisse der See über Untiefen gestalten, sowie in der Zone warmer Wasserströme, die aus dem Meerbusen von Mexiko zur Bank von Neufundland und hinüber an die Nordküsten von Europa sich erstreckt. Die Beobachtung, daß sich die Nähe einer Sandbank durch ein rasches Sinken der Temperatur an der Meeresfläche verkündet, ist nicht nur für die Physik von Wichtigkeit, sie kann auch für die Sicherheit der Schiffahrt von großer Bedeutung werden. Allerdings wird man über dem Thermometer das Senkblei nicht aus der Hand legen: aber Beobachtungen, wie ich sie im Verlauf dieser Reisebeschreibung anführen werde, thun zur Genüge dar, daß ein Temperaturwechsel, den die unvollkommensten Instrumente anzeigen, die Gefahr verkündet, lange bevor das Schiff über die Untiefe gelangt. In solchen Fällen mag die Abnahme der Meerestemperatur den Schiffer veranlassen, zum Senkblei zu greifen in Strichen, wo er sich vollkommen sicher dünkte. Auf die physischen Ursachen dieser verwickelten Erscheinungen kommen wir anderswo zurück. Hier sei nur erwähnt, daß die niedrigere Temperatur des Wassers über den Untiefen großenteils daher rührt, daß es sich mit tieferen Wasserschichten mischt, welche längs der Abhänge der Bank zur Meeresfläche aufsteigen.

Eine Aufregung des Meeres von Nordwest her unterbrach unsere Versuche über die Meerestemperatur in der Bai von Ferrol. Die Wellen gingen so hoch, weil auf offener See ein heftiger Wind geweht hatte, in dessen Folge die englischen Schiffe sich hatten von der Küste entfernen müssen. Man wollte die Gelegenheit zum Auslaufen benutzen; man schiffte alsbald unsere Instrumente, unsere Bücher, unser ganzes Gepäck ein; aber der Westwind wurde immer stärker und man konnte die Anker nicht lichten. Wir benutzten den Aufschub, um an unsere Freunde in Deutschland und Frankreich zu schreiben. Der Augenblick, wo man zum erstenmal von Europa scheidet, hat etwas Ergreifendes. Wenn man sich noch so bestimmt vergegenwärtigt, wie stark der Verkehr zwischen beiden Welten ist, wie leicht man bei den großen Fortschritten der Schiffahrt über den Atlantischen Ozean gelangt, der, der Südsee gegenüber, ein nicht sehr breiter Meeresarm ist, das Gefühl, mit dem man zum erstenmal eine weite Seereise antritt, hat immer etwas tief Aufregendes. Es gleicht keiner der Empfindungen, die uns von früher Jugend auf bewegt haben. Getrennt von den Wesen, an denen unser Herz hängt, im Begriff, gleichsam den Schritt in ein neues Leben zu thun, ziehen wir uns unwillkürlich in uns selbst zusammen und über uns kommt ein Gefühl des Alleinseins, wie wir es nie empfunden.

Unter den Briefen, die ich kurz vor unserer Einschiffung schrieb, befand sich einer, der für die Richtung unserer Reise und den Verlauf unserer späteren Forschungen sehr folgereich wurde. Als ich Paris verließ, um die Küste von Afrika zu besuchen, schien die Entdeckungsreise in die Südsee auf mehrere Jahre verschoben. Ich hatte mit Kapitän Baudin die Verabredung getroffen, daß ich, wenn er wider Vermuten die Reise früher antreten könnte und ich davon Kenntnis bekäme, von Algier aus in einen französischen oder spanischen Hafen eilen wolle, um die Expedition mitzumachen. Im Begriff in die Neue Welt abzugehen, wiederholte ich jetzt dieses Versprechen. Ich schrieb Kapitän Baudin, wenn die Regierung ihn auch jetzt noch den Weg um Kap Horn nehmen lassen wolle, so werde ich mich bemühen, mit ihm zusammenzutreffen, in Montevideo, in Chile, in Lima, wo immer er in den spanischen Kolonieen anlegen möchte. Treu dieser Zusage, änderte ich meinen Reiseplan, sobald die amerikanischen Blätter im Jahre 1801 die Nachricht brachten, die französische Expedition sei von Havre abgegangen, um von Ost nach West die Welt zu umsegeln. Ich mietete ein kleines Fahrzeug und ging von Batabano auf der Insel Cuba nach Portobelo und von da über die Landenge an die Küste der Südsee. Infolge einer falschen Zeitungsnachricht haben Bonpland und ich über 3600 km in einem Lande gemacht, das wir gar nicht hatten bereisen wollen. Erst in Quito erfuhren wir durch einen Brief Delambres, des beständigen Sekretärs der ersten Klasse des Institutes, daß Kapitän Baudin um das Kap der guten Hoffnung gegangen und die West- und Ostküste Amerikas gar nicht berührt habe. Nicht ohne ein Gefühl von Wehmut gedenke ich einer Expedition, die mehrfach in mein Leben eingreift, und die kürzlich von einem Gelehrten Peron, der nach langen schmerzlichen Leiden im 35. Jahre der Wissenschaft entrissen wurde. beschrieben worden ist, den die Menge der Entdeckungen, welche die Wissenschaft ihm dankt, und der aufopfernde Mut, den er auf seiner Laufbahn unter den härtesten Entbehrungen und Leiden bewiesen, gleich hoch stellen.

Ich hatte auf die Reise nach Spanien nicht meine ganze Sammlung physikalischer, geodätischer und astronomischer Werkzeuge mitnehmen können; ich hatte die Dubletten in Marseille in Verwahrung gegeben und wollte sie, sobald ich Gelegenheit gefunden hätte, an die Küste der Berberei zu gelangen, nach Algier oder Tunis nachkommen lassen. In ruhigen Zeiten ist Reisenden sehr zu raten, daß sie sich nicht mit allen ihren Instrumenten beladen; man läßt sie besser nachkommen, um nach einigen Jahren diejenigen zu ersetzen, die durch den Gebrauch oder auf dem Transport gelitten haben. Diese Vorsicht erscheint besonders dann geboten, wenn man zahlreiche Punkte durch rein chronometrische Mittel zu bestimmen hat. Aber während eines Seekrieges thut man klug, seine Instrumente, Handschriften und Sammlungen fortwährend bei sich zu haben. Wie wichtig dies ist, haben traurige Erfahrungen mir bewiesen. Unser Aufenthalt zu Madrid und Coruña war zu kurz, als daß ich den meteorologischen Apparat, den ich in Marseille gelassen, hätte von dort kommen lassen können. Nach unserer Rückkehr vom Orinoko gab ich Auftrag, mir denselben nach der Havana zu schicken, aber ohne Erfolg; weder dieser Apparat, noch die achromatischen Fernröhren und der Thermometer von Arnold, die ich in London bestellt, sind mir in Amerika zugekommen.

Getrennt von unseren Instrumenten, die sich am Bord der Korvette befanden, brachten wir noch zwei Tage in Coruña zu. Ein dichter Nebel, der den Horizont bedeckte, verkündete endlich die sehnlich erwartete Aenderung des Wetters. Am 4. Juni abends drehte sich der Wind nach Nordost, welche Windrichtung an der Küste von Galicien in der schönen Jahreszeit für sehr beständig gilt. Am fünften ging der Pizarro wirklich unter Segel, obgleich wenige Stunden zuvor die Nachricht angelangt war, eine englische Eskadre sei vom Wachtposten Sisarga signalisiert worden und scheine nach der Mündung des Tajo zu segeln. Die Leute, welche unsere Korvette die Anker lichten sahen, äußerten laut, ehe drei Tage vergehen, seien wir aufgebracht und mit dem Schiffe, dessen Los wir teilen müßten, auf dem Wege nach Lissabon. Diese Prophezeiung beunruhigte uns um so mehr, als wir in Madrid Mexikaner kennen gelernt hatten, die sich dreimal in Cadiz nach Veracruz eingeschifft hatten, jedesmal aber fast unmittelbar vor dem Hafen aufgebracht worden und über Portugal nach Spanien zurückgekehrt waren.

Um zwei Uhr nachmittags war der Pizarro unter Segel. Der Kanal, durch den man aus dem Hafen von Coruña fährt, ist lang und schmal; da er sich gegen Nord öffnet und der Wind uns entgegen war, mußten wir acht kleine Schläge machen, von denen drei so gut wie verloren waren. Gewendet wurde immer äußerst langsam, und einmal, unter dem Fort St. Amarro, schwebten wir in Gefahr, da uns die Strömung sehr nahe an die Klippen trieb, an denen sich das Meer mit Ungestüm bricht. Unsere Blicke hingen am Schloß St. Antonio, wo damals der unglückliche Malaspina als Staatsgefangener saß. Im Augenblick, da wir Europa verließen, um Länder zu besuchen, welche dieser bedeutende Forscher mit so vielem Erfolg bereist hat, hätte ich mit meinen Gedanken gern bei einem minder traurigen Gegenstande verweilt.

Um sechs ein halb Uhr kamen wir am Turm des Herkules vorüber, von dem oben die Rede war, der Coruña als Leuchtturm dient, und auf dem man seit den ältesten Zeiten ein Steinkohlenfeuer unterhält. Der Schein dieses Feuers steht in schlechtem Verhältnis mit dem schönen, stattlichen Bauwerk; es ist so schwach, daß die Schiffe es erst gewahr werden, wenn sie bereits Gefahr laufen zu stranden. Bei Einbruch der Nacht wurde die See sehr unruhig und der Wind bedeutend frischer. Wir steuerten gegen Nordwest, um nicht den englischen Fregatten zu begegnen, die, wie man glaubte, in diesen Strichen kreuzten. Gegen neun Uhr sahen wir das Licht in einer Fischerhütte von Sisarga, das letzte, was uns von der Küste von Europa zu Gesicht kam. Mit der zunehmenden Entfernung verschmolz der schwache Schimmer mit dem Licht der Sterne, die am Horizont aufgingen, und unwillkürlich blieben unsere Blicke daran hängen. Dergleichen Eindrücke vergißt einer nie, der in einem Alter, wo die Empfindung noch ihre volle Tiefe und Kraft besitzt, eine weite Seereise angetreten hat. Welche Erinnerungen werden in der Einbildungskraft wach, wenn so ein leuchtender Punkt in finsterer Nacht, der von Zeit zu Zeit aus den bewegten Wellen aufblitzt, die Küste des Heimatlandes bezeichnet!

Wir mußten die oberen Segel einziehen. Wir segelten zehn Knoten in der Stunde, obgleich die Korvette nicht zum Schnellsegeln gebaut war. Um sechs Uhr morgens wurde das Schlingern so heftig, daß die kleine Bramstenge brach. Der Unfall hatte indessen keine schlimmen Folgen. Wir brauchten zur Ueberfahrt von Coruña nach den Kanarien dreizehn Tage, und dies war lang genug, um uns in so stark befahrenen Strichen wie die Küsten von Portugal der Gefahr auszusetzen, auf englische Schiffe zu stoßen. Die ersten drei Tage zeigte sich kein Segel am Horizont, und dies beruhigte nachgerade unsere Mannschaft, die sich auf kein Gefecht einlassen konnte.

Am 7. liefen wir über den Parallelkreis von Kap Finisterre. Die Gruppe von Granitfelsen, die dieses Vorgebirge, wie das Vorgebirge Toriañes und den Berg Corcubion bilden, heißt Sierra de Toriñona. Das Kap Finisterre ist niedriger als das Land umher, aber die Toriñona ist auf hoher See 76,5 km weit sichtbar, woraus folgt, daß die höchsten Gipfel derselben nicht unter 582 m hoch sein können.

Am 8. bei Sonnenuntergang wurde von den Masten ein englisches Konvoi signalisiert, das gegen Südost an der Küste hinsteuerte. Ihm zu entgehen, wichen wir die Nacht hindurch aus unserem Kurs. Damit durften wir in der großen Kajütte kein Licht mehr haben, um nicht von weitem bemerkt zu werden. Diese Vorsicht, die an Bord aller Kauffahrer beobachtet wird und in dem Reglement für die Paketboote der königlichen Marine vorgeschrieben ist, brachte uns tödliche Langeweile auf den vielen Ueberfahrten, die wir in fünf Jahren zu machen hatten. Wir mußten uns fortwährend der Blendlaternen bedienen, um die Temperatur des Meerwassers zu beobachten oder an der Teilung der astronomischen Instrumente die Zahlen abzulesen. In der heißen Zone, wo die Dämmerung nur einige Minuten dauert, ist man unter diesen Umständen schon um sechs Uhr abends außer Thätigkeit gesetzt. Dies war für mich um so verdrießlicher, als ich vermöge meiner Konstitution nie seekrank wurde, und so oft ich an Bord eines Schiffes war, immer großen Trieb zur Arbeit fühlte.

Eine Fahrt von der spanischen Küste nach den Kanarien und von da nach Südamerika bietet wenig Bemerkenswertes, zumal in der guten Jahreszeit. Es ist weniger Gefahr dabei als oft bei der Ueberfahrt über die großen Schweizer Seen. Ich teile daher hier nur die allgemeinen Ergebnisse meiner magnetischen und meteorologischen Versuche in diesem Meeresstriche mit.

Am 9. Juni, unter 39º 50' der Breite und 16º 10' westlicher Länge vom Meridian der Pariser Sternwarte, fingen wir an die Wirkung der großen Strömung zu spüren, welche von den Azorischen Inseln nach der Meerenge von Gibraltar und nach den Kanarischen Inseln geht. Indem ich den Punkt, den mir der Gang der Berthoudschen Seeuhr angab, mit des Steuermanns Schätzung verglich, konnte ich die kleinsten Aenderungen in der Richtung und Geschwindigkeit der Strömungen bemerken. Zwischen dem 37. und 30. Breitengrade wurde das Schiff in 24 Stunden zuweilen 81 bis 117 km nach Ost getrieben. Anfänglich war die Richtung des Stromes Ost ¼ Südost, aber in der Nähe der Meerenge wurde sie genau Ost. Kapitän Macintosh und einer der gebildetsten Seefahrer unserer Zeit, Sir Erasmus Gower, haben die Veränderungen beobachtet, welche in dieser Bewegung des Wassers zu verschiedenen Zeiten des Jahres eintreten. Es kommt nicht selten vor, daß Schiffer, welche die Kanarischen Inseln besuchen, sich an der Küste von Lancerota befinden, während sie meinten, an Tenerifa landen zu können. Bougainville befand sich auf seiner Ueberfahrt vom Kap Finisterre nach den Kanarien im Angesicht der Insel Ferro um 4º weiter nach Ost, als seine Rechnung ihm ergab.

Gemeinhin erklärt man die Strömung, die sich zwischen den Azorischen Inseln, der Südküste von Portugal und den Kanarien merkbar macht, daraus, daß das Wasser des Atlantischen Ozeans durch die Meerenge von Gibraltar einen Zug nach Osten erhalte. De Fleurieu behauptet sogar in den Anmerkungen zur Reise des Kapitän Marchand, der Umstand, daß das Mittelmeer durch die Verdunstung mehr Wasser verliere, als die Flüsse einwerfen, bringe im benachbarten Weltmeer eine Bewegung hervor, und der Einfluß der Meerenge sei 2700 km weit auf offener See zu spüren. Bei aller Hochachtung, die ich einem Seefahrer schuldig bin, dessen mit Recht sehr geschätzten Werken ich viel zu danken habe, muß es mir gestattet sein, diesen wichtigen Gegenstand aus einem weit allgemeineren Gesichtspunkte zu betrachten.

Wirft man einen Blick auf das Atlantische Meer, oder das tiefe Thal, das die Westküsten von Europa und Afrika von den Ostküsten des neuen Kontinents trennt, so bemerkt man in der Bewegung der Wasser entgegengesetzte Richtungen. Zwischen den Wendekreisen, namentlich zwischen der afrikanischen Küste am Senegal und dem Meere der Antillen geht die allgemeine, den Seefahrern am längsten bekannte Strömung fortwährend von Morgen nach Abend. Dieselbe wird mit dem Namen Aequinoktialstrom bezeichnet. Die mittlere Geschwindigkeit derselben unter verschiedenen Breiten ist sich im Atlantischen Ozean und in der Südsee ungefähr gleich. Man kann sie auf 40 bis 45 km in 24 Stunden, somit auf 0,18 bis 0,21 m in der Sekunde schätzen. Ich habe die Beobachtungen, die ich in beiden Hemisphären anzustellen Gelegenheit gehabt, mit denen zusammengestellt, die in den Werken von Cook, Lapérouse, d'Entrecasteaux, Vancouver, Macartney, Krusenstern und Marchand gegeben sind, und danach schwankt die Geschwindigkeit der allgemeinen Strömung unter den Tropen zwischen 22,5 und 81 km in 24 Stunden, somit zwischen 0,096 und 0,384 m in der Sekunde. Die Geschwindigkeit, mit der die Wasser in diesen Strichen nach Westen strömen, ist etwa ein Vierteil von der der meisten großen europäischen Flüsse. Diese der Umdrehung des Erdballes entgegengesetzte Bewegung des Ozeans hängt mit jenem Phänomen wahrscheinlich nur insofern zusammen, als durch die Umdrehung der Erde die Polarwinde, welche in den unteren Luftschichten die kalte Luft aus den hohen Breiten dem Aequator zuführen, in Passatwinde umgewandelt werden. Der Aequinoktialstrom ist die Folge der allgemeinen Bewegung, in welche die Meeresfläche durch die Passatwinde versetzt wird, und lokale Schwankungen im Zustande der Luft bleiben ohne merkbaren Einfluß auf die Stärke und die Geschwindigkeit der Strömung.

Im Kanal, den der Atlantische Ozean zwischen Guyana und Guinea auf 20 bis 23 Längengrade, vom 8. oder 9. bis zum 2. oder 3. Grad nördlicher Breite gegraben hat, wo die Passatwinde häufig durch Winde aus Süd oder Süd-Süd-West unterbrochen werden, ist die Richtung des Aequinoktialstromes weniger konstant. Der afrikanischen Küste zu werden die Schiffe nach Südost fortgetrieben, während der Allerheiligenbai und dem Vorgebirge St. Augustin zu, denen die Schiffe, die nach der Mündung des La Plata steuern, nicht gern nahe kommen, der allgemeine Zug der Wasser durch eine besondere Strömung maskiert ist. Letztere Strömung ist vom Kap St. Roch bis zur Insel Trinidad fühlbar, sie ist gegen Nordwest gerichtet mit einer Geschwindigkeit von 32 bis 48 cm in der Sekunde.

Der Aequinoktialstrom ist, wenn auch schwach, sogar jenseits des Wendekreises des Krebses unter 26 und 28º der Breite fühlbar. Im weiten Becken des Atlantischen Ozeans, 3150 bis 3600 km von der afrikanischen Küste, beschleunigt sich der Lauf der europäischen Schiffe, welche nach den Antillen gehen, ehe sie in die heiße Zone gelangen. Weiter gegen Nord, unter dem 18. bis 35. Grad, zwischen den Parallelkreisen von Tenerifa und Ceuta, unter 46 und 48º der Länge, bemerkt man keine konstante Bewegung: denn eine 655 km breite Zone trennt den Aequinoktialstrom, der nach West geht, von der großen Wassermasse, die nach Ost strömt und sich durch auffallend hohe Temperatur auszeichnet. Auf diese Wassermasse, bekannt unter dem Namen Golfstrom ( Gulf-stream), sind die Physiker seit 1776 durch Franklins und Sir Charles Blagdens schöne Beobachtungen aufmerksam geworden. Da in neuerer Zeit amerikanische und englische Seefahrer eifrig bemüht sind, die Richtung desselben zu ermitteln, so müssen wir weiter ausholen, um einen allgemeinen Gesichtspunkt für das Phänomen zu gewinnen.

Der Aequinoktialstrom treibt die Wasser des Atlantischen Ozeans an die Küsten der Moskitoindianer und von Honduras. Der von Süd nach Nord gestreckte neue Kontinent hält diese Strömung aus wie ein Damm. Die Gewässer erhalten zuerst die Richtung nach Nordwest, gelangen durch die Meerenge zwischen Kap Catoche und Kap St. Antonio in den Meerbusen von Mexiko, und folgen den Krümmungen der mexikanischen Küste von Veracruz zur Mündung des Rio del Norte, und von da zur Mündung des Mississippi und den Untiefen westwärts von der Ostspitze von Florida. Nach dieser großen Drehung nach West, Nord, Ost und Süd nimmt die Strömung wieder die Richtung nach Nord und drängt sich mit Ungestüm in den Kanal von Bahama. Dort habe ich im Mai 1804, unter 26 und 27º der Breite, eine Geschwindigkeit von 360 km in 24 Stunden, also von 1,60 m in der Sekunde beobachtet, obgleich gerade ein sehr starker Nordwind wehte. Beim Ausgang des Kanals von Bahama, unter dem Parallel von Kap Cañaveral, kehrt sich der Golfstrom oder Strom von Florida nach Nordost. Er gleicht hier einem reißenden Strome und erreicht zuweilen die Geschwindigkeit von 22,5 km in der Stunde. Der Steuermann kann, sobald er den Rand der Strömung erreicht, mit ziemlicher Sicherheit abnehmen, um was er sich in seiner Schätzung geirrt, und wie weit er noch nach New York, Philadelphia oder Charlestown hat; die hohe Temperatur des Wassers, sein starker Salzgehalt, die indigoblaue Farbe und die schwimmenden Massen Tang, endlich die im Winter sehr merkbare Erhöhung der Lufttemperatur geben den Golfstrom zu erkennen. Gegen Norden nimmt seine Geschwindigkeit ab, während seine Breite zunimmt und die Gewässer sich abkühlen. Zwischen Cayo Biscaino und der Bank von Bahama ist er nur 67,5 km, unter 28½º Breite schon 76,5, und unter dem Parallel von Charlestown, Kap Henlopen gegenüber, 180 bis 225 km breit. Wo die Strömung am schmälsten ist, erreicht sie eine Geschwindigkeit von 13,5 bis 18 km in der Stunde, weiter nach Norden zu beträgt dieselbe nur noch 4,5 km. Die Gewässer des mexikanischen Meerbusens behalten auf ihrem gewaltigen Zuge nach Nordost ihre hohe Temperatur dermaßen, daß ich unter 40 und 41º der Breite noch 22,5º beobachtete, während außerhalb des Stromes das Wasser an der Oberfläche kaum 17,5º warm war. Unter der Breite von New York und Oporto zeigt somit der Golfstrom dieselbe Temperatur wie die tropischen Meere unter 18º Breite, also unter der Breite von Portorico und der Inseln des grünen Vorgebirges.

Vom Hafen von Boston an und unter dem Meridian von Halifax, unter 41º 25' der Breite und 67º der Länge, erreicht der Strom gegen 148 km Breite. Hier kehrt er sich auf einmal nach Ost, so daß sein westlicher Rand bei der Umbiegung zur nördlichen Grenze der bewegten Wasser wird und er an der Spitze der großen Bank von Neufundland wegstreicht, die Volney sinnreich die Barre an der Mündung dieses ungeheuren Meerstromes nennt. Höchst auffallend ist der Abstand zwischen der Temperatur des kalten Wassers über dieser Bank und der Wärme der Gewässer der heißen Zone, die durch den Golfstrom nach Norden getrieben werden; jene betrug nach meinen Beobachtungen 8,7 bis 10º, diese 21 bis 22,5º . In diesen Strichen ist die Wärme im Meere höchst sonderbar verteilt, die Gewässer der Bank sind um 9,4º kälter als das benachbarte Meer, und dieses ist um 3º kälter als der Strom. Diese Zonen können ihre Temperaturen nicht ausgleichen, weil jede ihre eigene Wärmequelle oder einen Grund der Wärmeerniedrigung hat, und beide Momente beständig fortwirken. Wenn es sich von der Meerestemperatur handelt, hat man sorgfältig vier ganz gesonderte Erscheinungen zu unterscheiden: 1) die Temperatur des Wassers an der Oberfläche unter verschiedenen Breiten, das Meer als ruhig angenommen; 2) die Abnahme der Wärme in den übereinander gelagerten Wasserschichten; 3) den Einfluß der Untiefen auf die Temperatur des Meeres; 4) die Temperatur der Strömungen, die mit konstanter Geschwindigkeit die Gewässer der einen Zone durch die ruhenden Gewässer der anderen hindurchführten.

Von der Bank von Neufundland, oder vom 52. Grad der Breite bis zu den Azoren bleibt der Golfstrom nach Ost oder Ost-Süd-Ost gerichtet. Noch immer wirkt hier in den Gewässern der Stoß nach, den sie 4500 km von da in der Meerenge von Florida, zwischen der Insel Cuba und den Untiefen der Schildkröteninseln, erhalten haben. Diese Entfernung ist das Doppelte von der Länge des Laufes des Amazonenstromes von Jaen oder dem Paß von Manseriche zum Gran-Para. Im Meridian der Inseln Corvo und Flores, der westlichsten der Gruppe der Azoren, nimmt die Strömung eine Meeresstrecke von 720 km in der Breite ein. Wenn die Schiffe auf der Rückreise aus Südamerika nach Europa diese beiden Inseln aufsuchen, um ihre Länge zu berichtigen, so gewahren sie immer deutlich den Zug des Wassers nach Südost. Unter 33º der Breite rückt der tropische Aequinoktialstrom dem Golfstrom sehr nahe. In diesem Striche des Weltmeeres kann man an einem Tage aus den Gewässern, die nach West laufen, in diejenigen gelangen, die nach Südost oder Ost-Süd-Ost strömen.

Von den Azoren an nimmt der Strom von Florida seine Richtung gegen die Meerenge von Gibraltar, die Insel Madeira und die Gruppe der Kanarien. Die Pforte bei den Säulen des Herkules beschleunigt ohne Zweifel den Zug des Wassers gegen Ost. Und in diesem Sinne mag man mit Recht behaupten, die Meerenge, durch welche Mittelmeer und Atlantischer Ozean zusammenhängen, äußere ihren Einfluß auf weite Ferne; sehr wahrscheinlich würden aber, auch wenn die Meerenge nicht bestünde, Fahrzeuge, die nach Tenerifa segeln, dennoch nach Südost getrieben, und zwar infolge eines Anstoßes, dessen Ursprung man an den Küsten der Neuen Welt zu suchen hat. Im weiten Meeresbecken pflanzen sich alle Bewegungen fort, gerade wie im Luftmeere. Verfolgt man die Strömungen rückwärts zu ihren fernen Quellen, gibt man sich Rechenschaft von dem Wechsel in ihrer Geschwindigkeit, warum sie bald abnimmt, wie zwischen dem Kanal von Bahama und der Bank von Neufundland, bald wieder wächst, wie in der Nähe der Meerenge von Gibraltar und bei den Kanarischen Inseln, so kann man nicht darüber im Zweifel sein, daß dieselbe Ursache, welche die Gewässer im Meerbusen von Mexiko herumdreht, sie auch bei der Insel Madeira in Bewegung setzt.

Südlich von letztgenannter Insel läßt sich die Strömung in ihrer Richtung nach Südost und Süd-Süd-Ost gegen die Küste von Afrika zwischen Kap Cantin und Kap Bojador verfolgen. In diesen Strichen sieht sich ein Schiff bei stillem Wetter nahe an der Küste, wenn es sich nach der nicht berichtigten Schätzung noch weit davon entfernt glaubt. Ist die Oeffnung bei Gibraltar die Ursache der Bewegung des Wassers, warum hat denn die Strömung südlich von der Meerenge nicht die entgegengesetzte Richtung? Im Gegenteil aber geht sie unter dem 25. und 26. Grad der Breite erst gerade nach Süd und dann nach Südwest. Kap Blanc, nach Kap Verd das am weitesten sich hinausstreckende Vorgebirge, scheint Einfluß auf diese Richtung zu äußern, und unter der Breite desselben mischen sich die Wasser, deren Bewegung wir von der Küste von Honduras bis zur afrikanischen verfolgt haben, mit dem großen tropischen Strom, um den Lauf von Morgen nach Abend von neuem zu beginnen. Wir haben oben bemerkt, daß mehrere hundert Kilometer westwärts von den Kanarien der eigentümliche Zug der Aequinoktialgewässer schon in der gemäßigten Zone, vom 28. und 29. Breitengrad an, bemerklich wird; aber im Meridian der Insel Ferro kommen die Schiffe südwärts bis zum Wendekreise des Krebses, ehe sie sich nach der Schätzung ostwärts von ihrer wahren Länge befinden.

Wie nun aber die nördliche Grenze des tropischen Stromes und der Passatwinde nach den Jahreszeiten sich verschiebt, so zeigt sich auch der Golfstrom nach Stellung und Richtung veränderlich. Diese Schwankungen sind besonders auffallend vom 28. Breitengrad bis zur großen Bank von Neufundland, ebenso zwischen dem 48. Grad westlicher Länge von Paris und dem Meridian der Azoren. Die wechselnden Winde in der gemäßigten Zone und das Schmelzen des Eises am Nordpol, von wo in den Monaten Juli und August eine bedeutende Masse süßen Wassers nach Süden abfließt, erscheinen als die vornehmsten Ursachen, aus welchen sich in diesen hohen Breiten Stärke und Richtung des Golfstromes verändern.

Wir haben gesehen, daß zwischen dem 11. und 43. Grad der Breite die Gewässer des Atlantischen Ozeans mittels Strömungen fortwährend im Kreise umhergeführt worden. Angenommen, ein Wasserteilchen gelange zu derselben Stelle zurück, von der es ausgegangen, so läßt sich nach dem, was wir bis jetzt von der Geschwindigkeit der Strömungen wissen, berechnen, daß es zu seinem 17 100 km langen Umlauf zwei Jahre und zehn Monate brauchte. Ein Fahrzeug, bei dem man von der Wirkung des Windes absähe, gelangte in dreizehn Monaten von den Kanarischen Inseln an die Küste von Caracas. Es brauchte zehn Monate, um im Meerbusen von Mexiko herumzukommen und um zu den Untiefen der Schildkröteninseln gegenüber vom Hafen von Havana zu gelangen, aber nur 40 bis 50 Tage vom Eingang der Meerenge von Florida bis Neufundland. Die Geschwindigkeit der rückläufigen Strömung von jener Bank bis an die Küste von Afrika ist schwer zu schätzen; nimmt man sie im Mittel auf 31,5 oder 36 km in 24 Stunden an, so ergeben sich für diese letzte Strecke zehn bis elf Monate. Solches sind die Wirkungen des langsamen, aber regelmäßigen Zuges, der die Gewässer des Ozeans herumführt. Das Wasser des Amazonenstromes braucht von Tomependa bis zum Gran-Para etwa 45 Tage.

Kurz vor meiner Ankunft auf Tenerifa hatte das Meer auf der Reede von Santa Cruz einen Stamm der Cedrela odorata, noch mit der Rinde, ausgeworfen. Dieser amerikanische Baum wächst nur unter den Tropen oder in den zunächst angrenzenden Ländern. Er war ohne Zweifel an der Küste von Terra Firma oder Honduras abgerissen worden. Die Beschaffenheit des Holzes und der Flechten auf der Rinde zeigte augenscheinlich, daß der Stamm nicht etwa von einem der unterseeischen Wälder herrührte, welche durch alte Erdumwälzungen in die Flözgebilde nördlicher Länder eingebettet worden sind. Wäre der Cedrelastamm, statt bei Tenerifa ans Land geworfen zu werden, weiter nach Süden gelangt, so wäre er wahrscheinlich rings um den ganzen Atlantischen Ozean geführt worden und mittels des allgemeinen tropischen Stromes wieder in sein Heimatland gelangt. Diese Vermutung wird durch einen älteren Fall unterstützt, dessen Abbé Viera in seiner allgemeinen Geschichte der Kanarien erwähnt. Im Jahre 1770 wurde ein mit Getreide beladenes Fahrzeug, das von der Insel Lancerota nach Santa Cruz auf Tenerifa gehen sollte, auf die hohe See getrieben, als sich niemand von der Mannschaft an Bord befand. Der Zug der Gewässer von Morgen nach Abend führte es nach Amerika, wo es an der Küste von Guyana bei Caracas strandete.

Zu einer Zeit, wo die Schiffahrtskunst noch wenig entwickelt war, bot der Golfstrom dem Geiste eines Christoph Kolumbus sichere Anzeichen vom Dasein westwärts gelegener Länder. Zwei Leichname, die nach ihrer Körperlichkeit einem unbekannten Menschenstamme angehörten, wurden gegen Ende des 15. Jahrhunderts bei den Azorischen Inseln ans Land geworfen. Ungefähr um dieselbe Zeit fand Kolumbus' Schwager, Peter Borrea, Statthalter von Porto Santo, am Strande dieser Insel mächtige Stücke Bamburohr, die von der Strömung und den Westwinden angeschwemmt worden waren. Diese Leichname und diese Rohre machten den genuesischen Seemann aufmerksam; er erriet, daß beide von einem gegen West gelegenen Festlande herrühren mußten. Wir wissen jetzt, daß in der heißen Zone die Passatwinde und der tropische Strom sich jeder Wellenbewegung in der Richtung der Umdrehung der Erde widersetzen. Erzeugnisse der Neuen Welt können in die Alte Welt nur in hohen Breiten und in der Richtung des Stromes von Florida gelangen. Häufig werden Früchte verschiedener Bäume der Antillen an den Küsten der Inseln Ferro und Gomera angetrieben. Vor der Entdeckung von Amerika glaubten die Kanarier, diese Früchte kommen von der bezauberten Insel St. Borondon, die nach den Seemannsmärchen und nach gewissen Sagen westwärts in einem Striche des Ozeans liegen sollte, der beständig in Nebel gehüllt sei.

Mit dieser Uebersicht der Strömungen im Atlantischen Meere wollte ich hauptsächlich darthun, daß der Zug der Gewässer gegen Südost, von Kap St. Vincent zu den Kanarischen Inseln eine Wirkung der allgemeinen Bewegung ist, in der sich die Oberfläche des Ozeans an seinem Westende befindet. Wir erwähnen daher nur kurz des Armes des Golfstromes, der unter dem 45. und 50. Grad der Breite, bei der Bank Bonnet Flamand, von Südwest nach Nordost gegen die Küsten von Europa gerichtet ist. Diese Abteilung des Stromes wird sehr reißend, wenn der Wind lange aus West geblasen hat. Gleich dem, der an Ferro und Gomera vorüberstreicht, wirft er alle Jahre an die Westküsten von Irland und Norwegen Früchte von Bäumen, welche dem heißen Erdstrich Amerikas eigentümlich sind. Am Strande der Hebriden findet man Samen von Mimosa scandens, Dolichos urens, Guilandina bonduc, und verschiedener anderer Pflanzen von Jamaika, Cuba und dem benachbarten Festlande. Die Strömung treibt nicht selten wohl erhaltene Fässer mit französischem Wein an, von Schiffen, die im Meere der Antillen Schiffbruch gelitten. Neben diesen Beispielen von den weiten Wanderungen der Gewächse stehen andere, welche die Einbildungskraft beschäftigen. Die Trümmer des englischen Schiffes Tilbury, das bei Jamaika verbrannt war, wurden an der schottischen Küste gefunden. In denselben Strichen kommen zuweilen verschiedene Arten von Schildkröten vor, welche das Meer der Antillen bewohnen. Hat der Westwind lange angehalten, so entsteht in den hohen Breiten eine Strömung, die von den Küsten von Grönland und Labrador bis nordwärts von Schottland gerade nach Ost-Süd-Ost gerichtet ist. Wie Wallace berichtet, gelangten zweimal, in den Jahren 1682 und 1684, amerikanische Wilde vom Stamme der Eskimo, die ein Sturm in ihren Kanoen aus Fellen auf die hohe See verschlagen, mittels der Strömung zu den orkadischen Inseln. Dieser letztere Fall verdient um so mehr Aufmerksamkeit, als man daraus zugleich ersieht, wie zu einer Zeit, wo die Schiffahrt noch in ihrer Kindheit war, die Bewegung der Gewässer des Ozeans ein Mittel werden konnte, um die verschiedenen Menschenstämme über die Erde zu verbreiten.

Das Wenige, was wir bis jetzt über die wahre Lage und die Breite des Golfstromes, sowie über die Fortsetzung desselben gegen die Küsten von Europa und Afrika wissen, ist die Frucht der zufälligen Beobachtung einiger unterrichteter Männer, welche in verschiedenen Richtungen über das Atlantische Meer gefahren sind. Da die Kenntnis der Strömungen zu Abkürzung der Seefahrten wesentlich beitragen kann, so wäre es von so großem Belang für die praktische Seemannskunst, als wissenschaftlich von Interesse, wenn Schiffe mit vorzüglichen Chronometern im Meerbusen von Mexiko und im nördlichen Ozean zwischen dem 30. und 54. Grad der Breite kreuzten, ganz eigens zum Zweck, um zu ermitteln, in welchem Abstande sich der Golfstrom in den verschiedenen Jahreszeiten und unter dem Einfluß der verschiedenen Winde südlich von der Mündung des Mississippi und ostwärts von den Vorgebirgen Hatteras und Codd hält. Dieselben könnten zu untersuchen haben, ob der große Strom von Florida beständig am östlichen Ende der Bank von Neufundland hinstreicht, und unter welchem Parallel zwischen dem 32. und 40. Grad westlicher Länge die Gewässer, die von Ost nach West strömen, denen, welche die umgekehrte Richtung haben, am nächsten gerückt sind. Die Lösung der letzteren Frage ist desto wichtiger, als die meisten Fahrzeuge, welche von den Antillen oder vom Kap der guten Hoffnung nach Europa zurückkehren, die bezeichneten Striche befahren. Neben der Richtung und Geschwindigkeit der Strömungen könnte sich eine solche Expedition mit Beobachtungen über die Meerestemperatur, über die Linien ohne Abweichung, die Inklination der Magnetnadel und die Intensität der magnetischen Kraft beschäftigen. Beobachtungen dieser Art erhalten einen hohen Wert, wenn der Punkt, wo sie angestellt werden, astronomisch bestimmt ist. Auch in den von Europäern am stärksten besuchten Meeren, weit von jeder Küste, kann ein unterrichteter Seemann der Wissenschaft wichtige Dienste leisten. Die Entdeckung einer unbewohnten Inselgruppe ist von geringerem Interesse, als die Kenntnis der Gesetze, welche um eine Menge vereinzelter Thatsachen das einigende Band schlingen.

Denkt man den Ursachen der Strömungen nach, so erkennt man, daß sie viel häufiger vorkommen müssen, als man gemeiniglich glaubt. Die Gewässer des Meeres können durch gar mancherlei in Bewegung gesetzt werden, durch einen äußeren Anstoß, durch Verschiedenheiten in Temperatur und Salzgehalt, durch das zeitweise Schmelzen des Polareises, endlich durch das ungleiche Maß der Verdunstung unter verschiedenen Breiten. Bald wirken mehrere dieser Ursachen zum selben Effekt zusammen, bald bringen sie entgegengesetzte Effekte hervor. Schwache, aber beständig in einem ganzen Erdgürtel wehende Winde, wie die Passatwinde, bedingen eine Bewegung vorwärts, wie wir sie selbst bei den stärksten Stürmen nicht beobachten, weil diese auf ein kleines Gebiet beschränkt sind. Wenn in einer großen Wassermasse die Wasserteilchen an der Oberfläche spezifisch verschieden schwer werden, so bildet sich an der Fläche ein Strom dem Punkte zu, wo das Wasser am kältesten ist, oder am meisten salzsaures Natron, schwefelsauren Kalk und schwefelsaure oder salzsaure Bittererde enthält. In den Meeren unter den Wendekreisen zeigt der Thermometer in großen Tiefen nicht mehr als 7 bis 8º der hundertteiligen Skale. Dies ergibt sich aus zahlreichen Beobachtungen des Kommodore Ellis und Perons. Da in diesen Strichen die Lufttemperatur nie unter 19 bis 20º sinkt, so kann das Wasser einen dem Gefrierpunkt und dem Maximum der Dichtigkeit des Wassers so nahe gerückten Kältegrad nicht an der Oberfläche angenommen haben. Die Existenz solcher kalten Wasserschichten in niederen Breiten weist somit auf einen Strom hin, der in der Tiefe von den Polen zum Aequator geht; sie weist ferner darauf hin, daß die Salze, welche das spezifische Gewicht des Wassers verändern, im Ozean so verteilt sind, daß sie die von der Verschiedenheit im Wärmegrad abhängigen Wirkungen nicht aufheben.

Bedenkt man, daß infolge der Umdrehung der Erde die Wasserteilchen je nach der Breite eine verschiedene Geschwindigkeit haben, so sollte man voraussetzen, daß jede von Süd nach Nord gehende Strömung zugleich nach Ost, die Gewässer dagegen, die vom Pol zum Aequator strömen, nach West ablenken müßten. Man sollte ferner glauben, daß diese Neigung den tropischen Strom bis zu einem gewissen Grade einerseits verlangsamen, andererseits dem Polarstrome, der sich im Juli und August, wenn das Eis schmilzt, unter der Breite der Bank von Neufundland und weiter nordwärts regelmäßig einstellt, eine andere Richtung geben müßte. Sehr alte nautische Beobachtungen, die ich zu bestätigen Gelegenheit hatte, indem ich die vom Chronometer angegebene Länge mit der Schätzung des Schiffers verglich, widersprechen diesen theoretischen Annahmen. In beiden Hemisphären weichen die Polarströme, wenn sie merkbar sind, ein wenig nach Ost ab, und nach unserer Ansicht ist der Grund dieser Erscheinung in der Beständigkeit der in hohen Breiten herrschenden Westwinde zu suchen. Ueberdies bewegen sich die Wasserteilchen nicht mit derselben Geschwindigkeit wie die Luftteilchen, und die stärksten Meeresströmungen, die wir kennen, legen nur 2,5 bis 2,9 m in der Sekunde zurück; es ist demnach höchst wahrscheinlich, daß das Wasser, indem es durch verschiedene Breiten geht, die denselben entsprechende Geschwindigkeit annimmt, und daß die Umdrehung der Erde ohne Einfluß auf die Richtung der Strömungen bleibt.

Der verschiedene Druck, dem die Meeresfläche infolge der wechselnden Schwere der Luft unterliegt, erscheint als eine weitere Ursache der Bewegung, die besonders ins Auge zu fassen ist. Es ist bekannt, daß die Schwankungen des Barometers im allgemeinen nicht gleichzeitig an zwei auseinander liegenden, im selben Niveau befindlichen Punkten eintreten. Wenn am einen dieser Punkte der Barometer einige Linien tiefer steht als am anderen, so wird sich dort das Wasser infolge des geringeren Luftdruckes erheben, und diese örtliche Anschwellung wird andauern, bis durch den Wind das Gleichgewicht der Luft wiederhergestellt ist. Nach Vauchers Ansicht rühren die Schwankungen im Spiegel des Genfer Sees, die sogenannten »Seiches«, eben davon her. In der heißen Zone können die stündlichen Schwankungen des Barometers kleine Schwingungen an der Meeresfläche hervorbringen, da der Meridian von 4 Uhr, der dem Minimum des Luftdruckes entspricht, zwischen den Meridianen von 21 und 11 Uhr liegt, wo das Quecksilber am höchsten steht; aber diese Schwingungen, wenn sie überhaupt merkbar sind, können keine Bewegung in horizontaler Richtung zur Folge haben.

Ueberall wo eine solche durch die Ungleichheit im spezifischen Gewicht der Wasserteile entsteht, bildet sich ein doppelter Strom, ein oberer und ein unterer, die entgegengesetzte Richtungen haben. Daher ist in den meisten Meerengen wie in den tropischen Meeren, welche die kalten Gewässer der Polarregionen aufnehmen, die ganze Wassermasse bis zu bedeutender Tiefe in Bewegung. Wir wissen nicht, ob es sich ebenso verhält, wenn die Vorwärtsbewegung, die man nicht mit dem Wellenschlage verwechseln darf, Folge eines äußeren Anstoßes ist. De Fleurieu führt in seinem Bericht über die Expedition der Isis mehrere Thatsachen an, die darauf hinweisen, daß das Meer in der Tiefe weit weniger ruhig ist, als die Physiker gewöhnlich annehmen. Ohne hier auf eine Untersuchung einzugehen, mit der wir uns in der Folge zu beschäftigen haben werden, bemerken wir nur, daß, wenn der äußere Anstoß ein andauernder ist, wie bei den Passatwinden, durch die gegenseitige Reibung der Wasserteilchen die Bewegung notwendig von der Meeresfläche sich auf die tieferen Wasserschichten fortpflanzen muß. Eine solche Fortpflanzung nehmen auch die Seefahrer beim Golfstrom schon lange an; auf die Wirkungen derselben scheint ihnen die große Tiefe hinzudeuten, welche das Meer allerorten zeigt, wo der Strom von Florida durchgeht, sogar mitten in den Sandbänken an den Nordküsten der Vereinigten Staaten. Dieser ungeheure Strom warmen Wassers hat, nachdem er in 50 Tagen vom 24. bis 45. Grad der Breite 2025 km zurückgelegt, trotz der bedeutenden Winterkälte in der gemäßigten Zone, kaum 3 bis 4º von seiner ursprünglichen Temperatur unter den Tropen verloren. Die Größe der Masse und der Umstand, daß das Wasser ein schlechter Wärmeleiter ist, machen, daß die Abkühlung nicht rascher erfolgt. Wenn sich somit der Golfstrom auf dem Boden des Atlantischen Ozeans ein Bett gegraben hat, und wenn seine Gewässer bis in beträchtliche Tiefen in Bewegung sind, so müssen sie auch in ihren unteren Schichten eine höhere Temperatur behalten, als unter derselben Breite Meeresstriche ohne Strömungen und Untiefen zeigen. Diese Fragen sind nur durch unmittelbare Beobachtungen mittels des Senkbleies mit Thermometer zu lösen.

Sir Erasmus Gower bemerkt, auf der Ueberfahrt von England nach den Kanarischen Inseln gerate man in die Strömung und dieselbe treibe vom 39. Breitengrade an die Schiffe nach Südost. Auf unserer Fahrt von Coruña nach Südamerika machte sich der Einfluß dieses Zuges der Wasser noch weiter nördlich merkbar. Vom 37. zum 30. Grad war die Abweichung sehr ungleich; sie betrug täglich im Mittel 54 km, das heißt unsere Korvette wurde in sechs Tagen um 133 km gegen Ost abgetrieben. Als wir auf 655 km Entfernung den Parallel der Meerenge von Gibraltar schnitten, hatten wir Gelegenheit zur Beobachtung, daß in diesen Strichen das Maximum der Geschwindigkeit nicht der Oeffnung der Meerenge selbst entspricht, sondern einem nördlicher gelegenen Punkte in der Verlängerung einer Linie, die man durch die Meerenge und Kap Vincent zieht. Diese Linie läuft von der Gruppe der Azorischen Inseln bis zum Kap Cantin parallel mit der Richtung der Gewässer. Es ist ferner zu bemerken, und der Umstand ist für die Physiker, die sich mit der Bewegung der Flüssigkeiten beschäftigen, nicht ohne Interesse, daß in diesem Stück des rückläufigen Stromes, in einer Breite von 540 bis 655 km, nicht die ganze Wassermasse dieselbe Geschwindigkeit, noch dieselbe Richtung hat. Bei ganz ruhiger See zeigen sich an der Oberfläche schmale Streifen, kleinen Bächen gleich, in denen das Wasser mit einem für das Ohr des geübten Schiffers wohl hörbaren Geräusch hinströmt. Am 13. Juni, unter 34º 36' nördlicher Breite, befanden wir uns mitten unter einer Menge solcher Strombetten. Wir konnten die Richtung derselben mit dem Kompaß aufnehmen, die einen liefen nach Nordost, andere nach Ost-Nord-Ost, trotzdem, daß der allgemeine Zug der See, wie die Vergleichung der Schätzung mit der chronometrischen Länge angab, fortwährend nach Südost ging. Sehr häufig sieht man eine stehende Wassermasse von Wasserfäden durchzogen, die nach verschiedenen Richtungen strömen; solches kann man täglich an der Oberfläche unserer Landseen beobachten, aber seltener bemerkt man solch partielle Bewegungen kleiner Wasserteile infolge lokaler Ursachen mitten in einem Meeresstrome, der sich über ungeheure Räume erstreckt und sich immer in derselben Richtung, wenn auch nicht mit bedeutender Geschwindigkeit fortbewegt. Die sich kreuzenden Strömungen beschäftigen unsere Einbildungskraft, wie der Wellenschlag, weil diese Bewegungen, die den Ozean in beständiger Unruhe erhalten, sich zu durchdringen scheinen.

Wir fuhren am Kap Vincent, das aus Basalt besteht, auf mehr als 360 km Entfernung vorüber. Auf 67,5 km erkennt man es nicht mehr deutlich, aber die Foya von Monchique, ein Granitberg in der Nähe des Kaps, soll, wie die Steuerleute behaupten, auf 117 km in See sichtbar sein. Verhält es sich wirklich so, so ist die Foya 1363 m hoch, also 225 m höher als der Vesuv. Es ist auffallend, daß die portugiesische Regierung kein Feuer auf einem Punkte unterhält, nach dem sich alle vom Kap der guten Hoffnung und vom Kap Horn kommenden Schiffe richten müssen; nach keinem anderen Punkte wird mit so viel Ungeduld ausgeschaut, bis er in Sicht kommt. Die Feuer auf dem Turm des Herkules und am Kap Spichel sind so schwach und so wenig weit sichtbar, daß man sie gar nicht rechnen kann. Dazu wäre das Kapuzinerkloster, das auf Kap Vincent steht, ganz der geeignete Platz zu einem Leuchtturm mit sich drehendem Feuer, wie zu Cadiz und an der Garonnemündung.

Seit unserer Abfahrt von Coruña und bis zum 36. Breitengrad hatten wir außer Meerschwalben und einigen Delphinen fast kein lebendes Wesen gesehen. Umsonst sahen wir uns nach Tangen und Weichtieren um. Am 11. Juni aber hatten wir ein Schauspiel, das uns höchlich überraschte, das wir aber später in der Südsee häufig genossen. Wir gelangten in einen Strich, wo das Meer mit einer ungeheuren Menge Medusen bedeckt war. Das Schiff stand beinahe still, aber die Weichtiere zogen gegen Südost, viermal rascher als die Strömung. Ihr Vorüberzug währte beinahe drei Viertelstunden, und dann sahen wir nur noch einzelne Individuen dem großen Haufen, wie wandermüde, nachziehen. Kommen diese Tiere vom Grunde des Meeres, das in diesen Strichen wohl mehrere tausend Meter tief ist? oder machen sie in Schwärmen weite Züge? Wie man weiß, lieben diese Weichtiere die Untiefen, und wenn die acht Klippen unmittelbar unter dem Wasserspiegel, welche Kapitän Vobonne im Jahre 1832 nordwärts von der Insel Porto Santo gesehen haben will, wirklich vorhanden sind, so läßt sich annehmen, daß diese ungeheure Masse von Medusen dorther kam, denn wir befanden uns nur 126 km von jenen Klippen. Wir erkannten neben der Medusa aurita von Baster und der M. pelagica von Bosc mit acht Tentakeln ( Pelagia denticulata, Peron) eine dritte Art, die sich der M. hysocella nähert, die Vandelli an der Mündung des Tajo gefunden hat. Sie ist ausgezeichnet durch die braungelbe Farbe und dadurch, daß die Tentakeln länger sind als der Körper. Manche dieser Meernesseln hatten 10 cm im Durchmesser; ihr fast metallischer Glanz, ihre violett und purpurn schillernde Färbung hob sich vom Blau der See äußerst angenehm ab.

Unter den Medusen fand Bonpland Bündel der Dagysa notata, eines Weichtieres von sonderbarem Bau, das Sir Joseph Banks zuerst kennen gelehrt hat. Es sind kleine gallertartige Säcke, durchsichtig, walzenförmig, zuweilen vieleckig, 3 mm lang, 0,5 bis 0,7 mm im Durchmesser. Diese Säcke sind an beiden Enden offen. An der einen Oeffnung zeigt sich eine durchsichtige Blase mit einem gelben Fleck. Diese Cylinder sind der Länge nach aneinander geklebt wie Bienenzellen und bilden 16 bis 21 cm lange Schnüre. Umsonst versuchte ich die galvanische Elektrizität an diesen Weichtieren; sie brachte keine Zusammenziehung hervor. Die Gattung Dagysa, die zur Zeit von Cooks erster Reise zuerst aufgestellt wurde, scheint zu den Salpen zu gehören. Auch die Salpen wandern in Schwärmen, wobei sie sich zu Schnüren aneinander hängen, wie wir bei der Dagysa gesehen.

Am 13. Juni morgens unter 34º 33' Breite sahen wir wieder bei vollkommen ruhiger See große Haufen des letzterwähnten Tieres vorbeitreiben. Bei Nacht machten wir die Beobachtung, daß alle drei Medusenarten, die wir gefangen, nur leuchteten, wenn man sie ganz leicht anstieß. Diese Eigenschaft kommt also nicht der von Forskael in seiner Fauna Aegyptiaca beschriebenen Medusa noctiluca allein zu, die Gmelin mit der Medusa pelagica Löflings vereinigt, obgleich sie rote Tentakeln und braune Körperwarzen hat. Legt man eine sehr reizbare Meduse auf einen Zinnteller und schlägt mit irgend einem Metall an den Teller, so wird das Tier schon durch die leichte Schwingung des Zinnes leuchtend. Galvanisiert man Medusen, so zeigt sich zuweilen der phosphorische Schein im Moment, wo man die Kette schließt, wenn auch die Excitatoren die Organe des Tieres nicht unmittelbar berühren. Die Finger, mit denen man es berührt, bleiben ein paar Minuten leuchtend, wie man dies auch beobachtet, wenn man das Gehäuse der Pholaden zerbricht. Reibt man Holz mit dem Körper einer Meduse und leuchtet die geriebene Stelle nicht mehr, so erscheint der Schimmer wieder, wenn man mit der trockenen Hand über das Holz fährt. Ist derselbe wieder verschwunden, so läßt er sich nicht noch einmal hervorrufen, wenn auch die geriebene Stelle noch feucht und klebrig ist. Wie wirkt in diesem Falle die Reibung oder der Stoß? Die Frage ist schwer zu beantworten. Ruft etwa eine kleine Temperaturerhöhung den Schein hervor, oder kommt er wieder, weil man die Oberfläche erneuert und so die Teile des Tieres, welche den Phosphorwasserstoff entbinden, mit dem Sauerstoff der atmosphärischen Luft in Berührung bringt? Ich habe durch Versuche, die im Jahre 1797 veröffentlicht worden, dargethan, daß Scheinholz in reinem Wasserstoff und Stickstoff nicht mehr leuchtet, und daß der Schein wiederkehrt, sobald man die kleinste Blase Sauerstoff in das Gas treten läßt. Diese Thatsachen, deren wir in der Folge noch mehrere anführen werden, bahnen uns den Weg zur Erklärung des Meerleuchtens und des besonderen Umstandes, daß das Erscheinen des Lichtschimmers mit dem Wellenschlag in Zusammenhang steht.

Zwischen Madeira und der afrikanischen Küste hatten wir gelinde Winde oder Windstille, wodurch ich mich bei den magnetischen Versuchen, mit denen ich mich bei der Ueberfahrt beschäftigte, sehr gefördert sah. Wir wurden nicht satt, die Pracht der Nächte zu bewundern; nichts geht über die Klarheit und Heiterkeit des afrikanischen Himmels. Wir wunderten uns über die ungeheure Menge Sternschnuppen, die jeden Augenblick niedergingen. Je weiter wir nach Süden kamen, desto häufiger wurden sie, besonders bei den Kanarischen Inseln. Ich glaube auf meinen Reisen die Beobachtung gemacht zu haben, daß diese Feuermeteore überhaupt in manchen Landstrichen häufiger vorkommen und glänzender sind als in anderen. Nie sah ich ihrer so viele als in der Nähe der Vulkane der Provinz Quito und in der Südsee an der vulkanischen Küste von Guatemala. Der Einfluß, den Oertlichkeit, Klima und Jahreszeit auf die Bildung der Sternschnuppen zu haben scheinen, trennt diese Klasse von Meteoren von den Aerolithen, die wahrscheinlich dem Weltraume außerhalb unseres Luftkreises angehören. Nach den übereinstimmenden Beobachtungen von Benzenberg und Brandes erscheinen in Europa viele Sternschnuppen nicht mehr als 58 470 m über der Erde. Man hat sogar eine gemessen, die nur 27 280 m hoch war. Es wäre zu wünschen, daß dergleichen Messungen, die nur annähernde Resultate ergeben können, öfters wiederholt würden. In den heißen Landstrichen, besonders unter den Tropen, zeigen die Sternschnuppen einen Schweif, der noch 12 bis 15 Sekunden fortleuchtet; ein andermal ist es, als platzten sie und zerstieben in mehrere Lichtfunken, und im allgemeinen sind sie viel weiter unten in der Luft als im nördlichen Europa. Man sieht sie nur bei heiterem, blauem Himmel, und unter einer Wolke ist wohl noch nie eine beobachtet worden. Häufig haben die Sternschnuppen ein paar Stunden lang eine und dieselbe Richtung, und dies ist dann die Richtung des Windes. In der Bucht von Neapel haben Gay-Lussac und ich Lichterscheinungen beobachtet, die denen, welche mich bei meinem langen Aufenthalt in Mexiko und Quito beschäftigten, sehr ähnlich waren. Das Wesen dieser Meteore hängt vielleicht ab von der Beschaffenheit von Boden und Luft, gleich gewissen Erscheinungen von Luftspiegelung und Strahlenbrechung an der Erdoberfläche, wie sie an den Küsten von Kalabrien und Sizilien vorkommen.

Wir bekamen auf unserer Fahrt weder die Inseln Desiertas noch Madeira zu Gesicht. Gerne hätte ich die Länge dieser Inseln berichtigt und von den vulkanischen Bergen nordwärts von Funchal Höhenwinkel genommen. De Borda berichtet, man sehe diese Berge auf 90 km, was nur auf eine Höhe von 806 m hinwiese; wir wissen aber, daß nach neueren Messungen der höchste Gipfel von Madeira 1573 m hoch ist. Die kleinen Inseln Desiertas und Salvages, auf denen man Orseille und Mesembryanthemum crystallinum sammelt, haben nicht 390 m senkrechter Höhe. Es scheint mir von Nutzen, die Seefahrer auf dergleichen Bestimmungen hinzuweisen, weil sich mittels einer Methode, deren in dieser Reisebeschreibung öfter Erwähnung geschieht und deren sich Borda, Lord Mulgrave, de Rossel und Don Cosme Churruca auf ihren Reisen mit Erfolg bedient haben, durch Höhenwinkel, die man mit guten Reflexionsinstrumenten nimmt, mit hinlänglicher Genauigkeit ermitteln läßt, wie weit sich das Schiff von einem Vorgebirge oder von einer gebirgigen Insel befindet.

Als wir 180 km ostwärts von Madeira waren, setzte sich eine Schwalbe auf die Marsstange. Sie war so müde, daß sie sich leicht fangen ließ. Es war eine Rauchschwalbe ( Hirundo rustica, Lin.). Was mag einen Vogel veranlassen, in dieser Jahreszeit und bei stiller Luft so weit zu fliegen? Bei d'Entrecasteaux' Expedition sah man gleichfalls eine Rauchschwalbe 270 km weit vom Weißen Vorgebirge; das war aber Ende Oktobers, und Labillardière war der Meinung, sie komme eben aus Europa. Wir befuhren diese Striche im Juni, und seit langer Zeit hatte kein Sturm das Meer aufgerührt. Ich betone den letzteren Umstand, weil kleine Vögel, sogar Schmetterlinge zuweilen durch heftige Winde auf die hohe See verschlagen werden, wie wir es in der Südsee, westwärts von der Küste von Mexiko, beobachten konnten.

Der Pizarro hatte Befehl, bei der Insel Lanzarote, einer der sieben großen Kanarien, anzulegen, um sich zu erkundigen, ob die Engländer die Reede von Santa Cruz auf Tenerifa blockierten. Seit dem 15. Juni war man im Zweifel, welchen Weg man einschlagen sollte. Bis jetzt hatten die Steuerleute, die mit den Seeuhren nicht recht umzugehen wußten, keine großen Stücke auf die Länge gehalten, die ich fast immer zweimal des Tages bestimmte, indem ich zum Uebertrag der Zeit morgens und abends Stundenwinkel aufnahm. Endlich am 16. Juni, um 9 Uhr morgens, als wir schon unter 29º 26' der Breite waren, änderte der Kapitän den Kurs und steuerte gegen Ost. Da zeigte sich bald, wie genau Louis Berthouds Chronometer war; um 2 Uhr nachmittags kam Land in Sicht, das wie eine kleine Wolke am Horizont erschien. Um 5 Uhr, bei niedriger stehender Sonne, lag die Insel Lanzarote so deutlich vor uns, daß ich den Höhenwinkel eines Kegelberges messen konnte, der majestätisch die anderen Gipfel überragt und den wir für den großen Vulkan hielten, der in der Nacht vom 1. September 1730 so große Verheerungen angerichtet hat.

Die Strömung trieb uns schneller gegen die Küste, als wir wünschten. Im Hinfahren sahen wir zuerst die Insel Fuerteventura, bekannt durch die vielen Kamele, Diese Kamele, die zum Feldbau dienen und deren Fleisch man im Lande zuweilen eingesalzen ißt, lebten hier nicht vor der Eroberung der Inseln durch die Béthencourts. Im 16. Jahrhundert hatten sich die Esel auf Fuerteventura dergestalt vermehrt, daß sie verwildert waren und man Jagd auf sie machen mußte. Man schoß ihrer mehrere tausend, damit die Ernten nicht zu Grunde gingen. Die Pferde auf Fuerteventura sind von berberischer Rasse und ausgezeichnet schön. die darauf leben, und bald darauf die kleine Insel Lobos im Kanal zwischen Fuerteventura und Lanzarote. Wir brachten die Nacht zum Teil auf dem Verdeck zu. Der Mond beschien die vulkanischen Gipfel von Lanzarote, deren mit Asche bedeckte Abhänge wie Silber schimmerten. Antares glänzte nahe der Mondscheibe, die nur wenige Grad über dem Horizont stand. Die Nacht war wunderbar heiter und frisch. Obgleich wir nicht weit von der afrikanischen Küste und der Grenze der heißen Zone waren, zeigte der hundertteilige Thermometer nicht mehr als 18º. Es war, als ob das Leuchten des Meeres die in der Luft verbreitete Lichtmasse vermehrte. Zum erstenmal konnte ich an einem zweizölligen Sextanten von Troughton mit sehr seiner Teilung den Nonius ablesen, ohne mit einer Kerze an den Rand zu leuchten. Mehrere unserer Reisegefährten waren Kanarier; gleich allen Einwohnern der Insel priesen sie enthusiastisch die Schönheit ihres Landes. Nach Mitternacht zogen hinter dem Vulkan schwere Wolken auf und bedeckten hin und wieder den Mond und das schöne Sternbild des Skorpion. Wir sahen am Ufer Feuer hin und her tragen. Es waren wahrscheinlich Fischer, die sich zur Fahrt rüsteten. Wir hatten auf der Reise fortwährend in den alten spanischen Reisebeschreibungen gelesen, und diese sich hin und her bewegenden Lichter erinnerten uns an die, welche Pedro Gutierez, ein Page der Königin Isabella, in der denkwürdigen Nacht, da die Neue Welt entdeckt wurde, auf der Insel Guanahani sah.

Am 17. morgens war der Horizont neblig und der Himmel leicht umzogen. Desto schärfer traten die Berge von Lanzarote in ihren Umrissen hervor. Die Feuchtigkeit erhöht die Durchsichtigkeit der Luft und rückt zugleich scheinbar die Gegenstände näher. Diese Erscheinung ist jedem bekannt, der Gelegenheit gehabt hat, an Orten, wo man die Ketten der Hochalpen oder der Anden sieht, hygrometrische Beobachtungen anzustellen. Wir liefen, mit dem Senkblei in der Hand, durch den Kanal zwischen den Inseln Alegranza und Montana Clara. Wir untersuchten den Archipel kleiner Eilande nördlich von Lanzarote, die sowohl auf der sonst sehr genauen Karte von de Fleurieu, als auf der Karte, die zur Reise der Fregatte Flora gehört, so schlecht gezeichnet sind. Die auf Befehl des Herrn de Castries im Jahre 1786 veröffentlichte Karte des Atlantischen Ozeans hat dieselben irrigen Angaben. Da die Strömungen in diesen Strichen ausnehmend rasch sind, so mag die für die Sicherheit der Schiffahrt nicht unwichtige Bemerkung hier stehen, daß die Lage der fünf kleinen Inseln Alegranza, Clara, Graciosa, Roca del Este und Infierno nur auf der Karte der Kanarischen Inseln von Borda und tut Atlas von Tosino genau angegeben ist, welcher letztere sich dabei an die Beobachtungen von Don Jose Varela hielt, die mit denen der Fregatte Boussole ziemlich übereinstimmen.

Inmitten dieses Archipels, den Schiffe, die nach Tenerifa gehen, selten befahren, machte die Gestaltung der Küsten den eigentümlichsten Eindruck auf uns. Wir glaubten uns in die Euganeischen Berge im Vicentinischen oder an die Ufer des Rheins bei Bonn versetzt (Siebengebirge). Die Gestaltung der organischen Wesen wechselt nach den Klimaten, und diese erstaunliche Mannigfaltigkeit gibt dem Studium der Verteilung der Pflanzen und Tiere seinen Hauptreiz; aber die Gebirgsarten, die vielleicht früher gebildet worden, als die Ursachen, von welchen die Abstufung der Klimate abhängt, in Wirksamkeit getreten, sind in beiden Hemisphären die nämlichen. Die Porphyre, welche glasigen Feldspat oder Hornblende einschließen, die Phonolithe (Werners Porphyrschiefer), Grünsteine, Mandelsteine und Basalte zeigen fast so konstante Formen wie die einfachen kristallinischen Körper. Auf den Kanarien wie in der Auvergne, im böhmischen Mittelgebirge wie in Mexiko und an den Ufern des Ganges erkennt man die Trappformation am symmetrischen Bau der Berge, an den gestutzten, bald einzeln stehenden, bald zu Gruppen vereinigten Kegeln, an den Plateaus, die an beiden Enden mit einer runden niedrigen Kuppe gekrönt sind.

Der ganze westliche Teil von Lanzarote, den wir in der Nähe sahen, hat ganz das Ansehen eines in neuester Zeit von vulkanischem Feuer verwüsteten Landes. Alles ist schwarz, dürr, von Dammerde entblößt. Wir erkannten mit dem Fernrohr Basalt in ziemlich dünnen, stark fallenden Schichten. Mehrere Hügel gleichen dem Monte Nuovo bei Neapel, oder den Schlacken- und Aschenhügeln, welche am Fuße des Vulkanes Jorullo in Mexiko in einer Nacht aus dem berstenden Boden emporgestiegen sind. Nach Abbé Viera wurde auch im Jahre 1730 mehr als die Hälfte der Insel völlig umgewandelt. Der »Große Vulkan«, dessen wir oben erwähnt, und der bei den Eingeborenen der Vulkan von Temansaya heißt, verheerte das fruchtbarste und bestangebaute Gebiet; neun Dörfer wurden durch die Lavaströme völlig zerstört. Ein heftiges Erdbeben war der Katastrophe vorangegangen, und gleich starke Stöße wurden noch mehrere Jahre nachher gespürt. Letztere Erscheinung ist um so auffallender, je seltener sie nach einem Ausbruche ist, wenn einmal nach dem Ausfluß der geschmolzenen Stoffe die elastischen Dämpfe durch den Krater haben entweichen können. Der Gipfel des großen Vulkanes ist ein runder, nicht genau kegelförmiger Hügel. Nach den Höhenwinkeln, die ich in verschiedenen Abständen genommen, scheint seine absolute Höhe nicht viel über 580 m zu betragen. Die benachbarten kleinen Berge und die der Inseln Alegranza une Clara sind kaum 95 bis 134 m hoch. Man wundert sich, daß Gipfel, die sich auf hoher See so imposant darstellen, nicht höher sein sollen. Aber nichts ist so unsicher als unser Urteil über die Größe der Winkel, unter denen uns Gegenstände ganz nahe am Horizont erscheinen. Einer Täuschung derart ist es zuzuschreiben, wenn vor den Messungen de Churrucas und Galeanos am Kap Pilar die Berge an der Magelhaensschen Meerenge und des Feuerlandes bei den Seefahrern für ungemein hoch galten.

Die Insel Lanzarote hieß früher Titeroigotra. Bei der Ankunft der Spanier zeichneten sich die Bewohner vor den anderen Kanariern durch Merkmale höherer Kultur aus. Sie hatten Häuser aus behauenen Steinen, während die Guanchen auf Tenerifa, als wahre Troglodyten, in Höhlen wohnten. Auf Lanzarote herrschte zu jener Zeit ein seltsamer Gebrauch, der nur noch bei den Tibetanern vorkommt. In Tibet ist übrigens die Vielmännerei nicht so häufig, als man glaubt, und von der Priesterschaft mißbilligt. Eine Frau hatte mehrere Männer, welche in der Ausübung der Rechte des Familienhauptes wechselten. Der eine Ehemann ward als solcher nur während eines Mondumlaufs anerkannt, sofort übernahm ein anderer das Amt und jener trat in das Hausgesinde zurück. Es ist zu bedauern, daß wir von den Geistlichen im Gefolge Johanns von Bethencourt, welche die Geschichte der Eroberung der Kanarien geschrieben haben, nicht mehr von den Sitten eines Volkes erfahren, bei dem so sonderbare Bräuche herrschten. Im 15. Jahrhundert bestanden auf der Insel Lanzarote zwei kleine voneinander unabhängige Staaten, die durch eine Mauer geschieden waren, dergleichen man auch in Schottland, in Peru und in China findet, Denkmäler, die den Nationalhaß überleben.

Wegen des Windes mußten wir zwischen den Inseln Alegranza und Montana Clara durchfahren. Da niemand am Bord der Korvette je in diesem Kanal gewesen war, so mußte das Senkblei ausgeworfen werden. Wir fanden Grund bei 45 und 60 m. Mit dem Senkblei wurde eine organische Substanz von so sonderbarem Bau aufgezogen, daß wir lange nicht wußten, ob wir sie für einen Zoophyten oder für eine Tangart halten sollten. Auf einem bräunlichen, 8 cm langen Stiel sitzen runde lappige Blätter mit gezahntem Rande. Sie sind hellgrün, lederartig und gestreift wie die Blätter der Adianten und des Ginkgo biloba. Ihre Fläche ist mit steifen, weißlichen Haaren bedeckt; vor der Entwickelung sind sie konkav und ineinander geschachtelt. Wir konnten keine Spur von willkürlicher Bewegung, von Irritabilität daran bemerken, auch nicht als wir es mit dem Galvanismus versuchten. Der Stiel ist nicht holzig, sondern besteht aus einem hornartigen Stoff, gleich der Achse der Gorgonen. Da Stickstoff und Phosphor in Menge in verschiedenen kryptogamischen Gewächsen nachgewiesen sind, so wäre nichts dabei herausgekommen, wenn wir auf chemischem Wege hätten ermitteln wollen, ob dieser organische Körper dem Pflanzen- oder dem Tierreiche angehöre. Da er einigen Seepflanzen mit Adiantenblättern sehr nahe kommt, so stellten wir ihn vorläufig zu den Tangen und nannten ihn Fucus vitifolius. Die Haare, mit denen das Gewächs bedeckt ist, kommen bei vielen anderen Tangen vor. Allerdings zeigte das Blatt, als es frisch aus der See unter dem Mikroskop untersucht wurde, nicht die drüsigen Körper in Häufchen oder die dunkeln Punkte, welche bei den Gattungen Ulva und Fucus die Fruktifikationen enthalten; aber wie oft findet man Tange, die vermöge ihrer Entwickelungsstufe in ihrem durchsichtigen Parenchym noch keine Spur von Körnern zeigen.

Ich hätte diese Einzelheiten, die in die beschreibende Naturgeschichte gehören, hier übergangen, wenn sich nicht am Fukus mit weinblattähnlichen Blättern eine physiologische Erscheinung von allgemeinerem Interesse beobachten ließe. Unser Seetang hatte, an Madreporen befestigt, 68 m tief im Meeresboden vegetiert, und doch waren seine Blätter so grün wie unsere Gräser. Nach de Bouguers Versuchen In 60 m Tiefe kann der Fukus nur von einem Lichte beleuchtet gewesen sein, das 203mal stärker ist als das Mondlicht, also gleich der Hälfte des Lichtes, das eine Talgkerze auf 32 cm Entfernung verbreitet. Nach meinen direkten Versuchen wird aber das Lepidium saticum beim glänzenden Lichte zweier Argandschen Lampen kaum merkbar grün. wird das Licht, das durch 58,5 m Wasser hindurchgeht, im Verhältnis von 1 zu 1477,8 geschwächt. Der Tang von Alegranza ist also ein neuer Beweis für den Satz, daß Gewächse im Dunkeln vegetieren können, ohne farblos zu werden. Die noch in den Zwiebeln eingeschlossenen Keime mancher Liliengewächse, der Embryo der Malven, der Rhamnoiden, der Pistazie, der Mistel und des Zitronenbaums, die Zweige mancher unterirdischer Pflanzen, endlich die Gewächse, die man in Erzgruben bringt, wo die umgebende Luft Wasserstoff oder viel Stickstoff enthält, sind grün ohne Lichtgenuß. Diese Thatsachen berechtigen zu der Annahme, daß der Kohlenwasserstoff, der das Parenchym dunkler oder heller grün färbt, je nachdem der Kohlenstoff in der Verbindung vorherrscht, sich nicht bloß unter dem Einfluß der Sonnenstrahlen im Gewebe der Gewächse bildet.

Turner, der so viel für die Familie der Tange geleistet hat, und viele andere bedeutende Botaniker sind der Ansicht, die Tange, die man an der Meeresfläche findet, und die unter dem 23. und 25. Grad der Breite und dem 35. der Länge sich dem Seefahrer als eine weite überschwemmte Wiese darstellen, wachsen ursprünglich aus dem Meeresgründe und schwimmen an der Oberfläche nur im ausgebildeten Zustande, nachdem sie von den Wellen losgerissen worden. Ist dem wirklich so, so ist nicht zu leugnen, daß die Familie der Seealgen große Schwierigkeiten macht, wenn man am Glauben festhält, daß Farblosigkeit die notwendige Folge des Mangels an Licht ist; denn wie sollte man voraussetzen können, daß so viele Arten von Ulvaceen und die Diktyoteen mit grünen Stengeln und Blättern auf Gestein unmittelbar unter der Meeresfläche gewachsen sind?

Nach den Angaben eines alten portugiesischen Wegweisers meinte der Kapitän des Pizarro sich einem kleinen Fort nördlich von Teguise, dem Hauptort von Lanzarote, gegenüber zu befinden. Man hielt einen Basaltfelsen für ein Kastell, man salutierte es durch Aufhissen der spanischen Flagge und warf das Boot aus, um sich durch einen Offizier beim Kommandanten des vermeintlichen Forts erkundigen zu lassen, ob die Engländer in der Umgegend kreuzten. Wir wunderten uns nicht wenig, als wir vernahmen, daß das Land, das wir für einen Teil der Küste von Lanzarote gehalten, die kleine Insel Graciosa sei und daß es auf mehrere Kilometer in der Runde keinen bewohnten Ort gebe.

Wir benutzten das Boot, um ans Land zu gehen, das den Schlußpunkt einer weiten Bai bildete. Ganz unbeschreiblich ist das Gefühl des Naturforschers, der zum erstenmal einen außereuropäischen Boden betritt. Die Aufmerksamkeit wird von so vielen Gegenständen in Anspruch genommen, daß man sich von seinen Empfindungen kaum Rechenschaft zu geben vermag. Bei jedem Schritt glaubt man einen neuen Naturkörper vor sich zu haben, und in der Aufregung erkennt man häufig Dinge nicht wieder, die in unseren botanischen Gärten und naturgeschichtlichen Sammlungen zu den gemeinsten gehören. An 200 m vom Ufer sahen wir einen Mann mit der Angelrute fischen. Man fuhr im Boot auf ihn zu, aber er ergriff die Flucht und versteckte sich hinter einem Felsen. Die Matrosen hatten Mühe, seiner habhaft zu werden. Der Anblick der Korvette, der Kanonendonner am einsamen, jedoch zuweilen von Kapern besuchten Orte, das Landen des Bootes, alles hatte dem armen Fischer Angst eingejagt. Wir erfuhren von ihm, die kleine Insel Graciosa, an der wir gelandet, sei von Lanzarote durch einen engen Kanal, el Rio genannt, getrennt. Er erbot sich, uns in den Hafen los Colorados zu führen, wo wir uns hinsichtlich der Blockade von Tenerifa erkundigen könnten; da er aber zugleich versicherte, seit mehreren Wochen kein Fahrzeug auf offener See gesehen zu haben, so beschloß der Kapitän, geradezu nach Santa Cruz zu steuern.

Das kleine Stück der Insel Graciosa, das wir kennen gelernt, gleicht den aus Laven aufgebauten Vorgebirgen bei Neapel zwischen Portier und Torre del Greco. Die Felsen sind nackt, ohne Bäume und Gebüsche, meist ohne, Spur von Dammerde. Einige Flechten, Variolarien, Leprarien, Urceolarien, kamen hin und wieder auf dem Basalt vor. Laven, die nicht mit vulkanischer Asche bedeckt sind, bleiben Jahrhunderte ohne eine Spur von Vegetation. Auf dem afrikanischen Boden hemmt die große Hitze und die lange Trockenheit die Entwickelung der kryptogamischen Gewächse.

Mit Sonnenuntergang schifften wir uns wieder ein und gingen unter Segel, aber der Wind war zu schwach, als daß wir unseren Weg nach Tenerifa hätten fortsetzen können. Die See war ruhig; ein rötlicher Dunst umzog den Horizont und ließ alle Gegenstände größer erscheinen. In solcher Einsamkeit, ringsum so viele unbewohnte Eilande, schwelgten wir lange im Anblicke einer wilden, großartigen Natur. Die schwarzen Berge von Graciosa zeigten 160 bis 200 m hohe senkrechte Wände. Ihre Schatten, die auf die Meeresfläche fielen, gaben der Landschaft einen schwermütigen Charakter. Gleich den Trümmern eines gewaltigen Gebäudes stiegen Basaltfelsen aus dem Wasser auf. Ihr Dasein mahnte uns an die weit entlegene Zeit, wo unterseeische Vulkane neue Inseln emporhoben oder die Festländer zertrümmerten. Alles umher verkündete Verwüstung und Unfruchtbarkeit; aber einen freundlicheren Anblick bot im Hintergründe des Bildes die Küste von Lanzarote. In einer engen Schlucht, zwischen zwei mit zerstreuten Baumgruppen gekrönten Hügeln, zog sich ein kleiner bebauter Landstrich hin. Die letzten Strahlen der Sonne beleuchten das zur Ernte reife Korn. Selbst die Wüste belebt sich, sobald man den Spuren der arbeitsamen Menschenhand begegnet.

Wir versuchten aus der Bucht herauszukommen, und zwar durch den Kanal zwischen Alegranza und Montaña Clara, durch den wir ohne Schwierigkeit hereingelangt waren, um an der Nordspitze von Graciosa ans Land zu gehen. Da der Wind sehr flau wurde, so trieb uns die Strömung nahe zu einem Riff, an dem sich die See ungestüm brach, und das die alten Karten als »Infierno« bezeichnen. Als wir das Riff auf zwei Kabellängen vom Vorderteil der Korvette vor uns hatten, sahen wir, daß es eine 5,8 bis 7,8 m hohe Lavakuppe ist, voll Höhlungen und bedeckt mit Schlacken, die den Koks oder der schwammigen Masse der entschwefelten Steinkohle ähnlich sind. Wahrscheinlich ist die Klippe Infierno, Ich bemerke hier, daß diese Klippe schon aus der berühmten venezianischen Karte des Andrea Bianco angegeben ist, daß aber mit dem Namen Infierno, wie auch auf der ältesten Karte des Picigano, Tenerifa bezeichnet ist, wahrscheinlich weil die Guanchen den Pik als den Eingang der Hölle ansahen. welche die neueren Karten Roca del Oeste (westlicher Fels) nennen, durch das vulkanische Feuer emporgehoben. Sie kann sogar früher weit höher gewesen sein; denn die »neue Insel« der Azoren, die zu wiederholten Malen aus dem Meere gestiegen, in den Jahren 1638 und 1719, war 115 m hoch Im Jahre 1720 war die Insel auf 31 bis 36 km sichtbar. In denselben Strichen ist im Jahre 1811 wieder eine Insel erschienen. geworden, als sie im Jahre 1728 so gänzlich verschwand, daß man da, wo sie gestanden, das Meer 146 m tief fand. Meine Ansicht vom Ursprung der Basaltkuppe Infierno wird durch ein Ereignis bestätigt, das um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in derselben Gegend beobachtet wurde. Beim Ausbruch des Vulkanes Temansaya erhoben sich vom Meeresboden zwei pyramidale Hügel von steiniger Lava, und verschmolzen nach und nach mit der Insel Lanzarote.

Da der schwache Wind und die Strömung uns aus dem Kanal von Alegranza nicht herauskommen ließen, beschloß man, während der Nacht zwischen der Insel Clara und der Roca del Oeste zu kreuzen. Dies hätte beinahe sehr schlimme Folgen für uns gehabt. Es ist gefährlich, sich bei Windstille in der Nähe dieses Riffes aufzuhalten, gegen das die Strömung ausnehmend stark hinzieht. Um Mitternacht fingen wir an, die Wirkung der Strömung gewahr zu werden. Die nahe vor uns senkrecht aus dem Wasser aufsteigenden Felsmassen benahmen uns den wenigen Wind, der wehte; die Korvette gehorchte dem Steuer fast nicht mehr und jeden Augenblick fürchtete man zu stranden. Es ist schwer begreiflich, wie eine einzelne Basaltkuppe mitten im weiten Weltmeer das Wasser in solche Aufregung versetzen kann. Diese Erscheinungen, welche die volle Aufmerksamkeit der Physiker verdienen, sind übrigens den Seefahrern wohl bekannt; sie treten in der Südsee, namentlich im kleinen Archipel der Galapagosinseln, in furchtbarem Maßstabe auf. Der Temperaturunterschied zwischen der Flüssigkeit und der Felsmasse vermag den Zug der Strömung zu ihnen hin nicht zu erklären, und wie sollte man es glaublich finden, daß sich das Wasser am Fuße der Klippen in die Tiefe stürzt, und daß bei diesem fortwährenden Zug nach unten die Wasserteilchen den entstehenden leeren Raum auszufüllen suchen? Mit Verwunderung liest man in einem sonst ganz nützlichen, unter den Seeleuten sehr verbreiteten Buche, in der neunten Ausgabe des Practical Navigator von Hamilton Moore, S. 200, infolge der Massenattraktion oder der allgemeinen Schwere komme ein Fahrzeug schwer von der Küste weg und werde die Schaluppe einer Fregatte von dieser selbst angezogen.

Am 18. morgens wurde der Wind etwas frischer, und so gelang es uns, aus dem Kanal zu kommen. Wir kamen dem Infierno noch einmal sehr nahe, und jetzt bemerkten wir im Gestein große Spalten, durch welche wahrscheinlich die Gase entwichen, als die Basaltkuppe emporgehoben wurde. Wir verloren die kleinen Inseln Alegranza, Montaña Clara und Graciosa aus dem Gesicht. Sie scheinen nie von Guanchen bewohnt gewesen zu sein und man besucht sie jetzt nur, um Orseille dort zu sammeln; diese Pflanze ist übrigens weniger gesucht, seit so viele andere Flechtenarten aus dem nördlichen Europa kostbare Farbstoffe liefern. Montaña Clara ist berühmt wegen der schönen Kanarienvögel, die dort vorkommen. Der Gesang dieser Vögel wechselt nach Schwärmen, wie ja auch bei uns der Gesang der Finken in zwei benachbarten Landstrichen häufig ein anderer ist. Auf Montaña Clara gibt es auch Ziegen, zum Beweis, daß das Eiland im Inneren nicht so öde ist als die Küste, die wir gesehen. Der Name Alegranza kommt her von »La Joyeuse«, wie die ersten Eroberer der Kanarien, zwei normännische Barone, Jean de Béthencourt und Gadifer de Salle, die Insel benannten. Es war der erste Punkt, wo sie gelandet. Nach einem Aufenthalt von einigen Tagen auf der Insel Graciosa, von der wir ein kleines Stück gesehen, beschlossen sie sich der benachbarten Insel Lanzarote zu bemächtigen, und wurden von Guadarfia, dem Häuptling der Guanchen, so gastfreundlich empfangen, wie Cortez im Palast Montezumas. Der Hirtenkönig, der keine anderen Schätze hatte als seine Ziegen, wurde so schmählich verraten, wie der mexikanische Sultan.

Wir fuhren an den Küsten von Lanzarote, Lobos und Fuerteventura hin. Die zweite scheint früher mit den anderen zusammengehangen zu haben. Diese geologische Hypothese wurde schon im 17. Jahrhundert von einem Franziskaner, Juan Galindo, aufgestellt. Er war sogar der Ansicht, König Juba habe nur sechs Kanarische Inseln genannt, weil zu seiner Zeit drei derselben nur eine gebildet. Ohne auf diese unwahrscheinliche Hypothese einzugehen, haben gelehrte Geographen den Archipel der Kanarien für die beiden Inseln Junonia, die Inseln Nivaria, Ombrios, Canaria und Capraria der Alten erklärt.

Da der Horizont dunstig war, konnten wir auf der ganzen Ueberfahrt von Lanzarote nach Tenerifa des Gipfels des Pik de Teyde nicht ansichtig werden. Ist der Vulkan wirklich 3712 m hoch, wie Bordas letzte trigonometrische Messung angibt, so muß sein Gipfel auf 80 km zu sehen sein, das Auge am Meeresspiegel angenommen und die Refraktion gleich 0,079 der Entfernung. Man hat in Zweifel gezogen, ob der Pik im Kanal zwischen Lanzarote und Fuerteventura, der nach Varelas Karte 2º 20' oder gegen 225 km davon entfernt ist, je gesehen worden sei. Der Punkt scheint indessen durch einige Offiziere der königlich spanischen Marine entschieden worden zu sein; ich habe an Bord der Korvette Pizarro ein Schiffstagebuch in Händen gehabt, in dem stand, der Pik von Tenerifa sei in 250 km Entfernung beim südlichen Vorgebirge von Lanzarote, genannt Pichiguera, gesehen worden, und zwar erschien der Gipfel unter einem so großen Winkel, daß der Beobachter, Don Manuel Bazuti, glaubt, der Vulkan hätte noch 40,5 km weiter weg gesehen werden können. Das war im September, gegen Abend, bei sehr feuchtem Wetter. Rechnet man 4,87 m als Erhöhung des Auges über der See, so finde ich, daß man, um die Erscheinung zu erklären, eine Refraktion gleich 0,158 des Bogens anzunehmen hat, was für die gemäßigte Zone nicht außerordentlich viel ist. Nach den Beobachtungen des Generals Roy schwanken in England die Refraktionen zwischen 1/20 und ?, und wenn es wahr ist, daß sie an der Küste von Afrika diese äußersten Grenzen erreichen, woran ich sehr zweifle, so könnte unter gewissen Umständen der Pik vom Verdeck eines Schiffes auf 113 km gesehen werden.

Seeleute, die häufig diese Striche befahren und über die Ursachen der Naturerscheinungen nachdenken, wundern sich, daß der Pik de Teyde und der der Azoren Die Höhe dieses Piks beträgt nach de Fleurieu 2144 m, nach Ferrer 2413, nach Tofiño 2457, aber diese Maße sind nur annähernde Schätzungen. Der Kapitän des Pizarro, Don Manuel Cagigal, hat mir aus seinem Tagebuch bewiesen, daß er den Pik der Azoren auf 166 km Entfernung gesehen hat, zu einer Zeit, wo er seiner Länge wenigstens bis auf 2 Minuten gewiß war. Der Vulkan wurde in Süd 4º Ost gesehen, so daß der Irrtum in der Länge auf die Schätzung der Entfernung nur ganz unbedeutenden Einfluß haben konnte. Indessen war der Winkel, unter dem der Pik der Azoren erschien, so groß, daß Cagigal der Meinung ist, der Vulkan müsse auf mehr als 180 oder 190 km zu sehen sein. Der Abstand von 166 km setzt eine Höhe von 2789 m voraus.zuweilen in sehr großer Entfernung zum Vorschein kommen, ein andermal in weit größerer Nähe nicht sichtbar sind, obgleich der Himmel klar erscheint und der Horizont nicht dunstig ist. Diese Umstände verdienen die Aufmerksamkeit des Physikers um so mehr, als viele Fahrzeuge auf der Rückreise nach Europa mit Ungeduld des Erscheinens dieser Berge harren, um ihre Länge danach zu berichtigen, und sie sich weiter davon entfernt glauben, als sie in Wahrheit sind, wenn sie sie bei hellem Wetter in Entfernungen, wo die Sehwinkel schon sehr bedeutend sein müßten, nicht sehen können. Der Zustand der Atmosphäre hat den bedeutendsten Einfluß auf die Sichtbarkeit ferner Gegenstände. Im allgemeinen läßt sich annehmen, daß der Pik von Tenerifa im Juli und August, bei sehr warmem, trockenem Wetter, ziemlich selten sehr weit gesehen wird, daß er dagegen im Januar und Februar, bei leicht bedecktem Himmel und unmittelbar nach oder einige Stunden vor einem starken Regen in außerordentlich großer Entfernung zu Gesicht kommt. Die Durchsichtigkeit der Luft scheint, wie schon oben bemerkt, in erstaunlichem Maße erhöht zu werden, wenn eine gewisse Menge Wasser gleichförmig in derselben verbreitet ist. Zudem darf man sich nicht wundern, wenn man den Pik de Teyde seltener sehr weit sieht als die Gipfel der Anden, die ich so lange Zeit habe beobachten können. Der Pik ist nicht so hoch als der Teil des Atlas, an dessen Abhang die Stadt Marokko liegt, und nicht wie dieser mit ewigem Schnee bedeckt. Der Piton oder Zuckerhut, der die oberste Spitze des Piks bildet, wirft allerdings vieles Licht zurück, weil der aus dem Krater ausgeworfene Bimsstein von weißlicher Farbe ist; aber dieser kleine abgestutzte Kegel mißt nur ein Zwanzigteil der ganzen Höhe. Die Wände des Vulkanes sind entweder mit schwarzen, verschlackten Lavablöcken oder mit einem kräftigen Pflanzenwuchs bedeckt, dessen Masse um so weniger Licht zurückwirft, als die Baumblätter voneinander durch Schatten getrennt sind, die einen größeren Umfang haben als die beleuchteten Teile.

Daraus geht hervor, daß der Pik von Tenerifa, abgesehen vom Piton, zu den Bergen gehört, die man, wie Bouguer sich ausdrückt, auf weite Entfernung nur negativ sieht, weil sie das Licht auffangen, das von der äußersten Grenze des Luftkreises zu uns gelangt, und wir ihr Dasein nur gewahr werden, weil das Licht in der sie umgebenden Luft und das, welches die Luftteilchen zwischen dem Berge und dem Auge des Beobachters fortpflanzen, von verschiedener Intensität sind. Aus den Versuchen desselben Beobachters geht hervor, daß, wenn dieser Unterschied für unsere Organe merkbar werden und der Berg sich deutlich vom Himmel abheben soll, das eine Licht wenigstens um ein Sechzigteil stärker sein muß als das andere. Entfernt man sich von der Insel Tenerifa, so bleibt der Piton oder Zuckerhut ziemlich lange positiv sichtbar, weil er weißes Licht reflektiert und sich vom Himmel hell abhebt; da aber dieser Kegel nur 156 m hoch und an der Spitze 78 m breit ist, so hat man neuerdings die Frage aufgeworfen, ob er bei so unbedeutender Masse auf weiter als 180 km sichtbar sein kann, und ob es nicht wahrscheinlicher ist, daß man in See den Pik erst dann als ein Wölkchen über dem Horizont gewahr wird, wenn bereits die Basis des Piton heraufzurücken beginnt. Nimmt man die mittlere Breite des Zuckerhutes zu 200 m an, so findet man, daß der kleine Kegel in 180 km Entfernung in horizontaler Richtung noch unter einem Winkel von mehr als drei Minuten erscheint. Dieser Winkel ist groß genug, um einen Gegenstand sichtbar zu machen, und wenn der Piton beträchtlich höher wäre, als an der Basis breit, so dürfte der Winkel in horizontaler Richtung noch kleiner sein, und der Gegenstand machte doch noch einen Eindruck auf unsere Organe; aus mikrometrischen Beobachtungen geht hervor, daß eine Minute nur dann die Grenze der Sichtbarkeit ist, wenn die Gegenstände nach allen Richtungen von gleichem Durchmesser sind. Man erkennt in einer weiten Ebene einzelne Baumstämme mit bloßem Auge, obgleich der Sehwinkel nicht 25 Sekunden beträgt.

Da die Sichtbarkeit eines Gegenstandes, der sich dunkelfarbig abhebt, von der Lichtmenge abhängt, die auf zwei Linien zum Auge gelangt, deren eine am Berge endet, während die andere bis zur Grenze des Luftmeeres fortläuft, so folgt daraus, daß, je weiter man vom Gegenstande wegrückt, desto kleiner der Unterschied wird zwischen dem Lichte der umgebenden Luft und dem Lichte der vor dem Berge befindlichen Luftschichten. Daher kommt es, daß nicht sehr hohe Berggipfel, wenn sie sich über dem Horizont zu zeigen anfangen, anfangs dunkler erscheinen als Gipfel, die man auf sehr große Entfernung sieht. Ebenso hängt die Sichtbarkeit von Bergen, die man nur negativ gewahr wird, nicht allein vom Zustande der unteren Luftschichten ab, auf die unsere meteorologischen Beobachtungen beschränkt sind, sondern auch von der Durchsichtigkeit und der physischen Beschaffenheit der höheren Regionen; denn das Bild hebt sich desto besser ab, je stärker das Licht in der Luft, das von den Grenzen der Atmosphäre herkommt, ursprünglich ist, oder je weniger Verlust es auf seinem Durchgange erlitten hat. Dieser Umstand macht es bis zu einem gewissen Grade erklärlich, warum bei gleich heiterem Himmel, bei ganz gleichem Thermometer- und Hygrometerstand nahe an der Erdoberfläche, der Pik auf Schiffen, die gleich weit davon entfernt sind, das eine Mal sichtbar ist, das andere Mal nicht. Wahrscheinlich würde man sogar den Vulkan nicht häufiger sehen können, wenn die Höhe des Aschenkegels, an dessen Spitze sich die Krateröffnung befindet, ein Vierteil der ganzen Berghöhe wäre, wie es beim Vesuv der Fall ist. Die Asche, zu Pulver zerriebener Bimsstein, wirft das Licht nicht so stark zurück als der Schnee der Anden. Sie macht, daß der Berg bei sehr großem Abstand sich nicht hell, sondern weit schwächer dunkelfarbig abhebt. Sie trägt so zu sagen dazu bei, die Anteile des in der Luft verbreiteten Lichtes, deren veränderliche Unterschiede einen Gegenstand mehr oder weniger deutlich sichtbar machen, auszugleichen. Kahle Kalkgebirge, mit Granitsand bedeckte Berggipfel, die hohen Savannen der Kordilleren, Los Pajonales, von paja, Gras. So heißt die Zone der grasartigen Gewächse, welche unter der Region des ewigen Schnees liegt. die goldgelb sind, treten allerdings in geringer Entfernung deutlicher hervor als Gegenstände, die man negativ sieht; aber nach der Theorie besteht eine gewisse Grenze, jenseits welcher diese letzteren sich bestimmter vom Blau des Himmels abheben.

Bei den kolossalen Berggipfeln von Quito und Peru, die über die Grenze des ewigen Schnees hinausragen, wirken alle günstigen Umstände zusammen, um sie unter sehr kleinen Winkeln sichtbar zu machen. Wir haben oben gesehen, daß der abgestumpfte Gipfel des Piks von Tenerifa nur gegen 580 m Durchmesser hat. Nach den Messungen, die ich im Jahre 1803 zu Riobamba angestellt, ist die Kuppe des Chimborazo 298 m unter der Spitze, also an einer Stelle, die 2533 m höher liegt als der Pik, noch 1312 m breit. Ferner nimmt die Zone des ewigen Schnees ein Vierteil der ganzen Berghöhe ein, und die Basis dieser Zone ist, von der Südsee gesehen, 6700 m breit. Obgleich aber der Chimborazo um zwei Drittel höher ist als der Pik, sieht man ihn doch wegen der Krümmung der Erde nur 172,5 km weiter. Wenn er im Hafen von Guayaquil am Ende der Regenzeit am Horizont auftaucht, glänzt sein Schnee so stark, daß man glauben sollte, er müßte sehr weit in der Südsee sichtbar sein. Glaubwürdige Schiffer haben mich versichert, sie haben ihn bei der Klippe Muerto, südwestlich von der Insel Puna, auf 211,5 km gesehen. So oft er noch weiter gesehen worden, sind die Angaben unzuverlässig, weil die Beobachter ihrer Länge nicht gewiß waren.

Das in der Luft verbreitete Licht erhöht, indem es auf die Berge fällt, die Sichtbarkeit derer, die positiv sichtbar sind; die Stärke desselben vermindert im Gegenteil die Sichtbarkeit von Gegenständen, die, wie der Pik von Tenerifa und der der Azoren, sich dunkelfarbig abheben. Bouguer hat auf theoretischem Wege gefunden, daß nach der Beschaffenheit unserer Atmosphäre Berge negativ nicht weiter als auf 157 km gesehen werden können. Die Erfahrung – und diese Bemerkung ist wichtig – widerspricht dieser Rechnung. Der Pik von Tenerifa ist häufig auf 162, 171, sogar auf 180 km gesehen worden. Noch mehr, auf der Fahrt nach den Sandwichinseln hat man den Gipfel des Mauna-Roa Der Mauna-Roa auf den Sandwichinseln ist nach Marchand über 5063 m hoch, nach King 5022 m, aber diese Messungen sind, trotz ihrer zufälligen Uebereinstimmung, keineswegs auf zuverlässigem Wege erzielt. Es ist eine ziemlich auffallende Erscheinung, daß ein Berggipfel unter 19º Breite, der wahrscheinlich über 4870 m hoch ist, von Schnee ganz entblößt wird. Die starke Abplattung des Mauna-Roa, der Mesa der alten spanischen Karten, seine vereinzelte Lage im Weltmeer und die Häufigkeit gewisser Winde, die, durch den aufsteigenden Strom abgelenkt, in schiefer Richtung wehen, mögen die vornehmsten Ursachen sein. Es läßt sich nicht wohl annehmen, daß sich Kapitän Marchand in der Schätzung des Abstandes, in dem er am 10. Oktober 1791 den Gipfel des Mauna-Roa sah, bedeutend geirrt habe. Er hatte die Insel Owaihi erst am 7. abends verlassen, und nach der Bewegung der Gewässer und den Mondbeobachtungen am 19. betrug die Entfernung wahrscheinlich sogar mehr als 238 km. Ueberdies berichtet ein erfahrener Seemann, de Fleurieu, daß der Pik von Tenerifa selbst bei nicht ganz klarem Wetter auf 157 bis 162 km zu sehen sei. und zwar zu einer Zeit, wo kein Schnee darauf lag, dicht am Horizont auf 238 km gesehen. Dies ist bis jetzt das auffallendste bekannte Beispiel von der Sichtbarkeit eines Berges, und was noch merkwürdiger ist, es handelt sich dabei von einem Gegenstand, der nur negativ sichtbar ist.

Ich glaubte diese Bemerkungen am Ende dieses Kapitels zusammenstellen zu sollen, weil sie sich auf eines der wichtigsten Probleme der Optik beziehen, auf die Schwächung der Lichtstrahlen bei ihrem Durchgang durch die Schichten der Luft, und zugleich nicht ohne praktischen Nutzen sind. Die Vulkane Tenerifas und der Azoren, die Sierra Nevada von St. Martha, der Pik von Orizaba, die Silla bei Caracas, Mauna-Roa und der St. Eliasberg liegen vereinzelt in weiten Meeresstrecken oder auf den Küsten der Kontinente, und dienen so dem Seefahrer, der die Mittel nicht hat, um den Ort des Schiffes durch Sternbeobachtungen zu bestimmen, gleichsam als Bojen im Fahrwasser. Alles, was mit der Erkennbarkeit dieser natürlichen Bojen zusammenhängt, ist für die Sicherheit der Schiffahrt von Belang.


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