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[Vorworte]

Vorwort.

Einem wissenschaftlichen Reisenden kann es wohl nicht verargt werden, wenn er eine vollständige Uebersetzung seiner Arbeiten jeder auch noch so geschmackvollen Abkürzung derselben vorzieht. Bouguers und La Condamines mehr als hundertjährige Quartbände werden noch heute mit großer Teilnahme gelesen; und da jeder Reisende gewissermaßen den Zustand der Wissenschaften seiner Zeit, oder vielmehr die Gesichtspunkte darstellt, welche von dem Zustande des Wissens seiner Zeit abhängen, so ist das wissenschaftliche Interesse um so lebendiger, als die Epoche der Darstellung der Jetztzeit näher liegt. Damit aber die lebendige Darstellung des Geschehenen weniger unterbrochen werde, habe ich das Material, durch welches allgemeine kosmische Resultate begründet werden, in besonderen einzelnen Zugaben über stündliche Barometerveränderungen, Neigung der Magnetnadel und Intensität der magnetischen Erdkraft zusammengedrängt. Die Absonderung solcher und anderer Zugaben hat allerdings, und ohne großen Nachteil, zu Abkürzungen in der Uebersetzung des Originaltextes der Reise Anlaß geben können. Diese Betrachtung war auch geeignet, mich bald mit dem Unternehmen zu versöhnen, einem größeren Kreise gebildeter Leser, die bisher mehr mit der Natur als mit scientifischem Wissen befreundet waren, einen etwas abgekürzten Text der Reise in die Tropengegenden des neuen Kontinents darzubieten. Die Buchhandlung, welche aus edler, ich setze gern hinzu angeerbter Freundschaft meinen Arbeiten eine so lange und sorgfältige Pflege geschenkt hat, hat mich aufgefordert, diese neue Ausgabe, welche einem vielseitig unterrichteten Gelehrten, Herrn Bibliothekar Professor Dr. Hauff anvertraut ist, nicht bloß, so viel mein Uralter und meine gesunkenen Kräfte es erlauben, zu revidieren, sondern auch mit Zusätzen und Berichtigungen zu bereichern. Es ist mir eine Freude, dieser Aufforderung zu entsprechen. Die Naturwissenschaft ist, wie die Natur selbst, in ewigem Werden und Wechsel begriffen. Seit der Herausgabe des ersten Bandes der Reise sind jetzt fünfundvierzig Jahre verflossen. Die Berichtigungen müßten also zahlreich sein: in geognostischer Hinsicht wegen Bezeichnung der Gebirgsformationen und der metamorphosierten Gebirge, des wohlthätigen Einflusses der Chemie auf die Geognosie, wie in allem, was anbetrifft die Verteilung der Wärme auf dem Erdkörper und die Ursache der verschiedenen Krümmung monatlicher Isothermen (nach Doves meisterhaften Arbeiten). Die durch die neue Ausgabe veranlaßte Erweiterung des Kreises wissenschaftlicher Anregung kann ich nur freudig begrüßen; denn in dem Entwickelungsgange physischer Forschungen wie in dem der politischen Institutionen ist Stillstand durch unvermeidliches Verhängnis an den Anfang eines verderblichen Rückschrittes geknüpft.

Es würde mir dazu eine innige Freude sein, noch zu erleben, wie die Unternehmer es hoffen, daß meine in den Jahren freudig aufstrebender Jugend ausgeführte Reise, deren einer Genosse, mein teurer Freund, Aimé Bonpland, bereits, im hohen Alter, dahingegangen ist, in unserer eigenen schönen Sprache von demselben deutschen Volke mit einigem Vergnügen gelesen werde, welches mehr denn zwei Menschenalter hindurch mich in meinen wissenschaftlichen Bestrebungen und meiner Laufbahn durch ein eifriges Wohlwollen beglückt und selbst meinen spätesten Arbeiten durch seine parteiische Teilnahme eine Rechtfertigung gewährt hat.

Berlin, 26. März 1859.
Alexander von Humboldt.

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Vorrede des Herausgebers.

Die in den Jahren 1799 bis 1804 in Gesellschaft von Bonpland unternommene Reise in das tropische Amerika hat Humboldts Ruhm frühe begründet. Mit den überschwenglich reichen Ergebnissen derselben beginnt für zahlreiche Zweige der Naturforschung recht eigentlich eine neue Epoche. Das Reisewerk, in dem er seine in der Neuen Welt gesammelten Beobachtungen niederzulegen gedachte, war aber in so großartigem Maßstab angelegt, daß es nur unter den glücklichsten äußeren Umständen vollendet werden konnte. Diese Gunst der Verhältnisse hat demselben gefehlt, und mehrere Abteilungen des großen Werkes konnten nicht zu Ende geführt werden. Das erstaunliche astronomische, hydrographische, geographische, meteorologische, geologische, ethnographische, zoologische, botanische Material, das im Werk selbst nicht mehr hatte an die Reihe kommen können, ist nun allerdings auf anderen Wegen in die Wissenschaft übergegangen, und so besteht der Hauptverlust, der mehr die gebildete Welt im allgemeinen als die Wissenschaft selbst betrifft, darin, daß auch derjenige Teil, der die eigentliche Reisebeschreibung geben sollte, die Relation historique, Bruchstück geblieben ist.

Diese Reisebeschreibung erschien vom Jahre 1814 an in drei Quartbänden in französischer Sprache. Die Umstände, unter denen Humboldt dieselbe in Paris ausarbeitete, machen es begreiflich, daß er dazu die Sprache wählte, welche in neuerer Zeit als Organ des wissenschaftlichen wie des diplomatischen Verkehrs in gewissem Grade an die Stelle der lateinischen getreten ist. Dieses vortreffliche Buch kann mit Recht eines der schönsten Denkmale des deutschen Geistes heißen, und jeder Deutsche, der dasselbe kennt und zu schätzen weiß, muß sich wundern, daß es nicht längst in einer seiner würdigen Weise der deutschen Litteratur einverleibt worden ist, der es trotz seines fremden Gewandes seinem innersten Grunde nach angehört. Dieser auffallende Umstand erklärt sich aber aus dem widrigen Schicksal, welches das Buch erfahren.

In den Jahren 1815 bis 1829 erschien, ohne Humboldts Dazuthun, eine vollständige deutsche Uebersetzung jener drei Bände der Relation historique in sechs Bänden. Dieselbe ist aber in sprachlicher und materieller Beziehung in einem Grade mangelhaft, wie er selbst in dem um die Form leider allzuwenig bekümmerten Deutschland selten vorkommt, und somit völlig unbrauchbar. Humboldt fühlte sich dadurch in hohem Grade abgestoßen; er mochte, wie er selbst schreibt, dieses Buch niemals auch nur in die Hand nehmen, und es konnte nicht dazu beitragen, ihn mit der deutschen Gestalt seines schönen Werkes auszusöhnen, daß seitdem verschiedene deutsche Auszüge und Bearbeitungen der Reisebeschreibung erschienen sind, die bequemerweise nur jene Uebersetzung zu Grunde legten, und aus ihr zahllose Sprachsünden, Mißverständnisse und Irrtümer herübernahmen. So sehen wir denn hier aus einem nichtswürdigen Buche, das die Form des Originals häßlich verunstaltet, aber wenigstens äußerlich vollständig ist, andere Bücher abgeleitet, welche dem Werke den Hauptwert und den vornehmsten Reiz rauben, indem sie die Form ganz zerstören, und eben damit auch die wahrhaft künstlerische Anordnung desselben kaum noch in Spuren erkennen lassen. Humboldts Reisebeschreibung und ein poetisches Werk, nicht zu übertragen, sondern auszuziehen und umzuarbeiten, ist ungefähr gleich verständig. Das Buch ist ein der höheren Litteratur angehörendes Werk, ein eigentliches Kunstwerk.

Als der Herausgeber die Ehre hatte, mit A. v. Humboldt über die Art der deutschen Bearbeitung des Werkes zu verhandeln, äußerte jener in einem Schreiben an diesen unter anderem folgendes:

»Neben Ihren großen Arbeiten über alle Zweige der Naturwissenschaft wird Ihre Reisebeschreibung für jeden Geschichtschreiber eines dieser Zweige eine wichtige Quelle bleiben, daneben aber die gesundeste Nahrung, das trefflichste Anregungsmittel für die zum Studium irgend einer Erfahrungswissenschaft bestimmte Jugend. Wenn ich mir vergegenwärtige, was ich selbst als Jüngling diesem Werke schuldig geworden bin, so erkenne ich seinen Wert aufs lebhafteste; aber auf dem Standpunkt meiner gegenwärtigen litterarischen Erfahrung erkenne ich auch, in welchem Verhältnis es zu der immer wachsenden Menge derjenigen steht, welche sich dilettantisch mit der Wissenschaft beschäftigen, welche sich gern bilden mögen, wenn noch ein anderer Genuß dabei ist, als der ernste, welcher aus dem Gefühl innerer Veredelung entspringt. Werden diese vom großen Namen des Verfassers noch so sehr angezogen, so sehen sie sich durch das bedeutende Volumen des Werkes an der Schwelle abgewiesen, und wagen sie sich dennoch hinein, so werden sie bald gewahr, daß sie nur über Massen strenger Wissenschaft hinweg den Schritten des Reisenden durch die großartigste Natur folgen könnten. Und doch ist nach meiner Ueberzeugung in diesem Werke ein allgemein zugängliches Buch enthalten, dem in unserer Zeit, die auf Diffusion des Naturwissens durch den Körper der Gesellschaft ausgeht, an bildender Kraft kaum etwas gleich käme. Die Zeiten sind vorbei, wo ganze bisher unbekannte Stücke Natur dem Seefahrer in die Hände fielen, wo ganze Idyllen, wie Tahiti, entdeckt wurden, wo der Reisende nur zu erzählen brauchte, was er gesehen, um die Wißbegierde zu vergnügen und die Einbildungskraft zu entzünden. Von der Breite der Natur hat sich der Geist der Tiefe zugewendet, und da die unwissenschaftliche Neugier der immer mehr ins Detail dringenden Forschung nicht folgen kann, so begreift sich, daß heutige Reisebeschreibungen nicht den Reiz haben und den Einfluß üben können wie früher, wenn es der Reisebeschreiber nicht versteht, durch das zu wirken, was in den jetzigen Geistern an die Stelle der brennenden Neugier nach neuen Naturprodukten, nach neuen Ländern und Völkern getreten ist. Seit es keine Naturwunder im früheren Sinne mehr gibt, sind es vor allem die Gedanken der Natur in ihren Bildungen, die Gesetze in ihren Bewegungen, was die produktiven und die rezeptiven Kräfte, die Forscher und die Dilettanten, die das Wort Suchenden und die an das Wort Glaubenden beschäftigt. Alexander v. Humboldt ist einer der ersten, nach Rang und Zeit, welche die Naturwissenschaft in die so fruchtbare Laufbahn gewiesen haben, die sie seit einigen Menschenaltern verfolgt. Und neben so Vielem und Großem hat er auch ein Reisewerk geschaffen, wie es recht eigentlich dem Wesen und Bedürfnis der heutigen Kultur entspricht. Es gewährt einerseits wahren Kunstgenuß durch die trefflichen Schilderungen einer gewaltigen Natur und der Menschheit in einem ihrer merkwürdigsten Bruchstücke; andererseits fesselt und befreit es zugleich den Geist durch Ideen. Während der Leser auch im gemeinen Sinne Neues in Menge erfährt, während es keineswegs an den kleinen und großen Vorfällen fehlt, welche die Einbildungskraft beschäftigen und die Neugier reizen, sieht er fast bei jedem Schritt einen jener umfassenden Gedanken, von welchen die heutige Wissenschaft beherrscht wird, entstehen oder sich bestätigen, und er lernt an hundert lebendigen Beispielen, wie die wahre Naturwissenschaft zustande kommt. Ich wüßte nichts, was anregender und bildender wäre. Für den » general reader« ist das Buch, wie es vorliegt, nicht bestimmt; es ließe sich ihm aber sehr leicht zugänglich machen, und müßte dann als treffliches Bildungsmittel in den weitesten Kreisen wirken.«

Schon vor Jahren beschäftigte A. v. Humboldt der Gedanke, dieses sein Buch, auf das er, neben dem Essai sur l'état politique de la Nouvelle Espagne, selbst sehr viel hielt, endlich in einer deutschen Ausgabe aus dem hier angedeuteten Gesichtspunkt unter seinen Auspizien erscheinen zu lassen. Als aber die Sache ernstlich zur Sprache kam, hatte er, fast ein Achtziger, bereits das große Unternehmen des Kosmos begonnen, und so verstand es sich von selbst, daß er die Uebertragung fremden Händen überlassen mußte. Der Plan der neuen Ausgabe wurde in den letzten Jahren zwischen ihm und dem Herausgeber im allgemeinen und einzelnen festgestellt; er konnte sich noch selbst von der Art der formellen und materiellen Behandlung überzeugen, auch alle wünschenswerten Anordnungen treffen, indem ihm ein Teil des Manuskriptes gedruckt vorgelegt wurde, und er schrieb sofort die Vorrede, die eine seiner letzten Arbeiten, vielleicht die letzte war, so daß er mit einer lebhaften Erinnerung an die ersten schönen Zeiten seiner außerordentlichen Laufbahn aus dem Leben schied.

Das Buch ist reich an allem, was die Einbildungskraft fesseln und ergötzen kann, an vortrefflichen Schilderungen tropischer Landschaften wie einzelner Gewächse dieser wundervollen Länder, an den belebtesten Auftritten aus dem Tierleben, an den scharfsinnigsten Beobachtungen über die geistigen und geselligen Verhältnisse der Rassen, welche in Südamerika neben- und durcheinander wohnen. Erst durch Humboldt ist das eigentliche Wesen des eingeborenen Amerikaners nach Körper und Seele den Europäern bekannt geworden, und die Beschreibung ihrer Körperbildung, ihres Charakters, ihrer Sprachen und Gebräuche, die Würdigung ihrer Tugenden und ihrer Laster ist in die ganze Reisebeschreibung mit großer Kunst eingeflochten. Humboldt wird ja gerade dadurch zu einer so eigentümlichen und außerordentlichen Erscheinung, daß sich in ihm mit der Schärfe und Unbestechlichkeit der Urteilskraft eine so bedeutende künstlerische Begabung paart. Durch dieselbe Kunst der Darstellung, wodurch er uns mit dem Antlitz und der Gebärdung der tropischen Natur so vertraut macht, werden auch seine wissenschaftlichen Erörterungen so klar und anschaulich, daß sie selbst wie organische Naturbildungen erscheinen, was sie ja auch im Grunde sind. Zu allen Vorzügen des Buches kommt für den ernsten Leser noch der unschätzbare Vorteil, daß er auf jedem Schritte den Gedanken und Thaten des Mannes folgt, der vielleicht mehr als irgend einer die Natur in der Richtung gelichtet hat, in der sie unseren Sonden zugänglich ist, und daß er so, wie schon oben ausgesprochen worden, überall unmittelbar zusieht, wie die wahre Wissenschaft zustande kommt. Nach meiner Erfahrung und Empfindung gibt es kaum etwas, das dem allgemein Unterrichteten das eigentliche Wesen, die Genesis, die Entwickelung und die Grenzen des Naturwissens klarer machte, als die Art und Weise, wie Humboldt in seiner Reisebeschreibung so viele große und kleine, aber für das in einen höheren Gesichtspunkt gerückte Auge gleich wichtige Erscheinungen bespricht, wie die Meeresströmungen, die Verteilung der Gewächse nach der Meereshöhe, die Erdbeben, die Theorie des tropischen Regens, die Ursachen der Kontraste zwischen den Klimaten benachbarter Orte, die hydrographischen Verhältnisse des Landstriches zwischen Orinoko und Rio Negro, die Milch des Kuhbaumes und die Milch der Gewächse, welche das Kautschuk geben, die schwarzen und die weißen Wasser in Guyana, die Plage der Moskiten, das Pfeilgift der Indianer, die Wintervorräte erdeessender Otomaken, die Fabel vom »vergoldeten Mann« ( el dorado), und hundert andere Gegenstände, an denen der junge Forscher seinen ungemeinen Scharfsinn geübt, und die jetzt längst in den Schatz der Wissenschaft aufgenommen sind und vertraute Elemente unserer Naturanschauung bilden.

Sollte nun aber das zunächst ohne Rücksicht auf das größere Publikum geschriebene Werk in den hier berührten Beziehungen gemeinnützlich werden, so war es den Bedürfnissen derer anzupassen, welche sich im Sinne unserer Zeit über die Geschichte des Kampfes zwischen Geist und Natur im allgemeinen unterrichten möchten. So kamen denn der Verfasser und der jetzige Herausgeber überein, das Buch als litterarisches Produkt möglichst unversehrt zu erhalten, nirgends auszugsweise zu verfahren, sondern im ganzen überall dem Texte treu zu bleiben und nur die kürzeren und längeren streng wissenschaftlichen Exkurse und Abhandlungen, die ins einzelne gehenden mineralogischen und geologischen, chemischen, physiologischen, pharmazeutischen, medizinischen, statistischen, nationalökonomischen u. s. w. Erörterungen abzulösen und von den Anmerkungen nur die beizubehalten, welche dem erwähnten Zwecke förderlich sein konnten.

Der Herausgeber.


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