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Unsere Leserinnen werden verzeihen, wenn wir uns einen Augenblick dabei aufhalten, nachzuforschen, welches wohl der Gedanke sein mochte, der sich unter den räthselhaften Worten des Archidiaconus verbarg: »Dies wird jenes vernichten. Das Buch wird das Gebäude vertilgen.« Nach unserer Meinung hatte dieser Gedanke zwei Gesichtspunkte. Zunächst war es ein Priestergedanke. Es war der Schrecken eines Geistlichen vor einer neuen Culturmacht: der Buchdruckerkunst. Es war das Entsetzen und die Verblendung eines Kirchendieners vor der leuchtenden Presse Guttenbergs. Die Kanzel und die Handschrift, das gesprochene und das geschriebene Wort waren es, die über das gedruckte Wort in Schrecken geriethen; etwas der Bestürzung eines Spatzen Aehnliches, wenn er die himmlische Legion ihre sechs Millionen Flügel ausbreiten sehen würde. Der Ruf des Propheten war es, welcher bereits die vom Joche befreite Menschheit brausen und wogen hört; welcher in Zukunft die Religion durch die Erkenntnis untergraben, das Urtheil den Glauben entthronen und die Welt Rom abschütteln sieht. Es war die Vorhersagung des Philosophen, welcher den menschlichen Gedanken, der von der Presse beflügelt war, aus dem theokratischen Destillirgefäße sich verflüchtigen sieht; der Schrecken eines Soldaten, welcher den ehernen Sturmbock betrachtet und spricht: »Der Thurm muß zusammenbrechen.« Das bedeutete, daß eine Macht an die Stelle einer andern Macht treten wollte; das wollte sagen: »Die Druckerpresse wird die Kirche vernichten.« Aber hinter diesem Gedanken, dem nächsten und einfachsten zweifelsohne, stand, unserer Meinung nach, ein anderer und modernerer, der Folgegedanke aus dem erstern und nicht so schwer zu begreifen, aber viel schwieriger zu läugnen, eine ganz ebenso philosophische Ansicht, die nicht sowohl mehr die eines Geistlichen, als vielmehr die eines Weisen und Künstlers war. Es war das Vorgefühl, daß der menschliche Gedanke mit der Aenderung seiner Form die Ausdrucksweise zu ändern sich anschickte; daß der Hauptgedanke jedes Menschenalters nicht mehr mit demselben Material und in derselben Weise dargestellt werden würde; daß das so solide und dauerhafte Buch aus Stein dem noch solidern und dauerhafteren aus Papier den Platz einräumen sollte. Mit Rücksicht darauf hatte der unbestimmte Gedankenausdruck des Archidiaconus einen andern Sinn; er sprach aus, daß eine Kunst eine andere Kunst vom Throne zu stoßen sich anschickte; er wollte sagen: »Die Buchdruckerkunst wird die Baukunst vernichten.«
In Wahrheit bildet, vom Ursprunge der Dinge an bis einschließlich zum fünfzehnten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung, die Baukunst das große Buch der Menschheit, das Hauptausdrucksmittel des Menschen in seinen verschiedenen Entwicklungszuständen, sei es nun als Macht oder sei es als Intelligenz.
Als die Gedächtniskraft der ersten Rassen sich zu sehr beladen wußte, als der Erinnerungsballast des menschlichen Geschlechtes so schwer und unordentlich wurde, daß das nackte und flüchtige Wort Gefahr lief, ihn unterwegs zu verlieren, übertrug man ihn in der sichtbarsten und zugleich dauerhaftesten und natürlichsten Weise auf den Erdboden. Man versiegelte jede Ueberlieferung in einem Baudenkmale.
Die ersten Baudenkmäler waren einfache Gevierte aus Felsenstücken, »welche das Eisen nicht berührt hatte«, sagt Moses.
Die Architektur fing wie jede Schreibkunst an: sie war zuerst Alphabet. Man stellte einen Stein aufrecht hin, und das war ein Buchstabe, und jeder Buchstabe war eine Hieroglyphe, und auf jeder Hieroglyphe ruhte eine Gedankengruppe, wie das Kapital auf der Säule. In dieser Weise schufen die ersten Rassen, überall, im nämlichen Augenblicke, und auf der Oberfläche der ganzen Erde. Man findet den »aufgerichteten Stein« der keltischen Völkerschaften im asiatischen Sibirien und in den Pampas von Amerika wieder.
Später bildete man Worte; man stellte den Stein auf den Stein; man verband diese granitenen Silben, das Wort versuchte einige Wortverbindungen.
Der keltische DolmenDie älteste Form des keltischen Steinbaues. und Cromlech,Der keltische Druidentempel. der etruskische Tumulus,Der Grabhügel der Etrusker. der GalgalDer altjüdische Begräbnisplatz. Anm. d. Uebers. der Juden sind Worte. Einige, namentlich der Tumulus, sind Eigennamen. Zeitweilig sogar, wenn viel Steine und eine weite Landstrecke vorhanden waren, schrieb man einen Satz. Die ungeheure Steinmasse von Karnak ist schon eine ganz vollkommene Formel.
Schließlich wurden Bücher geschaffen. Die Überlieferungen hatten Sinnbilder hervorgebracht, unter denen jene wie der Stamm eines Baumes unter seinem Blätterwerk verschwanden; alle diese Sinnbilder, an welche die Menschheit glaubte, begannen mit der Zeit zuzunehmen, sich zu vervielfältigen, zu verbinden und sich mehr und mehr zu verwirren; die ersten Baudenkmäler genügten nicht mehr, sie in sich aufzunehmen; sie waren überall aus den beengenden Formen herausgequollen; kaum drückten diese Denkmäler noch die ursprüngliche Überlieferung aus, welche wie sie, einfach und nackt, auf dem Erdboden ruhte. Das Sinnbild hatte Bedürfnis, sich in dem Gebäude zu enthüllen. Die Architektur entwickelte sich damals mit dem menschlichen Gedanken; sie wurde eine tausendköpfige und tausendarmige Riesin und hielt in einer ewigen, sicht- und greifbaren Form diesen ganzen schwankenden Sinnbilderausdruck fest. Während Dädalus, der die Kraft bedeutet, maß, während Orpheus, der die Intelligenz vorstellt, sang, gruppirten sich, nach einem Gesetze der Meßkunst und nach einem solchen der Dichtkunst zugleich in Bewegung gesetzt, die Säule, welche einen Buchstaben, die Bogenwölbung, welche eine Silbe und die Pyramide, welche ein Wort vorstellt, verbanden sich, verschmolzen in einander, senkten sich herab, stiegen in die Höhe, setzten sich auf dem Boden neben einander und schichteten sich nach dem Himmel hinauf, bis daß sie, unter dem Dictate eines Hauptgedankens einer Zeitepoche, jene wunderbaren Bücher: die Pagode zu Eklinga, das Rhamseion in Egypten und den Tempel des Salomo geschrieben hatten, die ebenso bewunderungswürdige Bauwerke waren.
Der Grundgedanke, das Wort, fand sich nicht allein in der Anlage, sondern auch in der Form aller dieser Bauwerke. Der Tempel des Salomo zum Beispiel war nicht etwa einfach der Einband des heiligen Buches: er war das heilige Buch selbst. An jeder seiner concentrischen Einfriedigungen vermochten die Priester das den Augen überlieferte und offenbarte Wort zu lesen; und sie verfolgten so seine Umbildungen von Heiligthum zu Heiligthume, bis daß sie es in seinem letzten Zufluchtsorte und in seiner sinnfälligsten Gestalt, welche die Baukunst noch hatte, festhielten: als Arche. Auf solche Weise war das Wort in dem Gebäude eingeschlossen, aber sein Abbild fand sich auf seiner Hülle, wie die menschliche Gestalt an der Einsargung einer Mumie.
Und nicht nur die Gestalt der Gebäude, sondern auch die Baustelle, welche für sie gewählt wurden, enthüllten den Gedanken, welchen sie ausdrücken wollten. Je nachdem das auszudrückende Sinnbild anmuthig oder düster war, krönte Griechenland seine Berge mit einem für das Auge harmonischen Tempel, Indien durchwühlte die seinigen, um in ihnen jene unförmlichen, unterirdischen Pagoden auszumeißeln, die von riesigen Reihen granitner Elephanten getragen werden.
So ist während der sechs ersten Jahrtausende der Welt, von der urältesten Pagode Hindostans an bis zum Kölner Dome, die Baukunst die große Schreibkunst des menschlichen Geschlechtes gewesen. Und das ist dermaßen in der Wahrheit begründet, daß nicht nur jedes religiöse Sinnbild, sondern auch jeder menschliche Gedanke in diesem ungeheuern Buche seine Seite und sein Denkmal besitzt.
Jede Civilisation beginnt mit der Priesterherrschaft und endigt mit der Demokratie. Dieses Gesetz freiheitlicher Entwicklung, welches an die Stelle der Einheit tritt, ist in der Baukunst niedergeschrieben. Denn, wenn wir auf diesen Punkt Gewicht legen, so muß man nicht glauben, daß die Mauerkunst vermögend sei, nur den Tempel zu bauen, nur den Mythus und die kirchliche Symbolik darzustellen, nur die geheimnisvollen Tafeln des Gesetzes auf seine steinernen Seiten in Hieroglyphenschrift einzutragen. Wenn es so wäre, wie ja in jedem menschlichen Gesellschaftszustande ein Augenblick eintritt, wo das geheiligte Sinnbild sich abnutzt und vor dem freien Gedanken verschwindet, wo der Mensch sich dem Priester entzieht, wo das Auswachsen der philosophischen Wissenschaften und Systeme die Grenzlinie der Religion durchbricht, so würde die Baukunst diesen neuen Zustand des menschlichen Geistes nicht wiedergeben können: ihre auf der Vorderseite beschriebenen Blätter würden auf der Rückseite leer bleiben, ihr Werk würde verstümmelt und ihr Buch unvollständig sein. Das geschah nun freilich nicht.
Nehmen wir zum Beispiel das Mittelalter an, bei dem wir deutlicher sehen können, weil es uns näher ist. Seine erste Periode hindurch, während daß die Priesterherrschaft Europa organisirt, während der Vatican die Elemente eines Rom wieder um sich vereinigt und zum Ansehen bringt, welches mit dem am Fuße des Capitols in Ruinen liegenden Rom geschaffen wird, während daß das Christenthum hinauszieht, um im Schutte der frühern Civilisation alle Schichten der Gesellschaft zu durchdringen und mit ihren Ueberresten ein neues hierarchisches Weltall aufzubauen, in dem das Priesterthum der Schlußstein der Wölbung ist, hört man es in diesem Chaos zunächst sich regen; hierauf sieht man, wie nach und nach unter dem Hauche des Christenthums und unter den Händen der Barbaren aus dem Schutte todter – griechischer und römischer – Bauformen jene geheimnisvolle romanische Baukunst, die Schwester der unter Priesterherrschaft entstandenen Mauerwerke Egyptens und Indiens, das unvergängliche Sinnbild des reinen Katholicismus und die unwandelbare Hieroglyphe päpstlicher Einheit sich erhebt. Die ganze Gedankenwelt von damals ist in Wahrheit in diesem düstern romanischen Stile geschrieben. Ueberall fühlt man dabei die päpstliche Gewalt, die Einheit, Verschlossenheit, das Unumschränkte, den gewaltigen Gregor den Siebenten heraus; überall den Priester, niemals den Menschen; überall die Kaste, niemals das Volk. Da kommen aber die Kreuzzüge heran. Es ist eine große Volksbewegung, und jede große Volksbewegung, mögen ihre Ursache und ihr Endziel sein, welche es wollen, befreit den Geist der Freiheit stets von seinem letzten Niederschlage. Neuerungen wollen sich Bahn brechen. Damit beginnt nun die stürmische Periode der Volksaufstände, der Bauernkriege und der Fürstenbündnisse. Die Autorität geräth ins Wanken, die Einheit spaltet sich. Das Lehnswesen fordert eine Theilung mit der Priesterherrschaft, indem es auf das Volk rechnet, das unvermeidlich und plötzlich auftreten und, wie immer, den Löwenantheil davontragen wird: quia nominor leo.Lateinisch: Weil ich Löwe heiße. Anm. d. Uebers. Die Lehnsherrschaft erscheint also hinter der Priesterherrschaft, die Volksherrschaft hinter der Lehnsherrschaft. Das Aussehen Europa's wird umgestaltet; nun gut! Die Form der Baukunst hat sich gleichfalls geändert. Gleichwie die Civilisation hat sie eine neue Seite aufgeschlagen, und der neue Geist der Zeitverhältnisse findet sie bereit, unter seiner Eingebung zu schreiben. Sie ist aus den Kreuzzügen mit dem Spitzbogen heimgekehrt, wie die Völker mit der Freiheit. Hernach verfällt die romanische Baukunst, während daß Rom nach und nach zerstückelt wird. Die Hieroglyphe verschwindet aus dem Dome und beginnt den Thurm in die Wappenkunde einzuführen, um dem Lehnswesen einen Zauber zu verleihen. Der Dom selbst, dieses einst den Glauben so sicher ausdrückende Bauwerk, entzieht sich, hinfort von dem Bürgerthume, von der Gemeinde und der Freiheit in Besitz genommen, dem Priester und verfällt der Macht des Künstlers. Dieser baut ihn nach seiner Weise. Das Mysterium, die Mythe und das Gesetz sind verabschiedet, die Phantasie und Laune treten an deren Stelle. Falls der Priester das Schiff und den Altar für sich behält, so hat das nichts zu sagen: die vier Mauern gehören dem Künstler. Das steinerne Buch gehört nun nicht mehr dem Priesterthume, der Religion oder Rom; die Einbildungskraft, die Poesie und das Volk haben es in Besitz genommen. Von da an beginnen die reißend schnellen und unzähligen Umbildungen in diesem Zweige der Baukunst, die nur noch drei Jahrhunderte hindurch blüht, und die nach dem beharrlichen Stillstande des romanischen Baustiles während sechs oder sieben Jahrhunderten um so auffälliger sind. Inzwischen schreitet die Kunst mit Riesenschritten vorwärts. Das Genie und die Ursprünglichkeit des Volkes besorgen, was sonst die Bischöfe thaten. Jede Generation schreibt gelegentlich seine Zeile in das Buch; sie löscht die alten romanischen Hieroglyphen an den Vorderseiten der Dome aus, und das wird um so eher erkenntlich, wenn man hier und da noch das Dogma unter dem neuen Sinnbilde, welches sie ihnen aufdrückt, hervorschimmern sieht. Die Drapierungskunst des Volkes läßt kaum das aus dem Glaubensdogma entsprungene Knochengerüst errathen. Man vermag sich schwerlich einen Begriff von der Zügellosigkeit zu machen, die sich damals die Baumeister selbst gegen die Kirche erlauben. Da finden sich Kapitäle, die, wie in der Kamingalerie des Justizpalastes zu Paris, mit unzüchtig gepaarten Mönchs- und Nonnenfiguren geschmückt sind. Da sieht man das Abenteuer des Noah »in ganzen Zügen« ausgemeißelt, wie am Domportale zu Bourges. Da findet sich ein bacchischer Mönch mit Eselsohren und dem Glase in der Hand, der einer ganzen Gemeinde ins Gesicht lacht, wie am Waschbecken in der Abtei zu Bocherville. Es giebt in diesem Zeitabschnitte für den in Stein geschriebenen Gedanken ein ganz ähnliches Privileg, wie unsere gegenwärtige Preßfreiheit: das ist die Freiheit in der Baukunst.
Diese Freiheit geht sehr weit. Manchmal zeigt ein Portal, eine Façade, ja eine ganze Kirche einen bildlichen Sinn, welcher dem Gottesdienste völlig fremd, oder der Kirche sogar feindlich ist. Vom dreizehnten Jahrhunderte an haben Wilhelm von Paris, Nicolaus Flamel im fünfzehnten solche Seiten aufrührerischen Inhaltes geschrieben. Die Kirche Saint-Jacques-de-la-Boucherie war völlig ein den Widerstreit vorstellendes Gotteshaus. Der Gedanke war damals nur in solcher Gestalt frei; daher wurde er ganz vollständig nur in denjenigen Büchern niedergeschrieben, welche man Bauwerke nannte. Ohne diese steinerne Form, in der Gestalt einer Handschrift, würde er sich auf freiem Platze von der Hand des Henkers brennen gesehen haben, wenn er thöricht genug gewesen wäre, sich ans Licht zu wagen. Und der Gedanke in Kirchenportalgestalt hätte der Hinrichtung des freien Gedankens beigewohnt. Daher trieb die Maurerkunst, die nur diesen Ausweg hatte, um in die Erscheinung treten zu können, mit Gewalt und von allen Seiten nach dieser Richtung zu. Daher stammt die ungeheure Menge von Kathedralen, die Europa bedeckt haben, die eine so erstaunliche Anzahl bildet, daß man kaum an sie glaubt, selbst wenn man sich von ihr überzeugt hat. Alle physischen und alle geistigen Kräfte der Gesellschaft liefen in demselben Punkte: der Baukunst, zusammen. In dieser Weise, und unter dem Vorwande, der Gottheit Kirchen zu bauen, entfaltete sich die Kunst in großartigen Verhältnissen.
Wer damals immer als Dichter geboren wurde, ward Baumeister. Das in den Massen verstreute Genie, welches unter dem Feudalismus überall, wie unter einem Schildkrötenpanzer von erzenen Helmen zurückgedrängt war, und nur auf Seiten der Baukunst einen Ausweg fand, befreite sich in dieser Kunst, und seine Iliaden nahmen die Gestalt von Kathedralen an. Alle andern Künste gehorchten der Baukunst und stellten sich unter ihre Zucht. Sie waren die Arbeiter an dem großen Werke. Der Baumeister, der Dichter, der Magister verschmolz in seiner Person die Steinmetzkunst, welche ihm seine Façaden meißelte, die Malerei, welche ihm seine Fenster malte, und die Musik, die ihm seine Glocke schwang und in seiner Orgel klang. Es gab, im eigentlichen Sinne gesagt, nur eine ärmliche Dichtkunst: nämlich diejenige, welche hartnäckig darauf bestand, in den Manuscripten zu vegetiren; die, um etwas zu sein, nicht genöthigt war, sich unter der Form der Hymne oder Prosa in das Bauwerk einfügen zu lassen: zufolge allem dieselbe Rolle, welche die Tragödien des Aeschylus bei den Priesterfesten Griechenlands, und das Erste Buch Moses im Tempel des Salomo gespielt hatten.
Also bis zu Guttenbergs Auftreten war die Baukunst die hauptsächliche schriftliche Kunst, die Allgemeinschrift. Dieses granitne Buch wird im Oriente begonnen, vom griechischen und römischen Alterthume fortgesetzt, und das Mittelalter schreibt dessen letzte Seite. Uebrigens zeigt sich jene Erscheinung einer Volksbaukunst, welche, wie wir soeben im Mittelalter beobachtet haben, die Baukunst einer Gesellschaftskaste verdrängt, bei ganz gleichartiger Richtung in der menschlichen Intelligenz, auch in andern großen Epochen der Geschichte. Also: um ein Gesetz, welches verlangen könnte, in zahlreichen Bänden aufgedeckt zu werden, hier nur summarisch darzustellen, so folgte im Innern des Morgenlandes, an der Wiege der Urzeiten, auf die Baukunst der Hindus diejenige der Phönizier, als die reiche Mutter der arabischen Baukunst; im Alterthume schloß sich an die ägyptische Baukunst, von welcher der etruskische Stil und die Cyklopenbauten nur eine Abart sind, die griechische an, von welcher der römische Stil nur eine mit dem karthagischen Gewölbe überlastete Verlängerung ist; in den neuern Zeiten trat an Stelle des romanischen der gotische Baustil. Und wenn wir diese drei Stilreihen trennen, so finden wir an den drei ältern Schwestern: der Baukunst der Hindus, der ägyptischen und der römischen, dasselbe Symbol wieder, das heißt: die Priesterherrschaft, die Kaste, die Einheit, das Dogma, den Mythus, Gott; und was die drei jüngern Schwestern: die phönizische, griechische und gothische Baukunst betrifft, so finden wir, wie groß übrigens die Formenverschiedenheit, welche ihrer Natur anhaftet, auch sein mag, gleichfalls die nämliche Bedeutung, das heißt: die Freiheit, das Volk, den Menschen.
Ob es Bramine, Magier oder Papst in der indischen, ägyptischen oder romanischen Mauerkunst heißen mag, immer merkt man den Priester, nichts als den Priester. Das Nämliche ist es nicht in den Baukunstformen des Volkes. Sie sind reicher und nicht so heilig. In der phönizischen sieht man den Kaufmann, in der griechischen den Republikaner, in der gothischen den Bürger.
Die Haupteigenschaften aller aus der Zeit der Priesterherrschaft herstammenden Baudenkmäler sind: Unveränderlichkeit, Abscheu vor dem Fortschritte, Festhalten an den überlieferten Linien, Heilighaltung ursprünglicher Formen, unveränderliche Darstellung in allen Gestaltungen des Menschen und der Natur bei unbegreiflichen Einfällen in der Behandlung des Symboles. Es sind Bücher voll dunkeln Sinnes, welche nur die Eingeweihten zu entziffern wissen. Uebrigens hat bei ihnen jede Form und jede Mißgestaltung einen Sinn, der sie unverletzlich macht. Niemand fordere von den indischen, ägyptischen und romanischen Bauhütten, daß sie ihren Plan ändern oder ihre Bildhauerkunst vervollkommnen mögen. Jede Vervollkommnung ist bei ihnen Gottlosigkeit. Es scheint, als ob sich in diesen Bauwerken die Starrheit des Glaubensdogmas wie eine neue Versteinerung über den Stein verbreitet habe. – Im Gegensatze dazu sind die Haupteigenschaften der im Volke entstandenen Mauerwerke: Mannigfaltigkeit, der Fortschritt, Ursprünglichkeit, großer Reichthum und beständige Abwechslung. Sie sind schon hinlänglich von der Religion getrennt, um die Schönheit nicht zu vergessen, an diese ernstlich zu denken und die Ausschmückung ihrer Bildsäulen oder Arabesken unaufhörlich zu verbessern. Sie verrathen ihr Jahrhundert. Sie haben etwas Menschliches an sich, das sie beständig mit dem göttlichen Symbole vermengen, unter dessen Führung sie sich noch zeigen. Daher stammen nun Bauwerke, die von jedem Herzen, von jeder Intelligenz, von jeder Phantasie begriffen werden können, und wiewohl noch symbolischen Charakters, doch leicht wie die Natur zu verstehen sind. Zwischen der Priesterbaukunst und dieser findet ein Unterschied statt, wie derjenige zwischen einer frommen Sprache und der Volksrede, zwischen der Hieroglyphe und der Kunst, wie zwischen Salomo und Phidias.
Wenn wir das, was bis jetzt ganz summarisch angegeben worden ist, zusammenfassen, und dabei von zahllosen Beweisen und ebenso vielen Einwürfen absehen, so sind wir zu der Erkenntnis gelangt: daß die Baukunst bis zum fünfzehnten Jahrhunderte das Hauptbuch der Menschheit gewesen ist; daß in diesem Zeitraume nicht ein irgend verwickelter Gedanke in der Welt zu Tage getreten ist, der nicht Baudenkmal geworden wäre; daß jeder Volksgedanke, wie jedes Religionsgesetz seine Denkmäler gehabt hat; daß endlich das menschliche Geschlecht nichts Bedeutendes gedacht hat, was es nicht in Stein geschrieben hätte. Und warum? Deshalb, weil jeder Gedanke, mag er religiöser oder philosophischer Natur sein, sich zu verewigen ein Interesse hat; weil der Gedanke, der eine Generation aufgeregt hat, andere Generationen aufregen und seine Spur zurücklassen will. Ach, welche zweifelhafte Unsterblichkeit ist doch diejenige, welche in einer Handschrift liegt! Was ist doch ein Bauwerk für ein weit festeres, dauerhafteres und widerstandsfähigeres Buch! Um das geschriebene Wort zu vertilgen, genügt ein Schwamm und ein Türke. Um das aufgerichtete Wort zu vernichten, bedarfs eines gesellschaftlichen Umsturzes, einer Erdrevolution. Die Barbaren sind über das Colosseum hingegangen, die Sündflut ist vielleicht über die Pyramiden gebrandet. – Im fünfzehnten Jahrhunderte ändert sich alles.
Der menschliche Gedanke hat ein Mittel entdeckt, sich nicht nur dauerhafter und widerstandsfähiger, als durch die Baukunst, sondern auch einfacher und leichter fortzupflanzen »Die Architektur wird vom Throne gestoßen. An die Stelle der steinernen Buchstaben des Orpheus treten nun die bleiernen Lettern Guttenbergs.
Das Buch wird einst das Baudenkmal vernichten.
Die Erfindung der Buchdruckerkunst ist das größte Ereignis der Geschichte. Es ist die fortzeugende Revolution. Es ist die Ausdrucksweise der Menschheit, welche sich vollständig verjüngt; es ist der menschliche Gedanke, welcher eine Form ablegt und dafür eine andere anzieht; es ist die vollständige und letzte Häutung jener symbolischen Schlange, die seit Adams Zeiten den Geist vorstellt.
In der Gestaltung durch Buchdruck ist der Gedanke unvergänglicher, denn je zuvor; er ist beflügelt, unfaßbar, unvertilgbar. Er vereinigt sich mit der Luft. Zur Blütezeit der Baukunst ward er zum Berge und nahm gewaltthätig von einem Orte und einem Jahrhunderte Besitz. Jetzt wird er zur Vogelschaar, zerstreut sich in alle vier Winde und hat zugleich alle Punkte des Himmels und der Erde inne.
Wir wiederholen es: wer sieht nicht, daß der Gedanke in dieser Gestalt noch viel unauslöschlicher ist? Von der Festigkeit, die er besaß, gelangte er zur Schnelligkeit. Von der Dauerhaftigkeit geht er zur Unsterblichkeit über. Man kann eine feste Substanz vernichten, wie aber will man die Allgegenwart vertilgen? Möge eine Sündflut kommen – die Berge werden schon längst unter den Fluten verschwunden sein, wenn die Vögel noch dahinfliegen; und wenn eine einzige Arche auf dem Spiegel der Wasserflut segelt, werden sie sich auf ihr niederlassen, werden mit ihr obenauf schwimmen, mit ihr das Fallen der Fluten erleben, und die neue Welt, die aus diesem Chaos hervorgeht, wird aufwachend über sich, beflügelt und luftig den Gedanken der versunkenen Welt dahinschweben setzen.
Und wenn man beachtet, daß diese Ausdrucksweise nicht nur die conservativste, sondern auch die einfachste, die bequemste, die für Alle thunlichste ist; wenn man überlegt, daß sie kein großes Gepäck mit sich führt und kein unbeholfenes Geräth fortschleppt; wenn man den Gedanken vergleicht, der, um in ein Baudenkmal sich zu übersetzen, gezwungen ist, vier oder fünf andere Künste und Tonnen Goldes, einen ganzen Berg von Steinen, einen ganzen Wald von Balken und ein ganzes Volk von Arbeitern in Aufruhr versetzt; wenn man ihn mit dem Gedanken vergleicht, der zum Buche wird, und dem ein wenig Papier, ein wenig Tinte und eine Feder genügt – wie will man sich darüber wundern, daß der menschliche Geist sich von der Baukunst zur Buchdruckerkunst gewendet hat? Man durchsteche plötzlich das ursprüngliche Bett eines Flusses, eines Kanales, der unter seinem Niveau ausgehöhlt ist, und der Fluß wird sein Bett verlassen.
Man beobachte also, wie seit der Erfindung der Buchdruckerkunst die Baukunst hinsiecht, abzehrt und verschwindet; wie man fühlt, daß das Wasser sinkt, der Saft vertrocknet, und daß der Gedankengang der Zeiten und der Völker sich von ihr abwendet! Die Abkühlung ist im fünfzehnten Jahrhunderte fast noch unmerklich, die Presse ist noch zu schwach und nimmt höchstens der mächtigen Baukunst etwas Lebensüberfluß ab. Seit dem sechzehnten Jahrhunderte aber ist die Krankheit der Baukunst ersichtlich: sie drückt das gesellschaftliche Leben schon nicht mehr in wesentlicher Weise aus; sie ändert sich in kläglicher Weise zur klassischen Kunst um; aus gallischer, europäischer, eingeborener Kunst wird sie zu griechischer und römischer, aus wahrer und moderner zur falschen Antike. Es ist jener Verfall, der die Renaissance benannt wird: immerhin noch ein glänzender Verfall; denn der alte gothische Genius, diese Sonne, welche hinter der riesigen Buchdruckerpresse von Mainz hinabsinkt, durchleuchtet mit ihren letzten Strahlen noch eine Zeit lang diese Bastardmasse aus lateinischen Bogenwölbungen und korinthischen Säulenhallen.
Und gerade diese untergehende Sonne halten wir für eine Morgenröthe.
Von dem Augenblicke an jedoch, wo die Baukunst nur noch eine Kunst ist, wie die andere, seitdem sie nicht mehr die Gesammtkunst, die unumschränkte, die tyrannische Kunst ist, hat sie die Macht nicht mehr, die andern Künste im Zaume zu halten. Sie machen sich somit frei, brechen das Joch des Baumeisters und schlagen jede einen Weg für sich ein. Jede von ihnen gewinnt bei dieser Entzweiung. Die Absonderung macht jede größer. Die Steinmetzkunst wird zur Bildhauerkunst, die Bildschnitzkunst zur Malerei, der strenge Kanon zur freien Musik. Man könnte die Baukunst ein Weltreich nennen, welches beim Tode seines Alexander zerfällt, und dessen Provinzen zu Königreichen werden.
Damit beginnt die Zeit Raphaëls, Michel-Angelo's, Johann Goujons und Palestrina's, dieser Sterne des glanzvollen sechzehnten Jahrhunderts.
Zu gleicher Zeit mit den Künsten befreit sich der Gedanke allerwärts. Freigeister des Mittelalters hatten dem Katholicismus schon tiefe Wunden geschlagen. Das sechzehnte Jahrhundert zerreißt die Glaubenseinheit. Vor der Buchdruckerkunst wäre die Reformation nur eine Spaltung gewesen, die Erfindung des Buchdruckes macht sie zur Revolution. Man nehme die Presse weg, und die Ketzerei ist wirkungslos. Mag das verhängnisvoll oder von der Vorsehung bestimmt sein: Guttenberg ist der Vorläufer Luthers.
Doch als die Sonne des Mittelalters vollständig untergegangen, als das gothische Genie für immer am Horizonte der Kunst erstorben war, beginnt die Baukunst immer unscheinbarer zu werden, mehr und mehr zu verbleichen und zu erlöschen. Das gedruckte Buch, dieser Nagewurm des Gebäudes, zehrt sie auf und vertilgt sie. Sie entblößt, sie entblättert sich und nimmt zusehends ab. Sie ist dürftig, sie ist arm, sie ist nichtig. Sie drückt gar nichts mehr aus, nicht einmal die Erinnerung an die Kunst einer andern Zeit. Auf sich selbst beschränkt, verrathen von den andern Künsten, weil der menschliche Gedanke sie im Stiche läßt, zieht sie, aus Mangel an Künstlern, Handwerker an sich. Die Glasscheibe ersetzt das Kirchenfenster; der Steinhauer tritt an die Stelle des Bildhauers. Dahin ist jede Kraft, jede Ursprünglichkeit, jedes Leben, jeder Geist. Als klägliche Bettlerin vor der Werkstätte schleppt sie sich von Nachbildung zu Nachbildung. Michel-Angelo, der zweifelsohne merkte, wie sie seit dem sechzehnten Jahrhunderte hinstarb, hat einen letzten Gedanken gehabt, einen Gedanken der Verzweiflung. Dieser Titan der Kunst hatte das Pantheon auf das Pantheon gethürmt und Sanct-Peter in Rom geschaffen. Es ist ein gewaltiges Werk, welches verdiente, einzig in seiner Art zu bleiben, es ist das letzte ursprüngliche Werk der Baukunst, der Namenszug eines riesengroßen Künstlers auf dem Schlußblatte eines ungeheuern Buches von Stein, welches sich schloß. Als Michel-Angelo todt war, was thut da jene jämmerliche Baukunst, die sich in ihrem gespenstigen Schattendasein selbst überlebte? Sie macht sich an Sanct-Peter in Rom und formt ihn ab, parodirt ihn. Es ist ein Wahnwitz; es ist zum Erbarmen. Jedes Jahrhundert hat seinen Sanct-Peter von Rom: das siebzehnte Jahrhundert die Val-de-Grace-Kirche, das achtzehnte Sanct-Genoveva. Jedes Land hat seinen Sanct-Peter von Rom. London hat den seinigen; Sanct-Petersburg gleichfalls. Paris hat ihrer zwei oder drei. Es ist das nichtssagende Testament, die letzte Faselei einer großen, abgelebten Kunst, welche kindisch wird, ehe sie stirbt.
Wenn wir, anstatt der eigenartigen Baudenkmäler, wie die sind, von denen wir soeben gesprochen haben, das Gesammtaussehen der Kunst vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhunderte prüfen, so bemerken wir die nämlichen Erscheinungen des Verfalles und Hinsiechens. Seit der Zeit Franz des Zweiten verschwindet die architektonische Form der Bauwerke mehr und mehr und läßt die geometrische Form, ähnlich dem Knochenbaue eines abgemagerten Kranken, hervortreten. Die schönen Linien der Kunst weichen den kalten und strengen Linien der Geometrie. Ein Bauwerk ist nicht mehr ein Baudenkmal, es ist eine Zusammenstellung von Flächen. Dabei martert sich die Baukunst, diese Blöße zu verstecken. Daher finden wir den griechischen Giebel, welcher auf das römische Giebelfeld aufgesetzt wird, und umgekehrt. Es ist immer das Pantheon im Pantheon, der Sanct-Peter Roms. Daher stammen die Ziegelsteinhäuser mit Hartsteinecken aus Heinrichs des Vierten Zeit; die Place-Royale, die Place-Dauphine. Daher die Kirchen Ludwigs des Dreizehnten: plumpe, untersetzte, gedrückte und zusammengewürfelte Bauten, die eine Kuppel tragen, welche wie ein Buckel aussieht. Daher die Mazarin-Bauart, die schlechte italienische Stilpastete an den Quatre-Nations. Daher die Paläste Ludwigs des Vierzehnten: weite, steife, kalte und langweilige Hofschranzenkasernen. Daher endlich die Bauart aus Ludwigs des Fünfzehnten Zeit, mit ihren Cichorienblätter- und Fadennudelverzierungen und allen Warzen und Schwämmen, welche diesen alternden, hinfälligen, einer zahnlosen Kokette gleichenden Baustil verunstalten. Von Franz des Zweiten Zeiten bis zu Ludwig dem Fünfzehnten ist das Uebel im geometrischen Fortschritte gewachsen. Die Kunst besteht nur noch aus Haut und Knochen. Sie ringt in kläglicher Weise mit dem Tode.
Was wird unterdessen aus der Buchdruckerkunst? Jene ganze Lebenskraft, welche die Baukunst verläßt, geht zu ihr über. In dem Maße, wie die Baukunst niedersinkt, geht sie in die Höhe und wird groß. Dieser Reichthum an Kräften, den der menschliche Gedanke in Bauwerken verschwendete, gab er hinfort in Druckdenkmälern aus. Daher kämpft vom sechzehnten Jahrhunderte an die Presse, die über das Niveau der hinschwindenden Baukunst hinausgewachsen ist, mit ihr und tödtet sie. Im siebzehnten Jahrhunderte ist sie bereits unumschränkt, siegreich und in ihrem Siege befestigt genug, um der Welt das Schauspiel eines großen, wissenschaftlichen Jahrhunderts zu bieten. Im achtzehnten Jahrhunderte, nachdem sie lange Zeit am Hofe Ludwigs des Vierzehnten brach gelegen, ergreift sie das alte Schwert Luthers als Waffe Voltaire's, und eilt mit lautem Geräusche zum Sturme auf jenes alte Europa, dessen Gedankenformen sie bereits in der Baukunst vernichtet hat. Im Augenblicke, wo das achtzehnte Jahrhundert zu Ende geht, hat sie alles zerstört. Im neunzehnten schickt sie sich an, wieder aufzubauen.
Aber, fragen wir jetzt, welche von den beiden Künsten spiegelt seit drei Jahrhunderten in der That den menschlichen Gedanken ab? Welche giebt ihn weiter? Welche drückt ihn aus, und zwar nicht etwa seine wissenschaftlichen Verirrungen und Schulthorheiten, sondern seine weitgehende, tiefe und allseitige Bewegung? Welche liegt gleichmäßig, ohne Riß und ohne Lücke über dem menschlichen Geschlechte, dem tausendfüßigen Ungethüme, das vorwärts eilt, ausgebreitet da? Die Baukunst oder die Buchdruckerkunst? – Die Buchdruckerkunst! Man wolle sich hierin nicht täuschen; die Baukunst ist todt, todt ohne Wiederkunft, vernichtet vom gedruckten Buche, vernichtet, weil sie nicht genug vorhält, vernichtet, weil sie zu theuer ist. Jede Kathedrale hat den Werth einer Milliarde. Man vergegenwärtige sich jetzt, welchen Aufwand von Mitteln es erfordern würde, um das architektonische Buch noch einmal zu schreiben; um Tausende von Bauwerken von neuem auf dem Erdboden zu errichten; um zu jenen Zeiten zurückzukehren, wo, nach Aussage eines Augenzeugen, die Menge der Baudenkmäler eine solche war, »daß man hätte sagen mögen, die Welt hätte, sich schüttelnd, ihre alten Gewandungen von sich geworfen, um sich mit einem weißen Kleide von Kirchen zu bedecken«. [Erat enim ut, si mundus, ipse excutiendo semet, rejecta vetustate, candidam eccelsiarum vestem induceret. (Glaber Radulphus)]
Ein Buch ist so bald hergestellt, kostet so wenig und kann so weit gelangen! Wie darf man sich wundern, daß der ganze menschliche Gedankengang auf dieser Bahn dahineilt? Damit soll nicht gesagt sein, daß die Baukunst nicht noch hier und da ein schönes Baudenkmal, ein vereinzeltes Hauptwerk sein nennen wird. Unter der Herrschaft der Buchdruckerkunst wird man wohl von Zeit zu Zeit noch eine Säule aufweisen können, die, ich setze den Fall, von einem ganzen Heere, mit verschmolzenen Kanonen hergerichtet ist, wie man, unter der Herrschaft der Baukunst, Iliaden und Romanzeros, Mahabaratas und Nibelungen besaß, die von einem ganzen Volke aus angesammelten und mit einander verschmolzenen Heldenliedern geschaffen worden waren. Der Glücksfall, ein Baumeistergenie zu besitzen, wird im zwanzigsten Jahrhunderte ebenso unerwartet eintreten können, wie im dreizehnten derjenige mit Dante. Aber die Baukunst wird nicht mehr die Kunst der Gesellschaft, die Gesammtkunst, die herrschende Kunst sein. Die große Dichtung, das große Denkmal, das große Kunstwerk der Menschheit wird nicht mehr gebaut, es wird gedruckt werden.
Und künftighin, wenn die Baukunst sich neu belebt, wird sie nicht mehr die Gebieterin sein. Sie wird sich dem Gesetze der Wissenschaft unterwerfen, welche dasselbe einstmals von ihr erhielt. Die beiderseitigen Stellungen der zwei Künste werden zu einander im umgekehrten Verhältnisse stehen. Gewiß ist, daß in der Epoche der Baukunst die Dichterwerke selten und in Wahrheit den Baudenkmälern gleichen. In Indien ist die Vyasa bunt, sonderbar, unergründlich, wie eine Pagode. Im ägyptischen Morgenlande besitzt die Dichtkunst, wie die Gebäude, Größe und Ruhe der Linien; im alten Griechenlande Schönheit, Heiterkeit und Ruhe; im christlichen Europa die Erhabenheit des Katholicismus, volksthümliche Anmuth und das reiche und üppige Wachsthum einer Epoche der Wiedergeburt. Die Bibel gleicht den Pyramiden, die Ilias dem Parthenon, Homer dem Phidias. Dante im dreizehnten Jahrhunderte ist gleichsam die letzte romanische Kirche; Shakespeare im sechzehnten der letzte gothische Dom.
Um also das, was wir bis jetzt in einer nothwendigerweise unvollständigen und verstümmelten Art gesagt haben, zusammenzufassen, so hat das menschliche Geschlecht zwei Bücher, zwei Register, zwei Testamente: die Baukunst und die Buchdruckerkunst, die Bibel aus Stein und die Bibel aus Papier. Wenn man diese zwei, im Laufe der Jahrhunderte so weit geöffneten Bibeln betrachtet, so ist es gewiß erlaubt, über die offenbare Erhabenheit der granitnen Schrift, über diese riesigen in Colonnaden, in Portale, in Obelisken geformten Alphabete, über diese von Menschenhänden aufgerichteten Berge zu trauern, die von der Pyramide des Cheops an bis zum Straßburger Münster die Welt und die Vergangenheit bedecken. Man soll die Vergangenheit auf diesen marmornen Blättern wiederlesen, man muß das von der Baukunst geschriebene Buch bewundern und fortwährend wieder durchblättern; aber man darf die Größe des Denkmales nicht in Abrede stellen, das sich auch seinerseits die Buchdruckerkunst aufrichtet.
Dieses Denkmal ist riesenhaft. Ich weiß nicht, welcher Statistiker ausgerechnet hat, daß, wenn man alle aus der Presse seit Guttenberg hervorgegangenen Bände über einander aufschichtete, der Raum zwischen Erde und Mond ausgefüllt werden würde; von dieser Art Größe wollen wir aber gar nicht reden. Wenn man indessen ein vollkommenes Bild von der Gesammtheit der Buchdruckserzeugnisse bis auf unsere Zeit für seine Vorstellung zu bekommen sucht, erscheint uns dann diese Gesammtheit nicht wie ein ungeheures Gebäude, welches auf der ganzen Welt ruht, in welchem die Menschheit ununterbrochen arbeitet, und dessen Giebel im tiefen Dunkel der Zukunft verschwindet? Es ist das Durcheinander geistiger Kräfte, der Bienenstock, nach welchem alle Phantasien, diese goldschimmernden Bienen, mit ihrem Honige eilen. Der Bau hat unzählige Stockwerke. Hier und da sieht man die dunkeln Gänge der Wissenschaft, welche sein Inneres durchschneiden, nach den Zugängen hin ausmünden. Ueberall an seiner Außenseite zeigt die Kunst ihre reichverschlungenen Arabesken, ihre Rosetten, ihre spitzenartigen Verzierungen. Da hat jeder einzelne Bau, so phantastisch-launenhaft und abgesondert er auch erscheinen mag, seine Stelle und seine Wirkung. Harmonisches Zusammenwirken ergiebt sich aus dem Ganzen. Von der Shakespeare-Kathedrale an bis zur Byron-Moschee erheben sich unzählige Thürme in buntem Gemisch über diese Metropole des Weltgedankens. An der Grundmauer des Baues hat man einige alte Urkunden der Menschheit, welche die Baukunst nicht verzeichnet hatte, niedergeschrieben. Links vom Eingange hat man das alte, weißmarmorne Homer-Basrelief eingefügt, rechts erhebt die Polyglottenbibel ihre sieben Häupter. Der Romanzero-Drache sträubt sich weiterhin; auch einige andere Bastardformen, die Vedas und die Nibelungen. Uebrigens bleibt dieser wunderbare Bau ewig unvollendet. Die Presse, diese Riesenmaschine, welche ohne Unterlaß alle geistigen Säfte der Gesellschaft einsaugt, speit unaufhörlich neues Arbeitsmaterial für sein Werk aus. Das ganze Menschengeschlecht ist vollzählig auf dem Baugerüst; jeder Geist ist Maurer. Der Niedrigste verstopft ein Loch und legt einen Stein auf. Rétif de la Bretonne bringt seine Bütte voll Gypsmörtel herbei. Täglich wird eine neue Schicht aufgerichtet. Unabhängig von der selbstständigen und persönlichen Beisteuer jedes Schriftstellers finden sich Sammelbeiträge. Das achtzehnte Jahrhundert giebt die »Encyklopädie«, die große französische Revolution den »Moniteur«. Gewiß, auch da haben wir einen Bau, der wächst und sich in endlosen Spirallinien aufthürmt; auch da giebt es eine Sprachverwirrung, unendliche Thätigkeit, unermüdliche Arbeit, einen erbitterten Wettkampf der ganzen Menschheit, aber auch einen Zufluchtsort, welcher dem Geiste gegen eine neue Sündflut, gegen ein Versinken in Barbarei gesichert ist. Es ist der neue babylonische Thurm des Menschengeschlechtes.