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Drittes Kapitel.

Ueberfahrt von Tenerifa an die Küste von Südamerika. – Ankunft in Cumana.


Am 25. Juni abends verließen wir die Rede von Santa Cruz und schlugen den Weg nach Südamerika ein. Es wehte stark aus Nordost und das Meer schlug infolge der Gegenströmungen kurze gedrängte Wellen. Die Kanarischen Inseln, auf deren hohen Bergen ein rötlicher Duft lag, verloren wir bald aus dem Gesicht. Nur der Pik zeigte sich von Zeit zu Zeit in Blinken, wahrscheinlich weil der in der hohen Luftregion herrschende Wind dann und wann die Wolken um den Piton verjagte. Zum erstenmal empfanden wir, welchen lebhaften Eindruck der Anblick von Ländern an der Grenze des heißen Erdgürtels, wo die Natur so reich, so großartig und so wundervoll auftritt, auf unser Gemüt macht. Wir hatten nur kurze Zeit auf Tenerifa verweilt, und doch schieden wir von der Insel, als hätten wir lange dort gelebt.

Unsere Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, dem östlichsten Hafen von Terra Firma, war so schön als je eine. Wir schnitten den Wendekreis des Krebses am 27., und obgleich der Pizarro eben kein guter Segler war, legten wir doch den 4050 km langen Weg von der Küste von Afrika zur Küste der Neuen Welt in zwanzig Tagen zurück. Wir fuhren auf 225 km westwärts am Vorgebirge Bojador, am weißen Vorgebirge und an den Inseln des grünen Vorgebirges vorüber. Ein paar Landvögel, die der starke Wind auf die hohe See verschlagen, zogen uns einige Tage nach. Hätten wir nicht unsere Länge mittels der Seeuhren genau gekannt, so wären wir versucht gewesen zu glauben, wir seien ganz nahe an der afrikanischen Küste.

Unser Weg war derselbe, den seit Kolumbus' erster Reise alle Fahrzeuge nach den Antillen einschlagen. Vom Parallel von Madeira bis zum Wendekreis nimmt dabei die Breite rasch ab, während man an Länge fast nichts zulegt; hat man aber die Zone des beständigen Passatwindes erreicht, so fährt man von Ost nach West auf einer ruhigen, friedlichen See, die bei den spanischen Seefahrern el Golfo de las Damas heißt. Wie alle, welche diese Striche befahren, machten auch wir die Beobachtung, daß, je weiter man gegen Westen rückt, der Passat, der anfangs Ost-Nord-Ost war, immer mehr Ostwind wird.

Hadley Daß fortwährend ein oberer Luftstrom vom Aequator zu den Polen und ein unterer von den Polen zum Aequator geht, dies ist, wie Arago dargethan hat, schon von Hooke erkannt worden. Seine Ideen hierüber entwickelte der berühmte englische Physiker in einer Rede vom Jahre 1686. »Ich glaube,« fügt er hinzu, »daß sich mehrere Erscheinungen in der Luft und auf dem Meere, namentlich die Winde, aus Polarströmen erklären lassen.« Hadley führt diese interessante Stelle nicht an; andererseits nimmt Hooke, wo er aus die Passatwinde selbst zu sprechen kommt, Galileis unrichtige Theorie an, nach der sich die Erde und die Luft mit verschiedener Geschwindigkeit bewegen sollen. hat in einer berühmten Abhandlung die Theorie des Passats entwickelt, wie sie gemeiniglich angenommen ist, aber die Erscheinung ist eine weit verwickeltere, als die meisten Physiker glauben. Im Atlantischen Ozean ist die Länge wie die Abweichung der Sonne von Einfluß auf die Richtung und die Grenzen der Passatwinde. Dem neuen Kontinent zu gehen sie in beiden Halbkugeln 8 bis 9º über den Wendekreis hinauf, während in der Nähe von Afrika die veränderlichen Winde weit über den 28. oder 27. Grad hinunter herrschen. Es ist im Interesse der Meteorologie und der Schiffahrt zu bedauern, daß die Veränderungen, denen die Luftströmungen unter den Tropen im Stillen Ozean unterliegen, weit weniger bekannt sind als das Verhalten derselben Ströme in einem engeren Meeresbecken, wo die nicht weit auseinander liegenden Küsten von Guinea und Brasilien ihre Einflüsse geltend machen. Die Schiffer wissen seit Jahrhunderten, daß im Atlantischen Ozean der Aequator nicht mit der Linie zusammenfällt, welche die Passatwinde aus Nordost und die aus Südost scheidet. Diese Linie liegt, nach Hadleys richtiger Beobachtung, unter dem 3. bis 4. Grad nördlicher Breite, und wenn ihre Lage daher rührt, daß die Sonne in der nördlichen Halbkugel länger verweilt, so weist sie darauf hin, daß die Temperaturen der beiden Halbkugeln Nimmt man mit Aepinus an, daß die südliche Halbkugel nur um 1/14 kälter ist als die nördliche, so ergibt die Rechnung für die nördliche Grenze des Ost-Süd-Ost-Passats 1º 28'. sich verhalten wie 11 zu 9. In der Folge, wenn von der Luft über der Südsee die Rede ist, werden wir sehen, daß westwärts von Amerika der Südostpassat nicht so weit über den Aequator hinausreicht als im Atlantischen Ozean. Der Unterschied in der Luftströmung dem Aequator zu vom einen und vom anderen Pol her kann ja nicht unter allen Längengraden derselbe sein, das heißt auf Punkten der Erdkugel, wo die Festländer sehr verschieden breit sind und sich mehr oder minder weit gegen die Pole erstrecken.

Es ist bekannt, daß aus der Ueberfahrt von Santa Cruz nach Cumana, wie von Acapulco nach den Philippinen, die Matrosen fast keine Hand an die Segel zu legen brauchen. Man fährt in diesen Strichen, als ginge es auf einem Flusse hinunter, und es ist zu glauben, daß es kein gewagtes Unternehmen wäre, die Fahrt mit einer Schaluppe ohne Verdeck zu machen. Weiter westwärts aber, an der Küste von St. Marta und im Meerbusen von Mexiko weht der Wind sehr stark und macht die See sehr unruhig. Die spanischen Seeleute nennen die sehr starken Passatwinde in Cartagena los brisotes de la Santa Marta und im Meerbusen von Mexiko las brizas pardas. Bei letzteren Winden ist der Himmel grau und umwölkt.

Je weiter wir uns von der afrikanischen Küste entfernten, desto schwächer wurde der Wind; oft blieb er einige Stunden ganz aus, und diese Windstillen wurden regelmäßig durch elektrische Erscheinungen unterbrochen. Schwarze, dichte, scharf umrissene Wolken zogen sich im Ost zusammen; man konnte meinen, es sei eine Bö im Anzug und man werde die Marssegel einreffen müssen, aber nicht lange, so erhob sich der Wind wieder, es fielen einige schwere Regentropfen und das Gewitter verzog sich, ohne daß man hatte donnern hören. Es war interessant, währenddessen die Wirkung schwarzer Wolken zu beobachten, die einzeln und sehr tief durch den Zenith liefen. Man spürte, wie der Wind allmählich stärker oder schwächer wurde, je nachdem die kleinen Haufen von Dunstbläschen sich näherten oder entfernten, ohne daß die Elektrometer mit langer Metallstange und brennendem Docht in den unteren Luftschichten eine Aenderung in der elektrischen Spannung anzeigten. Mittels solcher kleinen, mit Windstillen wechselnden Böen gelangt man in den Monaten Juni und Juli von den Kanarischen Inseln nach den Antillen oder an die Küsten von Südamerika. Im heißen Erdstrich lösen sich die meteorologischen Vorgänge äußerst regelmäßig ab, und das Jahr 1803 wird in den Annalen der Schiffahrt lange denkwürdig bleiben, weil mehrere Schiffe, die von Cadiz nach Cumana gingen, unter 14º der Länge und 48º der Breite umlegen mußten, weil mehrere Tage lang ein heftiger Wind aus Nord-Nord-West blies. Welch bedeutende Störung im regelmäßigen Lauf der Luftströmungen muß man annehmen, um sich von einem solchen Gegenwind Rechenschaft zu geben, der ohne Zweifel auch den regelmäßigen Gang des Barometers in seiner stündlichen Schwankung gestört haben wird!

Einige spanische Seefahrer haben neuerlich einen anderen Weg nach den Antillen und zur Küste von Terra Firma als den von Christoph Kolumbus zuerst eingeschlagenen zur Sprache gebracht. Sie schlagen vor, man solle nicht gerade nach Süd steuern, um den Passat aufzusuchen, sondern auf einer Diagonale zwischen Kap St. Vincent und Amerika in Länge und Breite zugleich vorrücken. Dieser Weg, der die Fahrt abkürzt, da man den Wendekreis etwa 20º westwärts vom Punkte schneidet, wo ihn die Schiffe gewöhnlich schneiden, ist von Admiral Gravina mehreremal mit Glück eingeschlagen worden. Dieser erfahrene Seemann, der in der Schlacht von Trafalgar einen rühmlichen Tod fand, kam im Jahre 1802 auf diesem schiefen Wege mehrere Tage vor der französischen Flotte nach St. Domingo, obgleich er zufolge eines Befehls des Madrider Hofes mit seinem Geschwader im Hafen von Ferrol hatte einlaufen und sich dort eine Zeitlang aufhalten müssen.

Dieses neue Verfahren kürzt die Ueberfahrt von Cadiz nach Cumana etwa um ein Zwanzigteil ab; da man aber erst unter dem 40. Grad der Länge die Tropen betritt, so läuft man Gefahr, länger mit den veränderlichen Winden zu thun zu haben, die bald aus Süd, bald aus Südwest blasen. Beim alten Verfahren wird der Nachteil, daß man einen längeren Weg macht, dadurch ausgeglichen, daß man sicher ist, in den Passat zu gelangen und ihn auf einem größeren Stück der Ueberfahrt benutzen zu können. Während meines Aufenthaltes in den spanischen Kolonieen sah ich mehrere Kauffahrer ankommen, die aus Furcht vor Kapern den schiefen Weg eingeschlagen hatten und ausnehmend rasch herübergekommen waren; nur nach wiederholten Versuchen wird man sich bestimmt über einen Punkt aussprechen können, der zum mindesten so wichtig ist als die Wahl des Meridians, auf dem man bei der Fahrt nach Buenos Ayres oder Kap Horn den Aequator schneiden soll.

Nichts geht über die Pracht und Milde des Klimas im tropischen Weltmeer. Während der Passatwind stark blies, stand der Thermometer bei Tage auf 23 bis 24º, bei Nacht zwischen 22 und 22,5º. Um den Reiz dieser glücklichen Erdstriche in der Nähe des Aequators voll zu empfinden, muß man in rauher Jahreszeit von Acapulco oder von den Küsten von Chile nach Europa gesegelt haben. Welcher Abstand zwischen den stürmischen Meeren in nördlichen Breiten und diesen Strichen, wo in der Natur ewige Ruhe herrscht! Wenn die Rückfahrt aus Mexiko oder Südamerika nach den spanischen Küsten so kurz und so angenehm wäre als die Reise aus der Alten in die Neue Welt, so wäre die Zahl der Europäer, die sich in den Kolonieen niedergelassen, lange nicht so groß, als sie jetzt ist. Das Meer, in dem die Azoren und die Bermuden liegen, durch das man kommt, wenn man in hohen Breiten nach Europa zurückfährt, führt bei den Spaniern den seltsamen Namen Golfo de las Yeguas. Der Meerbusen der Stuten. Kolonisten, die an die See nicht gewöhnt sind, und lange einsam in den Wäldern von Guyana, in den Savannen von Caracas oder auf den Kordilleren von Peru gelebt haben, fürchten sich vor dem Seestrich bei den Bermuden mehr als jetzt die Bewohner von Lima vor der Fahrt um Kap Horn. Sie übertreiben in der Einbildung die Gefahren einer Ueberfahrt, die nur im Winter bedenklich ist. Sie verschieben es von Jahr zu Jahr, ein Vorhaben auszuführen, das ihnen gewagt scheint, und meist überrascht sie der Tod, während sie sich zur Rückreise rüsten.

Nördlich von den Inseln des Grünen Vorgebirges stießen wir auf große Bündel schwimmenden Tangs. Es war die tropische Seetraube, Fucus natans, die nur bis zu 40º nördlicher und südlicher Breite auf dem Gestein unter dem Meeresspiegel wächst. Diese Algen schienen hier, wie südwestlich von der Bank von Neufundland, das Vorhandensein der Strömungen anzuzeigen. Die Seestriche, wo viel einzelner Tang vorkommt, und die mit Seegewächsen bedeckten Strecken, welche Kolumbus mit großen Wiesen vergleicht und die der Mannschaft der Santa Maria unter 42º der Länge Schrecken einjagten, sind nicht miteinander zu verwechseln. Durch die Vergleichung vieler Schiffstagebücher habe ich mich überzeugt, daß es im Becken des nördlichen Atlantischen Ozeans zwei solcher mit Algen bedeckten Strecken gibt, die nichts miteinander zu thun haben. Die größte derselben Phönizische Fahrzeuge scheinen »in 30 Tagen Schiffahrt und mit dem Ostwind« zum Grasmeer gekommen zu sein, das bei Spaniern und Portugiesen Mar de Sargazo heißt. Ich habe anderswo dargethan, daß diese Stelle im Buche des Aristoteles » De Mirabilibus« sich nicht wohl, wie eine ähnliche Stelle im Periplus des Scylax, auf die Küste von Afrika beziehen kann. Setzt man voraus, daß das mit Gras bedeckte Meer, das die phönizischen Schiffe in ihrem Laufe aufhielt, das Mar de Sargazo war, so braucht man nicht anzunehmen, daß die Alten im Atlantischen Meer über den 30. Grad westlicher Länge vom Meridian von Paris hinausgekommen seien. liegt etwas westlich vom Meridian von Fayal, einer der Azorischen Inseln, zwischen 35 und 36º der Breite. Die Meerestemperatur beträgt in diesem Strich 16 bis 20º, und die Nordostwinde, die dort zuweilen sehr stark sind, treiben schwimmende Tanginseln in tiefe Breiten, bis zum 24., ja bis zum 20. Grad. Die Schiffe, die von Montevideo und vom Kap der guten Hoffnung nach Europa zurückfahren, kommen über diese Fukusbank, die nach den spanischen Schiffern von den Kleinen Antillen und von den Kanarischen Inseln gleich weit entfernt ist; die Ungeschicktesten können danach ihre Länge berichtigen. Die zweite Fukusbank ist wenig bekannt; sie liegt unter 22 und 26º der Breite, 148 km westlich vom Meridian der Bahamainseln, und ist von weit geringerer Ausdehnung. Man stößt auf sie auf der Fahrt von den Caycosinseln nach den Bermuden.

Allerdings kennt man Tangarten mit 260 m langen Stengeln, Fucus giganteus, Forster, oder Laminaria pyrifera, Lamouroux. und diese Kryptogamen der hohen See wachsen sehr rasch; dennoch ist kein Zweifel darüber, daß in den oben beschriebenen Strichen die Tange keineswegs am Meeresboden haften, sondern in einzelnen Bündeln auf dem Wasser schwimmen. In diesem Zustand können diese Gewächse nicht viel länger fortvegetieren als ein vom Stamm abgerissener Baumast. Will man sich Rechenschaft davon geben, wie es kommt, daß bewegliche Massen sich seit Jahrhunderten an denselben Stellen befinden, so muß man annehmen, daß sie vom Gestein 73 bis 92 m unter der Meeresfläche herkommen und der Nachwuchs fortwährend wieder ersetzt, was die tropische Strömung wegreißt. Diese Strömung führt die tropische Seetraube in hohe Breiten, an die Küsten von Norwegen und Frankreich, und die Algen werden südwärts von den Azoren keineswegs vom Golfstrom zusammengetrieben, wie manche Seeleute meinen. Es wäre zu wünschen, daß die Schiffer in diesen mit Pflanzen bedeckten Strichen häufiger das Senkblei auswürfen; man versichert, holländische Seeleute haben mittels Leinen aus Seidenfäden zwischen der Bank von Neufundland und der schottischen Küste eine Reihe von Untiefen gefunden.

Wie und wodurch die Algen in Tiefen, in denen nach der allgemeinen Annahme das Meer wenig bewegt ist, losgerissen werden, darüber ist man noch nicht im klaren. Wir wissen nur nach den schönen Beobachtungen von Lamouroux, daß die Algen zwar vor der Entwickelung ihrer Fruktifikationen ausnehmend fest am Gestein hängen, dagegen nach dieser Zeit oder in der Jahreszeit, wo bei ihnen wie bei den Landpflanzen die Vegetation stockt, sehr leicht abzureißen sind. Fische und Weichtiere, welche die Stengel der Tange benagen, mögen wohl auch dazu beitragen, sie von ihren Wurzeln zu lösen.

Vom 22. Breitegrad an fanden wir die Meeresfläche mit fliegenden Fischen Exocoetus volitans. bedeckt; sie schnellten sich 4,5, ja 6 m in die Höhe und fielen auf den Oberlauf nieder. Ich scheue mich nicht, hier gleichfalls einen Gegenstand zu berühren, von dem die Reisenden so viel sprechen, als von Delphinen und Haifischen, von der Seekrankheit und dem Leuchten des Meeres. Alle diese Dinge bieten den Physikern noch lange Stoff genug zu anziehenden Beobachtungen, wenn sie sich ganz besonders damit beschäftigen. Die Natur ist eine unerschöpfliche Quelle der Forschung, und im Maß, als die Wissenschaft vorschreitet, bietet sie dem, der sie recht zu befragen weiß, immer wieder eine neue Seite, von der er sie bis jetzt nicht betrachtet hatte.

Ich erwähnte der fliegenden Fische, um die Naturkundigen auf die ungeheure Größe ihrer Schwimmblase aufmerksam zu machen, die bei einem 172 mm langen Fisch 95 mm lang und 25 mm breit ist und 3½ Kubikzoll Luft enthält. Die Blase nimmt über die Hälfte vom Körperinhalt des Tieres ein, und trägt somit wahrscheinlich dazu bei, daß es so leicht ist. Man könnte sagen, dieser Luftbehälter diene ihm vielmehr zum Fliegen als zum Schwimmen, denn die Versuche, die Provenzal und ich angestellt, beweisen, daß dieses Organ selbst bei den Arten, die damit versehen sind, zu der Bewegung an die Wasserfläche herauf nicht durchaus notwendig ist. Bei einem jungen 13 cm langen Exocötus bot jede der Brustflossen, die als Flügel dienen, der Luft bereits eine Oberfläche von 26 qcm dar. Wir haben gefunden, daß die neun Nervenstränge, die zu den zwölf Strahlen dieser Flossen verlaufen, fast dreimal dicker sind als die Nerven der Bauchflossen. Wenn man die ersteren Nerven galvanisch reizt, so gehen die Strahlen, welche die Haut der Brustflossen tragen, fünfmal kräftiger auseinander, als die der anderen Flossen, wenn man sie mit denselben Metallen galvanisiert. Der Fisch kann sich aber auch 6,5 m weit wagerecht fortschnellen, ehe er mit der Spitze seiner Flossen die Meeresfläche wieder berührt. Man hat diese Bewegung und die eines flachen Steines, der auffallend und wieder abprallend ein paar Fuß hoch über die Wellen hüpft, ganz richtig zusammengestellt. So ausnehmend rasch die Bewegung ist, kann man doch deutlich sehen, daß das Tier während des Sprunges die Luft schlägt, das heißt, daß es die Brustflossen abwechselnd ausbreitet und einzieht. Dieselbe Bewegung beobachtet man am fliegenden Seeskorpion auf den japanischen Flüssen, der gleichfalls eine große Schwimmblase hat, während sie den meisten Seeskorpionen, die nicht fliegen, fehlt. Scorpaena porcus, S. scrofa, S. dactyloptera, Delaroche. Die Exocötus können, wie die meisten Kiementiere, ziemlich lange und mittels derselben Organe im Wasser und in der Luft atmen, das heißt der Luft wie dem Wasser den darin enthaltenen Sauerstoff entziehen. Sie bringen einen großen Teil ihres Lebens in der Luft zu, aber ihr elendes Leben wird ihnen dadurch nicht leichter gemacht. Verlassen sie das Meer, um den gefräßigen Goldbrassen zu entgehen, so begegnen sie in der Luft den Fregatten, Albatrossen und anderen Vögeln, die sie im Fluge erschnappen. So werden an den Ufern des Orinoko Rudel von Cabiais, Cavia Capybara L. wenn sie vor den Krokodilen aus dem Wasser flüchten, am Ufer die Beute der Jaguare.

Ich bezweifle indessen, daß sich die fliegenden Fische allein um der Verfolgung ihrer Feinde zu entgehen, aus dem Wasser schnellen. Gleich den Schwalben schießen sie zu Tausenden fort, gerade aus und immer gegen die Richtung der Wellen. In unseren Himmelsstrichen sieht man häufig am Ufer eines klaren, von der Sonne beschienenen Flusses einzeln stehende Fische, die somit nichts zu fürchten haben können, sich über die Wasserfläche schnellen, als machte es ihnen Vergnügen, Luft zu atmen. Warum sollte dieses Spiel nicht noch häufiger und länger bei den Exocötus vorkommen, die vermöge der Form ihrer Brustflossen und ihres geringen spezifischen Gewichtes sich sehr leicht in der Luft halten? Ich fordere die Forscher auf, zu untersuchen, ob andere fliegende Fische, z. B. Exocoetus exiliens, Trigla vocitans und T. hirundo auch so große Schwimmblasen haben wie der tropische Exocötus. Dieser geht mit dem warmen Wasser des Golfstromes nach Norden. Die Schiffsjungen schneiden ihm zum Spaß ein Stück der Brustflossen ab und behaupten, diese wachsen wieder, was mir mit den bei anderen Fischfamilien gemachten Beobachtungen nicht zu stimmen scheint.

Zur Zeit, da ich von Paris abreiste, hatten die Versuche, welche Dr. Brodbelt in Jamaika mit der Lust in der Schwimmblase des Schwertfisches angestellt, einige Physiker zur Annahme veranlaßt, daß unter den Tropen dieses Organ bei den Seefischen reines Sauerstoffgas enthalte. Auch ich hatte diese Vorstellung, und so war ich überrascht, als ich in der Luftblase des Exocötus nur 0,04 Sauerstoffgas auf 0,94 Stickstoff und 0,02 Kohlensäure fand. Der Anteil des letzteren Gases, der mittels der Absorption durch Kalkwasser in graduierten Röhren gemessen wurde, Anthrakometer, gekrümmte Röhren mit einer großen Kugel. schien konstanter als der des Sauerstoffs, von dem einige Exemplare fast noch einmal so viel zeigten. Nach Biots, Configliachis und Delaroches interessanten Beobachtungen muß man annehmen, daß der von Brodbelt sezierte Schwertfisch in großen Meerestiefen gelebt habe, wo manche Fische bis zu 94% Sauerstoff in ihrer Schwimmblase zeigen.

Am 1. Juli, unter 17º 42' der Breite und 34º 21' der Länge stießen wir auf die Trümmer eines Wrackes. Wir konnten einen Mastbaum sehen, der mit schwimmendem Tang überzogen war. In einem Strich, wo die See beständig ruhig ist, konnte das Fahrzeug nicht Schiffbruch gelitten haben. Vielleicht daß diese Trümmer aus den nördlichen stürmischen Meeren kamen, und infolge der merkwürdigen Drehung, welche die Wasser des Atlantischen Meeres in der nördlichen Halbkugel erleiden, wieder zum Fleck zurückwanderten, wo das Schiff zu Grunde gegangen.

Am 3. und 4. fuhren wir über den Teil des Ozeans, wo die Karten die Bank des Maalstromes verzeichnen; mit Einbruch der Nacht änderte man den Kurs, um einer Gefahr auszuweichen, deren Vorhandensein so zweifelhaft ist, als das der Inseln Fonseco und Santa Anna. Die Karten von Jefferys und van Keulen geben vier Inseln an, die nichts als eingebildete Gefahren sind: die Inseln Garca und Santa Anna, westlich von den Azoren, die Grüne Insel (unter 14º 52' Breite, 28º 30' Länge) und die Insel Fonseco (unter 13º 15' Breite, 57º 10' Länge). Wie kann man an die Existenz von vier Inseln in von Tausenden von Schiffen befahrenen Strichen glauben, da von so vielen kleinen Riffen und Untiefen, die seit hundert Jahren von leichtgläubigen Schiffern angegeben worden sind, sich kaum zwei oder drei bewahrheitet haben? Was die allgemeine Frage betrifft, mit welchem Grade von Wahrscheinlichkeit sich annehmen läßt, daß zwischen Europa und Amerika eine aus 4 bis 5 km sichtbare Insel werde entdeckt werden, so könnte man sie einer strengen Rechnung unterwerfen, wenn man die Zahl der Fahrzeuge kennte, die seit dreihundert Jahren jährlich das Atlantische Meer befahren, und wenn man dabei die ungleiche Verteilung der Fahrzeuge in verschiedenen Strichen berücksichtigte. Befände sich der Maalstrom, nach van Keulens Angabe, unter 16º Breite und 39º 30' Länge, so wären wir am 4. Juli darüber weggefahren. Es wäre wohl klüger gewesen, den Kurs beizubehalten. Die alten Seekarten wimmeln von sogenannten wachenden Klippen, die zum Teil allerdings vorhanden sind, größtenteils aber sich von optischen Täuschungen herschreiben, die auf der See häufiger sind als im Binnenlande. Die Lage der wirklich gefährlichen Punkte ist meist wie aufs Geratewohl angegeben; sie waren von Schiffern gesehen worden, die ihre Länge nur auf ein paar Grade kannten, und meist kann man sicher darauf rechnen, keine Klippen zu finden, wenn man den Punkten zusteuert, wo sie auf den Karten angegeben sind. Als wir dem vorgeblichen Maalstrom nahe waren, konnten wir am Wasser keine andere Bewegung bemerken, als eine Strömung nach Nordwest, die uns nicht so viel in Länge zurücklegen ließ, als wir gewünscht hätten. Die Stärke dieser Strömung nimmt zu, je näher man dem neuen Kontinente kommt; sie wird durch die Bildung der Küsten von Brasilien und Guyana abgelenkt, nicht durch die Gewässer des Orinoko und des Amazonenstromes, wie manche Physiker behaupten.

Seit unserem Eintritt in die heiße Zone wurden wir nicht müde, in jeder Nacht die Schönheit des südlichen Himmels zu bewundern, an dem, je weiter wir nach Süden vorrückten, immer neue Sternbilder vor unseren Blicken aufstiegen. Ein sonderbares, bis jetzt ganz unbekanntes Gefühl wird in einem rege, wenn man dem Aequator zu, und namentlich beim Uebergang aus der einen Halbkugel in die andere, die Sterne, die man von Kindheit auf kennt, immer tiefer hinabrücken und endlich verschwinden sieht. Nichts mahnt den Reisenden so auffallend an die ungeheure Entfernung seiner Heimat, als der Anblick eines neuen Himmels. Die Gruppierung der großen Sterne, einige zerstreute Nebelflecke, die an Glanz mit der Milchstraße wetteifern, Strecken, die sich durch ihr tiefes Schwarz auszeichnen, geben dem Südhimmel eine ganz eigentümliche Physiognomie. Dieses Schauspiel regt selbst die Einbildungskraft von Menschen auf, die den physischen Wissenschaften sehr fern stehen und zum Himmelsgewölbe aufblicken, wie man eine schöne Landschaft oder eine großartige Aussicht bewundert. Man braucht kein Botaniker zu sein, um schon am Anblick der Pflanzenwelt den heißen Erdstrich zu erkennen, und wer auch keine astronomischen Kenntnisse hat, wer von Flamsteads und Lacailles Himmelskarten nichts weiß, fühlt, daß er nicht in Europa ist, wenn er das ungeheure Sternbild des Schiffes oder die leuchtenden Magelhaensschen Wolken am Horizont aufsteigen sieht. Erde und Himmel, allem in den Aequinoktialländern drückt sich der Stempel des Fremdartigen auf.

Die niedrigen Luftregionen waren seit einigen Tagen mit Dunst erfüllt. Erst in der Nacht vom 4. zum 5. Juli, unter 16º Breite, sahen wir das südliche Kreuz zum erstenmal deutlich; es war stark geneigt und erschien von Zeit zu Zeit zwischen den Wolken, deren Mittelpunkt, wenn das Wetterleuchten dadurch hinzuckte, wie Silberlicht aufflammte. Wenn es einem Reisenden gestattet ist, von seinen persönlichen Empfindungen zu sprechen, so darf ich sagen, daß ich in dieser Nacht einen der Träume meiner frühesten Jugend in Erfüllung gehen sah.

Wenn man anfängt geographische Karten zu betrachten und Schilderungen der Seefahrer zu lesen, so fühlt man für gewisse Länder und gewisse Klimate eine Art Vorliebe, von der man sich in reiferem Alter keine Rechenschaft zu geben vermag. Eindrücke derart äußern einen nicht unbedeutenden Einfluß auf unsere Entschlüsse, und wie instinktmäßig suchen wir Gegenständen, die schon so lange eine geheime Anziehungskraft für uns gehabt, wirklich nahe zu kommen. Als ich mich mit dem Himmel beschäftigte, nicht um Astronomie zu treiben, sondern nur um die Sterne kennen zu lernen, empfand ich eine bange Unruhe, die Menschen, die ein sitzendes Leben lieben, ganz fremd ist. Der Hoffnung entsagen zu sollen, jemals jene herrlichen Sternbilder am Südpol zu erblicken, das schien mir sehr hart. Im ungeduldigen Drange, die Aequatorialländer kennen zu lernen, konnte ich nicht die Augen zum Sterngewölbe aufschlagen, ohne an das südliche Kreuz zu denken und mir die erhabenen Verse Dantes vorzusagen, welche sich nach den berühmtesten Auslegern auf jenes Sternbild beziehen:

Jo mi volsi a man destra e posi mente
All' altro polo, e vidi quattro stelle,
Non viste mai fuor ch' alla prima gente.

Goder parea lo ciel di lor fiammelle,
O settentrional vedovo sito,
Poi ehe privato se di mirar quelle!
Rechts an des andern Poles Firmament
Boten sich dar vier Sterne meinen Blicken,
Die nur dem ersten Paar zu schaun vergönnt.

Ihr Schimmer schien den Himmel zu entzücken:
O mitternächt'ger Bogen, so verwaist,
Weil du an ihnen nie dich kannst erquicken!

(Nach Kannegießers Uebersetzung)

Unsere Freude beim Erscheinen des südlichen Kreuzes wurde lebhaft von denjenigen unter der Mannschaft geteilt, die in den Kolonieen gelebt hatten. In der Meereseinsamkeit begrüßt man einen Stern wie einen Freund, von dem man lange Zeit getrennt gewesen. Bei den Portugiesen und Spaniern steigert sich diese gemütliche Teilnahme noch durch besondere Gründe; religiöses Gefühl zieht sie zu einem Sternbild hin, dessen Gestalt an das Wahrzeichen des Glaubens mahnt, das ihre Väter in den Einöden der Neuen Welt aufgepflanzt.

Da die zwei großen Sterne, welche Spitze und Fuß des Kreuzes bezeichnen, ungefähr dieselbe Rektaszension haben, so muß das Sternbild, wenn es durch den Meridian geht, fast senkrecht stehen. Dieser Umstand ist allen Völkern jenseits des Wendekreises und in der südlichen Halbkugel bekannt. Man hat sich gemerkt, zu welcher Zeit bei Nacht in den verschiedenen Jahreszeiten das südliche Kreuz aufrecht oder geneigt ist. Es ist eine Uhr, die sehr regelmäßig etwa vier Minuten im Tage vorgeht, und an keiner anderen Sterngruppe läßt sich die Zeit mit bloßem Auge so genau beobachten. Wie oft haben wir unsere Führer in den Savannen von Venezuela oder in der Wüste zwischen Lima und Truxillo sagen hören: »Mitternacht ist vorüber, das Kreuz fängt an sich zu neigen!« Wie oft haben wir uns bei diesen Worten an den rührenden Auftritt erinnert, wo Paul und Virginie an der Quelle des Fächerpalmenflusses zum letztenmal miteinander sprechen und der Greis beim Anblick des südlichen Kreuzes sie mahnt, daß es Zeit sei zu scheiden!

Die letzten Tage unserer Ueberfahrt waren nicht so günstig, als das milde Klima und die ruhige See uns hoffen ließen. Nicht die Gefahren der See störten uns in unserem Genusse, aber der Keim eines bösartigen Fiebers entwickelte sich unter uns, je näher wir den Antillen kamen. Im Zwischendeck war es furchtbar heiß und der Raum sehr beschränkt. Seit wir den Wendekreis überschritten, stand der Thermometer auf 34 bis 36º. Zwei Matrosen, mehrere Passagiere und, was ziemlich auffallend ist, zwei Neger von der Küste von Guinea und ein Mulattenkind wurden von einer Krankheit befallen, die epidemisch zu werden drohte. Die Symptome waren nicht bei allen Kranken gleich bedenklich; mehrere aber, und gerade die kräftigsten, delirierten schon am zweiten Tage und die Kräfte lagen völlig danieder. Bei der Gleichgültigkeit, mit der an Bord der Paketboote alles behandelt wird, was mit der Führung des Schiffes und der Schnelligkeit der Ueberfahrt nichts zu thun hat, dachte der Kapitän nicht daran, gegen die Gefahr, die uns bedrohte, die gemeinsten Mittel vorzukehren. Es wurde nicht geräuchert, und ein unwissender, phlegmatischer galicischer Wundarzt verordnete Aderlässe, weil er das Fieber der sogenannten Schärfe und Verderbnis des Blutes zuschrieb. Es war keine Unze Chinarinde an Bord, und wir hatten vergessen, beim Einschiffen uns selbst damit zu versehen; unsere Instrumente hatten uns mehr Sorge gemacht als unsere Gesundheit, und wir hatten unbedachterweise vorausgesetzt, daß es an Bord eines spanischen Schiffes nicht an peruanischer Fieberrinde fehlen könne.

Am 8. Juli genas ein Matrose, der schon in den letzten Zügen lag, durch einen Zufall, der der Erwähnung wohl wert ist. Seine Hängematte war so befestigt, daß zwischen seinem Gesicht und dem Deck keine 26 cm Raum blieben. In dieser Lage konnte man ihm unmöglich die Sakramente reichen; nach dem Brauch auf den spanischen Schiffen hätte das Allerheiligste mit brennenden Kerzen herbeigebracht werden und die ganze Mannschaft dabei sein müssen. Man schaffte daher den Kranken an einen luftigen Ort bei der Luke, wo man aus Segeln und Flaggen ein kleines viereckiges Gemach hergestellt hatte. Hier sollte er liegen bis zu seinem Tode, den man nahe glaubte; aber kaum war er aus einer übermäßig heißen, stockenden, mit Miasmen erfüllten Luft in eine kühlere, reinere, fortwährend erneuerte gebracht, so kam er allmählich aus seiner Betäubung zu sich. Mit dem Tage, da er aus dem Zwischendeck fortgeschafft worden, fing die Genesung an, und wie denn in der Arzneikunde dieselben Thatsachen zu Stützen der entgegengesetztesten Systeme werden, so wurde unser Arzt durch diesen Fall von Wiedergenesung in seiner Ansicht von der Entzündung des Blutes und von der Notwendigkeit des Eingreifens durch Aderlässe, abführende und asthenische Mittel aller Art bestärkt. Wir bekamen bald die verderblichen Folgen dieser Behandlung zu sehen und sehnten uns mehr als je nach dem Augenblick, wo wir die Küste Amerikas betreten könnten.

Seit mehreren Tagen war die Schätzung der Steuerleute um 1º 12' von der Länge abgewichen, die mir mein Chronometer angab. Dieser Unterschied rührte weniger von der allgemeinen Strömung her, die ich den »Rotationsstrom« genannt habe, als von dem eigentümlichen Zuge des Wassers nach Nordwest, von der Küste von Brasilien gegen die Kleinen Antillen, wodurch die Ueberfahrt von Cayenne nach der Insel Guadeloupe abgekürzt wird. Im Atlantischen Meere ist ein Strich, wo das Wasser immer milchig erscheint, obgleich die See dort sehr tief ist. Diese merkwürdige Erscheinung zeigt sich unter der Breite der Insel Dominica und etwa unter 57º der Länge. Sollte an diesem Punkt, noch östlicher als Barbados, ein versunkenes vulkanisches Eiland unter dem Meeresspiegel liegen? Am 12. Juli glaubte ich ankündigen zu können, daß tags darauf vor Sonnenaufgang Land in Sicht sein werde. Wir befanden uns jetzt nach meinen Beobachtungen unter 10º 46' der Breite und 60º 54' westlicher Länge. Einige Reihen Mondbeobachtungen bestätigten die Angabe des Chronometers; aber wir wußten besser, wo sich die Korvette befand, als wo das Land lag, dem unser Kurs zuging und das auf den französischen, spanischen und englischen Karten so verschieden angegeben ist. Die aus den genauen Beobachtungen von Churruca, Fidalgo und Noguera sich ergebenden Längen waren damals noch nicht bekannt gemacht.

Die Steuerleute verließen sich mehr auf das Log als auf den Gang eines Chronometers; sie lächelten zu der Behauptung, daß bald Land in Sicht kommen müsse, und glaubten, man habe noch zwei, drei Tage zu fahren. Es gereichte mir daher zu großer Befriedigung, als ich am 13. gegen sechs Uhr morgens hörte, man sehe von den Masten ein sehr hohes Land, jedoch wegen des Nebels, der darauf lag, nur undeutlich. Es windete sehr stark und die See war sehr unruhig. Es regnete hier und da in großen Tropfen und alles deutete auf ungestümes Wetter. Der Kapitän des Pizarro hatte beabsichtigt, durch den Kanal zwischen Tabago und Trinidad zu laufen, und da er wußte, daß unsere Korvette sehr langsam wendete, so fürchtete er, gegen Süden unter den Wind und der Mündung des Dragon nahe zu kommen. Wir waren allerdings unserer Länge sicherer als der Breite, da seit dem 11. keine Beobachtung um Mittag gemacht worden war. Nach doppelten Höhen, die ich nach Douwes Methode am Morgen aufgenommen hatte, befanden wir uns in 11º 6' 50", somit 15 Minuten weiter nach Nord als nach der Schätzung. Die Gewalt, mit der der große Orinokostrom seine Gewässer in den Ozean ergießt, mag in diesen Strichen immerhin den Zug der Strömungen steigern; wenn man aber behauptet, bis auf 270 km von der Mündung des Orinoko habe das Meerwasser eine andere Farbe und sei weniger gesalzen, so ist dies ein Märchen der Küstenpiloten. Der Einfluß der mächtigsten Ströme Amerikas, des Amazonenstromes, des La Plata, des Orinoko, des Mississippi, des Magdalenenstromes, ist in dieser Beziehung in weit engere Grenzen eingeschlossen, als man gemeiniglich glaubt.

Obgleich das Ergebnis der doppelten Sonnenhöhen hinlänglich bewies, daß das hohe Land, das am Horizont aufstieg, nicht Trinidad war, sondern Tabago, steuerte der Kapitän dennoch nach Nord-Nord-West fort, um letztere Insel aufzusuchen, die sogar auf Bordas schöner Karte des Atlantischen Ozeans 5 Minuten zu weit südlich gesetzt ist. Man sollte kaum glauben, daß an Küsten, welche von allen Handelsvölkern besucht werden, so auffallende Irrtümer in der Breite sich jahrhundertelang erhalten könnten. Ich habe diesen Gegenstand anderswo besprochen, und so bemerke ich hier nur, daß sogar auf der neuesten Karte von Westindien von Arrowsmith, die im Jahre 1803, also lange nach Churrucas Beobachtungen erschienen ist, die Breiten der verschiedenen Vorgebirge von Tabago und Trinidad um 6 bis 11 Minuten falsch angegeben sind.

Durch die Beobachtung der Sonnenhöhe um Mittag wurde die Breite, wie ich sie nach Douwes Verfahren erhalten, vollkommen bestätigt. Es blieb kein Zweifel mehr über den Schiffsort den Inseln gegenüber, und man beschloß, um das nördliche Vorgebirge von Tabago zu laufen, zwischen dieser Insel und La Granada durchzugehen und auf einen Hafen der Insel Margarita loszusteuern. In diesen Strichen liefen wir jeden Augenblick Gefahr, von Kapern aufgebracht zu werden, aber zu unserem Glück war die See sehr unruhig, und ein kleiner englischer Kutter überholte uns, ohne uns nur anzurufen. Bonpland und mir war vor einem solchen Unfall weniger bange, seit wir so nahe am amerikanischen Festland sicher waren, daß wir nicht nach Europa zurückgebracht wurden.

Der Anblick der Insel Tabago ist höchst malerisch. Es ist ein sorgfältig bebauter Felsklumpen. Das blendende Weiß des Gesteines sticht angenehm vom Grün zerstreuter Baumgruppen ab. Sehr hohe cylindrische Fackeldisteln krönen die Bergkämme und geben der tropischen Landschaft einen ganz eigenen Charakter. Schon ihr Anblick sagt dem Reisenden, daß er eine amerikanische Küste vor sich hat, denn die Kaktus gehören ausschließlich der Neuen Welt an, wie die Heidekräuter der Alten. Der nordöstliche Teil der Insel Tabago ist der gebirgigste, nach den Höhenwinkeln, die ich mit dem Sextanten genommen, scheinen indessen die höchsten Gipfel an der Küste nicht über 270 bis 290 m hoch zu sein. Am südlichen Vorgebirge senkt sich das Land und läuft in die »Sandspitze« aus, die nach meiner Rechnung unter 10º 20' 13" der Breite und 62º 47' 30" der Länge liegt. Wir sahen mehrere Felsen über dem Wasserspiegel, an denen sich die See mit Ungestüm brach, und beobachteten große Regelmäßigkeit in der Neigung und dem Streichen der Schichten, die unter einem Winkel von 60º nach Südost fallen. Es wäre zu wünschen, daß ein geübter Mineralog die Großen und Kleinen Antillen von der Küste von Paria bis zum Vorgebirge von Florida bereiste und die ehemalige, durch Strömungen, Erderschütterungen und Vulkane auseinander gerissene Bergkette untersuchte.

Wir waren eben um das Nordkap von Tabago und die kleine Insel St. Giles gelaufen, als man vom Mastkorb ein feindliches Geschwader signalisierte. Wir wendeten sogleich und die Passagiere wurden unruhig, da mehrere ihr kleines Vermögen in Waren gesteckt hatten, die sie in den spanischen Kolonieen zu verwerten gedachten. Das Geschwader schien sich nicht zu rühren, und es zeigte sich bald, daß man eine Menge einzelner Klippen für Segel angesehen hatte.

Wir fuhren über die Untiefe zwischen Tabago und La Granada. Die Farbe der See war nicht merkbar verändert, aber ein paar Zoll unter der Oberfläche zeigte der Thermometer nur 23º, während er ostwärts auf hoher See unter derselben Breite und gleichfalls an der Meeresfläche auf 25,6º stand. Trotz der Strömung zeigte die geringere Temperatur des Wassers die Untiefe an, die nur auf wenigen Karten angegeben ist. Nach Sonnenuntergang wurde der Wind schwächer, und je näher der Mond zum Zenith rückte, desto mehr klärte sich der Himmel auf. In dieser und in den folgenden Nächten fielen sehr viele Sternschnuppen; gegen Nord zeigten sie sich nicht so häufig als gegen Süd, über Terra Firma, an deren Küste wir jetzt hinzufahren anfingen. Diese Verteilung weist darauf hin, daß diese Meteore, über deren Wesen wir noch so sehr im unklaren sind, zum Teil von örtlichen Ursachen abhängig sein mögen.

Am 14. bei Sonnenaufgang kam die Boca de Dragon in Sicht. Wir konnten die Insel Chacachacarreo sehen, das westlichste der Eilande zwischen dem Vorgebirge Paria und dem nordwestlichen Vorgebirge von Trinidad. An 22 km von der Küste, bei der Punta de la Baca, wurden wir gewahr, daß eine eigentümliche Strömung die Korvette nach Süd trieb. Durch den Zug des Wassers, das aus der Boca de Dragon kommt, und durch die Bewegung von Ebbe und Flut entsteht eine Gegenströmung. Man warf das Senkblei aus und fand 66 bis 140 m Tiefe über einem Grunde von grünlichem, sehr feinem Thon. Nach Dampiers Grundsätzen hätten wir in der Nähe einer von sehr hohen, steil aufsteigenden Gebirgen gebildeten Küste keine so geringe Meerestiefe erwartet. Wir loteten fort bis zum Cabo de tres puntas und fanden überall erhöhten Meeresgrund, dessen Umriß das Streichen der ehemaligen Meeresküste zu bezeichnen scheint. Die Temperatur des Meeres war hier 23 bis 24º, somit 1,5 bis 2º niedriger als auf hoher See, das heißt jenseits der Ränder der Bank.

Das Cabo de tres puntas, von Kolumbus selbst so benannt, Im August 1598. liegt nach meinen Beobachtungen unter 65º 4' 5" der Länge. Es erschien uns um so höher, da seine gezackten Gipfel in Wolken gehüllt waren. Das ganze Ansehen der Berge von Paria, ihre Farbe und besonders ihre meist runden Umrisse ließen uns vermuten, daß die Küste aus Granit bestehe; die Folge zeigte aber, wie sehr man sich, selbst wenn man sein Leben lang in Gebirgen gereist ist, irren kann, wenn man über die Beschaffenheit der Gebirgsart aus der Ferne urteilt.

Wir benutzten eine Windstille, die ein paar Stunden anhielt, um die Intensität der magnetischen Kraft beim Cabo de tres puntas genau zu bestimmen. Wir fanden sie größer als auf hoher See ostwärts von Tabago, im Verhältnis von 257 zu 229. Während der Windstille trieb uns die Strömung rasch nach West. Ihre Geschwindigkeit betrug 13,5 km in der Stunde; sie nahm zu, je näher wir dem Meridian der Testigos kamen, eines Haufens von Klippen, die aus der weiten See aufsteigen. Als der Mond unterging, bedeckte sich der Himmel mit Wolken, der Wind wurde wieder stärker und es stürzte ein Platzregen nieder, wie sie dem heißen Erdstrich eigen sind und wir auf unseren Zügen im Binnenlande sie so oft durchgemacht haben.

Die am Bord des Pizarro ausgebrochene Seuche breitete sich rasch aus, seit wir uns nahe an der Küste von Terra Firma befanden; der Thermometer stand bei Nacht regelmäßig zwischen 22 und 23º, bei Tage zwischen 24 und 27º. Die Kongestionen gegen den Kopf, die ausnehmende Trockenheit der Haut, das Daniederliegen der Kräfte, alle Symptome wurden immer bedenklicher; wir waren aber so ziemlich am Ziele unserer Fahrt, und so hofften wir alle Kranke genesen zu sehen, wenn man sie an der Insel Margarita oder im Hafen von Cumana, die für sehr gesund gelten, ans Land bringen könnte.

Diese Hoffnung ging nicht ganz in Erfüllung. Der jüngste Passagier bekam das bösartige Fieber und unterlag ihm, blieb aber zum Glück das einzige Opfer. Es war ein junger Asturier von 19 Jahren, der einzige Sohn einer armen Witwe. Mehrere Umstände machten den Tod des jungen Mannes, aus dessen Gesicht viel Gefühl und große Gutmütigkeit sprachen, ergreifend für uns. Er war mit Widerstreben zu Schiffe gegangen; er hatte seine Mutter durch den Ertrag seiner Arbeit unterstützen wollen, aber diese hatte ihre Liebe und den eigenen Vorteil dem Gedanken zum Opfer gebracht, daß ihr Sohn, wenn er in die Kolonieen ginge, bei einem reichen Verwandten, der auf Cuba lebte, sein Glück machen könnte. Der unglückliche junge Mann verfiel rasch in Betäubung, redete dazwischen irre und starb am dritten Tage der Krankheit. Das gelbe Fieber oder schwarze Erbrechen rafft in Veracruz nicht leicht die Kranken so furchtbar schnell dahin. Ein anderer, noch jüngerer Asturier wich keinen Augenblick vom Bette des Kranken und bekam, was ziemlich auffallend ist, die Krankheit nicht. Er wollte mit seinem Landsmann nach San Jago de Cuba gehen und sich dort von ihm im Hause des Verwandten einführen lassen, auf den sie ihre ganze Hoffnung gesetzt hatten. Es war herzzerreißend, wie der, welcher den Freund überlebte, sich seinem tiefen Schmerze überließ und die unseligen Ratschläge verwünschte, die ihn in ein fernes Land getrieben, wo er nun allein und verlassen dastand.

Wir standen beisammen auf dem Verdeck in trüben Gedanken. Es war kein Zweifel mehr, das Fieber, das an Bord herrschte, hatte seit einigen Tagen einen bösartigen Charakter angenommen. Unsere Blicke hingen an einer gebirgigen, wüsten Küste, auf die zuweilen ein Mondstrahl durch die Wolken fiel. Die leise bewegte See leuchtete in schwachem phosphorischem Schein; man hörte nichts als das eintönige Geschrei einiger großen Seevögel, die das Land zu suchen schienen. Tiefe Ruhe herrschte ringsum am einsamen Orte; aber diese Ruhe der Natur stand im Widerspiel mit den schmerzlichen Gefühlen in unserer Brust. Gegen 8 Uhr wurde langsam die Totenglocke geläutet; bei diesem Trauerzeichen brachen die Matrosen ihre Arbeit ab und ließen sich zu kurzem Gebet auf die Kniee nieder, eine ergreifende Handlung, die an die Zeiten mahnt, wo die ersten Christen sich als Glieder einer Familie betrachteten, und die auch jetzt noch die Menschen im Gefühl gemeinsamen Unglückes einander näher bringt. In der Nacht schaffte man die Leiche des Asturiers auf das Verdeck, und auf die Vorstellung des Priesters wurde er erst nach Sonnenaufgang ins Meer geworfen, damit man die Leichenfeier nach dem Gebrauch der römischen Kirche vornehmen konnte. Kein Mann an Bord, den nicht das Schicksal des jungen Mannes rührte, den wir noch vor wenigen Tagen frisch und gesund gesehen hatten.

Der eben erzählte Vorfall zeigte uns, wie gefährlich dieses bösartige oder ataktische Fieber sei, und wenn die langen Windstillen die Ueberfahrt von Cumana nach Havana verzögerten, so mußte man besorgen, daß es viele Opfer fordern könnte. An Bord eines Kriegsschiffes oder eines Transportschiffes machen einige Todesfälle gewöhnlich nicht mehr Eindruck, als wenn man in einer volkreichen Stadt einem Leichenzug begegnet. Anders an Bord eines Paketbootes mit kleiner Mannschaft, wo zwischen Menschen, die dasselbe Reiseziel haben, sich nähere Beziehungen knüpfen. Die Passagiere auf dem Pizarro spürten zwar noch nichts von den Vorboten der Krankheit, beschlossen aber doch, das Fahrzeug am nächsten Landungsplatz zu verlassen und die Ankunft eines anderen Postschiffes zu erwarten, um ihren Weg nach Cuba oder Mexiko fortzusetzen. Sie betrachteten das Zwischendeck des Schiffes als einen Herd der Ansteckung, und obgleich es mir keineswegs erwiesen schien, daß das Fieber durch Berührung anstecke, hielt ich es doch durch die Vorsicht geraten, in Cumana ans Land zu gehen. Es schien mir wünschenswert, Neuspanien erst nach einem längeren Aufenthalt an den Küsten von Venezuela und Paria zu besuchen, wo der unglückliche Löffling nur sehr wenige naturgeschichtliche Beobachtungen hatte machen können. Wir brannten vor verlangen, die herrlichen Gewächse, die Bose und Bredemeyer auf ihrer Reise in Terra Firma gesammelt und die eine Zierde der Gewächshäuser zu Schönbrunn und Wien sind, auf ihrem heimatlichen Boden zu sehen. Es hätte uns sehr wehe gethan, in Cumana oder Guayra zu landen, ohne das Innere eines von den Naturforschern so wenig betretenen Landes zu betreten.

Der Entschluß, den wir in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli faßten, äußerte einen glücklichen Einfluß auf den Verfolg unserer Reisen. Statt einige Wochen verweilten wir ein ganzes Jahr in Terra Firma; ohne die Seuche an Bord des Pizarro wären wir nie an den Orinoko, an den Cassiquiare und an die Grenze der portugiesischen Besitzungen am Rio Negro gekommen. Vielleicht verdanken wir es auch dieser unserer Reiserichtung, daß wir während eines so langen Aufenthaltes in den Aequinoktialländern so gesund blieben.

Bekanntlich schweben die Europäer in den ersten Monaten, nachdem sie unter den glühenden Himmel der Tropen versetzt worden, in sehr großer Gefahr. Sie betrachten sich als akklimatisiert, wenn sie die Regenzeit auf den Antillen, in Veracruz oder Cartagena überstanden haben. Diese Meinung ist nicht ungegründet, obgleich es nicht an Beispielen fehlt, daß Leute, die bei der ersten Epidemie des gelben Fiebers durchgekommen, in einem der folgenden Jahre Opfer der Seuche werden. Die Fähigkeit sich zu akklimatisieren scheint im umgekehrten Verhältnis zu stehen mit dem Unterschied zwischen der mittleren Temperatur der heißen Zone und der des Geburtslandes des Reisenden oder Kolonisten, der das Klima wechselt, weil die Lufttemperatur den mächtigsten Einfluß auf die Reizbarkeit und die Vitalität der Organe äußert. Ein Preuße, ein Pole, ein Schwede sind mehr gefährdet, wenn sie auf die Inseln oder nach Terra Firma kommen, als ein Spanier, ein Italiener und selbst ein Bewohner des südlichen Frankreichs. Für die nordischen Völker beträgt der Unterschied in der mittleren Temperatur 19 bis 21º, für die südlichen nur 9 bis 10. Wir waren so glücklich, die Zeit, in der der Europäer nach der Landung die größte Gefahr läuft, im ausnehmend heißen, aber sehr trockenen Klima von Cumana zu verleben, einer Stadt, die für sehr gesund gilt. Hätten wir unseren Weg nach Veracruz fortgesetzt, so hätten wir leicht das Los mehrerer Passagiere des Paketbootes Alcudia teilen können, das mit dem Pizarro in die Havana kam, als eben das schwarze Erbrechen auf Cuba und an der Ostküste von Mexiko schreckliche Verheerungen anrichtete.

Am 15. morgens, ungefähr gegenüber dem kleinen Berge St. Joseph, waren wir von einer Menge schwimmenden Tanges umgeben. Die Stengel desselben hatten die sonderbaren, wie Blumenkelche und Federbüsche gestalteten Anhänge, wie sie Don Hypolito Ruiz auf seiner Rückkehr aus Chile beobachtet und in einer besonderen Abhandlung als die Geschlechtsorgane des Fucus natans beschrieben hat. Ein glücklicher Zufall setzte uns in den Stand, eine Beobachtung zu berichtigen, die sich nur einmal der Naturforschung dargeboten hatte. Die Bündel Tang, welche Bonpland aufgefischt hatte, waren durchaus identisch mit den Exemplaren, die wir der Gefälligkeit der gelehrten Verfasser der peruanischen Flora verdankten. Als wir beide unter dem Mikroskop untersuchten, fanden wir, daß diese angeblichen Befruchtungswerkzeuge, diese Pistille und Staubfäden eine neue Gattung Pflanzentiere aus der Familie der Ceratophyten seien. Die Kelche, welche Ruiz für Pistille hielt, entspringen aus hornartigen, abgeplatteten Stielen, die so fest mit der Substanz des Fukus zusammenhängen, daß man sie gar wohl für bloße Rippen halten könnte; aber mit einem sehr dünnen Messer gelingt es, sie abzulösen, ohne das Parenchym zu verletzen. Die nicht gegliederten Stiele sind anfangs schwarzbraun, werden aber, wenn sie vertrocknen, weiß und zerreiblich. In diesem Zustande brausen sie mit Säuren auf, wie die kalkige Substanz der Sertularia, deren Spitzen mit den Kelchen des von Ruiz beobachteten Fukus Aehnlichkeit haben. In der Südsee, auf der Ueberfahrt von Guayaquil nach Acapulco, haben wir an der tropischen Seetraube dieselben Anhängsel gefunden, und eine sehr sorgfältige Untersuchung überzeugte uns, daß sich hier ein Zoophyt an den Tang heftet, wie der Epheu den Baumstamm umschlingt. Die unter dem Namen weiblicher Blüten beschriebenen Organe sind über 4 mm lang, und schon diese Größe hätte den Gedanken an wahrhafte Pistille nicht aufkommen lassen sollen.

Die Küste von Paria zieht sich nach West fort und bildet eine nicht sehr hohe Felsmauer mit abgerundeten Gipfeln und wellenförmigen Umrissen. Es dauerte lange, bis wir die hohe Küste der Insel Margarita zu sehen bekamen, wo wir einlaufen sollten, um hinsichtlich der englischen Kreuzer, und ob es gefährlich sei, bei Guayra anzulegen, Erkundigung einzuziehen. Sonnenhöhen, die wir unter sehr günstigen Umständen genommen, hatten uns gezeigt, wie unrichtig damals selbst die gesuchtesten Seekarten waren. Am 15. morgens, wo wir uns nach dem Chronometer unter 66º 1' 15'' der Länge befanden, waren wir noch nicht im Meridian der Insel St. Margarita, während wir nach der verkleinerten Karte des Atlantischen Ozeans über das westliche sehr hohe Vorgebirge der Insel, das unter 66º 0' der Länge gesetzt ist, bereits hätten hinaus sein sollen. Die Küsten von Terra Firma wurden vor Fidalgos, Nogueras und Tiscars, und ich darf wohl hinzufügen, vor meinen astronomischen Beobachtungen in Cumana, so unrichtig gezeichnet, daß für die Schiffahrt daraus hätten Gefahren erwachsen können, wenn nicht das Meer in diesen Strichen beständig ruhig wäre. Ja die Fehler in der Breite waren noch größer als die in der Länge, denn die Küste von Neuandalusien läuft westwärts vom Cabo de tres puntas 67 bis 90 km weiter nach Norden, als auf den vor dem Jahre 1800 erschienenen Karten angegeben ist.

Gegen 11 Uhr morgens kam uns ein sehr niedriges Eiland zu Gesicht, auf dem sich einige Sanddünen erhoben. Durch das Fernrohr ließ sich keine Spur von Bewohnern oder von Anbau entdecken. Hin und wieder standen cylindrische Kaktus wie Kandelaber. Der fast pflanzenlose Boden schien sich wellenförmig zu bewegen infolge der starken Brechung, welche die Sonnenstrahlen erleiden, wenn sie durch Luftschichten hindurchgehen, die auf einer stark erhitzten Fläche aufliegen. Die Luftspiegelung macht, daß in allen Zonen Wüsten und sandiger Strand sich wie eine bewegte See ausnehmen.

Das flache Land, das wir vor uns hatten, stimmte schlecht zu der Vorstellung, die wir uns von der Insel Margarita gemacht. Während man beschäftigt war, die Angaben der Karten zu vergleichen, ohne sie in Uebereinstimmung bringen zu können, signalisierte man vom Mast einige kleine Fischerboote. Der Kapitän des Pizarro rief sie durch einen Kanonenschuß herbei; aber ein solches Zeichen dient zu nichts in Ländern, wo der Schwache, wenn er dem Starken begegnet, glaubt sich nur auf Vergewaltigungen gefaßt machen zu müssen. Die Boote ergriffen die Flucht nach Westen zu, und wir sahen uns hier in derselben Verlegenheit, wie bei unserer Ankunft auf den Kanarien vor der kleinen Insel Graciosa. Niemand an Bord war je in der Gegend am Land gewesen. So ruhig die See war, so schien doch die Nähe eines kaum ein paar Fuß hohen Eilandes Vorsichtsmaßregeln zu erheischen. Man steuerte nicht weiter dem Lande zu, und da das Senkblei nur 5,5 bis 7,3 m Wasser anzeigte, warf man eilends den Anker aus.

Küsten, aus der Ferne gesehen, verhalten sich wie Wolken, in denen jeder Beobachter die Gegenstände erblickt, die seine Einbildungskraft beschäftigen. Da unsere Aufnahmen und die Angabe des Chronometers mit den Karten, die uns zur Hand waren, im Widerspruch standen, so verlor man sich in eitlen Mutmaßungen. Die einen hielten Sandhaufen für Indianerhütten und deuteten auf den Punkt, wo nach ihnen das Fort Pampatar liegen mußte; andere sahen die Ziegenherden, welche im dürren Thale von San Juan so häufig sind; sie zeigten die hohen Berge von Macanao, die ihnen halb in Wolken gehüllt schienen. Der Kapitän beschloß, einen Steuermann ans Land zu schicken; man legte Hand an, um die Schaluppe ins Wasser zu lassen, da das Boot auf der Reede von Santa Cruz durch die Brandung stark gelitten hatte. Da die Küste ziemlich fern war, konnte die Rückfahrt zur Korvette schwierig werden, wenn der Wind abends stark wurde.

Als wir uns eben anschickten, ans Land zu gehen, sah man zwei Piroguen an der Küste hinfahren. Man rief sie durch einen zweiten Kanonenschuß an, und obgleich man die Flagge von Kastilien aufgezogen hatte, kamen sie doch nur zögernd herbei. Diese Piroguen waren, wie alle der Eingeborenen, aus einem Baumstamm, und in jeder befanden sich achtzehn Indianer von Stamme der Guaykari (Guayqueries), nackt bis zum Gürtel und von hohem Wuchs. Ihr Körperbau zeugte von großer Muskelkraft und ihre Hautfarbe war ein Mittelding zwischen braun und kupferrot. Von weitem, wie sie unbeweglich dasaßen und sich vom Horizont abhoben, konnte man sie für Bronzestatuen halten. Dies war uns um so auffallender, da es so wenig dem Begriff entsprach, den wir uns nach manchen Reiseberichten von der eigentümlichen Körperbildung und der großen Körperschwäche der Eingeborenen gemacht hatten. Wir machten in der Folge die Erfahrung, und brauchten deshalb die Grenzen der Provinz Cumana nicht zu überschreiten, wie auffallend die Guayqueries äußerlich von den Chaymas und den Kariben verschieden sind. So nahe alle Völker Amerikas miteinander verwandt scheinen, da sie ja derselben Rasse angehören, so unterscheiden sich doch die Stämme nicht selten bedeutend im Körperwuchs, in der mehr oder weniger dunkeln Hautfarbe, im Blick, aus dem bei den einen Seelenruhe und Sanftmut, bei anderen ein unheimliches Mittelding von Trübsinn und Wildheit spricht.

Sobald die Piroguen so nahe waren, daß man die Indianer spanisch anrufen konnte, verloren sie ihr Mißtrauen und fuhren geradezu an Bord. Wir erfuhren von ihnen, das niedrige Eiland, bei dem wir geankert, sei die Insel Coche, die immer unbewohnt gewesen und an der die spanischen Schiffe, die aus Europa kommen, gewöhnlich weiter nördlich zwischen derselben und der Insel Margarita durchgehen, um im Hafen von Pampatar einen Lotsen einzunehmen. Unbekannt in der Gegend, waren wir in den Kanal südlich von Coche geraten, und da die englischen Kreuzer sich damals häufig in diesen Strichen zeigten, hatten uns die Indianer für ein feindliches Fahrzeug angesehen. Die südliche Durchfahrt hat allerdings bedeutende Vorteile für Schiffe, die von Cumana nach Barcelona gehen; sie hat weniger Wassertiefe als die nördliche, weit schmälere Durchfahrt, aber man läuft nicht Gefahr aufzufahren, wenn man sich nahe an den Inseln Lobos und Moros del Tunal hält. Der Kanal zwischen Coche und Margarita wird durch die Untiefen am nordwestlichen Vorgebirge von Coche und durch die Bank an der Punta de Mangles eingeengt.

Die Guaykari gehören zum Stamm civilisierter Indianer, welche auf den Küsten von Margarita und in den Vorstädten von Cumana wohnen. Nach den Kariben des spanischen Guyana sind sie der schönste Menschenschlag in Terra Firma. Sie genießen verschiedener Vorrechte, da sie seit der ersten Zeit der Eroberung sich als treue Freunde der Kastilianer bewährt haben. Der König von Spanien nennt sie daher auch in seinen Handschreiben »seine lieben, edlen und getreuen Guaykari«. Die Indianer, auf die wir in den zwei Piroguen gestoßen, hatten den Hafen von Cumana in der Nacht verlassen. Sie wollten Bauholz in den Cedrowäldern Cedrela odorata, Linné. holen, die sich vom Kap San Jose bis über die Mündung des Rio Carupano hinaus erstrecken. Sie gaben uns frische Kokosnüsse und einige Fische von der Gattung Choetodon, deren Farben wir nicht genug bewundern konnten. Welche Schätze enthielten in unseren Augen die Kähne der armen Indianer! Ungeheure Vijaoblätter Heliconia bihai. bedeckten Bananenbüschel; der Schuppenpanzer eines Tatou, Armadill, Dasypus, Cachicamo. die Frucht der Crescentia cujete, die den Eingeborenen als Trinkgefäße dienen, Naturkörper, die in den europäischen Kabinetten zu den gemeinsten gehören, hatten ungemeinen Reiz für uns, weil sie uns lebhaft daran mahnten, daß wir uns im heißen Erdgürtel befanden und das längstersehnte Ziel erreicht hatten.

Der Patron einer der Piroguen erbot sich an Bord des Pizarro zu bleiben, um uns als Lotse zu dienen. Der Mann empfahl sich durch sein ganzes Wesen; er war ein scharfsinniger Beobachter und hatte sich in lebhafter Wißbegier mit den Meeresprodukten wie mit den einheimischen Gewächsen abgegeben. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß der erste Indianer, dem wir bei unserer Landung begegneten, der Mann war, dessen Bekanntschaft unseren Reisezwecken äußerst förderlich wurde. Mit Vergnügen schreibe ich in dieser Erzählung den Namen Carlos del Pino nieder, so hieß der Mann, der uns 16 Monate lang auf unseren Zügen längs der Küsten und im inneren Lande begleitet hat.

Gegen Abend ließ der Kapitän der Korvette den Anker lichten. Bevor wir die Untiefe oder den Placer bei Coche verließen, bestimmte ich die Länge des östlichen Vorgebirges der Insel und fand sie 66º 11' 53''. Westwärts steuernd hatten wir bald die kleine Insel Cubagua vor uns, die jetzt ganz öde ist, früher aber durch Perlenfischerei berühmt war. Hier hatten die Spanier unmittelbar nach Kolumbus' und Ojedas Reisen eine Stadt unter dem Namen Neucadiz gegründet, von der keine Spur mehr vorhanden ist. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts waren die Perlen von Cubagua in Sevilla und Toledo, wie auf den großen Messen in Augsburg und Brügge bekannt. Da Neucadiz kein Wasser hatte, so mußte man es an der benachbarten Küste aus dem Manzanaresflusse holen, obgleich man es, ich weiß nicht warum, beschuldigte, daß es Augenentzündungen verursache. Die Schriftsteller jener Zeit sprechen alle vom Reichtum der ersten Ansiedler und vom Luxus, den sie getrieben; jetzt erheben sich Dünen von Flugsand auf der unbewohnten Küste und der Name Cubagua ist auf unseren Karten kaum verzeichnet.

In diesem Striche angelangt, sahen wir die hohen Berge von Kap Macanao im Westen der Insel Margarita majestätisch am Horizont aufsteigen. Nach den Höhenwinkeln, die wir in 81 km Entfernung nahmen, mögen diese Gipfel 970 bis 1170 m absolute Höhe haben. Nach Louis Berthouds Chronometer liegt Kap Macanao unter 66º 47' 5'' Länge. Ich nahm die Felsen am Ende des Vorgebirges auf, nicht die sehr niedrige Landzunge, die nach West fortstreicht und sich in eine Untiefe verliert. Die Länge, die ich für Macanao gefunden, und die, welche ich oben für die Ostspitze der Insel Coche angegeben, weichen von Fidalgos Beobachtungen nur um 4 Zeitsekunden ab.

Der Wind war sehr schwach; der Kapitän hielt es für ratsamer, bis zu Tagesanbruch zu lavieren. Er scheute sich, bei Nacht in den Hafen von Cumana einzulaufen, und ein unglücklicher Zufall, der vor kurzem eben hier vorgekommen war, schien diese Vorsicht zu gebieten. Ein Paketboot hatte Anker geworfen, ohne die Laternen auf dem Hinterteil anzuzünden; man hielt es für ein feindliches Fahrzeug und die Batterien von Cumana gaben Feuer darauf. Dem Kapitän des Postschiffes wurde ein Bein weggerissen und er starb wenige Tage darauf in Cumana.

Wir brachten die Nacht zum Teil auf dem Verdeck zu. Der indianische Lotse unterhielt uns von den Tieren und Gewächsen seines Landes. Wir hörten zu unserer großen Freude, wenige Meilen von der Küste sei ein gebirgiger, von Spaniern bewohnter Landstrich, wo empfindliche Kälte herrsche, und auf den Ebenen kommen zwei sehr verschiedene Krokodile Crocodilus acutus und C. Bava. vor, ferner Boa, elektrische Aale Gymnotus electricus, Temblador. und mehrere Tigerarten. Obgleich die Worte Bava, Cachicamo und Temblador uns ganz unbekannt waren, ließ uns die naive Beschreibung der Gestalt und der Sitten der Tiere doch alsbald die Arten erkennen, welche die Kreolen so benennen. Wir dachten nicht daran, daß diese Tiere über ungeheure Landstriche zerstreut sind und hofften, sie gleich in den Wäldern bei Cumana beobachten zu können. Nichts reizt die Neugierde des Naturkundigen mehr als der Bericht von den Wundern eines Landes, das er betreten soll.

Am 16. Juli 1799, bei Tagesanbruch, lag eine grüne, malerische Küste vor uns. Die Berge von Neuandalusien begrenzten, halb von Wolken verschleiert, nach Süden den Horizont. Die Stadt Cumana mit ihrem Schloß erschien zwischen Gruppen von Kokosbäumen. Um neun Uhr morgens, 41 Tage nach unserer Abfahrt von Coruña, gingen wir im Hafen vor Anker. Die Kranken schleppten sich auf das Verdeck, um sich am Anblick eines Landes zu laben, wo ihre Leiden ein Ende finden sollten.


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