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Zweites Kapitel.

Aufenthalt auf Tenerifa. – Reise von Santa Cruz nach Orotava. – Besteigung des Piks.


Von unserer Abreise von Graciosa an war der Horizont fortwährend so dunstig, daß trotz der ansehnlichen Höhe der Berge Canarias ( Isla de la gran Canaria) die Insel erst am 19. abends in Sicht kam. Sie ist die Kornkammer des Archipels der »glückseligen Inseln«, und man behauptet, was für ein Land außerhalb der Tropen sehr auffallend ist, in einigen Strichen erhalte man zwei Getreideernten im Jahre, eine im Februar, die andere im Juni. Canaria ist noch nie von einem unterrichteten Mineralogen besucht worden; sie verdiente es aber um so mehr, als mir ihre in parallelen Ketten streichenden Berge von ganz anderem Charakter schienen als die Gipfel von Lanzarote und Tenerifa. Nichts ist für den Geologen anziehender als die Beobachtung, wie sich an einem bestimmten Punkte die vulkanischen Bildungen zu den Urgebirgen und den sekundären Gebirgen verhalten. Sind einmal die Kanarischen Inseln in allen ihren Gebirgsgliedern erforscht, so wird sich zeigen, daß man zu voreilig die Bildung der ganzen Gruppe einer Hebung durch unterseeische Feuerausbrüche zugeschrieben hat.

Am 19. morgens sahen wir den Berggipfel Naga ( Punta de Naga, Anaga oder Nago), aber der Pik von Tenerifa blieb fortwährend unsichtbar. Das Land trat nur undeutlich hervor, ein dicker Nebel verwischte alle Umrisse. Als wir uns der Reede von Santa Cruz näherten, bemerkten wir, daß der Nebel, vom Winde getrieben, auf uns zukam. Das Meer war sehr unruhig, wie fast immer in diesen Strichen. Wir warfen Anker, nachdem wir mehrmals das Senkblei ausgeworfen; denn der Nebel war so dicht, daß man kaum auf ein paar Kabellängen sah. Aber eben da man anfing den Platz zu salutieren, zerstreute sich der Nebel völlig, und da erschien der Pik de Teyde in einem freien Stück Himmel über den Wolken, und die ersten Strahlen der Sonne, die für uns noch nicht aufgegangen war, beleuchteten den Gipfel des Vulkanes. Wir eilten eben aufs Vorderteil der Korvette, um dieses herrlichen Schauspieles zu genießen, da signalisierte man vier englische Schiffe, die ganz nahe an unserem Hinterteile auf der Seite lagen. Wir waren an ihnen vorbeigesegelt, ohne daß sie uns bemerkt hatten, und derselbe Nebel, der uns den Anblick des Piks entzogen, hatte uns der Gefahr entrückt, nach Europa zurückgebracht zu werden. Wohl wäre es für Naturforscher ein großer Schmerz gewesen, die Küste von Tenerifa von weitem gesehen zu haben, und einen von Vulkanen zerrütteten Boden nicht betreten zu dürfen.

Alsbald hoben wir den Anker und der Pizarro näherte sich so viel möglich dem Fort, um unter den Schutz desselben zu kommen. Hier auf dieser Reede, als zwei Jahre vor unserer Ankunft die Engländer zu landen versuchten, riß eine Kanonenkugel Admiral Nelson den Arm ab (im Juli 1797). Der Generalstatthalter der Kanarischen Inseln Don Andrès de Perlasca. schickte an den Kapitän der Korvette den Befehl, alsbald die Staatsdepeschen für die Statthalter der Kolonieen, das Geld an Bord und die Post ans Land schaffen zu lassen. Die englischen Schiffe entfernten sich von der Reede; sie hatten tags zuvor auf das Paketboot Alcadia Jagd gemacht, das wenige Tage vor uns von Coruña abgegangen war. Es hatte in den Hafen von Palmas auf Canaria einlaufen müssen, und mehrere Passagiere, die in einer Schaluppe nach Santa Cruz auf Tenerifa fuhren, waren gefangen worden.

Die Lage dieser Stadt hat große Aehnlichkeit mit der von Guayra, dem besuchtesten Hafen der Provinz Caracas. An beiden Orten ist die Hitze aus denselben Ursachen sehr groß; aber von außen erscheint Santa Cruz trübseliger. Auf einem öden, sandigen Strande stehen blendend weiße Häuser mit platten Dächern und Fenstern ohne Glas vor einer schwarzen senkrechten Felsmauer ohne allen Pflanzenwuchs. Ein hübscher Hafendamm aus gehauenen Steinen und der öffentliche, mit Pappeln besetzte Spaziergang bringen die einzige Abwechselung in das eintönige Bild. Von Santa Cruz aus nimmt sich der Pik weit weniger malerisch aus als im Hafen von Orotava. Dort ergreift der Gegensatz zwischen einer lachenden, reich bebauten Ebene und der wilden Physiognomie des Vulkanes. Von den Palmen- und Bananengruppen am Strande bis zu der Region der Arbutus, der Lorbeeren und Pinien ist das vulkanische Gestein mit kräftigem Pflanzenwuchs bedeckt. Man begreift, wie sogar Völker, welche unter dem schönen Himmel von Griechenland und Italien wohnen, im östlichen Teil von Tenerifa eine der glückseligen Inseln gefunden zu haben meinten. Die Ostküste dagegen, an der Santa Cruz liegt, trägt überall den Stempel der Unfruchtbarkeit. Der Gipfel des Piks ist nicht öder als das Vorgebirge aus basaltischer Lava, das der Punta de Naga zuläuft, und wo Fettpflanzen in den Ritzen des Gesteines eben erst den Grund zu einstiger Dammerde legen. Im Hafen von Orotava erscheint die Spitze des Zuckerhutes unter einem Winkel von mehr als 16½º, während auf dem Hafendamm von Santa Cruz der Winkel kaum 4º 36' beträgt. Die Spitze des Vulkanes ist von Orotava etwa 16,5 km, von Santa Cruz 44 km entfernt.

Trotz diesem Unterschied, und obgleich am letzteren Orte der Vulkan kaum so weit über den Horizont aufsteigt als der Vesuv, vom Molo von Neapel aus gesehen, so ist dennoch der Anblick des Piks, wenn man ihn vor Anker auf der Reede zum erstenmal sieht, äußerst großartig. Wir sahen nur den Zuckerhut; sein Kegel hob sich vom reinsten Himmelsblau ab, während schwarze dicke Wolken den übrigen Berg bis auf 3500 m Höhe einhüllten. Der Bimsstein, von den ersten Sonnenstrahlen beleuchtet, warf ein rötliches Licht zurück, dem ähnlich, das häufig die Gipfel der Hochalpen färbt. Allmählich ging dieser Schimmer in das blendendste Weiß über, und es ging uns wie den meisten Reisenden, wir meinten, der Pik sei noch mit Schnee bedeckt und wir werden nur mit großer Mühe an den Rand des Kraters gelangen können.

Wir haben in der Kordillere der Anden die Beobachtung gemacht, daß Kegelberge, wie der Cotopaxi und der Tunguragua, sich öfter unbewölkt zeigen als Berge, deren Krone mit vielen kleinen Unebenheiten besetzt ist, wie der Antisana und der Pichincha; aber der Pic von Tenerifa ist, trotz seiner Kegelgestalt, einen großen Teil des Jahres in Dunst gehüllt, und zuweilen sieht man ihn auf der Reede von Santa Cruz mehrere Wochen lang nicht ein einziges Mal. Die Erscheinung erklärt sich ohne Zweifel daraus, daß er westwärts von einem großen Festlande und ganz isoliert im Meere liegt. Die Schiffer wissen recht gut, daß selbst die kleinsten, niedrigsten Eilande die Wolken anziehen und festhalten. Ueberdies erfolgt die Wärmeabnahme über den Ebenen Afrikas und über der Meeresfläche in verschiedenem Verhältnis, und die Luftschichten, welche die Passatwinde herführen, kühlen sich immer mehr ab, je weiter sie gegen West gelangen. Die Luft, die über dem heißen Wüstensande ausnehmend trocken war, schwängert sich rasch, sobald sie mit der Meeresfläche oder mit der Luft, die auf dieser Fläche ruht, in Berührung kommt. Man sieht also leicht, warum die Dünste in Luftschichten sichtbar werden, die, vom Festland weggeführt, nicht mehr die Temperatur haben, bei der sie sich mit Wasser gesättigt hatten. Zudem hält die bedeutende Masse eines frei aus dem Atlantischen Meere aufsteigenden Berges die Wolken auf, welche der Wind der hohen See zutreibt.

Lange und mit Ungeduld warteten wir auf die Erlaubnis von seiten des Statthalters, ans Land gehen zu dürfen. Ich nutzte die Zeit, um die Länge des Hafendammes von Santa Cruz zu bestimmen und die Inklination der Magnetnadel zu beobachten. Der Chronometer von Louis Berthoud gab jene zu 18º 33' 10" an. Diese Bestimmung weicht um 3 bis 4 Bogenminuten von derjenigen ab, die sich aus den alten Beobachtungen von Fleurieu, Pingré, Borda, Vancouver und La Peyrouse ergibt. Guenot hatte übrigens gleichfalls 18º 33' 36" gefunden und der unglückliche Kapitän Blight 18º 34' 30". Die Genauigkeit meines Ergebnisses wurde drei Jahre darauf bei der Expedition des Ritters Krusenstern bestätigt; man fand für Santa Cruz 16º 12' 45" westlich von Greenwich, folglich 18º 33' 0" westlich von Paris. Diese Angaben zeigen, daß die Längen, welche Kapitän Cook für Tenerifa und das Kap der guten Hoffnung annahm, viel zu weit westlich sind. Derselbe Seefahrer hatte im Jahre 1799 die magnetische Inklination gleich 61º 52' gefunden. Bonpland und ich fanden 62º 24', was mit dem Resultat übereinstimmt, das de Rossel bei d'Entrecasteaux' Expedition im Jahre 1791 erhielt. Die Deklination der Nadel schwankt um mehrere Grade, je nachdem man sie auf dem Hafendamm oder an verschiedenen Punkten nordwärts längs des Gestades beobachtet. Diese Schwankungen können an einem von vulkanischem Gestein umgebenen Orte nicht befremden. Ich habe mit Gay-Lussac die Beobachtung gemacht, daß am Abhange des Vesuvs und im Inneren des Kraters die Intensität der magnetischen Kraft durch die Nähe der Laven modifiziert wird.

Nachdem die Leute, die zu uns an Bord gekommen waren, um sich nach politischen Neuigkeiten zu erkundigen, uns mit ihren vielerlei Fragen geplagt hatten, stiegen wir endlich ans Land. Das Boot wurde sogleich zur Korvette zurückgeschickt, weil die auf der Reede sehr gefährliche Brandung es leicht hätte am Hafendamm zertrümmern können. Das erste, was uns zu Gesicht kam, war ein hochgewachsenes, sehr gebräuntes, schlecht gekleidetes Frauenzimmer, das die Capitana hieß. Hinter ihr kamen einige andere in nicht anständigerem Aufzug; sie bestürmten uns mit der Bitte, an Bord des Pizarro gehen zu dürfen, was ihnen natürlich nicht bewilligt wurde. In diesem von Europäern so stark besuchten Hafen ist die Ausschweifung diszipliniert. Die Capitana ist von ihresgleichen als Anführerin gewählt, und sie hat große Gewalt über sie. Sie läßt nichts geschehen, was sich mit dem Dienst auf den Schiffen nicht verträgt, sie fordert die Matrosen auf, zur rechten Zeit an Bord zurückzukehren, und die Offiziere wenden sich an sie, wenn man fürchtet, daß sich einer von der Mannschaft versteckt habe, um auszureißen.

Als wir die Straßen von Santa Cruz betraten, kam es uns zum Ersticken heiß vor, und doch stand der Thermometer nur auf 25º . Wenn man lange Seeluft geatmet hat, fühlt man sich unbehaglich, so oft man ans Land geht, nicht weil jene Luft mehr Sauerstoff enthält als die Luft am Lande, wie man irrtümlich behauptet hat, sondern weil sie weniger mit den Gasgemischen geschwängert ist, welche die tierischen und Pflanzenstoffe und die Dammerde, die sich aus ihrer Zersetzung bildet, fortwährend in den Luftkreis entbinden. Miasmen, welche sich der chemischen Analyse entziehen, wirken gewaltig auf unsere Organe, zumal wenn sie nicht schon seit längerer Zeit denselben Reizen ausgesetzt gewesen sind.

Santa Cruz de Tenerifa, das Añaza der Guanchen, ist eine ziemlich hübsche Stadt mit 8000 Einwohnern. Mir ist die Menge von Mönchen und Weltgeistlichen, welche die Reisenden in allen Ländern unter spanischem Zepter sehen zu müssen glauben, gar nicht aufgefallen. Ich halte mich auch nicht damit auf, die Kirchen zu beschreiben, die Bibliothek der Dominikaner, die kaum ein paar hundert Bände zählt, den Hafendamm, wo die Einwohnerschaft abends zusammenkommt, um der Kühle zu genießen, und das berühmte 10 m hohe Denkmal aus karrarischem Marmor, geweiht unserer lieben Frau von Candelaria, zum Gedächtnis ihrer wunderbaren Erscheinung zu Chimisay bei Guimar im Jahre 1392. Der Hafen von Santa Cruz ist eigentlich ein großes Karawanserai auf dem Wege nach Amerika und Indien. Fast alle Reisebeschreibungen beginnen mit einer Beschreibung von Madeira und Tenerifa, und wenn die Naturgeschichte dieser Inseln der Forschung noch ein ungeheures Feld bietet, so läßt dagegen die Topographie der kleinen Städte Funchal, Santa Cruz, Laguna und Orotava fast nichts zu wünschen übrig.

Die Empfehlungen des Madrider Hofes verschafften uns auf den Kanarien, wie in allen anderen spanischen Besitzungen, die befriedigendste Aufnahme. Vor allem erteilte uns der Generalkapitän die Erlaubnis, die Insel zu bereisen. Der Oberst Armiaga, Befehlshaber eines Infanterieregiments, nahm uns in seinem Hause auf und überhäufte uns mit Höflichkeit. Wir wurden nicht müde, in seinem Garten im Freien gezogene Gewächse zu bewundern, die wir bis jetzt nur in Treibhäusern gesehen hatten, den Bananenbaum, den Melonenbaum, die Poinciana pulcherrima und andere. Das Klima der Kanarien ist indessen nicht warm genug, um den echten Platano arton mit dreieckiger, 186 bis 212 mm langer Frucht, der eine mittlere Temperatur von etwa 24º verlangt und selbst nicht im Thale von Caracas fortkommt, reif werden zu lassen. Die Bananen auf Tenerifa sind die, welche die spanischen Kolonisten Camburis oder Guineos und Dominicos nennen. Der Camburi, der am wenigsten vom Frost leidet, wird sogar in Malaga mit Erfolg gebaut; Die mittlere Temperatur dieser Stadt beträgt nur 18º . aber die Früchte, die man zuweilen zu Cadiz sieht, kommen von den Kanarien auf Schiffen, welche die Ueberfahrt in drei, vier Tagen machen. Die Musa, die allen Völkern der heißen Zone bekannt ist, und die man bis jetzt nirgends wild gefunden hat, variiert meist in ihren Früchten, wie unsere Apfel- und Birnenbäume. Diese Varietäten, welche die meisten Botaniker verwechseln, obgleich sie sehr verschiedene Klimate verlangen, sind durch lange Kultur konstant geworden.

Am Abend machten wir eine botanische Exkursion nach dem Fort Paso Alto längs der Basaltfelsen, welche das Vorgebirge Naga bilden. Wir waren mit unserer Ausbeute sehr schlecht zufrieden, denn die Trockenheit und der Staub hatten die Vegetation so ziemlich vernichtet. Cacalia Kleinia, Euphorbia canariensis und verschiedene andere Fettpflanzen, welche ihre Nahrung vielmehr aus der Luft als aus dem Boden ziehen, auf dem sie wachsen, mahnten uns durch ihren Habitus daran, daß diese Inseln Afrika angehören, und zwar dem dürrsten Striche dieses Festlandes.

Der Kapitän der Korvette hatte zwar Befehl, so lange zu verweilen, daß wir die Spitze des Piks besteigen könnten, wenn anders der Schnee es gestattete; man gab uns aber zu erkennen, wegen der Blockade der englischen Schiffe dürften wir nur auf einen Aufenthalt von vier, fünf Tagen rechnen. Wir eilten demnach, in den Hafen von Orotava zu kommen, der am Westabhang des Vulkanes liegt, und wo wir Führer finden sollten. In Santa Cruz konnte ich niemand auffinden, der den Pik bestiegen gehabt hätte, und ich wunderte mich nicht darüber. Die merkwürdigsten Dinge haben desto weniger Reiz für uns, je näher sie uns sind, und ich kannte Schaffhauser, welche den Rheinfall niemals in der Nähe gesehen hatten.

Am 20. Juni vor Sonnenaufgang machten wir uns auf den Weg nach Villa de la Laguna, die 682 m über dem Hafen von Santa Cruz liegt. Wir konnten diese Höhenangabe nicht verifizieren, denn wegen der Brandung hatten wir in der Nacht nicht an Bord gehen können, um Barometer und Inklinationskompaß zu holen. Da wir voraussahen, daß wir bei unserer Besteigung des Piks sehr würden eilen müssen, so war es uns ganz lieb, daß wir Instrumente, die uns in unbekannteren Ländern dienen sollten, hier keiner Gefahr aussetzen konnten. Der Weg nach Laguna hinauf läuft an der rechten Seite eines Baches oder Barranco hin, der in der Regenzeit schöne Fälle bildet; er ist schmal und vielfach gewunden. Nach meiner Rückkehr habe ich gehört, Herr von Perlasca habe hier eine neue Straße anlegen lassen, auf der Wagen fahren können. Bei der Stadt begegneten uns weiße Kamele, die sehr leicht beladen schienen. Diese Tiere werden vorzugsweise dazu gebraucht, die Waren von der Douane in die Magazine der Kaufleute zu schaffen. Man ladet ihnen gewöhnlich zwei Kisten mit Havanazucker auf, die zusammen 450 kg wiegen, man kann aber die Ladung bis auf 13 Zentner oder 52 kastilische Arrobas steigern. Auf Tenerifa sind die Kamele nicht sehr häufig, während ihrer auf Lanzarote und Fuerteventura viele Tausende sind. Diese Inseln liegen Afrika näher und kommen daher auch in Klima und Vegetation mehr mit diesem Kontinent überein. Es ist sehr auffallend, daß dieses nützliche Tier, das sich in Südamerika fortpflanzt, dies auf Tenerifa fast nie thut. Nur im fruchtbaren Distrikt von Adexe, wo die bedeutendsten Zuckerrohrpflanzungen sind, hat man die Kamele zuweilen Junge werfen sehen. Diese Lasttiere, wie die Pferde, sind im 15. Jahrhundert durch die normännischen Eroberer auf den Kanarien eingeführt worden. Die Guanchen kannten sie nicht, und dies erklärt sich wohl leicht daraus, daß ein so gewaltiges Tier schwer auf schwachen Fahrzeugen zu transportieren ist, ohne daß man die Guanchen als die Ueberreste der Bevölkerung der Atlantis zu betrachten und zu glauben braucht, sie gehören einer anderen Rasse an als die Westafrikaner.

Der Hügel, auf dem die Stadt San Christobal de la Laguna liegt, gehört dem System von Basaltgebirgen an, die, unabhängig vom System neuerer vulkanischer Gebirgsarten, einen weiten Gürtel um den Pik von Tenerifa bilden. Der Basalt von Laguna ist nicht säulenförmig, sondern zeigt nicht sehr dicke Schichten, die nach Ost unter einem Winkel von 30 bis 40º fallen. Nirgends hat er das Ansehen eines Lavastromes, der an den Abhängen der Piks ausgebrochen wäre. Hat der gegenwärtige Vulkan diese Basalte hervorgebracht, so muß man annehmen, wie bei den Gesteinen, aus denen die Somma neben dem Vesuv besteht, daß sie infolge eines unterseeischen Ausbruches gebildet sind, wobei die weiche Masse wirklich geschichtet wurde. Außer einigen baumartigen Euphorbien, Cacalia Kleinia und Fackeldisteln (Kaktus), welche auf den Kanarien, wie im südlichen Europa und auf dem afrikanischen Festlande verwildert sind, wächst nichts auf diesem dürren Gestein. Unsere Maultiere glitten jeden Augenblick auf stark geneigten Steinlagern aus. Indessen sahen wir die Ueberreste eines alten Pflasters. Bei jedem Schritt stößt man in den Kolonieen auf Spuren der Thatkraft, welche die spanische Nation im 16. Jahrhundert entwickelt hat.

Je näher wir Laguna kamen, desto kühler wurde die Luft, und dies thut um so wohler, da es in Santa Cruz zum Ersticken heiß ist. Da widrige Eindrücke unsere Organe stärker angreifen, so ist der Temperaturwechsel auf dem Rückweg von Laguna zum Hafen noch auffallender; man meint, man nähere sich der Mündung eines Schmelzofens. Man hat dieselbe Empfindung, wenn man an der Küste von Caracas vom Berge Avila zum Hafen von Guayra niedersteigt. Nach dem Gesetz der Wärmeabnahme machen in dieser Breite 682 m Höhe nur 3 bis 4º Temperaturunterschied. Die Hitze, welche dem Reisenden so lästig wird, wenn er Santa Cruz de Tenerifa oder Guayra betritt, ist daher wohl dem Rückprallen der Wärme von den Felsen zuzuschreiben, an welche beide Städte sich lehnen.

Die fortwährende Kühle, die in Laguna herrscht, macht die Stadt für die Kanarier zu einem köstlichen Aufenthaltsorte. Auf einer kleinen Ebene, umgeben von Gärten, am Fuße eines Hügels, den Lorbeeren, Myrten und Erdbeerbäume krönen, ist die Hauptstadt von Tenerifa wirklich ungemein freundlich gelegen. Sie liegt keineswegs, wie man nach mehreren Reiseberichten glauben sollte, an einem See. Das Regenwasser bildet hier periodisch einen weiten Sumpf, und der Geolog, der überall in der Natur vielmehr einen früheren Zustand der Dinge als den gegenwärtigen im Auge hat, zweifelt nicht daran, daß die ganze Ebene ein großes ausgetrocknetes Becken ist. Laguna ist in seinem Wohlstand herabgekommen, seit die Seitenausbrüche des Vulkanes den Hafen von Garachico zerstört haben und Santa Cruz der Haupthandelsplatz der Inseln geworden ist; es zählt nur noch 9000 Einwohner, worunter gegen 400 Mönche in sechs Klöstern. Manche Reisende behaupten, die Hälfte der Bevölkerung bestehe aus Kuttenträgern. Die Stadt ist mit zahlreichen Windmühlen umgeben, ein Wahrzeichen des Getreidebaus in diesem hochgelegenen Striche. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß die nährenden Grasarten den Guanchen bekannt waren. Das Korn hieß auf Tenerifa tano, auf Lanzarote triffa; die Gerste hieß auf Kanaria aramotanoque, auf Lanzarote tamosen. Geröstetes Gerstenmehl ( gofio) und Ziegenmilch waren die vornehmsten Nahrungsmittel dieses Volkes, über dessen Ursprung so viele systematische Träumereien ausgeheckt worden sind. Diese Nahrung weist bestimmt darauf hin, daß die Guanchen zu den Völkern der Alten Welt gehörten, wohl selbst zur kaukasischen Rasse, und nicht, wie die anderen Atlanten, Ich lasse mich hier auf keine Verhandlung über die Existenz der Atlantis ein und erwähne nur, daß nach Diodor von Sizilien die Atlanten die Cerealien nicht kannten, weil sie von der übrigen Menschheit getrennt worden, bevor überhaupt Getreide gebaut wurde. zu den Volksstämmen der Neuen Welt; die letzteren kannten vor der Ankunft der Europäer weder Getreide, noch Milch, noch Käse.

Eine Menge Kapellen, von den Spaniern ermitas genannt, liegen um die Stadt Laguna. Umgeben von immergrünen Bäumen auf kleinen Anhöhen, erhöhen diese Kapellen, wie überall, den malerischen Reiz der Landschaft. Das Innere der Stadt entspricht dem Aeußeren durchaus nicht. Die Häuser sind solid gebaut, aber sehr alt, und die Straßen öde. Der Botaniker hat übrigens nicht zu bedauern, daß die Häuser so alt sind. Dächer und Mauern sind bedeckt mit Sempervivum canariense und dem zierlichen Trichomanes, dessen alle Reisende gedenken; die häufigen Nebel geben diesen Gewächsen Unterhalt.

Anderson, der Naturforscher bei Kapitän Cooks dritter Reise, gibt den europäischen Aerzten den Rat, ihre Kranken nach Tenerifa zu schicken, keineswegs aus der Rücksicht, welche manche Heilkünstler die entlegensten Bäder wählen läßt, sondern wegen der ungemeinen Milde und Gleichmäßigkeit des Klimas der Kanarien. Der Boden der Inseln steigt amphitheatralisch auf und zeigt, gleich Peru und Mexiko, wenn auch in kleinerem Maßstab, alle Klimate, von afrikanischer Hitze bis zum Froste der Hochalpen. Santa Cruz, der Hafen von Orotava, die Stadt desselben Namens und Laguna sind vier Orte, deren mittlere Temperaturen eine abnehmende Reihe darstellen. Das südliche Europa bietet nicht dieselben Vorteile, weil der Wechsel der Jahreszeiten sich noch zu stark fühlbar macht. Tenerifa dagegen, gleichsam an der Pforte der Tropen und doch nur wenige Tagereisen von Spanien, hat schon ein gut Teil der Herrlichkeit aufzuweisen, mit der die Natur die Länder zwischen den Wendekreisen ausgestattet. Im Pflanzenreich treten bereits mehrere der schönsten und großartigsten Gestalten auf, die Bananen und die Palmen. Wer Sinn für Naturschönheit hat, findet auf dieser köstlichen Insel noch kräftigere Heilmittel als das Klima. Kein Ort der Welt scheint mir geeigneter, die Schwermut zu bannen und einem schmerzlich ergriffenen Gemüte den Frieden wiederzugeben, als Tenerifa und Madeira. Und solches wirkt nicht allein die herrliche Lage und die reine Luft, sondern vor allem das Nichtvorhandensein der Sklaverei, deren Anblick einen in beiden Indien so tief empört, wie überall, wohin europäische Kolonisten ihre sogenannte Aufklärung und ihre Industrie getragen haben.

Im Winter ist das Klima von Laguna sehr neblig und die Einwohner beklagen sich häufig über Frost. Man hat indessen nie schneien sehen, woraus man schließen sollte, daß die mittlere Temperatur der Stadt über 18,7º (15º R.) beträgt, das heißt mehr als in Neapel. Für streng kann dieser Schluß nicht gelten; denn im Winter hängt die Erkältung der Wolken weniger von der mittleren Temperatur des ganzen Jahres ab als vielmehr von der augenblicklichen Erniedrigung der Wärme, der ein Ort vermöge seiner besonderen Lage ausgesetzt ist. Die mittlere Temperatur der Hauptstadt von Mexiko ist z. B. nur 16,8º (13,5º R.), und doch hat man in hundert Jahren nur ein einziges Mal schneien sehen, während es im südlichen Europa und in Afrika noch an Orten schneit, die über 19º mittlere Temperatur haben.

Wegen der Nähe des Meeres ist das Klima von Laguna im Winter milder, als es nach der Meereshöhe sein sollte. Herr Broussonet hat sogar, wie ich mit Verwunderung hörte, mitten in der Stadt, im Garten des Marquis von Nava, Brotfruchtbäume ( Artocarpus incisa) und Zimtbäume ( Laurus cinnamomum) angepflanzt. Diese köstlichen Gewächse der Südsee und Ostindiens wurden hier einheimisch, wie auch in Orotava. Sollte dieser Versuch nicht beweisen, daß der Brotfruchtbaum in Kalabrien, auf Sizilien und in Granada fortkäme? Der Anbau des Kaffeebaumes ist in Laguna nicht in gleichem Maße gelungen, wenn auch die Früchte bei Tegueste und zwischen dem Hafen von Orotava und dem Dorfe San Juan de la Rambla reif werden. Wahrscheinlich sind örtliche Verhältnisse, vielleicht die Beschaffenheit des Bodens und die Winde, die in der Blütezeit wehen, daran schuld. In anderen Ländern, z. B. bei Neapel, trägt der Kaffeebaum ziemlich reichlich Früchte, obgleich die mittlere Temperatur kaum über 18º der hundertteiligen Skale beträgt.

Auf Tenerifa ist die mittlere Höhe, in der jährlich Schnee fällt, noch niemals bestimmt worden. Solches ist mittels barometrischer Messung leicht auszuführen, es ist aber bis jetzt fast in allen Erdstrichen versäumt worden; und doch ist diese Bestimmung von großem Belang für den Ackerbau in den Kolonieen und für die Meteorologie, und ganz so wichtig als das Höhenmaß der unteren Grenze des ewigen Schnees. Ich stelle die Ergebnisse meiner betreffenden Beobachtungen in folgender Uebersicht zusammen.

 

Nördliche Breite Geringste Höhe, in der Schnee fällt
[m]
Untere Grenze des ewigen Schnees
[m]
Unterschied der beiden vorstehenden Kolumnen
[m]
Mittlere Temperatur
(100teilige Skale)
3976 4794 818 27º
20º 3020 4598 1578 24,5º
40º 0 3001 3001 17º

 

Diese Tafel gibt nur das Durchschnittsverhältnis, das heißt die Erscheinungen, wie sie sich im ganzen Jahre zeigen. Besondere Lokalitäten können Ausnahmen herbeiführen. So schneit es zuweilen, wenn auch sehr selten, in Neapel, Lissabon, sogar in Malaga, also noch unter dem 37. Grad der Breite, und wie schon bemerkt, hat man Schnee in der Stadt Mexiko fallen sehen, die 2286 m über dem Meere liegt. Dies war seit mehreren Jahrhunderten nicht vorgekommen, und das Ereignis trat gerade am Tage ein, da die Jesuiten vertrieben wurden, und wurde daher vom Volke natürlich dieser Gewaltmaßregel zugeschrieben. Noch ein auffallenderes Beispiel bietet das Klima von Valladolid, der Hauptstadt der Provinz Michoacan. Nach meinen Messungen liegt diese Stadt unter 19º 42' der Breite nur 1950 m hoch; dennoch waren daselbst wenige Jahre vor unserer Ankunft in Neuspanien die Straßen mehrere Stunden lang mit Schnee bedeckt.

Auch auf Tenerifa hat man an einem Orte über Esperanza de la Laguna, dicht bei der Stadt dieses Namens, in deren Gärten Brotbäume wachsen, schneien sehen. Dieser außerordentliche Fall wurde Broussonet von sehr alten Leuten erzählt. Die Erica arborea, die Mirica Faya und Arbutus callycarpa litten nicht durch den Schnee; aber alle Schweine, die im Freien waren, kamen dadurch um. Diese Beobachtung ist für die Pflanzenphysiologie von Wichtigkeit. In heißen Ländern sind die Gewächse so kräftig, daß ihnen der Frost weniger schadet, wenn er nur nicht lange anhält. Ich habe auf der Insel Cuba den Bananenbaum an Orten angebaut gesehen, wo der hundertteilige Thermometer auf 7º, ja zuweilen fast auf den Gefrierpunkt fällt. In Italien und Spanien gehen Orangen- und Dattelbäume nicht zu Grunde, wenn es auch bei Nacht zwei Grad Kälte hat. Im allgemeinen macht man beim Garten- und Landbau die Bemerkung, daß Pflanzen in fruchtbarem Boden weniger zärtlich und somit auch für ungewöhnlich niedrige Temperaturgrade weniger empfindlich sind, als solche, die in einem Erdreich wachsen, das ihnen nur wenig Nahrungssäfte bietet. Die Schwäche der Lebenskraft zeigt sich auch an den Maulbeerbäumen, die auf magerem sandigen Boden in der Nähe des Baltischen Meeres gezogen werden. Die Spätfröste thun ihnen weit weher als den Maulbeerbäumen in Piemont. In Italien bringt ein Frost von 5º unter dem Gefrierpunkt kräftige Orangenbäume nicht um. Diese Bäume, die weniger empfindlich sind als Zitronen, erfrieren nach Galesio erst bei -16º der hundertteiligen Skale.

Zwischen der Stadt Laguna und dem Hafen von Orotava und der Westküste von Tenerifa kommt man zuerst durch ein hügeliges Land mit schwarzer thoniger Dammerde, in der man hin und wieder kleine Augitkristalle findet. Wahrscheinlich reißt das Wasser diese Kristalle vom anstehenden Gestein ab, wie zu Frascati bei Rom. Leider entziehen eisenhaltige Flözschichten den Boden der geologischen Untersuchung. Nur in einigen Schluchten kommen säulenförmige, etwas gebogene Basalte zu Tag, und darüber sehr neue, den vulkanischen Tuffen ähnliche Mengsteine. In denselben sind Bruchstücke des unterliegenden Basaltes eingeschlossen, und wie versichert wird, finden sich Versteinerungen von Seetieren darin; ganz dasselbe kommt im Vicentinischen bei Montechio maggiore vor.

Wenn man ins Thal von Tacoronte hinabkommt, betritt man das herrliche Land, von dem die Reisenden aller Nationen mit Begeisterung sprechen. Ich habe im heißen Erdgürtel Landschaften gesehen, wo die Natur großartiger ist, reicher in der Entwickelung organischer Formen; aber nachdem ich die Ufer des Orinoko, die Kordilleren von Peru und die schönen Thäler von Mexiko durchwandert, muß ich gestehen, nirgends ein so mannigfaltiges, so anziehendes, durch die Verteilung von Grün und Felsmassen so harmonisches Gemälde vor mir gehabt zu haben.

Das Meeresufer schmücken Dattelpalmen und Kokosnußbäume; weiter oben stechen Bananengebüsche von Drachenbäumen ab, deren Stamm man ganz richtig mit einem Schlangenleib vergleicht. Die Abhänge sind mit Reben bepflanzt, die sich um sehr hohe Spaliere ranken. Mit Blüten bedeckte Orangenbäume, Myrten und Cypressen umgeben Kapellen, welche die Andacht auf freistehenden Hügeln errichtet hat. Ueberall sind die Grundstücke durch Hecken von Agave und Kaktus eingefriedigt. Unzählige kryptogamische Gewächse, zumal Farne, bekleiden die Mauern, die von kleinen klaren Wasserquellen feucht erhalten werden. Im Winter, während der Vulkan mit Eis und Schnee bedeckt ist, genießt man in diesem Landstrich eines ewigen Frühlings. Sommers, wenn der Tag sich neigt, bringt der Seewind angenehme Kühlung. Die Bevölkerung der Küste ist hier sehr stark; sie erscheint noch größer, weil Häuser und Gärten zerstreut liegen, was den Reiz der Landschaft noch erhöht. Leider steht der Wohlstand der Bewohner weder mit ihrem Fleiße, noch mit der Fülle der Natur im Verhältnis. Die das Land bauen, sind meist nicht Eigentümer desselben; die Frucht ihrer Arbeit gehört dem Adel, und das Lehnssystem, das so lange ganz Europa unglücklich gemacht hat, läßt noch heute das Volk der Kanarien zu keiner Blüte gelangen.

Von Tegueste und Tacoronte bis zum Dorfe San Juan de la Rambla, berühmt durch seinen trefflichen Malvasier, ist die Küste wie ein Garten angebaut. Ich möchte sie mit der Umgegend von Capua oder Valencia vergleichen, nur ist die Westseite von Tenerifa unendlich schöner wegen der Nähe des Piks, der bei jedem Schritt wieder eine andere Ansicht bietet. Der Anblick dieses Berges ist nicht allein wegen seiner imposanten Masse anziehend; er beschäftigt lebhaft den Geist und läßt uns den geheimnisvollen Quellen der vulkanischen Kräfte nachdenken. Seit Tausenden von Jahren ist kein Lichtschimmer auf der Spitze des Piton gesehen worden, aber ungeheure Seitenausbrüche, deren letzter im Jahre 1798 erfolgte, beweisen die fortwährende Thätigkeit eines nicht erlöschenden Feuers. Der Anblick eines Feuerschlundes mitten in einem fruchtbaren Lande mit reichem Anbau hat indessen etwas Niederschlagendes. Die Geschichte des Erdballes lehrt uns, daß die Vulkane wieder zerstören, was sie in einer langen Reihe von Jahrhunderten aufgebaut. Inseln, welche die unterirdischen Feuer über die Fluten emporgehoben, schmücken sich allmählich mit reichem, lachendem Grün; aber gar oft werden diese neuen Länder durch dieselben Kräfte zerstört, durch die sie vom Boden des Ozeans über seine Fläche gelangt sind. Vielleicht waren Eilande, die jetzt nichts sind als Schlacken- und Aschenhaufen, einst so fruchtbar als die Gelände von Tacoronte und Sauzal. Wohl den Ländern, wo der Mensch dem Boden, auf dem er wohnt, nicht mißtrauen darf!

Auf unserem Wege zum Hafen von Orotava kamen wir durch die hübschen Dörfer Matanza und Victoria. Diese beiden Namen findet man in allen spanischen Kolonieen nebeneinander; sie machen einen widrigen Eindruck in einem Lande, wo alles Ruhe und Frieden atmet. Matanza bedeutet Schlachtbank, Blutbad, und schon das Wort deutet an, um welchen Preis der Sieg erkauft worden. In der Neuen Welt weist er gewöhnlich auf eine Niederlage der Eingeborenen hin; auf Tenerifa bezeichnet das Wort Matanza den Ort, wo die Spanier von denselben Guanchen geschlagen wurden, die man bald darauf auf den spanischen Märkten als Sklaven verkaufte.

Ehe wir nach Orotava kamen, besuchten wir den botanischen Garten nicht weit vom Hafen. Wir trafen da den französischen Vizekonsul Legros, der oft auf der Spitze des Piks gewesen war und an dem wir einen vortrefflichen Führer fanden. Er hatte mit Kapitän Baudin eine Fahrt nach den Antillen gemacht, durch die der Pariser Pflanzengarten ansehnlich bereichert worden ist. Ein furchtbarer Sturm, den Ledru in seiner Reise nach Puertorico beschreibt, zwang das Fahrzeug, bei Tenerifa anzulegen, und das herrliche Klima der Insel brachte Legros zum Entschluß, sich hier niederzulassen. Ihm verdankt die gelehrte Welt Europas die ersten genauen Nachrichten über den großen Seitenausbruch des Piks, den man sehr uneigentlich den Ausbruch des Vulkanes von Chahorra nennt. Am 8. Juni 1798.

Die Anlage eines botanischen Gartens auf Tenerifa ist ein sehr glücklicher Gedanke, da derselbe sowohl für die wissenschaftliche Botanik als für die Einführung nützlicher Gewächse in Europa sehr förderlich werden kann. Die erste Idee eines solchen verdankt man dem Marquis von Nava (Marquis von Villanueva del Prado), einem Manne, der Poivre an die Seite gestellt zu werden verdient und im Triebe, das Gute zu fördern, von seinem Vermögen den edelsten Gebrauch gemacht hat. Mit ungeheuren Kosten ließ er den Hügel von Durasno, der amphitheatralisch aufsteigt, abheben, und im Jahre 1795 machte man mit den Anpflanzungen den Anfang. Nava war der Ansicht, daß die Kanarien, vermöge des milden Klimas und der geographischen Lage, der geeignetste Punkt seien, um die Naturprodukte beider Indien zu akklimatisieren, um die Gewächse aufzunehmen, die sich allmählich an die niedrigere Temperatur des südlichen Europas gewöhnen sollen. Asiatische, afrikanische, südamerikanische Pflanzen gelangen leicht in den Garten bei Orotava, und um den Chinabaum Ich meine die Chinaarten, die in Peru und im Königreich Neugranada auf dem Rücken der Kordilleren, zwischen 1950 und 2925 m Meereshöhe an Orten wachsen, wo der Thermometer bei Tag zwischen 9 und 10º, bei Nacht zwischen 3 und 4º steht. Die orangegelbe Quinquina ( Cinchona lancifolia) ist weit weniger empfindlich als die rote ( C. oblongifolia). in Sizilien, Portugal oder Granada einzuführen, müßte man ihn zuerst in Durasno oder Laguna anbauen und dann erst die Schößlinge der kanarischen China nach Europa verpflanzen. In besseren Zeiten, wo kein Seekrieg mehr den Verkehr in Fesseln schlägt, kann der Garten von Tenerifa auch für die starken Pflanzensendungen aus Indien nach Europa von Bedeutung werden. Diese Gewächse gehen häufig, ehe sie unsere Küsten erreichen, zu Grunde, weil sie auf der langen Ueberfahrt eine mit Salzwasser geschwängerte Luft atmen müssen. Im Garten von Orotava fänden sie eine Pflege und ein Klima, wobei sie sich erholen könnten. Da die Unterhaltung des botanischen Gartens von Jahr zu Jahr kostspieliger wurde, trat der Marquis denselben der Regierung ab. Wir fanden daselbst einen geschickten Gärtner, einen Schüler Aitons, des Vorstehers des königlichen Gartens zu Kew. Der Boden steigt in Terrassen auf und wird von einer natürlichen Quelle bewässert. Man hat die Aussicht auf die Insel Palma, die wie ein Kastell aus dem Meere emporsteigt. Wir fanden aber nicht viele Pflanzen hier; man hatte, wo Gattungen fehlten, Etiketten aufgesteckt, mit Namen, die aufs Geratewohl aus Linnés Systema vegetabilium genommen schienen. Diese Anordnung der Gewächse nach den Klassen des Sexualsystems, die man leider auch in manchen europäischen Gärten findet, ist dem Anbau sehr hinderlich. In Durasno wachsen Proteen, der Gujavabaum, der Jambusenbaum, die Chirimoya aus Peru, Annona Cherimolia, Lamarck. Mimosen und Helikonien im Freien. Wir pflückten reife Samen von mehreren schönen Glycinearten aus Neuholland, welche der Gouverneur von Cumana, Emparan, mit Erfolg angepflanzt hat und die seitdem auf den südamerikanischen Küsten wild geworden sind.

Wir kamen sehr spät in den Hafen von Orotava, Puerto de la Cruz. Der einzige schöne Hafen der Kanarien ist der von San Sebastiano auf der Insel Gomera. wenn man anders diesen Namen einer Reede geben kann, auf der die Fahrzeuge unter Segel gehen müssen, wenn der Wind stark aus Nordwest bläst. Man kann nicht von Orotava sprechen, ohne die Freunde der Wissenschaft an Cologan zu erinnern, dessen Haus von jeher den Reisenden aller Nationen offen stand. Mehrere Glieder dieser achtungswerten Familie sind in London und Paris erzogen worden. Don Bernardo Cologan ist bei gründlichen, mannigfaltigen Kenntnissen der feurigste Patriot. Man ist freudig überrascht, auf einer Inselgruppe an der Küste von Afrika der liebenswürdigen Geselligkeit, der edlen Wißbegierde, dem Kunstsinn zu begegnen, die man ausschließlich in einem kleinen Teile von Europa zu Hause glaubt.

Gern hätten wir einige Zeit in Cologans Hause verweilt und mit ihm in der Umgegend von Orotava die herrlichen Punkte San Juan de la Rambla und Rialexo de Abaxo besucht. Aber auf einer Reise wie die, welche ich angetreten, kommt man selten dazu, der Gegenwart zu genießen. Die quälende Besorgnis, nicht ausführen zu können, was man den anderen Tag vorhat, erhält einen in beständiger Unruhe. Leidenschaftliche Natur- und Kunstfreunde sind auf der Reise durch die Schweiz oder Italien in ganz ähnlicher Gemütsverfassung; da sie die Gegenstände, die Interesse für sie haben, immer nur zum kleinsten Teil sehen können, so wird ihnen der Genuß durch die Opfer verbittert, die sie auf jedem Schritt zu bringen haben.

Bereits am 21. morgens waren wir auf dem Wege nach dem Gipfel des Vulkanes. Legros, dessen zuvorkommende Gefälligkeit wir nicht genug loben können, der Sekretär des französischen Konsulats zu Santa Cruz und der englische Gärtner von Durasno teilten mit uns die Beschwerden der Reise. Der Tag war nicht sehr schön, und der Gipfel des Piks, den man in Orotava fast immer sieht, von Sonnenaufgang bis zehn Uhr in dicke Wolken gehüllt. Ein einziger Weg führt auf den Vulkan durch Villa de Orotava, die Ginsterebene und das Malpays, derselbe, den Pater Feullée, Borda, Labillardière, Barrow eingeschlagen, und überhaupt alle Reisenden, die sich nur kurze Zeit in Tenerifa aufhalten konnten. Wenn man den Pik besteigt, ist es gerade, wie wenn man das Chamounithal oder den Aetna besucht: man muß seinen Führern nachgehen und man bekommt nur zu sehen, was schon andere Reisende gesehen und beschrieben haben.

Der Kontrast zwischen der Vegetation in diesem Striche von Tenerifa und der in der Umgegend von Santa Cruz überraschte uns angenehm. Beim kühlen, feuchten Klima war der Boden mit schönem Grün bedeckt, während auf dem Wege von Santa Cruz nach Laguna die Pflanzen nichts als Hülsen hatten, aus denen bereits der Samen gefallen war. Beim Hafen von Orotava wird der kräftige Pflanzenwuchs den geologischen Beobachtungen hinderlich. Wir kamen an zwei kleinen glockenförmigen Hügeln vorüber. Beobachtungen am Vesuv und in der Auvergne weisen darauf hin, daß dergleichen runde Erhöhungen von Seitenausbrüchen des großen Vulkanes herrühren. Der Hügel Montanita de la Villa scheint wirklich einmal Lava ausgeworfen zu haben; nach den Ueberlieferungen der Guanchen fand dieser Ausbruch im Jahre 1430 statt. Der Oberst Franqui versicherte Borda, man sehe noch deutlich, wo die geschmolzenen Stoffe hervorgequollen, und die Asche, die den Boden ringsum bedecke, sei noch nicht fruchtbar. Ich entnehme diese Notiz einer interessanten Handschrift, die jetzt in Paris im Dépôt des cartes de la Marine aufbewahrt wird. Sie führt den Titel: Résumé des opérations de la campagne de la Boussole (1776), pour déterminer les positions géographiques des côtes d'Espagne et de Portugal sur l'Océan, d'une partie des côtes occidentales de l'Afrique et des îles Canaries, par le chevalier de Borda. Es ist dies die Handschrift, von der de Fleurieu in seinen Noten zu Marchands Reise spricht und die mir Borda zum Teil schon vor meiner Abreise mitgeteilt hatte. Ich habe wichtige, noch nicht veröffentlichte Beobachtungen daraus ausgezogen. Ueberall, wo das Gestein zu Tage ausgeht, fanden wir basaltartigen Mandelstein (Werner) und Bimssteinkonglomerat, in dem Rapilli oder Bruchstücke von Bimsstein eingeschlossen sind. Letztere Formation hat Aehnlichkeit mit dem Tuff von Pausilipp und mit den Puzzolanschichten, die ich im Thale von Quito, am Fuße des Vulkanes Pichincha, gefunden habe. Der Mandelstein hat langgezogene Poren, wie die oberen Lavaschichten des Vesuv. Es scheint dies darauf hinzudeuten, daß eine elastische Flüssigkeit durch die geschmolzene Materie durchgegangen ist. Trotz diesen Uebereinstimmungen muß ich noch einmal bemerken, daß ich in der ganzen unteren Region des Piks von Tenerifa auf der Seite gegen Orotava keinen Lavastrom, überhaupt keinen vulkanischen Ausbruch gesehen habe, der scharf begrenzt gewesen wäre. Regengüsse und Überschwemmungen wandeln die Erdoberfläche um, und wenn zahlreiche Lavaströme sich vereinigen und über eine Ebene ergießen, wie ich es am Vesuv im Atrio dei Cavalli gesehen, so verschmelzen sie ineinander und nehmen das Ansehen wirklich geschichteter Bildungen an.

Villa de Orotava macht schon von weitem einen guten Eindruck durch die Fülle der Gewässer, die auf den Ort zueilen und durch die Hauptstraßen fließen. Die Quelle Aqua mansa, in zwei großen Becken gefaßt, treibt mehrere Mühlen und wird dann in die Weingärten des anliegenden Geländes geleitet. Das Klima in der Villa ist noch kühler als am Hafen, da dort von morgens zehn Uhr an ein starker Wind weht. Das Wasser, das sich bei höherer Temperatur in der Luft aufgelöst hat, schlägt sich häufig nieder, und dadurch wird das Klima sehr neblig. Die Villa liegt etwa 312 m über dem Meere, also 390 m niedriger als Laguna; man bemerkt auch, daß dieselben Pflanzen an letzterem Orte einen Monat später blühen.

Orotava, das alte Taoro der Guanchen, liegt am steilen Abhang eines Hügels; die Straßen schienen uns öde, die Häuser, solid gebaut, aber trübselig anzusehen, gehören fast durchaus einem Adel, der für sehr stolz gilt und sich selbst anspruchsvoll als dozo casas bezeichnet. Wir kamen an einer sehr hohen, mit einer Menge schöner Farne bewachsenen Wasserleitung vorüber. Wir besuchten mehrere Gärten, in denen die Obstbäume des nördlichen Europas neben Orangen, Granatbäumen und Dattelpalmen stehen. Man versicherte uns, letztere tragen hier so wenig Früchte als in Terra Firma an der Küste von Cumana. Obgleich wir den Drachenbaum in Herrn Franquis Garten aus Reiseberichten kannten, so setzte uns seine ungeheure Dicke dennoch in Erstaunen. Man behauptet, der Stamm dieses Baumes, der in mehreren sehr alten Urkunden erwähnt wird, weil er als Grenzmarke eines Feldes diente, sei schon im 15. Jahrhundert so ungeheuer dick gewesen wie jetzt. Seine Höhe schätzten wir auf 16 bis 19,5 m; sein Umfang nahe über den Wurzeln beträgt 14,6 m. Weiter oben konnten wir nicht messen, aber Sir Georg Staunton hat gefunden, daß 3,25 m über dem Boden der Stamm noch 3,66 m im Durchmesser hat, was gut mit Bordas Angabe übereinstimmt, der den mittleren Umfang zu 10,93 m angibt. Der Stamm teilt sich in viele Aeste, die kronleuchterartig aufwärts ragen und an den Spitzen Blätterbüschel tragen, ähnlich der Yucca im Thale von Mexiko. Durch diese Teilung in Aeste unterscheidet sich sein Habitus wesentlich von dem der Palmen.

Unter den organischen Bildungen ist dieser Baum, neben der Adansonia oder dem Baobab am Senegal, ohne Zweifel einer der ältesten Bewohner unseres Erdballs. Die Baobab werden indessen noch dicker als der Drachenbaum von Villa d'Orotava. Man kennt welche, die an der Wurzel 11 m Durchmesser haben, wobei sie nicht höher sind als 16 bis 20 m. Adanson wundert sich, daß die Baobab nicht von anderen Reisenden beschrieben worden seien. Ich finde in der Sammlung des Grynäus, daß schon Aloysio Cadomosto vom hohen Alter dieser ungeheuren Bäume spricht, die er im Jahre 1504 gesehen, und von denen er ganz richtig sagt: » eminentia altitudinis non quadrat magnitudini.« Cadam. navig. c. 42. Am Senegal und bei Praya auf den Kapverdischen Inseln haben Adanson und Staunton Adansonien gesehen, deren Stamm 18,2 bis 19,5 m im Umfang hatte. Den Baobab mit 11 m Durchmesser hat Golberry im Thale der zwei Gagnack gesehen. Man muß aber bedenken, daß die Adansonia, wie die Ochroma und alle Gewächse aus der Familie der Bombaceen, viel schneller wächst Ebenso verhält es sich mit den Platanen ( Platanus occidentalis), die Michaux zu Marietta am Ufer des Ohio gemessen hat und die 6,5 m über dem Boden noch 5,1 m im Durchmesser hatten. Die Taxus, die Kastanien, die Eichen, die Platanen, die kahlen Cypressen, die Bombax, die Mimosen, die Cäsalpinien, die Hymenäen und die Drachenbäume sind, wir mir scheint, die Gewächse, bei denen in verschiedenen Klimaten Fälle von so außerordentlichem Wachstum vorkommen. Eine Eiche, die zugleich mit gallischen Helmen im Jahre 1809 in den Torfgruben im Departement der Somme beim Dorfe Yseux, 31,5 km von Abbeville, gefunden wurde, gibt dem Drachenbaum von Orovata in der Dicke nichts nach. Nach der Angabe von Traullée hatte der Stamm der Eiche 4,5 m Durchmesser. als der Drachenbaum, der sehr langsam zunimmt. Der in Herrn Franquis Garten trägt noch jedes Jahr Blüten und Früchte. Sein Anblick mahnt lebhaft an »die ewige Jugend der Natur«, Aristoteles de longit. vitae. cap. 6. die eine unerschöpfliche Quelle von Bewegung und Leben ist.

Der Drachenbaum, der nur in den angebauten Strichen der Kanarien, auf Madeira und Porto Santo vorkommt, ist eine merkwürdige Erscheinung in Beziehung auf die Wanderung der Gewächse. Auf dem Kontinent von Afrika Schousboe (Flora von Marokko) erwähnt seiner nicht einmal unter den kultivierten Pflanzen, während er doch vom Kaktus, von der Agave und der Yukka spricht. Die Gestalt des Drachenbaumes kommt verschiedenen Arten der Gattung Dracäna am Kap der guten Hoffnung, in China und auf Neuseeland zu; aber in der Neuen Welt vertritt die Yukka die Stelle derselben; denn die Dracaena, borealis d'Aitons ist eine Convallaria, deren Habitus sie auch hat. Der im Handel unter dem Namen Drachenblut bekannte adstringierende Saft kommt nach unseren Untersuchungen an Ort und Stelle von verschiedenen amerikanischen Pflanzen, die nicht derselben Gattung angehören, unter denen sich einige Lianen befinden. In Laguna verfertigt man in Nonnenklöstern Zahnstocher, die mit dem Saft des Drachenbaumes gefärbt sind, und die man uns sehr anpries, weil sie das Zahnfleisch konservieren sollten. ist er nirgends wild gefunden worden, und Ostindien ist sein eigentliches Vaterland. Auf welchem Wege ist der Baum nach Tenerifa verpflanzt worden, wo er gar nicht häufig vorkommt? Ist sein Dasein ein Beweis dafür, daß in sehr entlegener Zeit die Guanchen mit anderen, mit asiatischen Völkern in Verkehr gestanden haben?

Von Villa de Orotava gelangten wir auf einem schmalen steinigen Pfade durch einen schönen Kastanienwald ( el Monte de Castaños) in eine Gegend, die mit einigen Lorbeerarten und der baumartigen Heide bewachsen ist. Der Stamm der letzteren wird hier ausnehmend dick, und die Blüten, mit denen der Strauch einen großen Teil des Jahres bedeckt ist, stechen angenehm ab von den Blüten des Hypericum canariense, das in dieser Höhe sehr häufig vorkommt. Wir machten unter einer schönen Tanne Halt, um uns mit Wasser zu versehen. Dieser Platz ist im Lande unter dem Namen Pino del Dornajito bekannt; seine Meereshöhe beträgt nach Bordas barometrischer Messung 1017 m. Man hat da eine prachtvolle Aussicht auf das Meer und die ganze Westseite der Insel. Beim Pino del Dornajito, etwas rechts vom Wege, sprudelt eine ziemlich reiche Quelle; wir tauchten ein Thermometer hinein, es fiel auf 15,4º. An 200 m davon ist eine andere ebenso klare Quelle. Nimmt man an, daß diese Gewässer ungefähr die mittlere Wärme des Ortes, wo sie zu Tage kommen, anzeigen, so findet man als absolute Höhe des Platzes 1013 m, die mittlere Temperatur der Küste zu 21º und unter dieser Zone eine Abnahme der Wärme um einen Grad auf 181 m angenommen. Man dürfte sich nicht wundern, wenn diese Quelle etwas unter der mittleren Lufttemperatur bliebe, weil sie sich wahrscheinlich weiter oben am Pik bildet, und vielleicht sogar mit den kleinen unterirdischen Gletschern zusammenhängt, von denen weiterhin die Rede sein wird. Die oben erwähnte Uebereinstimmung der barometrischen und der thermometrischen Messung ist desto auffallender, als im allgemeinen, wie ich anderwärts ausgeführt, So hat Hunter in den Blauen Bergen auf Jamaika die Quellen immer kälter gefunden, als sie nach der Höhe, in der sie zu Tage kommen, sein sollten. in Gebirgsländern mit steilen Hängen die Quellen eine zu rasche Wärmeabnahme anzeigen, weil sie kleine Wasseradern aufnehmen, die in verschiedenen Höhen in den Boden gelangen, und somit ihre Temperatur das Mittel aus den Temperaturen dieser Adern ist. Die Quellen des Dornajito sind im Lande berühmt; als ich dort war, kannte man auf dem Wege zum Gipfel des Vulkanes keine andere. Quellenbildung setzt eine gewisse Regelmäßigkeit im Streichen und Fallen der Schichten voraus. Auf vulkanischem Boden verschluckt das löcherige, zerklüftete Gestein das Regenwasser und läßt es in große Tiefen versinken. Deshalb sind die Kanarien größtenteils so dürr, trotzdem daß ihre Berge so ansehnlich sind und der Schiffer fortwährend gewaltige Wolkenmassen über dem Archipel gelagert sieht.

Vom Pino del Dornajito bis zum Krater zieht sich der Weg bergan, aber durch kein einziges Thal mehr; denn die kleinen Schluchten ( Barrancos) verdienen diesen Namen nicht. Geologisch betrachtet, ist die ganze Insel Tenerifa nichts als ein Berg, dessen fast eiförmige Grundfläche sich gegen Nordost verlängert, und der mehrere Systeme vulkanischer, zu verschiedenen Zeiten gebildeter Gebirgsarten aufzuweisen hat. Was man im Lande für besondere Vulkane ansieht, wie der Chahorra oder Montaña Colorada und die Urca, das sind nur Hügel, die sich an den Pik lehnen und seine Pyramide maskieren. Der große Vulkan, dessen Seitenausbrüche mächtige Vorgebirge gebildet haben, liegt indessen nicht genau in der Mitte der Insel, und diese Eigentümlichkeit im Bau erscheint weniger auffallend, wenn man sich erinnert, daß nach der Ansicht eines ausgezeichneten Mineralogen (Cordier) vielleicht nicht der kleine Krater im Piton die Hauptrolle bei den Umwälzungen der Insel Tenerifa gespielt hat.

Auf die Region der baumartigen Heiden, Monte Verde genannt, folgt die der Farne. Nirgends in der gemäßigten Zone habe ich Pteris, Blechnum und Asplenium in solcher Menge gesehen; indessen hat keines dieser Gewächse den Wuchs der Baumfarne, die in Südamerika, in 975 bis 1170 m Höhe, ein Hauptschmuck der Wälder sind. Die Wurzel der Pteris aquilina dient den Bewohnern von Palma und Gomera zur Nahrung; sie zerreiben sie zu Pulver und mischen ein wenig Gerstenmehl darunter. Dieses Gemisch wird geröstet und heißt Gofio; ein so rohes Nahrungsmittel ist ein Beweis dafür, wie elend das niedere Volk auf den Kanarien lebt.

Der Monte Verde wird von mehreren kleinen, sehr dürren Schluchten ( cañadas) durchzogen. Ueber der Region der Farne kommt man durch ein Gehölz von Wacholderbäumen ( cedro) und Tannen, das durch die Stürme sehr gelitten hat. An diesem Ort, den einige Reisende la Caravela nennen, will Edens Die Reise wurde im August 1715 gemacht. Carabela heißt ein Fahrzeug mit lateinischen Segeln. Die Tannen vom Pik dienten früher als Mastholz und die königliche Marine ließ im Monte Verde schlagen. kleine Flammen gesehen haben, die er nach den physikalischen Begriffen seiner Zeit schwefligen Ausdünstungen zuschreibt, die sich von selbst entzünden. Es ging immer aufwärts bis zum Felsen Gayta oder Portillo; hinter diesem Engpaß, zwischen zwei Basalthügeln, betritt man die große Ebene des Ginsters ( los Llanos del Retama). Bei Lapérouses Expedition hatte Manneron den Pik bis zu dieser etwa 2730 m über dem Meere gelegenen Ebene gemessen, er hatte aber wegen Wassermangels und des üblen Willens der Führer die Messung nicht bis zum Gipfel des Vulkanes fortsetzen können. Das Ergebnis dieser zu zwei Dritteilen vollendeten Operation ist leider nicht nach Europa gelangt, und so ist das Geschäft von der Küste an noch einmal vorzunehmen.

Wir brauchten gegen zwei und eine halbe Stunde, um über die Ebene des Ginsters zu kommen, die nichts ist als ein ungeheures Sandmeer. Trotz der hohen Lage zeigte hier der hundertteilige Thermometer gegen Sonnenuntergang 13,8º, das heißt 3,7º mehr als mitten am Tage auf dem Monte Verde. Dieser höhere Wärmegrad kann nur von der Strahlung des Bodens und von der weiten Ausdehnung der Hochebene herrühren. Wir litten sehr vom erstickenden Bimssteinstaub, in den wir fortwährend gehüllt waren. Mitten in der Ebene stehen Büsche von Retama, dem Spartium nubigenum d'Aitons. Dieser schöne Strauch, den de Martinière Einer der Botaniker, die auf Lapérouses Seereise umkamen. in Languedoc, wo Feuermaterial selten ist, einzuführen rät, wird 3 m hoch, er ist mit wohlriechenden Blüten bedeckt, und die Ziegenjäger, denen wir unterwegs begegneten, hatten ihre Strohhüte damit geschmückt. Die dunkelbraunen Ziegen des Piks gelten für Leckerbissen; sie nähren sich von den Blättern des Spartium und sind in diesen Einöden seit unvordenklicher Zeit verwildert. Man hat sie sogar nach Madeira verpflanzt, wo sie geschätzter sind, als die Ziegen aus Europa.

Bis zum Felsen Gayta, das heißt bis zum Anfang der großen Ebene des Ginsters ist der Pik von Tenerifa mit schönem Pflanzenwuchs überzogen, und nichts weist auf Verwüstungen in neuerer Zeit hin. Man meint einen Vulkan zu besteigen, dessen Feuer so lange erloschen ist, wie das des Monte Cavo bei Rom. Kaum hat man die mit Bimsstein bedeckte Ebene betreten, so nimmt die Landschaft einen ganz anderen Charakter an; bei jedem Schritt stößt man auf ungeheure Obsidianblöcke, die der Vulkan ausgeworfen. Alles ringsum ist öd und still; ein paar Ziegen und Kaninchen sind die einzigen Bewohner dieser Hochebene. Das unfruchtbare Stück des Piks mißt über 200 qkm, und da die unteren Regionen, von ferne gesehen, in Verkürzung erscheinen, so stellt sich die ganze Insel als ein ungeheurer Haufen verbrannten Gesteins dar, um den sich die Vegetation nur wie ein schmaler Gürtel zieht.

Ueber der Region des Spartium nubigenum kamen wir durch enge Schründe und kleine, sehr alte, vom Regenwasser ausgespülte Schluchten zuerst auf ein höheres Plateau und dann an den Ort, wo wir die Nacht zubringen sollten. Dieser Platz, der mehr als 2982 m über der Küste liegt, heißt Estancia de los Ingleses, Diese Benennung war schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts im Brauch. Edens, der alle spanischen Wörter verdreht, wie noch heute die meisten Reisenden, nennt sie Stancha; es ist Bordas Station des rochers, wie aus den daselbst beobachteten Barometerhöhen hervorgeht. Diese Höhen waren nach Cordier im Jahre 1803 527 mm, und nach Borda und Varela im Jahre 1776 528 mm, während der Barometer zu Orotava bis auf 2,22 mm ebenso hoch stand. ohne Zweifel, weil früher die Engländer den Pik am häufigsten besuchten. Zwei überhängende Felsen bilden eine Art Höhle, die Schutz gegen den Wind bietet. Bis zu diesem Orte, der bereits höher liegt als der Gipfel des Canigou, kann man auf Maultieren gelangen; viele Neugierige, die beim Abgang von Orotava den Kraterrand erreichen zu können glaubten, bleiben daher hier liegen. Obgleich es Sommer war und der schöne afrikanische Himmel über uns, hatten wir doch in der Nacht von der Kälte zu leiden. Der Thermometer fiel auf 5º. Unsere Führer machten ein großes Feuer von dürren Zweigen der Retama an. Ohne Zelt und Mäntel lagerten wir uns auf Haufen verbrannten Gesteins, und die Flammen und der Rauch, die der Wind beständig gegen uns hertrieb, wurden uns sehr lästig. Wir hatten noch nie eine Nacht in so bedeutender Höhe zugebracht, und ich ahnte damals nicht, daß wir einst in Städten wohnen würden, die höher liegen als die Spitze des Vulkanes, den wir morgen vollends besteigen sollten. Je tiefer die Temperatur sank, desto mehr bedeckte sich der Pik mit dicken Wolken. Bei Nacht stockt der Zug des Stromes, der den Tag über von den Ebenen in die hohen Luftregionen aufsteigt, und im Maße, als sich die Luft abkühlt, nimmt auch ihre das Wasser auflösende Kraft ab. Ein sehr starker Nordwind jagte die Wolken; von Zeit zu Zeit brach der Mond durch das Gewölk und seine Scheibe glänzte auf tief dunkelblauem Grunde; im Angesicht des Vulkanes hatte diese nächtliche Szene etwas wahrhaft Großartiges. Der Pik verschwand bald gänzlich im Nebel, bald erschien er unheimlich nahe gerückt und warf wie eine ungeheure Pyramide seinen Schatten auf die Wolken unter uns.

Gegen drei Uhr morgens brachen wir beim trüben Schein einiger Kienfackeln nach der Spitze des Piton auf. Man beginnt die Besteigung an der Nordostseite, wo der Abhang ungemein steil ist, und wir gelangten nach zwei Stunden auf ein kleines Plateau, das seiner isolierten Lage wegen Alta Vista heißt. Hier halten sich auch die Neveros auf, das heißt die Eingeborenen, die gewerbsmäßig Eis und Schnee suchen und in den benachbarten Städten verkaufen. Ihre Maultiere, die das Klettern mehr gewöhnt sind als die, welche man den Reisenden gibt, gehen bis zur Alta Vista und die Neveros müssen den Schnee dahin auf dem Rücken tragen. Ueber diesem Punkte beginnt das Malpays, wie man in Mexiko, in Peru und überall, wo es Vulkane gibt, einen von Dammerde entblößten und mit Lavabruchstücken bedeckten Landstrich nennt.

Wir bogen rechts vom Wege ab, um die Eishöhle zu besehen, die in 3367 m Höhe liegt, also unter der Grenze des ewigen Schnees in dieser Breite. Wahrscheinlich rührt die Kälte, die in dieser Höhle herrscht, von denselben Ursachen her, aus denen sich das Eis in den Gebirgsspalten des Jura und der Pyrenäen erhält, und über welche die Ansichten der Physiker noch ziemlich auseinander gehen. In den meisten Erdhöhlen, z. B. in der von Saint George, zwischen Niort und Rolle, bildet sich an den Kalksteinwänden selbst im Sommer eine dünne Schicht durchsichtigen Eises. Pictet hat die Beobachtung gemacht, daß der Thermometer alsdann in der Luft der Höhle nicht unter 2 bis 3º steht, so daß man das Frieren des Wassers einer örtlichen, sehr raschen Verdunstung zuzuschreiben hat. Die natürliche Eisgrube des Piks hat übrigens nicht jene senkrechten Oeffnungen, durch welche die warme Luft entweichen kann, während die kalte Luft am Boden ruhig liegen bleibt. Das Eis scheint sich hier durch seine starke Anhäufung zu halten, und weil der Prozeß des Schmelzens durch die bei rascher Verdunstung erzeugte Kälte verlangsamt wird. Dieser kleine unterirdische Gletscher liegt an einem Orte, dessen mittlere Temperatur schwerlich unter 3º beträgt, und er wird nicht, wie die eigentlichen Gletscher der Alpen, vom Schneewasser gespeist, das von den Berggipfeln herabkommt. Während des Winters füllt sich die Höhle mit Schnee und Eis, und da die Sonnenstrahlen nicht über den Eingang hinaus eindringen, so ist die Sonnenwärme nicht imstande, den Behälter zu leeren. Die Bildung einer natürlichen Eisgrube hängt also nicht sowohl ab von der absoluten Höhe der Felsspalte und der mittleren Temperatur der Luftschicht, in der sie sich befindet, als von der Masse des Schnees, der hineinkommt, und von der geringen Wirkung der warmen Winde im Sommer. Die im Inneren eines Berges eingeschlossene Luft ist schwer von der Stelle zu bringen, wie man am Monte Testaccio in Rom sieht, dessen Temperatur von der der umgebenden Luft so bedeutend abweicht. Wir werden in der Folge sehen, daß am Chimborazo ungeheure Eismassen unter dem Sande liegen, und zwar, wie auf dem Pik von Tenerifa, weit unter der Grenze des ewigen Schnees.

Bei der Eishöhle ( Cueva del Hielo) stellten bei Lapérouses Seereise Lamanon und Mongès ihren Versuch, über die Temperatur des siedenden Wassers an. Sie fanden dieselbe 88,7º, während der Barometer auf 508 mm stand. Im Königreich Neugranada, bei der Kapelle Guadeloupe in der Nähe von Santa Fé de Bogota, sah ich das Wasser bei 89,9º unter einem Luftdruck von 510 mm sieden. Zu Tambores, in der Provinz Popayan, fand Caldas 89,5º für die Temperatur des siedenden Wassers bei einem Barometerstand von 505,6 mm. Nach diesen Ergebnissen könnte man vermuten, daß bei Lamanons Versuch das Wasser das Maximum seiner Temperatur nicht ganz erreicht hatte.

Der Tag brach an, als wir die Eishöhle verließen. Da beobachteten wir in der Dämmerung eine Erscheinung, die auf hohen Bergen häufig ist, die aber bei der Lage des Vulkanes, auf dem wir uns befanden, besonders auffallend hervortrat. Eine weiße, flockige Wolkenschicht entzog das Meer und die niedrigen Regionen der Insel unseren Blicken. Die Schicht schien nicht über 1560 m hoch; die Wolken waren so gleichmäßig verbreitet und lagen so genau in einer Fläche, daß sie sich ganz wie eine ungeheure mit Schnee bedeckte Ebene darstellen. Die kolossale Pyramide des Piks, die vulkanischen Gipfel von Lanzarote, Fuerteventura und Palma ragten wie Klippen aus dem weiten Dunstmeere empor. Ihre dunkle Färbung stach grell vom Weiß der Wolken ab.

Während wir auf den zertrümmerten Laven des Malpays emporklommen, wobei wir oft die Hände zu Hilfe nehmen mußten, beobachteten wir eine merkwürdige optische Erscheinung. Wir glaubten gegen Ost kleine Raketen in die Luft steigen zu sehen. Leuchtende Punkte, 7 bis 8º über dem Horizont, schienen sich zuerst senkrecht aufwärts zu bewegen, aber allmählich ging die Bewegung in eine wagerechte Oszillation über, die acht Minuten anhielt. Unsere Reisegefährten, sogar die Führer äußerten ihre Verwunderung über die Erscheinung, ohne daß wir sie darauf aufmerksam zu machen brauchten. Auf den ersten Blick glaubten wir, diese sich hin und her bewegenden Lichtpunkte seien die Vorläufer eines neuen Ausbruchs des großen Vulkanes von Lanzarote. Wir erinnerten uns, daß Bouguer und La Condamine bei der Besteigung des Vulkanes Pichincha den Ausbruch des Cotopaxi mit angesehen hatten; aber die Täuschung dauerte nicht lange, und wir sahen, daß die Lichtpunkte die durch die Dünste vergrößerten Bilder verschiedener Sterne waren. Die Bilder standen periodisch still, dann schienen sie senkrecht aufzusteigen, sich zur Seite abwärts zu bewegen und wieder am Ausgangspunkt anzugelangen. Diese Bewegung dauerte eine bis zwei Sekunden. Wir hatten keine Mittel zur Hand, um die Größe der seitlichen Verrückung genau zu messen, aber den Lauf des Lichtpunktes konnten wir ganz gut beobachten. Er erschien nicht doppelt durch Luftspiegelung und ließ keine leuchtende Spur hinter sich. Als ich im Fernrohr eines kleinen Troughtonschen Sextanten die Sterne mit einem hohen Berggipfel auf Lanzarote in Kontakt brachte, konnte ich sehen, daß die Oszillation beständig gegen denselben Punkt hinging, nämlich gegen das Stück des Horizontes, wo die Sonnenscheibe erscheinen sollte, und daß, abgesehen von der Deklinationsbewegung des Sternes, das Bild immer an denselben Fleck zurückkehrte. Diese scheinbaren seitlichen Refraktionen hörten auf, lange bevor die Sterne vor dem Tageslicht gänzlich verschwanden. Ich habe hier genau wiedergegeben, was wir in der Dämmerung beobachteten, versuche aber keine Erklärung der auffallenden Erscheinung, die ich schon vor zwölf Jahren in Zachs astronomischem Tagebuch bekannt gemacht habe. Die Bewegung der Dunstbläschen infolge des Sonnenaufgangs, die Mischung verschiedener, in Temperatur und Dichtigkeit sehr von einander abweichenden Luftschichten haben ohne Zweifel zu der Verrückung der Gestirne in horizontaler Richtung das Ihrige beigetragen. Etwas Aehnliches sind wohl die starken Schwankungen der Sonnenscheibe, wenn sie eben den Horizont berührt; aber diese Schwankungen betragen selten mehr als zwanzig Sekunden, während die seitliche Bewegung der Sterne, wie wir sie auf dem Pik in mehr als 3507 m Höhe beobachteten, ganz gut mit bloßem Auge zu bemerken und auffallender war als alle Erscheinungen, die man bis jetzt als Wirkungen der Brechung des Sternlichtes angesehen hat. Ich war bei Sonnenaufgang und die ganze Nacht in 4092 m Höhe auf dem Rücken der Anden, in Antisana, konnte aber nichts gewahr werden, was mit jenem Phänomen übereingekommen wäre.

Ich wünschte in so bedeutender Höhe wie die, welche wir am Pik von Tenerifa erreicht hatten, den Moment des Sonnenaufganges genau zu beobachten. Kein mit Instrumenten versehener Reisender hatte noch eine solche Beobachtung angestellt. Ich hatte ein Fernrohr und ein Chronometer, dessen Gang mir sehr genau bekannt war. Der Himmelsstrich, wo die Sonnenscheibe erscheinen sollte, war dunstfrei. Wir sahen den obersten Rand um 4 Uhr 48' 55" wahrer Zeit, und, was ziemlich auffallend ist, der erste Lichtpunkt der Scheibe berührte unmittelbar die Grenze des Horizontes; wir sahen demnach den wahren Horizont, das heißt einen Strich Meers auf mehr als 152,5 km Entfernung. Die Rechnung ergibt, daß unter dieser Breite in der Ebene die Sonne um 5 Uhr 1 Minute 50 Sekunden, oder 11 Minuten 51,3 Sekunden später als auf dem Pik hätte anfangen sollen aufzugehen. Der beobachtete Unterschied betrug 12 Minuten 55 Sekunden, und dies kommt ohne Zweifel von der Ungewißheit hinsichtlich der Refraktionsverhältnisse für einen Abstand vom Zenith, wofür keine Beobachtungen vorliegen. In der Rechnung wurden für 91º 54' scheinbaren Abstandes vom Zenith 57' 7" Refraktion angenommen. Die Sonne erscheint bei ihrem Aufgang auf dem Pik von Tenerifa um so viel früher, als sie braucht, um einen Bogen von 0º 54' zurückzulegen. Für den Gipfel des Chimborazo nimmt dieser Bogen nur um 41' zu. Die Alten hatten so übertriebene Vorstellungen von der Beschleunigung des Sonnenaufganges auf dem Gipfel hoher Berge, daß sie behaupteten, die Sonne sei auf dem Berg Athos 3 Stunden früher sichtbar, als am Ufer des Aegeischen Meeres. (Strabo, Buch VII.) Und doch ist der Athos nach Delambre nur 1390 m hoch.

Wir wunderten uns, wie ungemein langsam der untere Rand der Sonne sich vom Horizont zu lösen schien. Dieser Rand wurde erst um 4 Uhr 56 Minuten 56 Sekunden sichtbar. Die stark abgeplattete Sonnenscheibe war scharf begrenzt; es zeigte sich während des Aufganges weder ein doppeltes Bild noch eine Verlängerung des unteren Randes. Der Sonnenaufgang dauerte dreimal länger, als wir in dieser Breite hätten erwarten sollen, und so ist anzunehmen, daß eine sehr gleichförmig verbreitete Dunstschicht den wahren Horizont verdeckte und der aufsteigenden Sonne nachrückte. Trotz des Schwankens der Sterne, das wir vorhin im Osten beobachtet, kann man die Langsamkeit des Sonnenaufganges nicht wohl einer ungewöhnlich starken Brechung der vom Meereshorizont zu uns gelangenden Strahlen zuschreiben; denn, wie Le Gentil es täglich in Pondichéry und ich öfters in Cumana beobachtet haben, erniedrigt sich der Horizont gerade bei Sonnenaufgang, weil die Temperatur der Luftschicht unmittelbar auf der Meeresfläche sich erhöht.

Der Weg, den wir uns durch das Malpays bahnen mußten, ist äußerst ermüdend. Der Abhang ist steil und die Lavablöcke wichen unter unseren Füßen. Ich kann dieses Stück des Weges nur mit den Moränen der Alpen vergleichen, jenen Haufen von Rollsteinen, welche am unteren Ende der Gletscher liegen; die Lavatrümmer auf dem Pik haben aber scharfe Kanten und lassen oft Lücken, in die man Gefahr läuft bis zum halben Körper zu fallen. Leider trug die Faulheit und der üble Wille unserer Führer viel dazu bei, uns das Aufsteigen sauer zu machen; sie glichen weder den Führern im Chamounithal noch jenen gewandten Guanchen, von denen die Sage geht, daß sie ein Kaninchen oder eine wilde Ziege im Laufe fingen. Unsere kanarischen Führer waren träg zum Verzweifeln; sie hatten tags zuvor uns bereden wollen, nicht über die Station bei den Felsen hinaufzugehen; sie setzten sich alle zehn Minuten nieder, um auszuruhen; sie warfen hinter uns die Handstücke Obsidian und Bimsstein, die wir sorgfältig gesammelt hatten, weg, und es kam heraus, daß noch keiner auf dem Gipfel des Vulkanes gewesen war.

Nach dreistündigem Marsch erreichten wir das Ende des Malpays bei einer kleinen Ebene, la Rambleta genannt; aus ihrem Mittelpunkte steigt der Piton oder Zuckerhut empor. Gegen Orotava zu gleicht der Berg jenen Treppenpyramiden in Fajum und in Mexiko, denn die Plateaus der Retama und die Rambleta bilden zwei Stockwerke, deren ersteres viermal höher ist als letzteres. Nimmt man die ganze Höhe des Piks zu 3710 m an, so liegt die Rambleta 3546 m über dem Meere. Hier befinden sich die Luftlöcher, welche bei den Eingeborenen Nasenlöcher des Piks( Narices del Pico) heißen. Aus mehreren Spalten im Gestein dringen hier in Absätzen warme Wasserdünste; wir sahen den Thermometer darin auf 43,2º steigen; Labillardière hatte acht Jahre vor uns diese Dämpfe 53,7º heiß gefunden, ein Unterschied, der vielleicht nicht sowohl auf eine Abnahme der vulkanischen Thätigkeit als auf einen lokalen Wechsel in der Erhitzung der Bergwände hindeutet. Die Dämpfe sind geruchlos und scheinen reines Wasser. Kurz vor dem großen Ausbruch des Vesuvs im Jahre 1806 beobachteten Gay-Lussac und ich, daß das Wasser, das in Dampfform aus dem Inneren des Kraters kommt, Lackmuspapier nicht rötete. Ich kann übrigens der kühnen Hypothese mehrerer Physiker nicht beistimmen, wonach die Naslöcher des Piks als die Mündungen eines ungeheuren Destillierapparates, dessen Boden unter der Meeresfläche liegt, zu betrachten sein sollen. Seit man die Vulkane sorgfältiger beobachtet und der Hang zum Wunderbaren sich in geologischen Büchern weniger bemerkbar macht, fängt man an, den unmittelbaren beständigen Zusammenhang zwischen dem Meere und den Herden des vulkanischen Feuers mit Recht stark in Zweifel zu ziehen. Diese Frage ist mit großem Scharfsinn von Breislack in seiner Introduzzione alla Geologia erörtert. Der Cotopaxi und der Popocatepetl, die ich im Jahre 1804 Rauch und Asche auswerfen sah, liegen weiter vom Großen Ozean und dem Meere der Antillen als Grenoble vom Mittelmeer und Orléans vom Atlantischen Meer. Man kann es allerdings nicht als einen bloßen Zufall ansehen, daß man keinen thätigen Vulkan entdeckt hat, der über 74 km von der Meeresküste läge; aber die Hypothese, nach der das Meerwasser von den Vulkanen aufgesogen, destilliert und zersetzt würde, scheint mir sehr zweifelhaft. Diese durchaus nicht auffallende Erscheinung erklärt sich wohl sehr einfach. Der Pik ist einen Teil des Jahres mit Schnee bedeckt; wir selbst fanden noch welchen auf der kleinen Ebene Rambleta; ja Odonnell und Armstrong haben im Jahre 1806 im Malpays eine sehr starke Quelle entdeckt, und zwar 195 m über der Eishöhle, die vielleicht zum Teil von dieser Quelle gespeist wird. Alles weist also darauf hin, daß der Pik von Tenerifa, gleich den Vulkanen der Anden und der Insel Luzon, im Inneren große Höhlungen hat, die mit atmosphärischem Wasser gefüllt sind, das einfach durchgesickert ist. Die Wasserdämpfe welche die Naslöcher und die Spalten im Krater ausstoßen, sind nichts als dieses selbe Wasser, das durch die Wände, über die es fließt, erhitzt wird.

Wir hatten jetzt noch den steilsten Teil des Berges, der die Spitze bildet, den Piton, zu ersteigen. Der Abhang dieses kleinen, mit vulkanischer Asche und Bimssteinstücken bedeckten Kegels ist so schroff, daß es fast unmöglich wäre, auf den Gipfel zu gelangen, wenn man nicht einem alten Lavastrom nachginge, der aus dem Krater geflossen scheint und dessen Trümmer dem Zahn der Zeit getrotzt haben. Diese Trümmer bilden eine verschlackte Felswand, die sich mitten durch die lose Asche hinzieht. Wir erstiegen den Piton, indem wir uns an diesen Schlacken anklammerten, die scharfe Kanten haben und, halb verwittert, wie sie sind, uns nicht selten in der Hand blieben. Wir brauchten gegen eine halbe Stunde, um einen Hügel zu ersteigen, dessen senkrechte Höhe kaum 175 m beträgt. Der Vesuv, der dreimal niedriger ist als der Vulkan von Tenerifa, läuft in einen fast dreimal höheren Aschenkegel aus, der aber nicht so steil und zugänglicher ist. Unter allen Vulkanen, die ich besucht, ist nur der Jorullo in Mexiko noch schwerer zu besteigen, weil der ganze Berg mit loser Asche bedeckt ist.

Wenn der Zuckerhut mit Schnee bedeckt ist, wie bei Eintritt des Winters, so kann die Steilheit des Abhanges den Reisenden in die größte Gefahr bringen. Legros zeigte uns die Stelle, wo Kapitän Baudin auf seiner Reise nach Tenerifa beinahe ums Leben gekommen wäre. Mutig hatte er gegen Ende Dezembers 1797 mit den Naturforschern Advenier, Mauger und Riedlé die Besteigung des Gipfels des Vulkanes unternommen. In der halben Höhe des Kegels fiel er und rollte bis zur kleinen Ebene Rambleta hinunter; zum Glück machte ein mit Schnee bedeckter Lavahaufen, daß er nicht noch weiter mit beschleunigter Geschwindigkeit hinabflog. Wie man mir versichert, ist ein Reisender, der den mit festem Rasen bedeckten Abhang des Col de Balme hinabgerollt war, erstickt gefunden worden.

Auf der Spitze des Piton angelangt, wunderten wir uns nicht wenig, daß wir kaum Platz fanden, bequem niederzusitzen. Wir standen vor einer kleinen kreisförmigen Mauer aus porphyrartiger Lava mit Pechsteinbasis; diese Mauer hinderte uns in den Krater hinabzusehen. La Caldera oder der Kessel des Piks. Der Name erinnert an die Oules der Pyrenäen. Der Wind blies so heftig aus West, daß wir uns kaum auf den Beinen halten konnten. Es war acht Uhr morgens und wir waren starr vor Kälte, obgleich der Thermometer etwas über dem Gefrierpunkt stand. Seit lange waren wir an eine sehr hohe Temperatur gewöhnt, und der trockene Wind steigerte das Frostgefühl, weil er die kleine Schicht warmer und feuchter Luft, welche sich durch die Hautausdünstung um uns her bildete, fortwährend wegführte.

Der Krater des Piks hat, was den Rand betrifft, mit den Kratern der meisten anderen Vulkane, die ich besucht, z. B. mit dem des Vesuvs, des Jorullo und Pichincha, keine Aehnlichkeit. Bei diesen behält der Piton seine Kegelgestalt bis zum Gipfel; der ganze Abhang ist im selben Winkel geneigt und gleichförmig mit einer Schicht sehr fein, zerteilten Bimssteines bedeckt; hat man die Spitze dieser drei Vulkane erreicht, so blickt man frei bis auf den Boden des Schlundes. Der Pik von Tenerifa und der Cotopaxi dagegen sind ganz anders gebaut; auf ihrer Spitze läuft kreisförmig ein Kamm oder eine Mauer um den Krater; von ferne stellt sich diese Mauer wie ein kleiner Cylinder auf einem abgestutzten Kegel dar. Beim Cotopaxi erkennt man dieses eigentümliche Bauwerk über 3900 m weit mit bloßem Auge, weshalb auch noch kein Mensch bis zum Krater dieses Vulkanes gekommen ist. Beim Pik von Tenerifa ist der Kamm, der wie eine Brustwehr um den Krater läuft, so hoch, daß er gar nicht zur Caldera gelangen ließe, wenn sich nicht gegen Ost eine Lücke darin befände, die von einem sehr alten Lavaerguß herzurühren scheint. Durch diese Lücke stiegen wir auf den Boden des Trichters hinab, der elliptisch ist; die große Achse läuft von Nordwest nach Südost, etwa Nord 35º Ost. Die größte Breite der Oeffnung schätzten wir auf 97 m, die kleinste auf 65 m. Diese Angaben stimmen ziemlich mit den Messungen von Verguin, Verela und Borda; nach diesen Reisenden messen die zwei Achsen 78 und 58 m. Cordier, der den Gipfel des Piks 4 Jahre nach mir besucht hat, schätzt die große Achse auf 127 m. Lamanon gibt dafür 97 m an, Odonnell aber gibt dem Krater 550 Varas (460 m) Umfang.

Man sieht leicht ein, daß die Größe eines Kraters nicht allein von der Höhe und der Masse des Berges abhängt, dessen Hauptöffnung er bildet. Seine Weite steht sogar selten im Verhältnis mit der Intensität des vulkanischen Feuers oder der Thätigkeit des Vulkanes. Beim Vesuv, der gegen den Pik von Tenerifa nur ein Hügel ist, hat der Krater einen fünfmal größeren Durchmesser. Bedenkt man, daß sehr hohe Vulkane aus ihrem Gipfel weniger Stoffe auswerfen als aus Seitenspalten, so könnte man versucht sein anzunehmen, daß, je niedriger die Vulkane sind, ihre Krater, bei gleicher Kraft und Thätigkeit, desto größer sein müßten. Allerdings gibt es ungeheure Vulkane in den Anden, die nur sehr kleine Oeffnungen haben, und man könnte es als ein geologisches Gesetz hinstellen, daß die kolossalsten Berge auf ihren Gipfeln nur Krater von geringem Umfang haben, wenn sich nicht in den Kordilleren mehrere Beispiele Die großen Vulkane Cotopaxi und Rucupichincha haben nach meinen Messungen Krater mit Diametern von mehr als 975 und 1365 m. des gegenteiligen Verhaltens fänden. Ich werde im Verfolg Gelegenheit finden, zahlreiche Thatsachen anzuführen, welche einst auf das, was man den äußeren Bau der Vulkane nennen kann, einiges Licht werfen könnten. Dieser Bau ist so mannigfaltig als die vulkanischen Erscheinungen selbst, und will man sich zu geologischen Vorstellungen erheben, die der Größe der Natur würdig sind, so muß man die Meinung aufgeben, als ob alle Vulkane nach dem Muster des Vesuv, des Stromboli und des Aetna gebaut wären.

Die äußeren Ränder der Caldera sind beinahe senkrecht; sie stellen sich ungefähr dar wie die Somma, vom Atrio dei Cavalli aus gesehen. Wir stiegen auf den Boden des Kraters auf einem Streif zerbrochener Laven, der zu der Lücke in der Umfangsmauer hinaufläuft. Hitze war nur über einigen Spalten zu spüren, aus denen Wasserdampf mit einem eigentümlichen Sumsen strömte. Einige dieser Luftlöcher oder Spalten befinden sich außerhalb des Kraterumfanges, am äußeren Rand der Brüstung, welche den Krater umgibt. Ein in dieselben gebrachter Thermometer stieg rasch auf 68 und 75º . Er zeigte ohne Zweifel eine noch höhere Temperatur an, aber wir konnten das Instrument erst ansehen, nachdem wir es herausgezogen, wollten wir uns nicht die Hände verbrennen. Cordier hat mehrere Spalten gefunden, in denen die Hitze der des siedenden Wassers gleich war. Man könnte glauben, diese Dämpfe, die stoßweise hervorkommen, enthalten Salzsäure oder Schwefelsäure; läßt man sie aber an einem kalten Körper sich verdichten, zeigen sie keinen besonderen Geschmack, und die Versuche mehrerer Physiker mit Reagentien beweisen, daß die Fumarolen des Piks nur reines Wasser aushauchen; diese Erscheinung, die mit meinen Beobachtungen im Krater des Jorullo übereinstimmt, verdient desto mehr Aufmerksamkeit, als Salzsäure in den meisten Vulkanen in großer Menge vorkommt und Vauquelin sogar in den porphyrähnlichen Laven von Sarcouy in der Auvergne Salzsäure gefunden hat.

Ich habe an Ort und Stelle die Ansicht des inneren Kraterrandes gezeichnet, wie er sich darstellt, wenn man durch die gegen Ost gelegene Lücke hinabsteigt. Nichts merkwürdiger als diese Aufeinanderlagerung von Lavaschichten, die Krümmungen zeigen, wie der Alpenkalkstein. Diese ungeheuren Bänke sind bald wagerecht, bald geneigt und wellenförmig gewunden, und alles weist darauf hin, daß einst die ganze Masse flüssig war, und daß mehrere störende Ursachen zusammenwirkten, um jedem Strom seine bestimmte Richtung zu geben. An der oben umlaufenden Mauer sieht man das seltsame Astwerk, wie man es an der entschwefelten Steinkohle beobachtet. Der nördliche Rand ist der höchste; gegen Südwest erniedrigt sich die Mauer bedeutend und am äußersten Rand ist eine ungeheure verschlackte Lavamasse angebacken. Gegen West ist das Gestein durchbrochen, und durch eine weite Spalte sieht man den Meereshorizont. Vielleicht hat die Gewalt der elastischen Dämpfe im Moment, wo die im Krater aufgestiegene Lava überquoll, hier durchgerissen.

Das Innere des Trichters weist darauf hin, daß der Vulkan seit Jahrtausenden nur noch aus seinen Seiten Feuer gespieen hat. Diese Behauptung gründet sich nicht darauf, weil sich am Boden der Caldera keine großen Oeffnungen zeigen, wie man erwarten könnte. Die Physiker, die die Natur selbst beobachtet haben, wissen, daß viele Vulkane in der Zwischenzeit zweier Ausbrüche ausgefüllt und fast erloschen scheinen, daß sich dann aber im vulkanischen Schlund Schichten sehr rauher, klingender und glänzender Schlacken finden. Man bemerkt kleine Erhöhungen, Auftreibungen durch die elastischen Dämpfe, kleine Schlacken- und Aschenkegel, unter denen die Oeffnungen liegen. Der Krater des Piks von Tenerifa zeigt keines dieser Merkmale; sein Boden ist nicht im Zustand geblieben, wie ein Ausbruch ihn zurückläßt. Durch den Zahn der Zeit und den Einfluß der Dämpfe sind die Wände abgebröckelt und haben das Becken mit großen Blöcken steiniger Lava bedeckt.

Man gelangt gefahrlos auf den Boden des Kraters. Bei einem Vulkan, dessen Hauptthätigkeit dem Gipfel zu geht, wie beim Vesuv, wechselt die Tiefe des Kraters vor und nach jedem Ausbruch; auf dem Pik von Tenerifa dagegen scheint die Tiefe seit langer Zeit sich gleich geblieben zu sein. Edens schätzte sie im Jahre 1715 auf 37 m, Cordier im Jahre 1803 auf 35,5. Nach dem Augenmaß hätte ich geglaubt, daß der Trichter nicht einmal so tief wäre. In seinem jetzigen Zustand ist er eigentlich eine Solfatara; er ist ein weites Feld für interessante Beobachtungen, aber imposant ist sein Anblick nicht. Großartig wird der Punkt nur durch die Höhe über dem Meeresspiegel, durch die tiefe Stille in dieser hohen Region, durch den unermeßlichen Erdraum, den das Auge auf der Spitze des Berges überblickt.

Die Besteigung des Vulkanes von Tenerifa ist nicht nur dadurch anziehend, daß sie uns so reichen Stoff für wissenschaftliche Forschung liefert; sie ist es noch weit mehr dadurch, daß sie dem, der Sinn hat für die Größe der Natur, eine Fülle malerischer Reize bietet. Solche Empfindungen zu schildern, ist eine schwere Aufgabe; sie regen uns desto tiefer, auf, da sie etwas Unbestimmtes haben, wie es die Unermeßlichkeit des Raumes und die Größe, Neuheit und Mannigfaltigkeit der uns umgebenden Gegenstände mit sich bringen. Wenn ein Reisender die hohen Berggipfel unseres Erdballes, die Katarakten der großen Ströme, die gewundenen Thäler der Anden zu beschreiben hat, so läuft er Gefahr, den Leser durch den eintönigen Ausdruck seiner Bewunderung zu ermüden. Es scheint mir den Zwecken, die ich bei dieser Reisebeschreibung im Auge habe, angemessener, den eigentümlichen Charakter zu schildern, der jeden Landstrich auszeichnet. Man lehrt die Physiognomie einer Landschaft desto besser kennen, je genauer man die einzelnen Züge auffaßt, sie untereinander vergleicht und so auf dem Wege der Analysis den Quellen der Genüsse nachgeht, die uns das große Naturgemälde bietet.

Die Reisenden wissen aus Erfahrung, daß man auf der Spitze sehr hoher Berge selten eine so schöne Aussicht hat und so mannigfaltige malerische Effekte beobachtet als auf Gipfeln von der Höhe des Vesuvs, des Rigi, des Puy de Dome. Kolossale Berge wie der Chimborazo, der Antisana oder der Montblanc haben eine so große Masse, daß man die mit reichem Pflanzenwuchs bedeckten Ebenen nur in großer Entfernung sieht und ein bläulicher Duft gleichförmig auf der ganzen Landschaft liegt. Durch seine schlanke Gestalt und seine eigentümliche Lage vereinigt nun der Pik von Tenerifa die Vorteile niedrigerer Gipfel mit denen, wie sehr bedeutende Höhen sie bieten. Man erblickt auf seiner Spitze nicht allein einen ungeheuren Meereshorizont, der über die höchsten Berge der benachbarten Inseln hinaufreicht, man sieht auch die Wälder von Tenerifa und die bewohnten Küstenstriche so nahe, daß noch Umrisse und Farben in den schönsten Kontrasten hervortreten. Es ist, als ob der Vulkan die kleine Insel, die ihm zur Grundlage dient, erdrückte; er steigt aus dem Schoße des Meeres dreimal höher auf, als die Wolken im Sommer ziehen. Wenn sein seit Jahrhunderten halb erloschener Krater Feuergarben auswürfe wie der Stromboli der äolischen Inseln, so würde der Pik von Tenerifa dem Schiffer in einem Umkreis von mehr als 1170 km als Leuchtturm dienen.

Wir lagerten uns am äußeren Rande des Kraters und blickten zuerst nach Nordwest, wo die Küsten mit Dörfern und Weilern geschmückt sind. Vom Winde fortwährend hin und her getriebene Dunstmassen zu unseren Füßen boten uns das mannigfaltigste Schauspiel. Eine ebene Wolkenschicht zwischen uns und den tiefen Regionen der Insel, dieselbe, von der oben die Rede war, war da und dort durch die kleinen Luftströme durchbrochen, welche nachgerade die von der Sonne erwärmte Erdoberfläche zu uns heraufsandte. Der Hafen von Orotava, die darin ankernden Schiffe, die Gärten und Weinberge um die Stadt wurden durch eine Oeffnung sichtbar, welche jeden Augenblick größer zu werden schien. Aus diesen einsamen Regionen blickten wir nieder in eine bewohnte Welt; wir ergötzten uns am lebhaften Kontrast zwischen den dürren Flanken des Piks, seinen mit Schlacken bedeckten steilen Abhängen, seinen pflanzenlosen Plateaus, und dem lachenden Anblick des bebauten Landes; wir sahen, wie sich die Gewächse nach der mit der Höhe abnehmenden Temperatur in Zonen verteilten. Unter dem Piton beginnen Flechten die verschlackten, glänzenden Laven zu überziehen; ein Veilchen, Viola cheiranthifolia. das der Viola decumbens nahe steht, geht am Abhang des Vulkanes bis zu 3390 m Höhe, höher nicht allein als die anderen krautartigen Gewächse, sondern sogar höher als die Gräser, welche in den Alpen und auf dem Rücken der Kordilleren unmittelbar an die Gewächse aus der Familie der Kryptogamen stoßen. Mit Blüten bedeckte Retamabüsche schmücken die kleinen, von den Regenströmen eingerissenen und durch die Seitenausbrüche verstopften Thäler; unter der Retama folgt die Region der Farne und auf diese die der baumartigen Heiden. Wälder von Lorbeeren, Rhamnus und Erdbeerbäumen liegen zwischen den Heidekräutern und den mit Reben und Obstbäumen bepflanzten Geländen. Ein reicher grüner Teppich breitet sich von der Ebene der Ginster und der Zone der Alpenkräuter bis zu den Gruppen von Dattelpalmen und Musen, deren Fuß das Weltmeer zu bespülen scheint. Ich deute hier nur die Hauptzüge dieser Pflanzenkarte an; im folgenden gebe ich einiges Nähere über die Pflanzengeographie der Insel Tenerifa.

Daß auf der Spitze des Piks die Dörfchen, Weinberge und Gärten an der Küste einem so nahe gerückt scheinen, dazu trägt die erstaunliche Durchsichtigkeit der Luft viel bei. Trotz der bedeutenden Entfernung erkannten wir nicht nur die Häuser, die Baumstämme, das Takelwerk der Schiffe, wir sahen auch die reiche Pflanzenwelt der Ebenen in den lebhaftesten Farben glänzen. Diese Erscheinung ist nicht allein dem hohen Standpunkt zuzuschreiben, sie deutet auf eine eigentümliche Beschaffenheit der Luft in heißen Ländern. Unter allen Zonen erscheint ein Gegenstand, der sich auf dem Meeresspiegel befindet und von dem die Lichtstrahlen in wagerechter Richtung ausgehen, weniger lichtstark, als wenn man ihn vom Gipfel eines Berges sieht, wohin die Wasserdämpfe durch Luftschichten von abnehmender Dichtigkeit gelangen. Gleich auffallende Unterschiede werden vom Einfluß der Klimate bedingt; der Spiegel eines Sees oder eines breiten Flusses glänzt bei gleicher Entfernung weniger, wenn man ihn vom Kamme der Schweizer Hochalpen, als wenn man ihn vom Gipfel der Kordilleren von Peru oder Mexiko sieht. Je reiner und heiterer die Luft ist, desto vollständiger lösen sich die Wasserdämpfe auf und desto weniger wird das Licht bei seinem Durchgang geschwächt. Wenn man von der Südsee her auf die Hochebene von Quito oder Antisana kommt, so wundert man sich in den ersten Tagen, wie nahe gerückt Gegenstände erscheinen, die 31 bis 36 km entfernt sind. Der Pik von Teyde genießt nun zwar nicht des Vorteils, unter den Tropen zu liegen, aber die Trockenheit der Luftsäulen, welche fortwährend über den benachbarten afrikanischen Ebenen aufsteigen und die die Westwinde rasch herbeiführen, verleiht der Luft der Kanarischen Inseln eine Durchsichtigkeit, hinter der nicht nur die Luft Neapels und Siziliens, sondern vielleicht sogar der klare Himmel Perus und Quitos zurückstehen. Auf dieser Durchsichtigkeit beruht vornehmlich die Pracht der Landschaften unter den Tropen; sie hebt den Glanz der Farben der Gewächse und steigert die magische Wirkung ihrer Harmonieen und ihrer Kontraste. Wenn eine große, um die Gegenstände verbreitete Lichtmasse in gewissen Stunden des Tages die äußeren Sinne ermüdet, so wird der Bewohner südlicher Klimate durch moralische Genüsse dafür entschädigt. Schwung und Klarheit der Gedanken, innerliche Heiterkeit entsprechen der Durchsichtigkeit der umgebenden Luft. Man erhält diese Eindrücke, ohne die Grenze von Europa zu überschreiten; ich berufe mich auf die Reisenden, welche jene durch die Wunder des Gedankens und der Kunst verherrlichten Länder gesehen haben, die glücklichen Himmelsstriche Griechenlands und Italiens.

Umsonst verlängerten wir unseren Aufenthalt auf dem Gipfel des Piks, des Momentes harrend, wo wir den ganzen Archipel der glückseligen Inseln Von allen kleinen Kanarischen Inseln ist nur die Roca del Este vom Pik auch bei hellem Wetter nicht zu sehen. Sie liegt 3,5º ab, Salvage dagegen nur 2º 1'. Die Insel Madeira, die 4º 29' entfernt ist, wäre nur dann zu sehen, wenn ihre Berge über 5850 m hoch wären. würden übersehen können. Wir sahen zu unseren Füßen Palma, Gomera und die große Canaria. Die Berge von Lanzarote, die bei Sonnenaufgang dunstfrei gewesen waren, hüllten sich bald wieder in dichte Wolken. Nur die gewöhnliche Refraktion vorausgesetzt, übersieht das Auge bei hellem Wetter vom Gipfel des Vulkanes ein Stück Erdoberfläche von 115 000 qkm, also so viel als ein Vierteil der Oberfläche Spaniens. Oft ist die Frage aufgeworfen worden, ob man von dieser ungeheuren Pyramide die afrikanische Küste sehen könne. Aber die nächsten Striche dieser Küste sind 2º 49' im Bogen, oder 252 km entfernt; da nun der Gesichtshalbmesser des Horizontes des Piks 1º 47, beträgt, so kann Kap Bojador nur sichtbar werden, wenn man ihm 390 m Meereshöhe gibt. Wir wissen gar nicht, wie hoch die Schwarzen Berge bei Kap Bojador sind, sowie der Pik südlich von diesem Vorgebirge, den die Seefahrer Peñon grande nennen. Wäre der Gipfel des Vulkanes von Tenerifa zugänglicher, so ließen sich dort ohne Zweifel bei gewissen Windrichtungen die Wirkungen ungewöhnlicher Refraktion beobachten. Liest man die Berichte spanischer und portugiesischer Schriftsteller über die Existenz der fabelhaften Insel San Borondon oder Antilia, so sieht man, daß in diesen Strichen vorzüglich der feuchte West-Süd-Westwind Luftspiegelungen zur Folge hat; » La refraction de para todo.« Wir haben schon oben bemerkt, daß die amerikanischen Früchte, welche das Meer häufig an die Küsten von Ferro und Gomera wirft, früher für Gewächse der Insel San Borondon gehalten wurden. Dieses Land, das nach der Volkssage von einem Erzbischof und sechs Bischöfen regiert wurde, und das, nach Pater Feijoos Ansicht, das auf einer Nebelschicht projizierte Bild der Insel Ferro ist, wurde im 16. Jahrhundert vom König von Portugal Ludwig Perdigon geschenkt, als dieser sich zur Eroberung desselben rüstete. indessen wollen wir nicht mit Viera glauben, »daß durch das Spiel der irdischen Refraktion die Inseln des grünen Vorgebirges, ja sogar die Appalachen in Amerika den Bewohnern der Kanarien sichtbar werden können«.

Die Kälte, die wir auf dem Gipfel des Piks empfanden, war für die Jahreszeit sehr bedeutend. Der hundertteilige Thermometer Nach Odonnell und Armstrong stand auf dem Gipfel des Piks am 2. August 1806 um 8 Uhr morgens der Thermometer im Schatten auf 13,8º, in der Sonne auf 20,5º ; Unterschied oder Wirkung der Sonne: 6,7º . zeigte entfernt vom Boden und von den Fumarolen, die heiße Dämpfe ausstoßen, im Schatten 2,7º . Der Wind war West, also dem entgegengesetzt, der einen großen Teil des Jahres Tenerifa die heiße Luft zuführt, die über den glühenden Wüsten Afrikas aufsteigt. Da die Temperatur im Hafen von Orotava, nach Herrn Savagis Beobachtung, 22,8 war, so nahm die Wärme auf 183 m Höhe um einen Grad ab. Dieses Ergebnis stimmt vollkommen mit dem überein, was Lamanon und Saussure auf den Spitzen des Piks und des Aetna, obwohl in sehr verschiedenen Jahreszeiten, beobachtet haben. Lamanons Beobachtung ergibt einen Grad auf 193 m, obgleich die Temperatur des Piks um 9º von der von uns beobachteten abwich. Am Aetna fand Saussure die Abnahme gleich 175 m. Die schlanke Gestalt dieser Berge bietet den Vorteil, daß man die Temperatur zweier Luftschichten fast senkrecht übereinander beobachten kann, und in dieser Beziehung gleichen die Beobachtungen, die man bei der Besteigung des Vulkanes von Tenerifa macht, denen, die man bei einer Auffahrt im Luftballon machen kann. Es ist indessen zu bemerken, daß die See wegen ihrer Durchsichtigkeit und wegen der Verdunstung weniger Wärme den hohen Luftregionen zusendet als die Ebenen; daher ist es auf vom Meere umgebenen Berggipfeln im Sommer kälter als auf Bergen mitten im Lande; dieses Moment hat aber nur geringen Einfluß auf die Abnahme der Luftwärme, da die Temperatur der tiefen Regionen in der Nähe des Meeres gleichfalls eine niedrigere ist.

Anders verhält es sich mit dem Einflusse der Windrichtung und der Geschwindigkeit des aufsteigenden Stromes; letzterer erhöht nicht selten die Temperatur der höchsten Berge in erstaunlichem Grade. Am Abhang des Antisana im Königreich Quito sah ich in 5530 m Höhe den Thermometer auf 19º stehen; Labillardière beobachtete am Kraterrand des Pik von Tenerifa 18,7º, wobei er alle erdenkliche Vorsicht gebraucht hatte, um den Einfluß zufälliger Ursachen auszuschließen. Da die Temperatur der Reede von Santa Cruz zur selben Zeit 28º war, so betrug der Unterschied zwischen der Luft an der Küste und der auf dem Pik 9,3º statt 20º, die einer Wärmeabnahme von einem Grad auf 183 m entsprechen. Ich finde im Schiffstagebuch von d'Entrecasteaux' Expedition, daß damals in Santa Cruz der Wind Süd-Süd-Ost war. Vielleicht wehte derselbe Wind stärker in den hohen Luftregionen; vielleicht trieb er in schiefer Richtung die warme Luft vom nahen Festlande der Spitze des Piton zu. Labillardières Besteigung fand zudem am 17. Oktober 1791 statt, und in den Schweizer Alpen hat man die Beobachtung gemacht, daß der Temperaturunterschied zwischen Berg und Tiefland im Herbst geringer ist als im Sommer. Alle diese Schwankungen im Maß der Temperaturabnahme haben auf die Messungen mittels des Barometers nur insofern Einfluß, als die Abnahme in den dazwischenliegenden Schichten nicht gleichförmig ist, und von der arithmetischen gleichmäßigen Progression, wie die angewandten Formeln sie annehmen, abweicht.

Wir wurden auf dem Gipfel des Piks nicht müde, die Farbe des blauen Himmelsgewölbes zu bewundern. Ihre Intensität im Zenith schien uns gleich 41º des Cyanometers. Man weiß nach Saussures Versuchen, daß diese Intensität mit der Verdünnung der Luft zunimmt, und daß dasselbe Instrument zur selben Zeit bei der Priorei von Chamouni 39º und auf der Spitze des Montblanc 40º zeigte. Dieser Berg ist um 1052 m höher als der Vulkan von Tenerifa, und wenn trotz diesem Unterschied auf ersterem das Himmelsblau nicht so dunkel ist, so rührt dies wohl von der Trockenheit der afrikanischen Luft und der Nähe der heißen Zone her.

Wir fingen am Kraterrand Luft auf, um sie auf der Fahrt nach Amerika chemisch zu zerlegen. Die Flasche war so gut verschlossen, daß, als wir sie nach zehn Tagen öffneten, das Wasser mit Gewalt hineindrang. Nach mehreren Versuchen mit Salpetergas in der engen Röhre des Fontanaschen Eudiometers enthielt die Luft im Krater neun Hundertteile weniger Sauerstoff als die Seeluft; ich gebe aber wenig auf dieses Resultat, da die Methode jetzt für ziemlich unzuverlässig gilt. Der Krater des Piks hat so wenig Tiefe und die Luft darin erneuert sich so leicht, daß schwerlich mehr Stickstoff darin ist als an der Küste. Wir wissen überdem aus Gay-Lussacs und Theodor Saussures Versuchen, daß die Luft in den höchsten Luftregionen wie in den tiefsten 0,21 Sauerstoff enthält. Im März 1805 fingen Gay-Lussac und ich beim Hospiz auf dem Mont Cenis in einer stark elektrisch geladenen Wolke Luft auf und zerlegten sie im Voltaschen Eudiometer. Sie enthielt keinen Wasserstoff und nicht um 0,002 weniger Sauerstoff als die Pariser Luft, die wir in hermetisch verschlossenen Flaschen bei uns hatten.

Wir sahen auf dem Gipfel des Piks keine Spur von Psora, Lecidium oder anderen Kryptogamen, kein Insekt flatterte in der Luft. Indessen findet man hier und da ein hautflügliges Insekt an den Schwefelmassen angeklebt, die von schwefliger Säure feucht sind und die Oeffnungen der Fumarolen auskleiden. Es sind Bienen, die wahrscheinlich die Blüten des Spartium nubigenum aufgesucht hatten und vom Winde schief aufwärts in diese Höhe getrieben worden waren, wie die Schmetterlinge, welche Ramond auf dem Gipfel des Mont Perdu gefunden. Die letzteren gehen durch die Kälte zu Grunde, während die Bienen auf dem Pik geröstet werden, wenn sie unvorsichtig den Spalten, an denen sie sich wärmen wollten, zu nahe kommen.

Trotz dieser Wärme, die man am Rande des Kraters unter den Füßen spürt, ist der Aschenkegel im Winter mehrere Monate mit Schnee bedeckt. Wahrscheinlich bilden sich unter der Schneehaube große Höhlungen, ähnlich denen unter den Gletschern in der Schweiz, die beständig eine niedrigere Temperatur haben als der Boden, auf dem sie ruhen. Der heftige kalte Wind, der seit Sonnenaufgang blies, zwang uns, am Fuße des Piton Schutz zu suchen. Hände und Gesicht waren uns erstarrt, während unsere Stiefeln auf dem Boden, auf den wir den Fuß setzten, verbrannten. In wenigen Minuten waren wir am Fuß des Zuckerhutes, den wir so mühsam erklommen, und diese Geschwindigkeit war zum Teil unwillkürlich, da man häufig in der Asche hinunterrutscht. Ungern schieden wir von dem einsamen Orte, wo sich die Natur in ihrer ganzen Großartigkeit vor uns aufthut; wir hofften die Kanarischen Inseln noch einmal besuchen zu können, aber aus dem Plane wurde nichts, wie aus so vielen, die wir damals entwarfen.

Wir gingen langsam durch das Malpays; auf losen Lavablöcken tritt man nicht sicher auf. Der Station bei den Felsen zu wird der Weg abwärts äußerst beschwerlich; der dichte kurze Rasen ist so glatt, daß man sich beständig nach hinten überbeugen muß, um nicht zu stürzen. Auf der sandigen Ebene der Retama zeigte der Thermometer 22,5º, und dies schien uns nach dem Frost, der uns auf dem Gipfel geschüttelt, eine erstickende Hitze. Wir hatten gar kein Wasser; die Führer hatten nicht allein den kleinen Vorrat Malvasier, den wir der freundlichen Vorsorge Cologans verdankten, heimlich getrunken, sondern sogar die Wassergefäße zerbrochen. Zum Glück war die Flasche mit der Kraterluft unversehrt geblieben.

In der schönen Region der Farne und der baumartigen Heiden genossen wir endlich einiger Kühlung. Eine dicke Wolkenschicht hüllte uns ein; sie hielt sich in 1170 m Höhe über der Niederung. Während wir durch diese Schicht kamen, hatten wir Gelegenheit, eine Erscheinung zu beobachten, die uns später am Abhang der Kordilleren öfters vorgekommen ist. Kleine Luftströme trieben Wolkenstreifen mit verschiedener Geschwindigkeit nach entgegengesetzten Richtungen. Dies nahm sich aus, als ob in einer großen stehenden Wassermasse kleine Wasserströme sich rasch nach allen Seiten bewegten. Diese teilweise Bewegung der Wolken rührt wahrscheinlich von sehr verschiedenen Ursachen her, und man kann sich denken, daß der Anstoß dazu sehr weit herkommen mag. Man kann den Grund in kleinen Unebenheiten des Bodens suchen, die mehr oder weniger Wärme strahlen, in einem auf irgend einem chemischen Prozeß beruhenden Temperaturunterschied, oder endlich in einer starken elektrischen Ladung der Dunstbläschen.

In der Nähe der Stadt Orotava trafen wir große Schwärme von Kanarienvögeln. Fringilla Canaria. La Caille erzählt in seiner Reisebeschreibung nach dem Kap, auf der Insel Salvage fänden sich diese Vögel in so ungeheurer Menge, daß man in einer gewissen Jahreszeit nicht umhergehen könne, ohne Eier zu zertreten. Diese in Europa so wohlbekannten Vögel waren ziemlich gleichförmig grün, einige auf dem Rücken gelblich; ihr Schlag glich dem der zahmen Kanarienvögel, man bemerkt indessen, daß die, welche auf der Insel Gran Canaria und auf dem kleinen Eiland Monte Clara bei Lanzarote gefangen werden, einen stärkeren und zugleich harmonischeren Schlag haben. In allen Himmelsstrichen hat jeder Schwarm derselben Vogelart seine eigene Sprache. Die gelben Kanarienvögel sind eine Spielart, die in Europa entstanden ist, und die, welche wir zu Orotava und Santa Cruz de Tenerifa in Käfigen sahen, waren in Cadiz und anderen spanischen Häfen gekauft. Aber der Vogel der Kanarischen Inseln, der von allen den schönsten Gesang hat, ist in Europa unbekannt, der Capirote, der so sehr die Freiheit liebt, daß er sich niemals zähmen ließ. Ich bewunderte seinen weichen, melodischen Schlag in einem Garten bei Orotava, konnte ihn aber nicht nahe genug zu Gesicht bekommen, um zu bestimmen, welcher Gattung er angehört. Was die Papageien betrifft, die man beim Aufenthalt des Kapitän Cook auf Tenerifa gesehen haben will, so existieren sie nur in Reiseberichten, die einander abschreiben. Es gibt auf den Kanarien weder Papageien noch Affen, und obgleich erstere in der Neuen Welt bis Nordkarolina wandern, so glaube ich doch kaum, daß in der Alten über dem 28. Grad nördlicher Breite welche vorkommen.

Wir kamen, als der Tag sich neigte, im Hafen von Orotava an und erhielten daselbst die unerwartete Nachricht, daß der Pizarro erst in der Nacht vom 24. zum 25. unter Segel gehen werde. Hätten wir auf diesen Aufschub rechnen können, so wären wir entweder länger auf dem Pik geblieben, Da viele Reisende, welche bei Santa Cruz de Tenerifa anlegen, die Besteigung des Piks unterlassen, weil sie nicht wissen, wie viel Zeit man dazu braucht, so sind die folgenden Angaben wohl nicht unwillkommen. Wenn man bis zum Haltpunkt der Engländer sich der Maultiere bedient, braucht man von Orotava aus zur Besteigung des Piks und zur Rückkehr in den Hafen 21 Stunden; nämlich von Orotava zum Pino del Dornajito 3 Stunden, von da zur Felsenstation 6, von da nach der Caldera 3½. Für die Rückkehr rechne ich 9 Stunden. Es handelt sich dabei nur von der Zeit, die man unterwegs zubringt, keineswegs von der, die man auf die Untersuchung der Produkte des Piks oder zum Ausruhen verwendet. In einem halben Tage gelangt man von Santa Cruz de Tenerifa nach Orotava. oder hätten einen Ausflug nach dem Vulkan Chahorra gemacht. Den folgenden Tag durchstreiften wir die Umgegend von Orotava und genossen des Umgangs mit Cologans liebenswürdiger Familie. Da fühlten wir recht, daß der Aufenthalt auf Tenerifa nicht bloß für den Naturforscher von Interesse ist; man findet in Orotava Liebhaber von Litteratur und Musik, welche den Reiz europäischer Gesellschaft in diese fernen Himmelsstriche verpflanzt haben. In dieser Beziehung haben die Kanarischen Inseln mit den übrigen spanischen Kolonieen, Havana ausgenommen, wenig gemein.

Am Vorabend des Johannistages wohnten wir einem ländlichen Feste in Herrn Littles Garten bei. Dieser Handelsmann, der den Kanarien bei der letzten Getreideteurung bedeutende Dienste erwiesen, hat einen mit vulkanischen Trümmern bedeckten Hügel angepflanzt und an diesem köstlichen Punkt einen englischen Garten angelegt, wo man eine herrliche Aussicht auf die Pyramide des Piks, auf die Dörfer an der Küste und die Insel Palma hat, welche die weite Meeresfläche begrenzt. Ich kann diese Aussicht nur mit der in den Golfen von Neapel und Genua vergleichen, aber hinsichtlich der Großartigkeit der Massen und der Fülle des Pflanzenwuchses steht Orotava über beiden. Bei Einbruch der Nacht bot uns der Abhang des Vulkanes auf einmal ein eigentümliches Schauspiel. Nach einem Brauch, den ohne Zweifel die Spanier eingeführt hatten, obgleich er an sich uralt ist, hatten die Hirten die Johannisfeuer angezündet. Die zerstreuten Lichtmassen, die vom Winde gejagten Rauchsäulen hoben sich an den Seiten des Piks vom Dunkelgrün der Wälder ab. Freudengeschrei drang aus der Ferne zu uns herüber, und schien der einzige Laut, der die Stille der Natur an jenen einsamen Orten unterbrach.

Die Familie Cologan besitzt ein Landhaus näher an der Küste als das eben beschriebene. Der Name, den ihm der Eigentümer gegeben, bezeichnet den Eindruck, den dieser Landsitz macht. Das Haus La Paz hatte zudem noch besonderes Interesse für uns. Borda, dessen Tod wir bedauerten, hatte hier bei seiner letzten Reise nach den Kanarien gewohnt. Auf einer kleinen Ebene in der Nähe hat er die Standlinie zur Messung der Höhe des Piks abgesteckt. Bei dieser trigonometrischen Messung diente der große Drachenbaum von Orotava als Signal. Wollte einmal ein unterrichteter Reisender eine neue genauere Messung des Vulkanes mittels astronomischer Repetitionskreise vornehmen, so müßte er die Standlinie nicht bei Orotava, sondern bei Los Silos, an einem Orte, Bante genannt, messen; nach Broussonet ist keine Ebene in der Nähe des Piks so groß wie diese. Wir botanisierten bei La Paz und fanden in Menge das Lichen roccella auf basaltischem, von der See bespülten Gestein. Die Orseille der Kanarien ist ein sehr alter Handelsartikel; man bezieht aber das Moos weniger von Tenerifa als von den unbewohnten Inseln Salvage, Graciosa, Alegranza, sogar von Canaria und Hierro.

Am 24. Juni morgens verließen wir den Hafen von Orotava; in Laguna speisten wir beim französischen Konsul. Er hatte die Gefälligkeit, die Besorgung der geologischen Sammlungen zu übernehmen, die wir dem Naturalienkabinett des Königs von Spanien übermachten. Als wir vor der Stadt auf die Reede hinausblickten, sahen wir zu unserem Schreck den Pizarro, unsere Korvette, unter Segel. Im Hafen angelangt, erfuhren wir, er laviere mit wenigen Segeln, uns erwartend. Die englischen bei Tenerifa stationierten Schiffe waren verschwunden, und wir hatten keinen Augenblick zu verlieren, um aus diesen Strichen wegzukommen. Wir schifften uns allein ein; unsere Reisegefährten waren Kanarier gewesen, die nicht mit nach Amerika gingen.

Ehe wir den Archipel der Kanarien verlassen, werfen wir einen Blick auf die Geschichte des Landes.

Vergeblich sehen wir uns im Periplus des Hanno und dem des Scylax nach den ersten schriftlichen Urkunden über die Ausbrüche des Piks von Tenerifa um. Diese Seefahrer hielten sich ängstlich an die Küsten, sie liefen jeden Abend in eine Bai und ankerten, und so konnten sie nichts von einem Vulkan wissen, der 252 km vom Festland von Afrika liegt. Hanno berichtet indessen von leuchtenden Strömen, die sich in das Meer zu ergießen schienen; jede Nacht haben sich auf der Küste viele Feuer gezeigt, und der große Berg, der Götterwagen genannt, habe Feuergarben ausgeworfen, die bis zu den Wolken aufgestiegen. Aber dieser Berg, nordwärts von der Insel der Gorilla, Auf dieser Insel sah der karthageniensische Feldherr zum erstenmal eine große menschenähnliche Affenart, die Gorilla. Er beschreibt sie als durchaus behaarte Weiber, und als höchst bösartig, weil sie sich mit Nägeln und Zähnen wehrten. Er rühmt sich, ihrer drei die Haut abgezogen zu haben, um sie mitzunehmen. Gosselin verlegt die Insel der Gorilla an die Mündung des Flusses Nun, aber nach dieser Annahme müßte der Sumpf, in dem Hanno eine Menge Elefanten weiden sah, unter 35½º Breite liegen, beinahe am Nordende von Afrika. bildete das Westende der Atlaskette, und es ist zudem sehr zweifelhaft, ob die von Hanno bemerkten Feuer wirklich von einem vulkanischen Ausbruch herrührten, oder von dem bei so vielen Völkern herrschenden Brauch, die Wälder und das dürre Gras der Savannen anzuzünden. In neuester Zeit waren ja auch die Naturforscher, welche die Expedition unter Konteradmiral d'Entrecasteaux mitmachten, ihrer Sache nicht gewiß, als sie die Insel Amsterdam mit dickem Rauch bedeckt sahen. Auf der Küste von Caracas sah ich mehrere Nächte hintereinander rötliche Feuerstreifen von brennendem Grase, die sich täuschend wie Lavaströme ausnahmen, die von den Bergen herabkamen und sich in mehrere Arme teilten.

Obgleich in den Reisetagebüchern des Hanno und des Scylax, so weit sie uns erhalten sind, keine Stelle vorkommt, die sich mit einigem Schein von Recht auf die Kanarischen Inseln beziehen ließe, ist es doch sehr wahrscheinlich, daß die Karthager und auch die Phönizier den Pik von Tererifa gekannt haben. Einer der angesehensten deutschen Gelehrten, Heeren, hält die glückseligen Inseln Diodors von Sizilien für Madeira und Porto Santo. Zu Platos und Aristoteles' Zeit waren dunkle Gerüchte davon zu den Griechen gedrungen, nach deren Vorstellung die ganze Küste von Afrika jenseits der Säulen des Herkules von vulkanischem Feuer verheert war. Aristoteles, Mirab. Auscultat. Solinus sagt vom Atlas: vertex semper nivalis lucet nocturnis ignibus; aber dieser Atlas ist gleich dem Berge Meru der Hindu ein aus richtigen Begriffen und mythischen Fiktionen zusammengesetztes Ding, und lag nicht auf einer der hesperischen Inseln, wie Abbé Viera und nach ihm verschiedene Reisende annehmen, die den Pik von Tenerifa beschreiben. Die folgenden Stellen lassen keinen Zweifel hierüber: Herodot IV, 184; Strabo XVII; Mela III, 10; Plinius V, 1; Solinus I, 24, sogar Diodor von Sizilien III. Die Inseln der Seligen, die man anfangs im Norden, jenseits der Riphäischen Gebirge bei den Hyperboreern, Die Vorstellung vom Glück, der hohen Kultur und dem Reichtum der Bewohner des Nordens hatten die Griechen, die indischen Völker und die Mexikaner miteinander gemein. später südwärts von Cyrenaica gesucht hatte, wurden nach Westen verlegt, dahin, wo die den Alten bekannte Welt ein Ende hatte. Was man glückselige Inseln nannte, war lange ein schwankender Begriff, wie der Name Dorado bei den ersten Eroberern Amerikas. Man versetzte das Glück an das Ende der Welt, wie man den lebhaftesten Geistesgenuß in einer idealen Welt jenseits der Grenzen der Wirklichkeit sucht.

Es ist nicht zu verwundern, daß vor Aristoteles die griechischen Geographen keine genaue Kenntnis von den Kanarischen Inseln und ihren Vulkanen hatten. Das einzige Volk, das weit nach West und Nord die See befuhr, die Karthager, fanden ihren Vorteil dabei, wenn sie diese entlegenen Landstriche in den Schleier des Geheimnisses hüllten. Der karthagische Senat duldete keine Auswanderung einzelner und ersah diese Inseln als Zufluchtsort in Zeiten der Unruhe und politischen Unfälle; sie sollten für die Karthager sein, was der freie Boden von Amerika für die Europäer bei ihren bürgerlichen und religiösen Zwistigkeiten geworden ist.

Die Römer wurden erst achtzig Jahre vor Octavians Regierung näher mit den Kanarischen Inseln bekannt. Ein bloßer Privatmann wollte den Gedanken verwirklichen, den der karthagische Senat in weiser Vorsicht gefaßt. Nach seiner Niederlage durch Sylla sucht Sertorius, müde des Waffenlärms, eine sichere, ruhige Zufluchtsstätte. Er wählt die glückseligen Inseln, von denen man ihm an den Küsten von Bätika eine reizende Schilderung entwirft. Er sammelt sorgfältig, was ihm von Reisenden an Nachrichten zukommt; aber in den wenigen Stücken dieser Nachrichten, die auf uns gekommen sind, und in den umständlicheren Beschreibungen des Sebosus und des Juba ist niemals von Vulkanen und vulkanischen Ausbrüchen die Rede. Kaum erkennt man die Insel Tenerifa und den Schnee, der im Winter die Spitze des Piks bedeckt, am Namen Nivaria, der einer der glückseligen Inseln beigelegt wird. Man könnte danach annehmen, daß der Vulkan damals kein Feuer gespieen habe, wenn sich aus dem Stillschweigen von Schriftstellern etwas schließen ließe, von denen wir nichts besitzen als Bruchstücke und trockene Namenverzeichnisse. Umsonst sucht der Physiker in der Geschichte Urkunden über die ältesten Ausbrüche des Piks; er findet nirgends welche, außer in der Sprache der Guanchen, in der das Wort »Echeyde« Der Berg hieß auch Aya-dyrma, in welchem Wort Horn ( De Orig. Americ. p. 155 und 185) den alten Namen des Atlas findet, der nach Strabo, Plinius und Solinus Dyris war. Diese Ableitung ist höchst zweifelhaft; legt man auf die Vokale nicht mehr Wert, als sie bei den orientalischen Völkern haben, so findet man Dyris fast ganz in Daran, wie die arabischen Geographen den östlichen Teil des Atlasgebirges nennen. zugleich die Hölle und den Vulkan von Tenerifa bedeutete.

Die älteste schriftliche Nachricht von der Thätigkeit des Vulkanes, die ich habe auffinden können, kommt aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts. Sie findet sich in der Reisebeschreibung Non silendum puto de insula Teneriffa quae et eximie colitur et inter orbis insulas est eminentior. Nam coelo sereno eminus conspicitur, adeo ut qui absunt ab ea ad leucas hispanas sexaginta vel septuaginta, non difficulter eam intueantur. Quod cernatur a longe id efficit acuminatus lapis adamantinus, instar pyramidis, in medio. Qui metiti sunt lapidem ajunt altitudine leucarum quindecim mensuram excedere ab imo ad summum verticem. Is lapis jugiter flagrat, instar Aetnae montis; id affirmant nostri Christiani qui capti aliquando haec animadvertere. Al. Cadamusti, Navigatio ad terras incognitas c. 8. des Aloysio Cadamosto, der im Jahre 1505 auf den Kanarien landete. Dieser Reisende war nicht selbst Zeuge eines Ausbruches, er versichert aber bestimmt, der Berg brenne fortwährend gleich dem Aetna und das Feuer sei von Christen gesehen worden, die als Sklaven der Guanchen auf Tenerifa lebten. Der Pik befand sich also damals nicht im Zustand der Ruhe wie jetzt, denn es ist sicher, daß kein Reisender und kein Einwohner von Tenerifa der Mündung des Piks von weitem sichtbaren Rauch, geschweige denn Flammen, hat entsteigen sehen. Es wäre vielleicht zu wünschen, daß der Schlund der Caldera sich wieder öffnete, die Seitenausbrüche würden damit weniger heftig und die ganze Inselgruppe hätte weniger von Erdbeben zu leiden.

Ich habe zu Orotava die Frage besprechen hören, ob anzunehmen sei, daß der Krater des Piks im Laufe der Jahrhunderte wieder in Thätigkeit treten werde. In einer so zweifelhaften Sache kann man sich nur an die Analogie halten. Nun war nach Braccinis Bericht im Jahre 1611 der Krater des Vesuvs im Inneren mit Gebüsch bewachsen. Alles verkündete die tiefste Ruhe, und dennoch warf derselbe, der sich in ein schattiges Thal verwandeln zu wollen schien, zwanzig Jahre später Feuersäulen und ungeheure Massen Asche aus. Der Vesuv wurde im Jahre 1631 wieder so thätig, als er im Jahre 1500 gewesen war. So könnte möglicherweise auch der Krater des Piks sich eines Tages wieder umwandeln. Er ist jetzt eine Solfatare, ähnlich der friedlichen Solfatare von Pozzuoli; aber sie ist auf der Spitze eines noch thätigen Vulkanes gelegen.

Die Ausbrüche des Piks waren seit zweihundert Jahren sehr selten, und solche lange Pausen scheinen charakteristisch für sehr hohe Vulkane. Der kleinste von allen, der Stromboli, ist fast in beständiger Thätigkeit. Beim Vesuv sind die Ausbrüche schon seltener, indessen häufiger als beim Aetna und dem Pik von Tenerifa. Die kolossalen Gipfel der Anden, der Cotopaxi und der Tunguragua speien kaum einmal im Jahrhundert Feuer. Bei thätigen Vulkanen scheint die Häufigkeit der Ausbrüche im umgekehrten Verhältnis mit der Höhe und der Masse derselben zu stehen. So schien auch der Pik nach zweiundneunzig Jahren erloschen, als im Jahre 1792 der letzte Ausbruch durch eine Seitenöffnung im Berg Chahorra erfolgte. In diesem Zeitraum hat der Vesuv sechzehnmal Feuer gespieen.

Ich habe anderswo ausgeführt, daß der ganze gebirgige Teil des Königreichs Quito anzusehen ist, als ein ungeheurer Vulkan von 14 175 qkm Oberfläche, der aus verschiedenen Kegeln mit eigenen Namen, Cotopaxi, Tunguragua, Pichincha, Feuer speit. Ebenso ruht die ganze Gruppe der Kanarischen Inseln gleichsam auf einem untermeerischen Vulkan. Das Feuer brach sich bald durch diese, bald durch jene der Inseln Bahn. Nur Tenerifa trägt in seiner Mitte eine ungeheure Pyramide mit einem Krater auf der Spitze, die in jahrhundertlangen Perioden aus ihren Seiten Lavaströme ergießt. Auf den anderen Inseln haben die verschiedenen Ausbrüche an verschiedenen Stellen stattgefunden, und man findet dort keinen vereinzelten Berg, an den die vulkanische Thätigkeit gebunden wäre. Die von uralten Vulkanen gebildete Basaltrinde scheint dort allerorten unterhöhlt, und die Lavaströme, die auf Lanzarote und Palma ausgebrochen sind, kommen geologisch durchaus mit dem Ausbruch überein, der im Jahre 1301 auf der Insel Ischia durch die Tuffe des Epomeo erfolgte.

Es folgt hier die Liste der Ausbrüche, deren Andenken sich bei den Geschichtsschreibern der Insel seit der Mitte des 16. Jahrhunderts erhalten hat.

Jahr 1558. – Am 15. April. Zur selben Zeit wurde Tenerifa zum erstenmal von der aus der Levante eingeschleppten Pest verheert. Ein Vulkan öffnet sich auf der Insel Palma, nahe einer Quelle im Partido de los Llanos. Ein Berg steigt aus dem Boden; auf der Spitze bildet sich ein Krater, der einen 195 m breiten und über 4,8 km langen Lavastrom ergießt. Die Lava stürzt sich ins Meer, und durch die Erhitzung des Wassers gehen die Fische in weitem Umkreise zu Grunde. Dieselbe Erscheinung wiederholte sich 1811 bei den Azoren, als der Vulkan Sabrina auf dem Meeresboden ausbrach. Das kalcinierte Skelett eines Haifisches wurde im erloschenen, mit Wasser gefüllten Krater gefunden.

Jahr 1646. – Am 13. November thut sich ein Schlund auf der Insel Palma bei Tigalate auf; zwei andere bilden sich am Meeresufer. Die Laven, die sich aus diesen Spalten ergießen, machen die berühmte Quelle Foncaliente oder Fuente Santa versiegen, deren Mineralwasser Kranke sogar aus Europa herbeizog. Nach einer Volkssage wurde dem Ausbruch durch ein seltsames Mittel Einhalt gethan. Das Bild unserer lieben Frau zum Schnee wurde aus Santa Cruz an den Schlund des neuen Vulkanes gebracht, und alsbald fiel eine so ungeheure Masse Schnee, daß das Feuer dadurch erlosch. In den Anden von Quito wollen die Indianer die Bemerkung gemacht haben, daß die Thätigkeit der Vulkane durch vieles einsickerndes Schneewasser gesteigert wird.

Jahr 1677. – Dritter Ausbruch auf der Insel Palma. Der Berg Las Cabras wirft aus einer Menge kleiner Oeffnungen, die sich nacheinander bilden, Schlacken und Asche aus.

Jahr 1704. – Am 31. Dezember. Der Pik von Tenerifa macht einen Seitenausbruch in der Ebene Los Infantes, oberhalb Icore, im Bezirk Guimar. Furchtbare Erdbeben gingen dem Ausbruch voran. Am 5. Januar 1705 thut sich ein zweiter Schlund in der Schlucht Almerchiga, 4,5 km von Icore auf. Die Lava ist so stark, daß sie das ganze Thal Fasnia oder Areza ausfüllt. Dieser zweite Schlund hört am 13. Januar zu speien auf. Ein dritter bildet sich am 2. Februar in der Cañada de Arafo. Die Lava in drei Strömen bedroht das Dorf Guimar, wird aber im Thal Melosar durch einen Felsgrat aufgehalten, der einen unübersteiglichen Damm bildet. Während dieser Ausbrüche spürt die Stadt Orotava, die nur ein schmaler Damm von den neuen Schlünden trennt, starke Erdstöße.

Jahr 1706. – Am 5. Mai. Ein weiterer Seitenausbruch des Piks von Tenerifa. Der Schlund bricht auf südlich vom Hafen von Garachico, damals dem schönsten und besuchtesten der Insel. Die volkreiche, wohlhabende Stadt hatte eine malerische Lage am Saum eines Lorbeerwaldes. Zwei Lavaströme zerstörten sie in wenigen Stunden; kein Haus blieb stehen. Der Hafen, der schon im Jahre 1645 gelitten hatte, weil ein Hochwasser viel Erdreich hineingeführt, wurde so ausgefüllt, daß die sich auftürmenden Laven in der Mitte seines Umfangs ein Vorgebirge bildeten. Ueberall, rings um Garachico, wurde das Erdreich völlig umgewandelt. Aus der Ebene stiegen Hügel auf, die Quellen blieben aus, und Felsmassen wurden durch die häufigen Erdstöße der Dammerde und des Pflanzenwuchses beraubt und blieben nackt stehen. Nur die Fischer ließen nicht vom heimatlichen Boden. Mutig, wie die Einwohner von Torre del Greco, erbauten sie wieder ein Dörfchen auf Schlackenhaufen und dem verglasten Gestein.

Jahr 1730. – Am 1. September. Eine der furchtbarsten Katastrophen zerstört den Landungsplatz der Insel Lanzarote. Ein neuer Vulkan bildet sich bei Temanfaya. Die Lavaströme und die Erdstöße, welche den Ausbruch begleiten, zerstören eine Menge Dörfer, worunter die alten Flecken der Guanchen Tingafa, Macintafe und Guatisca. Die Stöße dauern bis 1736 fort, und die Bewohner von Lanzarote flüchten sich großenteils auf die Insel Fuerteventura. Während dieses Ausbruches, von dem schon im vorigen Kapitel die Rede war, sieht man eine dicke Rauchsäule aus der See aufsteigen. Pyramidalische Felsen erheben sich über der Meeresfläche, die Klippen werden immer größer und verschmelzen allmählich mit der Insel selbst.

Jahr 1798. – Am 9. Juni. Seitenausbruch des Piks von Tenerifa, am Abhang des Berges Chahorra oder Venge, Der Abhang des Berges Venge, auf dem der Ausbruch stattfand, heißt Chazajañe. an einem völlig unbebauten Orte, südlich von Icod beim Dorfe Guia, dem alten Isora. Dieser Berg, der sich an den Pik anlehnt, galt von jeher für einen erloschenen Vulkan. Er besteht zwar aus festen Gebirgsarten, verhält sich aber doch zum Pik wie der Monte Rosso, der im Jahre 1661 aufstieg, oder die boche nueve, die im Jahre 1794 aufbrachen, zum Aetna und zum Vesuv. Der Ausbruch des Chahorra währte drei Monate und sechs Tage. Die Lava und die Schlacken wurden aus vier Mündungen in einer Reihe ausgeworfen. Die 5,8 bis 7,8 m hoch aufgetürmte Lava legte 1 m in der Stunde zurück. Da dieser Ausbruch nur ein Jahr vor meiner Ankunft auf Tenerifa erfolgt war, so war der Eindruck desselben bei den Einwohnern noch sehr lebhaft. Ich sah bei Herrn Legros in Durasno eine von ihm an Ort und Stelle entworfene Zeichnung der Oeffnungen des Chahorra. Don Bernardo Cologan hat diese Oeffnungen, acht Tage nachdem sie aufgebrochen, besucht und die Haupterscheinungen bei dem Ausbruch in einem Aufsatz beschrieben, von dem er mir eine Abschrift mitteilte, um sie meiner Reisebeschreibung einzuverleiben. Seitdem sind dreizehn Jahre verflossen; Bory St. Vincent ist mir mit der Veröffentlichung des Aufsatzes zuvorgekommen, und so verweise ich den Leser auf sein interessantes Werk: Essai sur les îles fortunées. Ich beschränke mich hier darauf, einiges über die Höhe mitzuteilen, zu der sehr ansehnliche Felsstücke aus den Oeffnungen des Chahorra emporgeschleudert wurden. Cologan zählte während des Falles der Steine 12 bis 15 Sekunden, Cologan bemerkt, der Fall habe sogar über 15 Sekunden gedauert, weil er den Stein mit dem Auge nicht verfolgen konnte, bis er auffiel. das heißt er fing im Moment zu zählen an, wo sie ihre höchste Höhe erreicht hatten. Aus dieser interessanten Beobachtung geht hervor, daß die Felsstücke aus der Oeffnung über 975 m hoch geschleudert wurden.

Alle in dieser chronologischen Uebersicht verzeichneten Ausbrüche gehören den drei Inseln Palma, Tenerifa und Lanzarote an. Wahrscheinlich sind vor dem 16. Jahrhundert die übrigen Inseln auch von vulkanischem Feuer heimgesucht worden. Nach mir mitgeteilten unbestimmten Notizen läge mitten auf der Insel Ferro ein erloschener Vulkan und ein anderer auf der großen Canaria bei Arguineguin. Es wäre aber wichtig zu erfahren, ob sich an der Kalkformation von Fuerteventura oder am Granit und Glimmerschiefer von Gomera Spuren des unterirdischen Feuers zeigen.

Die rein seitliche vulkanische Thätigkeit die Piks von Tenerifa ist geologisch um so merkwürdiger, als sie dazu beiträgt, die Berge, die sich an den Hauptvulkan anlehnen, isoliert erscheinen zu lassen. Allerdings kommen beim Aetna und beim Vesuv die großen Lavaströme auch nicht aus dem Krater selbst, und die Masse geschmolzener Stoffe steht meist im umgekehrten Verhältnis mit der Höhe, in der sich die Spalte bildet, welche die Lava auswirft. Aber beim Vesuv und Aetna endet ein Seitenausbruch immer damit, daß der Krater, das heißt die eigentliche Spitze des Berges, Feuer und Asche auswirft. Beim Pik von Tenerifa ist solches seit Jahrhunderten nicht vorgekommen. Auch beim letzten Ausbruch im Jahre 1798 blieb der Krater vollkommen unthätig. Sein Grund hat sich nicht gesenkt, während nach Leopold von Buchs scharfsinniger Bemerkung beim Vesuv die größere oder geringere Tiefe des Kraters fast ein untrügliches Zeichen ist, ob ein neuer Ausbruch bevorsteht oder nicht.

Werfen wir jetzt einen Blick darauf, wie die einst geschmolzenen Felsmassen des Piks, wie die Basalte und Mandelsteine sich allmählich mit einer Pflanzendecke überzogen haben, wie die Gewächse an den steilen Abhängen des Vulkanes verteilt sind, welcher Charakter der Pflanzenwelt der Kanarischen Inseln zukommt.

Im nördlichen Teile des gemäßigten Erdstrichs bedecken kryptogamische Gewächse zuerst die steinige Erdrinde. Auf die Flechten und Moose, deren Laub sich unter dem Schnee entwickelt, folgen grasartige und andere phanerogame Pflanzen. Anders an den Grenzen des heißen Erdstrichs und zwischen den Tropen selbst. Allerdings findet man dort, was auch manche Reisende sagen mögen, nicht allein auf den Bergen, sondern auch an feuchten, schattigen Orten Funarien, Dicranum- und Bryumarten; unter den zahlreichen Arten dieser Gattungen befinden sich mehrere, die zugleich in Lappland, auf dem Pik von Tenerifa und in den Blauen Bergen auf Jamaika vorkommen; im allgemeinen aber beginnt die Vegetation in den Ländern in der Nähe der Tropen nicht mit Flechten und Moosen. Auf den Kanarien, wie in Guinea und an den Felsenküsten von Peru sind es die Saftpflanzen, die den Grund zur Dammerde legen, Gewächse, deren mit unzähligen Oeffnungen und Hauptgefäßen versehene Blätter der umgebenden Luft das darin aufgelöste Wasser entziehen. Sie wachsen in den Ritzen des vulkanischen Gesteins und bilden gleichsam die erste vegetabilische Schicht, womit sich die Lavaströme überziehen. Ueberall wo die Laven verschlackt sind oder eine glänzende Oberfläche haben, wie die Basaltkuppen im Norden von Lanzarote, entwickelt sich die Vegetation ungemein langsam darauf, und es vergehen mehrere Jahrhunderte, bis Buschwerk darauf wächst. Nur wenn die Lava mit Tuff und Asche bedeckt ist, verliert sich auf vulkanischen Eilanden die Kahlheit, die sie in der ersten Zeit nach ihrer Bildung auszeichnet, und schmücken sie sich mit einer üppigen glänzenden Pflanzendecke.

In seinem gegenwärtigen Zustand zeigt die Insel Tenerifa oder das Chinerfe Aus Chinerfe haben die Europäer durch Korruption Tschineriffe, Tenerifa gemacht. der Guanchen fünf Pflanzenzonen, die man bezeichnen kann als die Regionen der Weinreben, der Lorbeeren, der Fichten, der Retama, der Gräser. Diese Zonen liegen am steilen Abhang des Piks wie Stockwerke übereinander und haben 1462 m senkrechte Höhe, während 15º weiter gegen Norden in den Pyrenäen der Schnee bereits zu 2530 bis 2725 m absoluter Höhe erreicht. Wenn auf Tenerifa die Pflanzen nicht bis zum Gipfel des Vulkans vordringen, so rührt dies nicht daher, weil ewiges Eis Obgleich der Pik von Tenerifa sich nur in den Wintermonaten mit Schnee bedeckt, könnte der Vulkan doch die seiner Breite entsprechende Schneegrenze erreichen, und wenn er Sommers ganz schneefrei ist, so könnte dies nur von der freien Lage des Berges in der weiten See, von der Häufigkeit aufsteigender sehr warmer Winde oder von der hohen Temperatur der Asche des Piton herrühren. Beim gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse lassen sich diese Zweifel nicht heben. Vom Parallel der Berge Mexikos bis zum Parallel der Pyrenäen und der Alpen, zwischen dem 20. und dem 45. Grad ist die Kurve des ewigen Schnees durch keine direkte Messung bestimmt worden, und da sich durch die wenigen Punkte, welche uns unter 0º, 20º, 45º, 62º und 71º nördlicher Breite bekannt sind, unendlich viele Kurven ziehen lassen, so kann die Beobachtung nur sehr mangelhaft durch Rechnung ergänzt werden. Ohne es bestimmt zu behaupten, kann man als wahrscheinlich annehmen, daß unter 28º 17' die Schneegrenze über 3700 m liegt. Vom Aequator an, wo der Schnee mit 4794 m, also etwa in der Höhe des Montblanc beginnt, bis zum 20. Breitegrad, also bis zur Grenze des heißen Erdstriches, rückt der Schnee nur 195 m herab; läßt sich demnach annehmen, daß 8º weiter und in einem Klima, das fast noch durchaus als ein tropisches erscheint, der Schnee schon 780 m tiefer stehen sollte? Selbst vorausgesetzt, der Schnee rückte vom 20. bis zum 45. Breitegrad in arithmetischer Progression herab, was den Beobachtungen widerspricht, so finge der ewige Schnee unter der Breite des Piks erst bei 3995 m über der Meeresfläche an, somit 1072 m höher als in den Pyrenäen und in der Schweiz. Dieses Ergebnis wird noch durch andere Betrachtungen unterstützt. Die mittlere Temperatur der Luftschicht, mit der der Schnee im Sommer in Berührung kommt, ist in den Alpen ein paar Grad unter, unter dem Aequator ein paar Grad über dem Gefrierpunkt. Angenommen, unter 28½º sei die Temperatur gleich Null, so ergibt sich nach dem Gesetz der Wärmeabnahme, auf 191 m einen Grad gerechnet, daß der Schnee in 4011 m über einer Ebene mit einer mittleren Temperatur von 21º, wie sie der Küste von Tenerifa zukommt, liegen bleiben muß. Diese Zahl stimmt fast mit der, welche sich bei der Annahme einer arithmetischen Progression ergibt. Einer der Hochgipfel der Sierra de Nevada de Granada, der Pico de Veleta, dessen absolute Höhe 3470 m beträgt, ist beständig mit Schnee bedeckt; da aber die untere Grenze des Schnees nicht gemessen worden ist, so trägt dieser Berg, der unter 37º 10' der Breite liegt, zur Lösung des vorliegenden Problemes nichts bei. Durch die Lage des Vulkanes von Tenerifa mitten auf einer nicht großen Insel kann die Kurve des ewigen Schnees schwerlich hinaufgeschoben werden. Wenn die Winter auf Inseln weniger streng sind, so sind dagegen auch die Sommer weniger heiß, und die Höhe des Schnees hängt nicht sowohl von der ganzen mittleren Jahrestemperatur als vielmehr von der mittleren Wärme der Sommermonate ab. Auf dem Aetna beginnt der Schnee schon bei 2925 m oder selbst etwas tiefer, was bei einem unter 37½º der Breite gelegenen Gipfel ziemlich auffallend erscheint. In der Nähe des Polarkreises, wo die Sommerhitze durch den fortwährend aus dem Meere aufsteigenden Nebel gemildert wird, zeigt sich der Unterschied zwischen Inseln oder Küsten und dem inneren Lande höchst auffallend. Auf Island z. B. ist auf dem Osterjöckull, unter 65º der Breite, die Grenze des ewigen Schnees in 840, in Norwegen dagegen, unter 67º, fern von der Küste in 1170 m Höhe, und doch sind hier die Winter ungleich strenger, folglich die mittlere Jahrestemperatur geringer als in Island. Nach diesen Angaben erscheint es als wahrscheinlich, daß Bouguer und Saussure im Irrtum sind, wenn sie annehmen, daß der Pik von Tenerifa die untere Grenze des ewigen Schnees erreiche. Unter 28º 17' der Breite ergeben sich für diese Grenze wenigstens 3800 m, selbst wenn man sie zwischen dem Aetna und den Bergen von Mexiko durch Interpolation berechnet. Dieser Punkt wird vollständig ins reine gebracht werden, wenn einmal der westliche Teil des Atlas gemessen ist, wo bei Marokko unter 31½º Breite ewiger Schnee liegt. und die Kälte der umgebenden Luft ihnen unübersteigliche Grenzen setzen; vielmehr lassen die verschlackten Laven des Malpays und der dürre, zerriebene Bimsstein des Piton die Gewächse nicht an den Kraterrand gelangen.

Die erste Zone, die der Reben, erstreckt sich vom Meeresufer bis in 390 bis 580 m Höhe; sie ist die am stärksten bewohnte und die einzige, wo der Boden sorgfältig bebaut ist. In dieser tiefen Lage, im Hafen von Orotava und überall, wo die Winde freien Zutritt haben, hält sich der hundertteilige Thermometer im Winter, im Januar und Februar, um Mittag auf 15 bis 17º ; im Sommer steigt die Hitze nicht über 25 oder 26º, ist also um 5 bis 6º geringer als die größte Hitze, die jährlich in Paris, Berlin und St. Petersburg eintritt. Dies ergibt sich aus den Beobachtungen Savagis in den Jahren 1795 bis 1799. Die mittlere Temperatur der Küste von Tenerifa scheint wenigstens 21º (16,8º R.) zu sein, und ihr Klima steht in der Mitte zwischen dem von Neapel und dem des heißen Erdstrichs. Auf der Insel Madeira sind die mittleren Temperaturen des Januar und des August, nach Heberden, 17,7º und 28,8º, in Rom dagegen 5,6º und 26,1º . Aber so ähnlich sich die Klimate von Madeira und Tenerifa sind, kommen doch die Gewächse der ersteren Insel im allgemeinen in Europa leichter fort als die von Tenerifa. Der Cheiranthus longifolius von Orotava z. B. erfriert in Marseille, wie de Candolle beobachtet hat, während der Cheiranthus mutabilis von Madeira dort im Freien überwintert. Die Sommerhitze dauert auf Madeira nicht so lange als auf Tenerifa.

In der Region der Reben kommen vor acht Arten baumartiger Euphorbien, Mesembryanthemumarten, die vom Kap der guten Hoffnung bis zum Peloponnes verbreitet sind, die Cacalia Kleinia, der Drachenbaum, und andere Gewächse, die mit ihrem nackten, gewundenen Stamm, mit den saftigen Blättern und der blaugrünen Färbung den Typus der Vegetation Afrikas tragen. In dieser Zone werden der Dattelbaum, der Bananenbaum, das Zuckerrohr, der indische Feigenbaum, Arum colocasia, dessen Wurzel dem gemeinen Volke ein nahrhaftes Mehl liefert, der Oelbaum, die europäischen Obstarten, der Weinstock und die Getreidearten gebaut. Das Korn wird von Ende März bis Anfang Mai geschnitten, und man hat mit dem Anbau des Tahitischen Brotbaumes, des Zimtbaumes von den Molukken, des Kaffeebaumes aus Arabien und des Kakaobaumes aus Amerika gelungene Versuche gemacht. Auf mehreren Punkten der Küste hat das Land ganz den Charakter einer tropischen Landschaft. Chamärops und der Dattelbaum kommen auf der fruchtbaren Ebene von Murviedro, an der Küste von Genua und in der Provence bei Antibes unter 39 bis 44º der Breite ganz gut fort; einige Dattelbäume wachsen sogar innerhalb der Mauern von Rom und dauern in einer Temperatur von 2,5º unter dem Gefrierpunkt aus. Wenn aber dem südlichen Europa nur erst ein geringer Teil von den Schätzen zugeteilt ist, welche die Natur in der Region der Palmen ausstreut, so ist die Insel Tenerifa, die unter derselben Breite liegt wie Aegypten, das südliche Persien und Florida, bereits mit denselben Pflanzengestalten geschmückt, welche den Landschaften in der Nähe des Aequators ihre Großartigkeit verleihen.

Bei der Musterung der Sippen einheimischer Gewächse vermißt man ungern die Bäume mit zartgefiederten Blättern und die baumartigen Gräser. Keine Art der zahlreichen Familie der Sensitiven ist auf ihrer Wanderung zum Archipel der Kanarien gedrungen, während sie auf beiden Kontinenten bis zum 38. und 40. Breitegrad vorkommen. In Amerika ist die Schranckia uncinata Willdenows Mimosa horridula, Michaux. bis hinauf in die Wälder von Virginien verbreitet; in Afrika wächst die Acacia gummifera auf den Hügeln bei Mogador, in Asien, westwärts vom Kaspischen Meer, hat v. Biberstein die Ebenen von Chyrvan mit Acacia stephaniana bedeckt gesehen. Wenn man die Pflanzen von Lanzarote und Fuerteventura, die der Küste von Marokko am nächsten liegen, genauer untersuchte, könnten sich doch unter so vielen Gewächsen der afrikanischen Flora leicht ein paar Mimosen finden.

Die zweite Zone, die der Lorbeeren, begreift den bewaldeten Strich von Tenerifa; es ist dies auch die Region der Quellen, die aus dem immer frischen, feuchten Rasen sprudeln. Herrliche Wälder krönen die an den Vulkan sich lehnenden Hügel. Hier wachsen vier Lorbeerarten, Laurus indica, L. foetens, L. nobilis und L. Til. Zwischen diesen Bäumen wachsen Ardisia excelsa, Rhamnus glandulosus, Erica arborea, Erica Texo. eine der Quercas Turneri aus den Bergen Tibets nahestehende Eiche, Quercus canariensis, Broussonet. die Visnea Mocanera, die Myrica Faya der Azoren, ein einheimischer Olivenbaum ( Olea excelsa), der größte Baum in dieser Zone, zwei Arten Sideroxylon mit ausnehmend schönem Laub, Arbutus callycarpa und andere immergrüne Bäume aus der Familie der Myrten. Winden und ein vom europäischen sehr verschiedener Epheu ( Hedera canariensis) überziehen die Lorbeerstämme, und zu ihren Füßen wuchern zahllose Farne, Woodwardia radicans, Asplenium dalmatum, A. canariense, A. latifolium, Nothalaena subcordata, Trichomanes canariensis, T. speciosus und Davallia canariensis. von denen nur drei Arten Zwei Acrostichum und das Ophyoglossum lusitanicum. schon in der Region der Reben vorkommen. Auf dem mit Moosen und zartem Gras überzogenen Boden prangen überall die Blüten der Campanula aurea, des Chrysanthemum pinnatifidum, der Mentha canariensis und mehrerer strauchartiger Hypericumarten. Hypericum canariense. H. floribundum und H. glandulosum. Pflanzungen von wilden und geimpften Kastanien bilden einen weiten Gürtel um das Gebiet der Quellen, welches das grünste und lieblichste von allen ist.

Die dritte Zone beginnt in 1750 m absoluter Höhe, da, wo die letzten Gebüsche von Erdbeerbäumen, Myrica Faya und des schönen Heidekrautes stehen, das bei den Eingeborenen Texo heißt. Diese 780 m breite Zone besteht ganz aus einem mächtigen Fichtenwald, in dem auch Broussonets Juniperus Cedro vorkommt. Die Fichten haben sehr lange, ziemlich steife Blätter, deren zuweilen zwei, meist aber drei in einer Scheide stecken. Da wir die Früchte nicht untersuchen konnten, wissen wir nicht, ob diese Art, die im Wuchs der schottischen Fichte gleicht, sich wirklich von den achtzehn Fichtenarten unterscheidet, die wir bereits in der Alten Welt kennen. Nach der Ansicht eines berühmten Botanikers, dessen Reisen die Pflanzengeographie Europas sehr gefördert haben, de Candolle, unterscheidet sich die Fichte von Tenerifa sowohl von der Pinus atlantica in den Bergen bei Mogador, als von der Fichte von Aleppo, Pinus halepensis. Nach de Candolles Bemerkung hieße diese Fichte, die in Portugal fehlt und am Abhang von Frankreich und Spanien gegen das Mittelmeer, in Italien, in Kleinasien und in der Berberei vorkommt, besser Pinus mediterranea. Sie ist der herrschende Baum in den Fichtenwäldern des südöstlichen Frankreichs, wo sie von Gouan und Gérard mit der Pinus sylvestris verwechselt worden ist. die dem Becken des Mittelländischen Meeres angehört und nicht über die Säulen des Herkules hinauszugehen scheint. Die letzten Fichten fanden wir am Pik etwa in 2340 m Höhe über dem Meer. In den Kordilleren von Neuspanien, im heißen Erdstrich, gehen die mexikanischen Fichten bis zu 3900 m Höhe. So sehr auch die verschiedenen Arten einer und derselben Pflanzengattung im Bau Übereinkommen, so verlangt doch jede zu ihrem Fortkommen einen bestimmten Grad von Wärme und Verdünnung der umgebenden Luft. Wenn in den gemäßigten Landstrichen und überall, wo Schnee fällt, die konstante Bodenwärme etwas höher ist als die mittlere Lufttemperatur, so ist anzunehmen, daß in der Höhe des Portillo die Wurzeln der Fichten ihre Nahrung aus dem Boden ziehen, in dem in einer gewissen Tiefe der Thermometer höchstens auf 9 bis 10º steigt.

Die vierte und fünfte Zone, die der Retama und der Gräser, liegen so hoch wie die unzugänglichsten Gipfel der Pyrenäen. Es ist dies der öde Landstrich der Insel, wo Haufen von Bimsstein, Obsidian und zertrümmerter Lava wenig Pflanzenwuchs aufkommen lassen. Schon oben war von den blühenden Büschen des Alpenginsters ( Spartium nubigenum) die Rede, welche Oasen in einem weiten Aschenmeer bilden. Zwei krautartige Gewächse, Scrophularia glabrata und Viola cheiranthifolia, gehen weiter hinauf bis ins Malpays. Ueber einem von der afrikanischen Sonne ausgebrannten Rasen bedeckt die Cladonia paschalis dürre Strecken; die Hirten zünden sie häufig an, wobei sich dann das Feuer sehr weit verbreitet. Dem Gipfel des Pik zu arbeiten Urceolarien und andere Flechten an der Zersetzung des verschlackten Gesteines, und so erweitert sich auf von Vulkanen verheerten Eilanden Floras Reich durch die nie stockende Thätigkeit organischer Kräfte.

Ueberblicken wir die Vegetationszonen von Tenerifa, so sehen wir, daß die ganze Insel als ein Wald von Lorbeeren, Erdbeerbäumen und Fichten erscheint, der kaum an seinen Rändern von Menschen urbar gemacht ist, und in der Mitte ein nacktes steiniges Gebiet umschließt, das weder zum Ackerbau noch zur Weide taugt. Nach Broussonets Bemerkung läßt sich der Archipel der Kanarien in zwei Gruppen teilen. Die erste begreift Lanzarote und Fuerteventura, die zweite Tenerifa, Canaria, Gomera, Ferro und Palma. Beide weichen im Habitus der Vegetation bedeutend voneinander ab. Die ostwärts gelegenen Inseln, Lanzarote und Fuerteventura, haben weite Ebenen und nur niedrige Berge; sie sind fast quellenlos, und diese Eilande haben noch mehr als die anderen den Charakter vom Kontinent getrennter Länder. Die Winde wehen hier in derselben Richtung und zu denselben Zeiten; Euphorbia mauritanica, Atropa frutescens und Sonchus arborescenswuchern im losen Sand und dienen wie in Afrika den Kamelen als Futter. Auf der westlichen Gruppe der Kanarien ist das Land höher, stärker bewaldet, besser von Quellen bewässert.

Auf dem ganzen Archipel finden sich zwar mehrere Gewächse, die auch in Portugal, Willdenow und ich haben unter den Pflanzen vom Pik von Tenerifa das schöne Satyrium diphyllum ( Orchis cordata, Willd.) erkannt, die Link in Portugal gefunden. Die Kanarien haben nicht die Dicksonia Culcita, den einzigen Baumfarn, der unter 39º der Breite vorkommt, wohl aber Asplenium palmatum und Myrica Faya mit der Flora der Azoren gemein. Letzterer Baum findet sich in Portugal wild, Hofmannsegg hat sehr alte Stämme gesehen, es bleibt aber zweifelhaft, ob er in diesem Teil unseres Kontinentes einheimisch oder eingeführt ist. Denkt man über die Wanderungen der Gewächse nach und zieht man in Betracht, daß es geologisch möglich ist, daß Portugal, die Azoren, die Kanarien und die Atlaskette einst durch nunmehr im Meer versunkene Länder zusammengehangen haben, so erscheint das Vorkommen der Myrica Faya im westlichen Europa zum mindesten ebenso auffallend, als wenn die Fichte von Aleppo auf den Azoren vorkäme. in Spanien, auf den Azoren und im nordwestlichen Afrika vorkommen, aber viele Arten und selbst einige Gattungen sind Tenerifa, Porto Santo und Madeira eigentümlich, unter anderen Mocanera, Plocama, Bosea, Canarina, Drusa, Pittosporum. Ein Typus, der sich als ein nördlicher ansprechen läßt, der der Kreuzblüten, Von den wenigen Cruciferen in der Flora von Tenerifa führen wir an: Cheiranthus longifolius, Ch. frutescens, Ch. scoparis, Erysimum bicorne, Crambe strigosa, C. laevigata. ist auf den Kanarien schon weit seltener als in Spanien und Griechenland. Weiter nach Süden, im tropischen Landstrich beider Kontinente, wo die mittlere Lufttemperatur über 22º, verschwinden die Kreuzblüten fast gänzlich.

Eine Frage, die für die Geschichte der fortschreitenden Entwickelung des organischen Lebens auf dem Erdball von großer Bedeutung erscheint, ist in neuerer Zeit viel besprochen worden, nämlich, ob polymorphe Gewächse auf vulkanischen Inseln häufiger sind als anderswo? Die Vegetation von Tenerifa unterstützt keineswegs die Annahme, daß die Natur auf neugebildetem Boden die Pflanzenformen weniger streng festhält. Broussonet, der sich so lange auf den Kanarien aufgehalten, versichert, veränderliche Gewächse seien nicht häufiger als im südlichen Europa. Wenn auf der Insel Bourbon so viele polymorphe Arten vorkommen, sollte dies nicht vielmehr von der Beschaffenheit des Bodens und des Klimas herrühren, als davon, daß die Vegetation jung ist?

Wohl darf ich mir schmeicheln, mit dieser Naturskizze von Tenerifa einiges Licht über Gegenstände verbreitet zu haben, die bereits von so vielen Reisenden besprochen worden sind; indessen glaube ich, daß die Naturgeschichte dieses Archipels der Forschung noch ein weites Feld darbietet. Die Leiter der wissenschaftlichen Entdeckungsfahrten, wie sie England, Frankreich, Spanien, Dänemark und Rußland zu ihrem Ruhme unternommen, haben meist zu sehr geeilt, von den Kanarien wegzukommen. Sie dachten, da diese Inseln so nahe bei Europa liegen, müßten sie genau beschrieben sein; sie haben vergessen, daß das Innere von Neuholland geologisch nicht unbekannter ist als die Gebirgsarten von Lanzarote und Gomera, Porto Santo und Terceira. So viele Gelehrte bereisen Jahr für Jahr ohne bestimmten Zweck die besuchtesten Länder Europas. Es wäre wünschenswert, daß einer und der andere, den echte Liebe zur Wissenschaft beseelt und dem die Verhältnisse eine mehrjährige Reise gestatten, den Archipel der Azoren, Madeira, die Kanarien, die Inseln des grünen Vorgebirges und die Nordwestküste von Afrika bereiste. Nur wenn man die Atlantischen Inseln und das benachbarte Festland nach denselben Gesichtspunkten untersucht und die Beobachtungen zusammenstellt, gelangt man zur genauen Kenntnis der geologischen Verhältnisse und der Verbreitung der Tiere und Gewächse.

Bevor ich die Alte Welt verlasse und in die Neue übersetze, habe ich einen Gegenstand zu berühren, der allgemeineres Interesse bietet, weil er sich auf die Geschichte der Menschheit und die historischen Verhängnisse bezieht, durch welche ganze Volksstämme vom Erdboden verschwunden sind. Auf Cuba, St. Domingo, Jamaika fragt man sich, wo die Ureinwohner dieser Länder hingekommen sind; auf Tenerifa fragt man sich, was aus den Guanchen geworden ist, deren in Höhlen versteckte, vertrocknete Mumien ganz allein der Vernichtung entgangen sind. Im 15. Jahrhundert holten fast alle Handelsvölker, besonders aber die Spanier und Portugiesen, Sklaven von den Kanarien, wie man sie jetzt von der Küste von Guinea holt. Die spanischen Geschichtschreiber sprechen von Fahrten, welche die Hugenotten von La Rochelle unternommen haben sollen, um Guanchensklaven zu holen. Ich kann dies nicht glauben, da diese Fahrten nach dem Jahre 1530 fallen müßten. Die christliche Religion, die in ihren Anfängen die menschliche Freiheit so mächtig förderte, mußte der europäischen Habsucht als Vorwand dienen. Jedes Individuum, das gefangen wurde, ehe es getauft war, verfiel der Sklaverei. Zu jener Zeit hatte man noch nicht zu beweisen gesucht, daß der Neger ein Mittelding zwischen Mensch und Tier ist; der gebräunte Guanche und der afrikanische Neger wurden auf dem Markte zu Sevilla miteinander verkauft, und man stritt nicht über die Frage, ob nur Menschen mit schwarzer Haut und Wollhaar der Sklaverei verfallen sollen.

Auf dem Archipel der Kanarien bestanden mehrere kleine, einander feindlich gegenüber stehende Staaten. Oft war dieselbe Insel zwei unabhängigen Fürsten unterworfen, wie in der Südsee und überall, wo die Kultur noch auf tiefer Stufe steht. Die Handelsvölker befolgten damals hier dieselbe arglistige Politik, wie jetzt auf den Küsten von Afrika: sie leisteten den Bürgerkriegen Vorschub. So wurde ein Guanche Eigentum des anderen, und dieser verkaufte jenen den Europäern; manche zogen den Tod der Sklaverei vor und töteten sich und ihre Kinder. So hatte die Bevölkerung der Kanarien durch den Sklavenhandel, durch die Menschenräuberei der Piraten, besonders aber durch lange blutige Zwiste bereits starke Verluste erlitten, als Alonso de Lugo sie vollends eroberte. Den Ueberrest der Guanchen raffte im Jahre 1494 größtenteils die berühmte Pest, die sogenannte Modorra hin, die man den vielen Leichen zuschrieb, welche die Spanier nach der Schlacht bei Laguna hatten frei liegen lassen. Wenn ein halb wildes Volk, das man um sein Eigentum gebracht, im selben Lande neben einer civilisierten Nation leben muß, so sucht es sich in den Gebirgen und Wäldern zu isolieren. Inselbewohner haben keine andere Zuflucht, und so war denn das herrliche Volk der Guanchen zu Anfang des 17. Jahrhunderts so gut wie ausgerottet; außer ein paar alten Männern in Candelaria und Guimar gab es keine mehr.

Es ist ein tröstlicher Gedanke, daß die Weißen es nicht immer verschmäht haben, sich mit den Eingeborenen zu vermischen; aber die heutigen Kanarier, die bei den Spaniern schlechtweg Isleños heißen, haben triftige Gründe, eine solche Mischung in Abrede zu ziehen. In einer langen Geschlechtsfolge verwischen sich die charakteristischen Merkmale der Rassen, und da die Nachkommen der Andalusier, die sich auf Tenerifa niedergelassen, selbst von ziemlich dunkler Gesichtsfarbe sind, so kann die Hautfarbe der Weißen durch die Kreuzung der Rassen nicht merkbar verändert worden sein. Es ist Thatsache, daß gegenwärtig kein Eingeborener von reiner Rasse mehr lebt, und sonst ganz wahrheitsliebende Reisende sind im Irrtum, wenn sie glauben, bei der Besteigung des Piks schlanke, schnellfüßige Guanchen zu Führern gehabt zu haben. Allerdings wollen einige kanarische Familien vom letzten Hirtenkönig von Guimar abstammen, aber diese Ansprüche haben wenig Grund; sie werden von Zeit zu Zeit wieder laut, wenn einer aus dem Volke, der brauner ist als seine Landsleute, Lust bekommt, sich um eine Offiziersstelle im Dienste des Königs von Spanien umzuthun.

Kurz nach der Entdeckung von Amerika, als Spanien den Gipfel seines Ruhmes erstiegen hatte, war es Brauch, die sanfte Gemütsart der Guanchen zu rühmen, wie man in unserer Zeit die Unschuld der Bewohner von Tahiti gepriesen hat. Bei beiden Bildern ist das Kolorit glänzender als wahr. Wenn die Völker, erschöpft durch geistige Genüsse, in der Verfeinerung der Sitten nur Keime der Entartung vor sich sehen, so finden sie einen eigenen Reiz in der Vorstellung, daß in weit entlegenen Ländern, beim Dämmerlicht der Kultur, in der Bildung begriffene Menschenvereine eines reinen, ungestörten Glückes genießen. Diesem Gefühl verdankt Tacitus zum Teil den Beifall, der ihm geworden, als er den Römern, den Unterthanen der Cäsaren, die Sitten der Germanen schilderte. Dasselbe Gefühl gibt den Beschreibungen der Reisenden, die seit dem Ende des verflossenen Jahrhunderts die Inseln des Stillen Ozeans besucht haben, den unbeschreiblichen Reiz.

Die Einwohner der zuletzt genannten Inseln, die man wohl zu stark gepriesen hat und die einst Menschenfresser waren, haben in mehr als einer Beziehung Ähnlichkeit mit den Guanchen von Tenerifa. Beide sehen wir unter dem Joche eines feudalen Regimentes seufzen, und bei den Guanchen war diese Staatsform, welche so leicht Kriege herbeiführt, und sie nicht enden läßt, durch die Religion geheiligt. Die Priester sprachen zum Volk: »Achaman, der große Geist, hat zuerst die Edlen, die Achimenceys, geschaffen und ihnen alle Ziegen in der Welt zugeteilt. Nach den Edeln hat Achaman das gemeine Volk geschaffen, die Achicaxnas; dieses jüngere Geschlecht nahm sich heraus, gleichfalls Ziegen zu verlangen; aber das höchste Wesen erwiderte, das Volk sei dazu da, den Edeln dienstbar zu sein, und habe kein, Eigentum nötig.« Eine solche Ueberlieferung mußte den reichen Vasallen der Hirtenkönige ungemein behagen; auch stand dem Faycan oder Oberpriester das Recht zu, in den Adelstand zu erheben, und ein Gesetz verordnete, daß jeder Achimencey, der sich herbeiließe, eine Ziege mit eigenen Händen zu melken, seines Adels verlustig sein sollte. Ein solches Gesetz erinnert keineswegs an die Sitteneinfalt des homerischen Zeitalters. Es befremdet, wenn man schon bei den Anfängen der Kultur die nützliche Beschäftigung mit Ackerbau und Viehzucht mit Verachtung gebrandmarkt sieht.

Die Guanchen waren berühmt durch ihren hohen Wuchs; sie erschienen als die Patagonen der Alten Welt und die Geschichtschreiber übertrieben ihre Muskelkraft, wie man vor Bougainvilles und Cordobas Reisen dem Volksstamm am Südende von Amerika eine kolossale Körpergröße zuschrieb. Mumien von Guanchen habe ich nur in den europäischen Kabinetten gesehen; zur Zeit meiner Reise waren sie auf Tenerifa sehr selten; man müßte sie aber in Menge finden, wenn man die Grabhöhlen, die am östlichen Abhang des Piks zwischen Arico und Guimar in den Fels gehauen sind, bergmännisch aufbrechen ließe. Diese Mumien sind so stark vertrocknet, daß ganze Körper mit der Haut oft nicht mehr als 3 bis 3,5 kg wiegen, das heißt ein Dritteil weniger, als das Skelett eines gleich großen Individuums, von dem man eben das Muskelfleisch abgenommen hat. Die Schädelbildung ähnelt einigermaßen der der weißen Rasse der alten Aegypter, und die Schneidezähne sind auch bei den Guanchen stumpf, wie bei den Mumien vom Nil. Aber diese Zahnform ist rein künstlich und bei genauerer Untersuchung der Kopfbildung der alten Guanchen haben geübte Anatomen Blumenbach, Decas quinta collectionis craniorum diversarum gentium illustrium. gefunden, daß sie im Jochbein und im Unterkiefer von den ägyptischen Mumien bedeutend abweicht. Oeffnet man Mumien von Guanchen, so findet man Ueberbleibsel aromatischer Kräuter, unter denen immer das Chenopodium ambrosioides vorkommt; zuweilen sind die Leichen mit Schnüren geschmückt, an denen kleine Scheiben aus gebrannter Erde hängen, die als Zahlzeichen gedient zu haben scheinen und die mit den Quippos der Peruaner, Mexikaner und Chinesen Aehnlichkeit haben.

Da im allgemeinen die Bevölkerung von Inseln den umwandelnden Einflüssen, wie sie Folgen der Wanderungen sind, weniger ausgesetzt ist, als die Bevölkerung der Festländer, so läßt sich annehmen, daß der Archipel der Kanarien zur Zeit der Karthager und Griechen vom selben Menschenstamm bewohnt war, den die normännischen und spanischen Eroberer vorfanden. Das einzige Denkmal, das einiges Licht auf die Herkunft der Guanchen werfen kann, ist ihre Sprache; leider sind uns aber davon nur etwa hundertfünfzig Worte aufbehalten, die zum Teil dasselbe in der Mundart der verschiedenen Inseln bedeuten. Außer diesen Worten, die man sorgfältig gesammelt, hat man in den Namen vieler Dörfer, Hügel und Thäler wichtige Sprachreste vor sich. Die Guanchen, wie Basken, Hindu, Peruaner und alle sehr alten Völker, benannten die Oertlichkeiten nach der Beschaffenheit des Bodens, den sie bebauten, nach der Gestalt der Felsen, deren Höhlen ihnen als Wohnstätten dienten, nach den Baumarten, welche die Quellen beschatteten.

Man war lange der Meinung, die Sprache der Guanchen habe keine Aehnlichkeit mit den lebenden Sprachen; aber seit die Sprachforscher durch Hornemanns Reise und durch die scharfsinnigen Untersuchungen von Marsden und Ventura auf die Berbern aufmerksam geworden sind, die, gleich den slavischen Völkern, in Nordafrika über eine ungeheure Strecke verbreitet sind, hat man gefunden, daß in der Sprache der Guanchen und in den Mundarten von Chilha und Gebali mehrere Worte gleiche Wurzeln haben.

Wir führen folgende Beispiele an:

 

Himmel, guanchisch Tigo berberisch Tigot
Milch, " Aho " Acho
Gerste, " Temasen " Tomzeen
Korb, " Carinas " Carian
Wasser, " Aenum " Anan

 

Ich glaube nicht, daß diese Sprachähnlichkeit ein Beweis für gemeinsamen Ursprung ist; aber sie deutet darauf hin, daß die Guanchen in alter Zeit in Verkehr standen mit den Berbern, einem Gebirgsvolk, zu dem die Numidier, Getuler und Garamanten verschmolzen sind und das vom Ostende des Atlas durch das Harudjé und Fezzan bis zur Oase von Siuah und Audschila sich ausbreitet. Die Eingeborenen der Kanarien nannten sich Guanchen, von Guan, Mensch, wie die Tungusen sich Pye und Donky nennen, welche Worte dasselbe bedeuten, wie Guan. Indessen sind die Völker, welche die Berbersprache sprechen, nicht alle desselben Stammes, und wenn Scylax in seinem Periplus die Einwohner von Cerne als ein Hirtenvolk von hohem Wuchs mit langen Haaren beschreibt, so erinnert dies an die körperlichen Eigenschaften der kanarischen Guanchen.

Je genauer man die Sprachen aus philosophischem Gesichtspunkte untersucht, desto mehr zeigt sich, daß keine ganz allein steht; diesen Anschein würde auch die Sprache der Guanchen Nach Vaters Untersuchungen zeigt die Sprache der Guanchen folgende Aehnlichkeiten mit den Sprachen weit auseinander gelegener Völker: Hund bei den Huronen in Amerika aguienon, bei den Guanchen aguyan; Mensch bei den Peruanern cari, bei den Guanchen coran; König bei den Mandingo in Afrika monso, bei den Guanchen monsey. Der Name der Insel Gomera kommt im Worte Gomer zum Vorschein, das der Name eines Berberstammes ist. ( Vater, Untersuchungen über Amerika, S. 170.) Die guanchischen Worte alcorac, Gott, und almogaron, Tempel, scheinen arabischen Ursprunges, wenigstens bedeutet in letzterer Sprache almoharram heilig. noch weniger haben, wenn man von ihrem Mechanismus und ihrem grammatischen Bau etwas wüßte, Elemente, welche von größerer Bedeutung sind als Wortform und Gleichlaut. Es verhält sich mit gewissen Mundarten wie mit den organischen Bildungen, die sich in der Reihe der natürlichen Familien nirgends unterbringen lassen. Sie stehen nur scheinbar so vereinzelt da; der Schein schwindet, sobald man eine größere Masse von Bildungen überblickt, wo dann die vermittelnden Glieder hervortreten.

Gelehrte, die überall, wo es Mumien, Hieroglyphen und Pyramiden gibt, Aegypten sehen, sind vielleicht der Ansicht, das Geschlecht Typhons und die Guanchen stehen in Zusammenhang mittels der Berbern, echter Atlanten, zu denen die Tibbu und Tuarik der Wüste gehören. Hornemanns Reise von Kairo nach Murzuk. Es genügt hier aber an der Bemerkung, daß eine solche Annahme durch keinerlei Aehnlichkeit zwischen der Berbersprache und dem Koptischen, das mit Recht für ein Ueberbleibsel des alten Aegyptischen gilt, unterstützt wird.

Das Volk, das die Guanchen verdrängt hat, stammt von Spaniern und zu einem sehr kleinen Teil von Normannen ab. Obgleich diese beiden Volksstämme drei Jahrhunderte lang demselben Klima ausgesetzt gewesen sind, zeichnet sich der letztere durch weißere Haut aus. Die Nachkommen der Normannen wohnen im Thal Teganana zwischen Punta de Naga und Punta de Hidalgo. Die Namen Grandville und Dampierre kommen in diesem Bezirke noch ziemlich häufig vor. Die Kanarier sind ein redliches, mäßiges und religiöses Volk; zu Hause zeigen sie aber weniger Betriebsamkeit als in fremden Ländern. Ein unruhiger Unternehmungsgeist treibt diese Insulaner, wie die Biscayer und Katalanen, auf die Philippinen, auf die Marianen und in Amerika überall hin, wo es spanische Kolonieen gibt, von Chile und dem La Plata bis nach Neumexiko. Ihnen verdankt man großenteils die Fortschritte des Ackerbaues in den Kolonieen. Der ganze Archipel hat kaum 160 000 Einwohner, und der Isleños sind vielleicht in der Neuen Welt mehr als in ihrer alten Heimat.

 

  qkm. * km 2
lt. Wikipedia
    Einwohner, auf den qkm *
Tenerifa hatte auf 266 2034 i.J. 1790 70 000 263
Fuerteventura " 225 1660 " 1790 9 000 40
Die große Canaria " 214 1560 " 1790 50 000 233
Palma " 98 708 " 1790 22 600 230
Lanzarote " 94 845 " 1790 10 000 106
Gomera " 51 370 " 1790 7400 145
Ferro " 25 269 " 1790 5 000 200

* Diese Angaben stimmen nicht, folglich auch nicht die Zahlen Einwohner/Fläche. Re. für Gutenberg

 

An Wein werden Tenerifa auf geerntet 20 000 bis 24 000 Pipes, worunter 5000 Malvasier; jährliche Ausfuhr von Wein 8000 bis 9000 Pipes; Gesamtgetreideernte des Archipels 54 000 Fanegas zu 50 kg. In gemeinen Jahren reicht diese Ernte aus zum Unterhalt der Einwohner, die großenteils von Mais, Kartoffeln und Bohnen ( Frijoles) leben. Der Anbau des Zuckerrohrs und der Baumwolle ist von geringem Belang, und die vornehmsten Handelsartikel sind Wein, Branntwein, Orseille und Soda. Bruttoeinnahme der Regierung, die Tabakspacht eingerechnet, 240 000 Piaster.

Auf nationalökonomische Erörterungen über die Wichtigkeit der Kanarischen Inseln für die Handelsvölker Europas lasse ich mich nicht ein. Ich beschäftigte mich während meines Aufenthaltes zu Caracas und in der Havana lange mit statistischen Untersuchungen über die spanischen Kolonieen, ich stand in genauer Verbindung mit Männern, die auf Tenerifa bedeutende Aemter bekleidet, und so hatte ich Gelegenheit, viele Angaben über den Handel von Santa Cruz und Orotava zu sammeln. Da aber mehrere Gelehrte nach mir die Kanarien besucht haben, standen ihnen dieselben Quellen zu Gebot, und ich entferne ohne Bedenken aus meinem Tagebuch, was in Werken, die vor dem meinigen erschienen sind, genau verzeichnet steht. Ich beschränke mich hier auf einige Bemerkungen, mit denen die Schilderung, die ich vom Archipel der Kanarien entworfen, geschlossen sein mag.

Es ergeht diesen Inseln, wie Aegypten, der Krim und so vielen Ländern, welche von Reisenden, welche in Kontrasten Wirkung suchen, über das Maß gepriesen oder heruntergesetzt worden sind. Die einen schildern von Orotava aus, wo sie ans Land gestiegen, Tenerifa als einen Garten der Hesperiden; sie können das milde Klima, den fruchtbaren Boden, den reichen Anbau nicht genug rühmen; andere, die sich in Santa Cruz aufhalten mußten, sahen in den glückseligen Inseln nichts als ein kahles, dürres, von einem elenden, geistesbeschränkten Volke bewohntes Land. Wir haben gefunden, daß die Natur auf diesem Archipelagus, wie in den meisten gebirgigen und vulkanischen Ländern, ihre Gaben sehr ungleich verteilt hat. Die Kanarischen Inseln leiden im allgemeinen an Wassermangel; aber wo sich Quellen finden, wo künstlich bewässert wird oder häufig Regen fällt, da ist auch der Boden ausnehmend fruchtbar. Das niedere Volk ist fleißig, aber es entwickelt seine Thätigkeit ungleich mehr in fernen Kolonieen als auf Tenerifa selbst, wo dieselbe auf Hindernisse stößt, die eine kluge Verwaltung allmählich aus dem Wege räumen könnte. Die Auswanderung wird abnehmen, wenn man sich entschließt, das unangebaute Grundeigentum des Staates unter der Einwohnerschaft zu verteilen, die Ländereien, welche zu den Majoraten der großen Familien gehören, zu verkaufen und allmählich die Feudalrechte abzuschaffen.

Die gegenwärtige Bevölkerung der Kanarien erscheint allerdings unbedeutend, wenn man sie mit der Bevölkerung mancher europäischen Völker vergleicht. Die Insel Madeira, deren fleißige Bewohner einen fast von Pflanzenerde entblößten Felsen bebauen, ist siebenmal kleiner als Tenerifa, und doch doppelt so stark bevölkert; aber die Schriftsteller, die sich darin gefallen, die Entvölkerung der spanischen Kolonieen mit so grellen Farben zu schildern und den Grund davon in der kirchlichen Hierarchie suchen, übersehen, daß überall seit der Regierung Philipps V. die Zahl der Einwohner in mehr oder minder rascher Zunahme begriffen ist. Bereits ist auf den Kanarien die Bevölkerung relativ stärker als in beiden Kastilien, in Estremadura und in Schottland. Alle Inseln zusammengerückt stellen ein Gebirgsland dar, das um ein Siebenteil weniger Flächeninhalt hat als die Insel Korsika und doch gleich viel Einwohner zählt.

Obgleich die Inseln Fuerteventura und Lanzarote, die am schlechtesten bevölkert sind, Getreide ausführen, während Tenerifa gewöhnlich nicht zwei Dritteile seines Bedarfes erzeugt, so darf man doch daraus nicht den Schluß ziehen, daß auf letzterer Insel die Bevölkerung aus Mangel an Lebensmitteln nicht zunehmen könnte. Die Kanarischen Inseln sind noch auf lange vor den Uebeln der Uebervölkerung bewahrt, deren Ursachen Malthus so sicher und scharfsinnig entwickelt hat. Das Elend des Volkes ist um vieles gelindert worden, seit der Kartoffelbau eingeführt ist und man angefangen hat, mehr Mais als Gerste und Weizen zu bauen.

Die Bewohner der Kanarien sind ihrem Charakter nach ein Gebirgsvolk und ein Inselvolk zugleich. Will man sie richtig beurteilen, muß man sie nicht nur in ihrer Heimat sehen, wo ihr Fleiß aus gewaltige Hemmnisse stößt; man muß sie beobachten in den Steppen der Provinz Caracas, auf dem Rücken der Anden, auf den glühenden Ebenen der Philippinen, überall wo sie, einsam in unbewohnten Ländern, Gelegenheit finden, die Kraft und die Thätigkeit zu entwickeln, welche der wahre Reichtum des Kolonisten sind.

Die Kanarier gefallen sich darin, ihr Land als einen Teil des europäischen Spaniens zu betrachten, und sie haben auch wirklich die kastilianische Litteratur bereichert. Die Namen Clavigo (Verfasser des Pensador), Viera, Yriarte und Betancourt sind in Wissenschaft und Litteratur mit Ehren genannt; das kanarische Volk besitzt die lebhafte Einbildungskraft, die den Bewohnern von Andalusien und Granada eigen ist, und es ist zu hoffen, daß die glückseligen Inseln, wo der Mensch wie überall die Segnungen und die harte Hand der Natur empfindet, dereinst einen eingeborenen Dichter finden, der sie würdig besingt.


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